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Bachelorarbeit, 2010
58 Seiten, Note: 1,3
1 EINLEITUNG
2 BEGRIFFSDEFINITIONEN
2.1 ENTERPRISE-RESSOURCE-PLANNING-SYSTEME
2.2 MITTELSTÄNDISCHE UNTERNEHMEN
2.2.1 Quantitative Einordnung
2.2.2 Qualitative Einordnung
3 ANFORDERUNGEN DES MITTELSTANDS AN ERP-SYSTEME
3.1 TECHNOLOGIE
3.2 SOFTWARE-ERGONOMIE
3.3 ANPASSUNGSFÄHIGKEIT UND ERWEITERBARKEIT
3.4 BETRIEBS- UND FINANZIERUNGSKONZEPTE
4 SYSTEMATISCHES AUSWAHLVERFAHREN
4.1 DIE PHASE DER SOFTWAREAUSWAHL
4.2 PROJEKTORGANISATION
4.3 FEHLERVERMEIDUNG
4.4 PROJEKTVORBEREITUNGEN
4.4.1 Risikoanalyse
4.4.2 Projektbeteiligungsstrategie
4.4.3 Projektbudgetierung
4.5 ZIELDEFINITION & ZIELFINDUNG
4.6 SPEZIFIKATION UND KLASSIFIZIERUNG DER ANFORDERUNGEN
4.6.1 Anforderungen an Anforderungsspezifikationen
4.6.2 Gliederung der Anforderungsspezifikation
4.6.3 Vorgehen zur Aufstellung Anforderungsspezifikationen
4.7 VORAUSWAHL VON SYSTEMANBIETERN
4.8 ANBIETERBEFRAGUNG
4.9 ANBIETERPRÄSENTATION
5 VERTRAGSVERHANDLUNGEN
5.1 FREMDE ALLGEMEINE GESCHÄFTSBEDINGUNGEN
5.1.1 Akzeptieren fremder AGB
5.1.2 Verhandeln fremder AGB
5.2 EIGENE AGB ENTGEGENSTELLEN
6 FAZIT
7 AUSBLICK
8 FORMULARKATALOG
8.1 PROJEKTORGANISATION
8.2 FEHLERVERMEIDUNG
8.3 RISIKOANALYSE
8.4 SITUATIONSANALYSE
8.5 BETROFFENHEITSANALYSE
8.6 BETEILIGUNGSPLANUNG
8.7 PROJEKTBUDGETIERUNG
8.8 ZIELDEFINITION
8.9 ANFORDERUNGSKATALOG
8.10 ANBIETERDATEN
8.11 ANBIETERANGABEN
8.12 ANBIETERBEWERTUNG
9 ANHANG
9.1 SOFTWARE-LEASING
9.2 BETREIBERMODELLE
ABBILDUNG 1: PRINZIPIELLER AUFBAU EINES KLASSISCHEN ERP-SYSTEMS (EIGENE ABBILDUNG)
ABBILDUNG 2: VERGLEICH DER EIGENKAPITALQUOTEN ZWISCHEN KMU UND GROßUNTERNEHMEN
ABBILDUNG 3: ZUSAMMENHANG ZWISCHEN TECHNOLOGIE UND TECHNOLOGISCHEM RISIKO (EIGENE ABBILDUNG)
ABBILDUNG 4: ZEITPUNKT DES PRODUKTIVSTARTS DER VORHANDENEN ERP-LÖSUNG
ABBILDUNG 5: LEBENSZYKLUS VON ERP-SYSTEMEN UND REAKTIONSMÖGLICHKEITEN AUF ANPASSUNGSDRUCK (NACH /GRU 01 S. 31/)
ABBILDUNG 6: HÖHE DER GESAMTINVESTITIONEN IN DIE STANDARD ERP-SYSTEME BEI BETRIEBEN MIT 50 BIS 99 MITARBEITERN
ABBILDUNG 7: PHASENMODELL DER AUSWAHL VON ERP-SYSTEMEN (ANGELEHNT AN: /GRU 01 S. 101/)
ABBILDUNG 8: FEHLER BEI DER SOFTWAREAUSWAHL (NACH /STE 96 S. 36/)
ABBILDUNG 9: BEISPIEL BETROFFENHEITSMATRIX (NACH /KRÜ 09 S. 383/)
TABELLE 1: QUANTITATIVE EINORDNUNG VON UNTERNEHMEN NACH DEFINITION DER
EUROPÄISCHEN KOMMISSION (NACH /DNK 05 S. 14/)
TABELLE 2: BEISPIEL FÜR EINE ZIELDEFINITION (NACH /GRO 10 S. 324/)
TABELLE 3: ANFORDERUNGSKATALOG AM BEISPIEL EINES TANKSTELLENNETZBETREIBERS (EIGENE TABELLE)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
ERP-Systeme haben sich zu unternehmensweiten Anwendungssystemen entwickelt, die das Rückgrat der gesamten Informationsverarbeitung in Unternehmen darstellen. Unter diesem Aspekt gewinnen die Themen Auswahl, Einführung und Integration massiv an Bedeutung. Die Auswahl des richtigen ERP-Systems erfordert umfangrei- che Maßnahmen, die oft unterschätzt werden. Neben vorbereitenden Maßnahmen, wie die Ermittlung von Zielen, das Aufstellen von Anforderungen und die Markt- recherche, ist es notwendig die Anbieterpräsentation vorzubereiten, durchzuführen und zu bewerten. Weiterhin müssen die notwendigen Vertragsverhandlungen gründ- lich geplant werden. Dies gilt nicht nur für Großunternehmen, sondern insbesondere auch für mittelständisch geprägte Unternehmen. Denn aufgrund ihrer organisatori- schen Struktur und der häufig geringen Ressourcenausstattung kann die Wahl des falschen ERP-Systems existentielle Folgen haben. Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, die besonderen Anforderungen und Limitierungen mittelständischer Unterneh- men an ein ERP-System aufzuzeigen. Darauf aufbauend soll ein systematisches Auswahlverfahren konzipiert werden, welches es mittelständischen Unternehmen ermöglicht, die Auswahl eines passenden ERP-Systems systematisch und effizient durchzuführen. Die erstellten Tools, Checklisten und Entscheidungshilfen, richten sich dabei gezielt an mittelständische Unternehmen.
Um im Zuge der vorliegenden Arbeit von einem einheitlichen Verständnis der verwendeten Begrifflichkeiten ausgehen zu können, werden nachfolgende, grundlegende Begriffe definiert und erläutert.
Als Enterprise-Ressource-Planning-Systeme (abgekürzt ERP-Systeme) werden inte- grierte betriebswirtschaftliche Standardanwendungssoftware-Pakete bezeichnet, die nahezu alle Aufgabenbereiche und Prozesse innerhalb des Unternehmens unterstüt- zen /STH 05 S. 327/. Häufig sind dies die Beschaffung, die Produktion, der Vertrieb, das Rechnungswesen und die Personalwirtschaft. Vordergründiges Ziel ist es, dass Zusammenspiel der verschiedenen Aufgaben innerhalb eines Unternehmens zu op- timieren. Dies soll z.B. Durch eine gemeinsame Datenbank und durchgängige Prozesse ermöglicht werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Prinzipieller Aufbau eines klassischen ERP-Systems (eigene Abbildung)
ERP-Systeme sind eine Erweiterung der traditionellen in Industrieunternehmen ein- gesetzten Produktionsplanungs- und Steuerungssysteme. Diese werden zumeist als PPS-Systeme bezeichnet und unterstützen den gesamten Prozess der Planung und Ausführung von Fertigungsaufträgen und zwar von der Angebotsbearbeitung, Be- schaffung, Lagerhaltung, Material und Ressourcenplanung bis hin zur Fertigungs- überwachung und Auslieferung. ERP-Systeme verfügen darüber hinaus über weitere betriebswirtschaftliche Funktionsbereiche. Dies sind vor allem Module für Vertriebs- rechnungswesen und Personalwirtschaft. Die Daten der verschiedenen betriebswirt- schaftlichen Bereiche werden bei einem ERP-System in einer gemeinsamen Daten- bank gespeichert. Dies ermöglicht eine bereichsübergreifende Datennutzung, ohne die Daten mehrfach eingegeben und pflegen zu müssen (siehe Abbildung 1) /ABT 09 S. 163-164/.
Die Europäische Kommission hat mit Gültigkeit zum 01 Januar 2005 eine neue, einheitliche Definition für die Einordung von kleinen und mittelständischen Unternehmen verabschiedet /DNK 05 S. 6/. Die Aktualisierung der Definition wurde infolge der Entwicklung des Preis- und Produktivitätsniveaus innerhalb der Europäischen Union nötig. Die Berücksichtigung der veränderten Rahmenbedingungen erlaubt nun eine genauere und EU-weit einheitliche Einordnung /DNK 05 S. 8/.
Die Europäische Kommission verwendet für die Einordnung der Unternehmen in die Kategorien „Kleinstunternehmen“, „Kleines Unternehmen“ und „Mittleres Unternehmen“ maßgeblich drei quantitative Merkmale:
- Mitarbeiterzahl
- Jahresumsatz
- Jahresbilanzsumme
Die nachfolgende Tabelle zeigt den systematischen Aufbau der Kategorisierung und die von der Europäischen Kommission definierten Schwellenwerte. Demnach gilt ein Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz unter 50 Millionen Euro bzw. einer Bilanzsumme von unter 43 Millionen Euro, als mittleres Unternehmen im Sinne der Europäischen Kommission /DNK 05 S. 12-14/.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Quantitative Einordnung von Unternehmen nach Definition der Europäischen Kommission (nach /DNK 05 S. 14/)
Kritisch zu bewerten ist, dass die Wahl der Schwellenwerte zur Abgrenzung der ein- zelnen Kategorien einer gewissen Beliebigkeit unterliegt /PFO 06 S. 17/. Darüber hinaus erlaubt die quantitative Einordnung keinerlei Aussagen über die charakteristi- schen Eigenschaften eines Unternehmens. So sind beispielsweise Aussagen über Eigentumsverhältnisse, Managementqualifikationen oder Ressourcenausstattung nicht möglich. Es ist daher notwendig, die quantitativen Kriterien um qualitative Krite- rien zu erweitern /JAN 09 S. 10/.
Führung - In mittelständisch geprägten Unternehmen wird die Planung, Führung, und Kontrolle überwiegend durch eine natürliche Person durchgeführt, die auf alle wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen Einfluss nimmt /PFO 06 S 18/. Dies ist oft der Eigentümer, der zugleich als sog. Unternehmer auftritt. Dieser verfügt häufig über eine eher technisch orientierte Ausbildung. Ihm mangelt es daher teilwei- se an den nötigen Unternehmensführungskenntnissen. Weiterhin dominiert vielfach ein patriarchalischer Führungsstil, welcher nur selten Raum für Gruppenentschei- dungen lässt. Die Unternehmensführung unterliegt selten einer genauen Planung und es kommt vielfach zur Überlastung des Unternehmers. Außerdem verfügt der Unternehmer häufig über ein sehr breites praktisches Wissen und ist infolgedessen nicht beliebig austauschbar bzw. zu ersetzen (z.B. im Krankheitsfall) /MUG 93 S. 18/.
Organisation - Die geringe Größe der mittelständischen Unternehmen hat zwangs- läufig auch Auswirkungen auf die Organisationsstruktur. So kann davon ausgegan- gen werden, dass allein durch die geringe Größe mittelständischer Unternehmen die Komplexität der Organisationsstruktur geringer ist. Häufig handelt es sich um ein Ein- liniensystem1, das auf den Unternehmer ausgerichtet ist und durch Ihn oder wenige Führungskräfte zu überschauen ist. /MUG 93 S. 18/. Ferner weisen mittelständisch geprägte Organisationen eher flache Hierarchien auf (Bereichs-, Abteilungs-, Grup- pen- und Sachbearbeiterebene) und ermöglichen so kurze Informations- und Ent- scheidungswege. Die internen Abläufe werden für die Mitarbeiter so transparenter und auf Veränderungen kann dadurch schneller und flexibler reagiert werden, als es etwa in großen, breit aufgestellten Organisationen möglich ist /PFO 06 S.19/.
Personal - Mittelständische Unternehmen weisen vielfach eine geringe Personalde- cke aus, infolgedessen entwickeln sich die Mitarbeiter sehr häufig zu regelrechten Allroundern mit einem breiten Fachwissen. Ebenso herrscht in mittelständischen Be- trieben häufig eine hohe Arbeitsintensität. Diese beiden Faktoren sind auch der Grund dafür, dass der Anteil ungelernter Arbeitskräfte in diesen Unternehmen sehr gering ist /MUG 93 S. 18/. Die Mitarbeiter eines Mittelständlers sind zudem oft zufrie- dener als das Personal in Branchenverwandten Großbetrieben. Dies hängt im We- sentlichen mit der freieren Arbeitszeitgestaltung und der familiären Stimmung inner- halb des Unternehmens zusammen /SCH 06 S. 228 ff./. Bei der Beschaffung von Personal offenbart sich eine wesentliche Schwäche des Mittelstandes, denn durch die regionale Verwurzelung und dem beschränkten Bekanntheitsgrad, ist es schwer geeignetes und ausreichend qualifiziertes Personal zu beschaffen. Daher ist der Mit- telstand bemüht, seine Nachfrage an qualifizierten Arbeitskräften durch gezielte Aus- bildung im eigenen Unternehmen zu decken /PFO 06 S.245 ff/.
Kundenorientierung - Flexibilität und individuelle Kundenbetreuung zeichnen insbe- sondere die kleinen und mittelständischen Unternehmen aus. Die starke Ausrichtung an den individuellen Anforderungen der Kundschaft ist einer der Erfolgsfaktoren im deutschen Mittelstand. Ohne diese Ausrichtung wäre es vielen Unternehmen nicht möglich, langfristig am Markt zu bestehen. Die Gründe hierfür liegen zum einen in den relativ kurzen Informationswegen und zum anderen in der häufigen Spezialisie- rung auf einen bestimmten Kundenkreis. Weiterhin verfügen die Mitarbeiter bedingt durch die bedarfsgerechte Produktion, die Spezialisierung auf ein Marktsegment und die Nähe zum Kunden, meist über große Markt- und Produktkenntnisse. Sie sind folglich in der Lage dem Kunden beratend zur Seite zu stehen und als Anbieter indi- vidualisierter Lösungen aufzutreten /SCN 06 S. 2/.
Finanzierung - Mittelständische Unternehmen befinden sich häufig im Familienbe- sitz und haben keinen Zugang zum anonymen Kapitalmarkt. Dadurch bedingt, exis- tieren für mittelständische Unternehmen nur begrenzte Finanzierungsmöglichkeiten. Im Gegensatz zu Großunternehmen kommt der Mittelstand in Krisenzeiten häufig nicht in den Genuss staatlicher Unterstützung /MUG 93 S. 19/. Erschwerend hinzu kommt die häufig sehr geringe Eigenkapitalquote2 der mittelständischen Unterneh- men in Deutschland. Diese ist im Vergleich zu Großunternehmen im Durchschnitt deutlich geringer und wirkt sich negativ auf die Beschaffung von benötigtem Fremd- kapital für größere Investitionen aus (siehe: Abbildung 2 ) /SCN 06 S.18/.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Vergleich der Eigenkapitalquoten zwischen KMU und Großunternehmen
Der technologische Fortschritt und speziell die rasante Weiterentwicklung der Infor- mationstechnologie stellt für die mittelständischen Unternehmen eine besondere Herausforderung dar. Denn im Gegensatz zu Großunternehmen verfügen mittelstän- dische Unternehmen oft nur über sehr beschränkte personelle Ressourcen, vor allem im Bereich der Informationstechnologie. Trotzdem müssen die Verantwortlichen der mittelständischen Unternehmen ähnlich komplexe Geschäftsprozesse beherrschen, wie etwa branchenverwandte Großunternehmen /GRN 04 S. 14/. Es ist für diese Klasse von Unternehmen darum besonders wichtig, dass die verwendete Technolo- gie zu jederzeit beherrschbar ist und der operative Betrieb durch die im Unternehmen vorhandenen personellen Ressourcen gewährleistet werden kann.
Bei der Auswahl eines neuen ERP-Systems sollte daher auch auf die verwendete Technologie geachtet werden und diese kritisch hinterfragt werden. Anspruchsvolle neue Technologien oder (vermeintliche) Innovationen3, sollten nur dann den Vorzug vor etablierten Standards erhalten, wenn damit ein signifikanter Wettbewerbsvorteil zu erzielen ist und die Systemlandschaft gleichzeitig beherrschbar bleibt. Dies gilt im speziellen dann, wenn damit erhebliche finanzielle Anstrengungen einhergehen /SBE 09 S. 19/. Ebenso gilt es Investitionen in Systeme zu vermeiden, die auf veraltetet Technologien aufsetzen, da die Weiterentwicklung und der Support hier nicht mehr gewährleistet sind. Beide Ausprägungen, sowohl die Investition in die absolut neuste Technologie, als auch die Investition in veraltete Technologie, bilden im Speziellen für den Mittelstand ein erhebliches Risiko, das mit unkalkulierbaren Folgekosten verbunden sein kann (siehe: Abbildung 3). In Folge dessen gilt es im Auswahlprozess die richtige Balance zwischen etablierten Standards und innovativer Technologie zu finden und damit das vorhandene Risiko zu verringern.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Zusammenhang zwischen Technologie und technologischem Risiko (eigene Abbildung)
Software-Ergonomie ist eine Teildisziplin der Ergonomie. Ergonomie ist eine ange- wandte, wissenschaftliche Disziplin der Analyse und Optimierung menschlicher Tä- tigkeiten und Leistungen, unter Einbeziehung subjektiver und objektiver Faktoren und Prozesse. Die Ergonomie hat zum Ziel, die Arbeitsbedingungen und Werkzeuge an den Menschen anzupassen. Man spricht auch von der Humanisierung der Arbeit. Gegenstand der Software-Ergonomie ist demnach die Anpassung und Optimierung der Arbeitsbedingungen bei der Mensch-Computer-Interaktion an die sensomotori- schen4 und kognitiven5 Fähigkeiten sowie Prozesse des Menschen /WAN 93 S.1/.
Für den Mittelstand ist die Ergonomie einer Software von besonders hoher Relevanz, weil unzureichende bzw. fehlende Software-Ergonomie weitreichende Folgen für das Unternehmen haben kann:
- physische und psychische Beeinträchtigungen der User
- hoher Schulungs- und Einarbeitungsaufwand
- Herausbildung „nicht ersetzbarer Experten“, die die unnötig komplizierten Systeme bedienen gelernt haben
- Die Systeme arbeiten entgegen der natürlichen bzw. gewohnten Arbeitsweise
- Verschiebungen in der Relevanz von Arbeitsvorgängen
- Aufspaltung von Tätigkeiten in für sich genommen unsinnige Teile
- Herausbildung geistiger Fließbandarbeit
- Verschwendung menschlicher Denkfähigkeit und Flexibilität
Diese Auswirkungen haben nicht nur zur Folge, dass die User massiv beeinträchtigt werden, sondern reduzieren auch zwangsläufig die Effizienz der Benutzer in Aus- übung ihrer Tätigkeiten. Sie erzeugen so unnötige Kosten und Frust in der Anwendung des Systems /HER 05 S. 7/.
Infolge der geringen Ressourcenausstattung (siehe Kapitel 1.1) ist es für den Mittel- stand im Vergleich zu Großunternehmen ungleich schwerer, die negativen Folgen zu verkraften (z.B. Ausfall eines sog. „Experten“ durch Krankheit). Daher sollte beson- ders der Mittelstand ein großes Interesse an ergonomischer Unternehmenssoftware haben und dies auch bei der Anbieterwahl hinreichend artikulieren und in den Anfor- derungskatalog aufnehmen.
Die Länge des Lebenszyklus von betrieblicher Standardsoftware wird oft falsch ein- geschätzt. Erst durch das Auftreten von Ereignissen wie die Jahrtausendwende (Jahr-2000-Problem) oder die Einführrung der europäischen Gemeinschaftswährung Euro, wurde deutlich, dass ein großer Teil der in den Unternehmen eingesetzten An- wendungen bereits über viele Jahre genutzt wurde /GRU 01 S. 29-30/. Dies bestä- tigt auch die jährliche ERP-Studie der Mediengruppe Konradin. Demnach sind mehr als ein Drittel der im Einsatz befindlichen ERP-Systeme vor dem Jahr 2002 einge- führt worden (siehe Abbildung 4).
Es ist folglich von einer Lebensdauer von 10 Jahren und länger auszugehen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass die Organisati- on des Unternehmens, also die Aufbauorganisation und die Prozesse in der langen Zeitspanne zwischen Einführung und Abschaltung der Softwarelösung im Wesentli- chen unverändert bleiben. Vielmehr ist zu erwarten, dass ein ständiger Verände- rungsdruck auf der betrieblichen Organisation lastet. Folgende Beispiele verdeutli- chen diese Problematik:
- Starkes Wachstum und daraus resultierende stärkere Arbeitsteilung
- Neue Richtlinien, Verordnungen und Gesetze mit daraus resultierender Anpassung von Prozessen und Organisationsstrukturen
- Ständige Optimierung der internen Geschäftsprozesse
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Zeitpunkt des Produktivstarts der vorhandenen ERP-Lösung
Die aufgeführten Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen. Für die erfolgreiche Nutzung eines ERP-Systems über den gesamten Lebenszyklus ist es unerlässlich, den ständigen organisatorischen Wandel im Auswahlverfahren zu berücksichtigen. Abbildung 5 verdeutlicht die wirtschaftlichen Konsequenzen anschaulich.
Wird auf die Berücksichtigung der Adaptivität kein Wert gelegt, so kommen bei einer Reaktion auf organisatorische Veränderungen nur konventionelle Anpassungsverfah- ren zum Einsatz. Diese erfordern bei notwendigen Anpassungen an den organisato- rischen Wandel zunächst Reparaturmaßnahmen oder die Kompensation von Defizi- ten durch den Einsatz zusätzlicher Systeme mit den erforderlichen Eigenschaften. Beide Ansätze mindern die Wirtschaftlichkeit der Informationssysteme; zum Teil massiv. Im Worst-Case ist weder eine Reparatur noch eine Kompensation möglich, es bleibt nur die Duldung der mangelnden Anpassungsfähigkeit. Damit einher geht der Verlust von Flexibilität und Wettbewerbsfähigkeit. Wegen dieser Risiken ist es erforderlich, bei der Aufstellung von Anforderungen und bei der Auswahlentschei- dung die Verfügbarkeit nachhaltiger Komponenten und Methoden weitestgehend zu berücksichtigen /GRU 01 S. 31-32/. Dies gilt besonders für mittelständische Unter- nehmen, welche häufig nur durch Ihre Flexibilität, Wandlungsfähigkeit und Kun- denorientierung im Wettbewerb bestehen können.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Lebenszyklus von ERP-Systemen und Reaktionsmöglichkeiten auf Anpassungsdruck (nach /GRU 01 S. 31/)6
Die Entscheidung für ein anzuschaffendes ERP-System ist eine strategische und weitreichende /LAN 09 S. 331/. Die Arbeit mit einem neuen ERP-System wird die Art und Weise verändern, wie ein Unternehmen agiert, wie die Prozesse ablaufen und wie Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten miteinander kommunizieren /KÜH 10 S. 20/.
Darüber hinaus ist die Entscheidung für ein ERP-System häufig auch mit einer nicht unerheblichen Investition verbunden. Vor allem für die kapitalschwachen mittelstän- dischen Unternehmen ist das Investitionsrisiko erheblich, liegt doch das durchschnitt- liche Projektbudget für die Anschaffung von ERP-Systemen bei 220.510 € (siehe Abbildung 6). Es ist daher für diese Unternehmen von besonderer Bedeutung, das Investitionsrisiko zu verringern. Dazu geeignet scheinen zum einen alternative Mög- lichkeiten der Finanzierung und zum anderen innovative Betriebskonzepte zur Be- reitstellung von Anwendungen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: Höhe der Gesamtinvestitionen in die Standard ERP-Systeme bei Betrieben mit 50 bis 99 Mitarbeitern
Bei der Auswahl eines neuen ERP-Systems sollte demzufolge auch berücksichtigt werden, welche Lizenzmodelle, Bereitstellungsmöglichkeiten und Finanzierungsformen der Hersteller anbietet. Besonders interessant, hinsichtlich der Finanzierung, könnte das Thema Software-Leasing sein (siehe Anhang 9.1). Im Bereich der Betreibermodelle stellt „Software as a Service7 “ eine mögliche Alternative zum klassischen Softwarebetrieb dar (siehe Anhang 9.2).
Die systematische Auswahl eines neuen ERP-Systems erfolgt üblicherweise in meh- reren aufeinanderfolgenden Phasen (Phasenmodell). Hierdurch lassen sich die ein- zelnen Aktivitäten in eine logische, zeitliche Reihenfolge bringen (siehe Abbildung 7) /ABT 09 S. 360/. In der Auswahlphase kommt es insbesondere darauf an, Anforde- rungen zu definieren und zu klassifizieren, um aus den am Markt verfügbaren Sys- temen eine geeignete ERP-Lösung auszuwählen. Es werden hier grundlegende Kenntnisse der bisherigen organisatorischen Abläufe benötigt, sowie methodische Erfahrungen in der Identifikation und Beurteilung von Anbietern und deren Produk- ten. Während dieser Phase sind die Eingriffe in den betrieblichen Ablauf und die zeit- liche Belastung der involvierten Mitarbeiter gering. Die zeitliche Beanspruchung be- schränkt sich auf die Mitwirkung an der Formalisierung der Anforderungen und die repräsentative Teilnahme an den Anbieterpräsentationen /GRO 10 S. 315 - 316/.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7: Phasenmodell der Auswahl von ERP-Systemen (angelehnt an: /GRU 01 S. 101/)
Die Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass von der Zieldefinition bis zur Vertrags- unterzeichnung in der Regel vier Monate vergehen. Allerdings kann die Auswahl auch wesentlich länger dauern. Die Dauer ist dabei maßgeblich abhängig von den unternehmensindividuellen Gegebenheiten und der Komplexität der gestellten Anfor- derungen /GRO 10 S. 317/.
[...]
1 Grundform eines Leitungssystems, bei der hierarchisch untergeordnete organisatorische Einheiten Weisungen nur von jeweils einer übergeordneten Instanz erhalten. Vorteile: Klare Unterstellungsverhältnisse; eindeutige und übersichtliche Abgrenzung von Kompe- tenz und Festlegung von Kommunikationswegen. Nachteile: Evtl. Überlastungen, mangelnde Spezialisierung der Zwischeninstanzen, Schwerfällig- keiten im Kommunikations- und Entscheidungsprozess (Dispositionsfähigkeit), Informationsfilte- rung. /GAL-OV 10/
2 Anteil des Eigenkapitals am Gesamtkapital, stark branchen- und bewertungsabhängige Kennzahl zur Beurteilung der finanziellen Stabilität und Unabhängigkeit eines Unternehmens /GAE-OV 10/.
3 Bezeichnung in den Wirtschaftswissenschaften für die mit technischem, sozialem und wirtschaftli- chem Wandel einhergehenden (komplexen) Neuerungen. Bisher liegt kein geschlossener, allg. gül- tiger Innovationsansatz bzw. keine allg. akzeptierte Begriffsdefinition vor. Gemeinsam sind allen
Definitionsversuchen die Merkmale: Neuheit oder (Er-)Neuerung eines Objekts oder einer sozialen Handlungsweise, mind. für das betrachtete System und Veränderung bzw. Wechsel durch die In- novation in und durch die Unternehmung, d.h. Innovation muss entdeckt/erfunden, eingeführt, ge- nutzt, angewandt und institutionalisiert werden /GAI-OV 10/.
4 Sensomotorik: Als Sensomotorik (auch Sensomotorik) bezeichnet man das Zusammenspiel von sensorischen und motorischen Leistungen. Damit ist die unmittelbare Steuerung und Kontrolle der Bewegungen von Lebewesen aufgrund von Sinnesrückmeldungen gemeint. Wahrnehmung des Reizes durch ein Sinnesorgan und motorisches Verhalten stehen in direktem Zusammenhang. Diese Prozesse verlaufen parallel, wie z. B. zwischen Auge, Ohr und der gezielten Steuerung von Arm-, Fußbewegungen beim Autofahren. Sensomotorik ist das Zusammenspiel der Sinnessysteme mit den motorischen Systemen /SEN-OV 09/.
5 Kognition: Innerhalb des psychischen Systems werden kognitive Vorgänge, die als gedankliche oder rationale Prozesse verstanden werden, den aktivierenden Konzepten Emotion, Motivation und Einstellung gegenübergestellt. Die kognitiven Prozesse beziehen sich auf die Informationsaufnah- me des Menschen durch die Wahrnehmung, die Beurteilung des Wahrgenommenen, die Speiche- rung des Wahrgenommenen im Gedächtnis sowie die Verknüpfung dieser Gedächtnisinhalte zu einem System des Wissens /GAK-OV 10/.
6 User Exits: Zeitpunkt in einem Programm, zu dem ein kundeneigenes Programm aufgerufen wer- den kann. Im Gegensatz zu Customer-Exits kann der Entwickler über User-Exits auf Programmtei- le und Datenobjekte des Standards zugreifen und ändern /USE-OV 10/. Add-on: Funktionserweiterung bestehender Hard- oder Software /GAA-OV 10/.
7 Software as a Service: Dieses Modell, das dem Konzept der Application-Service-Provider (ASP) sehr ähnlich ist, basiert darauf, dass der Kunde seine Software nach Bedarf aus dem Internet als Software on Demand herunterlädt. Das SaaS-Konzept mit seinem On-Demand-Computing ent- stand durch die stärker werdende Einbindung des Internets in private und geschäftliche Anwen-dungen. Da beim SaaS-Ansatz die Kosten für den Betrieb der informationstechnischen Systeme in den Verantwortungsbereich des Anbieters fallen, ist die Nähe zu Application-Service-Providern un- verkennbar.
SaaS-Konzepte sollen die Kosten für den ITK-Bereich senken. Das tun sie weil keine Lizenzgebüh- ren anfallen und weil die Kosten für die zeitintensive Einführung, den Betrieb, die Pflege von An- wendungen und den Unterhalt wesentlich geringer ausfallen. Als Web-basierte Dienstleistung mit On-Demand-Verfügbarkeit gehen viele Kosten auf den Provider über. Ein weiterer Aspekt ist die Skalierbarkeit von SaaS-Lösungen und die damit in Zusammenhang stehende hohe Flexibilität. Der SaaS-Provider muss jederzeit flexibel auf neue Anforderungen der Kunden reagieren, ganz gleich ob höhere Leistungen, größere Kapazitäten, neue Anwendungen oder 24-Stunden-Service gefragt sind.
Weitere Aspekte sind neben den administrativen und organisatorischen vor allem die sicherheitsre- levanten, da der IT-Sicherheit eine entscheidende Rolle zukommt, die damit, zumindest teilweise, vom SaaS-Provider übernommen wird /ITW-OV 10/.