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Examensarbeit, 2010
52 Seiten, Note: 1,0
1 EINLEITUNG
2 DIDAKTISCHER SCHWERPUNKT: FÖRDERUNG VON LESEKOMPETENZ
2.1 WAS IST LESEKOMPETENZ? EINE BEGRIFFSBESTIMMUNG
2.1.1 LESEN
2.1.2 LESEKOMPETENZ
2.2 VORAUSSETZUNGEN FÜR EINEN ERFOLGREICHEN LESEPROZESS
2.2.1 ARBEITSGEDÄCHTNIS
2.2.2 VORWISSEN
2.2.3 KOGNITIVE STRATEGIEN
2.2.4 METAKOGNITION
2.2.5 MOTIVATION, SELBSTKONZEPT UND SELBSTWIRKSAMKEITSERWARTUNG
2.2.6 ZUSAMMENFASSUNG
2.3 WIE KANN LESEKOMPETENZ GEFÖRDERT WERDEN?
2.3.1 LESESTRATEGIEPROGRAMME
2.3.1.1 SQ3R-Methode / PQ4R-Methode
2.3.1.2 Reciprocal Teaching (Reziprokes Lehren)
2.3.2 DAS VERWENDETE STRATEGIEPROGRAMM: „WIR WERDEN TEXTDETEKTIVE“
2.4 DIDAKTISCHE LEITFRAGEN UND HYPOTHESEN
3 PLANUNG DER UNTERRICHTSREIHE
3.1 PLANUNGSGRUNDLAGEN
3.1.1 CURRICULARE VORGABEN
3.1.2 PLANUNGSZUSAMMENHANG
3.1.3 SPEZIELLE VORAUSSETZUNGEN UND BESONDERHEITEN
3.2 LERNGRUPPE
3.2.1 STATISTISCHE ANGABEN
3.2.2 KOMPETENZSTAND
3.3 DIDAKTISCHE ENTSCHEIDUNGEN
3.3.1 RELEVANZ DER THEMATIK
3.3.2 DIDAKTISCHE REDUKTION UND INHALTLICHE STRUKTURIERUNG
3.3.3 DIDAKTISCHES KONZEPT
3.3.4 HANDLUNGSENTWURF FÜR DIE MODERATION
3.3.5 KOMPETENZZUWACHS UND INDIKATOREN DER KOMPETENZENTWICKLUNG
4 ANALYSE DER DURCHGEFÜHRTEN UNTERRICHTSREIHE
4.1 GESAMTEINDRUCK
4.2 LEITFRAGENORIENTIERTE ANALYSE
5 SCHLUSSBETRACHTUNG
6 LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS
6.1 FACHLITERATUR
6.2 INTERNET
7 ANHANG
7.1 MIND MAPS
7.2 LERNAUFGABEN
7.3 INFORMATIONSBLÄTTER
7.4 SCHÜLERPRODUKTE
7.5 MATERIALIEN FÜR DEN NACHTEST
ABBILDUNG 1: AKTIVITÄTEN DER GRUPPE 1 IN DEN EINZELNEN PHASEN
ABBILDUNG 2: AKTIVITÄTEN DER GRUPPE 2 IN DEN EINZELNEN PHASEN
ABBILDUNG 3: AKTIVITÄTEN DER GRUPPE 3 IN DEN EINZELNEN PHASEN
ABBILDUNG 4: AKTIVITÄTEN DER GRUPPE 4 IN DEN EINZELNEN PHASEN
ABBILDUNG 5: AKTIVITÄTEN DER GRUPPE 5 IN DEN EINZELNEN PHASEN
ABBILDUNG 6: VORTEST Schüler B (ORIGINALFORMAT: A4)
ABBILDUNG 7: NACHTEST Schüler B (ORIGINALFORMAT A3)
ABBILDUNG 8: VORTEST Schüler N (ORIGINALFORMAT: A4)
ABBILDUNG 9: NACHTEST Schüler N (ORIGINALFORMAT A3)
ABBILDUNG 10: LERNAUFGABENBLATT 12
ABBILDUNG 11: LERNAUFGABENBLATT 13
ABBILDUNG 12: INFORMATIONSBLATT 7
ABBILDUNG 13: INFORMATIONSBLATT 8
ABBILDUNG 14: INFORMATIONSBLATT 9
ABBILDUNG 15: INFORMATIONSBLATT 10
ABBILDUNG 16: AUSGEWÄHLTE KARTEIKARTEN
ABBILDUNG 17: CONCEPT MAP GRUPPE 1 (ORIGINALFORMAT: A0)
ABBILDUNG 18: CONCEPT MAP GRUPPE 2 (ORIGINALFORMAT: A0)
ABBILDUNG 19: CONCEPT MAP GRUPPE 3 (ORIGINALFORMAT: A0)
ABBILDUNG 20: CONCEPT MAP GRUPPE 4 (ORIGINALFORMAT: A0)
ABBILDUNG 21: CONCEPT MAP GRUPPE 5 (ORIGINALFORMAT: A0)
ABBILDUNG 22: INFORMATIONSBLATT 16
ABBILDUNG 23: INFORMATIONSBLATT 17
ABBILDUNG 24: FRAGEBOGEN
ABBILDUNG 25: ANTWORTBOGEN
TABELLE 1: PLANUNGSZUSAMMENHANG
TABELLE 2: ZUSAMMENSETZUNG DER LERNGRUPPE
TABELLE 3: HANDLUNGSENTWURF
TABELLE 4: INDIKATOREN DER KOMPETENZENTWICKLUNG
TABELLE 5: VOR- UND NACHTEST MIT ZUORDNUNG DER SCHÜLER ZU DEN KATEGORIEN
TABELLE 6: EINSCHÄTZUNG DER SCHÜLER ZUM TEXTVERSTÄNDNIS
TABELLE 7: AUSGEWERTETER FRAGEBOGEN ZUR CONCEPT MAP METHODE
TABELLE 8: AUSGEWERTETER FRAGEBOGEN ZU DEN LESEMETHODEN
TABELLE 9:ZUORDNUNG DER SCHÜLER DER KLASSE 501ZU DEN LESEKOMPETENZSTUFEN
TABELLE 10: SELBSTWIRKSAMKEITSERWARTUNG VORHER UND NACHHER
„Schulabgänger häufig nicht ausbildungsreif“ lautet die Überschrift zu einem Artikel, der am 04.03.2010 im Berliner Tagesspiegel erschienen ist. Dieser Artikel bezieht sich auf den veröffentlichten Bundesbildungsbericht 2010, in dem sich die Bundesregierung über die mangelnde Ausbildungsreife1 vieler Jugendlicher besorgt zeigt.2 Rund 20 Prozent ei- nes Jahrgangs sind nach Einschätzung der Deutschen Industrie- und Handelskammer nicht ausbildungsreif. Von diesen hat die Hälfte keinen Schulabschluss und der Rest er- reicht, trotz eines Schulabschlusses, beim Lesen und Schreiben nur das Niveau eines Viertklässlers.3 Diese Angabe deckt sich mit der großen Gruppe der Risikoschüler4 in den PISA5 -Studien. So zeigt die PISA-Studie 2006, dass die Lesekompetenz der 15-Jährigen in Deutschland deutlich unter dem Mittelwert aller OECD6 -Länder liegt. Es erreichen 23 Prozent der Jugendlichen dieses Alters in Deutschland auf einer fünfstufigen Kompetenz- skala nur das niedrigste Kompetenzniveau, womit ein sehr begrenztes Textverständnis der Zielgruppe nachgewiesen wird. Für diese Jugendlichen wurde ermittelt, dass sie nicht in der Lage sind, einfachste Texte zu verstehen und deutlich erkennbare Informationen daraus zu nutzen.7 In der PISA-Studie 2006 wird des Weiteren angegeben, dass 42,1 Prozent der 15-jährigen Hauptschüler8 in Berlin unter der Kompetenzstufe 19 im Bereich Lesen liegen.10 In der Berufsgruppe der Dachdecker machen Hauptschüler einen großen Anteil der Auszubildenden aus. Aus Expertensicht erscheint für diese Schüler, die man- gelnde Kenntnisse insbesondere im Lesen und Schreiben aufweisen, eine erfolgreiche Berufsausbildung und eine damit verknüpfte Lebensperspektive fraglich. Als Folge daraus ergibt sich, dass insbesondere die Schüler mit einer sehr niedrigen Lesekompetenz in Deutschland gefördert werden müssen.11 Doch wie lässt sich die Lesekompetenz von diesen Schülern verbessern? Welche Voraussetzungen müssen für einen erfolgreichen Leseprozess gegeben sein, welche Kriterien erfüllt ein kompetenter Leser und wie kann die Fähigkeit, Texte zu verstehen und deren Inhalte zu behalten, gefördert werden?
Im Zuge der PISA-Studie sind in den letzten Jahren eine Reihe von Konzepten zur Förde- rung der Lesekompetenz veröffentlicht worden. Dabei haben im Rahmen der PISA-Studie durchgeführte Analysen ergeben, dass insbesondere das Lernstrategiewissen einen Bei- trag zur Erklärung individueller Unterschiede in der Lesekompetenz leistet. Somit stellen Konzepte strategieorientierten Unterrichts einen aussichtsreichen Ansatz im Hinblick auf die Verbesserung der Lesekompetenz dar. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den Einsatz von Lesestrategien im Berufsschulunterricht zu planen, zu erproben und zu ana- lysieren, um die Lesekompetenz der Schüler zu fördern, ohne dabei den Zuwachs an Fachkompetenz aus den Augen zu verlieren.
Im Theorieteil dieser Arbeit wird zunächst eine Begriffsbestimmung zur Lesekompetenz vorgenommen. Anschließend werden die psychologischen Determinanten genannt, die für einen erfolgreichen Leseprozess gegeben sein müssen. Unterschiedliche Lesestrategie- programme, die auf Grundlage der psychologischen Determinanten entwickelt worden sind, werden in Kapitel 2.3 dargestellt. Das Augenmerk liegt dort auf einem metakognitiv12 orientierten Strategietrainingsprogramm, welches für die Planung der Unterrichtsreihe zum Lernfeld 1.1 „Einrichten einer Baustelle“ genutzt worden ist. Auf Grund von Leitfragen und aufgestellten Hypothesen soll beurteilt werden, inwieweit sich das Strategietrainings- programm für die Förderung der Lesekompetenz bei Berufsschülern eignet und sich kurz- fristig eine Verbesserung der Lesekompetenz einstellt. Diesen Vorbetrachtungen folgt in Kapitel 3 die ausführliche Planung der Unterrichtsreihe zur Erprobung des methodisch- didaktischen Konzeptes. In Kapitel 4 wird durch die Beantwortung der Leitfragen analy- siert, ob die aufgestellten Hypothesen mit Hilfe der genannten Indikatoren untermauert werden können.
Dieses Kapitel, das sich mit dem didaktischen Schwerpunkt - der Förderung von Lesekompetenz - beschäftigt, gliedert sich in drei Abschnitte. Zunächst wird eine Begriffsbestimmung vorgenommen und erläutert, was unter Lesekompetenz verstanden wird. Im Anschluss werden die Voraussetzungen ausgeführt, die für einen erfolgreichen Leseprozess gegeben sein müssen. Im dritten Abschnitt werden geeignete Fördermaßnahmen zur Verbesserung der Lesekompetenz dargestellt, die sich auf die psychologischen Determinanten beziehen, die in Abschnitt zwei beschrieben worden sind.
Zunächst wird beschrieben, welche Prozesse am Lesevorgang beteiligt sind. Diese Prozesse sind bei der Entwicklung von Fördermaßnahmen berücksichtigt worden. Anschließend wird erläutert, was unter dem Begriff der Lesekompetenz zu verstehen ist.
In neueren kognitionspsychologischen Modellen wird das Lesen nicht als ein passiver Prozess der Bedeutungsentnahme, sondern als ein aktiver und konstruktiver Vorgang beschrieben. Der Leser setzt die im Text enthaltenen Inhalte aktiv mit seinem Vor- und Weltwissen in Verbindung.13 Lesen ist ein komplexer Vorgang, an dem verschiedene Teil- prozesse beteiligt sind, die sich grob in hierarchieniedrige und hierarchiehöhere Prozesse einteilen lassen. Zu den hierarchieniedrigen Prozessen zählen die Buchstaben- und Worterkennung mit dem Ziel der Erfassung von Wortbedeutungen, das Herstellen von semantischen und syntaktischen Relationen zwischen den Wörtern (Wortfolgen) und die lokale Kohärenzbildung14, die in der Verknüpfung von semantischen Relationen zwischen Sätzen beziehungsweise Propositionen15 besteht. Zu den hierarchiehöheren Prozessen wird hingegen die globale Kohärenzbildung (Makrostruktur), bei der größere Textabschnit- te miteinander verknüpft, organisiert und verdichtet werden, gezählt. Des Weiteren gehö- ren zu den hierarchiehöheren Prozessen auch elaborative Interferenzen, bei denen nicht auf Textebene Kohärenz hergestellt wird, sondern die Textinhalte mit Beispielen, bild- lichen Vorstellungen oder eigenen Erlebnissen angereichert werden. Auch die Bildung von Superstrukturen16 und das Erkennen rhetorischer Strategien sind hierarchiehohe Pro- zesse.17
Der Begriff Lesekompetenz ist in der Literatur nicht eindeutig definiert. Lesekompetenz (reading literacy) wird in der PISA-Studie als Fähigkeit definiert, Gedrucktes und Ge- schriebenes aus verschiedenen Kontexten zu verstehen, zu interpretieren, zu kommuni- zieren und weiterzuverarbeiten, um eigene Ziele zu erreichen, das eigene Wissen und Potential weiterzuentwickeln und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.18 Im Rah- men der PISA-Studie sind fünf Anforderungsbereiche der Lesekompetenz unterschieden worden. Die fünf Anforderungsbereiche sind wiederum in textimmanente Verstehensleis- tungen (Informationen ermitteln, ein allgemeines Verständnis des Textes entwickeln, eine textbezogene Interpretation entwickeln) und wissensbasierte Verstehensleistungen (über den Inhalt und über die Form des Textes reflektieren) unterteilt worden. Die fünf Anforde- rungsbereiche sind später zu den drei Bereichen „Informationen ermitteln“, „Textbezoge- nes Interpretieren“ und „Reflektieren und Bewerten“ zusammengefasst worden.19 Beim „Informationen ermitteln“ wird die Anforderung gestellt, in einem Text durch analysieren- des Lesen eine oder mehrere Informationen zu finden. Dafür ist es erforderlich, dass grö- ßere Textpassagen verstanden worden sind. Der Aspekt „Textbezogenes Interpretieren“ setzt voraus, dass ein allgemeines Textverständnis zugrunde liegt, um eine auf dem Text basierende Bedeutung zu konstruieren oder aber Schlussfolgerungen aus einem oder mehreren Textteilen zu ziehen. Der Aspekt „Reflektieren und Bewerten“ umfasst die An- forderung, den Inhalt oder die Form eines Textes mit eigenen Erfahrungen oder Vorwis- sen in Beziehung zu setzen.20 Die drei genannten Bereiche sind im Lesetest für Berufs- schüler/innen für die Einteilung in drei Kompetenzstufen übernommen worden. Die Lese- kompetenz der Schüler der Klasse 501 ist mit Hilfe des Lesetests für Berufsschüler/innen ermittelt worden.21
In der PISA-Studie beziehen sich die Anforderungen in erster Linie auf das Verstehen schriftlicher Texte. In diesem Zusammenhang wird der Begriff der Lesekompetenz oft synonym mit dem Begriff Leseverständnis verwendet, obwohl diese Begriffe unterschied- liche Bedeutungen haben. Der Begriff des Leseverständnisses ist eher auf das Produkt des Lese- beziehungsweise Verarbeitungsprozesses bezogen. Der Begriff der Lesekom- petenz wird vorwiegend dann genutzt, wenn es um die übergreifende Fähigkeit geht, schriftliche Texte zu nutzen und verstehen zu können sowie um deren Förderung.22 Auf das Leseverständnis wird in dieser Arbeit an mehreren Stellen eingegangen. Der Begriff des Leseverständnisses wird verwendet, wenn es um das Ergebnis des Leseprozesses23 und die Erfassung beziehungsweise Messung dieses Produktes24 geht. Die unterschiedlichen Möglichkeiten, die Lesekompetenz zu fördern, werden in Kapitel 2.3 erläutert.
Um die Lesekompetenz fördern zu können, muss zunächst geklärt werden, welche psychologischen Determinanten beim Lesen eine Rolle spielen. Im Folgenden werden als psychologische Determinanten verschiedene kognitive und motivationale Merkmale des Rezipienten betrachtet.
Für das Lesen und Verstehen von Texten spielt das Arbeitsgedächtnis eine entscheiden- de Rolle, da dieses sowohl für die Verarbeitung als auch für die Speicherung von Informa- tionen zuständig ist. Bei der Bearbeitung eines Sachtextes werden dem Text im Arbeits- gedächtnis Informationen entnommen. Dabei werden Propositionen gebildet, diese auf ihre Kohärenz überprüft und eventuelle Kohärenzlücken geschlossen.25 Mit dem Arbeits- gedächtnis hängen einige zentrale Fähigkeiten zusammen. Zu ihnen gehören die Buch- stabenerkennung, der lexikalische Zugriff26, die Schemaaktivierung27 und die propositiona- le Enkodierung28. Bestehen Defizite bei einer dieser Komponenten, bewirken diese eine starke Belastung des Arbeitsgedächtnisses und eine Verlangsamung des Verstehenspro- zesses.29 An dieser Stelle wird deutlich, welche große Bedeutung das Arbeitsgedächtnis für das Lesen von Texten hat. Das Leistungsvermögen des Arbeitsgedächtnisses kann kaum durch Training gesteigert werden. Dies liegt darin begründet, dass sowohl die Spei- cherdauer als auch die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses relativ gering sind und sich im Wesentlichen nur mit dem Alter verändern, da manche Verarbeitungsprozesse zuneh- mend automatisiert ablaufen. Dadurch können mehr Informationen im Kurzzeitgedächtnis aufgenommen und verarbeitet werden.30 In unterschiedlichen Studien wird dargestellt, dass schlechte Leser eine schlechtere Gedächtniskapazität haben und mehr Intrusions- fehler31 machen. Dies bedeutet, dass Erfolg im Arbeitsgedächtnis und bei Verstehensauf- gaben nicht nur auf der Fähigkeit beruht, ausgewählte Informationen zu erinnern, sondern auch darauf, andere relevante, aber temporär unwichtige Informationen zu unterdrücken. Somit hängen Arbeitsgedächtnisaktivitäten direkt mit dem Leseverständnis zusammen. Diese Studien belegen auch, dass Personen mit einer geringeren Gedächtnisspanne32 sich weniger Informationen aus einem Text merken können als Personen mit einer höhe- ren Gedächtnisspanne. Eine hohe Gedächtniskapazität beeinflusst demnach das Lese- verständnis positiv, da eine flexiblere Kontrolle der Prozesse und Abspeicherung der Er- gebnisse möglich ist. Da das Arbeitsgedächtnis jedoch nicht trainiert werden kann, bietet sich hier kein Ansatzpunkt für eine Fördermöglichkeit.33
Für das Lernen aus Texten hat das inhaltliche Vorwissen eine große Bedeutung. Inhaltli- che Lücken und mehrdeutige Inhalte in einem Text können durch ein bestimmtes Vorwis- sen geschlossen werden. Je größer das Wissen in einem bestimmten Bereich ist, desto vielfältiger können Elaborationen34, die einen neuen Textinhalt mit dem eigenen Vorwis- sen verbinden, sein.35 Das Vorwissen hilft dabei, neue Informationen in vorhandene Wis- sensstrukturen zu integrieren, die Aufmerksamkeit auf wichtige Informationen zu lenken und so den Text zu strukturieren. Relevante Informationen werden durch den strategi- schen Einsatz des Vorwissens identifiziert und vorausgegangene Textinformationen wer- den wieder einbezogen. Des Weiteren können durch Nutzen des Vorwissens Informatio- nen aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen und ausgetauscht werden. Das Arbeitsge- dächtnis wird durch das Vorwissen entlastet, sodass mehr Ressourcen für strategische Aktivitäten zur Verfügung stehen. Das Vorwissen ist somit für den Aufbau einer kohären- ten propositionalen Repräsentation des Textes als auch für den Aufbau eines adäquaten Situationsmodells der Textinhalte entscheidend. Dabei muss beachtet werden, dass wäh- rend des Lesens auch falsche Schemata aktiviert werden können. Dies führt dazu, dass der Leser den Text anders versteht als es vom Autor intendiert wurde. Um dies zu ver- meiden, ist es sinnvoll, das Vorwissen zu dem jeweiligen Thema vor dem Lesen des Tex- tes zu aktivieren.36
In der Wissenschaft besteht Uneinigkeit darüber, was genau unter dem Begriff „Lernstra- tegien“ zu verstehen ist. Für die vorliegende Arbeit ist entscheidend, dass Strategien er- lernt und trainiert werden können, um zu einem verbesserten Textverständnis zu gelan- gen. Aus diesem Grund ist es von Bedeutung, dass Strategien zielgerichtet und bewusst angewendet werden können und dieses Vorgehen auch dann noch im Bewusstsein bleibt, wenn es mit ansteigender Übung stärker automatisiert wird. Denn je stärker der Gebrauch von Strategien mit der Zeit automatisiert wird, desto weniger Aufmerksamkeit wird für den Prozess an sich gebraucht und desto mehr Arbeitsgedächtniskapazität bleibt für andere Prozesse übrig.37
Die Rezipienten bedienen sich beim Lesen und Verstehen bestimmter Verfahren, die Le- sestrategien genannt werden. Die Lesestrategien werden in kognitive und metakognitive38 Strategien unterteilt. Die kognitiven Strategien werden auf den Lerngegenstand selbst angewendet, um die Informationsverarbeitung zu unterstützen. Die metakognitiven Stra- tegien haben den Lernvorgang selbst zum Gegenstand.39 Die kognitiven Strategien las- sen sich in Wiederholungs-, Elaborations- und Organisationsstrategien aufgliedern.40
Wiederholungsstrategien werden eingesetzt, wenn neu Gelerntes im Arbeitsspeicher gehalten und die Informationen ins Langzeitgedächtnis übernommen werden sollen. Zu den Wiederholungsstrategien zählen zum Beispiel das mehrmalige Lesen, das Abschrei- ben, das Auswendiglernen und das laute Wiederholen von Notizen, die während des Le- sens oder nach dem Lesen angefertigt worden sind. Durch das aktive Wiederholen sind die Informationen im Arbeitsspeicher präsent und werden mit größerer Wahrscheinlichkeit ins Langzeitgedächtnis übertragen. Wiederholungsstrategien unterstützen vor allem das Behalten von Textinhalten, nicht jedoch das Verstehen. Wiederholungsstrategien sollen erst dann zum Einsatz kommen, wenn die Phasen der reduktiven und elaborativen Infor- mationsverarbeitung durchlaufen sind.41
Anhand der Elaborationsstrategien werden neue Informationen in das bestehende Wissen integriert. Die Inhalte eines Textes werden mit dem Vorwissen, mit Gefühlen und Meinun- gen, eigenen Bildern und persönlichen Einstellungen eines Lesers verknüpft und erleich- tern durch die Verbindung des Vorwissens mit den Textinhalten das Verstehen eines Tex- tes. Der Text wird somit nicht reduziert, sondern durch vorhandenes Wissen des Lesers angereichert. Zu den Elaborationsstrategien gehören zum Beispiel: Vor dem Lesen sich Gedanken zu einer Überschrift machen, für Teilabschnitte neue Überschriften finden, sich etwas bildhaft vorstellen, sich kritisch mit einem Sachverhalt auseinandersetzen, das Auf- stellen von Hypothesen und Fragen an sich selbst und den Text stellen. Elaborationen sind allerdings nur dann nützlich, wenn sie dem tieferen Textverstehen dienen. So kann es beim Elaborieren leicht passieren, dass die Gedanken des Lesers abschweifen und der Bezug zum eigentlichen Textinhalt verloren geht. Des Weiteren muss beim Anwenden von Elaborationsstrategien abgewogen werden, ob der zeitliche Mehraufwand, der auf- gewendet werden muss, dem inhaltlichen Nutzen der Elaborationen bei einer bestimmten Aufgabenstellung entspricht.42
Die Organisationsstrategien werden auch als reduktive Strategien bezeichnet. Sie zielen darauf ab, das Gelesene durch Reduktion auf das Wesentliche des Textinhaltes oder durch Vereinfachung besser zu organisieren oder zu strukturieren. Dies ist notwendig, da das Arbeitsgedächtnis nur begrenzt fähig ist, Informationen zu verarbeiten und zu integrie- ren. Des Weiteren lassen sich wichtige Informationen besser als unwichtige behalten.43 Zu den reduktiven Strategien zählen das Unterstreichen und Hervorheben von Wesentli- chem, das Vornehmen von Randbemerkungen, das Stellen oder Beantworten einfacher Fragen zum Text, das Aufzählen der wichtigsten Punkte, das Auffinden von Oberbegriffen und das prägnante Zusammenfassen von Textteilen. Das Ordnen und Organisieren kann auch durch grafische Darstellungstechniken erfolgen. Dazu gehören das farbige Markie- ren, das Clustern oder die grafische Darstellung beziehungsweise Übertragung in eine andere Form wie zum Beispiel eine Mind Map oder Concept Map.44 Ein Leser kann nur inhaltsbezogen reduzieren, ordnen und organisieren, wenn er durch sein Vorwissen über ein inhaltliches Bezugssystem verfügt, welches auf die Textvorlage anwendbar ist. Verfügt der Leser nicht über ein bestimmtes Vorwissen, dann kann er nur schwer zwischen Un- wesentlichem und Wesentlichem trennen.
Schließlich muss noch erwähnt werden, dass sich elaborative und reduktive Strategien nicht konsequent voneinander trennen lassen. Ein Beispiel dafür ist das Schreiben einer Zusammenfassung mit eigenen Worten. Das Finden von eigenen Worten ist ein elaborati- ver Vorgang, da das Gelesene mit dem Vorwissen verknüpft werden muss. Gleichzeitig wird durch das Schreiben einer Zusammenfassung aber auch die Informationsmenge reduziert. Dies stellt einen reduktiven Vorgang dar.45
Der Begriff Metakognition bezeichnet das „Denken über das Denken“ oder die „Kognition über die Kognitionen“. Der Unterschied zu anderen mentalen Prozessen besteht bei me- takognitiven Prozessen darin, dass sie sich nicht auf den Lerngegenstand, sondern auf die kognitiven Zustände oder Prozesse beziehen. Das metakognitive Wissen wird in de- klaratives metakognitives und exekutives metakognitives Wissen unterschieden. Das de- klarative metakognitive Wissen umfasst das Wissen über Gedächtnis-, Denk- und Lern- vorgänge, während das exekutive metakognitive Wissen die Steuerung und Überwachung der kognitiven Prozesse meint.46
Das deklarative metakognitive Wissen wird in Aufgaben-, Strategie- und Personenwissen unterteilt. Das Personenwissen umfasst all das Wissen, was über das eigene Denken und Gedächtnis oder über das anderer Menschen im Vergleich zu sich selbst gewusst wird und die daraus entstehenden generalisierten Annahmen.47 Ein Beispiel dafür ist: „Mor- gens kann ich mich besser konzentrieren als abends.“48 Das Wissen über das Aufgaben- wissen besteht darin, dass verschiedene Aufgaben unterschiedliche Schwierigkeitsgrade haben können und somit eine spezifische Aufgabenbearbeitung erforderlich ist. Eine Per- son, die über Aufgabenwissen verfügt, hat gelernt einzuschätzen, welche Art von Aufga- ben sie ohne Schwierigkeiten bearbeiten kann und für welche Aufgaben sie mehr Zeit benötigt. Das Strategiewissen beinhaltet das Wissen über kognitive Strategien und Pro- zesse mit dem Ziel, einen gegebenen Zustand zu verändern oder gesteckte Ziele zu er- reichen. Das Strategiewissen wird noch einmal unterteilt in einen deklarativen und einen prozeduralen Aspekt. Das deklarative Strategiewissen umfasst die Kenntnis einzelner Strategien, während das prozedurale Strategiewissen das Wissen um die konkrete An- wendung dieser Strategien bezeichnet.49 Sowohl das deklarative als auch das prozedura- le Strategiewissen sind für diese Arbeit von Bedeutung, da die Schüler zunächst neue Strategien kennenlernen und anschließend lernen, diese konkret anzuwenden.
Das exekutive metakognitive Wissen beinhaltet die Steuerung und Überwachung der kognitiven Vorgänge. Dabei werden Planungs- und Überwachungsaktivitäten unterschie- den. Die Planungsaktivitäten werden vor der Bearbeitung der Aufgabe in Gang gesetzt. Zu ihnen gehören die Einschätzung des Schwierigkeitsgrades der Aufgabe, die Vorhersa- ge der eigenen Leistung und die Entscheidung, welche Strategien eingesetzt werden sol- len. Die Überwachungsaktivitäten werden während des Lernens eingesetzt. Dabei wird überprüft, inwieweit die ausgewählte Strategie zielführend ist. Ist die Strategie nicht ziel- führend, dann muss sie nach Bedarf reguliert, das heißt, abgeändert oder neu geplant werden. Zum Schluss wird das Ergebnis der Strategieanwendung durch den Leser über- prüft und bewertet.50
Dem metakognitiven Wissen kommt beim Lesen eine große Bedeutung zu. Die Phasen des exekutiven metakognitiven Wissens lassen sich auf den Leseprozess übertragen. Beim Leseprozess sind dies die Phasen vor, während und nach dem Lesen. Vor dem Lesen plant der Leser, welche Strategien er in welcher Reihenfolge anwenden will, wie viel Zeit ihm zur Verfügung steht und wie viel Zeit er zur erfolgreichen Bearbeitung der Aufgabe benötigen wird. Während des Lesens überprüft der Rezipient zum Beispiel, wie aufmerksam er den Text liest. Nach dem Lesen evaluiert der Leser seinen Lernerfolg un- ter Berücksichtigung der Lernziele und der Aufgabenstellung. Er könnte sich fragen, ob er die wesentlichen Inhalte wiedergeben kann und wenn nicht, an welcher Stelle des Lese- prozesses er noch einmal ansetzen müsste. An dieser Stelle kann der Leser sein Verhal- ten regulieren und dem Prozess anpassen.51 Das exekutive metakognitive Wissen wird in den Lesestrategieprogrammen, die in Kapitel 2.3.1 und 2.3.2 vorgestellt werden, berück- sichtigt.
Die aktuelle Lesemotivation bezeichnet das Ausmaß des Wunsches oder der Absicht, in einer bestimmten Situation einen spezifischen Text zu lesen. Unterschiedliche Gründe spielen hierfür eine Rolle. Die Motivation wird in intrinsische und extrinsische Motivation unterschieden. Intrinsische Motivation wird als Bereitschaft definiert, eine Aktivität durch- zuführen, weil die Aktivität an sich befriedigend oder belohnend ist. Beim Lesen kann man intrinsisch motiviert sein, weil man Interesse am Thema eines Textes hat, oder aber, weil die Tätigkeit des Lesens an sich als positiv erlebt wird. Extrinsische Motivation liegt vor, wenn die Gründe für das Lesen außerhalb der Tätigkeit des Lesens selbst und außerhalb des Themas des Textes liegen. Extrinsisch motivierte Handlungen sind solche, die durch Ereignisse motiviert sind, die als Folge einer Handlung erwartet werden. So handelt es sich zum Beispiel um eine extrinsische Motivation, wenn die Lektüre eines Textes nicht unbedingt lustvoll, aber doch nützlich erscheint, weil die Inhalte für eine spätere Prüfung relevant sind.52
Die Lesemotivation beeinflusst das Leseverhalten und zwar vor allem darin, wie viel gele- sen wird. Intrinsisch motivierte Schüler lesen etwa dreimal so viel wie unmotivierte Schü- ler. Des Weiteren führt das intrinsisch motivierte Lesen zu einer tieferen Verarbeitung des Gelesenen.53 Somit scheint es plausibel, dass sich die Menge des Gelesenen letztlich auch auf die Lesekompetenz auswirkt. Wer mehr liest, erwirbt mehr Wissen, dies vergrö- ßert den Wortschatz und erleichtert damit das künftige Worterkennen. Folglich kann der Leser zunehmend schneller und flüssiger lesen, was wiederum das Arbeitsgedächtnis entlastet und somit Kapazitäten für den Einsatz von Lesestrategien schafft. Der Leser wird längerfristig ein positiveres lesebezogenes Selbstkonzept und eine günstigere Selbstwirk- samkeitserwartung entwickeln. Zusätzlich gilt es, den Einfluss und das Steuerungspoten- tial der extrinsischen Motivation zu nutzen, welche in der Regel durch die in der Schule vorgegebenen Leistungs- und Leseanforderungen definiert sind. Daraus lässt sich ablei- ten, dass die Lesemotivation nicht nur eine Bedingung, sondern ein integrativer Bestand- teil der Lesekompetenz ist.54
In Zusammenhang mit der Lesemotivation kommt dem Selbstkonzept und der Selbstwirk- samkeitserwartung eine Schlüsselrolle zu. Die wahrgenommene Selbstwirksamkeit ist gekennzeichnet durch die Erwartung, ein bestimmtes Verhalten in einem bestimmten Auf- gabenbereich ausführen zu können. Damit ist die subjektive Überzeugung gemeint, be- stimmte Aufgaben und Probleme auf Grund eigener Kompetenzen erfolgreich bearbeiten zu können. Diese Einschätzungen basieren auf vorangegangenen Lernerfahrungen wie zum Beispiel der erreichten Lernleistung, der Aufgabenschwierigkeit, der dabei aufge- wendeten Anstrengung, der Leistung, die andere in derselben Aufgabe erreichen oder auch der Hilfe, die man von anderen benötigt.55 In Bezug auf das Lesen sind die individu- ellen Ursachenzuschreibungen für die ersten Leseerfolge oder Lesemisserfolge von Be- deutung. Die meisten Kinder und Jugendlichen neigen in der Regel dazu, ihre eigenen Fähigkeiten glücklicherweise optimistisch einzuschätzen und die Ursachenzuschreibung für Erfolge und Misserfolge selbstwertdienlich zu verzerren. Trotzdem kann es bei häufi- gen Misserfolgserlebnissen dazu kommen, dass das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sinkt und ein ungünstiges Selbstkonzept ausgebildet wird. Dies wiederum kann zur Folge haben, dass Lesesituationen zukünftig gemieden werden. Hingegen entsteht ein günsti- ges lesebezogenes Selbstkonzept nach Erfolgserlebnissen beim Lesen. Aufgrund positi- ver Leseerfahrungen entsteht eine positive Selbstwirksamkeitserwartung bezüglich des Lesens.56 Dieses zeigt sich zum Beispiel in folgender Äußerung: „Wenn ich mich anstren- ge, kann ich auch schwierige Texte im Unterricht verstehen.“57 Aus dieser Erwartung kann nach einem Leseerfolg die folgende Überzeugung werden: „Ich bin sicher, dass ich auch die schwierigsten Texte verstehen kann.“58 Diese Selbstwirksamkeitsüberzeugungen sind motivierend und lernförderlich, weil sie dazu führen, dass schwierige Texte eher als Her- ausforderung und nicht als Bedrohung gesehen werden.
Die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses, Vorwissen, Strategien, Metakognition und Moti- vation sind für die Lesekompetenz einer Person von großer Bedeutung. Das Arbeitsge- dächtnis ist für die Verarbeitung und Speicherung von Informationen zuständig, durch Störungen in diesem Bereich kann der Leseprozess beeinträchtigt werden. Ein gewisses Maß an Vorwissen ist die Bedingung dafür, dass ein Text verstanden werden kann. Das Verstehen und Behalten der Textinhalte lässt sich durch den Einsatz von Strategien verbessern. Durch exekutives metakognitives Wissen wird der Leseprozess geplant, über- prüft und gegebenenfalls geändert. Motivationale Konzepte haben einen Einfluss auf die Leseleistung. Die genannten Faktoren beeinflussen sich gegenseitig. So kann durch ei- nen intensiven Strategieeinsatz bei der Bearbeitung eines neuen Themas ein geringes Vorwissen ausgeglichen werden. Wann welche Strategien eingesetzt werden, wird durch die Metakognition gesteuert. Das Arbeitsgedächtnis wird durch den Einsatz von Strate- gien entlastet. Ist die Motivation einen Text zu lesen gering, nimmt auch die Bereitschaft zum Strategieeinsatz ab.59
Nachdem in Abschnitt 2.2 die Voraussetzungen beschrieben worden sind, die für den Leseprozess entscheidend sind, wird es im Folgenden darum gehen, wie sich die Lese- kompetenz verbessern lässt. Da sich das Arbeitsgedächtnis selbst durch intensives Trai- ning nicht verändern und sich das Vorwissen nur in einem bestimmten Wissensbereich anreichern lässt, bieten sich diese beiden Faktoren nicht zur Förderung der Lesekompe- tenz an. Da Strategien und Metakognition dagegen gut trainierbar sind und sich nicht auf bestimmte Wissensbereiche beschränken, wird das Augenmerk in dieser Arbeit auf diese beiden Faktoren und zusätzlich auf die Motivation gelegt, da diese von der Lehrkraft gut beeinflussbar ist. Im Folgenden werden kurz unterschiedliche Lesestrategieprogramme vorgestellt und genauer auf das Lesestrategieprogramm „Wir werden Textdetektive“60 eingegangen, welches die Grundlage zur Förderung und Verbesserung der Lesekompetenz der Schüler der Klasse 501 bildet.
Bei Lesestrategieprogrammen handelt es sich um zusammengesetzte Fördermaßnahmen, bei denen mehrere Strategien kombiniert und mitunter durch spezifische instruktionale oder motivationsfördernde Elemente ergänzt werden.
Die SQ3R-Methode stellt eine der ältesten und auch der bekanntesten Methoden für den Umgang mit Lesestrategien dar. Für die Bearbeitung von Texten werden fünf Schritte empfohlen: 1. „Survey“: Sich einen Überblick über den ganzen Text verschaffen, um so einen groben Zusammenhang und den Gesamtrahmen zu erkennen. 2. „Question“: For- mulieren von Fragen an den Text auf Grundlage des gewonnenen Überblicks und des Vorwissens zum Thema. 3. „Read“: Den Text abschnittsweise lesen und durcharbeiten. 4. „Recite“: Die zuvor gestellten Fragen mit eigenen Worten beantworten, um so die eigene Verstehensleistung zu überprüfen. 5. „Review“: Das Gedächtnis wird überprüft, indem die ersten vier Schritte nochmals gedanklich mit dem Ziel des Gesamtüberblicks wiederholt werden.61
In der PQ4R-Methode wurde „Survey“ durch „Preview“ ersetzt, um die Voraktivitäten stär- ker zu betonen. „Preview“ bedeutet, den Text zu überfliegen und dabei Abschnitte festzu- legen, die als Einheit gelesen werden können. Außerdem wurde ein weiteres R, nämlich die Aktivität „Reflect“ ergänzt. „Reflect“ wurde zwischen die Aktivitäten „Read“ und „Reci- te“ eingefügt. Mit „Reflect“ verbindet sich die Aufforderung, während des Lesens über den Text nachzudenken, das Verstehen zu überprüfen, eigene Beispiele zu finden und den Inhalt auf das eigene Wissen zu beziehen. Die anderen Aktivitäten sind gleich geblie- ben.62
Das Reciprocal Teaching stellt einen Klassiker unter den strategieorientierten Konzepten zur Förderung des Leseverständnisses dar. Die Schüler bearbeiten die Texte unter Nut- zung der folgenden vier Strategien: 1. Textabschnitte zusammenfassen, 2. Fragen zu den Textabschnitten stellen, 3. Wortbedeutungen und unklare Textstellen klären und 4. Vor- hersagen zu dem nächsten Textabschnitt treffen. Die Besonderheit des Reciprocal Tea- ching liegt darin, dass zunächst die Lehrperson explizit und modellhaft die Strategien vermittelt, die Anwendung sukzessive aber auf die Schüler übertragen wird.63
Im Strategieprogramm „Wir werden Textdetektive“ werden Lesestrategien in Verbindung mit Strategien zur motivationalen und kognitiven Selbstregulation vermittelt. Dieses Pro- gramm zeichnet sich dadurch aus, dass es zum einen durch mehrere groß angelegte Schulleistungsuntersuchungen empirische Ergebnisse geliefert hat, in denen der Erfolg des Programms zur Förderung der Lesekompetenz nachgewiesen worden ist. Zum ande- ren sind in diesem Konzept viele einzelne Lesestrategien, die bereits in anderen Leseför- derungsansätzen erprobt worden sind, in einer Förderreihe zusammengefasst worden. Das Unterrichtsprogramm ist für Schüler der 5. und 6. Klasse entwickelt worden und um- fasst 14 Lerneinheiten (circa 28 Unterrichtsstunden). Die 14 Lerneinheiten lassen sich in die drei inhaltlichen Bereiche „Motivationale Selbstregulation“, „Kognitive und metakogniti- ve Lesestrategien“ und „Kognitive Selbstregulation“ aufgliedern. Diese Bausteine werden im Folgenden näher beschrieben.64
Zunächst werden allgemeine Strategien der motivationalen Selbstregulation eingeführt und gefördert. Sie bilden die Grundlage für die Vermittlung der kognitiven und metakogni- tiven Lesestrategien, da sie eine erfolgszuversichtliche Einstellung zum Lernen bewirken sollen. Bei der motivationalen Selbstregulation geht es um die Auseinandersetzung mit dem eigenen Zielsetzungsverhalten und mit der Bewertung der eigenen Leistung. Die Schüler sollen lernen, sich realistische Ziele zu setzen. Ein Ziel ist realistisch, wenn es dem individuellen Leistungsvermögen entspricht. Dabei ist wichtig, dass das realistische Ziel eine mittlere Schwierigkeit aufweist, das bedeutet, das Ziel ist weder zu leicht noch zu schwer, so dass ein Erfolg möglich, aber nicht völlig sicher ist. Denn leichte Ziele führen nur zu einem kleinen Erfolg, der wenig oder gar keine Freude bereitet, während schwere Zielsetzungen häufig zu Misserfolgen führen können. Erreicht man allerdings sein realisti- sches Ziel, so lässt sich dieser Erfolg auf die eigene Anstrengung zurückführen.65 Wichtig ist dabei, dass sich die Schüler selbst als Ursache für Erfolg und Misserfolg erleben und bewusst erfahren, dass eigene Anstrengung sich lohnt. Erleben die Schüler in Leistungs- situationen einen Misserfolg, sollen sie dies auf die eigene mangelnde Anstrengung zu- rückführen. Kennzeichnend für das Trainingsprogramm ist an dieser Stelle, dass die Moti- vationsförderung nicht an lesebezogenen Materialien, sondern spielerisch an schul- und lesefernem Material ansetzt. Es wird erwartet, dass über eine spielerische Vorgehenswei- se an schulfernem Material das Leistungsmotiv besser gefördert werden kann. Das Trai- ningsprogramm sieht ein Ringwurfspiel zur Förderung des Leistungsmotivs vor.66 Anstelle des Ringwurfspiels ist von mir ein Ballwurfspiel durchgeführt worden, um dem Alter der Schüler eher gerecht zu werden. Die Aufgabe besteht darin, einen Eimer mit einem Ball aus einer bestimmten Entfernung zu treffen. Je nach Entfernung zum Eimer variiert die Punktzahl, die man für einen Treffer erhält. Je näher man am Eimer steht, desto geringer ist die Punktzahl. Die Schüler wählen die Entfernung für ihre Wurfposition selbst und ler- nen im Verlauf mehrerer Spieldurchgänge, sich an der eigenen Leistungsentwicklung zu orientieren und sich realistische Ziele zu setzen.67 Im Anschluss ist von mir ein Rechen- spiel durchgeführt worden, um die motivationale Selbstregulation weiter zu üben und auf ein schulisches Thema zu übertragen. Die Schüler müssen einschätzen, wie viele Re- chenaufgaben sie in einer bestimmten Zeit unter Zeitdruck richtig lösen werden. Bei der späteren Vermittlung der kognitiven und metakognitiven Lesestrategien wird auf die in den beiden Spielen eingeübten motivationalen Prinzipien zurückgegriffen. Im Trainingsprogramm „Wir werden Textdetektive“ werden insgesamt sieben Lesestrate- gien vermittelt und geübt. Dabei handelt es sich um zwei elaborative, zwei organisierende und drei metakognitive Strategien. Das Trainingsprogramm beginnt mit den beiden elabo- rativen Strategien „Überschrift beachten“ und „Bildlich vorstellen“. Diese beiden Metho- den68 gehören zu den sogenannten Verstehensstrategien und sollen dazu beitragen, die in einem Text enthaltenen Informationen mit dem Vorwissen des Rezipienten zu verbin- den. Dadurch wird ein tieferes Textverständnis ermöglicht. Die Schüler üben mittels Text- überschriften, den nachfolgenden Textinhalt zu antizipieren. Durch das „Bildlich vorstel- len“ wird der Textinhalt mit eigenen Vorstellungen angereichert. Unterschieden wird beim „Bildlich vorstellen“ in dem Trainingsprogramm nach Geschichten und Sachtexten. Da in der Bautechnik im Lernfeldunterricht nur Sachtexte verwendet werden, ist es bei dieser Methode hilfreich, sich ein Bild aufzumalen oder sich einen baulichen Ablauf bildlich vor- zustellen. Gerade bei schwierigen Texten ist diese Methode sinnvoll, da sie dazu anhält, den Text langsamer, aufmerksamer und damit gründlicher zu lesen. Anschließend werden die beiden metakognitiven Strategien „Umgang mit Textschwierigkeiten“ und „Verstehen überprüfen“ eingeführt und geübt. Diese beiden Strategien gehören auch zu den Verste- hensstrategien. Schüler stoßen beim Lesen immer wieder auf Textschwierigkeiten. Aus diesem Grund geht es bei der Methode „Umgang mit Textschwierigkeiten“ um das Ein- üben einer Vorgehensweise zur Identifikation und Erarbeitung von unbekannten Begriffen oder schwierigen Textstellen. Dabei ist es wichtig, dass die Problemstelle nicht überlesen wird, sondern das Wort oder die Textpassage markiert und eine allgemeine Routine zur Problemlösung angewendet wird. Dazu erarbeiten sich die Schüler zunächst gemeinsam verschiedene Lösungsmöglichkeiten (zum Beispiel bei unbekannten Wörtern Jemanden fragen, ein Lexikon oder Wörterbuch benutzen, im Text nach Informationen suchen, die das Wort erklären oder umschreiben). Später wählen sie bei einer Textschwierigkeit die beste Lösungsalternative aus und wenden diese selbstständig an. Diese metakognitive Strategie unterstützt die Fähigkeit, das eigene Lernverhalten zu steuern, zu überprüfen und zu regulieren. Der Einsatz der Methode hilft den Schülern, Textprobleme selbststän- dig zu bearbeiten und zu lösen. Der Einsatz der Methode „Verstehen überprüfen“ soll den Schülern helfen, den Leseprozess zu überwachen und unter Umständen das Lesetempo etwaigen Textschwierigkeiten anzupassen. Nachdem ein Abschnitt gelesen worden ist, stellen sich die Schüler selbst Verstehensfragen zum Text und beantworten diese. Es erfolgt eine selbstverantwortliche Form der Ergebniskontrolle, da die Schüler selbst über- prüfen, ob sie das Gelesene verstanden haben und ob der Inhalt schlüssig ist. Im weiteren Verlauf des Strategietrainingsprogramms lernen die Schüler drei Behaltens- methoden kennen: „Wichtiges unterstreichen“, „Wichtiges zusammenfassen“ und „Behal- ten überprüfen“. Während die beiden Methoden „Überschrift beachten“ und „Bildlich vor- stellen“ zu den elaborativen Strategien gehören, handelt es sich bei den Methoden „Wich- tiges unterstreichen“ und „Wichtiges zusammenfassen“ um reduktiv-organisierende oder ordnende Lesestrategien. Sie dienen durch eine Textverdichtung und Textvereinfachung dem leichteren Behalten von Informationen. Die Schüler üben mit diesen Methoden, die Kernaussagen eines Textes zu erkennen, zu markieren und in prägnanter Form in eigene Worte zu fassen oder grafisch darzustellen. Beim „Behalten überprüfen“ handelt es sich
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1 Unter der Ausbildungsreife wird die Beherrschung der elementaren Kulturtechniken wie Lesen, Rechnen und Schreiben verstanden.
2 Vergleiche Tagesspiegel vom 04.03.2010.
3 Vergleiche Die Welt vom 09.04.2010.
4 Das PISA-Konsortium zählt Schüler, deren Leistungsniveau beim Lesen die Kompetenzstufe 1 ist, zur Risikogruppe.
5 PISA ist die Abkürzung für Programme for International Student Assessment.
6 OECD ist die Abkürzung für Organisation for Economic Co-Operation and Development.
7 Vergleiche Schaffner 2009, Seite 19.
8 Zum besseren Textverständnis wird in dieser Arbeit bei einem Personenbezug ausschließlich die männliche Form verwendet.
9 Die Lesekompetenzstufen werden in Kapitel 3.2.2 unter Methodenkompetenz beschrieben.
10 Vergleiche Prenzel, Artelt, Baumert, Blum, Hammann, Klieme, Pekrun 2008, Seite 170.
11 Vergleiche Schaffner 2009, Seite 19.
12 Der Begriff der Metakognition wird in Kapitel 2.2.4 näher erläutert.
13 Vergleiche Bundesministerium für Bildung und Forschung 2005, Seite 11.
14 Kohärenz gibt in der Linguistik an, in welcher Weise der Text inhaltlich zusammenhängt.
15 Mit dem Ausdruck Proposition bezeichnet man in der Linguistik den durch einen Satz ausgedrückten Sachverhalt.
16 Superstrukturen beschreiben die Ordnung und den Aufbau von Texten (zum Beispiel Kurz- geschichten, Novellen, Forschungsberichte, Diplomarbeiten).
17 Vergleiche Mokhlesgerami 2004, Seite 5 - 8.
18 Vergleiche Trenk-Hinterberger 2006, Seite 5.
19 Vergleiche König 2009, Seite 13.
20 Vergleiche Frauen, Johannsen, Möller, Ramm, Riecke-Baulecke, Wack, Wietzke 2007, Seite 23 - 25.
21 Nähere Ausführungen finden sich in Kapitel 3.2.2 unter Methodenkompetenz.
22 Vergleiche Trenk-Hinterberger 2006, Seite 6 - 7.
23 Die Produkte des Leseprozesses sind in Kapitel 8.4 dargestellt.
24 Vergleiche Kapitel 3.2.2, dort wird unter Methodenkompetenz beschrieben, inwieweit die Schüler über ein Leseverständnis verfügen, und Tabelle 9, dort wird angegeben, über welches Leseverständnis die Schüler nach der Unterrichtseinheit verfügen.
25 Vergleiche König 2009, Seite 18.
26 Damit ist der Prozess der Suche nach einem geschriebenen Wort im Langzeitgedächtnis gemeint.
27 Darunter wird die Aktivierung relevanter Wissensstrukturen während der Textverarbeitung verstanden.
28 Dies beschreibt die Extraktion und Verknüpfung von Propositionen im Arbeitsgedächtnis.
29 Vergleiche Schreblowski 2004, Seite 21.
30 Vergleiche König 2009, Seite 18.
31 Ein Beispiel für einen Intrusionsfehler ist, wenn reproduzierte Wörter, die nicht abgerufen werden sollen, in Reproduktionsaufgaben festgestellt werden.
32 Die Gedächtnisspanne gilt als Maß für die Arbeitsgedächtniskapazität.
33 Vergleiche Schreblowski 2004, Seite 21 - 22.
34 Unter Elaboration wird in der Psychologie die vertiefte Informationsverarbeitung verstanden.
35 Vergleiche Schreblowski 2004, Seite 22.
36 Vergleiche König 2009, Seite 22 - 23.
37 Vergleiche Schreblowski 2004, Seite 25 - 26.
38 Nähere Ausführungen erfolgen in Kapitel 2.2.4.
39 Vergleiche Mokhlesgerami 2004, Seite 35 - 36.
40 Vergleiche Schreblowski 2004, Seite 27.
41 Vergleiche Gold 2010, Seite 51.
42 Vergleiche Schreblowski 2004, Seite 27 - 28.
43 Vergleiche Schreblowski 2004, Seite 27 - 28.
44 Vergleiche Baurmann 2009, Seite 46 - 47.
45 Vergleiche Schreblowski 2004, Seite 28.
46 Vergleiche Mokhlesgerami 2004, Seite 46.
47 Vergleiche Mokhlesgerami 2004, Seite 47.
48 Mokhlesgerami 2004, Seite 47.
49 Vergleiche Mokhlesgerami 2004, Seite 47.
50 Vergleiche Mokhlesgerami 2004, Seite 48.
51 Vergleiche Schreblowski 2004, Seite 33.
52 Vergleiche Bundesministerium für Bildung und Forschung 2005, Seite 19.
53 Vergleiche König 2009, Seite 26.
54 Vergleiche Gold 2010, Seite 44 - 45.
55 Vergleiche Mokhlesgerami 2004, Seite 63 - 64.
56 Vergleiche Gold 2010, Seite 42 - 43.
57 Trenk-Hinterberger 2006, Seite 271.
58 Gold 2010, Seite 43.
59 Vergleiche Schreblowski 2004, Seite 39.
60 Das Lesestrategieprogramm wird dem Alter der Schüler angepasst. Es wird bei der Vermittlung der unterschiedlichen Methoden zum Beispiel nicht von Detektivmethoden sondern nur von Methoden gesprochen.
61 Vergleiche Rosebrock, Nix 2008, Seite 61.
62 Vergleiche Rosebrock, Nix 2008, Seite 61.
63 Vergleiche Rosebrock, Nix 2008, Seite 66 - 67.
64 Vergleiche Gold, Trenk-Hinterberger, Souvignier 2009, Seite 211.
65 Vergleiche Gold, Mokhlesgerami, Rühl, Schreblowski, Souvignier 2006, Seite 12.
66 Vergleiche Gold, Trenk-Hinterberger, Souvignier 2009, Seite 211 - 213.
67 Vergleiche Schreblowski 2004, Seite 151.
68 Die Begriffe „Methode“ und „Strategie“ werden synonym verwendet, da unter beiden Begriffen