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Diplomarbeit, 2010
51 Seiten, Note: 1,3
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Symbolverzeichnis
1 Einleitung
2 Geldpolitische Strategien
2.1 Die Geldmengensteuerung (Monetary Targeting)
2.1.1 Theoretische Grundlagen der Geldmengensteuerung
2.1.2 Das Konzept der Geldmengensteuerung
2.2 Die direkte Inflationssteuerung (Inflation Targeting)
2.3 Vergleich von Geldmengensteuerung und direkter Inflationssteuerung
3 Die geldpolitische Strategie der EZB
3.1 Die quantitative Definition von Preisniveaustabilität
3.2 Die wirtschaftliche Analyse
3.3 Die monetäre Analyse
3.3.1 Der Referenzwert für das M3-Wachstum
3.3.2 Messgrößen des Liquiditätsüberschusses und -defizits
3.3.3 Analyse M3-Komponenten und Bilanzgegenposten
3.3.4 Geldnachfragemodelle
3.4 Zusammenführung
4 Die Diskussion um die monetäre Analyse
4.1 Die Überschreitungen des Referenzwerts
4.2 Instabilitäten der Geldnachfrage
4.3 Relativierung der Bedeutung der monetären Analyse
4.4 Das Verschwinden der Geldmenge aus theoretischen Modellen
4.5 Zusammenfassung
5 Empirische Studien zur Bedeutung der Geldmenge
5.1 Langfristiger Zusammenhang zwischen Geldmengenwachstum und Preisentwicklung
5.2 Indikatoreigenschaften der Geldmenge
5.2.1 Die Geldmenge als Indikator für die Preisniveauentwicklung
5.2.2 Die Geldmenge als Indikator für die konjunkturelle Entwicklung
5.2.3 Die Geldmengen- und Kreditentwicklung als Indikator für finanzielle Ungleichgewichte
5.3 Empirische Studien auf der Grundlage von Geldnachfragemodellen
5.3.1 Die Stabilität der Geldnachfrage bis 2001
5.3.2 Hinweise auf Instabilitäten der Geldnachfrage ab 2001
5.3.3 Die Erweiterung konventioneller Geldnachfragemodelle um Messgrößen der Unsicherheit
5.3.4 Die Erweiterung konventioneller Geldnachfragemodelle um Immobilienmarktvariablen
5.3.5 Stabile Geldnachfrage auf der Basis konventioneller Geldnachfragemodelle ...
5.3.6 Abschließende Bemerkungen
5.4 Zusammenfassung der empirischen Studien
6 Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildung 1: Die geldpolitische Strategie der EZB
Abbildung 2: Leitzinssatz und M3-Wachstum im Euro-Raum zwischen 1999 und 2008
Abbildung 3: Jährliche Inflationsrate im Euro-Raum gemessen am HVPI
Abbildung 4: Reales Wachstum von M1 und dem BIP im Euro-Raum
Tabelle 1: Abgrenzung monetärer Aggregate im Euro-Raum
Tabelle 2: Zerlegung der Jahreswachstumsrate von M3 in ihre Determinanten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Europäische Zentralbank (EZB) strebt mit ihrer Geldpolitik das vorrangige Ziel der Preisniveaustabilität an. Um dieses Ziel zu erreichen verfolgt die EZB ein geldpolitisches Konzept, das als Zwei-Säulen-Strategie bezeichnet wird. Diese Strategie wurde im Oktober 1998 bekannt gegeben und im Mai 2003 leicht angepasst. Im Mittelpunkt der Strategie stehen eine quantitative Definition von Preisniveaustabilität sowie die beiden Säulen der geldpoliti- schen Strategie: die wirtschaftliche und die monetäre Analyse (EZB, 2004a, S. 52ff.).
Die wirtschaftliche Analyse bewertet die kurz- bis mittelfristigen Risiken für die Preisni- veaustabilität, während die monetäre Analyse die mittel- bis langfristigen Gefahren für die Preisniveaustabilität beurteilt. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse werden anschließend mit- einander verglichen bzw. gegen geprüft, um eine umfassende Gesamtbeurteilung der Gefah- ren für die Preisniveaustabilität zu ermöglichen. Auf der Grundlage dieser Gesamtbeurteilung legt der EZB-Rat dann die weitere geldpolitische Vorgehensweise fest (EZB, 2004a, S. 57ff.).
Seit ihrer Einführung ist die Zwei-Säulen-Strategie ständiger Kritik ausgesetzt. Insbesondere die monetäre Analyse gerät dabei immer wieder in den Fokus der Diskussion. Der Grund hierfür liegt in der hervorgehobenen Rolle der Geldmenge in der monetären Analyse. Die monetäre Analyse basiert auf der mittel- bis langfristigen Beziehung zwischen der Geldmenge und dem Preisniveau. In diesem Zusammenhang beinhaltet sie u. a. einen Referenzwert für das Wachstum des Geldmengenaggregats M3. Weicht das tatsächliche Wachstum von M3 von diesem Referenzwert ab, so kann dies Risiken für die Preisniveaustabilität signalisieren (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung1, 2006, S. 185ff.).
Den Stein des Anstoßes stellen vor allem die vom Jahr 2001 bis 2003 auftretenden deutlichen Überschreitungen des Referenzwerts dar, die weder einen Einfluss auf die Inflationsrate zu haben schienen, noch eine erkennbare gegensteuernde Reaktion der EZB zur Folge hatten. In diesem Kontext zweifeln viele Kritiker die Sinnhaftigkeit der monetären Analyse an und fordern deren Abschaffung zu Gunsten einer Strategie der direkten Inflationssteuerung (Sachverständigenrat, 2006, S. 185 und Kaufmann, 2007, S. 99).
Vor dem Hintergrund dieser Kritik befasst sich die vorliegende Diplomarbeit mit der Frage, ob sich die monetäre Analyse in der Zwei-Säulen-Strategie der EZB ökonomisch begründen lässt. Hierzu wird in Kapitel 2 zunächst kurz auf die geldpolitischen Strategien der Geldmen- gensteuerung und der direkten Inflationssteuerung eingegangen, da sich Elemente dieser Stra- tegien in der Zwei-Säulen-Strategie der EZB wieder finden. In Kapitel 3 wird anschließend die Zwei-Säulen-Strategie näher erläutert, wobei der Schwerpunkt auf den Instrumenten und Methoden der monetären Analyse liegt. Kapitel 4 befasst sich dann mit der Diskussion um die monetäre Analyse und stellt die wichtigsten Gründe für die fortwährenden Zweifel an der Sinnhaftigkeit der monetären Analyse dar. Im 5. Kapitel werden anschließend empirische Untersuchungen vorgestellt, die sich mit dem Informationsgehalt der Geldmengenentwick- lung und anderer monetärer Größen beschäftigen. Den Abschluss dieser Arbeit bildet das Fa- zit, in dessen Rahmen geklärt wird, ob die monetäre Analyse zu Recht Bestandteil der geldpo- litischen Strategie der EZB ist.
Die meisten Ökonomen sind sich heutzutage einig darüber, dass Preisniveaustabilität (Preisstabilität) das oberste Ziel der Geldpolitik sein sollte. Welche geldpolitische Strategie sich jedoch am besten eignet um dieses Ziel auch zu erreichen, ist dagegen ein ständiger Streitpunkt (Heise, 2007, S. 7). Die Diskussion wird dabei von zwei konkurrierenden geldpolitischen Strategien dominiert: der Geldmengensteuerung (Monetary Targeting) und der direkten Inflationssteuerung (Inflation Targeting)(Feldkord, 2005, S. 258). Diese beiden Strategien sollen in diesem Kapitel näher beleuchtet werden.
Die Geldmengensteuerung beruht auf der Quantitätstheorie des Geldes, die besagt, dass lang- fristig ein Zusammenhang zwischen der Geldmenge und dem Preisniveau besteht. Den Aus- gangspunkt der Quantitätstheorie bildet folgende Identität, die als Quantitätsgleichung be- zeichnet wird:
M*V=P*Y (1)
Diese besagt, dass das Produkt aus nominaler Geldmenge (M) und der Einkommensumlaufgeschwindigkeit der Geldmenge2 (V), dem Preisniveau (P) multipliziert mit dem realen Bruttoinlandsprodukt3 (Y) entspricht (Deutsche Bundesbank, 2005, S. 18).
Wird die Quantitätsgleichung in Wachstumsraten ausgedrückt, und nach der Wachstumsrate der Geldmenge (m) aufgelöst, so ergibt sich die Potentialformel:
m=p+y-v (2)
Die Wachstumsrate der Geldmenge (m) ergibt sich also aus der Addition der Inflationsrate (p) mit der Wachstumsrate des realen BIP (y), subtrahiert mit der Veränderung der Umlaufgeschwindigkeit (v)(Wollmershäuser und Sorbe, 2007, S. 17).
Um aus diesen Identitäten die Quantitätstheorie zu formen ist es nötig, zwei Annahmen zu treffen. So wird angenommen, dass zwischen der Wachstumsrate der Geldmenge und der In- flationsrate langfristig ein proportionaler Zusammenhang besteht. Zudem geht man davon aus, dass die Wachstumsrate der Geldmenge in der langen Frist unabhängig von der Wachs- tumsrate des realen BIP und Veränderungen der Umlaufgeschwindigkeit ist. Annahmen führt eine dauerhafte Änderung der Wachstumsrate der Geldmenge langfristig zu einer Änderung der Inflationsrate im gleichen Maße. Es besteht in der langen Frist also eine Eins-zu-eins Beziehung zwischen der Wachstumsrate der Geldmenge und der Inflationsrate. Langfristig ist Inflation somit ein monetäres P]hänomen. Aus der zweiten Annahme lässt sich folgern, dass eine dauerhafte Änderung der Wachstumsrate der Geldmenge langfristig keinen Einfluss auf das reale BIP oder die Umlaufgeschwindigkeit hat. In der kurzen Frist könnte das Wachstum der Geldmenge jedoch das reale BIP beeinflussen (DeGrauwe und Pollan, 2005, S. 240).
Jedes geldpolitische Konzept muss sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass Geldpolitik keinen direkten Einfluss auf das Endziel der Preisniveaustabilität hat. Geldpolitische Impulse müssen erst einen komplizierten Transmissionsprozess, der verschiedene Transmissionskanä- le4 umfasst, durchlaufen, bevor sie auf die Realwirtschaft und damit das Preisniveau wirken. Da dieser Prozess eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, kann die Geldpolitik Preisniveausta- bilität nicht in der kurzen Frist, sondern erst mittelfristig erreichen (Heise, 2007, S. 7).
Eine Zentralbank, die eine Strategie der Geldmengensteuerung verfolgt, nutzt die Geldmenge als Zwischenziel, um Preisniveaustabilität zu erreichen. Voraussetzung für die sinnvolle Verwendung der Geldmenge als Zwischenziel ist, dass die Zentralbank direkten Einfluss auf die Geldmenge hat. Daneben sollte die Entwicklung der Geldmenge zeitliche Vorlaufeigenschaften für die Preisniveauentwicklung aufweisen und in einem stabilen Zusammenhang zur Preisniveauentwicklung stehen. Dabei gilt es zu beachten, dass eine Deregulierung der Finanzmärkte oder Finanzinnovationen zu einem Strukturbruch führen kann und so die Stabilität dieses Zusammenhangs gefährdet werden kann (Heise, 2007, S. 7).
Sieht die Zentralbank diese Bedingungen als erfüllt an, legt sie eine Inflationsrate fest, die ihrer Definition von Preisniveaustabilität entspricht. Durch das Einsetzen dieser Inflationsrate sowie verlässlich geschätzter Trendwerte für die Veränderung der Umlaufgeschwindigkeit und der Wachstumsrate des BIP in die Potentialformel (2), lässt sich dann die Wachstumsrate der Geldmenge bestimmen, die das reale Wachstum der Wirtschaft finanziert und zugleich Preisniveaustabilität gewährleistet (Wollmershäuser und Sorbe, 2007, S. 17).
Diese Wachstumsrate der Geldmenge dient der Zentralbank als angestrebter Zielwert und wird dementsprechend als Geldmengenziel bezeichnet. Das Geldmengenziel wird öffentlich kommuniziert. Abweichungen der Wachstumsrate der Geldmenge vom Geldmengenziel sig- nalisieren frühzeitig eine Gefahr für die Preisniveaustabilität. Die Zentralbank reagiert in die- sen Fällen mit einer Änderung ihrer Leitzinssätze. So begegnet die Zentralbank bspw. einem zu hohen Geldmengenwachstum mit einer Erhöhung der Leitzinssätze, um das Geldmengen- wachstum wieder auf das Niveau des Geldmengenziels zurückzuführen (Feldkord, 2005, S. 258).
Eine Zentralbank, die eine geldpolitische Strategie der direkten Inflationssteuerung verfolgt, zeichnet sich typischerweise durch die Anerkennung von Preisniveaustabilität als oberstes Ziel aus. Weitere zentrale Elemente der direkten Inflationssteuerung stellen ein quantifizierter und öffentlich angekündigter Zielwert für die Inflationsrate (Inflationsziel) und eine modell- gestütze Inflationsprognose dar. In die modellgestützte Inflationsprognose fließen alle Fakto- ren ein, die Informationen über die künftige Inflationsrate enthalten könnten. Dabei wählt die Zentralbank den Zeithorizont für die Inflationsprognose so, dass er der Wirkungsverzögerung ihrer geldpolitischen Maßnahmen auf die Realwirtschaft entspricht. In der Regel wird diese Wirkungsverzögerung auf etwa 2 ½ Jahre geschätzt. Ein Vergleich der Inflationsprognose mit dem Inflationsziel zeigt der Zentralbank, ob ein korrigierendes Eingreifen notwendig ist. Weicht die Inflationsprognose vom Inflationsziel ab, muss die Zentralbank handeln. Liegt bspw. die Inflationsprognose über dem Inflationsziel, signalisiert dies der Zentralbank, dass sie ihre Leitzinssätze erhöhen muss. Entspricht die Inflationsprognose dem Inflationszielwert, so hat die Zentralbank die Leitzinssätze optimal gewählt. Anders als bei der Geldmengensteu- erung gibt es bei der direkten Inflationssteuerung also kein Zwischenziel. Dieses wird von der Inflationsprognose ersetzt (Sachverständigenrat, 2006, S. 189f. und Tomann, 2005, S. 12f.).
Sowohl die Geldmengensteuerung als auch die direkte Inflationssteuerung zielen auf die Ge- währleistung von Preisniveaustabilität. Allerdings versuchen sie, dieses Ziel auf unterschied- liche Arten zu erreichen. Die Geldmengensteuerung beabsichtigt, das Endziel Preisniveausta- bilität über ein Zwischenziel (das Geldmengenziel) zu erreichen, das in enger Verbindung zum Endziel steht. Die direkte Inflationssteuerung hingegen verfolgt direkt das Endziel (Sachverständigenrat, 2000, S. 191). Zudem unterscheiden sich die beiden Strategien in Bezug auf die Bedeutung der Geldmenge. Während diese bei der Geldmengensteuerung die zentrale Rolle spielt, nimmt sie im Rahmen der direkten Inflationssteuerung nur eine vernachlässigbare Bedeutung ein (Sachverständigen- rat, 2000, S. 191).
Die Vorteile der Geldmengensteuerung liegen vor allem in der guten Kontrollierbarkeit der Geldmenge durch die Zentralbank und der leichten Beobachtbarkeit der Geldmenge, sodass eine Zentralbank, die diese Strategie verfolgt, schnell eine gute Reputation aufbauen kann. Die direkte Inflationssteuerung hingegen ist für die Öffentlichkeit leicht zu verstehen und kann so unmittelbaren Einfluss auf die Erwartungsbildung der Märkte nehmen. Daneben kann sie auf realwirtschaftliche Informationen zurückgreifen, die in monetären Aggregaten nicht enthalten sind (Tomann, 2005, S. 11ff.).
Die EZB strebt mit ihrer Geldpolitik das vorrangige Ziel der Preisniveaustabilität an. Dieses Ziel versucht die EZB mit einer geldpolitischen Strategie zu erreichen, deren Hauptkompo- nenten eine quantitative Definition von Preisniveaustabilität, die wirtschaftliche Analyse und die monetäre Analyse darstellen. Die Strategie wurde im Oktober 1998 vom EZB-Rat be- schlossen und im Rahmen der Strategierevision 2003 bestätigt (EZB, 2008a, S. 36f.).
Auf die Komponenten der geldpolitischen Strategie der EZB wird in den folgenden Unterka- piteln zunächst getrennt eingegangen, wobei der Schwerpunkt auf der Betrachtung der mone- tären Analyse liegt. Anschließend werden diese Komponenten zur Zwei-Säulen-Strategie zu- sammengeführt.
Im Jahr 1998 beschloss der EZB-Rat eine quantitative Definition von Preisniveaustabilität zu formulieren, um der Öffentlichkeit einen nominalen Anker für die Bildung der Inflationser- wartungen zu bieten. Diese quantitative Definition von Preisniveaustabilität lautet: „ Preissta- bilität wird definiert als Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI)5 für das Euro-Währungsgebiet von unter 2 % gegenüber dem Vorjahr. Preisstabilität muss mittelfris- tig gewährleistet werden. “ (EZB, 2008a, S. 37). Im Mai 2003 wurde diese Definition vom EZB-Rat bestätigt und weiter präzisiert. So soll die am Anstieg des HVPI gemessene Inflati- onsrate „ unter, aber nahe 2 % “ (EZB, 2008a, S. 37) liegen (EZB, 2008a, S. 37).
Diese Definition bringt mehrere Aussagen zum Ausdruck: Zum Einen, dass die Geldpolitik der EZB Preisniveaustabilität für das Euro-Währungsgebiet als Einheit anstrebt, zum Ande- ren, dass die EZB durch die Messung der Inflationsrate am HVPI der Tatsache Rechnung trägt, dass sich die Öffentlichkeit vor allem an Verbraucherpreisen orientiert. Die Formulie- rung des Inflationsziels zeigt, dass eine Inflationsrate von über 2 % nicht mit dem vorrangigen Ziel der Preisniveaustabilität übereinstimmt, aber dass die Inflationsrate zugleich ausreichend hoch sein muss, um mögliche Deflationsrisiken auszuschließen. Durch die Ausrichtung der Definition von Preisniveaustabilität auf eine mittlere Sicht betont die EZB, dass eine Fein- steuerung der Inflationsentwicklung über monetäre Impulse in der kurzen Frist nicht möglich ist. Die ist, wie in Kapitel 2.1.2 erläutert, den Verzögerungen im Transmissionsprozess der Geldpolitik geschuldet (Scheller, 2006, S. 87).
Die wirtschaftliche Analyse dient der Erkennung und Beurteilung von Preisrisiken im Euro- Raum in der kurzen und mittleren Frist. Diese Risiken werden aus einer Analyse der konjunk- turellen und finanziellen Entwicklung abgeleitet. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Identifikation von wirtschaftlichen Schocks und der Einschätzung der Folgen eines Schocks auf die Entwicklung von Konjunktur und Preisen. Hierzu werden eine Reihe von Konjunktur-, Preis- und Kostenindikatoren analysiert, die Informationen über die Entwicklung des Preisni- veaus und der Realwirtschaft innerhalb der kurzen bis mittleren Frist enthalten können (Schel- ler, 2006, S. 91 und EZB, 2008a, S. 38).
In diesem Zusammenhang nimmt die Bewertung der regelmäßig von Experten des Eurosystems und der EZB angefertigten gesamtwirtschaftlichen Projektionen für die wichtigsten makroökonomischen Größen eine wichtige Stellung innerhalb der wirtschaftlichen Analyse ein. Im Zuge dessen werden u. a. auch Projektionen für die Entwicklung des HVPI erstellt und veröffentlicht (Scheller, 2006, S. 92 und EZB, 2008a, S. 38).
Dabei gleichen die Projektionen des HVPI den im Rahmen der direkten Inflationssteuerung durchgeführten Inflationsprognosen (Sachverständigenrat, 2006, S. 190).
Anders jedoch als bei einer Strategie der direkten Inflationssteuerung haben Abweichungen der Projektionen der Entwicklung des HVPI vom Inflationsziel keine mechanistische Reakti- on der EZB zur Folge. Die EZB reagiert in diesem Fall also nicht automatisch mit Änderun- gen ihrer Leitzinssätze. Diese Vorgehensweise wird von der EZB damit begründet, dass die gesamtwirtschaftlichen Projektionen auf Basis eines Szenarios erstellt werden, das auf einer Fülle von Annahmen wie etwa konstanter Kurzfristzinsen beruht und dessen Eintritt somit unwahrscheinlich ist. Aus den gesamtwirtschaftlichen Projektionen lassen sich jedoch Infor- mationen über mögliche Risiken für die Preisniveaustabilität ableiten. Diese Ergebnisse flie- ßen neben den anderen aus der wirtschaftlichen Analyse gewonnenen Erkenntnissen in die Beurteilung der kurz- bis mittelfristigen Preisrisiken ein, um dem EZB-Rat eine umfassende Entscheidungsgrundlage für die weitere Vorgehensweise zu bieten (Scheller, 2006, S. 92 und EZB, 2008a, S. 38).
Im Rahmen der monetären Analyse untersucht die EZB die monetären Entwicklungen im Euro-Raum, um mittel- bis langfristige Risiken für die Preisniveaustabilität zu identifizieren. Die herausragende Rolle der Geldmenge in der geldpolitischen Strategie begründet die EZB mit dem u. a. von der Quantitätstheorie gestützten langfristigen Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisen, wobei die Geldmengenentwicklung der entsprechenden Entwicklung des Preisniveaus zeitlich vorgelagert ist (Scheller, 2006, S. 92f. und EZB, 2008a, S. 40).
Um ihrem Auftrag gerecht zu werden, werden im Laufe der monetären Analyse eine Fülle von Instrumenten und Analysemethoden genutzt, um das Geldmengenwachstum erklären und die daraus resultierenden Folgen für die Preisniveauentwicklung einschätzen zu können (EZB, 2001, S. 44).
Auf die bedeutendsten Bestandteile der monetären Analyse soll im Folgenden näher eingegangen werden.
Im Dezember 1998 unterstrich die EZB die besondere Bedeutung der Geldmenge in ihrer Strategie durch die Festlegung eines Referenzwerts für die Wachstumsrate des breiten Geld- mengenaggregats M36 in Höhe von 4,5% p. a. (EZB, 2004a, S. 52). Die Wahl von M3 wurde mit einer stabilen Geldnachfragebeziehung und seinen guten Vorlaufeigenschaften für die Preisniveauentwicklung in der mittleren Frist begründet (EZB, 2004a, S. 68 und EZB, 2008a, S.40). Dies sind zugleich die Voraussetzungen für eine sinnvolle Verwendung des Referenz- werts (Feldkord, 2005, S. 260).
Dieser Referenzwert für die jährliche Wachstumsrate von M37 (m), der bis heute Bestand hat, wird aus der in Kapitel 2.1.1 beschriebenen Potenzialformel abgeleitet:
m=y+p-v (2)
Da die Strategie der EZB auf das Erreichen von Preisniveaustabilität in der mittleren Frist zielt, werden die trendmäßigen Entwicklungen der Variablen y, p und v in die Formel einge- setzt. Dabei geht die EZB von einem Potenzialwachstum des realen BIP (y) in Höhe von 2 % bis 2,5 % pro Jahr aus. Das Jahreswachstum des HVPI (p) ergibt sich aus der quantitativen
Definition von Preisniveaustabilität mit einer Höhe von knapp unter 2 %. Zudem wird angenommen, dass sich die Umlaufgeschwindigkeit von M3 (v) zwischen 0,5 % und 1 % pro Jahr verringert. Auf Grundlage dieser Annahmen ergibt sich der Referenzwert bzw. die optimale jährliche Wachstumsrate von M3 (m), um das Ziel der Preisniveaustabilität in der mittleren Frist zu erreichen mit 4,5 % (EZB, 2004a, S. 68 und Scheller, 2006, S. 93).
Liegt das tatsächliche M3-Wachstum, gemessen am gleitenden Dreimonatsdurchschnitt der Zwölfmonatswachstumsraten von M3, längerfristig über oder unter dem Referenzwert, weist dies auf Gefahren für die Preisniveaustabilität hin (EZB, 2004a, S. 68 und EZB, 2008a, S. 40).
Der Referenzwert wird von der EZB jedoch nicht als Geldmengenziel, wie es im Rahmen einer Strategie der Geldmengensteuerung verfolgt werden würde, verstanden, sondern als Orientierungsgröße für die Bewertung der Geldmengenentwicklung. So haben Abweichungen des M3-Wachstums von seinem Referenzwert keine mechanische Reaktion der EZB zur Fol- ge, sondern führen zunächst zu einer weitergehenden Analyse der Ursachen für die Abwei- chung. Die EZB begründet dieses Vorgehen u. a. damit, dass geringe oder kurz- bis mittelfris- tige Divergenzen zwischen dem M3-Wachstum und seinem Referenzwert nicht notwendiger- weise Risiken für die künftige Preisentwicklung signalisieren müssen. So könnte das M3- Wachstum z. B. aufgrund von Sondereinflüssen, wie etwa Steuererhöhungen für bestimmte Kapitalerträge, die zu einem Anstieg der Liquiditätspräferenz und damit der Geldhaltung füh- ren, nach oben verzerrt sein. In diesem Fall wäre jedoch trotz des erhöhten M3-Wachstums nicht mit einer Gefahr für die Preisniveaustabilität zu rechnen (EZB, 2001, S. 44 und EZB, 2004a, S. 66).
Aus diesem Grund bedarf es stets einer detaillierten Analyse der Ursachen für die Abweichung des M3-Wachstums von seinem Referenzwert, um zu beurteilen, ob die Preisniveaustabilität aus Sicht der monetären Analyse in Gefahr ist. Eine sorgfältige monetäre Analyse muss also über den bloßen Vergleich des M3-Wachstums mit seinem Referenzwert hinausgehen (EZB, 2001, S. 44 und EZB, 2004a, S. 66).
Ergänzend zur Analyse des M3-Wachstums im Verhältnis zu seinem Referenzwert können von der EZB auch verschiedene Messgrößen des Liquiditätsüberschusses bzw. -defizits unter- sucht werden, um Anhaltspunkte für die zukünftige Preisentwicklung zu erhalten. Diese kön- nen auch als Messgrößen der Überschussliquidität bezeichnet werden (EZB, 2001, S. 50).
Der Liquiditätsüberschuss bzw. das Liquiditätsdefizit geben die absolute Differenz zwischen der tatsächlichen Geldmenge und einer Gleichgewichtsgeldmenge an. Die Gleichgewichtsgeldmenge lässt sich z. B. über den Referenzwert für das M3-Wachstum berechnen. In diesem Fall wird ein Basisjahr ausgewählt und unterstellt, dass der M3-Bestand des Basisjahres kontinuierlich mit 4,5 % pro Jahr wächst. Die so ermittelte Gleichgewichtsgeldmenge lässt sich dann mit dem entsprechenden beobachteten M3-Bestand vergleichen. Liegt die beobachtete Geldmenge über (unter) der Gleichgewichtsgeldmenge, so handelt es sich um einen Liquiditätsüberschuss (Liquiditätsdefizit) (EZB, 2001, S. 50f.).
Eine Untersuchung des Liquiditätsüberschusses bzw. -defizits kann die Analyse des jährlichen M3-Wachstums insofern ergänzen, als dass die Untersuchung sicherstellt, dass eine bestehende Differenz zwischen dem tatsächlichen M3-Bestand und dem Gleichgewichtsbestand von M3, die noch Hinweise über die zukünftige Preisentwicklung enthalten kann , in der monetären Analyse berücksichtigt wird (EZB, 2001, S. 51).
Es gibt verschiedene Messgrößen für den Liquiditätsüberschuss bzw. das Liquiditätsdefizit, so z. B. die nominale und die reale Geldlücke. Die nominale Geldlücke misst die Differenz zwi- schen dem nominalen M3-Bestand und dem nominalen Gleichgewichtsbestand von M3. Die Messung der realen Geldlücke erfolgt entsprechend, wobei sowohl der Gleichgewichtsbestand von M3 als auch der tatsächliche M3-Bestand mit dem HVPI deflationiert werden (EZB, 2001, S. 51f.).
Eine weitere Messgröße des Liquiditätsüberschusses bzw. -defizits ist der Geldüberhang bzw. der Geldunterhang. Dieser gibt die Differenz zwischen der nominalen Geldmenge und einer modellbasierten Gleichgewichtsgeldmenge an. Ein Überwiegen der nominalen Geldmenge bzw. Gleichgewichtsgeldmenge wird als Geldüberhang bzw. Geldunterhang bezeichnet. Die Gleichgewichtsgeldmenge wird durch das Einsetzen der entsprechenden Werte der makroökonomischen Determinanten der Geldnachfrage (Produktion, Preisniveau und Opportunitätskosten der Geldhaltung) in die langfristige Geldnachfragefunktion ermittelt. Der Geldüberhang bzw. -unterhang gibt also den Teil der Geldmengenentwicklung an, der nicht durch diese Determinanten erklärt wird (EZB, 2001, S. 52f.).
Die aufgeführten Messgrößen der Überschussliquidität können der EZB vor allem in der kür- zeren bis mittleren Frist als Indikator für die zukünftige Preisentwicklung dienen. So kann ein anhaltender Liquiditätsüberschuss auf Inflationsgefahren hindeuten. Allerdings können diese Messgrößen der Überschussliquidität, ähnlich wie das M3-Wachstum, aufgrund von Son- dereinflüssen verzerrt sein. Zudem können sich eine falsche Erfassung der M3-Bestände so- wie die Wahl der Basisperiode auf das Ergebnis dieser Messgrößen auswirken.
[...]
1 Im Folgenden mit „Sachverständigenrat“ abgekürzt
2 Im Folgenden mit Umlaufgeschwindigkeit abgekürzt
3 Im Folgenden mit BIP abgekürzt
4 Beispiele für Transmissionskanäle sind der Preiskanal, der Zinskanal, der Vermögenskanal oder der Kreditka- nal
5 Maßeinheit für die Entwicklung der Verbraucherpreise in der Europäischen Union. Diese Maßeinheit wird von Eurostat berechnet und für alle Mitgliedsstaaten harmonisiert (EZB, 2010, S. 282).
6 „ Dieses Aggregat umfasst den Bargeldumlauf, täglich fällige Einlagen, Einlagen mit einer vereinbarten Kündigungsfrist von bis zu drei Monaten sowie Repogeschäfte, Geldmarktfondsanteile und Schuldverschreibungen mit einer Laufzeit von bis zu zwei Jahren. “ (EZB, 2008a, S. 40).
7 Im Folgenden mit Referenzwert abgekürzt