Bachelorarbeit, 2011
63 Seiten, Note: 2,0
Einleitung
1. Definition des sexuellen Missbrauchs
2. Historie zur Aufklärung und Enttabuisierung des sexuellen Missbrauchs
3. Allgemeine Aspekte und aktuelle Statistiken zum sexuellen Missbrauch
3.1. Opfer sexuellen Missbrauchs
3.2. Jungen als Opfer sexuellen Missbrauchs
3.3. Täter und Täterinnen
3.3.1. Täterprofile von sexuell gewalttätigen Vätern
3.4. Mediendarstellung des sexuellen Missbrauchs und dessen gesellschaftliche Auswirkungen
3.5. Früherkennung und Symptome des sexuellen Missbrauchs
4. Prävention des sexuellen Missbrauchs
4.1. Konzepte und Einrichtungen
4.1.1. Dunkelziffer e.V.
4.2. Wichtige Inhalte zur präventiven Arbeit mit Kindern
4.3. Präventive Arbeit mit Eltern
4.3.1. Zielgruppen der Prävention und Motivation der Eltern
4.3.2. Spannungsfelder der präventiven Arbeit mit Eltern
4.4. Reflexion des Präventionsangebots von Dunkelziffer
4.4.1. Interview mit Referentin
4.5. Kritik an den Präventionsprogrammen
4.5.1. Wirkung von Präventionsprogrammen
5. Behandlungsmöglichkeiten bei sexuellem Missbrauch
5.1. Psychodynamik der Opfer
5.2. Langzeitfolgen des sexuellen Missbrauchs
5.3. Therapeutische Hilfen für sexuell missbrauchte Kinder
5.3.1. Die Traumazentrierte Spieltherapie
5.3.2. Die Mehrdimensionale Psychodynamische Traumatherapie
6. Soziologische und gesellschaftliche Bezüge
6.1. Warum wird sexueller Missbrauch unzureichend aufgedeckt und aufgeklärt?
7. Résumé
8. Anhang
Hilfsangebote von Dunkelziffer
9. Literaturverzeichnis
Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ist in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabuthema, weshalb die Zahl der Opfer mindestens 15mal so hoch ist, wie die tatsächlich angezeigten Fälle. Dies trägt maßgeblich dazu bei, dass die Opfer zu geringe Hilfsmöglichkeiten finden und die Täter strafrechtlich verfolgt werden. Dies gilt insbesondere für Jungen als Opfer sexuellen Missbrauchs und Frauen als Täterinnen.
Bundesweit sind zu wenig Hilfsangebote für betroffene Kinder vorhanden, um jedem Kind bzw. den verantwortlichen Eltern, die Angebote in Anspruch nehmen wollen, adäquat helfen zu können. Ursächlich hierfür ist, dass sich viele Einrichtungen, wie Dunkelziffer e.V. ausschließlich über Spenden finanzieren, wodurch sie schwankenden Einnahmen unterworfen sind, was den Ausbau von Hilfsangeboten und präventiven Maßnahmen erschwert.
Erfreulicherweise findet derzeit eine öffentliche Enttabuisierung des sexuellen Missbrauchs an Kindern statt, was darin begründet ist, dass viele Opfer nach Jahrzehnten ihr Schweigen brechen über ihre Missbrauchserlebnisse in Einrichtungen der katholischen Kirche und öffentlichen Institutionen (z.B. Kindertagesstätten, Sportvereine etc), so dass die katholische Kirche als auch andere Institutionen gezwungen waren sich mit dieser Thematik öffentlich auseinander zu setzen. Aufgrund dieser aktuellen Ereignisse gibt es erstmals in der Geschichte der Bundesregierung eine Missbrauchsbeauftragte. Christine Bergmann ist die bundesweite Ansprechpartnerin für die Opfer sexuellen Missbrauchs. Ziel ist die Aufarbeitung vergangener Missbrauchsfälle, Prävention und geeignete Hilfen für Opfer zu vermitteln. Hierfür wurde auch eine Öffentlichkeitskampagne mit dem Namen „Sprechen
hilft!“ initiiert. Auf Plakaten und in Fernsehwerbespots sind Erwachsene zu sehen, denen der Mund zugehalten wird. Das Motto hierzu lautet : „Wer das Schweigen bricht, bricht die Macht der Täter“.
Die öffentliche Anteilnahme und die verstärkte mediale Berichterstattung zum Thema sexueller Missbrauchs an Kindern zeigt erste Wirkungen; so hat sich die katholische Kirche dazu bereit erklärt, Entschädigungszahlungen an die Opfer sexuellen Missbrauchs zu zahlen, auch wenn diese Taten bereits strafrechtlich verjährt sind.
Die Bachelor-Thesis erläutert zunächst die historischen Dimensionen des sexuellen Missbrauchs von Kindern, wann dieser erstmals wissenschaftlich thematisiert wurde, wie sich durch die feministische Frauenbewegung das öffentliche Bild vom Sexualstraftäter wandelte, da zunehmend deutlich wurde, dass es sich in der Mehrheit der Missbrauchsfälle nicht um Fremdtäter (Pädophile) handelt, sondern um nahestehende Familienangehörige, Freunde und Bekannte der Kinder.
Anschließend werden aktuelle Statistiken des Bundeskriminalamts analysiert, woran ersichtlich ist, wie häufig der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendendlichen in Deutschland vorkommt und inwieweit sich die öffentliche Berichterstattung zum Thema Missbrauch auf die Tätervorstellungen der Bevölkerung auswirken.
Der nächste Schwerpunkt der Bachelor-Thesis ist die Prävention und die therapeutische Behandlung von Kindern und Jugendlichen, die sexuelle Gewalt erlebt haben. Hierbei werden Einblicke in die aktuelle Präventionsarbeit in Kindertagesstätten und Schulen am Beispiel des Vereins Dunkelziffer e.V. gegeben.
Abschließend werden die gesellschaftlichen und sozialen Bezüge des sexuellen Missbrauchs an Kindern betrachtet, welche gesellschaftlichen und individuellen Faktoren die Verleugnung des sexuellen Missbrauchs begünstigen und damit eine Aufdeckung und das Beenden des sexuellen Missbrauchs verhindern bzw. erschweren.
In der Literatur findet man keine einheitliche Definition für sexuellen Missbrauch. Oft werden auch Begriffe wie „sexuelle Ausbeutung“, „sexuelle Gewalt“, „sexuelle Übergriffe“ oder „sexuelle Misshandlung“ verwendet. Sie beschreiben die unterschiedlichen Formen dieser Art der Gewalt gegen Kinder.
Nach Dunkelziffer e.V.: „Ist sexueller Missbrauch an Kindern jede sexuelle Handlung, die an, mit oder von einem Kind vorgenommen wird und der das Kind aufgrund körperlicher, psychischer, kognitiver oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann“ (Kerger, 2007).
Sexueller Missbrauch bedeutet, dass der Täter seine Macht- und Autoritätsposition, sowie das Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis ausnutzt, um seine eigenen Bedürfnisse auf Kosten des Kindes zu befriedigen. In diesem Sinne ist sexueller Missbrauch immer Gewalt. Zentral dabei ist die direkte und/oder indirekte Verpflichtung zur Geheimhaltung.
Der Psychoanalytiker Sigmund Freund machte erstmals 1896 seine Erkenntnisse über den sexuellen Missbrauch an Kindern in seiner Arbeit zur Ätiologie der Hysterie vor seinen Wiener Kollegen öffentlich. Die 18 Klienten, die er behandelte (davon waren 12 Frauen und 6 Männer), seien im Erwachsenenalter „hysterisch“ geworden aufgrund von verdrängten Missbrauchserlebnissen in der Kindheit. Die „Hysterie“ hatte sich in körperlichen Symptomen wie z.B. Atemnot gezeigt. Durch seine psychoanalytische Therapieform und seiner Fähigkeit Träume zu deuten, gelang es Freud diese unbewussten traumatischen Erinnerungen wieder hervorzukehren. Dabei zeigte sich, dass die Klienten in der Kindheit häufig von Familienangehörigen meistens den Vätern sexuell missbraucht wurden. Freud war damals von seinen Erkenntnissen selbst überrascht. „Es kann nicht sein, was nicht sein darf “ (Miller, 1983, S:139).
Die Öffentlichkeit reagiert auf Freuds Erkenntnisse entsetzt; da zum ersten Mal das Tabu gebrochen wurde über sexuellen Missbrauch zu sprechen, folglich erfährt Freud von seinen Kollegen Ablehnung und wird stark kritisiert, wodurch seine weitere bis dahin sehr erfolgreiche berufliche Karriere gefährdet wird.
Nur 1 Jahr später widerruft Freud seine wissenschaftlichen Erkenntnisse zum sexuellen Missbrauch an Kindern, indem er behauptet, dass die Kinder sich den sexuellen Missbrauch eingebildet oder erfunden hätten; er gibt an, dass Kinder somit nicht zwischen Realität und Phantasie unterscheiden könnten. Die Einbildung des sexuellen Missbrauchs begründet Freud mit dem theoretischen Konstrukt des Ödipuskomplexes. Den Ödipuskomplex entwickeln Kinder nach Freud im Alter von 4-5 Jahren. Er ist nach der psychoanalytischen Theorie der Höhepunkt der phallischen Phase (psychosexuelle Entwicklung nach Freud), in der das Kind alle libidinösen und aggressiven Wünsche auf seine Eltern richtet. Das Grundmodell des Ödipuskomplexes übernahm Sigmund Freud aus der antiken Ödipussage. Das zentrale Thema hierbei ist die Übertragung sexueller Wünsche des Kindes auf das gegengeschlechtliche Elternteil und eine feindselige Haltung gegenüber dem gleichgeschlechtlichen Elternteil, da dieser als Rivale angesehen wird. Durch das Inzesttabu und der damit einhergehenden fehlenden Erfüllung der inzestuösen sexuellen Beziehung zwischen Vater und Tochter bzw. Mutter und Sohn, lernt das Kind diese Wünsche in das Unterbewusstsein zu verdrängen, wodurch diese Wünsche zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr erinnert werden. Damit tritt das Kind in die nächste Phase ein (Latenzphase).
Die Gründe für Freuds Meinungswechsel sind nur im historischen Kontext und den damals geltenden Wert- und Moralvorstellungen, insbesondere in der Erziehung von Kindern zu verstehen. Hierbei waren die Ehrung und der Respekt vor den Eltern eine der wichtigsten Verhaltensnormen. Eine Offenlegung des sexuellen Missbrauchs in der Familie würde damit diesen Verhaltensnormen widersprechen. Außerdem sind auch Gründe in Freuds Biographie zu finden, die er möglicherweise verdrängen wollte, um sich nicht persönlich mit dem schmerzhaften Thema sexueller Missbrauch zu befassen (vgl. Masson, 1995). So weisen einige Biografen auf den möglichen sexuellen Missbrauch Freuds durch sein Kindermädchen hin, auch kann ein sexueller Missbrauch durch Freuds Vater an seiner Schwester nicht ausgeschlossen werden.
In Deutschland kam es zur Enttabuisierung des sexuellen Missbrauchs 1982 durch einen Artikel der Psychoanalytikerin Alice Miller in der Frauenzeitschrift Brigitte. Alice Miller schrieb erstmals öffentlich über den sexuellen Missbrauch an Kindern durch Erwachsene (meistens waren es die Väter). Die Reaktionen auf diesen Artikel waren immens und machten das ganze Ausmaß des sexuellen Missbrauchs an Kindern deutlich. Es zeigte sich, dass der sexuelle Missbrauch von Kindern durch Familienangehörige keine Ausnahmetat war. Die betroffenen Leserinnen schrieben an Brigitte und viele trauten sich erstmals ihr jahrzehntelanges Schweigen zu brechen und über den sexuellen Missbrauch zu sprechen. Aus diesen Biographien veröffentlichte die Zeitschrift Brigitte 1983 das Buch „Als Kind missbraucht- Frauen brechen das Schweigen“. Aus diesen Erfahrungsberichten und der Solidarität der Frauen untereinander entstanden auch im Zuge des Feminismus und der Frauenbewegung zahlreiche Selbsthilfegruppen für sexuell missbrauchte Frauen. Erst 20 Jahre später wurde dann der sexuelle Missbrauch an Jungen in Deutschland öffentlich thematisiert, was auch darin begründet ist, dass Jungen noch häufiger als Mädchen sich niemanden anvertrauen bzw. als Opfer von sexuellen Missbrauch von Erwachsenen seltener wahrgenommen werden (vgl. Bange, 2007: S.94), deshalb sind die Hilfsangebote speziell für sexuell missbrauchte Jungen bzw. Männer noch unterrepräsentiert und müssen dringend ausgebaut werden.
Sexueller Missbrauch von Kindern ist keine Ausnahmetat. Unter Berücksichtigung in- und ausländischer Studien muss davon ausgegangen werden, dass ca. 18% der Mädchen und 10% der Jungen in Deutschland sexuell missbraucht werden. (vgl. Boehme; Kruck; Bender, 2001).
Sexuelle Gewalt wird an Mädchen und Jungen jeden Alters verübt. Dabei ist die Gruppe der 6-10 Jährigen mit 42,8 % am häufigsten betroffen, gefolgt von der Gruppe der 0- 5 Jährigen mit 27,2%. Dies bedeutet, dass Kinder im Grundschulalter die größte Gruppe der Opfer darstellen. Dabei ist davon auszugehen, dass ca. 75% der Taten im nahen sozialen und familiären Umfeld stattfinden und lediglich 25% der Taten demnach Fremdtäter (vgl. Dunkelziffer e.V., 2007: Merkblatt) verüben.
Laut der Statistik des Bundeskriminalamts wurden 2009 ca.12.000 Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern angezeigt. Strittig ist, wie hoch die tatsächliche Zahl von Kindern ist, die sexuell missbraucht werden. Man geht aufgrund von verschiedenen Untersuchungen davon aus, dass jährlich mindestens 200.000 Kinder in Deutschland sexuell missbraucht werden. Die Dunkelziffer ist extrem hoch, da der Großteil der Taten im engen sozialen Umfeld geschieht und deshalb nicht angezeigt wird.
Die Studien von Finkelhor & Baron (1986) belegen, dass die Opfer aus zerrütteten familiären Verhältnissen überrepräsentiert sind und dass Kinder und Jugendliche, die vorher körperlich und emotional misshandelt wurden, ein signifikant höheres Risiko haben Opfer von sexuellem Missbrauch zu werden. Die Ursachen hierfür sind folgendermaßen zu erklären: Sexueller Missbrauch durch Familienangehörige geschieht häufiger in familiären Verhältnissen, wo schwerwiegende Konflikte zwischen den Eltern vorherrschen bzw. in familiären Situationen, wo die Eltern bereits geschieden/getrennt sind und dass Kind bei einem Elternteil aufwächst. Dies ist darin begründet, dass der sexuelle Missbrauch eines Kindes in der Familie einerseits durch familiäre Spannungen begünstigt wird, da der Täter versucht seine Frustration und Aggressionen über den sexuellen Missbrauch am Kind zu kompensieren. Andererseits sind auch alleinerziehende Eltern als Täter überrepräsentiert, was vermuten lässt, dass der Einfluss des anderen Elternteils als Kontrollperson, der die Verhaltensweisen des anderen Elternteils wahrnimmt und korrigiert bzw. bestimmte Verhaltensweisen, wie den sexuellen Missbrauchs am Kind von vornherein verhindert, wichtig ist. Es kommt daher weniger zu sexuellen Missbrauch in Familien, in denen die Eltern zusammenleben, weil der Täter eher fürchten muss entdeckt zu werden.
Jungen werden immer noch ungenügend als Opfer sexuellen Missbrauchs berücksichtigt, hierfür gibt es sowohl personelle als auch gesellschaftliche Faktoren, die die Verleugnung von Jungen als Opfer sexuellen Missbrauchs begünstigen (siehe unten). Sexueller Missbrauch an Jungen findet grundsätzlich in jeder Alterstufe statt. Am häufigsten sind Jungen im Alter von 10 bis 12 Jahren vom sexuellen Missbrauch betroffen (vgl. Bange, 2007, S:40). Nach Dirk Bange werden Jungen am häufigsten von Bekannten aus dem außerfamiliären Bereich (z.B. Nachbarn, Lehrer, Erzieher, Freunde der Familie) sexuell missbraucht, dies macht ca. 50% der Täter-Opfer-Konstellationen aus. Im Vergleich zu Mädchen, die sexuell missbraucht werden, werden Jungen häufiger von gleichaltrigen, minderjährigen Jungen (ca. 30%) missbraucht. Jedoch taucht dieser Aspekt in der öffentliche Debatte noch unzureichend auf, weil minderjährige Täter oftmals mit großem Entsetzen betrachtet werden, dabei sind ihre Taten meist die Folge von vorheriger sexueller Gewalterfahrung (siehe 5.2. Langzeitfolgen des sexuellen Missbrauchs). Deshalb ist es wichtig das Thema minderjährige Sexualstraftäter zu enttabuisieren und diese Jugendlichen dann adäquat zu behandeln und zu betreuen, um so „Täterkarrieren“ von vornherein zu verhindern. Es gibt vielfältige Gründe, warum Jungen als Opfer sexuellen Missbrauchs in unserer Gesellschaft kaum wahrgenommen werden. Zum einen, weil sie häufiger über den erlebten sexuellen Missbrauch schweigen, zum anderen weil Hinweise auf sexuellen Missbrauch bei Jungen weniger häufig wahrgenommen werden. Das Schweigen der Jungen ist vor allem unter dem Gesichtspunkt der männlichen Rollenerwartung zu betrachten. Jungen haben durch die geschlechtsspezifische Sozialisation gelernt bzw. verinnerlicht keine Schwäche zu zeigen, sich durchzusetzen, stark zu sein, Probleme allein zu lösen, nicht zu weinen und Gefühle zu zeigen. Diese Zwänge, Vorurteile und Selbstzweifel führen nicht selten dazu, dass die Jungen (lange) schweigen, denn ihr Selbstwertgefühl wird durch den sexuellen Missbrauch erheblich bedroht, da sie keinesfalls als Opfer gelten wollen. Außerdem haben Jungen Angst homosexuell zu sein, wenn sie von einem männlichen Täter missbraucht wurden. Sie glauben, weil sie homosexuell seien, wurden sie missbraucht oder sie fürchten, dass sie durch den sexuellen Missbrauch homosexuell geworden sind. Diese Angst vor Homosexualität ist für das Selbstwertgefühl von Jungen sehr bedrohlich, da homosexuelle Männer gesellschaftlich nicht als „richtige“ Männer gelten. Für sexuell missbrauchte Jungen bedeutet dies somit, dass durch den sexuellen Missbrauch eines männlichen Täters ihre männliche Identität bedroht wird, weil sich Jungen und Männer stark über die Sexualität mit Frauen identifizieren. Deshalb ist es auch weniger erstaunlich, dass der sexuelle Missbrauch von Jungen durch Frauen oftmals weniger traumatisierend von den Opfern eingeschätzt wird, da dies im Rückblick eine heterosexuelle also eine „normale“ Situation war, wo ihre männliche Identität nicht gefährdet wurde ( vgl. Kloiber, 2002). Nach Dirk Bange ist ein weiteres Problem bei der Aufklärung von sexuellem Missbrauch an Jungen das Schweigen der betroffenen Jungen aufgrund ihrer kulturellen und religiösen Herkunft. Ursächlich hierfür sind traditionelle Männerbilder, welche diese Jungen verinnerlicht haben, sie definieren ihre Männlichkeit über Autorität, Stärke und Macht. Ein sexueller Missbrauch löst vor diesem Hintergrund massive Schamgefühle aus, da sie nicht den eigenen Normen- und Wertvorstellungen bezüglich des männlichen Verhaltens entsprochen haben. Weiterhin ist der sexuelle Missbrauch von Jungen mit Migrationshintergrund durch einen männlichen Täter vor der Tatsache der strikten Ablehnung und (teilweise) Bestrafung der Homosexualität in diesen Kulturkreisen ein weiteres Hindernis für diese Jungen sich jemandem anzuvertrauen und sich Hilfe zu holen, weil sie befürchten müssen durch ihre Offenbarung von ihrer Familie abgelehnt bzw. verstoßen zu werden. Die Tabuisierung des sexuellen Missbrauchs an Jungen wird noch durch die öffentliche Meinung über Jungen als Opfer sexuellen Missbrauchs verstärkt. Nach dem Sozialarbeiter Thorsten Kruse fallen dann z.B. Sätze wie : „ Der Junge kann sich wehren, hätte es nicht so weit kommen lassen müssen, sich der Situation freiwillig hinzugegeben. Ein Junge ist von Natur aus sexuellen Abenteuern aufgeschlossener, “verdaut” eine solche Situation besser und klärt sie für sich ganz allein, weil er damit umzugehen weiß “ (Kruse, 1998) . Solche Sätze sind realitätsfern, denn der sexuelle Missbrauch bei Jungen erfolgt primär aus einem Vertrauensverhältnis heraus ohne Gewaltanwendung, Abwehr ist unter dem Aspekt der emotionalen und materiellen Abhängigkeit nicht möglich und Jungen werden häufiger noch als Mädchen im jüngeren Alter missbraucht, wo sie tatsächlich körperlich unterlegen sind. Die Unterstellung, dass Jungen durch sexuellen Missbrauch nicht geschädigt werden, da sie „aufgeschlossener“ als Mädchen seien, suggeriert ebenfalls ein falsches Bild. Denn sexueller Missbrauch stellt für Jungen wie für Mädchen dieselbe schwerwiegende Belastungssituation dar, mit denselben Folgen und Auswirkungen auf ihren psychischen und physischen Zustand. Traumatische Störungen, die auf sexuelle Gewalterfahrungen in der Kindheit beruhen, werden bei Jungen noch seltener als bei Mädchen mit sexuellem Missbrauch in Verbindung gebracht, da auch professionell Handelnde aufgrund ihrer eigenen Sozialisation Schwierigkeiten haben Jungen als Opfer sexuellen Missbrauchs wahrzunehmen. Dies kann die Aufdeckung eines sexuellen Missbrauchs noch mehr erschweren als bei Mädchen. Ein weiterer Grund für die Tabuisierung ist, dass Jungen in ca. 25% der Fälle von Frauen missbraucht werden (vgl. Bange, 2007, S:41). Selbst wenn sich Jungen jemandem anvertrauen, haben sie größere Probleme Hilfe zu finden, da Frauen als Täter (v. a. Mütter) für viele Menschen außerhalb der Vorstellungskraft liegen, das gilt auch für professionelle Helfer wie Sozialpädagogen und Therapeuten und deshalb wird die Glaubwürdigkeit der Jungen teilweise immer noch angezweifelt.
Nach Dirk Bange ist einer der Gründe, warum Frauen als Täterinnen in der gesellschaftlichen Debatte wenig berücksichtigt werden, dass Frauen allgemein als sexuell passiv gelten. Frauen, die sexuell aggressiv auftreten, um sich so ihre sexuellen Bedürfnisse zu erfüllen, sind kaum vorstellbar. Jedoch gibt es diese Täterinnen, wie die autobiographischen Werke von Richard Berendzen (1994) oder Manfred Bieler (1989) belegen, beide wurden von der eigenen Mutter sexuell missbraucht. In ihren Schilderungen wird deutlich, dass auch Mütter durch körperliche Gewalt oder verbal aggressives Verhalten ihre Kinder zum Geschlechtsverkehr zwingen (können). Deshalb ist festzustellen, dass Frauen als Täterinnen meist genauso sexuell aggressiv auftreten wie Männer, und dass es bei Übergriffen nur selten bei unangemessenem Streicheln bleibt. Aufgrund dieser Problematik scheint es wichtig, die therapeutische und sozialpädagogische Hilfe speziell für sexuell missbrauchte Jungen auszubauen und auch die Berufsgruppen, die Kinder und Jugendliche pädagogisch betreuen z.B. Lehrer, Erzieher usw. entsprechend zu schulen und weiterzubilden. „ Die gegenwärtige Situation männlicher Opfer ähnelt der von vergewaltigten und misshandelten Frauen vor dreißig Jahren: Verleugnung der Problematik und Ignoranz den Betroffenen gegenüber dominieren." (Lenz, 2002) .
Seit den 80 er Jahren ist der sexuelle Missbrauch an Kindern durch die Frauenbewegung stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Es wurde zunehmend deutlich, dass sexueller Missbrauch an Kindern ein gesellschaftliches Problem ist. Durch diesen Prozess, wurde das Tabu gebrochen, dass die Täter meist aus der Familie stammen, insbesondere sind es Väter, oder sonstige Personen aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis. Davor ging man davon aus, dass Kinder vornehmlich von „fremden“ älteren Männern (Pädophilen) missbraucht werden und Präventionsprogramme zielten auf diesen Kenntnisstand ab („Geh nicht mit Fremden mit“).
Festzustellen ist, dass der Täter oder die Täterin meist ein vertrautes Verhältnis zum Kind haben (Familie), wodurch körperliche Gewaltanwendung des Täters nicht der Regelfall ist.
Eine vermeintliche Zustimmung des Kindes, welche sich der/die Täter/in oft zur eigenen Entlastung einredet, ist deshalb nie freiwillig, weil ein „Nein“ die benötigte Beziehung und Aufmerksamkeit gefährden würde. In dieser Art Abhängigkeitsverhältnis hat solch eine Tat immer den Charakter einer Erpressung auch ohne Bestrafung oder Bedrohung. In dem Bewusstsein der Kinder besteht jedoch oft keine sexuelle Gewalt in der Familie, da durch das Schweigen und Verleugnen des sexuellen Missbrauchs in der Familie das Opfer allmählich dieselbe verleugnende Position des Täters annehmen kann (vor allem bei kleinen Kindern).
Zum größten Teil sind es Männer, die Kinder sexuell missbrauchen. Anhand von Vergleichen verschiedener Studien (vgl. Deegener, 2005) geht man davon aus, dass ca. 85-90% der Taten auf Männer zurückzuführen sind. Jeder sexuelle Übergriff eines Täters gegenüber einem Kind geschieht aus einer Autoritäts-, Abhängigkeits-, Vertrauens- und Machtposition heraus, deswegen steht bei jeglicher sexueller Gewalt am Kind ein primäres Machtinteresse des Täters im Vordergrund.
Männer aus jeglichen sozialen Schichten missbrauchen Kinder. Dabei ist wissenschaftlich belegt, dass es meist „normale“ Männer sind. Nur selten sind es Männer, die in ihrer Umgebung als gewalttätig und dissozial auffallen, sondern häufig sind es sozial angepasste Männer, die von ihrem sozialen Umfeld positiv wahrgenommen werden. Meist sind die männlichen Täter aus dem engen Familien- und Bekanntenkreis, am häufigsten handelt es sich um Väter, Stief- und Pflegeväter, sonstige Verwandte oder Freunde und Nachbarn der Familie. Es sind Männer zu denen die Kinder ein Vertrauensverhältnis haben bzw. die Täter versuchen bewusst ein Vertrauensverhältnis zum Kind aufzubauen, um es später „gefügig“ zu machen und sexuell zu missbrauchen. Dabei manipulieren sie nicht nur die Kinder, sondern auch das soziale Umfeld, um auf diese Weise einen leichten Zugang zu den Kindern zu erhalten. Sie führen ein Doppelleben: Sie verhalten sich so, dass ihnen von ihrem Umfeld großes Vertrauen und Loyalität entgegengebracht wird und diese Fassade nutzen sie, um dahinter den sexuellen Missbrauch unbemerkt begehen zu können. Wenn der Täter ein Familienmitglied ist, so hat er häufig bereits eine dominante Position in der Familie (besonders bei Vätern), so dass er das Kind leichter sexuell ausbeuten kann. Denn die dem Vater zugeschriebene und von ihm auch meist eingenommene Rolle des Versorgers und Beschützers verschafft ihm große Macht und Autorität innerhalb der Familie. Diese dominante Position der Väter hat sich in den Familien auch durch den Feminismus und der damit verbundenen Emanzipation der Frauen kaum verändert, da Väter aufgrund des meist höheren Einkommens die Frau und Kinder in stärkerem Maße finanziell von sich abhängig machen können als umgekehrt.
Ist dies nicht der Fall bedienen sich sozial unsichere Männer auch subtilerer Mittel, z.B. indem sie Konflikte zwischen Mutter und Tochter provozieren, so dass sich das Kind später nicht der Mutter anvertrauen kann. In den häufigsten Fällen jedoch nutzt der Mann das bestehende Vertrauensverhältnis zum Kind, wodurch Gewaltanwendung nicht nötig ist. Gerade Kinder, die emotional vernachlässigt werden und sich nach Zuwendung und Beachtung sehnen, sind besonders gefährdet, da sie aufgrund ihrer großen Bedürftigkeit mögliche Gefahren nicht erkennen bzw. den sexuellen Missbrauch hinnehmen, um die emotionale Zuwendung nicht zu verlieren. Problematisch ist dies besonders, wenn die Kinder sich keinem anvertrauen können, wenn der Täter die einzige Vertrauensperson ist. Sie entwickeln Angst- und Schamgefühle, dass ihn niemand glauben wird und vor allem Schuldgefühle, dass sie den sexuellen Missbrauch provoziert haben bzw. dass sie sich nicht dagegen gewehrt haben.
Gemeinsam haben alle Täter, die Kinder sexuell missbrauchen ein geringes Selbstwertgefühl, was sie durch den Missbrauch kompensieren wollen (Macht, Kontrolle) und eine mangelnde Emphatiefähigkeit, d.h. sie können sich nicht in das Opfer einfühlen, was ihre Tat auslöst und haben folglich auch kein Schuldbewusstsein. Es kommt zum Rollentausch: Die Täter übertragen die Verantwortung für die Tat auf die Opfer, indem sie sich eine infantile Position aneignen, d.h. sie haben kein Verantwortungs- und Schuldbewusstsein, keine Scham und handeln impulsiv, nicht rational. Die Erwachsenenrolle wird somit auf das Kind projiziert, das Kind übernimmt Verantwortungs-, Scham- und Schuldgefühle und muss seine eigenen Gefühle kontrollieren und zurückstellen, da der Täter keinen Widerstand duldet. Gleichzeitig überträgt der Täter nicht nur die Notwendigkeit eines Doppellebens, sondern auch das durch Geheimhaltung angelegte Unrechtsbewusstsein auf das Kind. In diesem Zusammenhang ist die Entäußerung, die der Täter durch den Missbrauch von seinem eigenen psychischen Zustand hinterlässt, ein wichtiger Aspekt . „Was sich sichtbar in den Folgen der gewaltsamen sexuellen Handlung beim Kind äußert, ist der nach außen projizierte psychische Zustand der eigenen Einsamkeit und Zerstörtheit des Täters“ (Pilgram, 2000, S:12).
Jedoch liegt der Anteil der weiblichen Täterinnen bei ca.10-15% (vgl. Deegener, 2005, S:36). Frauen sind bei ca. 10% der weiblichen Opfer und ca. 25% der männlichen Opfer Täter. Dieser Anteil an Frauen, die Kinder sexuell missbrauchen, taucht im öffentlichen Bewusstsein faktisch nicht auf, was daran liegt, dass die Täterinnen häufig die eigenen Mütter oder sonstig nahestehende Verwandte und Bekannte (Tante, Nachbarin, Babysitter) sind. Wenn Mütter zu Täterinnen werden, können ihre Taten noch eher unbemerkt bleiben als diejenigen von männlichen Bezugspersonen, da besonders die emotionale Abhängigkeit der Kinder von Müttern enorm hoch ist. Zum anderen haben Frauen, die für die Erziehung der Kinder verantwortlich sind, schon allein durch die körperliche Nähe, wie sie etwa bei der Pflege des Kindes notwendig ist, meist mehr Körperkontakt zu den Kindern als die Väter. Auch wird Frauen ein körperlicher Kontakt zu Kindern eher zugestanden und als normal empfunden als bei Männern. Um dies besser nachvollziehen zu können, gebe ich hier die Ergebnisse einer Studie zum sexuellen Missbrauch des Sexualforschers Dr. Arnold Hinz an. Überwiegend Jugendliche und junge Erwachsene nahmen an seiner Studie teil. Sie beurteilten insgesamt zwölf Szenen im Grenzbereich zum sexuellen Missbrauch, in denen ein Erwachsener einem Kind bzw. einer abhängigen Person auf unterschiedliche Weise nahe kommt. Von jeder Handlung gab es zwei Versionen, in denen entweder ein Mann oder eine Frau die aktive Rolle spielte. "Ist dies sexueller Missbrauch?", lautete die Frage zu jeder Szene.
Was tut der Mann, der die nackte 14-jährige Tochter seines Freundes allein am FKK-Strand fotografiert? Hier votierten 58 % der Befragten für "klares Ja" oder "eher Ja" in der Missbrauchsfrage. Die Vorstellung, dass eine Frau den nackten Sohn der Freundin knipst, führte indes nur bei 22 % zur positiven Antwort.
Dem alleinstehenden Lehrer, der eine Schülerin zum Abendessen in sein Haus einlädt, bescheinigten 23 % sexuellen Missbrauch. Die Lehrerin, die einen Schüler zu sich bittet, kam hingegen nur 11 % verdächtig vor.
Es ist also kritisch zu prüfen, inwieweit sich das traditionelle Rollenverständnis bezüglich des Charakters einer Frau, auf die Beurteilung des Geschehens auswirkt. Dr. Hinz rät deshalb sich bei jedem Urteil zu fragen, wie man entscheiden würde, wenn das Geschlecht des mutmaßlichen Täters und des Opfers gegengeschlechtlich wäre.
In der Praxis deuten solche Konstellationen auf einen Missbrauch hin, bei denen z.B. eine Mutter ihr Kind übermäßig lange stillt, beim schon älteren Kind immer noch den Genitalbereich wäscht, die Mutter das Kind im auffälligen Maße zu sich ins Bett nimmt, sie sich in Gegenwart eines schon älteren Kindes in exhibitionistischer Weise nackt präsentiert.
Festzustellen ist, dass jedoch ein geringerer Anteil von Frauen verübt wird. Die für Frauen vorgesehenen normativen Verhaltensweisen (keine Gewalt insbesondere sexuelle Gewalt) verhindern es einerseits, dass Frauen weniger leicht zu Sexualstraftäterinnen werden als Männer; sie verhindern es aber andererseits auch, dass sexueller Missbrauch der durch Frauen begangen wird, aufgedeckt oder in Betracht gezogen wird. Hinzu kommt, dass Täterinnen im Verhältnis häufiger Jungen als Mädchen missbrauchen und dass sich Jungen weniger als Mädchen ihrem Umfeld anvertrauen, da sie aufgrund ihrer internalisierten männlichen Rolle nicht als „Opfer“ wahrgenommen werden wollen.
Die Abhängigkeit der missbrauchten Kinder und die meist sehr enge Bindung an die Täterin, insbesondere, wenn es sich um die Mutter handelt, kommt erschwerend hinzu, wobei die Angst, die Mutter zu denunzieren vermutlich noch größer ist, als in den Fällen, in denen Väter missbrauchen. Die Kinder und Jugendtherapuetin Martine Nisse begründet dies wie folgt:
"Der Inzest der Mutter, also der Person, von der das Kind sich ja eigentlich Schutz erhofft, wird als unerträglich erlebt. Umso schwerer ist es für das Opfer, damit fertig zu werden."(Nisse, 1998)
Hinzu kommt auch die Tatsache, dass die Akzeptanz einer gewalttätigen Mutter durch die Ideologisierung der Mutterschaft in unserer Gesellschaft erschwert wird, was dazu führt das deutliche Hinweise auf sexuellen Missbrauch ignoriert werden und Mütter nur extrem selten angezeigt werden. Denn das herrschende Ideal der guten Mutter, die sich vor allem den Bedürfnissen und Notwendigkeiten der Kindererziehung widmet, steht im starken Kontrast zu Müttern, die Kinder sexuell missbrauchen.
Die Gründe, warum Frauen Kinder sexuell missbrauchen, unterscheiden sich nicht von der Motivation zu Taten von Männern. Meist spielt die sexuelle Bedürfnisbefriedigung und die Sehnsucht nach Nähe nur eine untergeordnete Rolle. Denn jeder sexuelle Missbrauch eines Täters gegenüber einem Kind geschieht aus einer Autoritäts-, Abhängigkeits-, Vertrauensposition- und Machtposition heraus. Deshalb steht bei jedem sexuellem Missbrauch eines Kindes (besonders bei Gewaltanwendung) ein primäres Machtinteresse und die Unterdrückung bzw. Abwertung des Opfers im Vordergrund. Die Täterschaft von Frauen entspringt dem gleichen kollektiven Muster, wie auch diejenige von Männern.
Außerdem spielt die eigene Opfererfahrung vieler Frauen eine Rolle, die ihre Kinder sexuell missbrauchen. Sie reinszenieren ihren erlittenen sexuellen Missbrauch aus der gegensätzlichen Position heraus, d.h. sie werden zum mächtigen, kontrollierenden Täter und Aggressor, um die eigene erlittene Hilflosigkeit und Ohnmacht zu verdrängen.
„Es gibt keinen Beleg dafür, dass Sexualtäter als solche geboren werden; dagegen liefert die Forschung zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass missbräuchliches Sexualverhalten das Ergebnis von Lebenserfahrungen ist. (…) Viele Sexualtäter sind als Kinder selbst (physisch, sexuell und/oder emotional) misshandelt worden. Soweit sie Opfer sexueller Übergriffe waren, muten ihre ersten Delikte gelegentlich wie Neuauflagen der eigenen frühen Viktimisierung an. (…)“ (Ryan, 2002, S. 490-491).
Nach einer Studie von Hirsch lassen sich in Inzestfamilien, wo der Vater das Kind sexuell missbraucht 2 „Täterprofile“ unterscheiden (vgl. Hirsch, 1999). In ca. 85% der Fälle ist der Vater eher passiv, emotional und sozial abhängig von anderen. Er ist bemüht um ein gutes soziales Ansehen und hat innerhalb der Familie große Probleme die Rolle des Vaters und des Ehemanns anzunehmen. Diese Täter üben den sexuellen Missbrauch ohne körperliche Gewalt aus. Sie nutzen das bestehende, meist auch enge Vertrauensverhältnis zum Kind aus. Der Täter wirkt nach außen hin eher schüchtern, introvertiert und ist sozial angepasst. Er fühlt sich einer erwachsenen Beziehung mit einer Frau kaum gewachsen aufgrund seines geringen Selbstwertgefühls.
Der 2. „Typ“ der Väter (ca. 15 % der Fälle) ist der tyrannische, gewalttätige Typus Vater. Hier beansprucht der Vater seine Familienmitglieder als Besitz. Die ausgeübte Gewalt gegen das Opfer wird in der Regel nach außen hin nicht geäußert. Die Täter in Inzestfamilien agieren meist mit starker Kontrolle, insbesondere wenn sich die Kinder in der Pubertät befinden und Außenkontakte wichtiger werden. Es gibt häufig keine Rückzugsmöglichkeiten für die Kinder, damit die Täter sie vollständig kontrollieren können und so dass mögliche Abwehr gegen den sexuellen Missbrauch von vornherein verhindert wird. Außenkontakte werden dann auch meist unterbunden oder stark eingeschränkt. Solche Väter werden häufig als besonders fürsorglich und engagiert vom Umfeld wahrgenommen, wenn sich die Kinder dann versuchen gegen dieses Verhalten zu wehren, so stoßen sie auf Unverständnis oder/und man unterstellt ihnen den Vater zu denunzieren.
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