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Diplomarbeit, 2009
105 Seiten, Note: 1,3
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretische Grundlagen zur Informationsverarbeitung von Konsumenten
2.1 Modales Modell als theoretische Grundlage für Informationsverarbeitungsprozesse
2.2 Steuerungsprozesse im Rahmen der Informationsverarbeitungsprozesse
2.3 Theoretische Grundlagen visueller Informationsverarbeitung
3. Interdependenz zwischen Blickverhalten und Informationsverarbeitungsprozessen
3.1 Anatomie des Auges und physiologische Grundlagen des Sehprozesses
3.2 Aufbau und Funktion visueller Areale im Gehirn
3.3 Zusammenhang zwischen Augenbewegungen und Informationsverarbeitungsprozessen
3.4 Zusammenhang zwischen Fixation und Informationsverarbeitungsprozessen
3.5 Unbewusste Prozesse in Zusammenhang mit visueller Informationsverarbeitung
3.6 Parameter der Blickregistrierung
3.6.1 Parameter der Sakkaden
3.6.2 Parameter der Fixationen
4. Messung des Blickverhaltens und allgemeine Anforderung an die Gütekriterien der Messmethoden
4.1 Allgemeine Anforderungen an Blickregistrierungssysteme
4.2 Okulometrische Messmethoden zur Erfassung des Blickverhaltens von Konsumenten
4.3 Allgemeine Anforderungen an Gütekriterien im Rahmen der Blickbewegungsregistrierung
4.4 Konzeption von Eye-Tracking-Experimenten - Methodische Anforderungen an Feld - und Laborexperimente
5. Interferenz zwischen Blickverhalten und Werbewirkung: Erkenntnisse aus der verhaltenswissenschaftlichen Marketingforschung und Implikationen für die Praxis
6. Anhang
6.1 Kinematik von Augenbewegungen
6.2 Empfehlenswerte Eye-Tracker und verschiedene Software-Systeme
7. Schlussteil
Quellenangaben
Abbildung 1: Modales Modell
Abbildung 2: Anatomie des Auges
Abbildung 3: Sehnervenkreuzung
Abbildung 4: Gehirnareale
Abbildung 5: Blickaufzeichnungen in Abhängigkeit unterschiedlicher Aufgabenstellungen .
Abbildung 6: Achsen und Blickrichtung im Zusammenhang
Abbildung 7: Fixationsdauer als Indikator der Ebenen der Informationsverarbeitung
Abbildung 8: Fixationen bei einfachen Texten
Abbildung 9: Fixationen bei schwierigen Texten
Abbildung 10: Unterschiede in der Polarität der Elektroden in drei Blickpositionen
Abbildung 11: Geometrie der Cornea- und Pupillenreflektion
Abbildung 12: Bright Pupil Effect
Abbildung 13: Dark Pupil Effect
Abbildung 14: Fixationshäufigkeiten von Gesamtanzeige, Text- und Bildteil in Abhängigkeit von der Emotionsintensität des Bildelementes
Abbildung 15: Lage der Drehachsen des Auges
Tabelle 1: Aufgabenstellung und Bildzuordnug bezüglich Abbildung 5
Tabelle 2: Aktivitäten der Informationsaufnahme während einer Fixation
Tabelle 3: Sakkadenanzahl
Tabelle 4: Sakkaden pro Zeiteinheit
Tabelle 5: Sakkadendauer
Tabelle 6: kumulierte Übergangszeit
Tabelle 7: Sakkadenlatenz
Tabelle 8: Sakkadenweite/-höhe/-länge
Tabelle 9: Sakkadengeschwindigkeit
Tabelle 10: Fixationsanzahl
Tabelle 11: relative Fixationshäufigkeit
Tabelle 12: Fixation pro Zeiteinheit
Tabelle 13: Fixationsdauer
Tabelle 14: kumulierte Fixationsdauer
Tabelle 15: Fixationsort
Tabelle 16: Ort der ersten Fixation/Initialfixation
Tabelle 17: kumulierte Fixationsdauer (zeitlich und örtlich)
Tabelle 18: Entscheidungskriterien zur Wahl einer geeigneten Messmethode
Tabelle 19: Klassifikation unterschiedlicher Blickregistrierungsverfahren
Tabelle 20: Störfaktoren der internen und externen Validität
Tabelle 21: mögliche Durchführung einer Eye-Tracking-Feldstudie
Tabelle 22: mögliche Durchführung einer Eye-Tracking-Laborstudie
Tabelle 23: mögliche Hypothesen und Erkenntnisse bei einer Print-Anzeigenwerbung
Tabelle 24: mögliche Erkenntnisse von Eye-Tracking-Studien am Point of Sale
Tabelle 25: mögliche Erkenntnisse eines Eye-Tracking-Experiments bei einer Internetanzeigenwerbung
Tabelle 26: Eye Tracking Hardware der Firma Tobii Technology
Tabelle 27: Eye Tracking Software der Firma Tobii Technology
Tabelle 28: Eye Tracking Hard- und Software der Firma SensoMotoric Instruments (SIM)..
Im Zuge des stetig ansteigenden Wettbewerbsdrucks gewinnt die visuelle Informationsauf- nahme für ein Unternehmen immer mehr an Bedeutung. Aufgrund der immer stärker werden- den Informationsflut, der ein Konsumenten gerade auf visueller Ebene, täglich ausgesetzt ist, kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass dieser alle ihm dargebotenen Reize in glei- cher Weise aufnimmt und die Intension einer Werbebotschaft wahrnimmt und verarbeitet. Daher ist es für das Marketing von besonderer Relevanz zu erfahren, worauf sich die unbe- wussten Augen- und Blickbewegungen richten. Die Eye-Tracking-Analysemethode ist zur Erfassung des Blickverhaltens hervorragend geeignet und nimmt in der heutigen Zeit einen immer bedeutenderen Stellenwert ein. Die visuelle Informationsaufnahme lässt sich mittels vieler verschiedener Blickregistrierungsverfahren (Eye-Tracking-Methoden), die in Kapitel 4 nähere erläutert werden, bestimmen. Die Blickbewegungsforschung „.(.) versucht, die Zu- sammenhänge zwischen Augenbewegungen und neurologischen Verarbeitungsprozessen im Gehirn aus kognitionspsychologischer Perspektive nachzuvollziehen“ (vgl. Hesse, e-teaching 24.05.09). Sie ist besonders geeignet, um die dem Konsumenten unbewussten Blickverläufe aufzuzeichnen und zu analysieren. Ohne die Messung der Blickaufzeichnung ist es nicht mög- lich, die Frage ob und inwieweit visuelle Informationen vom Betrachter (bewusst oder unbe- wusst) bemerkt und schließlich aufgenommen werden, zu beantworten (vgl. Kroeber-Riel, Weinberg und Gröppel-Klein 2008, S.319). Ebenso gibt Kapitel 4 allgemein Auskunft über die Gütekriterien sowie die Anforderungen, die an ein solches Blickregistrierungssystem ge- stellt werden. Das Eye-Tracking ist ein Verfahren, das den nonverbalen Messmethoden ange- hört. Durch die Analyse der Augenbewegungen gibt das Messverfahren Aufschluss über In- formationsverarbeitungsprozesse der kognitiven Ebene (vgl. Leven 1991, S. 14). Weiterhin ermöglicht das Eye-Tracking die Erfassung der Wahrnehmung visueller Objekte. Mit diesem Messverfahren kann bspw. festgestellt werden, wie und vor allem wie lange ein Sehobjekt betrachtet wird. Zum Verständnis dieser komplexen visuellen Verarbeitungsprozesse liefert Kapitel 2 einen umfassenden Abriss über die darauf Einfluss nehmenden Faktoren wie Stim- mung, Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. Gleichzeitig dient dieses Kapitel dazu, allgemei- ne theoretische Grundlagen hinsichtlich der Informationsverarbeitungsprozesse zu verdeutli- chen. Bevor jedoch die Vorstellung unterschiedlicher Registrierungsmethoden in Kapitel 4 erfolgt, ist es zu deren Verständnis notwendig eine detaillierte Beschreibung bezüglich Ana- tomie des Auges, Aufbau visueller Gehirnareale, Augenbewegungen im Allgemeinen und deren Parameter darzustellen. Diese bedeutenden theoretischen Grundlagen liefert Kapitel 3.
Der letzte Abschnitt der Arbeit (vgl. Kapitel 5) soll in knapper Form die Erkenntnisse aus Blickverhalten und Werbewirkung darstellen sowie Anleitungen zu Marketingempfehlungen geben. Für ein Unternehmen ist es maßgebend, wie sich der Blickverlauf eines Konsumenten bezüglich seiner Anzeige bzw. seiner Regalanordnung am Point of Sale (PoS) verhält. Ent- scheidend ist bspw. ob ein Bild- oder ein Textelement verstärkt visuell aufgenommen wird oder ob sich ein Produkt in einer Hot oder Cold Zone im Warenregal befindet. Einen immer größeren Stellenwert nimmt die (interaktive) Internetanzeigenwerbung ein. Obwohl die heuti- ge Forschung bereits vielfältige Möglichkeiten bietet, all diese Faktoren zu überprüfen, ist es dennoch notwendig die Ergebnisse kritisch zu betrachten, da einige Bereiche gerade im Hin- blick auf die visuellen Informationsverarbeitungsprozesse und der damit einhergehenden Un- tersuchungen hinsichtlich der Augen- und Blickbewegungen noch einen hohen Forschungs- bedarf aufweisen. Dieser Bedarf richtet sich vor allem auf den Bereich der unbewussten visu- ellen Prozesse und deren Verarbeitung (vgl. Kapitel 3).
Für das spätere Verständnis der Blickregistrierung ist es notwenig elementare Grundlagen der kognitiven Prozesse im Menschen zu erläutern.
Kognitive Prozesse untergliedern sich in die Vorgänge Informationsaufnahme, Informations- verarbeitung und Informationsspeicherung. Das über viele Jahrzehnte in der Gedächtnisfor- schung angewandte Dreispeichermodell, das von Atkinson und Shiffrin (1968, 1971) entwi- ckelt wurde, gliedert sich in die Einheiten „sensorischer Speicher“, „Kurzzeitspeicher“ und „Langzeitspeicher“. Dieses Modell mit seinen Einteilungen wird jedoch mittlerweile als über- holt angesehen, da nicht mehr davon auszugehen ist, dass die Stufen der Informationsverar- beitungsprozesse strikt nach diesem Schema ablaufen. Vielmehr nimmt man eine starke Inter- aktion zwischen den jeweiligen Gedächtniseinheiten an. In der modernen Forschung wird mittlerweile die Begrifflichkeit „modales Modell“ verwendet. Daher wird in Anlehnung an Buchner und Brandt (2008, S.430) das heute gebräuchliche modale Modell als Grundlage für Informationsverarbeitungsprozesse erläutert (vgl. Abb. 1). Dieses Modell stellt die Zusam- menhänge zwischen Blickverhalten und psychischen Verarbeitungsprozesse in verständlicher Weise dar. Des Weiteren soll die ausführliche Beschreibung der Informationsverarbeitungs- prozesse dem späteren Verständnis der Informationsverarbeitung beim Betrachten von Wer- beanzeigen dienen, auf die in Kapitel 5 näher eingegangen wird. Das modale Gedächtnismodell setzt einen besonderen Fokus auf die Informationsverarbeitungsphase, wodurch verdeutlicht wird, dass diese aufgrund der Differenziertheit einzelner Gedächtnisaufgaben stark variieren kann (vgl. Kroeber-Riel et al., 2008 S.275).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Modales Modell
Quelle: Buchner und Brandt 2008, S. 430
Aus Abbildung 1 wird ersichtlich, dass das angewandte modale Gedächtnismodell drei Ein- heiten unterscheidet, die miteinander in interaktiver Wechselwirkung stehen. Sie unterglie- dern sich in „sensorisches Register“, „Arbeitsgedächtnis“ und „Langzeitgedächtnis“ (vgl. Buchner und Brandt 2008, S. 430). Grundsätzlich ist es von großer Bedeutung, ob bspw. eine Werbebotschaft für alle Zeit in Erinnerung bleibt oder ob sie bereits nach kurzer Zeit wieder in Vergessenheit gerät. Es wird davon ausgegangen, dass wenn sich ein Konsument ein Leben lang an eine Werbebotschaft erinnert, die Informationen bezüglich dieser im Langzeitge- dächtnis gespeichert wurden, während kurzzeitiges Wissen wie bspw. das Eintippen einer Telefonnummer dem Arbeitsgedächtnis zugesprochen wird (vgl. Kroeber-Riel et al. 2008, S.276).
Das sensorische Register, auch sensorisches Gedächtnis genannt, zeichnet sich durch eine sehr große Aufnahmekapazität sowie einer sehr kurze Bereithaltung (wenige hundert Millise- kunden) reizspezifischer Informationen aus. Seine Aufgabe liegt in der Auswahl, der Interpre- tation und der Verknüpfung aufgenommener Reize. Der Ausdruck „sensorisches Register“ dient als Sammelbegriff für alle Sinnesarten. In Zusammenhang mit der visuellen Sinnesmo- dalität spricht man vom „ikonischen Gedächtnis“, während in Verbindung mit der akustischen Wahrnehmung vom „Echogedächtnis“ die Rede ist. Bereits Neisser (1974, S. 254f. und S. 30ff.) verwendete diese Terminologie. Bezogen auf die visuelle Reizverarbeitung können die Vorgänge des sensorischen Registers mit einer Art „Abtasten der Umgebung mit dem Auge“ gleichgesetzt werden. Die visuell aufgenommenen Reize werden in bioelektrische Impulse umgewandelt um dann weiterverarbeitet werden zu können. Für die Weiterverarbeitung ist die kurzzeitige Informationsspeicherung im sensorischen Gedächtnis grundlegende Vorausset- zung. Weiterhin bietet das sensorische Gedächtnis die Möglichkeit nacheinander aufgenom- men Reize zeitlich gemeinsam zu verarbeiten und zu einem Gesamtbild zusammenzufassen (vgl. Kroeber-Riel et al. 2008, S.276). Nach neusten Erkenntnissen kommen Buchner und Brandt (2008, S. 430) zu dem Schluss, dass das sensorische Gedächtnis die „Brücke zwischen Wahrnehmung und dem, was eher einer konventionellen Vorstellung von Gedächtnis ent- spricht“ bildet.
Das Arbeitsged ä chtnis greift auf die Sinneseindrücke des sensorischen Registers zurück und übernimmt für einen ausgewählten Teil an Informationen die Weiterverarbeitung. Diese In- formationsselektion hängt vom Aktivierungspotential ab. Das Arbeitsgedächtnis ist durch eine begrenzte Aufnahmekapazität gekennzeichnet. Ihm werden weiterhin zwei Funktionen zuteil. Einerseits werden Informationen kurzzeitig gespeichert um sie für die Verarbeitung bereitzu- halten, andererseits erfolgt eine aktive Verarbeitung eingegangener Informationen (vgl. Kro- eber-Riel et al. 2008, S.276). Nach Baddeley (2000) gliedert sich das Arbeitsgedächtnis in „zentrale Exekutive“, „phonologische Schleife“, „ visuell-räumlicher Notizblock“ und „episodischer Puffer“ (vgl. Baddeley 2000, S. 421).
Eine Differenzierung zwischen phonologischer Schleife und visuell-räumlichem Notizblock (visuell-räumliches System) erfolgt einerseits aufgrund neurologischer Erkenntnisse, die An- lass zur Annahme eines eigenständigen Bild - Sprachsystem im Gehirn geben. Andererseits infolge offensichtlicher Untersuchungsergebnisse, die verdeutlichten, dass „verbale Gedächt- nisleistungen (…) stärker durch verbale Zusatzaufgaben (…) als durch visuelle Zusatzaufga- ben (…) gestört werden“ (vgl. Buchner und Brandt 2008, S. 454). Bezüglich des visuell- räumlichen Systems wurden umgekehrte Ergebnisse festgestellt (vgl. Kroeber-Riel et al. 2008, S.286).
In der phonologischen Schleife erfolgt eine Verarbeitung akustischer und verbaler Informati- onen. Visuelle Reize werden beispielsweise beim Lesen in einen „artikulatorischen Kode“ umgewandelt und ebenfalls gespeichert. Der visuell-räumliche Notizblock dient dazu visuelle Wahrnehmungen sowie Vorstellungen zu verarbeiten (vgl. Buchner und Brandt 2008, S. 454). Das visuell-räumliche System kann mit der Imagerytheorie, auf die in Kapitel 2.3 näher eingegangen wird, in Zusammenhang gebracht werden.
Die Funktionsweise des episodischen Puffers liegt darin, Informationen in einem multimodalen Kode darzustellen, d.h. es erfolgt eine Verknüpfung und Manipulation von Informationen sowie ein Zusammenspiel von beispielsweise verbalen Informationen, die bildliche Verknüpfungen auslösen. Weiterhin lässt sich durch den episodischen Puffer die Vermutung bestätigen, dass sinnvolle Angaben besser erinnert werden, als widersinnige Informationen (vgl. Kroeber-Riel et al. 2008, S.287).
Die zentrale Exekutive übernimmt die Kontrollfunktion für den episodischen Puffer. Ihre Aufgabe besteht darin Informationen zu einer einheitlichen episodischen Repräsentation zusammenzuführen. Dazu werden routinierte Prozesse überwacht und ggf. unterbrochen. „Die zentrale Exekutive ist also eine Art Aufmerksamkeitssystem und zugleich eine Art Restkategorie für alle möglichen Prozesse, die man dem Arbeitsgedächtnis zurechnen kann, die aber weder dem phonologischen noch dem visuell-räumlichen oder dem (..) episodischen Subsystem zugeordnet werden können.“(vgl. Buchner und Brand 2002, S. 456).
Das Langzeitged ä chtnis untergliedert sich wie Abbildung 1 ebenfalls zeigt in deklaratives und nondeklaratives Wissen. Bevor es allerdings zu einer dauerhaften Informationsspeiche- rung kommt, ist es wichtig, dass ein „Vorwissen“ bezüglich der Vielzahl an Umweltreizen aufgebaut wird (vgl. Kroeber-Riel et al. 2008, S.277). Buchner und Brandt (2008) vertreten zwei Forschungsrichtungen im Hinblick auf das Langzeitgedächtnis. Sie unterscheiden zwi- schen „systemorientiertem“ und „prozessorientiertem“ Zugang (vgl. Buchner und Brand 2008, S.433).
„systemorientierter Zugang“ zum Langezeitgedächtnis:
Es soll die Organisation und Strukturierung des Gedächtnisses verdeutlicht werden. Hierzu ist es zunächst notwendig zwischen deklarativem und nondeklarativem Wissen zu unterscheiden (vgl. Abb. 1). Deklaratives Wissen umfasst Ereignisse, die verbal ausgedrückt werden kön- nen, während nondeklaratives Wissen sich auf Situationen bezieht, die sich mit den Konse- quenzen gemachter Erfahrungen beschäftigen (vgl. Buchner und Brand 2008, S. 434). Inner- halb des deklarativen Wissens unterscheidet man zwischen semantischem und episodischem Wissen (vgl. Abb. 1). Beim semantischen Wissen handelt es sich um Sachwissen ohne zeit- lich-räumlichen Bezug, wohingegen sich episodisches Wissen mit persönlich gemachten Er- fahrungen mit zeitlich-räumlicher Einordnung beschäftigt. Der Inhalt des deklarativen Ge- dächtnisses wird vielfach durch Recall - oder Recognition-Tests gemessen (vgl. Kroeber-Riel et al. 2008, S.277f.).
Das nondeklarative Wissen umfasst bewusste und unbewusste Erfahrungen, die im Gehirn zwar gespeichert, aber nicht verbalisiert werden können. In diesem Zusammenhang ist zwischen perzeptuellem und prozeduralem Wissen (vgl. Abb. 1) zu unterscheiden (vgl. KroeberRiel et al. 2008, S.278).
Der Inhalt des nondeklarativen Gedächtnisses kann nur implizit, bspw. durch Wortstammergänzungen gemessen werden (vgl. Buchner und Brandt 2008, S. 437). „prozessorientierter Zugang“ zum Langzeitgedächtnis:
Hierbei werden Gedächtnisprozesse analysiert. Besonders wichtig ist in diesem Zusammen- hang das Konstrukt der „Verarbeitungstiefe“ (vgl. Kroeber-Riel et al. 2008, S.279), denn: „Je tiefer das Material verarbeitet wird - je mehr Anstrengung aufgewandt wird - ,desto mehr Assoziationen zwischen dem vorhandenen und dem zu lernenden Wissen stellt die Informati- onsverarbeitung her und desto leichter ist der spätere Abruf eines Items“ (vgl. Lindsay und Norman 1981, S. 273). In der modernen Forschung wird darauf hingewiesen, dass die Ge- dächtnisleistung nicht allein von der Verarbeitungstiefe, sondern auch vom „Grad der Über- lappung von kognitiven Prozessen bei der Enkodierung und dem Abruf von Informationen“ (vgl. Buchner und Brandt 2008, S. 442) bestimmt wird (vgl. Kroeber-Riel et al. 2008, S.280). Weiterhin ist anzumerken, dass der Zustand des Individuums im Hinblick auf die Wissensre- produktion einen großen Stellenwert einnimmt. So stellt Bower (1981) fest, dass Informatio- nen besonders gut wiedergegeben werden, wenn die Stimmung in der Phase des Lernens die gleiche ist, wie in der Reproduktionsphase (vgl. Bower 1981, S. 136 und S. 147). Das Vergessen von Informationen wird dahingehend gedeutet, dass eine mangelnde Zu- griffsmöglichkeit herrscht. Bereits Lindsay und Norman (1981, S. 239) erkannten: „die echten Schwierigkeiten im Umgang mit dem Langzeitgedächtnis haben überwiegend eine Ursache: den Vorgang des Abrufens. Die Informationsmenge im Langzeitspeicher ist so groß, dass das Hauptproblem darin besteht, etwas aufzufinden“.
Die Interferenztheorie besagt, dass einmal gespeicherte Informationen dauerhaft im Langzeit- gedächtnis bleiben. Ein Vergessen tritt daher in erster Linie durch Überlagerungseffekte auf. Eine solche Überlagerung von Gedächtnisinformationen wird als Interferenz bezeichnet. Man unterscheidet, ob Gedächtnishemmungen durch vorher gespeicherte Informationen (proaktive Hemmung) oder durch nachher gespeicherte Infos (retroaktive Hemmung) bedingt sind (vgl. Kroeber-Riel et al. 2008, S. 403). Neben der Annahme der Überlagerungseffekte erkannten Loftus und Loftus (1980, S. 418), dass auch die Möglichkeit besteht, dass bereits gespeicherte
Informationen gegen neue Informationen ausgetauscht werden können. Relevant sind aber auch Anhaltspunkte, die auf einen Zerfall von Inhalten bzw. eine Veränderung der Gedächtnisspuren im Zeitablauf hindeuten (vgl. Lindsay und Norman 1981, S. 251).
Steuerungsprozesse haben die Aufgabe, die Verarbeitung von Informationen zu lenken (vgl. Leven 1991, S. 28). Sie untergliedern sich in automatische Prozesse und Kontrollprozesse.
Automatische Prozesse
Unter einem automatischen Prozess versteht man einen Prozess, der unwillkürlich durch das Auftreten eines Reizes ausgelöst wird. Sobald der Prozess begonnen hat, wird er ohne Ab- bruch zu Ende geführt und innerhalb von wenigen Millisekunden durchgeführt. Eine Zuwen- dung an Aufmerksamkeit ist nicht notwendig (vgl. Leven 1991, S. 27f.). Dabei geraten die rein automatischen Auswerteergebnisse sofort wieder in Vergessenheit (vgl. Shiffrin und Schneider 1977, S. 160). Nach Spies (1995, S. 18) laufen die automatischen Prozesse unbe- wusst ab, bedürfen keiner intentionalen Steuerung und nehmen keine Informationsverarbei- tungskapazität in Anspruch.
Man unterscheidet weiterhin zwei Typen automatischer Prozesse, die beide dem Stadium der Informationsaufnahme zuzurechnen sind (vgl. Leven 1991, S.29). Man spricht von „Actional Processes“ und „Informational-Processes“. Actional Processes beinhalten Phasen, die andere interne Prozesse stimulieren und steuern die Initiation der Dechiffrierung des automatisch auftretenden Stimulus. Die ebenso bedeutenden Informational Processes besitzen die Initia- tionsfunktion für weitere Prozesse nicht. Es handelt sich um Automatismen, die in Relation mit einer kontrollierten Auswertung bestimmte Dechiffrierungsfunktionen, wie zum Beispiel die kontrollierte Auswertung einer Satzsequenz beim Lesen übernehmen (vgl. Shiffrin und Schneider 1977, S. 160f.).
Kontrollprozesse
Kontrollprozesse sind willentlich eingesetzte Prozesse, die der Informationsauswertung die- nen. Grundlegende Voraussetzung für den Ablauf von Kontrollprozessen ist die Aufmerk- samkeitszuwendung bezüglich eines Stimulus (vgl. Leven 1991, S.28ff). Obwohl man von einer willentlichen Steuerung spricht, ist dennoch nicht von einer bewussten, im Sinne von bemerkten Steuerung die Rede (vgl. Mühlbacher 1982, S.198), da ein Individuum nicht zwin- gende kontrollierte Prozessabläufe registrieren muss (vgl. Leven 1991, S.28). Ein Reiz, der die Aufmerksamkeit am stärksten erregt hat, wird besonders intensiv verarbeitet. Dies hat zur Folge, dass sich die bearbeitbare Informationsmenge reduziert (vgl. Anderson 1975, S. 11), sodass es zu einer Einschränkung bezüglich des Stimulusmaterials kommt, wodurch schließ- lich der Kapazitätsgrenze des Kurzzeitspeichers Rechnung getragen wird (vgl. Leven 1991, S. 30).
Ein weiteres Merkmal der Kontrollprozesse ist die Bewusstwerdung der Ergebnisse, die das Individuum durch den kontrollierten Bearbeitungsprozess erhalten hat. Diese Eigenschaft lässt sich bei den oben angeführten automatischen Prozessen nicht wiederfinden. Dennoch besteht die Möglichkeit, dass bewusste Kontrollprozesse im Laufe der Zeit zu automatischen Prozessen werden, da beispielsweise früher Erlerntes in aktuellen Situationen automatisch abgerufen wird (vgl. Leven 1991, S.28).
Die beiden folgenden Abschnitte beschreiben detailliert die wichtigsten Kontrollprozesse für die verschiedenen Stadien der Informationsverarbeitungsprozesse.
Kontrollprozesse im Rahmen der Informationsaufnahme
Beim Betrachten von Werbeanzeigen hängt die Qualität der Informationsverarbeitung in be- sonderer Weise von der Informationsaufnahme ab. Der Informationsinput, den eine Werbean- zeige liefert, enthält eine Vielzahl unterschiedlichster Stimuli (vgl. Leven 1991, S. 32). Aus diesem Grund ist eine genauere Betrachtung der ablaufenden Vorgänge bei der Informations- aufnahme von Interesse. Nach Leven (1991, S. 32) beginnt der „Informationsaufnahmepro- zess in dem Moment, in dem ein Reiz oder ein Signal kognitive Aktivitäten auslöst. Beendet ist der Prozess der Informationsaufnahme mit der Identifikation des Reizes oder Signals“.
Weiterhin ist erwiesen, dass die Identifikation des Reizes automatisch oder aus einer Kombi- nation von automatischen Prozessen und Kontrollprozessen ablaufen kann. Bei der rein auto- matischen Informationsaufnahme findet eine einfache Dechiffrierung in semantischer Form ohne Herstellung von Kontextbezügen statt (vgl. Hussy 1986, S. 177ff). Murch und Woodworth (1977, S. 202) postulierten, dass lediglich ein Vergleich zwischen dem Inhalt des sensorischen Registers und dem des Langzeitgedächtnisses im Hinblick auf vorhandene Reizattribute, sowie bisher gemachter Erfahrungen, erfolgt. Eine kontrollierte Informations- aufnahme erfolgt dann, wenn die Bedeutungszuordnung, auf die sich der augenblickliche Be- wusstseinszustand des Individuums bezieht, eine ausreichende Relevanz aufweist und es dadurch zu einer Aufmerksamkeitszuwendung und der damit einhergehenden kontrollierten Aufnahme von Informationen kommt (vg. Hussy 1986, S. 179ff).
Kontrollprozesse im Rahmen der Informationsverarbeitung und -speicherung
Atkinson und Shiffrin (1971) unterscheiden bezüglich des Kontrollprozesses „Memorieren“ zwischen offenem, im Sinne von beobachtbarem und verdecktem, im Sinne von nicht be- obachtbarem Memorieren. Dabei sollen Informationen im Arbeitsgedächtnis aufrechterhalten und für das Langzeitgedächtnis bereit gestellt werden (vgl. Leven 1991, S. 30f.). Bezüglich der Intensität unterscheidet man zwischen primärem und sekundärem Memorieren. Beim pri- mären Memorieren handelt es sich um eine relativ oberflächliche Informationsbearbeitung (vgl. Woodward, Bjork und Jongeward 1973, S. 616), wohingegen das sekundäre Memorieren einer tieferen Informationsanalyse dient (vgl. Bredenkamp und Wippich 1977, S.68). Weiter- hin ermöglicht das primäre Memorieren eine hohe Präsenz an Informationen im Kurzzeitspei- cher. Dadurch erhöht sich zwar dessen Reproduktionsleistung nicht jedoch der Anteil an In- formationen, die er dem Langzeitspeicher zur Verfügung stellt (vgl. Leven 1991, S. 31). Beim sekundären Memorieren wird der aufgenommene Stimulus in Zusammenhang mit sei- nem Umfeld memoriert, d.h. die Informationen, die das Individuum behalten soll, werden in Kontext zu bekannten und leicht abrufbaren Inhalten gestellt (vgl. Atkinson und Shiffrin 1971, S.89).
Begrifflichkeit visueller Informationsverarbeitung
Nach einer relativ weit gefassten Definitionsmöglichkeit in Anlehnung an Hussy (1979, S. 6) ist der visuellen Informationsverarbeitung nicht nur die Verarbeitung eines visuellen Reizes im Sinne von Entschlüsselung zuzurechnen, sondern alle Vorgänge, beginnend bei der senso- rischen Aufnahme visueller Reize über die Stufe der Enkodierung und Speicherung, bis hin zur Wiedergewinnung von Informationen. Die visuelle Informationsaufnahme ist von großer Bedeutung, da schätzungsweise 90% aller sensorisch aufgenommener Reize visueller Art sind (vgl. Wittling 1976, S. 9). Des Weiteren ist wissenschaftlich erwiesen, dass der Vorgang des Sehens zu den wichtigsten Sinneswahrnehmungen des Menschen zu zählen ist (vgl. Schiff 1980, S. 8). Die visuelle Informationsverarbeitung deckt eine große Bandbreite der Vorgänge im menschlichen Organismus ab. Das Individuum nimmt einen Reiz auf und es kommt zu dessen interner Verarbeitung. Dabei ist eine Identifikation von Objekten von ebenso großer Bedeutung, wie die Erweckung von Erinnerungen, die durch die visuelle Vorstellungskraft hervorgerufen werden (vgl. Jeck-Schlottmann 1987, S.6). Weiterhin ist bekannt, dass die vi- suelle Informationsverarbeitung nicht zwingend das Vorhandensein eines visuellen Reizes erfordert. Vielmehr besitzt das Individuum die Fähigkeit mentale visuelle Vorstellungen mit einzubeziehen. „Auch wenn kein Reiz physisch präsent ist, kann der Mensch vor seinem geis- tigen Auge visuelle mentale Bilder sehen (…)“ (vgl. Jeck-Schlottmann 1987, S.6). Dennoch reduziert sich die visuelle Informationsverarbeitung nicht ausschließlich auf die Verarbeitung von Bildern, sondern nutzt auch Sprachreize um Wörter als visuelle Muster zu verarbeiten (vgl. Jeck-Schlottman 1987, S.7). Diese Erkenntnis spielt bei der Betrachtung von Print- Werbeanzeigen, auf die in Kapitel 5 näher eingegangen wird, eine bedeutende Rolle, da eine Anzeige oftmals sowohl aus Bild-, wie auch aus Textelementen aufgebaut ist.
Stimmungsabhängigkeit als theoretische Grundlage visueller Informationsverarbeitung Für das Marketing ist es von großer Relevanz, inwieweit sich die Stimmung eines Konsumenten auf dessen Bereitschaft zur Beeinflussung seines Kaufverhaltens auswirkt. Dennoch ist es schwierig konkrete Aussagen darüber zu machen, ob sich ein Individuum in guter oder schlechter Stimmung besser beeinflussen lässt. Es ist davon auszugehen, dass die Beeinflussung ganz situationsspezifisch erfolgt. „ Die Stimmung eines Menschen wirkt zum einen darauf ein, welche Informationen verarbeitet werden, beeinflusst darüber hinaus jedoch auch die Kapazität, die Motivation sowie Tiefe, Breite und Dauer von Informationsverarbeitungsprozessen“ (vgl. Foscht und Swoboda 2007, S. 51).
Ebenso gehen Kroeber-Riel et al. (2008, S. 100) davon aus, dass Informationsverarbeitungs- prozesse grundlegend durch die Stimmung beeinflusst werden, auch wenn sich diese nicht auf bestimmte Sachverhalte bezieht. Bruns und Meyer-Wegener (2005) gehen davon aus, dass optimale Lerneffekte nicht nur durch den Einfluss kognitiver Funktionen, sondern auch durch eine positive Grundstimmung und einem damit einhergehenden positiven Lernklima, erzielt werden. Unterhaltsame Elemente (z.B. Bilder) bewirken eine positive Stimmung und führen somit zu einer erhöhten Lernmotivation. Ebenso fördert eine positive Stimmung die kreativen Prozesse, während bei schlechter Stimmung eher das logische Denken im Vordergrund steht (vgl. Bruns und Meyer-Wegener 2005, S. 345). Weiterhin ist der Enkodierungsprozess von großer Bedeutung für die Verarbeitung von Informationen. Ellis, Thomas und Rodriguez (1984, Exp. 1) bestätigten die Annahme, dass bei negativ gestimmten Personen eine Ver- schlechterung der Gedächtnisleistung zu erkennen ist, aufgrund der Einschränkung der Enko- dierungsprozesse durch die schlechte Stimmung. Um dieses Phänomen zu belegen, wurden Probanden Adjektive sowohl in einfachem, wie auch im elaborierten Kontext dargeboten.
Bevor die Probanden die fehlenden Adjektive in einem späteren Lückentext einsetzten sollten, wurde eine Gruppe in neutrale, die andere in negative Stimmung versetzt. Es zeigte sich, dass die Neutralgruppe eine bessere Gedächtnisleistung im elaborierten Kontext zu verzeichnen hatte (vgl. Spies 1995, S. 19f.). Ebenso ist bekannt, dass schlecht gelaunte Konsumenten den dargebotenen visuellen Reiz kritischer betrachten und daher eher erkennen, ob sie mittels wichtiger oder unwichtiger Informationen beeinflusst werden (vgl. Shapiro, MacInnis und Park 2002, S. 22). Es ist auch bekannt, dass positiv gestimmte Konsumenten eine positivere Produktbeurteilung abgeben als Konsumenten in schlechter Stimmung (vgl. Bost 1987, S.76). Basierend auf diesen Erkenntnissen kann die Annahme getroffen werden, dass gut gelaunte Konsumenten eine höhere Fixationsdauer bezüglich Produkten, Anzeigen etc. aufweisen, als negativ gestimmte Konsumenten. Gerade auf diesem Gebiet herrscht jedoch, im Bereich der Blickregistrierung noch ein großer Forschungsbedarf. Dennoch ist die Stimmungsabhängig- keit ein wesentlicher Faktor, der bedeutenden Einfluss auf die visuelle Informationsverarbei- tung, Wahrnehmung und Erinnerung ausübt.
Wahrnehmung als theoretische Grundlage visueller Informationsverarbeitung
„Wahrnehmung ist ein Prozess der Informationsverarbeitung: Durch diesen Prozess werden aufgenommene Umweltreize und ihre Signale entschlüsselt. (…) Man kann deswegen sagen: Wahrnehmung ist ein Informationsverarbeitungsprozess, durch den das Individuum Kenntnis von sich selbst und von seiner Umwelt erhält“ (vgl. Kroeber-Riel et al. 2008, S. 320). Nach Behrens (1982, S. 4) wird der Wahrnehmungsprozess als Teilprozess der kognitiven Informa- tionsverarbeitung aufgefasst. Neben Behrens und Kroeber-Riel et al. beschäftigte sich auch Neisser (1974, S.19) mit dem kognitiven Wahrnehmungsbegriff. Nach ihm umfasst der Be- griff Kognition alle Prozesse, „durch die der sensorische Input umgesetzt, reduziert, weiter verarbeitet, gespeichert, wieder hervorgeholt und schließlich benutzt wird. Er meint diese Prozesse auch dann, wenn sie ohne das Vorhandensein entsprechender Stimulation verlaufen wie bei Vorstellungen und Halluzinationen.“ Weiterhin weisen Kroeber-Riel et al. (2008, S. 321) darauf hin, dass für das grundlegende Verständnis des Wahrnehmungsprozesses, die Subjektivität, Aktivität und Selektivität von großer Bedeutung sind. Jedes Individuum hat eine subjektive Auffassung seiner Umwelt, was zu Konflikten führen kann, wenn die jeweilige subjektive Wahrnehmung von objektiv gleichen Sachverhalten abweicht. In Bezug auf die Aktivität wird hervorgehoben, dass die Informationsaufnahme und -verarbeitung neben der passiven eine aktive Reizaufnahme des Individuums abverlangen. Letztlich ist es von großer Bedeutung, dass der Wahrnehmungsvorgang selektiv ist, d.h. dass aus einer riesigen Menge an Reizen und Informationen eine Teilauswahl getroffen wird. Diese Eingrenzung dient dazu das Informationsverarbeitungssystem zu entlasten. Für die Wahrnehmung ist entscheidend, welche Vorerfahrungen gemacht wurden, wie die jeweilige Einstellung ist und in welchen Kontext das Wahrgenommene gebracht wird (vgl. Schachl 1996, S.37).
Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Aufmerksamkeitsprozess
Die Aufmerksamkeit gilt als Indikator für die Begrenzung der Verarbeitungskapazität. Reize, die beim Individuum Aufmerksamkeit erregen, haben eine geringere Kapazitätsgrenze, als aufmerksamkeitsschwache Reize (vgl. Jeck-Schlottmann 1987, S. 25). Mit den Reizen, die eine höhere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, geht gleichzeitig eine größere Verarbeitungstie- fe einher. Dies hat zur Folge, dass der Reiz semantisch stärker verarbeitet, länger behalten und leichter erinnert wird (vgl. Craik und Lockhart 1972, S. 675). Weiterhin ist nach Jeck- Schlottmann (1987) festzuhalten, dass sich die Aufmerksamkeitszuwendung auf mehrere Ob- jekte verteilen kann. Dabei ist für die Durchführung unterschiedlicher Tätigkeiten nicht im- mer das gleiche Maß an Aufmerksamkeit notwendig. So führen vertraute Prozesse zu einer Automatisierung bezüglich der Verarbeitung und verlangen nur eine geringe Aufmerksam- keit. Dagegen erfordern ungewohnte, sowie kontrollierte Tätigkeiten eine erhöhte Aufmerk- samkeit bei ihrer Durchführung (vgl. Wilding 1983, S. 112f.). Es ist bekannt, dass zuerst Rei- ze aufgenommen und verarbeitet werden, auf die die Aufmerksamkeit gelenkt wird. Für Sti- muli, denen eine geringe Aufmerksamkeitszuwendung zugesprochen wird, steht nur eine sehr geringe Verarbeitungskapazität zur Verfügung (vgl. Underwood 1976, S. 171ff.; S. 216ff.). Die Reizverarbeitung kann über mehrere Stufen erfolgen. Hierzu kann zunächst die Kapazität auf einzelne Reize gelenkt werden, sodass es möglich ist, ein Objekt wiederzuerkennen. Im Anschluss daran findet die semantische Verarbeitung des Reizes statt, wodurch eine Erinne- rung an die Information ermöglicht wird. Letztlich ist noch eine Verknüpfung mehrerer In- formationen möglich (vgl. Kahnemann 1973, S. 68f.).
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Reize nur dann bewusst wahrgenommen und wei- terverarbeitet werden, wenn eine Zuwendung zum Reiz erfolgt. Eine solche Aufmerksam- keitszuwendung kann mit einer bewussten Informationssuche, aber auch im Zuge des Aktivie- rungspotenzials des Reizes automatisch erfolgen. „Zum Beispiel haben Reize, die das Gefühl stärker ansprechen, die größer und intensiver sind und starke Überraschung auslösen, ein hö- heres Aktivierungspotenzial als andere Reize; sie werden deswegen auch besser aufgenom- men.“ (vgl. Kroeber-Riel et al. 2008, S. 324). Neben dem Aktivierungspotential spielt auch die Qualität des Reizes hinsichtlich der Aufmerksamkeitszuwendung eine bedeutende Rolle.
Es ist bekannt, dass Reize, die den Bedürfnissen des Individuums entsprechen besser wahrge- nommen und verarbeitet werden, als Reize, die als unrelevant angesehen werden. Hierbei ist allerdings anzumerken, dass die Relevanz eines Stimulus nicht nur mit den individuellen Wünschen in Verbindung gebracht werden kann. Es werden auch Stimuli wahrgenommen, die der Gefahrenabwehr dienlich sind. Somit kann davon ausgegangen werden, dass allen Reizen, die dem Individuum nützlich erscheinen, Aufmerksamkeit geschenkt wird (vgl. Kroeber-Riel et al. 2008, S. 324f.).
Die in diesem Abschnitt angesprochene Selektion in aufmerksamkeitsstarke und -schwache Reize und die damit einhergehende Kapazitätsverteilung, sowie die aufmerksamkeitsbezogene Wahrnehmung eines Reizes bildet eine wichtige Grundlage für die Werbewirkung, auf in Kapitel 5 näher eingegangen wird. Bezüglich der Messung der Aufmerksamkeit mittels der Blickregistrierung ist auf Kapitel 4 zu verweisen.
Imagerytheorien als theoretische Grundlage visueller Informationsverarbeitung
Der Begriff „Imagery“ beinhaltet alle Prozesse, die bei Entstehung, Verarbeitung, Speiche- rung und Abruf visueller Informationen aktiv werden (vgl. MacInnis und Price 1987, S. 474). Folgeerscheinungen dieses Prozesses sind Gedächtnisbilder. Es ist bekannt, dass sowohl ver- bale, wie auch nonverbale Stimuli, aufgenommene Reize in Vorstellungsbilder kodiert kön- nen. Bezüglich dieser visuell inneren Bilder unterscheidet man zwischen Wahrnehmungsbil- dern, bei denen ein Objekt visuell wahrgenommen und real wiedergegeben wird und Ge- dächtnisbildern, die lediglich die Erinnerung an einen Sehgegenstand beinhalten. Es stellt sich nun die Frage, wie es möglich ist, dass Gedächtnisbilder gespeichert werden und wie diese vor dem inneren Auge abgerufen werden können. In Anlehnung an Paivios (1971) „Percept- Analogy-Theory“ ist davon auszugehen, dass Gedächtnisbilder als geschlossene Einheit ge- speichert werden (vgl. Kroeber-Riel et al 2008, S. 390ff.). Erfolgen sowohl eine bildliche, wie auch eine verbale Verarbeitung einer Information, kann von einer dualen Kodierung gespro- chen werden (vgl. Paivio 1971, S. 179-181). Im Gegensatz zu dieser theoretischen Annahme geht die propositionale Theorie davon ausgeht, dass sich Gedächtnisbilder aus Bedeutungs- einheiten, die im Langezeitgedächtnis gespeichert werden, zusammensetzen (vgl. Yille und Marschark 1983, S. 145).
Das Ergebnis einer Studie von Standing (1973) zeigt, dass von 1000 einmalig dargebotenen Bildern ungefähr 90% richtig wiedererkannt werden (vgl. Standing 1973, S. 211). Diese Un- tersuchung stützt die Annahme, dass Bilder besser erinnert werden als Texte (vgl. Kapitel 5). Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich um detaillierte Bilder oder skizzenhafte Zeichnungen handelt (vgl. Ritchey 1982, S. 140). Ebenso werden Piktogramme besser erinnert als Bilder (vgl. Haber und Myers 1982, S. 63). Demnach lässt sich folgern, dass das Bildgedächtnis dem Sprachengedächtnis überlegen ist. Die Erkenntnis, dass Bilder weniger oft wiederholt werden müssen als Texte, um die gleiche Erinnerungsleistung zu erzielen, ist besonders für die Beeinflussung von wenig involvierten Konsumenten im Bezug auf Werbeanzeigen sehr bedeutsam (vgl. Childers und Houston 1984, S. 652). Eine detaillierte Darstellung bezüglich Bild - und Texterinnerung bei Werbeanzeigen folgt in Kapitel 5.
Bilder gelten als Aufhänger von Sprachinformationen und dienen als Erinnerungsstütze.
Demnach werden Wörter im Zusammenhang mit einem Bild besser erinnert. Ebenso ist die Erinnerungsleistung besonders hoch bei interaktiver Informationsdarstellung (vgl. Lutz und Lutz 1977, S. 496f.). Innere Bilder weisen eine hohe Wirksamkeit bezüglich des menschli- chen Verhaltens auf. Dabei ist ihre Lebendigkeit (Vividness) von nicht geringer Bedeutung, denn gerade in Zeiten der Informationsüberlastung ist bekannt, dass sich ein Konsument bes- ser an Marken erinnern kann, mit denen klare innere Gedächtnisbilder einhergehen (vgl. Beat- tie und Mitchell 1985, S. 134).
In folgendem Abschnitt wird die Anatomie des Auges anhand untenstehender Abbildung (vgl. Abb. 2) in Zusammenhang mit der Informationsübertragung zum Gehirn näher erläutert. Die- se Grundkenntnis ist ein wesentlicher Aspekt für das Verständnis der visuellen Informations- verarbeitung.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Anatomie des Auges
Quelle: Grüsser und Grüsser-Cornehls 2000, S. 284
„Sehen bedeutet, dass ein Lichtstrahl auf das Auge auftrifft, als elektrischer Impuls über den Sehnerv in den visuellen Kortex (die Sehrinde, ein Teil der Großhirnrinde, der die visuelle Wahrnehmung ermöglicht, vgl. Kapitel 3.2, Anm. d. Verf.) weitergeleitet und dort verarbeitet wird“ (vgl. Jeck-Schlottman 1987, S. 9).
Der Vorgang des Sehens ist mit einem Fotoapparat vergleichbar, denn es werden dabei elekt- romagnetische Wellen in Form von Licht durch Cornea (Hornhaut), vordere Augenkammer (Camera anterior bulbi) und Iris (Regenbogenhaut) gebündelt. Dadurch entsteht auf der Reti- na (Netzhaut) ein umgekehrtes, reelles, stark verkleinertes aber „scharfes“ Bild. (vgl. Schachl, 1996, S.42). Diesen Bereich des schärfsten Sehens bezeichnet man als Fovea Centralis (Seh- grube). Hierbei handelt es sich um eine Einsenkung im Zentrum des sogenannten gelben Flecks (Macula lutea), auf der die meisten elektromagnetischen Wellen auftreffen. Dieser visuelle Wahrnehmungsbereich ist relativ klein, da er lediglich 2° des gesamten Gesichtsfel- des erfasst. Das übrige Blickfeld wird mit zunehmender Entfernung immer unschärfer und daher dem peripheren Sehen zugeordnet (vgl. Wittling 1976, S. 71). Die Iris, die sich zwi- schen vorderer Augenkammer und Linse befindet, wirkt wie eine Art „Blende“. Sie regelt den Einfall des Lichtes mit Hilfe der Ziliarmuskeln. In der Mitte der Iris befindet sich die Pupille. Des Weiteren unterscheidet man in der Netzhaut zwei Arten von Rezeptoren. Einerseits exis- tieren dort 125 Millionen Stäbchen, die für die Regulation des Hell-Dunkel-Sehens zuständig sind, andererseits befinden sich dort 6,8 Millionen Zapfen, die das Sehen von Farben ermögli- chen. Diese Photorezeptoren wandeln das einfallende Licht in elektrische Impulse um, die dann über den Sehnerv in Richtung Zentrale weitergeleitet werden. Diese Umwandlung er- folgt über eine Reihe von Zwischenstufen in den Nervenzellen der Augen. Auf eine genauere Erläuterung des Ablaufs der Zwischenstufen kann in dieser Arbeit verzichtet werden. Die beiden Sehnerve, die an der Schädelbasis aufeinander zulaufen, tauschen in der Sehner- venkreuzung die Hälfte der Nervenfasern aus, sodass die linken Gesichtsfelder beider Augen in die rechte Gehirnhälfte und die jeweils rechten Gesichtsfelder der Augen in die linke He- misphärenhälfte projiziert werden. Dieser Vorgang wird in Abbildung 3 nochmals veran- schaulicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Sehnervenkreuzung
Quelle: Schachl 1996, S. 23
Nach der Kreuzung der Sehnerve verlaufen die Leitungen zum seitlichen Kniehöcker (Corpus geniculatum laterale), der als ein Bestandteil des Thalamus (ausführlicher Kapitel 3.2) aufge- fasst wird. Dies ist die einzige Umschaltstelle zwischen Netzhaut und Hirnrinde. Bei ihr wer- den auch weitere Informationen, wie beispielsweise Gefühle oder Informationen des Lang- zeitgedächtnisses eingespeist. Diese zusätzlichen Informationen werden mit denen, vom Auge gelieferten Informationen verglichen. Von weiterer beachtlicher Bedeutung im Hinblick auf die Aufmerksamkeitssteuerung ist eine Abzweigung zum Hirnstamm, die sich noch vor der Sehnervenkreuzung befindet. Die „Endstation“ des visuellen Aufnahmevorgangs bildet das Sehzentrum, das sich im Hinterhauptslappen (Okzipitallappen) des Großhirns befindet. Dort werden die Informationen der Nervenzellen auf Hell-Dunkel-Kontraste, Konturen und Bewe- gung überprüft. Ebenso sind an der visuellen Informationsverarbeitung vier parallel arbeiten- de Systeme beteiligt - eines für Bewegung, eines für Farbe und zwei für Formen. Die Informationen werden untereinander ausgetauscht und es erfolgt eine Rückkopplung zur Um- schaltstelle im seitlichen Kniehöcker. Dieser Rückkopplungsprozess ist besonders wichtig für die visuelle Wahrnehmung, da diese ohne einen Vergleich von neu gewonnenen Daten und gespeicherten Daten nicht funktioniert.
Dieser Abschnitt soll einen groben Abriss über die wichtigsten Teilgebiete des menschlichen Gehirns geben, die speziell im Hinblick auf die visuelle Informationsverarbeitung von Bedeutung sind. Zur Veranschaulichung der wichtigsten Gehirnareale dient nachstehende Abbildung 4 (vgl. Raidel 2004, 05.05.09).
Ein bedeutender Teil des menschlichen Gehirns wird durch den Hirnstamm, der aus Mittel- hirn, Brücke und verlängertem Mark besteht, dargestellt. Der Hirnstamm, dient der Steuerung lebenswichtiger Grundfunktionen, auf die in dieser Arbeit jedoch nicht näher eingegangen wird. Das Mittelhirn koordiniert alle eingehenden Informationen des Großhirns aus Hör-, Riech- und Sehbahn. Es kann beispielsweise Pupillenweite, Entfernungseinstellung der Au- genlinse sowie Augenbewegungen steuern. Im verlängerten Mark liegt ein wesentlicher Teil der Formatio reticularis. Es handelt sich um einen Bereich, der die Aktivierung steuert, indem Informationen der Sinnesorgane kontrolliert werden. „Die Formatio reticularis spielt somit eine bedeutende Rolle bei der Informationsaufnahme (Aktivierung, Aufmerksamkeit) und damit beim Lernen“ (vgl. Schachl 1996, S.14).
Ebenso umfasst das Zwischenhirn, das für die Steuerung vegetativer und hormoneller Vor- gänge verantwortlich ist, einen zentralen Teil unseres Gehirns. Es untergliedert sich in Tha- lamus, Hypothalamus, Ephiphyse, Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) und Sehnervenkreuzung am Boden des Zwischenhirns. Im Hinblick auf die Intensität dieser Arbeit ist der Thalamus, der als zentrale Umschaltstelle zum Großhirn für alle Sinnesbahnen gilt, von Bedeutung. „Durch seine Vernetzung mit allen Teilen des Gehirns ist der Thalamus sowohl an den Gefüh- len als auch an Lern - und Denkprozessen beteiligt (…)“ (vgl. Schachl 1996, S.15). Eine wei- tere wichtige Schaltstelle für die Sehbahn ist der seitliche Kniehöcker (Corpus geniculatum laterale).
Eine dritte zentrale Einheit bildet das limbische System, das Teile des Mittel- und Zwischen- hirns aber auch Abschnitte des Großhirns einschließt. Weiterhin nimmt es einen bedeutenden Stellenwert bezüglich der Informationsverarbeitung -besonders der emotionalen Verarbeitung ein.
Letztlich ist noch das Großhirn, als ein beachtlicher Teil des menschlichen Gehirns anzuse- hen. In ihm werden alle geistigen Funktionen sowie Empfindungen und Bewegungen koordi- niert. Es ist ein der Mitte durch einen breiten Nervenstrang (Balken), der dem Austausch von Informationen dient, in zwei Hemisphärenhälften getrennt. Dabei ist die linke Hemisphären- hälfte für logische und analytische Denken und die Sprache verantwortlich, während die rech- te Hemisphärenhälfte eher auf Musikalität, Emotionalität, räumliches Vorstellungsvermögen und Kreativität abzielt.
Die Großhirnrinde macht einen Großteil der Gehirnoberfläche aus. Auf ihr lassen sich primäre und assoziative Felder lokalisieren. Als primäre Felder sind visueller und auditorischer Cortex sowie seitliche Schläfenlappen zu nennen. Den assoziativen Feldern gehören alle Sinne an, wodurch sie vielfach vernetzt sind (vgl. Schachl 1996, S. 14-24).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Gehirnareale
Quelle: Raidel 2004, Kapitel 3.2, (05.05.09), http://bidok.uibk.ac.at/library/raidel-analyse-dipl.html#id3039573
Im Folgenden wird näher auf den visuellen Cortex des primären Feldes eingegangen, da er grundlegende Funktionen für die visuelle Wahrnehmung beinhaltet.
Der visuelle Cortex, der einen großen Teil des Okzipitallappens (Hinterhauptslappen) ein- nimmt, lässt sich in primäre visuelle Areale (V1) und sekundäre visuelle Areal (V2, V3, V3A, V4) einteilen. All diese visuellen Areale übernehmen bestimmte Funktionen. Areal V1 stellt den „Eingang“ zum visuellen Cortex dar. Es werden dort alle visuellen Eigenschaften verar- beitet und weitergeleitet. Areal V2 reagiert ebenfalls auf verschiedene visuelle Attribute, wie Formen und Farben. Areal V3 und V3A dienen der Analyse von Formen und Kontrasten so- wie der Orientierung und Bewegung. Areal V4 wird hauptsächlich als Farbenzentrum des menschlichen Gehirns aufgefasst, währen Areal V5 seinen Schwerpunkt auf die Bewegungs- analyse legt. Es ist anzumerken, dass die Funktionsweise aller visuellen Areale nur garantiert ist in Verbindung mit einer wechselseitigen Beziehung zu anderen nicht visuellen Arealen (vgl. Danielmeier 2005, S. 13-21).
Der primäre visuelle Cortex auch Area striata genannt, besitzt eine sehr komplexe Struktur und kann daher auf vielfältige Stimuli reagieren. Nach Hubel (1989, S. 103) „(.) geht es nun nicht mehr nur um die Position des Durchmessers eines Lichtflecks wie im Falle der Netzhaut und des seitlichen Kniehöckers, sondern plötzlich auch um die Orientierung von Linien, um Augendominanz, Bewegungsrichtung, Linienlänge und Krümmungsgrad“. Der primäre visu- elle Cortex sendet einen großen Teil seines Outputs an die sekundären visuellen Areale. So projiziert beispielsweise Areal V1 auf Areal V2 und dieses wiederum auf mindestens drei weitere Areale des Hirnhautlappens. Jedes dieser Areale sendet im Anschluss daran nochmals ein Signal an das Areal, von dem es den Input empfangen hat, zurück. Zusätzlich werden noch weitere Signale an andere Strukturen im Hirninnern wie z.B. den Thalamus gesendet. Dies führt letzten Endes dazu, dass sämtliche visuelle Areale Signale von Untereinheiten des Thalamus erhalten.
Aufgrund der in Kapitel 3.1 dargestellten Anatomie des Auges und der Physiologie des Seh- prozesses wurde bereits verdeutlicht, dass es möglich ist, den Sehbereich einer Person (Ge- sichtsfeld) zu bestimmen. An dieser Stelle ist allerdings noch unklar, inwiefern das Blickver- halten als Merkmal für Informationsaufnahme und -verarbeitung dient. Auch Berghaus (2005) stellte sich die Frage, wie Wahrnehmung (abhängige Variable) und Blickverhalten (unabhängige Variable) voneinander abhängen (vgl. Berghaus S. 85). Damit sich diese Bezie- hung feststellen lässt und man entsprechende Messmethoden (vgl. Kapitel 4.2) anwenden kann, ist es von entscheidender Bedeutung die verschiedenartigen Bewegungen der Augen näher zu erläutern.
Nach Bente (2004) sind nicht alle Sehobjekte im menschlichen Bewusstsein während einer Fixation repräsentiert, da das Anblicken eines Reizes nur ca. 250 ms dauert. Nachdem der Stimulus kurz angeblickt wurde, wechselt der Blick mit einer Sakkade, deren Dauer nur zwi- schen 25 ms und 100 ms liegt, zu einem anderen Ort im Gesichtsfeld. Während dieser sehr kurzen Sakkaden findet in der Regel keine Informationsaufnahme statt. Es handelt sich eher um eine kurzzeitige Unterbrechung der Wahrnehmung. Auf dieses Phänomen soll im Folgen- den näher eingegangen werden. Generell ist zwischen den Begriffen Augenbewegungen (Okulomotorik) und Blickbewegungen zu unterscheiden, da nicht alle Bewegungen des Auges auf Willkür beruhen und der Fovealisierung eines Sehobjektes dienen. Um Augenbewegun- gen handelt es sich, wenn es durch die sechs Augenmuskeln zu einer Verschiebung des Aug- apfels kommt. Ein Bezug zum visuellen Objekt ist dabei nicht zwingend notwendig. Hinge- gen stellen Blickbewegungen einen Spezialfall der Okulomotorik dar. Hierbei handelt es sich um parallele Bewegungen beider Augen, die dem Anblick des Sehobjektes dienen. Augen - und Blickbewegungen unterscheiden sich somit einerseits physiologisch, andererseits instrumentell, da nicht jedes Messverfahren (vgl. Kapitel 4.2) eine genaue Bestimmung der Blickrichtung garantiert (vgl. Bente 2004, S.303). In der Literatur werden verschiedene Arten von Augenbewegungen unterschieden (vgl. Block 2002, S. 79-87, Wittling 1976 S.81ff, Le- ven 1991, S. 80). Diese Arbeit stützt sich auf die sieben Arten der Augenbewegungen nach Glenstrup und Engell-Nielsen (1995 Kap. 3.3, University of Copenhagen 29.03.09), deren wichtigste Eigenschaften im Folgenden explizit ausgeführt werden.
Man unterscheidet:
Sakkaden:
Sakkaden sind plötzliche schnelle Augenbewegungen, mit denen die Fovea centralis auf ein bestimmtes Sehobjekt ausgerichtet wird. Die Zeit zwischen der Reizdarbietung und dem Be- wegungsbeginn dauert zw. 100 ms und 300 ms. Die Dauer der Ausführung einer Sakkade ist von der zurückzulegenden Entfernung abhängig und dauert zwischen 30 ms und 120 ms (vgl. Bente 2004, S. 304).Es ist bekannt, dass sie durch sehr unterschiedliche visuelle Reize ausge- löst werden können. Beispielsweise durch plötzliches Erscheinen eines Objektes im periphe- ren Sehfeld kann eine solche reflektorische zielgerichtete Bewegung initiieren (vgl. Deubel 1984, S.9). Sakkaden sind ballistischer Natur, d.h. vor dem Sakkadenbeginn werden sowohl Größe, wie auch Richtung berechnet und dann ohne Korrekturmöglichkeit ausgeführt. Auf- grund dessen kann es vorkommen, dass eine Sakkade entweder nicht bis zum Ziel führt und kurz vorher ausfällt (Undershooting) oder über das Ziel hinaus schießt (Overshooting). Als Folgeerscheinungen dieses Umstandes kommt es zu Korrektursakkaden, die durchgeführt werden, um das ursprüngliche Fixationsziel zu visualisieren (vgl. Berghaus 2005, S. 87-89). Zwischen der ursprünglichen Sakkade und der Korrektursakkade erfolgt keine Informations- aufnahme (vgl. Leven 1991, S. 83f.). Demnach stellt sich die Frage, ob es für die Reizauf- nahme von notwendiger Bedeutung ist, dass eine gewisse Zeit auf dem Wahrnehmungsgegen- stand verweilt wird oder ob die Möglichkeit der Informationsaufnahme auch während der sehr schnellen Sakkaden möglich ist. Aus verschiedenen Untersuchungen ist bekannt, dass die visuelle Reizverarbeitung ca. 50 ms vor einer Sakkade unterdrückt wird, d.h. dass die Bild- eindrücke auf der Netzhaut (Retina) nur während der Pausen erkannt, analysiert und gespei- chert werden (vgl. Barber und Legge 1976, S. 58). Diese Ruhepausen dauern zwischen 200 ms und 600 ms (Bente 2004) bzw. 50 ms und 300 ms bis zu 500 ms (vgl. Leven 1991, S. 93) und werden als Fixationen bezeichnet (vgl. Bente 2004, S. 304). Aufgrund der relativ stark schwankenden Zeitdauern, der unterschiedlichen Literaturgrundlagen, erweist sich die eindeu- tige Identifikation von Fixationen als schwierig. Die Aussagen von Barber und Legge (1976) werden von Rötting (2001) bestätigt, denn aus Studien ist bekannt, dass kurz vor, während und nach einer Sakkade das Sehvermögen soweit herabgesetzt ist, dass Einzelheiten kaum erkannt werden können. Die Wahrnehmung ist ca. 30-40 ms vor und bis 120 ms nach der Ini- tialisierung einer Sakkade stark eingeschränkt, sodass in dieser Zeit keine Informationsauf- nahme möglich ist (vgl. Rötting 2001, S. 16, S. 69). Gründe für die Einschränkung bei solch schnellen Augenbewegungen liefern verschiedene Erklärungsansätze (vgl. Haber und Hers- henson 1980, S. 150f.). Ebenso erkannten die Forscher Thiele et al. (vgl. Thiele et al. 2002, S.2460f.) in aktuelleren Studien, dass bestimmte Gehirnareale (das Medio temporale Areal und das Medio-superior temporale Areal) auf komplexe Bewegungsinformationen speziali- siert sind. In einem Experiment mit Primaten entdecken sie Neuronen, die auf eine Bewe- gungsrichtung spezifiziert sind und über die Fähigkeit verfügen, ihre Orientierung während einer Sakkade umzukehren. Dies führt dazu, dass Nervenzellen, die gewöhnlich Bewegungen nach rechts aktivieren, während einer Sakkade auf Bewegungsreize nach links reagieren. Die Kombination dieser Signale mit der ursprünglichen Bewegungsrichtung, führt zu unvereinba- ren Informationen für das Gehirn, was zur Folge hat, dass während einer Sakkade die Wahr- nehmung eines bewegten Bildes unmöglich ist. Dieses Phänomen ist letztlich auch der Grund dafür, dass während einer Sakkade weder Informationsaufnahme noch -verarbeitung möglich ist.
Konvergenzbewegungen:
Hierbei handelt es sich um Stellbewegungen beider Augen, die bewirken, dass ein Sehobjekt in beiden Augen fovealisiert bleibt, auch dann, wenn sich seine Entfernung zum Betrachter verändert. Je näher das Objekt ist, desto stärker werden beide Augen aufeinander zugedreht. Diese Drehbewegungen können bewusst ablaufen, jedoch werden sie meist durch einen Au- genreiz beeinflusst (vgl. Glenstrup und Engell-Nielsen 1995, Kap. 3.3, University of Copen- hagen 29.03.09)
Augenfolgebewegungen (Blickfolgebewegungen):
Diese Art der Augenbewegungen ist viel langsamer als Sakkaden und weisen einen regelmäßigen, glatten Verlauf auf (vgl. Berghaus 2005, S. 89). Sie sind geeignet ein horizontal oder vertikal bewegtes Objekt zu fovealisieren und können auch nur durch dieses ausgelöst werden (vgl. Bente 2004, S. 305). „Blickfolgebewegungen übernehmen also bei sich relativ zum Betrachter bewegenden Objekten die Funktion, die Fixationen bezüglich ruhender Objekte inne haben“ (vgl. Leven 1991, S. 84).
Rollbewegungen:
Sie stellen Rotationen um die senkrechte Mittelachse des Auges (Achse, die durch Fovea und Pupille führt) dar. Rollbewegungen sind unwillkürlich und werden durch die Winkelstellung des Halses beeinflusst (vgl. Jacob 1995, S. 261).
Drifts und Mikrosakkaden:
Während einer Fixation steht das Auge nicht völlig still, sondern führt diese unwillkürlichen Bewegungen aus (vgl. Jacob 1995, S. 260). Mikrosakkaden haben eine Korrekturfunktion, die dazu dient, das Auge wieder in seine ursprüngliche Fixationspositon zu bringen, wenn es durch Drift-Bewegungen davon abweicht (vgl. Berghaus 2005, S.86). Das Auge gleitet dabei langsam vom Reiz ab und in Gegenrichtung erfolgen unmittelbar sehr kleine Sakkaden (vgl. Bente 2004, S. 305). Auch Deubel (1984) bestätigte, dass das Auge bei Fixation nicht still- steht, sondern auffällige Muster von Mikrosakkaden, Drifts und Tremor aufweist (vgl. Deubel 1984, S. 9). Dennoch ist die Existenz von Mikrosakkaden bei verschieden Forschern umstrit- ten (vgl. Barber und Legge 1776, S. 56).
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