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Diplomarbeit, 2003
93 Seiten, Note: 1,3
Einleitung
I Von den ersten Tönen zum sensorischen Kinoerlebnis
II Begriffsklärung für eine auditive Filmanalyse
Über die Schwierigkeit der Kategorisierung von Klangobjekten auf der Tonspur
Die Terminologie von Bordwell/Thompson
Die erweiterte Terminologie von Sonnenschein
Das informationstheoretische Modell von Flückiger
Die Hörmethoden von Chion
III Das Verhältnis von Bild und Ton
Synchrese und Akzentuierung
Das System des Mehrwerts
Raum und Zeit
Ein Sonderfall: Das unidentifizierbare Klangobjekt
Tonperspektive und Extension
Die Frage des Kontrapunkts
IV Mulholland Drive – Eine auditive Filmanalyse
Der Film
Synopse
Lesarten
Anmerkung
Die Grenze zwischen Musik und Geräusch
Raumtöne und Atmosphären
UKOs als offene Zeichen
Die akustische Nahaufnahme
Tonperspektive und Subjektivierung
Optisch-akustische Phänomene
Optisch-akustische Enunziationsmarkierung
Optisch-akustische Parallelisierung
Nicht simultaner Ton
Songs
Mehrwert durch Songtexte
Llorando – Eine Performance im Film
Sprache
Schlussbetrachtung: Die souveräne Tonspur
Bibliographie
“Ich kann im Kino die Augen schließen, aber ich kann mir nicht die Ohren verstopfen”
André S. Labarthe
Los Angeles bei Nacht. Ein nur spärlich beleuchteter Parkplatz, menschenleer und gespenstisch. Der Blick geht in Richtung des Eingangs zum Club ‚Silencio’. Ein Auto hält davor.
Lauter Wind scheint von allen Seiten gleichzeitig zu kommen. Wir vernehmen unbekannte, unheimliche Geräusche: ein Flirren und Sausen, Rauschen und Grummeln.
Das leise Klacken einer Autotür. Aus der Entfernung kaum zu erkennen steigen zwei Personen aus dem Wagen und betreten den Club. Unerwartet entwickelt sich ein heftiger Sog in Richtung Eingang. Die Geräusche verdichten sich und schwellen beängstigend an. Ein bassiges Grummeln und tiefe Glockentöne, die kaum als solche zu erkennen sind, lassen uns erzittern bevor wir Betty und Rita durch den Eingang folgen.
Im Innern: Ein ehemaliges Theater mit barock verzierten Balkonen, vergoldeten Arkaden und einem dicken Samtvorhang. Vereinzelt sitzen Leute im Zuschauerraum. Die düstere Klangkulisse setzt sich auch hier fort; der Wind verklingt nur langsam und weicht allmählich dunklen ätherischen Orchesterklängen.
Ein Mann steht in Gedanken versunken auf der Bühne, bevor er mit erhobener Stimme zu einem Vortrag ansetzt. „Es gibt keine Band, es gibt kein Orchester, dies ist eine Bandaufnahme!“, proklamiert er in spanisch, englisch und französisch – der Anspruch ist universell. „Es gibt kein Orchester – und trotzdem hören wir ein Orchester. Wenn wir eine Klarinette hören wollen... hören Sie!“, fordert er das Publikum auf und führt bedeutungsvoll die Hand zum Ohr. Aus den Tiefen des virtuellen Orchesters tritt akustisch eine Solo-Klarinette hervor.
„Eine gedämpfte Trompete!“, verkündet er. Der Vorhang öffnet sich ein Stück und ein Trompeter in weißem Jackett betritt die Bühne und spielt dabei auf seinem Instrument. Die Darbietung erscheint real. Als er plötzlich die Arme ausstreckt und die Trompete in der Luft hängt, klingt das Trompetensolo unbeirrt fort.
„Es gibt kein Orchester, es ist ein Band!“, kommentiert der Ansager die verstörende Demonstration. Er holt mit den Armen aus und deutet an, etwas mit der Hand nach links zu werfen. Im selben Moment ertönt ein kurzer Trompetenton von links. Dieselbe Prozedur wiederholt er auf der anderen Seite – wieder hören wir einen Ton, diesmal von rechts.
„Es gibt kein Orchester!“, wiederholt er betont und fügt bedeutungsvoll hinzu: „Es ist eine Illusion!“.
„Hören Sie!“, fordert er erneut auf. Wie ein Magier streckt der Mann seine Arme in die Luft und wirkt dabei höchst konzentriert. Lauter Donner, wie bei einem Gewitter, erfüllt den Raum und das Theater erscheint kurzzeitig in blaues Licht gehüllt. Das Geräusch schwillt zu einem ohrenbetäubenden tiefen Grummeln, Donnern und Rauschen an. Der Magier schüttelt sich und lässt das Theater erbeben. Die Zuschauer scheinen dem Spektakel hilflos ausgeliefert.
Zufrieden lässt der Magier die Arme sinken und kreuzt sie, begleitet von einem hohlen, blechernen Geräusch, vor der Brust, um anschließend in einer Nebelwolke – nun selbst wie eine Illusion – zu verschwinden.
Wir befinden uns im Kino, genauer gesagt in David Lynchs Mulholland Drive . Der Film gelangt an einen Punkt, an dem das Vorangegangene noch einmal in Frage gestellt wird. Lynch legt seine Mittel offen dar, indem er uns auf eben jene Gestaltungsmittel aufmerksam macht, mit denen er die übrigen zweieinhalb Stunden virtuos spielt. Wie ein Magier, der seine Tricks verrät, entzaubert er das akustische Spektakel, das wir bis hierhin verfolgen konnten, indem er es auseinander nimmt und vorführt. „Es ist eine Illusion!“, verkündet der Mann wiederholt.
Die Kinosituation spiegelt sich in bemerkenswerter Weise im Club ‚Silencio’ wider. Die Zuschauer im Film sind den gleichen Reizen ausgesetzt wie die Zuschauer im Kino, einer visuellen und akustischen Illusion, die sie einhüllt in Klang und mit Bildern konfrontiert. Im Club ‚Silencio’ ist es eine demonstrative Darbietung, wir nennen es Film.
Because of a sequence of somebody moving through time, because of this idea here, and that sound there, a word here, and then a look there when the music hits, people start crying. Or they start laughing hysterically, or they become very afraid. How does it work? It's unbelievable , the power of cinema.
(Lynch in Lynch/Rodley 1999: 226)
Die Kraft des Kinos, die David Lynch in diesem Zitat beschwört, beschäftigt Filmkritik und Wissenschaft seit vielen Jahrzehnten. Dem Anspruch, Bild und Ton dabei gleichermaßen gerecht zu werden, laufen beide jedoch hinterher.
Es erscheint symptomatisch, dass zuerst das Bild auf der Leinwand laufen lernte und der Ton später hinzutrat wie eine Dreingabe, die zudem längst nicht von allen begrüßt wurde. Gemessen an der Zahl der Publikationen scheint der Ton bis heute immer noch stiefmütterlich behandelt zu werden, obwohl einige Veröffentlichungen, besonders der letzten Jahre, diesen Missstand zu beheben versuchen.
Einzig und allein die Funktionen der Filmmusik scheinen gut erforscht und systematisiert. Auch wenn in diesen Arbeiten gelegentlich auf die Verwendung von Geräuschen und die Arbeit mit Klangmaterial eingegangen wird – ein frühes Beispiel ist Lissas Ästhetik der Filmmusik (1968) – so gibt es doch Nachholbedarf, was die Gesamtheit der auditiven Schicht von Filmen angeht.
Dies mag damit zusammenhängen, dass der Ton im Kino lange Zeit ein Schattendasein führte. Die große Abbildung auf der Leinwand schien von Anfang an wie eine Selbstverständlichkeit, der Ton dagegen wie Beiwerk.
Längst hatte der Film Farbe und eine scharfe Emulsion, während es auf der Tonspur noch gewaltig rauschte und knisterte. Die Erfahrung des guten Tons im Kino mit der kommerziellen Einführung von Dolby in den 70er Jahren liegt noch nicht so lange zurück. Den ästhetischen Umwälzungen, die sich daraus für den Film ergaben, habe ich, beginnend mit der Einführung des Tonfilms, ein eigenes Kapitel gewidmet (® Von den ersten Tönen zum sensorischen Kinoerlebnis Seite 9). Ohne die dort beschriebenen, gewaltigen technischen Entwicklungen wären viele moderne Filme, die einen großen Teil ihres Erlebnispotenzials aus ihrer klanglichen Ausgestaltung beziehen, undenkbar.
Zu ihnen sind gewiss die Werke David Lynchs zu zählen. Beginnnend mit The Alphabet (1968), The Grandmother (1970) und besonders Eraserhead (1977), über Blue Velvet (1986), Wild at Heart (1990) und die Fernsehserie Twin Peaks (1989-1991), hin zu Lost Highway (1996), The Straight Story (1999) und Mulholland Drive (2001) zieht sich wie ein roter Faden die starke Klanglichkeit seiner Filme – der Begriff Hörfilm drängt sich förmlich auf. Zumindest kann man die meisten dieser Filme, neben den narrativen Aspekten, auch als eine Form audiovisueller Komposition verstehen:
Ich bin über die Malerei zum Film gekommen, und ich glaube, man kann sagen, daß ich über die Tongestaltung zur Musik gekommen bin. Als Maler hatte ich immer bestimmte Töne im Kopf, um mir die Stimmung für ein Bild vorzustellen. Ich wollte gerne in den Bildern leben können, und deshalb stellte ich mir vor, wonach sie wohl klingen würden.
(Lynch zitiert nach Fischer 1991: 217)
Dass das Sound Design in der Vergangenheit so wenig Beachtung erfuhr, mag auch am sprachlichen Unvermögen liegen, die Beschaffenheit von Klängen adäquat zu beschreiben. Dieser Problematik, für die es zwar keine endgültige Lösung, aber dennoch einige fruchtbare Vorschläge gibt, ist ein Kapitel gewidmet (® Über die Schwierigkeit der Kategorisierung von Klangobjekten auf der Tonspur Seite 19).
Der Film Mulholland Drive lieferte die Idee für diese Arbeit – sich den klanglichen Dimensionen des Filmtons von einer wissenschaftlichen Seite zu nähern. Dabei ging der Weg zunächst weg vom einzelnen Film, hin zu einer allgemeinen Beschreibung der Strukturen des Filmtons. In einer Art Begriffsklärung für eine auditive Filmanalyse (Seite 19) werde ich verschiedene Konzepte zur Beschreibung von Ton im Film aufzeigen und das zuweilen komplizierte Verhältnis von Bild und Ton (Seite 28) erläutern.
Den zweiten Schwerpunkt der Arbeit bildet der Versuch einer auditiven Filmanalyse am Beispiel von Mulholland Drive . Dabei werde ich zum Teil auf die vorgestellten Konzepte zurückgreifen und versuchen, Besonderheiten, Themen und Techniken dieses Films herausarbeiten. In Ermangelung einer umfassenden Theorie, die alle Phänomene des audiovisuellen Geflechts zu beschreiben in der Lage ist, muss der einzelne Film den Ausgangspunkt für ein solches Unterfangen bilden und die Analyse wird sich an ihm ausrichten.
Natürlich sollte die auditive Filmanalyse nicht lediglich Selbstzweck sein. Vielmehr liegt darin die Möglichkeit, sich dem Untersuchungsgegenstand Film von einer Seite zu nähern, die oft für viel zu selbstverständlich erachtet wird. Der Ton scheint dem Bild auf natürlichste Weise regelrecht zu entspringen und passiert den Rezipienten häufig völlig unreflektiert.
Die meisten Kinobesucher können sich nach einer Vorstellung schwerlich an die gehörte Musik erinnern. Konkrete Aussagen über die Qualität des Tons hört man sogar noch seltener – am ehesten wenn ein technischer Defekt vorlag, der die Wahrnehmung auf die Tonspur lenkt, die ansonsten wahrscheinlich unbeachtet bliebe.
Es ist die Allgegenwart des Tons, die ihn uns unterschätzen lässt. Gleichzeitig ist dies aber auch seine größte Stärke. Eine Manipulation des Bildes ist meist offensichtlich, eine Manipulation des Tons bleibt dagegen meist unbemerkt und kann sich unterbewusst entfalten. Diesen Umstand gewissermaßen ausnutzend, lässt der Filmemacher die Töne sprechen, um auch tiefere Bewusstseinsschichten beim Zuschauer zu erreichen.
Die Beeinflussung durch Klang, die im Kino oftmals nur ein vages, unbestimmtes Gefühl hinterlässt, kann in einer auditiven Filmanalyse objektiviert werden. Zudem lassen sich narrative Strategien am Ton überprüfen; die Analyse macht uns auf verborgene Qualitäten des Filmwerks aufmerksam und schärft unsere Wahrnehmung, indem sie uns Dinge benennen lässt.
Auch wenn in dieser Arbeit nicht auf die technische Prozedur der Klanggestaltung eingegangen werden soll, findet sich auch in einer theoretischen Abhandlung über Filmton vielleicht eine kleine Quelle der Inspiration für den praktisch-kreativen Umgang mit dem Medium Film. Welchen Stellenwert der Ton im Film einnehmen kann, beschreibt der bekannte Sound Designer Ben Burtt[1] :
You can have a big effect on how the audience sees the film in terms of the credibility and the pace of the film. You control emotional curves up and down. You can excite people. You can scare them, slow them down, you can soothe them – all with just sound.
(Ben Burtt in LoBrutto 1994: 149)
Dem Ton die ihm zustehende Beachtung zu schenken ist ein Ziel dieser Arbeit, denn „Geräusch“ und „Effekt“ sind wahrhaft unzureichende Etiketten für eine achtbare Kunst (Monaco 1995: 215).
We gestate in Sound, and are born into Sight
Cinema gestated in Sight, and was born into Sound.
(Murch in Chion 1994: vii)
Bis wir Filme in der heute gewohnten sensorischen Qualität im Kino bewundern konnten, musste eine lange Zeit vergehen. Walter Murch[2] beschreibt in seinem Vorwort zur englischen Ausgabe von Michel Chions Audio-Vision (1994) sehr schön die unerwartete Heirat vom selbstzufriedenen ‚König Bild’, der in der Jugendzeit des Kinos (1892-1927) allein regierte, mit der ‚Königin Ton’.
Sehr unterschiedlich wurde dieser Umbruch von vielen Filmschaffenden damals aufgenommen, war die Einführung des Tonfilms doch auch mit großen Komplikationen verbunden. Mehr als drei Jahrzehnte hatten sich ästhetische Standards wie die bewegliche Kamera und eine expressive Montage für den Stummfilm entwickeln können, die nun in Gefahr standen durch eine rudimentäre Tontechnik verdrängt zu werden (Martin 1998: 27).
Kameras mussten in schalldicht isolierten Kästen untergebracht werden und waren deshalb in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Der Ton wurde durch schwere und unhandliche Mikrofone eingefangen, die zudem ungerichtet waren und deshalb den Ton aus allen Richtungen mehr oder weniger gleich laut aufnahmen.[3]
Dies erschwerte zusätzlich die Arbeit am Set, wo absolute Stille bisher nicht nötig war. Die Aufnahme des Tons erforderte zudem erstmals eine konstante, standardisierte Aufnahme- und Abspielgeschwindigkeit für Filme, die auf 24 Bilder pro Sekunde festgelegt wurde. Zuvor hatte man meist mit 18 Bildern in der Sekunde gearbeitet.[4]
Ästhetisch wurde der Ton zunächst vollkommen realistisch gestaltet: Was im Bild zu sehen war, war auch zu hören und umgekehrt. Dialoge rückten in den Vordergrund der Handlung, weshalb viele Produzenten Theaterregisseure engagierten. Die entstandenen Filme wirkten deshalb manchmal wie gefilmte Theateraufführungen und ließen spezifisch filmische Gestaltungsmittel vermissen. Dies wurde von Filmregisseuren wie René Clair und Sergej Eisenstein erkannt und kritisiert.
Besonders René Clair wollte sich in der Aufnahmephase seiner Filme durch den Ton nicht behindern lassen und trennte Film- und Tonaufnahme voneinander. Diese bis heute praktizierte Arbeitsweise stellte die Weichen für eine eigene dramaturgische Funktion des Tons im Film. Mit Filmen wie Sous les toits de Paris (Frankreich 1930) beeinflusste und inspirierte er Zeitgenossen und Regisseure.
Rouben Mamoulian drehte Filme mit kreativer Tongestaltung wie Applause (USA 1929) und Alfred Hitchcock experimentierte collagenartig mit der Tonspur in Blackmail (Großbritannien 1929), in dem die Unterhaltung von Nachbarinnen nur noch aus dem Wort „Knife“ zu bestehen scheint.
Diese Filme nehmen jedoch eine Sonderstellung ein und für den Großteil der produzierten Filme mag das gegolten haben, was Flückiger im Hinblick auf die unzureichenden technischen Möglichkeiten und die damit verbundene ausgeprägte Ökonomie auf der Tonspur schreibt:
Jedes Element hatte eine klare erzählerische Funktion, die mit größter Sorgfalt aufgebaut und sinnvoll in den Kontext integriert wurde. Komplexe Schichtungen verschiedener Klangelemente [...] waren die absolute Ausnahme. Stattdessen wurden die Klangobjekte wie Perlen auf einer Schnur hintereinander aufgereiht.
(Flückiger 2001: 37)
An anderer Stelle heißt es bei ihr:
Das filmische Medium wurde aufgrund technischer Unvollkommenheiten und mangelnder Erfahrung der Rezipienten als brüchig empfunden. Dieser Brüchigkeit versuchte man in der Hollywood-Klassik entgegenzuwirken, indem man die dargestellten Objekte und Handlungen doppelt kodierte, optisch und akustisch. Die dabei entstehende Redundanz [...] wirkte der Gefahr der möglichen Unverständlichkeit entgegen, die man nach dem Verständnis der Hollywood-Klassik unbedingt zu vermeiden hatte. Das erzählerische Material wurde so organisiert, dass es eindeutig und klar verständlich war. Die Geräusche sollten keine eigene akustische Qualität besitzen, sondern möglichst schnell und problemlos einen bestimmten Vorgang oder eine bestimmte Quelle bezeichnen, um die nahtlose Fiktion zu unterstützen. Die Tonspur wurde unter diesen Prämissen funktionalisiert und dem narrativen und visuellen Fluss angepasst.
(Flückiger 2001: 136)
Die Klanglichkeit der frühen Tonfilme war gekennzeichnet durch die technischen Grenzen einer geringen Auflösung[5] und eines geringen Dynamikumfangs[6]. Der Ton wurde in der Regel direkt auf Filmmaterial als so genannter Lichtton aufgezeichnet. Bevor das Ergebnis einer Aufnahme also angehört werden konnte, bedurfte es einer konventionellen Filmentwicklung. Was heute als Selbstverständlichkeit erscheint – dass man verschiedene Teile der Tonspur getrennt aufnimmt (Dialog, Geräusch, Musik) und später in der Mischung zusammenführt – war bei der kommerziellen Einführung des Tonfilms[7] ab 1927 nur schwer möglich, oder zumindest mit großen Qualitätsverlusten verbunden. Durch die nötigen Kopiervorgänge des Filmmaterials vergrößerte sich das hörbare Rauschen unannehmbar.
Mit den fotochemischen Verbesserungen der Filmemulsion in den Folgejahren wuchs auch die Qualität der Tonspur. Martin (1998: 27) gibt für 1928 einen Frequenzgang von maximal 100-4000 Hz an. Zehn Jahre später liegt dieser bei 80-10.000 Hz.[8]
In den 30er Jahren setzte sich langsam die Filmmischung durch. Originalaufnahmen konnten zusätzlich mit ein oder zwei Effektspuren und ein bis zwei Musikspuren gemischt werden. Größtes Hindernis für die Erstellung komplexer Tonspuren war die Notwendigkeit, große Filmteile in einem Durchgang abzumischen, da sich die Lichttonkamera während der Aufnahme nicht stoppen ließ. Aus dieser Zeit stammt deshalb die Arbeitsteilung auf drei Mischtonmeister für Dialog, Geräusch und Musik.
Die Ästhetik, die immer auch von den technischen Rahmenbedingungen bestimmt wurde, änderte sich mit der Möglichkeit Musik nachträglich hinzuzufügen. Die alte Stummfilmpraxis der Orchesterbegleitung wurde dadurch wieder belebt, dass Musik – einmal aufgezeichnet – in jedem Kino mit Tonanlage wiedergegeben werden konnte.
Während Musik im Tonfilm bis dahin meistens szenisch motiviert war, gab es nun die Möglichkeit, sie außerhalb des Bildes als Kommentar oder Untermalung extradiegetisch[9] einzusetzen. Dies war der Beginn der großen Ära der Hollywood-Symphonik . Der Einsatz von Musik zur Untermalung selbst trivialster Szenen wurde gebräuchlich. Max Steiner und Erich Wolfgang Korngold waren die bekanntesten Komponisten dieser Art gefühlsbezogener Filmmusik.
Für das Geräusch bedeutete die Vorherrschaft von Dialog und Musik einen Rückzug auf kleinsten Raum. Oftmals mehr stilisiert und angedeutet als expressiv und einmalig, fristete es für viele Jahre ein Schattendasein.[10]
Eine technische Verbesserung in der Filmproduktion sollte die Umstellung auf Magnetton-Verfahren ab 1948 bringen. Beim Magnetton-Verfahren wird der Ton mittels Magnetisierung auf ein metall-bedampftes Band aufgenommen. Sowohl bei der Mischung, als auch bei der Tonaufnahme auf dem Set war der Magnetton dem Lichtton überlegen. Einfacher zu handhaben und besser in der Qualität, ersetzte er bis 1954 alle Lichtton-Verfahren in der Filmproduktion. Lediglich die Überspielung auf die endgültige Filmkopie blieb Sache des Lichttons. Qualitativ wurden durch diesen letzten Schritt allerdings viele Vorteile des Magnettons wieder zunichte gemacht. Die Qualität der Vorführung in den Kinos änderte sich deshalb kaum. Sie war seit den 30er Jahren fast gleich geblieben.
Auch wenn Filme mit ausgeprägt kreativer Gestaltung der Tonspur zunächst Ausnahmeerscheinungen in der Massenproduktion blieben, finden sich immer wieder Regisseure in der Filmgeschichte, die großen Wert auf die Tongestaltung ihrer Filme legten. Zu ihnen gehört Orson Welles. Mit Erfahrung in der Hörspielproduktion – Welles inszenierte H. G. Wells’ War of the Worlds für das Radio 1938 so realistisch, dass Panik bei den Hörern ausbrach – gestaltete er seinen Film Citizen Kane (USA 1941) auch akustisch vielschichtig und experimentierte mit großen Hallräumen, Lautstärkeunterschieden und bis dato unkonventionellen Tonperspektiven.
Jaques Tati setzte diese Arbeit mit neuen Ton- und Hörperspektiven in seinen Filmen Les Vacances de Monsieur Hulot (Frankreich 1953) und Mon Oncle (Frankreich 1959) fort und benutzte Geräusche gezielt und vereinzelt eingesetzt als Leitmotive. Die Betonung des Geräuschs ist vor allem die Folge der Abwesenheit von Dialog und Musik. Auch schafft Tati eine neue slapstickartige Komik durch den Einsatz von offensichtlich deplatzierten Geräuschen. Beispielsweise wird in Les Vacances de Monsieur Hulot eine aufschwingende Restaurant-Tür als gezupftes Cello hörbar.
Alfred Hitchcock verwendete größte Aufmerksamkeit auf die akustische Gestaltung seiner Filme wie Rear Window (USA 1954) und besonders The Birds (USA 1963), in dem die Geräusche der Vögel musikalisch inszeniert erscheinen. Der Badezimmer-Mord in Psycho (USA 1960) mit der zum Geräusch stilisierten Filmmusik von Bernhard Herrmann ist berühmt und oftmals zitiert worden.
Innovativ in der Gestaltung des Filmtons war auch Jean-Luc Godard. Er brach bestehende Konventionen, indem er, statt den Bildschnitt durch sanfte Übergänge auf der Tonspur zu glätten, auch den Ton wie mit einer Schere montierte. Damit machte er den Zuschauer auf diese etablierten Techniken aufmerksam. Auch schuf er Irritationen dadurch, dass er Musik nicht eindeutig diegetisch oder extradiegetisch einsetzte. Er gehörte zu der jungen Generation von Filmemachern in Europa die den gesellschaftlichen Wandel seit Anfang der 60er Jahre aufgriff und versuchte einen neuen (ton-)ästhetischen Ausdruck zu finden. Dies war in Europa leichter als in den USA zu bewerkstelligen, da sich dort das starre Studiosystem als großes Hindernis für neue ästhetische Konzepte erwies.
Zur Hilfe kamen Godard und anderen Regisseuren des so genannten Autorenkinos[11] neue technische Erfindungen wie das erste tragbare Tonbandgerät, das Stefan Kudelski 1951 unter dem Namen Nagra auf den Markt brachte. Die Nagra wurde zum Standard der mobilen Tonaufzeichnung. Martin (1998: 29) schreibt, dass durch diese Erfindung und das reduzierte Team von Kameramann, Toningenieur und Regisseur der technische Prozess des Filmens einfacher und wirklichkeitsnäher geworden sei – und somit den dokumentarischen Stil des Cinéma Verité erst ermöglichte oder zumindest förderte.
Es war die Idee des auteurs , die in den 70er Jahren junge tonverliebte Filmemacher wie Francis Ford Coppola ( The Godfather Part I und Part II , USA 1972 und 1974 sowie in tontechnischer Hinsicht besonders The Conversation , USA 1974), George Lucas ( THX 1138 , USA 1970 und American Graffiti , USA 1973) und Steven Spielberg ( Jaws , USA 1975) dazu brachte, ihre eigenen Visionen auch in klanglicher Hinsicht umzusetzen.
Sie waren geprägt von der wachsenden Musikkultur in den 50er und 60er Jahren, die ihre eigenen Klänge und Instrumente entwickelte. In der Musikproduktion hatte sich die Mehrspur-Aufnahme durchgesetzt, die einige Zeit später auch in die filmische Postproduktion Einzug hielt.
Ray Dolby brachte 1966 ein Rauschunterdrückungsverfahren für Magnetbänder auf den Markt, welches die nutzbare Dynamik der aufgezeichneten Tonsignale erhöhte. Die Musikkonsumenten gewöhnten sich an die hervorragende Klangqualität ihrer Langspielplatten und Bänder und gingen mit größeren Erwartungen an den Ton ins Kino. Der Druck auf die Filmindustrie, die Tonqualität zu verbessern, stieg.
In den 40er und 50er Jahren hatte sie versucht mit immer neuen Systemen wie Fantasound[12] und verschiedenen Mehrkanal-Magnettonsystemen in Richtung eines sensorischen Kinoerlebnisses vorzustoßen – dies vor allem als Reaktion auf die zunehmende Konkurrenz des Fernsehens. Trotz der teilweise sehr guten Qualität von verschiedenen Breitwandformaten wie Cinemascope[13], konnten sie sich auf-grund der hohen Produktions- und Umrüstungskosten nicht dauerhaft durchsetzen.
Ein Durchbruch gelang erst mit dem optischen (und daher auch weniger empfindlichen) 4-Kanal Dolby Stereo[14] und dem erfolgreichen Film Star Wars (USA 1977, George Lucas), der diesem System zum Erfolg verhalf.
Star Wars gehört mit Francis Ford Coppolas Apocalypse Now (USA 1979) sicherlich zu den Meilensteinen auf dem Weg zu einer neuen, wesentlich komplexeren Klangwirklichkeit auf der Tonspur. Möglich wurde dies erst durch ein Mehrkanalsystem wie Dolby Stereo , das mit einer verbesserten Dynamik und guter räumlicher Auflösung aufwarten konnte.
Dies führte auch zu einer Reevaluation des Geräuschs im Spielfilm. Während in der Anfangszeit des Tonfilms die Grenzen eines verrauschten Mono-Lichttons eine vielschichtige Komposition der unterschiedlichen Klangelemente unmöglich machte, war es nun möglich, Klänge sowohl räumlich anzuordnen als auch durch die größere Dynamik und Auflösung eine Schichtung von Klängen vorzunehmen. So konnten wirkliche Klanglandschaften entstehen, in denen der Zuschauer seine auditive Wahrnehmung auf verschiedene Klangobjekte richten konnte.
Es muss allerdings auch in dieser vereinfachten Darstellung eines Zeitraums, der sich über mehr als 70 Jahre erstreckt und keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann (besonders was die genannten Regisseure betrifft) gesagt werden, dass die Einführung von Dolby Stereo zwar ein wichtiges, aber kein singuläres Ereignis darstellt. Chion beschreibt eine stetige Entwicklung:
Further, the standardization of Dolby has introduced a sudden leap in an older and more gradual process that paved the way for it. There is perhaps as much difference between the sound of a Renoir of the early thirties and that of a fifties Bresson film as there is between the fifties Bresson and a Scorsese in eighties Dolby, whose sound vibrates, gushes, trembles, and cracks (think of the crackling of Flashbulbs in Raging Bull [USA 1980] and clicking of billiard balls in The Color of Money [USA 1986])
(Chion 1994: 149)
Zu den ästhetischen Auswirkungen von Dolby Stereo heißt es weiter:
[...] the fact remains that Dolby stereo has changed the balance of sounds, particularly by taking a great leap forward in the reproduction of noises. It has created sonic raw materials that are well defined, personalized, and no longer conventional signs of sound effects; and it has lead to the creation of a sort of superfield, a general spatial continuum or tableau. Which changes the perception of space and thereby the rules of scene construction.
(Chion 1994: 149)
Mit dem Begriff superfield meint Chion die Entgrenzung der Leinwand durch atmosphärische Klänge, Stadt- und Umweltgeräusche und Musik, die ein Umfeld für das Geschehen auf der Leinwand schaffen. So ist es in manchen Fällen nicht mehr nötig das Umfeld visuell durch einen Establishing Shot[15] zu präsentieren. Statt dessen reicht es aus, die Anwesenheit der Umwelt – beispielsweise die allgegenwärtigen Raumschiffe und den hektischen Klang der futuristischen Stadt in Blade Runner (USA 1982, Ridley Scott) – akustisch darzustellen.
Eine vielleicht noch wichtigere Eigenschaft von so genanntem Surround-Sound[16] ist die Möglichkeit der unterschwelligen Beeinflussung der Wahrnehmung, auf die in dieser Arbeit mit Blick auf David Lynchs Mulholland Drive noch häufiger eingegangen werden soll. Dazu schreibt Flückiger:
Die Trennung zwischen der bewussten Wahrnehmung des akustischen Ereignisses, das von der Leinwand zu kommen scheint, und der unterschwelligen Empfindung einer diffusen Klangwolke macht uns als Zuschauer besonders empfänglich für die subkutane Botschaft der Tonspur, die sich im klanglichen Register entfaltet. Dieses Register ist eine Welt des Imaginären, der individuellen Phantasie des Zuschauers, die in einem mehrdeutigen Reizangebot ihren ureigenen Anker auswirft.
(Flückiger 2001: 58)
Die hier angedeuteten Möglichkeiten lassen viel Raum für die individuelle Ausgestaltung der Tonspur in zeitgenössischen Filmen. Durch die neu gewonnene Freiheit konnte der Beruf des Sound Designers entstehen. Zwar gab es in der arbeitsteiligen Filmproduktion schon immer verhältnismäßig viele Leute, die an der Tonproduktion beteiligt waren, doch nun waren einzelne Leute dafür verantwortlich, ein tonästhetisches Gesamtkonzept für die Bereiche Sprache und Geräusch zu entwickeln. Als kreative Instanz hatten sie die Verantwortung für das akustische Erscheinungsbild eines Films.[17]
Walter Murch und Ben Burtt waren in den 70er Jahren die Vorbilder für eine ganze Generation von Sound Designern, die ihnen folgen sollten. Walter Murch schuf die beeindruckenden klanglichen Visionen in Apocalypse Now , nachdem er bereits mit Francis Ford Coppola in The Conversation und mit George Lucas in THX 1138 zusammengearbeitet hatte. Ben Burtt schuf für George Lucas‘ Star Wars ein gänzlich neues Vokabular an Klängen, das man bis dahin nicht im Science-Fiction-Genre gehört hatte. Murch und Burtt waren die ersten, die die Bezeichnungen Sound Montage und Sound Designer verwandten.
Ein großer Vorteil des Dolby-Formats lag in der Optimierung des äußerst wirtschaftlichen Lichttons, was zu einer schnellen Standardisierung des Systems beitrug. Die Lizenzgebühren, die die Kinos für die Umstellung zu zahlen hatten, waren vergleichsweise gering und wurden auf die einzelnen Filme mit Dolby-Ton umgewälzt. Zusätzlich wurde eine flächendeckende Verbesserung des Kinotons durch eine Einmessung der Tonanlagen in allen Dolby-Kinos erreicht.
1986 erfuhr das System eine nochmalige Verbesserung. Dolby Stereo SR (SR steht für Spectral Recording) wurde mit dem Film Robocop (USA 1987, Paul Verhoeven) eingeführt.
Seit den 90er Jahren setzte eine weltweite Umstellung auf digitalen Ton ein. Die Möglichkeit verlustfrei zu kopieren, sowie eine nochmals erweiterte Dynamik verhalfen diesen Systemen zum Erfolg. Die meisten davon bieten 6-Kanal-Ton. Der Surround -Kanal wurde zusätzlich nach rechts und links aufgeteilt und ein weiterer Kanal war für die Speisung eines Subwoofers[18] vorgesehen. Ihre Namen sind DTS (Digital Theater Sound) und Dolby Digital (Dolby SR-D) . Die Firma Sony lancierte 1994 ein eigenes System ( SDDS), das sogar über acht Kanäle verfügt.
Zu den ästhetischen Konsequenzen schreibt Martin:
Nach einer inflationären Schwemme von visuellen Spezialeffekten konzentrierten sich die Produzenten von Science-fiction- und Action-Filmen in den neunziger Jahren auf die noch ungenutzten Möglichkeiten des Klangdesigns. Sound Design hat viele syntaktische und semantische Funktionen von Filmmusik übernommen: Syntaktisch können Geräusche Kontraste und Zäsuren markieren, semantisch kann Geräuschdesign Spannung erzeugen, Akteure und Gegenstände akustisch charakterisieren oder ein allgemeines Ambiente schaffen. Mit der modernen 6-Kanal-Stereo-Technik kann eine akustische Intensität und Differenziertheit erreicht werden, die jede Geräusch-Wirklichkeit übertrifft.[19]
(Martin 1998: 32)
Besonders die Möglichkeit, Funktionen der Filmmusik durch Sound Design partiell zu übernehmen, erscheint besonders interessant und soll in den späteren Kapiteln ausführlicher behandelt werden.
Festzustellen bleibt, dass sich durch die Verbesserungen der technischen Rahmenbedingungen des Filmtons ganz neue Klangmöglichkeiten eröffnet haben:
Just what does Dolby stereo offer to a director? Nothing less than the equivalent of an eight-octave grand piano, when what she or he had before was an upright spanning only five octaves, less powerful and less capable of nuance. In short, Dolby offers a gain in resources on the level of sound space and sound dynamics that, of course, no one is obliged to use all the time but that is nevertheless available.
(Chion 1994: 153)
Kino ist mehr als nur Bilder – diese eigentlich banale Feststellung kann man überprüfen, indem man einen Film mit abgeschaltetem Ton ansieht (vielleicht mit Untertiteln, um die Handlung nachvollziehen zu können). Die zweidimensionale Welt der bewegten Bilder wird oftmals einen Großteil ihrer Intensität einbüßen, die man fälschlicherweise dem Bild allein zuschreibt. Offensichtlich wird dies besonders bei zeitgenössischen Action- und Science-Fiction-Filmen. Fehlen die sensorischen Qualitäten des einhüllenden Kinotons, kollabiert der Raum der Handlung zur bedeutungslosen Abfolge von Bildern, die manchmal ungewollte Komik offenbart.
Man kann Filme dieser Machart, die vorwiegend auf sensorischen Sensationen gründen, kritisieren – daraus jedoch zu folgern, die technischen Möglichkeiten seien schuld an blutarmen Handlungen, wäre falsch. Im Gegenteil: Sie bieten ambitionierten Regisseuren wie David Lynch ein zusätzliches Register der Filmsprache, das, oftmals unterschätzt, in dieser Arbeit analysiert werden soll. Dieser Klang-Sprache die angemessene Beachtung zu schenken ist Ziel dieser Arbeit.
Das Kino benutzt visuelle und auditive Kanäle der Wahrnehmung, um offensichtliche und manchmal auch versteckte Botschaften zu vermitteln. Es schafft ein Angebot an rhythmischen, dynamischen, taktilen oder musikalischen Ereignissen. Diese im Sinne des Films einzusetzen ist Sache des Regisseurs und der mit ihm verbundenen Künstler. Je nach Film, Konzept und Stil wird er das Potenzial mehr oder weniger ausschöpfen.
When you have an amorphous sound that’s made by adding synthesizer sounds to weird atmospherics that are slowed down or played backward, it’s hard to describe what it is anymore. It’s not like you can say the dog bark, the squeaky hinge, or something that’s rooted in reality.
(Anderson in LoBrutto 1994: 161)
Der Sound Designer Richard Anderson[20] beschreibt hier ein großes Problem bei der Analyse von Klangobjekten – das Vokabular.
In der Tat scheinen wir bei der Beschreibung von einfachsten Geräuschen bereits in Schwierigkeiten zu geraten, wenn wir nicht gleichzeitig auf die Quelle hinweisen können. Wie beschreibt man den Klang eines Autos? Wie klingt ein Flugzeug? Und welches Geräusch macht das Laserschwert aus Star Wars ? Die Mehrdeutigkeit der Sprache ist dabei für Chion ein besonderes Problem, wenn er von Versuchen mit Testpersonen spricht:
And language we employ as a matter of habit suddenly reveals all its ambiguity: “This is a squeaky sound,” you say, but in what sense? Is “squeaking” an image only, or is it rather a word that refers to a source that squeaks, or to an unpleasant effect ?
(Chion 1994: 29)
Dem flüchtigen akustischen Ereignis fehlt eine Prägnanz, welche die Beschreibung vereinfachen würde. Hält man den Film an, kann man ein Bild betrachten und beschreiben – hören tut man nichts mehr. Klang entsteht in der Bewegung und kann nicht angehalten werden. Die Klangereignisse auf der Tonspur rauschen an uns vorbei und jede Beschreibung muss notwendigerweise eine Vereinfachung der vielfältigen Ausgestaltung von Geräuschen, Musik und Sprache sein.
Dies sieht auch Schafer so, der sich sehr früh mit der Beschreibung von Lautsphären rund um den Globus und dem Thema Akustikdesign beschäftigte:
Es ist jedoch schwieriger, einen genauen Eindruck von einer Lautsphäre zu formulieren als von einer Landschaft. In der Sonographie gibt es nichts, was dem augenblicklichen Eindruck entspricht, den die Fotografie festhält.
(Schafer 1988: 13)
Auch er stellt die Kompetenz der Sprache in Frage: Wer Lauteindrücke wiedergeben soll, muß dazu Laute gebrauchen; jede andere Methode ist falsch (Schafer 1988: 192).
Flückiger (2001: 100) weist mit Recht darauf hin, dass die auditive Wahrnehmung zuallererst in Sprache überführt werden muss, bevor sie einer Analyse zugänglich wird. Das fehlende Vokabular sei einer der Gründe, weshalb in theoriebildenden Texten zur Filmästhetik die Tonspur regelmäßig ausgeblendet wird. Trotz der dargestellten Schwierigkeiten bedarf es der sprachlichen Formulierung von Klang-wahrnehmung zum Zweck der Erkenntnis und Kommunikation.
Mit anderen Worten: Die subjektive Wahrnehmung, als ein nicht sprachlich zugänglicher Bewusstseinsinhalt, muss in einen sprachlich fassbaren Bewusstseins-inhalt überführt werden.
Mit der Beschreibung und Kategorisierung von Klangobjekten haben sich inzwischen einige Autoren beschäftigt, jedes System birgt eigene Stärken und Schwächen. Einige dieser Systeme sollen an dieser Stelle vorgestellt werden und in die Analyse von Mulholland Drive mit einfließen.
Eines der einflussreichsten und einfachsten theoretischen Modelle zur Beschreibung von Ton im Film stammt von Bordwell/Thompson (1997: 315-354) und bedient sich der Terminologie der Musik.
Es unterscheidet die akustischen Eigenschaften eines Tons in drei Kategorien:
1. Lautstärke (Loudness): Lautstärke ist eine der fundamentalen Eigenschaften jeglichen Tons. Jeder Ton den wir wahrnehmen erreicht unser Ohr über den Umweg eines Mediums wie der Luft, indem sich Schallwellen mit einer bestimmten Amplitude ausbreiten. Die Größe der Amplitude bestimmt dabei das, was wir als Lautstärke wahrnehmen.
Bordwell/Thompson gehen davon aus, dass die Lautstärke im Film ständiger Manipulation unterworfen und nicht an reale Verhältnisse gebunden ist. So kann man sich die Szene einer Unterhaltung inmitten von lautem Verkehr vorstellen, in der der Dialog bestens verständlich ist und so eine Art Vordergrund darstellt. Der zweifelsohne laute Verkehr wird ausgeblendet und übernimmt die Funktion einer Folie, beziehungsweise eines Hintergrunds für den Dialog.
In Mulholland Drive findet sich beispielsweise eine Szene, in der Betty zusammen mit Rita für ein Vorsprechen probt (1.09.45-1.11.06). Während des Sprechens baut sich eine Spannung dadurch auf, dass alle Umgebungsgeräusche ausgeblendet werden. Am Ende fangen beide an zu lachen, die Spannung löst sich und wir hören plötzlich die einbrechenden Umgebungsgeräusche wie das Zwitschern der Vögel – was überdies wie ein Kommentar wirkt.
2. Frequenz (Pitch): Die Frequenz eines Tons nehmen wir umgangssprachlich als hoch oder tief war. Ein natürlicher Ton besteht dabei aus einer Vielzahl an Frequenzen, während ein künstlicher Sinuston, beispielsweise mit dem Synthesizer hergestellt, nur eine Frequenz hat. Die Frequenz dient dem Ohr zur Unterscheidung verschiedener Klangereignisse wie Musik, Geräusch und Sprache. Die Frequenz wird üblicherweise in Hertz (Hz) gemessen. Frequenzen von 20 bis maximal 20.000 Hz werden von Menschen wahrgenommen. Liegt die Frequenz darunter, spricht man von Infraschall, darüber von Ultraschall.
3. Klangfarbe (Timbre): Die harmonischen Komponenten eines Tons (die verschiedenen Frequenzen aus denen er sich zusammensetzt) bestimmen dessen Klangfarbe. So können wir den Klang einer Oboe und einer Flöte unterscheiden, obwohl sie den gleichen Ton spielen. Das gleiche gilt für die Unterscheidung von Stimmen: Die Klangfarbe lässt uns eine Person eindeutig identifizieren, obwohl sie gerade nicht im Bild zu sehen ist.
Des Weiteren unterscheiden Bordwell/Thompson vier Kategorien der Bild-Ton-Beziehung, auf die noch eingegangen werden soll. Lediglich auf den Rhythmus möchte ich an dieser Stelle zu sprechen kommen, da er auch unabhängig vom Bild existiert und eine der komplexesten Eigenschaften von Klang ist. Aus diesem Grund wird unterschieden zwischen:
- Rhythmus der Musik als am einfachsten erkennbares kompo-sitorisches Prinzip mit Metrum, Taktart, Betonung und Tempo.
- Rhythmus der Sprache als wichtiges Unterscheidungsmerkmal: Personen können an der Art, wie sie Satzteile, Worte oder einzelne Silben betonen erkannt werden.
- Rhythmus von Geräuschen : Auch Geräusche können rhythmische Qualitäten aufweisen. Das Ticken einer Uhr ist ein vollkommen regelmäßiger Rhythmus und auch ein Maschinengewehr stellt einen schnellen, regelmäßigen Rhythmus dar. Einzelne Schüsse können die Zeit dagegen unregelmäßig zerteilen.
Altman (1992: 15-16) kritisiert die aus der Musikwissenschaft stammende Terminologie von Bordwell/Thompson als unzureichend für die Beschreibung komplexer zeitgenössischer Tonspuren. Wir können anhand der Parameter Lautstärke, Tonhöhe und Klangfarbe eine Beschreibung vornehmen, ähnlich einer musikalischen Analyse. Diese Beschreibung reicht allerdings – und das ist auch die Meinung des Autors dieser Arbeit – nicht weit genug. Klangereignisse sind zuweilen zu komplex, um sie mit dieser Terminologie adäquat zu beschreiben.
Der Vorteil des Bordwell/Thompson-Systems, dessen Übersichtlichkeit und Einfachheit, ist zugleich dessen Nachteil. Komplexen Phänomenen kann es nicht gerecht werden. Es bedarf einer differenzierteren Terminologie, die sowohl die akustischen Eigenschaften eines Klangereignisses, als auch dessen vielfältige Beziehungen zum Filmbild und die Funktion als narrativer und semantischer Bedeutungsträger adäquat beschreiben kann.
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[1] Burtt arbeitete lange Zeit mit George Lucas und Steven Spielberg. Er erhielt Preise für Filme wie Star Wars (USA 1977), Raiders of the Lost Ark (USA 1981) und E.T.: The Extra-Terrestial (USA 1982).
[2] Walter Murch ist bis heute einer der bekanntesten und kreativsten Sound Designer des Kinos und ist für die Klanggestaltung in Filmen wie George Lucas’ American Graffiti (USA 1973) sowie für Francis Ford Coppolas The Conversation (USA 1974) und Apocalypse Now (USA 1979) verantwortlich – letzterer sicherlich ein Meilenstein für die Entwicklung des ‚guten Tons’ im Kino.
[3] Mikrofone dieser Richtcharakteristik bezeichnet man auch als omnidirektional – einfacher als Kugel .
[4] Die erhöhte Geschwindigkeit von 24 Bildern pro Sekunde und die damit verbundene kürzere Belichtungszeit für den Film benötigte zudem wesentlich mehr Licht am Set, was zu größerer Hitze führte.
[5] Die Auflösung meint das Erfassen klanglicher Details im Tonsignal und wird durch den Frequenzgang und den Signal-Rausch-Abstand aller beteiligten Komponenten bestimmt.
[6] Unter Dynamikumfang versteht man den Pegelunterschied zwischen geringstem und höchst-möglichem Pegel.
[7] Viele Systeme zur Tonaufzeichnung existierten schon seit Jahrzehnten. Ein Problem blieb bis in die 10er Jahre die Synchronisation von Bild und Ton. Vorführbereite Lichttonsysteme gab es in Deutschland bereits seit 1921. Flückiger (2001: 28-31) beschreibt die unterschiedlichen Entwicklungen.
[8] Zum Vergleich: Der hörbare Frequenzbereich liegt für junge Menschen bei etwa 20-20.000 Hz. Mit zunehmendem Alter sinkt die obere Grenze auf ungefähr 15.000-16.000 Hz. Unterhalb von 20 Hz (so genannter Infraschall) wird die Frequenz fühlbar und es treffen sich Hör- und Tastsinn. Oberhalb von 20.000 Hz liegt der so genannte Ultraschall-Bereich, der beispielsweise von Hunden und Fledermäusen wahrgenommen werden kann.
[9] Statt extradiegetisch spricht man auch von nicht-diegetischer Musik oder von so genanntem Fremdton (Bullerjahn 2001). Damit ist Musik gemeint, die nicht dem raumzeitlichen Kontinuum der filmischen Handlung zugeordnet werden kann.
[10] Aus Gründen der Bequemlichkeit und der Ökonomie verwalteten die meisten großen Studios in Hollywood Geräuscharchive und benutzten die gleichen Geräusche für viele Filme. Bei eingehender Beschäftigung kann man deshalb Filme von Fox , Paramount oder Warner Brothers an den benutzten Geräuschen unterscheiden. Ben Burtt (in LoBrutto 1994: 139 ff.) beschreibt diesen Umstand und die unterschiedlichen Stile verschiedener Studios.
[11] Das Autorenkino gründete auf die in den 50er Jahren von den Kritikern der Cahiers du Cinéma wie Eric Rohmers, Claude Chabrol, François Truffaut und Godard entwickelten Autorentheorie , die den romantischen Geniekult wieder belebte und den autonomen Schöpfer mit seinen ureigenen Visionen in den Mittelpunkt stellte.
[12] Fantasound war der erste kommerzielle Versuch von Stereo-Mehrkanalton im Kino. Fantasia (USA 1940, Walt Disney) war der erste Film für dieses System, welches sich auf Grund des enormen Aufwands der Toninstallation nicht durchsetzen konnte.
[13] Cinemascope benutzte vier magnetische Randspuren auf dem Filmpositiv für die Wiedergabe von drei Kanälen (Links – Mitte – Rechts) hinter der Leinwand sowie einem Effekt-Kanal hinten im Kino. Zusätzlich gab es eine aufbelichtete Mono-Lichttonspur für Kinos ohne Stereoanlage.
[14] Die vier Kanäle von Dolby Stereo verteilen sich auf drei hinter der Leinwand liegende Lautsprecher (Links –Mitte – Rechts). Der vierte Surround -Kanal versorgt die seitlich und hinten installierten Lautsprecher im Kino.
[15] Einstellung (meist am Beginn einer Sequenz), die einen allgemeinen Überblick über die Situation verschafft.
[16] Toninformation, die über seitlich und hinten platzierte Lautsprecher im Kino dargeboten wird.
[17] Bei großen amerikanischen Produktionen sind zwischen 20 und 50 spezialisierte Fachkräfte beteiligt – vom Location Sound Mixer (Filmtonmeister) bis zu den Re-Recording Engineers (Mischtonmeistern).
[18] Lautsprecher, der ausschließlich für die Übertragung besonders tiefer Frequenzen (20-125 Hz) zuständig ist.
[19] Martins Unterscheidungen in syntaktische und semantische Funktionen der Filmmusik hat ihren Ursprung in dem strukturalistischen Modell von Maas und Schudack (1994: 35 ff.).
[20] Anderson arbeitete mit Regisseuren wie Robert Wise, Steven Spielberg, George Lucas und Tim Burton als supervising sound editor.