Für neue Kunden:
Für bereits registrierte Kunden:
Wissenschaftliche Studie, 2011
33 Seiten, Note: 1,3
1 Grundlagen der Studie
1.1 Grundsätzliche Fragestellung
1.2 Konkretisierung der Fragestellung
1.3 Theoretischer Hintergrund
2 Hypothese und Methoden
2.1 Hypothese
2.2 Methoden
2.2.1 Auswahlverfahren
2.2.2 Auswertungsverfahren
3 Durchführung und Auswertung
3.1 Das Untersuchungsfeld
3.2 Die Probanden
3.3 Durchführung
3.4 Auswertung
3.4.1 Interview 1
3.4.2 Interview 2
3.4.3 Interview 3
4. Zusammenfassung und Diskussion
4.1 Zusammenfassung der Kernelemente
4.2. Diskussion mit der Theorie
Literaturverzeichnis
Gesetzesverzeichnis
Anlagenverzeichnis
Anmerkung: Wenn im folgenden Text von Bewohnern, Probanden etc. die Rede ist, sind damit immer beide Geschlechter gemeint. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde auf eine durchgehende doppelte Bezeichnung verzichtet.
Nach aktuellen Daten sind 2,34 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig im Sinne des Sozialgesetzbuchs XI (SGB XI). Von diesen Pflegebedürftigen leben 717.000 Menschen (31%) in vollstationären Pflegeeinrichtungen (vgl. Statistisches Bundesamt 2011, S. 6). In anderen Relationen ausgedrückt leben 5 % der Menschen über 65 Jahren in Deutschland in einer Pflegeeinrichtung (vgl. Flemming / Kreter 2008, S. 48), wobei der prozentuale Anteil mit zunehmendem Lebensalter überproportional ansteigt. Bei den über 90-Jährigen sind es bereits 34 % (vgl. Backes / Clemens 2008, S. 247).
Durch den demografischen Wandel ist die Zahl der alten Menschen in Deutschland und damit auch die Zahl der Pflegebedürftigen in den letzten Jahren stetig angestiegen und wird immer weiter ansteigen. Allein in der Zeit von 2007 bis 2009 ist die Zahl der Pflegebedürftigen in Verbindung mit der Alterung der Bevölkerung um 4,1 % gestiegen, die Anzahl der in Pflegeeinrichtungen versorgten Menschen stieg um 4,6 %. Bei der Betrachtung eines Zehn-Jahres-Zeitraums von 1999 bis 2009 fällt die Steigerung noch deutlicher aus, die Zahl der Pflegebedürftigen nahm im genannten Zeitraum um 16,0 % zu, die Anzahl der in vollstationären Pflegeeinrichtungen versorgten Pflegebedürftigen gar um 27,5 %. Somit nimmt die Bedeutung der Versorgung in Pflegeheimen zu (vgl. Statistisches Bundesamt 2011, S. 6).
Für die Zukunft wird diese Entwicklung noch dramatischer gesehen. Nach Bevölkerungsvorausberechnungen wird die Altersgruppe der über 60-Jährigen in Deutschland bis zum Jahr 2040 um 37,6 % wachsen, während die jüngeren Altersgruppen schrumpfen. Besonders stark wird demnach die Altersgruppe der über 75-Jährigen wachsen, in der erfahrungsgemäß am meisten mit Pflegebedürftigkeit zu rechnen ist (vgl. Robert-Koch-Institut 2004, S. 45). Die Anzahl der Pflegebedürftigen in Deutschland wird nach der Vorausberechnung bis zum Jahr 2040 um fast eine Million auf 3,2 Millionen Menschen ansteigen (vgl. Robert-Koch-Institut 2004, S. 46). Da, wie erwähnt, zeitgleich die Anzahl der jüngeren Menschen, die im privaten Umfeld die Pflege der alten Menschen übernehmen könnten, sinkt, ist ein steigender Bedarf an institutioneller, insbesondere stationärer Pflege, gegeben (vgl. Robert-Koch-Institut 2004, S. 49).
Der Umzug in eine Pflegeeinrichtung geht für die Betroffenen immer einher mit der Aufgabe der eigenen Wohnung, in weiterer Hinsicht auch mit der Aufgabe der Selbstständigkeit in psychischer und physischer Dimension. In der Berliner Altersstudie wird der Umzug in eine Pflegeeinrichtung als „ein extremes Beispiel einer […] Veränderung der sozialen Umgebung“ (Baltes / Mayer 1999, S. 554) beschrieben, die nicht nur durch den Verlust der gewohnten sozialen Umgebung zustande kommt, sondern auch durch die Merkmale und Regeln der Pflegeeinrichtung an sich (vgl. Baltes / Mayer 1999, S. 554 f.).
Aufgrund dieser Veränderungen ist zu vermuten, dass der Umzug auch immer mit erheblichen psychischen Belastungen verbunden ist und eventuell als belastendes, negatives Ereignis erlebt wird, das bei den Betroffenen noch lange „nachwirkt“ und auch das weitere Leben in der Pflegeeinrichtung (negativ) beeinflusst. Andererseits ist es auch denkbar, dass der Umzug in eine Pflegeeinrichtung für pflegebedürftige Menschen, die bislang noch ihren Haushalt selbst führen mussten, als eine Art „Befreiung“ erlebt wird, indem die Arbeit und die Verantwortung, die mit der Aufrechterhaltung des selbstständigen Lebens verbunden ist, reduziert bzw. den Betroffenen komplett abgenommen wird.
Dabei wurde angenommen, dass das positive oder negative Erleben des Umzugs und der ersten Lebensphase in der Pflegeeinrichtung neben der allgemeinen psychischen und physischen Disposition davon abhängig ist, welche Vorstellungen vor einem solchen Umzug bei den Betroffenen vorliegen. Wenn eine realistische Erwartung bezüglich des Lebens in einer Pflegeeinrichtung vorliegt, die sich mit den späteren Erfahrungen deckt, wird der Umzug vermutlich weniger als eine Belastung empfunden als wenn die Vorstellungen weit von der Realität abweichen.
Ausgehend von diesen Überlegungen sollte es das Ziel der vorliegenden empirischen Studie sein, Vorstellungen von Pflegeeinrichtungen bei Pflegebedürftigen vor und nach dem Umzug zu ergründen. Spezifischer ausgedrückt war es das Forschungsziel, Gemeinsamkeiten von subjektiven Vorstellungen, die Einschränkungen des autonomen Lebens in Form des Umzugs in eine Pflegeeinrichtung betreffen, herauszufinden.
Welche Vorstellungen haben Menschen vom Leben in einer Pflegeeinrichtung, bevor sie in eine solche umziehen? Werden diese Vorstellungen bestätigt oder nicht? Dies sollten die Ausgangsfragen der Studie sein.
Die weitere Vorbereitung und Durchführung der Studie sind weiter unter den Punkten 2 und 3 beschrieben. Zuvor soll jedoch das Thema „Umzug in die Pflegeeinrichtung“ unter Berücksichtigung bestehender Forschungsergebnisse näher beleuchtet werden.
Wenn der Umzug in eine Pflegeeinrichtung näher betrachtet werden soll, ist zunächst die Frage von Interesse, worum es sich nach Definition bei einer Pflegeeinrichtung handelt. Das Augenmerk soll hier auf die vollstationären Pflegeeinrichtungen gelegt werden, von denen es nach aktuellen Erhebungen in Deutschland zur Zeit 10.400 Einrichtungen gibt (vgl. Statistisches Bundesamt 2011, S. 15). Um nach dem Gesetz pflegebedürftige Menschen versorgen und die Versorgung mit den Pflegekassen abrechnen zu können, muss eine Pflegeeinrichtung einen Versorgungsvertrag mit den Kostenträgern nach § 72 SGB XI haben. Dies ist bei 97 % der deutschen Altenpflegeeinrichtungen der Fall (vgl. Flemming / Kreter 2008, S. 48). Nach § 71 Abs. 2 SGB XI sind in vollstationären Pflegeeinrichtungen Pflegebedürftige ganztägig untergebracht und werden unter ständiger Verantwortung einer ausgebildeten Pflegefachkraft gepflegt. Die Voraussetzung für eine Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung ist, dass eine ambulante Versorgung im eigenen Haushalt nicht möglich ist, da nach § 3 SGB XI der häuslichen Pflege stets der Vorrang vor der vollstationären Pflege zu geben ist.
Bei der Untersuchung des Themas „Umzug in die Pflegeeinrichtung“ stellt sich dann zuerst die Frage: Ist es für ältere Menschen überhaupt eine Überlegung, in eine Pflegeeinrichtung zu ziehen, bevor sie akut mit dieser Notwendigkeit konfrontiert werden? Wie bereits Tews vor über 30 Jahren beschreibt, würden aus einem repräsentativen Querschnitt über 65-Jähriger Menschen, die nicht in einer Pflegeeinrichtung leben, nur 5% in ein Heim ziehen, wenn sie dort einen Platz angeboten bekommen (vgl. Tews 1979, S. 321).
Als hauptsächlichen Grund für die Übersiedlung in eine Pflegeeinrichtung nennt Tews die Verschlechterung des Gesundheitszustands, jedoch meist einhergehend mit sozialen Gründen wie fehlenden sozialen Netzwerken oder ungünstiger Wohnsituation (vgl. Tews 1979, S. 331). Genau diese Faktoren nennen auch Backes / Clemens, wobei hier zum Gesundheitszustand das immer häufigere Auftreten demenzieller Erkrankungen angeführt wird (vgl. Backes / Clemens 2003, S. 250).
Untersuchungen zum Übergang in eine Pflegeeinrichtung sind auch verbunden mit Untersuchungen über das Altern an sich. In der Alternsforschung wird die Lebensphase „Alter“ weitgehend übereinstimmend unterschieden in das dritte und vierte Alter oder die jungen und alten Alten. Dabei wird der Beginn des dritten Alters mit dem Austritt aus dem Arbeitsleben angesetzt (vgl. Karl 2003, S. 191). Das dritte Alter wird als eine aktive Phase hoher Lebensqualität gesehen. Das vierte Alter, das deutlich später beginnt, ist dagegen von Krankheit und Pflegebedürftigkeit charakterisiert (vgl. Karl 2003, S. 229). So könnte der Umzug in eine Pflegeeinrichtung auch als der Übergang vom dritten zum vierten Alter gesehen werden, was sich jedoch vermutlich nicht immer decken wird, da auch soziale Gründe zum Umzug in die Pflegeeinrichtung führen können.
Der Übergang in eine Pflegeeinrichtung ist, wie bereits erwähnt, von einer gravierenden Veränderung der Lebenssituation geprägt: Von einem autonomen Leben im eigenen Haushalt hin zu einem reglementierten Leben in der Pflegeeinrichtung, dessen Rahmenbedingungen in einem Heimvertrag gemäß § 5 Heimgesetz (HeimG) festgehalten sind.
Dies ist zum einen zum Vorteil für den Heimbewohner, da seine Ansprüche und die Pflichten der Pflegeeinrichtung klar geregelt sind. Zudem wird in § 5 HeimG sowie im § 114 SGB XI die Überprüfung der Pflegeeinrichtungen durch die Heimaufsichtsbehörden und den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) geregelt, um die Versorgung der Bewohner zu überprüfen und diese damit vor Missständen zu schützen. Jedoch erwachsen aus dem Heimvertrag auch dem Bewohner Pflichten, die er zu erfüllen, und Regeln, die er einzuhalten hat. Das Leben in einer Pflegeeinrichtung ist, anders als in der eigenen Wohnung, oft einem relativ starren zeitlichen und organisatorischen Ablauf unterworfen, was beispielsweise Regeln zum Verlassen und Wiederaufsuchen der Einrichtung, das gemeinsame Essen, die Zimmerreinigung und die Arbeit der Pflegekräfte angeht (vgl. Baltes / Mayer 1999, S. 554).
Was die Einstellungen zum Umzug ins Heim angeht, finden sich bei Tews hierzu einige Aussagen. Von nach dem Umzug befragten Heimbewohnern gibt mehr als die Hälfte an, gern in eine Pflegeeinrichtung gezogen zu sein, nur 10 % zogen sehr ungern in ein Heim. Der Umzug in eine Pflegeeinrichtung wird hier als ein endgültiges Eingeständnis, alt zu sein, angesehen, und quasi als letzte Alternative, wenn ein selbstständiges Leben genauso wenig möglich ist wie eine Versorgung durch die Familie. In den bei Tews erwähnten Befragungen findet sich zudem ein negatives Bild von Pflegeeinrichtungen wieder, mit der Übersiedlung ins Heim werden Punkte wie feste Hausordnung, Massenbetrieb und Aufgabe von Aktivitäten angeführt (vgl. Tews 1979, S. 333 f.)
Zum Umzug stellt Tews weiter heraus, dass die Vorbedingungen eine entscheidende Rolle spielen. So bewältigten Menschen, die zuvor allein lebten, gar einsam und hilflos waren, den Umzug leichter als Menschen, für die es andere - subjektiv bessere - Alternativen gegeben hätte, beispielsweise eine Versorgung in der Familie. Wenn der Bewohner für den Umzug viel aufgeben musste, werde die Eingewöhnung sehr schwer fallen oder gar nicht stattfinden. Nach den Ergebnissen, die Tews anführt, passten sich jedoch die meisten Bewohner schnell an das Leben in der Pflegeeinrichtung an, dabei gelinge die Anpassung bei Bewohnern, die mit positiven Erwartungen in die Einrichtung gingen, schneller als bei Bewohnern mit negativen Erwartungen gegenüber der Pflegeeinrichtung. Zudem spiele es eine Rolle, inwieweit man vorher über die Einrichtung informiert sei, damit keine falschen Erwartungen aufkommen. So gingen die Meisten in eine Einrichtung, die sie persönlich kannten oder die ihnen aus ihrem Umfeld empfohlen wurde. (vgl. Tews 1979, S. 335 f.).
Auch bei Backes / Clemens wird beschrieben, dass bei alten Menschen über das Leben in der Pflegeeinrichtung ein weitgehend negatives Bild vorherrscht und einem Umzug in eine Pflegeeinrichtung zurückhaltend bis ablehnend gegenübergestanden wird. Die Befürchtungen, was das Leben im Heim angeht, sind dabei unter anderem, allein und eingesperrt zu sein, Verlust der Selbstständigkeit und Selbstbestimmung, Bevormundung und Einengung durch Hausordnung und starren Tagesablauf sowie Langeweile und Nutzlosigkeit (vgl. Backes / Clemens 2008, S. 247).
Der Umzug selbst stellt nach Backes / Clemens „als Statuspassage einen gravierenden Einschnitt im Leben der betroffenen älteren Menschen dar.“ (Backes / Clemens 2008, S. 249) Für manche alten Menschen stelle der Umzug gar ein „kritisches Lebensereignis“ dar, verbunden mit der Sorge um den Verlust der Selbstständigkeit, und wird als endgültige, „letzte Station“ angesehen (Backes / Clemens 2008, S. 249).
Insgesamt lässt die ausgewertete Literatur die Schlüsse zu, dass alte Menschen ein negatives Bild von Pflegeeinrichtungen haben und dass sie nicht gern und nicht frühzeitig an einen Umzug in eine Pflegeeinrichtung denken. Wenn der Umzug dann tatsächlich ansteht, wird er leichter bewältigt, wenn die betroffenen Menschen ein realistisches Bild von der Pflegeeinrichtung haben und wenn sie zuvor allein lebten und nicht aus Familienbeziehungen herausgerissen werden.
[...]