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Bachelorarbeit, 2011
60 Seiten, Note: 1,00
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Problemstellung und Ziel der Arbeit
1.2 Gang der Arbeit
2. Die Stellung des Aufsichtsrates in Österreich
2.1 Rechtliche Grundlagen
2.1.1 Die Verfassung einer österreichischen Aktiengesellschaft
2.1.2 Wahl und Arbeit des Aufsichtsrates
2.2 Der Aufsichtsrat in der Praxis
2.3 Aufsichtsratsverflechtungen
3. Theoretische Ansätze der Corporate Governance
3.1 Principal Agent Theorie
3.1.1 Die Dreieckskonstellation Eigentümer – Aufsichtsrat – Vorstand in der Principal Agent Theorie
3.1.2 Informationsasymmetrien und opportunistisches Verhalten
3.1.3 Hidden Characteristics
3.1.4 Hidden Action
3.1.5 Hidden Information
3.1.6 Hidden Intention
3.2 Stewardship Theorie
4. Corporate Governance
4.1 Einführung und Begriffsabgrenzung
4.2 Corporate Governance-Systeme
4.2.1 Marktorientierte Outsider-Systeme
4.2.2 Netzwerkorientierte Insider-Systeme
4.2.3 Überblicksartiger Vergleich der Systeme
4.3 Der Österreichische Corporate Governance Kodex
4.3.1 Grundlegendes zum Inhalt
4.3.2 Akzeptanz bei börsenotierten Aktiengesellschaften
5. Demographische Korrelationsanalysen
5.1 Methoden und Erläuterungen
5.2 Erläuterung der Untersuchungsfelder
5.3 Analysen
5.3.1 Deskriptive Analyse
5.3.2 Behauptung 1
5.3.3 Behauptung 2
5.3.4 Behauptung 3
5.3.5 Behauptung 4
5.3.6 Behauptung 5
5.3.7 Behauptung 6
5.3.8 Behauptung 7
6. Resümee
6.1 Zusammenfassung der gewonnenen Daten
6.2 Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildung 1: Schematische Darstellung der Principal Agent Beziehungen in der Dreieckskonstellation Eigentümer, Aufsichtsrat und Vorstand
Abbildung 2: Ausgestaltung von Corporate Governance-Systemen
Abbildung 3: Stimmrechte und Kapitalanteile bei Pyramidenstrukturen
Abbildung 4: Bekenntnis zum Corporate Governance Kodex nach Marktsegment
Abbildung 5: Ausschnitt aus der Datensammlung in Microsoft Excel
Abbildung 7: Interpretationshilfe für den Korrelationskoeffizienten
Abbildung 6: Die von Excel verwendete KORREL-Funktion
Abbildung 8: Beispiel für ein Streudiagramm
Abbildung 9: Behauptung 1 - Zusammenhang Anzahl Personen mit Aufsichtsratsmandat und Anzahl der Mitarbeiter in der AG
Abbildung 10: Behauptung 2 - Zusammenhang Anzahl Mandate pro Person und Alter der Aufsichtsratsmandatare
Abbildung 11: Behauptung 3 - Zusammenhang Alter der Personen mit Aufsichtsratsmandat und Alter der Unternehmen
Abbildung 12: Behauptung 4 - Zusammenhang Anzahl der Personen mit Aufsichtsratsmandat und Return on Sales
Abbildung 13: Behauptung 5 - Zusammenhang Anteil der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat und Return on Sales
Abbildung 14: Behauptung 5‘ - Zusammenhang Anteil der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat und Return on Sales
Abbildung 15: Behauptung 6 - Zusammenhang Frauenanteil im Aufsichtsrat und Return on Sales
Abbildung 16: Behauptung 7 - Zusammenhang durchschnittliches Alter der Personen mit Aufsichtsratsmandat und Return on Sales
Tabelle 1:Typisch auftretende Agencyprobleme
Tabelle 2: Die Corporate Governance System im direkten Vergleich
Tabelle 3: Die Regelkategorien des ÖCGK
Tabelle 4: Top 3 Kodex Abweichungen der börsenotierten Unternehmen
Tabelle 5: Gewonnene Ergebnisse im Überblick
Der Aufsichtsrat in Aktiengesellschaften ist gemäß § 95 (1) Aktiengesetz zunächst zur Überwachung der Geschäftsführung eingerichtet.[1] Diese Aufgabe bringt es mit sich, Probleme und Missstände im Unternehmen frühzeitig zu erkennen und zu reagieren bevor diese größeren Schaden verursachen.[2] Diese Funktion ist auch angesichts diverser nationaler und internationaler Wirtschaftsskandale und der Wirtschaftskrise von größter Bedeutung.
Neben seitens der Legislative auferlegten Regelungen in Form von Gesetzen, haben sich Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung von Unternehmen gebildet. In Österreich ist dies in Form des „Corporate Governance Kodex“ des Österreichischen Arbeitskreis für Corporate Governance mit dem
„Ziel einer verantwortlichen, auf nachhaltige und langfristige Wertschaffung ausgerichteten Leitung und Kontrolle von Gesellschaften und Konzernen“
realisiert.[3]
Dieser Kodex kann von Unternehmen grundsätzlich auf freiwilliger Basis, durch Selbstverpflichtung, anerkannt werden. Für börsenotierte Aktiengesellschaften am Prime Market der Wiener Börse ist er hingegen verpflichtend zu ratifizieren, um in dieses Segment aufgenommen zu werden.[4] Vereinfachend zusammengefasst regelt er das Zusammenspiel und Zusammenarbeiten von Aktionären, Aufsichtsrat und Vorstand, also die „Organisation von Leitung und Kontrolle in Unternehmen“ .[5]
Dieses „Zusammenspiel“ ist Resultat der Trennung von Eigentum und Führung der Unternehmen und lässt sich mit dem Principal-Agent Ansatz beschreiben.[6] Die Principal-Agent Theorie basiert typischerweise auf opportunistischem Verhalten der Beteiligten.[7] Im Gegensatz dazu geht die Stewardship Theorie von wechselseitigem Vertrauen und nicht-monetären Motiven zwischen den Akteuren aus.[8]
Ziel der Arbeit ist es, die demographischen Strukturen der etwa 100 österreichischen börsenotierten AGs in Form von Korrelationsstudien zu untersuchen. Das hierzu nötige Datenmaterial (Anzahl der Personen mit Aufsichtsratsmandat, Anzahl der vom Betriebsrat entsendeten Mandatare, Mandate pro Person, Lebensalter der Personen mit Aufsichtsratsmandat, Mandatsdauer, Geschlecht der Personen mit Aufsichtsratsmandat, Mitarbeiteranzahl, EGT, Cash Flow, Gründungsjahr) kann über die Datenbank „Firmen-Compass“[9] erhoben werden. Untersucht werden die Jahre 2005 bis 2009. Die Unterscheidung nach Branchen wäre prinzipiell ohne größere Schwierigkeiten möglich – angesichts der relativ kleinen Stichprobe wird aber davon Abstand genommen. Zur Analyse wird die Software Microsoft Office Excel verwendet.
Folgende Beziehungen sollen mittels der Korrelationsanalyse untersucht werden:
- Anzahl der Mitarbeiter – Anzahl der Personen mit Aufsichtsratsmandat
- Lebensalter der Personen mit Aufsichtsratsmandat – Mandate pro Person
- Lebensalter der Unternehmen – Lebensalter der Personen mit Aufsichtsratsmandat
- EGT-Marge (EGT/Umsatz) – Anzahl der Personen mit Aufsichtsratsmandat
- EGT-Marge – Anteil von entsendeten Betriebsräten im Aufsichtsrat
- EGT-Marge – Anteil weiblicher Personen mit Aufsichtsratsmandat
- EGT-Marge – Lebensalter der Personen mit Aufsichtsratsmandat
Die der Arbeit zugrundeliegende Forschungsfrage lautet:
„Lassen sich in österreichischen börsenotierten Aktiengesellschaften signifikante Korrelationen in Hinblick auf die genannten statistischen Variablen im Zusammenspiel zwischen Aufsichtsrat und Unternehmen erkennen?“
In Kapitel 2 sei der Unternehmensverfassung, also den rechtlichen Grundlagen des Aufsichtsrates, einerseits, und im Vergleich dazu den Umständen in der Praxis andererseits, Rechnung getragen. Als medial oft thematisierter Sachverhalt ist ein Unterkapitel auch dem Phänomen der Aufsichtsratsverflechtungen und deren Einfluss auf andere Variablen gewidmet.
Kapitel 3 widmet sich den zwei zentralen Erklärungsmodellen von menschlicher Motivation in einer Auftraggeber-Auftragnehmer Beziehung. Zu Beginn wird die Principal Agent Theorie theoretisch beleuchtet, um schließlich anknüpfend an deren Schwächen einen Überblick über die Stewardship Theorie zu liefern.
Der Begriff der Corporate Governance, seine unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten und die beiden wesentlichen Ausprägungsformen werden in Kapitel 4 thematisiert und miteinander verglichen. Der Österreichische Corporate Governance Kodex wird inhaltlich auf Relevanz für den Aufsichtsrat beleuchtet und auf Akzeptanz bei den Aktiengesellschaften geprüft. Dabei wird auf einzelne Fallbeispiele eingegangen.
In Kapitel 5 werden Korrelationsanalysen zum demographischen Aufbau des Aufsichtsrats in österreichischen börsenotierten Aktiengesellschaften durchgeführt. Das Datenmaterial stammt aus dem österreichischen Firmenbuch. Die errechneten Korrelationskoeffizienten werden interpretiert und teilweise auf aktuelle Themen umgelegt.
Kapitel 6 fasst die gewonnenen Daten zusammen und beinhaltet ein abschließendes Resümee.
Um einen ersten Überblick über die Rahmenbedingungen im Verhältnis des Aufsichtsrates zu den anderen Anspruchsgruppen in einer börsenotierten Aktiengesellschaft zu bieten, werden zunächst die rechtlichen Rahmenbedingungen erläutert.
Die rechtliche Verfassung einer österreichischen Aktiengesellschaft wird im vierten Teil des österreichischen Aktiengesetzes von 1965 geregelt. Demnach obliegt die Leitung einer Aktiengesellschaft dem Vorstand.[10]
Damit einher geht die Kompetenz die Aktiengesellschaft „gerichtlich und außergerichtlich“ zu vertreten.[11] Der Vorstand wird für eine maximale Amtsperiode von 5 Jahren vom Aufsichtsrat gewählt.[12]
Als ein vom Vorstand unabhängiges Organ ist die Einrichtung eines Aufsichtsrates vorgesehen. Seine Rechtsgrundlage bilden §§ 86-99 des Aktiengesetzes. Grundsätzliche Aufgabe des Aufsichtsrates ist die Überwachung der Geschäftsführung, also des Vorstandes.[13] Er verfügt über Personalhoheit über den Vorstand und zeichnet für dessen Bestellung und Abberufung verantwortlich.[14]
Diese Separierung von Geschäftsführung und Kontrolle durch die beiden genannten Organe wird in der Literatur als „Trennungsmodell“[15] oder „Two-Tiered-Board-System“[16] bezeichnet. Nagy bezeichnet einen in der Mitbestimmung derart beschnittenen Aufsichtsrat als „Kontrollaufsichtsrat“ und hält fest, dass dies dem eigentlichen Prinzip des Aktienrechts entspreche.[17] Besonders deutlich wird dieser Trennungsgedanke in § 90 AktG konstatiert:
„Die Aufsichtsratsmitglieder können nicht zugleich Vorstandsmitglieder oder dauernd Vertreter von Vorstandsmitgliedern der Gesellschaft oder ihrer Tochterunternehmen (§ 228 Abs. 3 UGB) sein. Sie können auch nicht als Angestellte die Geschäfte der Gesellschaft führen.[18]
Auch in § 95 (5) AktG erfolgt zunächst eine klare Trennung der zugewiesenen Aufgaben:
„Maßnahmen der Geschäftsführung können dem Aufsichtsrat nicht übertragen werden.“[19]
Diese Aussage relativierend werden Geschäfte genannt, bei denen die Zustimmung des Aufsichtsrates sehr wohl eingeholt werden muss. Es ist dies jedoch keine taxative Auflistung, sondern ein Mindestkatalog.[20] Hierunter fallen Entscheidungen „auf strategischer Ebene“,[21] beispielsweise der Erwerb oder Verkauf von Beteiligungen, Betrieben und Liegenschaften, grundsätzliche Entscheidungen in der Geschäftspolitik und finanziell besonders umfangreiche Geschäftsfälle.[22] Auch Verträge
„an denen ein Aufsichtsratsmitglied ein erhebliches wirtschaftliches Interesse hat“
sollen nur mit Zustimmung des Aufsichtsrates beschlossen werden.[23]
Die Mitglieder des Aufsichtsrates werden durch eine Wahl im Rahmen der Hauptversammlung durch die Aktionäre legitimiert.[24] Vor dieser Wahl sind etwaige Gründe, die auf eine Befangenheit der potentiellen Aufsichtsratsmitglieder schließen lassen, zu erörtern.[25] In Ausnahmefällen, wenn über einen Zeitraum von 3 Monaten das Quorum im Aufsichtsrat nicht erreicht wird, kann die Bestellung vorübergehend auch gerichtlich erfolgen.[26]
Im Sinne der Pflicht zur internen Organisation (Selbstorganisation) haben die gewählten Aufsichtsratsmitglieder wiederum aus ihren Reihen einen Vorsitzenden und zumindest einen Stellvertreter zu wählen.[27] Umgehend nach erfolgter Wahl sind allfällige Änderungen in der Zusammensetzung des Aufsichtsrates durch den Vorstand im Firmenbuch zu ändern.[28]
Um seinen Kontrollaufgaben hinreichend nachzukommen, stehen dem Aufsichtsrat durch das Aktiengesetz unterschiedliche Instrumente zu Verfügung. Zu beachten ist jedoch, dass der Aufsichtsrat im Rahmen seiner Überwachungstätigkeit den Vorstand nicht in dessen Leitungsfunktion (be-)hindern darf.[29] In der laufenden, unterjährigen Arbeit ist der Aufsichtsrat aber stets befugt, vom Vorstand einen „Bericht über die Angelegenheiten“ der Aktiengesellschaft einzufordern.[30] Unabhängig davon ist der Vorstand selbst gemäß § 81 AktG verpflichtet, den Aufsichtsrat von der Geschäftsentwicklung und Lage des Unternehmens zu unterrichten.[31] Ebenso darf der Aufsichtsrat selbstständig die Bücher, Schriften und Vermögensgegenstände der Gesellschaft einsehen bzw. einen Sachverständigen dazu beauftragen und hat gegebenenfalls eine Hauptversammlung einzuberufen.[32] Diese „dient der gemeinschaftlichen Willensbildung der Aktionäre“.[33] Im Rahmen der Hauptversammlung hat der Aufsichtsrat betreffend die vom Vorstand vorgeschlagene Gewinnverwendung, den Jahresabschluss und den Lagebericht an die Aktionäre zu berichten und darüber zu informieren, ob sie „zu wesentlichen Beanstandungen Anlaß gegeben“ haben.[34] Hierbei nimmt der Aufsichtsrat „die Rolle eines prozeßunabhängigen Prüfers ein“.[35] Daneben unterliegen Aktiengesellschaften als Kapitalgesellschaften der Pflicht zur Prüfung des Jahresabschlusses durch eine externe Stelle bevor dieser dem Aufsichtsrat vorgelegt wird. Dies rührt im geschichtlichen Kontext aus Verfehlungen des Aufsichtsrates bei der Kontrolle und Überwachung des Vorstandes.[36]
Für ihre Tätigkeit kann den Aufsichtsratsmitgliedern auch eine Vergütung zugesprochen werden. Diese muss die finanzielle Lage der Aktiengesellschaft berücksichtigen.[37] Für Reichl stellt die Aufsichtsratsvergütung einen Hygienefaktor dar – ein Fehlen desselben führt also zu Unzufriedenheit bei den Aufsichtsratsmitgliedern.[38] Usus sind einerseits fixe, andererseits Kombinationen aus fixer und gewinnabhängiger Vergütung.[39] Derartige Einkünfte sind als Einkünfte aus selbstständiger Arbeit einkommensteuerpflichtig.[40]
Beendet ein Vorstandsmitglied seine Tätigkeit, so ist ein Wechsel in den Aufsichtsrat nach österreichischem Recht nicht verboten. Jedoch findet sich in Österreich bei börsenotierten Aktiengesellschaften eine Beschränkung auf acht Aufsichtsratsmandate, wobei die Tätigkeit als Aufsichtsratsvorsitzender doppelt gezählt wird.[41]
Nach dem juristischen Grundriss soll nun kurz die Arbeit der Aufsichtsräte in der Praxis angeschnitten werden. Hier lässt sich beobachten, dass sich der Schwerpunkt der Tätigkeit des Aufsichtsrats auf strategische Komponenten konzentriert.[42] In der Strategieerarbeitung bringen sich über 50% der Mandatare zumindest sporadisch ein. Nach den Untersuchungen von Nagy hängt dieses Maß der Einflussnahme des Aufsichtsrates auf die Gesellschaft in der Praxis im Wesentlichen von 5 Faktoren ab:[43]
1. Aktionärsstruktur
2. Persönlichkeiten im Vorstand beziehungsweise im Aufsichtsrat
3. Zusammensetzung des Aufsichtsrates
4. Lebensphase des Unternehmens
5. Situation des Unternehmens
Der Einfluss des Aufsichtsrates in strategischen Belangen wurde durch kompetenzerweiternde Gesetzesänderungen und durch die gehäufte Bildung von Fachausschüssen in der Vergangenheit wesentlich begünstigt. In Krisensituationen können Aufsichtsratsmandatare auch indirekt, also ohne bindende Weisungen, ins Tagesgeschäft eingreifen.[44]
Die im § 94 (3) des AktG vorgeschriebene Anzahl von mindestens einer Sitzung pro Quartal wird bei den meisten Aktiengesellschaften überschritten: Nagy zeigte in seiner Untersuchung, dass knapp 60% mehr als 4 Sitzungen pro Jahr abhalten.[45] Die Anwesenheit bei diesen beträgt durchschnittlich 80-90%.[46]
Der Übertritt von ehemaligen Vorstandsmitgliedern in den Aufsichtsrat derselben Aktiengesellschaft stellt eine oft kontroverse Diskussion dar.[47] Cromme bezeichnet dies in einer Rede anlässlich der 3. Konferenz Deutscher Corporate Governance Kodex als Abwägen
„zwischen den Vorteilen der Kontinuität und der Know-how-Nutzung einerseits und andererseits dem Nachteil, auf einer als falsch erkannten Strategie zu beharren.“[48]
In Österreich befürworten nach den Studien von Nagy knapp 60% der befragten Aufsichtsratsmandatare eine Aufnahme ehemaliger Vorstandsmitglieder in den Aufsichtsrat desselben Unternehmens. Begründet wird dies von den Aufsichtsratsmitgliedern vor allem mit der besseren Kenntnis des Unternehmens, Fachwissen, Identifikation, besserem Bezug zu aktiven Vorstandsmitgliedern und der Kontinuität strategischer Festlegungen.[49] In der Literatur wurde zuletzt die Forderung nach einer „Cooling-off“-Periode, also einem verpflichtend zu vergehenden Zeitraum zwischen Beendigung der Vorstandstätigkeit und Beginn der Aufsichtsratstätigkeit, laut.[50] Wechselt der Vorstandsvorsitzende in den Aufsichtsrat und ist dort ebenfalls Vorsitzender, so sprechen Bresser und Thiele von „Vorsitzkontinuität“.[51]
An Aufsichtsratsvergütungen (inkl. Sitzungsgelder und variabler Anteile) erhielten nach einer Studie von Deloitte aus 2009 60 % der Mandatare zwischen 5.000 und 20.000 Euro pro Jahr.[52] Die erhaltene Vergütung empfinden nach den Untersuchungen von Nagy aus 2002 nur 28% der österreichischen Aufsichtsratsmitglieder als angemessen. Die übrigen 72% empfinden sie als zu niedrig. Demnach ist niemand der Befragten der Meinung, dass seine Vergütung zu hoch sei.[53] Reichl spricht von Vergütungen die „beträchtlich unter dem Niveau des vergleichbaren Auslandes“ angesiedelt sind und einer dahingehenden „Negativspirale“ , die er in der schlechten Wahrnehmung von Aufsichtsräten in der Öffentlichkeit begründet sieht.[54]
Steigender Beliebtheit erfreuen sich nach Gruber und Wax in Österreich sogenannte „Directors&Officers-Versicherungen“, Managerhaftpflichtversicherungen, die von Unternehmen, also durch den nach § 71 (1) AktG vertretungsbefugten Vorstand, sowohl für Vorstandsmitglieder, leitende Angestellte, als auch Aufsichtsratsmitglieder abgeschlossen werden.[55] 2001 sprach Bramboeck noch davon, dass D&O-Versicherungen „längst nicht so weit verbreitet“ seien.[56] Im Jahre 2009 hatten im ATX-Prime Market[57] bereits 42% eine derartige Versicherung für die Aufsichtsratsmandatare abgeschlossen.[58]
Personelle Vernetzungen zwischen Unternehmen über ihre Vorstände und Aufsichtsratsmitglieder, sogenannte „interlocking directors“, findet man in österreichischen börsenotierten Aktiengesellschaften zuhauf. Oft bestehen derartige Verbindungen auch über mehrere Stellen. Manager von Banken und Versicherungen bzw. der ÖIAG[59] weisen eine besonders hohe Anzahl an Aufsichtsratsmandaten auf. Die Befürworter derartiger Verflechtungen argumentieren vor allem mit den entstehenden Wettbewerbs-, Informations- und Effizienzvorteilen. Kritische Stimmen sehen die Kontrapunkte in einer Gefährdung der unternehmerischen und eigenen Interessen, möglichem Bruch der Verschwiegenheitspflicht, Gefahr des Missbrauchs und zeitlicher Mehrfachbelastung.[60]
Besonders heikel ist die Frage, inwieweit derartige Verflechtungen die Gehälter der Vorstände nach oben manipulieren können. In Deutschland erfolgten 2009 derartige Untersuchungen für die Vorstandsbezüge von DAX[61] -Unternehmen durch Entorf et al. Im Ergebnis führt eine höhere Anzahl von Aufsichtsratsmandaten der Vorstände des eigenen Unternehmens zu höheren Vergütungen dieser Vorstände. Desto mehr fremde Vorstände im eigenen Unternehmen als Aufsichtsratsmitglieder tätig sind, desto geringer sind die Vorstandsgehälter im eigenen Unternehmen. Eine Vorsitzkontinuität[62] führt nach den Untersuchungen aber nicht zu einer signifikanten Erhöhung der Vorstandsbezüge.[63]
Peters et al. zeigten, dass der Unternehmenserfolg auf Basis des ROCE[64] bis zu einem gewissen Grad sogar gesteigert wird, wenn der Vorstandsvorsitzende in anderen Unternehmen als Aufsichtsratsmitglied fungiert. Begründet wird dies durch eine Verbesserung der Kontroll- und Managementkompetenzen. Bei einer zu hohen Anzahl an Mandaten ist dieser Trend aber gegenläufig.[65]
Diese beiden Untersuchungen aus Deutschland dürfen wohl auch als ein Indikator für die Umstände in Österreich gewertet werden.
Um die Handlungsmotivationen der Hauptakteure der Corporate Governance, der eine Trennung von Eigentum und Kontrolle zugrunde liegt, verstehen zu können, werden in diesem Kapitel einerseits die Principal Agent Theorie, andererseits die Stewardship Theorie, diskutiert.[66] Diese beiden Theorien verfolgen in ihrer grundsätzlichen Konzeption „konträre Ansätze“.[67]
Nach Ross entsteht eine Beziehung im Sinne der Principal Agent Theorie immer dann, wenn ein Agent für oder im Namen eines Principals, also des Auftraggebers, handelt. Die Bandbreite an möglichen Beispielen dafür ist nach Ross „universal“:
“Essentially all contractual arrangements, as between employer and employee or the state and the governed, for example, contain important elements of agency.”[68]
Die mit diesen Beziehungen verbundenen Interessen von Principal und Agent können, unter der Annahme, dass beide Nutzenmaximierer sind, auch divergieren. Im Sinne der Nutzenmaximierung entsprechen sie also der Vorstellung des „homo oeconomicus“.[69] Die philosophische Basis dafür bildet der methodologische Individualismus.[70]
Durch entsprechende Anreizsysteme und Kontrollmaßnahmen ist der Principal aber in der Lage, die Verhaltensweisen des Agents entsprechend zu steuern. Zu diesen beiden Komponenten, die natürlich Kosten verursachen, kommt eine dritte Kostenkategorie: die divergierenden Interessen führen zu einem „Residual Loss“.[71] Somit ergeben sich die Kosten aus der Principal Agent Beziehung für den Principal aus der Summe von:[72]
1. Monitoring Costs – die Ausgaben zur Verhaltensbeeinflussung des Agents
2. Bonding Costs – die Kosten durch Anreizsysteme um „Informationsasymmetrie zu senken oder Zielharmonie herbeizuführen“[73]
3. Residual Loss – der Unterschied zwischen optimalen und tatsächlichen Verhaltensweisen des Agents
Der Aufsichtsrat nimmt in der Dreieckskonstellation zwischen Eigentümer, Aufsichtsrat und Vorstand die Rolle eines Intermediärs ein.[74] In der Literatur ist deshalb von mehrstufigen Agency Konflikten die Rede.[75] Im Falle der Dreieckskonstellation handelt es sich um eine doppelstufige Agency Beziehung.[76]
Ein für diese Arbeit wichtiges Beispiel für die Theorie stellt natürlich einerseits die Beziehung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand dar.[77] Es kann jedoch andererseits auch zwischen den Eigentümern der Gesellschaft und den Aufsichtsräten eine Principal Agent Beziehung festgestellt werden, wobei per Definition der Aufsichtsrat ebenfalls eigennutzorientiert handeln kann. Der Principal Eigentümer steht also in der Folge zwei Agents gegenüber: Einerseits dem Aufsichtsrat als Agent und Intermediär, andererseits dem Vorstand als Agent.[78] Durch direkte Kontrollmöglichkeiten, insbesondere das Stimmrecht bei der Hauptversammlung, besteht auch zwischen Eigentümer und Vorstand eine Principal Agent Beziehung.[79]
[...]
[1] Vgl. § 95 (1) AktG
[2] Vgl. Dutzi (2005), S. 2.
[3] Österreichischer Arbeitskreis für Corporate Governance (2010), S. 11.
[4] Vgl. Österreichischer Arbeitskreis für Corporate Governance (2010), S. 12.
[5] Witt (2001), S. 73.
[6] Vgl. Diederichs/Kißler (2008), S. 2.
[7] Vgl. Richter/Furubotn (1999), S. 93.
[8] Vgl. Iro (2006), S. 2.
[9].https://daten.compass.at/
[10] Vgl. § 70 (1) AktG
[11] § 71 (1) AktG
[12] Vgl. § 75 (1) AktG
[13] Vgl. § 95 (1) AktG
[14] Vgl. Frotz/Schörghofer (2010), S. 221.
[15] Martens (1999), S. 9.
[16] Skrzipek (2004), S. 114.
[17] Vgl. Nagy (2002), S. 146.
[18] § 90 (1) AktG
[19] § 95 (5) AktG
[20] Vgl. Jordis (2010), S. 243.
[21] Nagy (2002), S. 141.
[22] Vgl. § 95 (5) AktG
[23] § 95 (5) Z 12 AktG
[24] Vgl. § 87 (1) AktG
[25] Vgl. § 87 (2) AktG
[26] Vgl. § 89 (1) und (2) AktG
[27] Vgl. § 92 (1) AktG und Frotz/Schörghofer (2010), S. 239.
[28] Vgl. § 91 AktG
[29] Vgl. Frotz/Schörghofer (2010), S. 225.
[30] § 95 (2) AktG
[31] Vgl. § 81 AktG
[32] Vgl. § 95 (3) und (4) AktG
[33] § 102 (1) AktG
[34] § 96 AktG
[35] Nagy (2002), S. 151.
[36] Vgl. Nagy (2002), S. 113. und § 268 (1) und (2) UGB
[37] Vgl. § 98 AktG
[38] Vgl. Reichl (2010), S. 1161.
[39] Vgl. Martens (1999), S. 25.
[40] Vgl. § 22 (2) EStG
[41] Vgl. § 86 (4) AktG
[42] Vgl. Nagy (2002), S. 214.
[43] Vgl. Nagy (2002), S. 226f.
[44] Vgl. Nagy (2002), S. 238.
[45] Vgl. Nagy (2002), S. 286.
[46] Vgl. Nagy (2002), S. 290.
[47] Vgl. Cromme (2004) S. 13f. und Nagy (2002), S. 272.
[48] Cromme (2004) S. 14.
[49] Vgl. Nagy (2002), S. 273f.
[50] Vgl. Stürz (2010), S. 873f.
[51] Bresser/Thiele (2008), S. 176.
[52] Vgl. Deloitte Studie Aufsichtsratsvergütung (2009), S. 1.
[53] Vgl. Nagy (2002), S. 307.
[54] Reichl (2010), S. 1155.
[55] Vgl. Gruber/Wax (2010), S. 169.
[56] Pramboeck (2001), S. 141.
[57] Prime Market des Austrian Traded Index
[58] Vgl. Deloitte Studie Aufsichtsratsvergütung (2009), S. 1.
[59] Österreichische Industrieholding AG
[60] Vgl. Dutzi (2005), S. 165. und Nagy (2002), S. 330ff.
[61] Deutscher Aktien Index
[62] Vgl. Kapitel 2.1.2
[63] Vgl. Entorf et al. (2009), S. 1118. und 1132f.
[64] Return on Capital Employed
[65] Vgl. Peters et al. (2010), S. 564ff.
[66] Vgl. Iro (2006), S. 55f.
[67] Iro (2006), S. 56.
[68] Ross (1973), S. 134.
[69] Vgl. Göbel (2002), S. 100.
[70] Vgl. Dutzi (2005), S. 152.
[71] Vgl. Jensen/Meckling (1976), S. 308.
[72] Vgl. Jensen/Meckling (1976), S. 308. und Göbel (2002), S. 125.
[73] Göbel (2002), S. 125.
[74] Vgl. Peters et al. (2010), S. 552.
[75] Vgl. Kranenfeld (2007), S. 35.
[76] Vgl. Martens (1999), S. 39.
[77] Vgl. Iro (2006), S. 57.
[78] Vgl. Martens (1999), S. 39. und Iro (2006), S. 68.
[79] Vgl. von Fritsch (2007), S. 32.