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Diplomarbeit, 2004
92 Seiten
1 Einführung
2 Grundlagen der Mensch-Maschine-Systeme
2.1 Beschreibendes Modell für Mensch-Maschine-Systeme
2.1.1 Teilsystem Mensch
2.1.2 Teilsystem Maschine
2.1.3 Die Mensch-Maschine-Schnittstelle
2.2 Aufgaben und Beschäftigungen des Fahrers von Kraftfahrzeugen
2.3 Menschliche Informationsverarbeitung
2.3.1 Informationsaufnahme
2.3.2 Multimodalität in der Mensch-Maschine-Interaktion
2.3.3 Inhaltliche Informationsverarbeitung
2.3.4 Kognition und Komplexität
2.4 Benutzbarkeit
2.4.1 Intuitivität
2.4.2 Psychische Belastung und Beanspruchung
3 Aktuelle Schnittstellenkomponenten
3.1 Analoge und digitale Informationsübertragung
3.1.1 Analoge und digitale Ausgabe
3.1.2 Analoge und digitale Eingabe
3.2 Möglichkeiten der Informationsausgabe durch das System
3.2.1 Grafische Displays
3.2.2 Ton- und Sprachausgabe
3.2.3 Haptische Ausgabeelemente
3.3 Bewertung von Eingabeelementen
3.3.1 Kriterien der Intuitivität
3.3.2 Kriterien zu den sekundären Anwendungsbedingungen von Eingabeelementen
3.4 Eingabeelemente der Menünavigation
3.4.1 Computermouse und Trackball
3.4.2 Cursortastenfeld
3.4.3 Dreh-Drück-Steller
3.4.4 Handrad bzw. Tastenrad
3.4.5 Steuerknüppel bzw. Joystick
3.4.6 Bildschirmbezugtasten
3.4.7 Touchscreen
3.4.8 Sprachinterface
3.4.9 Gestikinterface
3.5 Eingabe von Text und Ziffern
4 Aktuelle Interaktionsstrukturen von Benutzerinterfaces
4.1 Übertragungsleistung und Erwartungskonformität von DDS
4.1.1 Rahmenbedingungen der Analyse
4.1.2 Menü- und Bewegungskonzepte der untersuchten Systeme
4.1.3 Übertragungsleistung vom DDS zur Cursorbewegung im Menü
4.2 Weitere typische Interaktionsmuster aktueller Systeme
4.2.1 Auswahl des Bedienelementes
4.2.2 Cursorsprung an Menuerändern
4.2.3 Eingabe von Text bzw. Navigationszielen
4.3 Beanspruchungsindex Nebenbeschäftigung
4.3.1 Beispiel für den Zusammenhang von Kauverhalten und Beanspruchung
4.3.2 Das Kauverhalten als Merkmal für die Untersuchung von Beanspruchung
5 Entwicklung intuitiver Interaktionsstrukturen
5.1 Strategien zur Verwendung von Wissen
5.1.1 Aktive Interaktionsstrategie
5.1.2 Passive Interaktionsstrategie
5.1.3 Bedeutung der Interaktionsstrategien für Mensch-Maschine-Systeme
5.2 Das Stimulusketten-Konzept
5.3 Realisierung der Stimulusketten in Mensch-Maschine-Schnittstellen
5.3.1 Zielkonflikt
5.3.2 Gestaltungskonsequenzen für Mensch-Maschine-Interaktionsstrukturen
5.4 Weitere Ansätze zur Gestaltung intuitiver Interaktionsstrukturen
6 Gestaltung intuitiver Eingabe- und Ausgabeelemente
6.1 Ausgabeelemente
6.2 Navigationselemente
6.2.1 Anforderungen an Navigationselemente
6.2.2 Gestaltungskonzept
6.2.3 Konstruktiver Realisierungsansatz einer mechanischen Trackballfesselung
6.3 Elemente für die Dateneingabe und Direktzugriffe
6.3.1 Sprachinterfaces
6.3.2 Tastaturen für die Texteingabe
6.4 Kombination und Positionierung von Schnittstellenelementen
7 Zusammenfassung
Glossar
Literatur
In einer Zeit, in der die mechanischen und elektrischen Komponenten von Fahrzeugen so ausgereift sind, dass technische Fehlfunktionen als Ursache für das Auftreten von Gefahrensituationen im Straßenverkehr zunehmend in den Hintergrund geraten, gewinnt das Verhalten der Fahrer als Ursache von Verkehrsunfällen an Bedeutung. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Weiterentwicklung menschlicher Verhaltensmuster nicht unmittelbar der fortschreitenden technologischen Entwicklung folgt. Neben der statistischen Erfassung und Auswertung von Fahrerverhalten sowie der Untersuchung typgebundener und individueller Handlungsstrategien ist vor allem auch die Analyse der Hintergründe und Einflussfaktoren von großem Interesse. Ziel ist es dabei, genauere Kenntnisse für die Abschätzung des Fahrerverhaltens bei der Verwendung zukünftiger Fahrzeugsysteme zu erhalten und dieses bereits in der Systementwicklung berücksichtigen zu können. Unter der Vielzahl unterschiedlicher innerer und äußerer Einflüsse kommt der Beschäftigung des Fahrers mit Nebentätigkeiten zusätzlich zur Haupttätigkeit der "Fahrzeugführung" eine große Bedeutung zu, da die parallele Ausführung von Tätigkeiten eine Aufteilung der begrenzten Aufmerksamkeitsressourcen bedingt. Daraus folgt eine mehr oder weniger starke Reduzierung der Aufmerksamkeit für das Verkehrsgeschehen, welche sich vor allem in der Verringerung der Reaktionszeit, der Spurhaltegüte sowie der Geschwindigkeitsanpassung an den Verkehrsfluss auswirken kann1. Mit anderen Worten: Das Leistungspotenzial des Fahrers wird nicht vollständig für die Fahrzeugführung und die Vermeidung von Verkehrsunfällen eingesetzt. In diesem Sinne ist der angeführte Zusammenhang in den Bereich der aktiven Sicherheit von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr einzuordnen, wobei unter „aktiver Sicherheit“ Maßnahmen und Einrichtungen zur Vermeidung von Unfällen verstanden werden. (Im Gegensatz zur aktiven Sicherheit geht es in der „passiver Sicherheit“ um die Minderung von Unfallfolgen.)2 Das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen machte im Jahre 2002 durch eine Plakatkampagne auf diese Problematik auch in der Öffentlichkeit aufmerksam (Abbildung 1.1). Im folgenden sind Beispiele für Nebentätigkeiten eines Fahrers aufgeführt:
Telefonieren
Gedankliche Verarbeitung beruflicher oder privater Probleme
Beobachtung von Kindern im Fond oder auf dem Beifahrersitz
Unterhaltung mit Mitfahrern
Rauchen und Essen
Nutzung und Konfiguration von Informations- und Komforteinrichtungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1.1: „... und wer fährt?“ Kampagne des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen3
In den Bereich ‚Verwendung von Informations- und Komforteinrichtungen’ lässt sich die Bedienung integrierter Informations- und Unterhaltungssysteme („Infotainmentsysteme“) einordnen. Diese Aufgabenart gewinnt mit zunehmender Verbreitung derartiger Systeme und mit stetig ansteigendem Umfang an Funktionalitäten, vor allem aber auch wegen der sich hier bietenden Möglichkeiten der Einflussnahme verstärktes Interesse. Aufgrund der Wechselwirkungen (Interaktionsvorgänge) zwischen Fahrer (Mensch) und Infotainmentsystem (Maschine) spricht man insgesamt von einem „Mensch-Maschine- System“ (MMS). Dabei wird von einer Beanspruchung von Aufmerksamkeitsressourcen des Menschen durch die Interaktionen innerhalb des Mensch-Maschine-Systems Fahrer - Infotainmentsystem ausgegangen. Diese Interaktionsvorgänge finden unter Nutzung eines Kommunikationssystems („Schnittstelle“) statt. In der Analyse und Optimierung dieser so genannten „Mensch-Maschine-Schnittstelle“4 (MMI - Man-Machine-Interface) wird daher eine Möglichkeit gesehen, die Beanspruchung von Aufmerksamkeitsressourcen infolge der Benutzung von Infotainmentsystemen zu verringern. Ein möglicher Optimierungsansatz liegt zum einen in der Erhöhung der Intuitivität der jeweiligen Eingabe- und Ausgabeelemente sowie der Kommunikationsstrukturen. Zum anderen ist es denkbar, die Intuitivität der Schnittstelle insgesamt durch sinnvolle Kombination verschiedener Eingabe- bzw. Ausgabeelemente und deren Zuordnung zu bestimmten Teilhandlungen der Bedienung beeinflussen zu können.
Unabhängig von erhofften direkten positiven Effekten einer intuitiven Bedienung auf die Fahrzeug- und Verkehrssicherheit, darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass entsprechend gestaltete Systeme stets auch die Akzeptanz des Menschen als Käufer finden Deutscher Verkehrssicherheitsrat e.V., 2002, http://www.dvr.de/dvrseite.aspx?section=4&sub=4&id=478, am 24.03.2004 In deutschsprachigen Publikationen findet mitunter auch der Begriff der Mensch-Maschine-Nahtstelle (MMN) Verwendung, welcher inhaltlich der „Mensch-Maschine-Schnittstelle“ im allgemeinen gleich gesetzt wird. müssen. Die Aussicht, dass intuitive, wenig beanspruchende Schnittstellen positive Auswirkungen auf den Komfort- und den Qualitätseindruck potenzieller Kunden haben können, ist dabei gleichermaßen die Aussicht auf eine weite Verbreitung von Fahrzeugsystemen, die die Sicherheit fördern.
In der vorliegenden Arbeit wird nach einer Einführung in die Thematik der Mensch- Maschine-Systeme allgemein und den Intuitivitätsgedanken im Besonderen zunächst ein Überblick über gängige oder im Mittelpunkt aktueller Forschung stehende Schnittstellenlösungen für anwenderorientierte komplexe Elektroniksysteme gegeben. Diese werden anhand von Kriterien hinsichtlich ihrer Intuitivität in Bezug auf bestimmte Bedienhandlungen analysiert. Außerdem wird ein mögliches neues Merkmal zur Bewertung der mentalen Beanspruchung von Fahrern bei der Ausführung von Nebentätigkeiten vorgestellt und dessen Aussagekraft erörtert. Aufbauend auf Untersuchungsergebnissen zu Bedienvorgängen an Infotainmentsystemen während der Fahrt, wird ein Ansatz für die Beschreibung einer Abhängigkeit der Interaktionsvorgänge von einer durch den Benutzer gewählten „Interaktionsstrategie“ abgeleitet. Dieser Ansatz sowie die Analyseergebnisse aktueller Schnittstellen als auch Erkenntnisse zu typischen Fehlbedienungen aus Fahrversuchen stellen die Grundlage für die im letzten Abschnitt der Arbeit ausgeführten Gestaltungskonzepte für intuitive Schnittstellen von Infotainmentsystemen dar.
Das folgende Kapitel liefert grundlegende Aspekte der Modellbildung und Modellanwendung von Mensch-Maschine-Systemen und den damit zusammenhängenden Interaktions- und Informationsverarbeitungsprozessen. Dabei wird ableitend aus allgemeinen Darstellungen konkret Bezug zur Thematik dieser Arbeit genommen. Es wird unterschieden zwischen den Mensch-Maschine-Systemen ‚Fahrer-Fahrzeug’ und ‚Fahrer-Infotainmentsystem’.
Infotainmentsysteme sind zwar fest in Fahrzeugen verbaut, werden von diesem auch mit Energie versorgt und sind sogar teilweise bereits mit weiteren Fahrzeugsystemen vernetzt. Dennoch erscheint die Trennung beider Systeme für die folgenden Betrachtungen legitim und sinnvoll, da die Benutzung von Infotainmentsystemen keine zwingende Voraussetzung für die Ausführung der Fahraufgabe selbst ist (Siehe dazu auch Abschnitt 2.2.). Vielmehr bieten solche Systeme Unterstützungsfunktionen, die je nach persönlicher Methodik und Stimmung des Fahrers verwendet oder deaktiviert bzw. ignoriert werden können. Beide Möglichkeiten können also je nach Verkehrssituation und Fahrerzustand angemessen im Sinne der Sicherheit sein. Das soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Fahrer bei Verwendung des Infotainmentsystems zur selben Zeit an beiden Mensch-Maschine-Systemen beteiligt ist und diese sich daher wechselseitig bedingen können.
Allgemein wird unter einem Mensch-Maschine-System das Zusammenwirken von Mensch und technischem System oder Gerät (Maschine) zur Erfüllung vorgegebener oder selbstgestellter Ziele verstanden (z.B. Timpe (2000); Johannsen (1993)). Ein solches Gesamtsystem beinhaltet somit das Teilsystem Mensch und das Teilsystem Maschine. Eine wesentliche Komponente für das Mensch-Maschine-System ist weiterhin die Mensch- Maschine-Schnittstelle. Sie umfasst sämtliche technische Einrichtungen, welche die Wechselwirkung zwischen Menschen und Maschine im Sinne der Verwirklichung der oben angesprochenen Ziele ermöglichen. Diese Wechselwirkungsvorgänge zwischen beiden Teilsystemen werden unter dem Begriff „Mensch-Maschine-Interaktion“ (HMI - Human- Machine-Interaction) gefasst.
Es handelt sich bei dieser Art des Zusammenwirkens von Mensch und Maschine stets um ein rückgekoppeltes System, in welchem der Mensch unter anderem auf der Grundlage diverser Informationen über Maschinenparameter und Umgebungsbedingungen das technische System steuert. Zu betonen ist, dass ein MMS in der Regel kein abgegrenztes System ist, sondern auf seine Umgebung einwirkt und gleichzeitig zahlreichen Umgebungseinflüssen unterliegt, welche bei dessen Betrachtung zu berücksichtigen sind5.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2.1: Schema des Mensch-Maschine-Systems ‚Fahrer - Infotainmentsystem’
Die folgenden Abschnitte geben eine Einführung in die allgemeine beschreibende Modellierung von Mensch-Maschine-Systemen unter Bezugnahme auf die konkrete Anwendung für die Benutzung von Infotainmentsystemen durch Fahrer von Kraftfahrzeugen. Ein entsprechendes Strukturschema zeigt Abbildung 2.1.
Der Mensch, charakterisiert durch die Prozesse menschlicher Informationsverarbeitung, wird in der Modellierung des Mensch-Maschine-Systems als einfacher Regelkreis als Regler verstanden. Diese Vorstellung ist grundsätzlich auch in der Anwendung auf moderne, komplexe technische Systeme nicht falsch, jedoch gibt sie nur in unzureichendem Maße die Aufgabenteilung zwischen dem Mensch und einzelnen Subsystemen solcher Maschinen wieder. Für eine transparentere Modellierung des Zusammenwirkens beider Teilsysteme wird deshalb die Rolle des Menschen durch Timpe et al. als ein „interaktiver Problemlöser“6 beschrieben. Als solcher ist er die oberste Instanz einer Regelungsstruktur, Johannsen spricht hier von einem „hierarchisch dezentralen, dynamischen System“7, in welcher die Gesamtheit der Steuerungs- und Regelungsumfänge auf verschiedene Systemkomponenten verteilt ist, die wiederum über Zwischenebenen interagieren. Er hat die Möglichkeit, Teilfunktionalitäten zu aktivieren oder zu deaktivieren sowie Zielwerte von Ergebnisparametern festzulegen. Weiterhin überwacht er die Ergebnisse der maschineninternen Regelvorgänge und korrigiert diese bei Bedarf. Der Aspekt des ‚interaktiven Problemlösers’ wird jedoch besonders vor dem Hintergrund des Informationsaustausches mit den Unterstützungssystemen der Maschine bei der Bewältigung von Ausnahmesituationen deutlich (Siehe 2.1.2 Teilsystem Maschine).
Die Rolle des Menschen lässt sich nach Johannsen zudem je nach dessen Zielsetzung bzw. Aufgabe im Mensch-Maschine-System unterscheiden in „Bediener“ (operator) und „Benutzer“8 (user). Ein Bediener konfiguriert, bedient und überwacht das technische System im Hinblick auf vorgegebene Parameterwerte, ohne selbst dessen Leistungen direkt in Anspruch zu nehmen. Ein auf die hier betrachtete Thematik bezogenes Beispiel wäre ein Busfahrer, welcher die Bedienung der Klimaautomatik für den Fahrgastbereich auf der Basis von relativ festen Kenntnissen über die erforderlichen klimatischen Bedingungen vornimmt. Benutzer übernehmen ebenfalls die Bedienung des Systems, nutzen gleichzeitig jedoch auch die Ergebnisse des technischen Prozesses, womit sich der wesentliche Unterschied zwischen Bediener und Benutzer in einer unterschiedlichen Motivation und Zielsetzung in bezug auf die Interaktionsvorgänge in Mensch-Maschine-Systemen ergibt. Es kann allerdings sinnvoll sein, Benutzer für bestimmte Situationen, in welchen der Nutzungsaspekt außer Acht gelassen werden soll, auch als ‚Bediener’ zu betrachten. Da häufig der Fahrer selbst der einzige Insasse eines Kraftfahrzeugs ist und gleichzeitig aufgrund der eingangs dargelegten Zusammenhänge eine Beeinträchtigung der Sicherheit durch stark aufmerksamkeits- beanspruchende Bedienvorgänge angenommen wird, muss bei der Entwicklung entsprechender Fahrzeugsysteme von dem ungünstigeren Anwendungsfall, also von einem ‚Benutzer’, ausgegangen werden. Für die konsequenterweise weiterhin mögliche Rolle des Menschen als reiner „Nutzer“, dem die Systemleistungen zu Gute kommen ohne dass er das technische System in irgendeiner Weise bedient, kann wegen nicht vorhandener Interaktion zwischen beiden Systemen (Mensch und Maschine) nicht von einem Mensch-Maschine- System gesprochen werden, weshalb diese Möglichkeit für die Betrachtung solcher Systeme ohne Relevanz ist.
Die wesentlichen Variablen für das Verhalten des Menschen in MMS sind nach Johannsen9:
- Psychophysische Eigenschaften (unter anderem die Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung, wie z.B. Auflösungsvermögen, Wahrnehmungsschwellen)
- Erfahrung / Wissen
- Motivation
- Aufmerksamkeit
- Beanspruchung
- Ermüdung
Unter diesen lassen sich die Faktoren Motivation, Aufmerksamkeit und Ermüdung durch Instruktionen, Rückmeldungen und Über- bzw. Unterforderung beeinflussen. Indirekt ist weiterhin die Erfahrung in Bezug auf einen bestimmten Vorgang durch die Anpassung der Gestaltung des Vorgangs oder entsprechender technischer Hilfsmittel an den vorhanden Erfahrungsschatz des Benutzers beeinflussbar. Psychophysische Eigenschaften gelten hingegen laut Johannsen als nicht beeinflussbar.
Unter dem Teilsystem Maschine können alle technischen Systeme verstanden werden, welche aus mehreren Komponenten bestehen, die derart miteinander verknüpft sind, dass durch den Menschen bei der Verwendung nicht jeder einzelne physikalische Vorgang direkt, sondern vielmehr eine Kette von Vorgängen über bestimmte Eingriffpunkte beeinflusst wird. In diesem Sinne sind Maschinen von Werkzeugen abzugrenzen. Beispiele für Maschinen im Sinne eines MMS sind Werkzeugmaschinen, Produktionsanlagen, Kraftwerke, aber auch Computersysteme, Multimediasysteme sowie Flugzeuge und Fahrzeuge.
Das Konstrukt ‚Maschine’ lässt sich in Anlehnung an Timpe10 und Johannsen11 untergliedern in die Hauptkomponenten:
- Technischer Prozess
- Prozessautomatik
- Unterstützungssystem
- Mensch-Maschine-Schnittstelle
Es handelt sich dabei um eine sehr allgemeine Gliederung, die neben einem großen Spektrum von Ausprägungen und Verknüpfungen der einzelnen Komponenten einschließt, dass nicht alle Komponenten in jedem System ‚Maschine’ vorhanden sind. Für die anschließend im Vordergrund stehenden Infotainmentsysteme ist diese Unterteilung jedoch durchaus zutreffend, weshalb im folgenden auf die Bedeutung der einzelnen Komponenten näher eingegangen wird.
Unter dem Begriff „Technischer Prozess“ sind sämtliche Baugruppen und Vorgänge zusammengefasst, welche die eigentliche bestimmungsgemäße Leistung der Maschine erbringen. In Infotainmentsystemen, welche je nach Ausführung verschiedene Fahrerinformations- und Unterhaltungssysteme integrieren, sind unterschiedliche technische Prozesse zu differenzieren. Beispiele hierfür zeigt Tabelle 2.1.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2.1: Beispiele für technische Prozesse in Infotainmentsystemen
Die „Prozessautomatik“ übernimmt jene Steuerungs- und Regelungsfunktionen der technischen Prozesse, welche auf festgelegten Bedingungen und Algorithmen beruhen und daher nicht des fortwährenden Eingriffes des Menschen bedürfen. Sie hat somit die Aufgabe, mehr oder weniger große Umfänge der Informationsverarbeitung zu erfüllen und damit den Menschen zu entlasten. Dennoch, oder gerade deswegen, hat die Prozessautomatik einen wesentlichen Einfluss auf das Zusammenwirken von Mensch und Maschine, da der Mensch in einer Vielzahl der Fälle wissen muss, in welcher Art und Weise die Prozessautomatik arbeitet und welche Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Kontrolle und des zusätzlichen Eingriffs bestehen. Ein Beispiel für die Prozessautomatik von Infotainmentsystemen sind die automatische Berechnung einer neuen Fahrroute bei Abweichung von der bisherigen, der automatische CD-Wechsel oder die automatische Suche und Einstellung des stärksten Signals eines Radiosenders unter verschiedenen Frequenzen.
Für die Komponente „Unterstützungssystem“ existiert bislang in der Literatur keine einheitliche und eindeutige Abgrenzung. Teilweise ist sogar die Zuordnung einzelner Subsysteme zu Prozessautomatik oder Unterstützungssystem uneindeutig. Beispielsweise lässt sich je nach systemtechnischem Betrachtungsansatz das Anti-Blockier-System sowohl als Automatisierung einer spurstabilen Vollbremsung betrachten, als auch als Unterstützung des Fahrers bei der Ausführung einer Stotterbremsung12. Abgesehen von der expliziten Einordnung einzelner systemtechnischer Einrichtungen werden jedoch unter dem Begriff ‚Unterstützungssystem’ rechnerunterstützte Assistenz-, Diagnose- und Hilfesysteme zusammengefasst. Sie unterstützen den Menschen bei seinen Aufgaben der Informationsverarbeitung in den Bereichen Wahrnehmung, Datenspeicherung (Gedächtnis), wissensbasierte Entscheidung und Aufmerksamkeitslenkung durch zum Beispiel Priorisierung, Gruppierung, Erklärung (Hilfe), Speicherung vorhergehender Systemzustände für Undo-Funktion (rückgängig), Selektion und Meldung (Hervorhebung) kritischer Parameterwerte und dergleichen mehr. Nach Hauß & Timpe zeichnet sich ein Assistenzsystem dadurch aus, dass es auf kritische Systemzustände oder Handlungsalternativen aufmerksam macht und unter der Voraussetzung der Bestätigung durch den Benutzer teilweise automatisch eine der Alternativen ausführt13. Entsprechend dieser Definition werden hier Assistenz- und Diagnosesysteme als gleichbedeutend verstanden. Im Gegensatz zum Assistenzsystem unterstützt ein Hilfesystem den Menschen ohne direkten Bezug zu aktuellen System- und Umgebungszuständen und kann somit nach Hauß und Timpe als „kontextfreies Assistenzsystem“ verstanden werden.
Ein Beispiel für Assistenzsysteme im Infotainmentbereich ist ganz allgemein die systemseitige Abbildung der durch den Menschen beeinflussbaren Systemparameter in einer häufig aufgabenbezogenen Menüstruktur. Diese Unterstützung des Menschen wird häufig auch unter der Bezeichnung „Benutzerführung“ zusammengefasst und steht in engem Zusammenhang mit der Mensch-Maschine-Schnittstelle. Da der Gebrauch von Bedienelementen in Verbindung mit grafischen Displays ohne die Strukturierung der Interaktionsumfänge nicht möglich wäre (Nähere Ausführungen dazu finden sich in Abschnitt 3.), werden die Systeme der Benutzerführung hier auch als „Software“ der Mensch- Maschine-Schnittstelle verstanden. Obwohl diese Systeme also einerseits Voraussetzung für die Bedienung der Maschine durch den Menschen sind, erscheint deren Einordnung im Bereich der Unterstützungssysteme wegen der angestrebten Anpassung der Interaktionsstruktur an die Informationsverarbeitungsprozesse des Menschen gemäß der vorangegangenen Definition sinnvoll. Ein ganz konkretes Beispiel eines Assistenzsystems von Infotainmentsystemen ist das Abblenden und Deaktivieren einzelner Buchstaben der Alphabetdarstellung während der Eingabe von Navigationszielen auf der Grundlage gespeicherter Orts und Straßenverzeichnissen. (Siehe auch Abschnitt 4.2.3)
Hilfesysteme sind in Infotainmentsystemen bisher nur selten vorhanden. Als Beispiel kann hierfür ein Unterstützungssystem des Systems „Nav Plus“ der Firma Audi angeführt werden, welches teilweise am unteren Rand des Displays durch einen einzeiligen Text einzelne Menüinhalte näher beschreibt. Eine weitere Möglichkeit der Umsetzung eines Hilfesystems wäre die akustische Wiedergabe von Erläuterungen zur Systembenutzung (interaktive Bedienungsanleitung).
Die Mensch-Maschine-Schnittstelle ist ebenfalls Teil der Maschine. Da diesem Subsystem jedoch im Hinblick auf die Thematik dieser Arbeit für das Zusammenwirken von Mensch und Maschine eine zentrale Bedeutung zukommt und die Zugehörigkeit zur Maschine hinsichtlich der abstrakten Bedeutung des Begriffs nicht selbstverständlich ist, wird sie folgend in einem separaten Abschnitt eingeführt.
Unter einer Schnittstelle (Interface) versteht man im Bereich der Technik allgemein die Komponenten eines Systems, die die reine Übertragung von Informationen und Befehlen zwischen zwei Systemen ermöglichen. Entsprechende Schnittstellen müssen also bei allen beteiligten Systemen vorhanden und aufeinander abgestimmt sein. Obgleich der Mensch ein Organismus ist, verleihen ihm Organe wie beispielsweise die Extremitäten und die Organe der Sprachbildung die Fähigkeit, mit technischen Systemen zu interagieren. Diese Organe lassen sich mit Bezug auf die Wechselwirkung zwischen Mensch und Maschine ebenfalls als Mensch-Maschine-Schnittstelle bezeichnen. Da diese ‚Schnittstelle’ des Menschen in vielerlei Hinsicht außerordentlich flexibel ist und sich gleichzeitig unter den heutigen medizin-technischen und ethischen Voraussetzungen für den allgemeinen Fall nicht im Rahmen eines technischen Entwicklungsprozesses gestalten lässt14, ist mit dem Terminus Mensch-Maschine-Schnittstelle ausschließlich diejenige auf der Seite des technischen Systems angesprochen, was beinhaltet, dass hier die Anpassung an die Schnittstelle des Menschen erfolgen muss. Die Mensch-Maschine-Schnittstelle wird auch als „Benutzungsschnittstelle“15 bezeichnet und stellt entweder ein Subsystem eines technischen Systems dar oder bildet als sogenannte „Leitwarte“ oder „Leitstand“ ein eigenständiges System und dient somit als Mensch-Maschine-Schnittstelle für mehrere angebundene Maschinen. Diese Anschauung kann auch für Infotainmentsysteme verwendet werden, denn unter der systemübergreifenden Bezeichnung sind mehrere Einzelsysteme, wie CD-Spieler, Navigationssystem und Bordcomputer, zusammengefasst, welche alle über eine zentrale Schnittstelle bedient werden.
Das System ‚Schnittstelle’ lässt sich weiter untergliedern in seine Eingabe- und Ausgabeelemente (HID - Human Interaction Device) sowie die implementierte Struktur für Wechselwirkungsvorgänge, die „Mensch-Maschine-Interaktionsstruktur“ (HMIS - Human- Machine-Interaction-Structure). Im Hinblick auf die bei Infotainmentsystemen verwendete Technologie speicherprogrammierbarer integrierter Schaltkreise in Verbindung mit variablen Inhalten für Bedien- und Anzeigeelemente kann für Eingabe- und Ausgabeelemente auch von „Hardware“ und für Interaktionsstrukturen von „Software“ gesprochen werden. Die Hardware dient der physikalischen Übertragung einzelner Informationen und Befehle und umfasst alle materiellen Bestandteile, welche sich nur durch mechanischen Eingriff verändern lassen und somit im Rahmen des normalen Gebrauchs als unveränderlich betrachtet werden können. Bezogen auf rein mechanisch arbeitende Bedien- und Anzeigeelemente ist auch deren Funktionsweise und Charakteristik invariabel. Für Elemente, deren mechanische Eigenschaften durch eine elektronische Steuerung angepasst werden können („Mechatronik“) gilt dies jedoch nicht. Ein Beispiel dafür ist der „High Controller“, das zentrale Eingabeelement des iDrive-Systems der BMW AG, welcher eine softwaregesteuerte Rastung bietet. Die Software, also die Mensch-Maschine-Interaktionsstruktur, beschreibt die formellen Zusammenhänge bzw. Muster der Informationsübertragung wie Sprache (Wortwahl), Handlungsregeln und Handlungsabfolgen aber auch Inhalt und Format bzw. Gestalt der einzelnen Informationen. Da die Strukturierung der Interaktionsvorgänge der Schnittstelle gleichzeitig den Anspruch impliziert, eine Unterstützung des Menschen bei der Benutzung des Systems zu bieten, kann die Software der Mensch-Maschine-Schnittstelle, wie im vorhergehenden Abschnitt bereits angesprochen, gleichzeitig auch als Unterstützungssystem betrachtet werden.
Ein einfaches Beispiel zur Veranschaulichung des Zusammenhangs von Hardware und Software einer Benutzungsschnittstelle ist die Verwendung der linken Taste einer Computermaus. Die Taste an sich (Hardware) überträgt lediglich stets gleichartige einzelne Betätigungsereignisse. Wird die Taste jedoch zweimal kurz hintereinander betätigt, so interpretiert die Software dieses Ereignis als einen Doppelklick und verknüpft diese Eingabe mit einer anderen Funktion als bei zwei aufeinander folgenden Einzelklicks.
Um den Stellenwert der Aufgabenausführung des Fahrers am Infotainmentsystem einschätzen zu können, ist es notwendig, dessen gesamten Betätigungsumfang im Fahrzeug zu berücksichtigen. Grundsätzlich leiten sich die Aufgaben eines Fahrers aus vorgegebenen oder selbstgestellten Zielen ab. Als „Aufgabe“ werden entsprechend solche Tätigkeiten verstanden, welche ein zu Beginn der Tätigkeit feststehendes und bewusstes Ziel verfolgen und mit Erreichen dieses Ziels abgeschlossen sind. Entsprechend eines Lösungsweges, von teilweise mehreren möglichen, ist eine Folge sequenziell aufeinander aufbauender und somit einer vorgegebenen Reihenfolge unterliegenden Teilhandlungen auszuführen, wobei jede einzelne dieser Handlungen ausschließlich der Erreichung des abschließenden Aufgabenziels dient und somit ohne Selbstzweck ist. In Abhängigkeit von situationsbedingten Faktoren und personenspezifischen Präferenzen, wie zum Beispiel Schnelligkeit oder Schwierigkeit, wird ein optimaler Weg zum Aufgabenziel gewählt. Nach einer Unterbrechung kann die Aufgabenausführung nur mit dem unterbrochenen Handlungsschritt wieder aufgenommen werden, oder muss vollständig neu begonnen werden.
Die Hauptaufgabe eines Fahrers ist uneingeschränkt die Fahrzeugführung, welche sich nach Timpe16 aus den „Primäraufgaben“ und den „Sekundäraufgaben“ zusammensetzt. Zu den Primäraufgaben gehören dabei alle diejenigen, die für die Fahrzeugführung unablässig sind. Diese sind den Gliederungsebenen Navigieren/Planen (Streckenführung), Manövrieren (Wegführung) und Stabilisieren (Spurführung) zugeordnet. Entsprechende Beispiele zeigt Tabelle 2.2. Die Sekundäraufgaben umfassen hingegen alle Aufgaben, welche direkt oder indirekt der Unterstützung des Fahrers bei der Bewältigung der Primäraufgaben dienen. Sie werden charakteristischerweise parallel zur Primäraufgabe ausgeführt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2.2: Beispiele für Primäraufgaben der Fahrzeugführung
Dazu gehört also im Bereich der indirekten Unterstützung auch die Bedienung von Informations-, Komfort- und Unterhaltungssystemen, da deren Leistungen zum einen die Informationsbeschaffung, beispielsweise für die Aufgabe ‚Navigieren’, erleichtern sollen. Zum andern dienen gerade Komfort- und Unterhaltungssysteme, wie die Klimaregelung und Audiosysteme, auch dem Zweck, die Leistungsfähigkeit des Fahrers weitestgehend zu erhalten bzw. seiner Ermüdung entgegenzuwirken. Weitere Beispiele zeigt Tabelle 2.3.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2.3: Beispiele für Sekundäraufgaben der Fahrzeugführung
Außer den Tätigkeiten des Fahrers, die sich Primär- und Sekundäraufgaben zuordnen lassen, gibt es jedoch noch weitere Betätigungen, für welche hier die Kategorie der „Nebenbeschäftigungen“ eingeführt wird. Nebenbeschäftigungen dienen nicht der Unterstützung der Primäraufgaben oder müssen als solche nicht notwendigerweise während der Fahrt ausgeführt werden. Sie werden im Gegensatz zu Aufgaben oftmals wegen der Tätigkeit selbst ausgeübt, wobei nicht vordergründig die Erfüllung eines abschließenden Ziels angestrebt wird. Weiterhin folgen Nebenbeschäftigungen in der Regel keiner definierte Handlungsfolge und lassen sich in vielen Fällen jederzeit unterbrechen und wieder aufnehmen. Beispiele für Nebenbeschäftigungen sind:
- Telephonieren
- Gedankliche Verarbeitung beruflicher oder privater Probleme
- Beobachtung von Kindern im Fond oder auf dem Beifahrersitz
- Unterhaltung mit Mitfahrern
- Rauchen und Essen
Zusammenfassend sei darauf hingewiesen, dass die Zuordnung einzelner Tätigkeiten von der Ausprägung der einzelnen Kriterien abhängt und keineswegs immer eindeutig ist. Beispielsweise kann die Unterhaltung mit Mitfahrern, wenn sie der Klärung eines Problems der Navigation dient, als Unterstützung dieser Primäraufgabe aufgefasst werden. Gleichzeitig müsste aber eine Unterhaltung, die im allgemeinen Sprachgebrauch als „Small Talk“ bezeichnet werden würde, den Nebenbeschäftigungen zugeordnet werden.
Im Rahmen der Erforschung menschlichen Verhaltens in Mensch-Maschine-Systemen wurden zahlreiche Ansätze zur Beschreibung der menschlichen Informationsverarbeitungs- vorgänge entwickelte. Wegen der Komplexität dieses Forschungsgegenstandes und der Schwierigkeit der Erfassung und zweifelsfreien Interpretation einzelner Vorgängen der Informationsverarbeitung, bestehen derartige Konzepte trotz ihrer bisweilen sehr unterschiedlichen Ansichten parallel. Gleichzeitig werden in der Regel nur Teilumfänge sämtlicher Informationsverarbeitungsvorgänge abgebildet. Typischerweise können entsprechende Modelle zur Erklärung spezifischer Phänomene oder aber zur Beschreibung von Abhängigkeitsstrukturen herangezogen werden. Umfassende Ausführungen zu einzelnen Modellen der menschlichen Informationsverarbeitung finden sich zum Bespiel bei Wickens (1984), Rasmussen (1986), Sheridan (1992), Johannsen (1993) und weiteren. Neben dieser beschreibenden Modellierung der Informationsverarbeitungsvorgänge gibt es weiterhin Ansätze der Erstellung formaler dynamischer Benutzermodelle anhand einer algorithmischen Abbildung reliabler Erkenntnisse zu spezifischen menschlichen Informationsverarbeitungsvorgängen (z.B. Jürgensohn (1997), Irmscher (2001)). Diese Modelle können in Simulationen von Mensch-Maschine-Tätigkeiten eingesetzt werden, um das Verhalten des Menschen unter variablen Bedingungen abzuschätzen.
In dieser Arbeit geht es allerdings um eine phänomenologisch-analytische Betrachtung der Mensch-Maschine-Interaktion und der Gestaltungsrückwirkungen entsprechender Schnitt- stellen. Daher werden in diesem Kapitel modellhafte Vorstellungen bestimmter Aspekte der menschlichen Informationsverarbeitung vorgestellt, welche geeignet erscheinen, hier betrachtete typische Verhaltensweisen und einzelne Phänomene bei der Interaktion zwischen Mensch und Maschine zu beschreiben und einzuordnen. Dabei wird der Terminus ‚Informationsverarbeitung’ einerseits als ein sehr umfassendes Konstrukt betrachtet, das sich zunächst auf alle Vorgänge des Umgangs mit Informationen durch den Menschen bezieht. Dazu gehören gemäß einfacher Darstellungen die Informationsaufnahme (Wahrnehmung), die Entscheidungsprozesse, die Informationsspeicherung und die Informationsweitergabe (Motorik und Sprache)17. Timpe18 fasst die menschliche Informationsverarbeitung entsprechend zusammen als die Menge aller kognitiven Prozessen. Weiterhin geht er davon aus, dass „alle Mitteilungen und Handlungen eines Fahrers das Resultat von Informations- verarbeitungsprozessen“ sind. Im engeren Sinne der Informationsverarbeitung geht es also vor allem um die inhaltliche Verarbeitung von Informationen im Sinne von Interpretation, Zuordnung, Vergleich, Speicherung und Entstehung durch deduktives oder induktives Schließen.
Wie durch die Ausführungen dieser Arbeit deutlich werden wird, hängt die Intuitivität einzelner Merkmale von Mensch-Maschine-Schnittstellen im wesentlichen von der Aufnahme, Speicherung und inhaltlichen Verarbeitung von Informationen ab. Daher werden diese Vorgänge in den folgenden Ausführungen zu den grundlegenden Zusammenhängen menschlicher Informationsverarbeitung im Vordergrund stehen. Prinzipiell kann es darüber hinaus als naheliegend erscheinen, dass bei der Betrachtung von Mensch-Maschine- Schnittstellen gerade auch die Vorgänge der Informationsübertragung vom Menschen zur Schnittstelle von Bedeutung sind. Das ist zweifelsohne im Rahmen physiologischer Zusammenhänge mit Bezug zu Gesichtspunkten der Ergonomie auch zutreffend. Da jedoch die Aspekte der Intuitivität rein psychologischer Art sind, wird hier in physiologischer Hinsicht vereinfachend eine optimale Ergonomie der Schnittstelle vorausgesetzt. Gleichzeitig wird die Ansicht vertreten, dass ohne wesentliche Einschränkungen für erwachsene Benutzer das ausnahmslose Gelingen jeglicher Informationsweitergabe im Rahmen der individuellen physiologischen Möglichkeiten vorausgesetzt werden kann, sofern das entsprechende Wissen über die erforderliche „Kodierung“ der Information vorhanden ist. Mit anderen Worten, der bestimmenden Faktor der Informationsweitergabe besteht in der Bereitstellung der Kodierungsinformation und ist somit wiederum eine Frage der Informationsaufnahme sowie der inhaltlichen Verarbeitung. Der Begriff ‚Kodierung’ bezieht sich dabei beispielsweise für Sprachbedienung auf Wortwahl, Wortfolge, Intonation u.ä., für manuelle Bedienung auf die Bewegungslogik eines Bedienelementes sowie für Gestikbedienung auf die gestische Symbolik.
Für die Wahrnehmung seiner Aufgaben in Mensch-Maschine-Systemen nimmt der Mensch sowohl aus der Umgebung, also auch über das technische System Informationen auf. Dabei kann für die Informationsaufnahme über das technische System unterschieden werden zwischen „direkter sensorischer Kontrolle“ anhand der Außenansicht eines Systems und „indirekter sensorischer Kontrolle“ über Informationskanäle der Mensch-Maschine- Schnittstelle, wie z.B. Anzeigen oder akustische Ausgaben.19
Grundsätzlich kann die Informationsaufnahme des Menschen als zweistufiger Prozess aufgefasst werden. Dabei werden in der ersten Stufe, der „Reizaufnahme“ (Rezeption), die Rezeptoren der Sinnesorgane durch äußere Reize biochemisch angeregt. Ein entsprechend kodiertes Signal wird über die Nerven an das zentrale Nervensystem weitergeleitet, wo bereits unter Beteiligung von Gehirnaktivität durch Mustererkennung und Merkmalsbildung die eigentliche „Reizwahrnehmung“ (Perzeption) erfolgt.20 Für die Aufnahme der verschiedenen Reizmodalitäten, wie Schall, Licht, Temperatur u.s.w., stehen unterschiedliche „Wahrnehmungskanäle“ (auch sensorische Kanäle) zur Verfügung. Dabei bezieht sich der Begriff „Kanal“ nicht auf explizite physiologische Voraussetzungen, sondern stellt ein Konstrukt dar, welches eine systematische Zuordnung von Rezeptoren, Nervenverknüpfungen und Gehirnaktivitäten im Sinne einer spezifischen Wahrnehmungsart vornimmt. Unter den Wahrnehmungskanälen sind der visuelle (Sehen), der auditive (Hören) sowie der haptische Kanal von besonderer Bedeutung sowohl für die Interaktion zwischen Fahrer und Infotainmentsystem also auch zwischen Fahrer und Fahrzeug. Wichtig ist dabei die Erkenntnis, dass in beiden Mensch-Maschine-Systemen nach wie vor der weitaus größte Teil der Informationen über den visuellen Kanal übertragen wird, nicht zuletzt, weil Menschen ohnehin stark auf die visuelle Wahrnehmung fixiert sind. Es wird jedoch in zahlreichen aktuellen Forschungs- und Entwicklungsprojekten eine intensivere Nutzung des auditiven Kanals angestrebt. Neben der Konzentration auf Möglichkeiten der Spracheingabe beziehen solche Ansätze in der Regel auch die Sprachausgabe und andere Formen akustischer Informationsausgabe ein. Gleichzeitig kommt aber auch der Ausrichtung und Aufbereitung von Informationsausgaben hinsichtlich haptischer Wahrnehmung zunehmend mehr Aufmerksamkeit zu.
Wegen umfassender und zumindest im Bereich der Grundlagen auch überwiegend einmütiger Ausführungen in der Literatur zur Bedeutung und zu allgemeinen Zusammenhängen der auditiven und vor allem der visuellen Wahrnehmung erscheint es an dieser Stelle nicht erforderlich, eine grundlegende Begriffsklärung vorzunehmen. Da allerdings zur Beschreibung und Einordnung der Wahrnehmung von Tast- und Bewegungsinformationen (Haptik) zum Teil recht unterschiedliche Auffassungen in der Literatur vertreten werden, dieser Wahrnehmungsform jedoch für Fahreranwendungen in Automobilen eine besondere Bedeutung zukommt, wird der Begriffsbestimmung und Darstellung entsprechender Zusammenhänge dieses Gebietes für die Verwendung im Rahmen der anschließenden Betrachtungen ein separater Abschnitt gewidmet (2.3.1.2). Weitere Wahrnehmungskanäle wie der olfaktorische (Geruchssinn), der gustatorische (Geschmackssinn) oder das Vestibulärsystem (Gleichgewichtssinn) spielen bisher in Zusammenhang mit der Benutzung von Infotainmentsystemen keine Rolle und werden daher hier nicht weiter berücksichtigt.
Für die integrierende Wahrnehmung von Tast- und Bewegungsinformationen steht dem Menschen das „somatosensorische System“ (auch „somatosensibles System“) zur Verfügung. Nach Weiss21 umfasst dieses System neben spezifischen peripheren Rezeptoren („Mechanorezeptoren“) weiterhin Teile des Rückenmarks, des Hirnstamms sowie Bereiche der Hirnrinde (Kortex). Dabei liefert die kinästhetische Rezeption anhand von Rezeptoren an Sehnen, Gelenken und Muskeln Informationen über Position und Bewegung von Gliedmaßen im Raum. Synonyme Bezeichnungen für den entsprechenden Gegenstandsbegriff „Kinästhesie“ sind nach Grundwald22 außerdem „Tiefenwahrnehmung“, „Tiefensensibilität“ bzw. „Propriozeption“. Die taktile Rezeption (Tastempfindung) umfasst alle mit Berührungen verbundenen Empfindungen der verschiedenartigen Rezeptoren der Haut (z.B. Druck, Vibration u.a.). Das somatosensorische System betrifft zunächst nur die rein passive Wahrnehmung von Tast- und Bewegungsinformationen. Nach einhelliger Meinung zahlreicher Autoren besteht offenbar jedoch kein Zweifel daran, dass motorische Prozesse des Körpers (Bewegungen) gleichzeitig ständig Informationen über den Bewegungsablauf generieren, welche wiederum in die sensorische Wahrnehmung eingehen. Man spricht bei dieser Wechselwirkung motorischer und sensorischer Prozesse auch von „Sensomotorik“ und fasst die beteiligten neurophysiologischen Teilprozesse als „sensomotorisches System“ zusammen.23 Dieses System wird bestimmt durch ein Steuer- und Regelungssystem sowie durch ein System für die sensorische Wahrnehmung der durch sensomotorische Prozesse generierten Informationen, wobei an dieser Stelle davon ausgegangen wird, dass entsprechende Wahrnehmung über das somatosensorische System erfolgt, was durch die Ausführungen von Weiss unterstützt wird.
Wegen der eingangs angedeuteten Mehrdeutigkeiten bezüglich des Konstruktes „Haptik“ ist es erforderlich, ein Beschreibungsmodell der entsprechenden Zusammenhänge für den Gebrauch in dieser Arbeit festzulegen. Dabei wird im wesentlichen einer weit verbreiteten Anschauung gefolgt, nach welcher Haptik ein Forschungsgebiet betrifft, welches sich mit perzeptiven Leistungen beim Berühren, Ergreifen und Erfassen beschäftigt, deren sensorische Grundlage kinästhetischer und taktiler Art ist (z.B. Witte24, Loomis25 u.a.). Im Rahmen dieses grundsätzlichen inhaltlichen Umrisses wird der Begriff jedoch für zwei in enger Beziehung zueinander stehende, aber dennoch zu differenzierende Sachverhalte verwendet, welche im folgenden näher beschrieben werden.
In seiner Hauptbedeutung wird unter Haptik die Gesamtheit der physiologischen und psychologischen Wahrnehmung der in Bezug zueinander stehenden Empfindungen von Bewegung und Berührung beim Erfassen von Objekten verstanden. Eine solche Wahrnehmung erfolgt über das somatosensorische System. Es wird davon ausgegangen, dass haptische Wahrnehmung in den ersten Jahren nach der Geburt des Menschen sogar die primäre Form der Wahrnehmung äußerer Reize darstellt und erst später die Ausrichtung auf die visuelle Wahrnehmung überwiegt.26
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2.4: Zuordnung von Objektmerkmalen und haptischen Explorationsschemata nach Lederman & Klatzky27
Daran wird deutlich, welche Bedeutung und Leistungsfähigkeit Haptik bei der Interaktion des Menschen mit seiner Umgebung, beispielsweise bei der Exploration (Tabelle 2.4) oder Benutzung von Gegenständen unter Verwendung der Arme und Hände, neben dem Sehen hat. Die Tatsache, dass dabei ganz unterschiedliche Arten von Reizen (Bewegung, Druck, Dehnung u.ä.) beteiligt sind, schließt ein, dass es kein Sinnesorgan bzw. keine Rezeptoren für die direkte Aufnahme ‚haptischer Reize’28 gibt. Diese Erkenntnis ist gleichermaßen eine Bestätigung der Differenzierung von Rezeption und Perzeption (siehe oben), da hier erst während des Vorgangs der Perzeption Bewegungs- und Berührungsreize, statt ausschließlich getrennt voneinander, gemeinsam als haptische Informationen wahrgenommen werden. Differenzen in verschiedenen Ansätzen zur Beschreibung der Haptik ergeben sich vor allem bezüglich der Beteiligung und des Zusammenhangs physiologischer und psychologischer Vorgänge im einzelnen. Daraus resultieren nicht zuletzt Unterschiede in der Terminologie. Einen umfassenden Überblick liefert zum Beispiel Grunwald29.
In seiner weiteren Bedeutung findet der Begriff Haptik Verwendung als eine auf die haptische Wahrnehmung ausgerichtete Eigenschaft von Bedienelementen. Man spricht in diesem Zusammenhang zum Beispiel von der ‚Haptik eines Schalters’ oder auch von den ‚haptischen Eigenschaften’ eines Elementes. Der wesentliche Charakter dieser Eigenschaft besteht dabei in mehr oder weniger gut wahrnehmbaren unmittelbaren haptischen Rückmeldungen zu einer im selben Moment ausgeführten Bedienhandlung.
Haptische Wahrnehmung ist sowohl in Verbindung mit sensomotorischen Prozessen (aktiv) als auch in Ruhe, also ohne zeitgleiche Bewegung, (passiv) möglich. Passive haptische Wahrnehmung sei dabei definiert als die Veränderung zuvor konstanter taktiler und kinästhetischer Reize durch externe Einflüsse. Das bedeutet, dass eine solche Wahrnehmung vorliegt, wenn beispielsweise ein bewegungslos in der Hand gehaltenes Objekt seine äußere Gestalt, seine Oberflächenbeschaffenheit oder sein Volumen verändert. Im Fall der aktiven haptischen Wahrnehmung wird eine durch die aktive sensomotorische Bedienbewegung selbst ausgelöste haptische Rückmeldung als wahrnehmbarer Reiz in den Bewegungsablauf ‚eingespeist’. Das bedeutet, dass die Rückmeldung Teil der Bewegung wird und sich somit in Form einer, wenn auch erwünschten, ‚Störung’ des Bewegungsablaufs bzw. der sensomotorischen Wechselwirkung auswirkt. Die haptische Wahrnehmung resultiert demnach auch aus der Wahrnehmung von Störinformationen bzw. äußeren Einflüssen auf sensomotorische Prozesse. Innerhalb dieser Modellvorstellung ließe sich ebenfalls die passive haptische Wahrnehmung bei sensomotorischer Ruhe als Extremfall sensomotorischer Prozesse darstellen. Haptische Rückmeldungen, welche sich in einer durch den jeweiligen Systemzustand bestimmte Gegenkraft zur Bedienhandlung des Benutzers ausdrücken, werden auch als „force feedback“ (Kraftrückmeldung) bezeichnet.
Ein einfaches Beispiel für aktive haptische Wahrnehmung (auch „haptische Rückmeldung“) von Bedienelementen ist der Endanschlag einer Drucktaste, welcher vom Bediener als plötzliche Gegenkraft zur von ihm aufgebrachten Druckkraft wahrgenommen wird. Ein weiteres etwas komplexeres Beispiel ist die Rastung eines Drehknopfes. Bei dessen Betätigung (Drehen) kommt es zu einem dynamischen Verlauf des vom Drehknopf selbst ausgehenden Momentes über dem Drehwinkel. In diesem Momentverlauf steigt nach einer vereinfachten Vorstellung das Moment ausgehend von einer Rastposition bis zum Erreichen des nächstgelegenen Rastwechselpunktes stetig an. Es stellt dabei ein Gegenmoment zu dem vom Mensch aufgebrachten Drehmoment dar, welches dieser als Drehwiderstand wahrnimmt. Nach Überschreiten des Rastwechselpunktes wechselt das Moment des Knopfes schlagartig das Vorzeichen und wirkt ebenfalls in Drehrichtung. Dabei nimmt der Betrag des Moments bis zum Wert Null in der nächsten Ruheposition stetig ab. Für die Wechselwirkung zwischen dem Handlungsalgorithmus des Bedieners und dem Momentverlauf des Knopfes gibt es zwei grundsätzliche Möglichkeiten. Bei momentgeregelter Bedienung bestimmt der Bediener den Verlauf des selbst aufgebrachten Momentes und registriert die Drehwinkelbeschleunigung, welche vom Knopfmoment abhängt, als haptische Wahrnehmung. Bei Regelung der Winkelgeschwindigkeit gibt der Bediener den Verlauf der Winkelgeschwindigkeit über dem Drehwinkel vor und registriert entsprechend den Einfluss des Knopfmomentes selbst als haptische Wahrnehmung.30 In beiden Fällen erfolgt die haptische Wahrnehmung als In der Regel wird sich bei Bewegungsvorgängen um eine Kombination beider Varianten handeln.
Veränderung des sensomotorischen Handlungsalgorithmus’ infolge einer äußeren Beeinflussung (Störung). Auch wenn der Bediener den Momentverlauf des Drehknopfes grundsätzlich kennt, so wird er im allgemeinen nicht in der Lage sein, diesen Verlauf innerhalb seines Handlungsalgorithmus’ exakt nachzubilden, weshalb die äußeren Einflüsse in jedem Fall als solche wahrnehmbar sind.
Nach dieser Beschreibung der Haptik sind rein sensomotorische Prozesse, die vollkommen unabhängig von externen Einflüssen sind, nicht in den Bereich der Haptik einzuordnen. Beispiele für derartige Prozesse finden sich in der Gestik. Aber auch die idealisierte Betätigung eines bereits zuvor ergriffenen Drehknopfes, welcher keinerlei über den Drehwinkel veränderliche Merkmale aufweist, liefert keine haptische Wahrnehmung unter der Voraussetzung, dass die Bewegung vollständig durch drehen der Hand und nicht durch Abrollen der Finger auf der Drehknopfoberfläche erfolgt. Das Ergreifen des Drehknopfes jedoch gehört zum Bereich der Haptik, denn es liefert haptische Informationen unter anderem zum Durchmesser, zur Oberflächenbeschaffenheit und zur Wärmeleitfähigkeit.
Unter „Multimodalität“ wird die Möglichkeit der Nutzung unterschiedlicher aktuatorischer- und sensorischer Systeme („Kanäle“) für die Informationsaufnahme oder die Informationsweitergabe (z.B. Eingabe von Befehlen und Daten) durch den Benutzer verstanden. In Zusammenhang mit der Benutzung von Elektroniksystemen kann das zum einen bedeuten, dass das System für jeden Ein- oder Ausgabevorgang die optimale Modalität bezüglich des jeweiligen Kontextes anbietet. Zum anderen kann Multimodalität aber auch in der Form umgesetzt werden, dass durch ein System für einen Vorgang parallel verschiedene Modalitäten angeboten werden, aus denen der Benutzer diejenige auswählen kann, die ihm nach seinen persönlichen Gewohnheiten und Präferenzen als günstig erscheint. Eine besondere Bedeutung der Multimodalität für die Informationsaufnahme besteht des weiteren darin, dass beispielsweise laut Wickens et al.31 Aufgaben leichter fallen, für deren Bearbeitung Informationen aus verschiedenen Modalitäten aufgenommen werden. Dieser Effekt ist vor allem auf die Möglichkeit redundanter Informationswahrnehmung über verschiedene sensorische Kanäle zurückzuführen, da lückenhaft oder verzerrt aufgenommene Informationen durch Wahrnehmungen in weiteren Modalitäten bestätigt oder ergänzt werden können.32 Dieser Zusammenhang wird von England33 auch „intermodale Verstärkung“ genannt. Diese ist für Vorgänge der Informationsweitergabe im Fahrzeug nach bisherigen Erkenntnissen nur sehr eingeschränkt sinnvoll, da es dort gerade Ziel ist, den Fahrer so gering wie möglich durch derartige Vorgänge zu belasten. Denkbar wäre jedoch eine Nutzung ohnehin häufig redundant ausgeführter Handlungen des Benutzers, wie beispielsweise einer spezifischen Mimik oder Kopfbewegung parallel zu einer verbalen Verneinung. Neben dem Aspekt der Redundanz wird außerdem angenommen, dass durch multimodale Informationsübertragung die Wahrnehmung unterschiedlicher paralleler Informationen in höherem Maße gelingt, als die zeitgleiche Wahrnehmung mehrerer Informationen in ein und der selben Modalität, da diese in Konkurrenz zueinander bezüglich der begrenzten Ressourcen des entsprechenden Wahrnehmungskanals stehen. Einen Hinweis, der diese Annahme unterstützt, lieferten Versuchsergebnisse von Sikora34, nach welchen parallele Ausgaben bzw. Rückmeldungen, die die gleiche Modalität ansprechen, negative Auswirkungen auf die Reaktionszeit des Nutzers hatten.
Im Bereich der Informationsaufnahme kommen als Modalitäten im wesentlichen die Optik, die Akustik sowie die Haptik in Betracht. Für die Informationsweitergaben stehen bisher vor allem die manuelle Bedienung und die Sprache (Akustik) zur Verfügung. Im Forschungs- und Entwicklungsstadium befinden sich zudem Gestik, Mimik und Blickbewegung, welche zwar, wie die manuelle Bedienung, auf motorischen Prozessen des Menschen basieren, jedoch hier in den Bereich der Optik eingeordnet werden, da die eigentliche Übertragungsmodalität und entsprechend auch die Informationsaufnahme durch das System optisch erfolgen.
Das überaus umfassende Gebiet der inhaltlichen Informationsverarbeitung, welches die Bildung und Speicherung von Informationen (Wissen) einschließt, kann hier keineswegs erschöpfend behandelt werden. Für ausführlichere Zusammenhänge muss daher auf die Literatur verwiesen werden. Es werden in den folgenden Abschnitten jedoch für die Beschreibung von Informationsverarbeitungsvorgängen übliche Begriffe in ihrer inhaltlichen Verwendung innerhalb dieser Arbeit eingeführt sowie Erklärungsansätze für bestimmte einzelne Vorgänge geliefert, welche für die in späteren Kapiteln vorgestellten Konzepte von Bedeutung sind.
Im Gedächtnis gespeicherte Informationen werden im allgemeinen als „Wissen“ bezeichnet. Dabei ist es zunächst unerheblich, um welche Art von Wissen es sich handelt und in welcher der unterschiedlichen Arten von Gedächtnissen dieses Wissen gespeichert ist. Das bedeutet beispielsweise, dass unter Wissen ebenfalls Informationen verstanden werden, die gerade erst wahrgenommen wurden, denn diese befinden sich bereits im Kurzzeitgedächtnis. Der Brockhaus Psychologie35 fasst unter dem Begriff ‚Wissen’ die „Resultate und Produkte der gedanklichen Verarbeitung der Wirklichkeit“.
Gemäß einer von Ryle eingeführten und nach wie vor verbreiteten Überlegung lassen sich „prozedurales Wissen“ (auch „Vorgehens- oder Ereigniswissen“) und „deklaratives Wissen“ (auch „Fakten- oder Objektwissen“) unterscheiden36. Dabei bezieht sich prozedurales Wissen auf teilweise nicht verbalisierbares Wissen über Handlungsvorgänge und Methoden zur Bearbeitung von Aufgaben. Deklaratives Wissen betrifft hingegen die, einzelnen Objekten zugeordnete, Speicherung inhaltlicher Informationen wie Merkmale, Verknüpfungen und Abhängigkeitsverhältnisse zu weiteren Objekten u.ä.. Beispiele für Objektmerkmale sind Farbe, Form, Größe, Oberflächenbeschaffenheit u.s.w.. Dieser Unterteilungsansatz wird hier um die Kategorie „Objekteindruck“ (auch „schematisches Layout“) erweitert. Diese Art des
Wissens sei charakterisiert als ein beispielsweise visueller oder haptischer Gesamteindruck, der in einem Erkennungsprozess zwar einem realen Objekt zugeordnet werden kann, jedoch außer einer Bezeichnung keine für eine verbale Beschreibung geeigneten spezifischen Informationen beinhaltet. Diese Vorstellung schließt jedoch ein, dass ein solches Layout durchaus auch allgemein beschreibbare Merkmale enthält, welche ein Schema für eine größere Anzahl ähnlicher Objekte oder Zusammenhänge darstellen. Beispielsweise lässt sich auch von Gesichtern, die man nicht anhand spezifischer Informationen (Objektwissen) beschreiben kann, dennoch sagen, dass sie sich aus einer Nase, zwei Augen u.s.w. zusammensetzen. Dabei handelt es sich um Wissen, das den grundsätzlichen Aufbau eines menschlichen Gesichtes betrifft. Dieses Wissen beinhaltet jedoch nicht die notwendigen Informationen zur Differenzierung eines konkreten Gesichts von anderen. Es wird weiterhin angenommen, dass innerhalb eines schematischen Layouts einzelne Orte bzw. Teilbereiche hervorgehoben sind und somit für die Wiedererkennung eine größere Bedeutung haben, als andere Bereiche. Außerdem können schematische Layouts mit bestimmten Situationen verknüpft sein. Danach ist es auch vorstellbar, dass ein und das selbe Bild mehrmals im Gedächtnis abgelegt wird, jedoch jedes Mal mit Bezug zu einer anderen Situation und auch unter situationsspezifischer Hervorhebung anderer darin enthaltener Teilbereiche. Es wird davon ausgegangen, dass deklaratives Wissen und schematische Layouts auch gleichzeitig für ein und die selbe Information bzw. für verschiedene Teilinformationen zu ein und dem selben Objekt existieren können. Da Objektwissen für eine Reproduktion expliziter Informationen (Beschreibung) verfügbar ist, wird dieses Wissen hier auch als „aktiv verfügbares“ Wissen bezeichnet, während Objekteindrücke wegen der nicht vorhandenen Reproduktionsfähigkeit als „passiv verfügbares“ Wissen bezeichnet werden.
Ein Beispiel, welches die Annahme der Speicherung schematischer Layouts veranschaulicht, ist die oben bereits angeführte Identifikation eines Gesichtes durch die menschliche Informationsverarbeitung. Selbst wenn zu einem bekannten Gesicht keine Objektinformationen über die Ausprägung einzelner Merkmale wiedergegeben werden können, so kann dieses Gesicht dennoch zweifelsfrei identifiziert (wiedererkannt) werden. Es liegt die Vermutung nahe, dass beispielsweise Objektwissen vorhanden ist, jedoch nur aufgrund fehlender Fähigkeiten nicht wiedergegeben werden kann. Dem steht entgegen, dass die Identifikation des entsprechenden Gesichtes anhand eines oder mehrerer Ausschnitte misslingen kann. Das offensichtlich vorhandene Wissen enthält also weder spezifische Objektinformationen noch steht es in Zusammenhang mit einem Vorgang oder einer Methode. Es muss offenbar aber dennoch in einer ganzheitlichen Ausprägung, eben als schematisches Layout, vorhanden sein. An diesem Beispiel lässt sich gleichzeitig auch die Parallelität von Objektwissen und Objekteindruck aufzeigen. Teilweise ist nämlich zu wenigen sehr auffälligen Merkmalen, welche bei Betrachtung eines Gesichtes bewusst wahrgenommen wurden, auch entsprechendes Objektwissen bezüglich dieser Merkmale verfügbar und dann auch verbalisierbar. Aber selbst für solche Fälle kann davon ausgegangen werden, dass die Identifikation eines Gesichtes, zu welchem derartiges Objektwissen vorliegt, selbst dann noch möglich ist, wenn in einer Darstellung die Merkmale, über die Objektwissen vorliegt, verändert wurden.
[...]
1 Totzke, I., Krüger, H.-P.: Zur Gestaltung von Fahrerinformationssystemen unter dem Gesichtspunkt der Erlernbarkeit, 2003. 50
2 Bubb, H., Reichard, G.: Systemergonomische Betrachtung sicherheitsrelevanter Zusammenhänge von Mensch-Maschine-Systemen, 1983. 5
3 Deutscher Verkehrssicherheitsrat e.V., 2002, http://www.dvr.de/dvrseite.aspx?section=4&sub=4&id=478, am 24.03.2004
4 In deutschsprachigen Publikationen findet mitunter auch der Begriff der Mensch-Maschine-Nahtstelle (MMN) Verwendung, welcher inhaltlich der „Mensch-Maschine-Schnittstelle“ im allgemeinen gleich gesetzt wird.
5 Timpe, K.-P.; Kolrep, H.: Das Mensch-Maschine-System als interdisziplinärer Gegenstand, 2000, S.25. [47]
6 Timpe, K.-P.; Kolrep, H.: Das Mensch-Maschine-System als interdisziplinärer Gegenstand, 2000, S.35.[47]
7 Johannsen, G.: Mensch-Maschine-Systeme, 1993, S.54.[26]
8 Johannsen, G.: Mensch-Maschine-Systeme, 1993, S.54.[26]
9 Johannsen, G.: Mensch-Maschine-Systeme, 1993, S.54.[26]
10 Timpe, K.-P.; Kolrep, H.: Das Mensch-Maschine-System als interdisziplinärer Gegenstand, 2000, S.12. [47]
11 Johannsen, G.: Mensch-Maschine-Systeme, 1993. [26]
12 Hauß, Y.; Timpe K.-P.: Automatisierung und Unterstützung im Mensch-Maschine-System, 2000, S.50.[22]
13 Hauß, Y.; Timpe K.-P.: Automatisierung und Unterstützung im Mensch-Maschine-System, 2000, S.52. [22]
14 Eine Ausnahme stellen beispielsweise Prothesen für verlorene Gliedmaßen dar.
15 Timpe, K.-P.; Kolrep, H.: Das Mensch-Maschine-System als interdisziplinärer Gegenstand, 2000, S.12.[47]
16 Die Bezeichnung „Benutzungsschnittstelle“ besitzt Allgemeingültigkeit für den Menschen sowohl in der Rolle des Bedieners als auch in der des Benutzers.
17 Timpe, K.-P.: Fahrzeugführung: Anmerkungen zum Thema, 2001. [48]
18 Johannsen, G.: Mensch-Maschine-Systeme, 1993, S.110.[26]
19 Timpe, K.-P.: Fahrzeugführung: Anmerkungen zum Thema, 2001. S.16f [48]
20 Johannsen, G.: Mensch-Maschine-Systeme, 1993, S.3.[26]
21 Johannsen, G.: Mensch-Maschine-Systeme, 1993, S.111.[26]
22 Grunwald, M.: Begriffsbestimmung zwischen Psychologie und Physiologie, 2001, S.3. [19]
23 Weiss, T.: Neurophysiologische Grundlagen des zentralen somatosensorischen Systems, 2001. S.39[51]
24 Grunwald, M.: Begriffsbestimmung zwischen Psychologie und Physiologie, 2001, S.4.[19]
25 Grunwald, M.: Begriffsbestimmung zwischen Psychologie und Physiologie, 2001. S.7[19]
26 Witte, W.: Haptik. In Metzger, W.; Erke, H. (Hrsg.): Handbuch der Psychologie, 1974. S.499[54]
27 Loomis, J.M.; Leederman, S.J.: Tactual perception, 1986. [32]
28 Haptik, in Der Brockhaus - Psychologie, Mannheim: F.A. Brockhaus, 2001. S.236.[6]
29 Lederman, S.J.; Klatzky, T.L.: Hand movements: A window into haptic object recognition., 1987. S.342 ff.
30 Die Verwendung des Begriffs „Reiz” ist in diesem Zusammenhang zwar gebräuchlich, jedoch nicht ganz korrekt im Sinne einer Stimulierung von Rezeptoren durch einen einzelnen expliziten Reiz.
31 Grunwald, M.: Begriffsbestimmung zwischen Psychologie und Physiologie, 2001. [19]
32 In der Regel wird sich bei Bewegungsvorgängen um eine Kombination beider Varianten handeln.
33 Wickens, C.D.; Carswell, C.M.: Information processing, 1997.[53]
34 Zwisler, R.: Haptische Wahrnehmung in der Mensch-Maschine-Interaktion, 2001. S.162[57]
35 England, R.: Sensory-motor systems in virtual manipulation, 1995. [12]
36 Sikora, T.: Der Arbeitsplatz der Zukunft - Technologien für innovative HMI, 2004.[46]