Bachelorarbeit, 2011
108 Seiten, Note: 1,3
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
1 Thematische Einführung und Problemstellung
2 Der demografische Wandel in der Arbeitswelt
3 Ausmaß und Entwicklung der Langzeiterkrankungen in der erwerbstätigen Bevölkerung zwischen 2005-2010
3.1 Ursachen für Langzeiterkrankungen von älteren Arbeitnehmern
3.2 Langzeiterkrankungen im Baugewerbe
3.3 Betriebswirtschaftliche Folgen von Langzeiterkrankungen im Unternehmen
4 Das betriebliche Eingliederungsmanagement
4.1 Die betriebliche Umsetzung des Eingliederungsmanagements
4.2 Die rechtlichen Rahmenbedingungen des BEM auf Unternehmensebene
4.3 Evaluation des BEM
5 Zusammenfassung und Ausblick
6 Summary
LITERATURVERZEICHNIS
ANHANGSVERZEICHNIS;
1 Geburtenentwicklung in Deutschland seit 1950 bis 2060
2 Lebendgeborene und Gestorbene in Deutschland von 1841 bis 2050
3 Entwicklung der Bevölkerungszahl in Deutschland von 1950 bis 2060
4 Entwicklung der Altersstruktur der deutschen Bevölkerung von 1871 bis 2050
5 Prozentualer Anteil der Altersgruppen an der Erwerbsbevölkerung von 2008 bis 2060
6 Umfrageergebnisse zur Auswirkung des demografischen Wandels auf deutsche Unternehmen
7 Entwicklung Langzeitarbeitsunfähigkeitsfälle- und tage von 2005 bis 2009
8 Arbeitsunfähigkeitstage- und fälle nach Altersgruppen für 2005, 2007, 2009
9 Krankheitsursachen erwerbstätiger AOK-Mitglieder der Altersgruppe 50- bis unter 64-Jahre
10 Biosoziale Dynamik des menschlichen Alterns
11 ungünstige und günstige Tätigkeitsmerkmale für ältere Arbeitnehmer
12 Anteile der Langzeiterkrankungen an den Arbeitsunfähigkeitstagen nach Branchen
13 Arbeitsunfähigkeitstage- und fälle der Bauberufe 44-51 in 2008
14 Arbeitsunfähigkeitstage- und fälle der Ingenieure in 2008
15 Altersstruktur deutscher Bauberufe 44-51 in 2003 und 2008
16 Körperliche Arbeitsanforderungen/Arbeitsbelastungen der Bauberufe 44-51 und Ingenieure
17 Psychische Arbeitsanforderungen/Arbeitsbelastungen der Bauberufe 44-51 und Ingenieure
18 Kategorisierung der Arbeitsmerkmale
19 Ungünstige/ günstige Arbeitsmerkmale der Bauberufe 44-51 und Ingenieure
20 Arbeitsunfähigkeitstage je Diagnose für die Bauberufe 44-51 in 2008
21 Arbeitsunfähigkeitstage je Diagnose für die Ingenieure in 2008
22 Altersstruktur Baugewerbe 2011 und 2020
23 Elemente des betrieblichen Gesundheitsmanagements
24 Verfahrensablauf des BEM
25 Vor-und Nachteile für die Anwendung des BEM
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„Wer meint, bei der demografischen Entwicklung ohne ältere Kollegen auskommen zu können, wird einen Wettbewerbsnachteil haben.“ [1]
Dies ist die Hauptbotschaft der diesjährigen Fachtagung „Change 2010“ des Centers of Competence e.V. in Emden, ein Unternehmensbündnis zum Wissenstransfer von Nordwestunternehmen.
Politik, Krankenkassen und Bundesämter warnen schon seit Jahren vor den Folgen der Überalterung der deutschen Bevölkerungsstruktur.
Mit dem demografischen Wandel gehen die Verknappung des Nachwuchskräftean- gebotes sowie der altersbedingte Anstieg des betrieblichen Krankenstandes einher. Deutsche Unternehmen werden zwingend dazu aufgefordert, die bereits bestehen- den Arbeitsverhältnisse vor allem durch Gesundheitsprävention dauerhaft zu si- chern.[2]
Im Jahr 2004 hat daher der Gesetzesgeber einen Teil der Verantwortung zur gesundheitlichen Prävention an die deutschen Unternehmen übertragen.[3] Dieser legt insbesondere die betriebliche Eingliederung von Langzeiterkrankten fest, um den Produktionsfaktor Arbeit auch zukünftig dem Unternehmen und vor allem der Volkswirtschaft zu sichern.[4]
Aus aktuellem Anlass untersucht daher diese Arbeit, ob das betriebliche Eingliede- rungsmanagement (im Sinne des §84 Abs.2 SGB IX) zum Erhalt der Arbeitsfähigkeit von langzeiterkrankten Arbeitnehmern geeignet ist. Dabei wird sich ausschließlich auf die Eingliederung von Erwerbstätigen mit einer durchgehenden, krankheitsbe- dingten Arbeitsunfähigkeit von mehr als 42 Tagen im Jahr beschränkt. Die Einglie- derung von schwerbehinderten Arbeitnehmern wird nicht thematisiert.
Des Weiteren wird in dieser Arbeit noch von einem gesetzlichen Renteneintrittsalter von 65 Jahren ausgegangen.
Diese Arbeit wird mit der Untersuchung von Ursachen und Folgen des demografischen Wandels für deutsche Unternehmen begonnen. Anschließend wird in diesem Zusammenhang die Entwicklung von Langzeiterkrankungen von 2005 bis 2010 in der erwerbstätigen Bevölkerung analysiert. Daraufhin werden deren mögliche Ursachen geklärt und am Beispiel der Baubranche näher veranschaulicht. Die durch Langzeitarbeitsunfähigkeit entstehenden, betrieblichen Herausforderungen, werden nachfolgend kurz skizziert.
Das betriebliche Eingliederungsmanagement soll mit den dazugehörigen, rechtlichen Rahmenbedingungen auf Unternehmensebene vorgestellt werden. Im Anschluss wird das Instrument einer ausführlichen Evaluation, mit der Abwägung von Vor-und Nachteilen unterzogen. Zuletzt erfolgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse mit einer abschließenden Handlungsempfehlung.
Das methodische Vorgehen stützt sich vor allem auf die Auswertung von Literatur, Studien, Statistiken sowie Abbildungen.
Begriffliche Definitionen:
Ältere Arbeitnehmer:
Darunter fallen Erwerbstätige, die sich in der Altersgruppe 50- bis 64 befinden.
Arbeitsfähigkeit:
Arbeitsfähig ist der, der die gesetzlichen Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 SGB II erfüllt.
Betriebliches Wiedereingliederungsmanagement:
In dieser Arbeit ist die Begrifflichkeit „Wiedereingliederungsmanagement“ dem Betrieblichen Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX gleichgestellt.
Erwerbstätige:
Alle Personen, die einer auf den wirtschaftlichen Erwerb ausgerichteten Tätigkeit nachgehen.[5]
Krankenstand:
Der Krankenstand wird als Kennzahl verstanden. Er gibt Auskunft über den prozen- tualen Anteil (Krankenstandsquote) der Arbeitsunfähigkeitstage am gesamten Ka- lenderjahr.[6]
Langzeitarbeitsunfähigkeit:
Darunter wird das durchgängige, krankheitsbedingte Fehlen am Arbeitsplatz von mehr als 42 Tagen angesehen.
Was steckt hinter dem demografischen Wandel, von dem seit Jahren allumfassend informiert und immer wieder gesprochen wird?
Dies ist eine der zentralen Fragen, denen sich dieses Kapitel widmet und dahingehend untersucht, warum deutsche Unternehmen zum Umdenken bei der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer notwendiger-maßen gezwungen werden. Selbstverständlich kann aufgrund der limitierten Seitenzahl dieser wissenschaftlichen Arbeit nur ein kurzer Abriss wiedergegeben werden.
Zuerst ist es hilfreich, den Begriff „Demografischer Wandel“ näher zu definieren.
Dieser beschreibt die Veränderungsprozesse in der Altersstruktur einer Bevölke- rung.[7] Das Bundesinstitut Bevölkerungsforschung spricht von dieser Veränderung, wenn die Bevölkerungsstruktur eines Landes mehr ältere als jüngere Menschen aufzeigt.[8]
Um die Hintergründe dieser Entwicklung ausfindig zu machen, gilt es mehrere Fak- toren zu betrachten. Der Saldo aus der Bevölkerungszahl, der Geburten, der Todes- fälle, der durchschnittlichen Lebenserwartung sowie der Anzahl der Zu- und Abwan- derungen werden für die Berechnung der Bevölkerungsentwicklung hinzugezogen.[9]
Seit 1950 bis zur Jahrtausendwende ist die Bevölkerungszahl in Deutschland (altes und neues Bundesgebiet zusammengefasst) von rund 68 Millionen auf rund 82 Millionen angestiegen.[10] Wie in Abbildung 1 deutlich zu erkennen, ist dafür maßgeblich die „Baby Boom“-Generation verantwortlich. In den 1950er und 1960er Jahren kommt es auf beiden Bundesgebieten, aufgrund von veränderten gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen nach dem zweiten Weltkrieg, zu einem Anstieg der Geburtenzahl und geschlossenen Heiraten.[11]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Geburtenentwicklung in Deutschland seit 1950 bis 2060
Quelle: Statistisches Bundesamt, 2009: Bevölkerung Deutschlands bis 2060 - 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Berlin, S.29.
Mitte der 1960er bis zum Anfang der 1970er Jahre ist ein deutlicher Geburtenrückgang in beiden Bundesgebieten zu verzeichnen (vgl. Abbildung 1). Nach Aussagen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) liegt der Hauptgrund im früheren Bundesgebiet vor allem im Wertewandel innerhalb der Gesellschaft, der Frauen eine veränderte Rolle zuwies. Selbstverständlich hat auf beiden Gebieten die Liberalisierung, Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und die Einführung von Mitteln zur Empfängnisverhütung ihr Übriges dazu beigetragen.[12]
Seitdem ist auf westdeutschem Gebiet ein konstant niedriges Niveau zu erkennen. Ende der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre steigt hingegen in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) Jahre nochmals - durch eine geburtenfördernde Familienpolitik - die Geburtenanzahl pro Frau. [13]
Kurz nach der deutschen Wiedervereinigung kommt es nach Abbildung 1 auf dem neuen Bundesgebiet zu einem Rekordtief an Geburten, das wohl hauptsächlich aus Existenzängsten durch Arbeitsplatzverlust resultiert. Seitdem ist auf diesem Gebiet zwar die Anzahl der Geburten pro Frau wieder gestiegen, dennoch kann das Gebur- tenniveau der „Baby Boom“-Generation nicht mehr erreicht werden.[14] In den darauf folgenden Jahren, bis in die heutige Zeit, bewegen sich altes und neues Bundesge- biet auf ein annähernd gleiches Niveau von 1,4 Kindern pro Frau. Die Hintergründe könnten in der veränderten Karriereorientierung der Frau im Beruf sowie den eher unsicheren Arbeitsmarktverhältnissen liegen. Hinzu kommt, dass die Zahl der Ver- storbenen in Deutschland seit den 1970er Jahren deutlich an Überschuss gewinnt (vgl. Abbildung 1).[15]
In Abbildung 2 auf der folgenden Seite ist zu erkennen, dass um 1980 nochmals der Saldo zwischen Geborenen und Gestorbenen ausgeglichen wird, aber dennoch kein positiver Überhang an Lebendgeburten zu verzeichnen ist.
Es gibt in der von dem BiB herausgegebenen Abbildung keinen Hinweis, ob für die Darstellung die Werte beider Bundesgebiete einfließen. Die im vorhergehenden Abschnitt beschriebenen Umstände zu dieser Zeit lassen jedoch vermuten, dass dieser Ausgleich durch den Geburtenanstieg in der DDR zustande kommt. Somit werden wahrscheinlich Erhebungen aus dem alten und neuen Bundesgebiet Grund- lage dieser Grafik sein.
Seit der Jahrtausendwende gipfelt der Geburtenrückgang in einer sich immer weiter öffnenden Schere zwischen Lebendgeborenen und Gestorbenen (vgl. Abbildung 2).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Lebendgeborene und Gestorbene in Deutschland von 1841 bis 2050
Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung; Statistisches Bundesamt, 2008: Bevölkerung - Daten, Fakten, Trends zum demografischen Wandel in Deutschland. Wiesbaden, S.10.
Diese damalige Entwicklung hätte allein einen Bevölkerungsrückgang bedeutet. Lediglich der positive Wanderungssaldo, der sich aus der Differenz zwischen Zuund Fortzügen aus Deutschland ergibt, kann für eine nahezu stabile Bevölkerungszahl verantwortlich gemacht werden. [16]
Zwischenzeitlich kann dieses Defizit nicht mehr durch den Wanderungssaldo ausgeglichen werden. Seit 2003 ist deshalb ein Rückgang der Bevölkerungszahl zu verzeichnen.[17] Leben Ende 2008 noch ca. 82 Millionen Einwohner in Deutschland, so wird sich im Jahr 2060 die Bevölkerungszahl zwischen 65 Millionen und 70 Millionen bewegen (vgl. Abbildung 3).[18]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Entwicklung der Bevölkerungszahl in Deutschland von 1950 bis 2060
Quelle: Statistisches Bundesamt, 2009: Bevölkerung Deutschlands bis 2060 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Berlin, S.12.1920
Zusätzlich protokolliert das Statistische Bundesamt in den letzten Jahrzehnten eine niedrige Sterblichkeitsrate, die vor allem mit dem medizinischen Fortschritt, den ver- besserten Arbeitsbedingungen sowie der besseren Wohnsituationen und Hygiene begründet wird.[21] Im Umkehrschluss bedeutet es aber auch, dass die Lebenserwar- tung der deutschen Bevölkerung steigt. Liegt diese 2006/2008 bei den Frauen noch bei 82,4 Jahre und 77,2 Jahre bei den Männern, so wird die Lebenserwartung bis 2060 auf 89,2 Jahre (Frauen) und 85,0 Jahren (Männer) ansteigen.[22]
Nimmt man nun alle in diesem Kapitel untersuchten Faktoren (Geburtenanzahl, Wanderungssaldo, Lebenserwartung, Zahl der Verstorbenen) zur Bestimmung der Bevölkerungsentwicklung zusammen, so ergibt sich eine schleichende Veränderung im Altersaufbau der deutschen Bevölkerung.
Die „Baby Boom“-Generation wird heutzutage hauptsächlich als Ursache für die starke Verschiebung der Altersstruktur der deutschen Bevölkerung benannt.[23] Einen großen Teil der Einwohnerzahl werden daher in 20 Jahren, die heute etwa Mitte 50-Jährigen dieser geburtenstarken Generation ausmachen.[24] Die Abbildung 4 unterstreicht diese Aussage. Liegt der Anteil der unter 20-Jährigen im Jahr 1960 noch bei 28 Prozent, so beläuft sich dieser im Jahr 2010 nur noch auf 18 Prozent. Schon im Jahr 2030 bewegt sich deren Rate nur noch bei 16 Prozent. Somit wird die Zahl der ab 65-Jährigen in der Bevölkerung weiter wachsen. Bis 2030 werden sie ein erheblicher Bestandteil der Altersstruktur sein.
Abbildung 4: Entwicklung der Altersstruktur der deutschen Bevölkerung von 1871 bis 2050
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, 2009: 35 Jahre bevölkerungswissenschaftliche Arbeit am BiB - Ein öffentlicher Tätigkeitsbericht. Wiesbaden, S.25.
Aus dieser Abbildung 4 ist leider nicht ersichtlich, welchen prozentualen Anteil die Altersgruppe der 20- bis unter 65-Jährigen einnimmt.
Dennoch geht die Autorin davon aus, dass sich dieser aus der Differenz der dargestellten Anteile vom Hundertstel ergibt. Demnach werden bis 2030 rund 53 Prozent der Einwohner zwischen 21- und 64-Jahre alt sein (vgl. Abbildung 4).
Deutschland wird immer älter. Im Hinblick auf die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter bringt dieser Wandel viele Herausforderungen für die Unternehmen mit sich. Als Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (Erwerbsbevölkerung) definiert Uwe Bran- denburg den Teil der Bevölkerung, der sich in der Altersgruppe zwischen 20 und 64 Jahren befindet.[25]
Besonders in der Abbildung 5 wird deutlich, dass die Verschiebung der Altersstruk- tur automatisch die Anhebung des Durchschnittsalters der Erwerbsbevölkerung nach sich ziehen wird. In der 2010 veröffentlichten Hochrechnung (12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung) wird das kontinuierliche Sinken der 20- bis unter 30-Jährigen Erwerbspersonen (von jetzt 20 Prozent auf 18 Prozent) bis 2060 vor- hergesagt. Dies ist durch den Geburtenrückgang der letzten Jahre begründbar. Die Abnahme des Arbeitskräfteangebots junger Erwerbspersonen -und somit des zu- künftigen Nachwuchses- liegt daher klar auf der Hand (vgl. Abbildung 5).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Prozentualer Anteil der Altersgruppen an der Erwerbsbevölkerung von 2008 bis 2060
Quelle: Eigene Darstellung nach: Statistisches Bundesamt, 2009: Bevölkerung Deutschlands bis 2060 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Berlin, S.17.
Negative Auswirkungen wird das besonders auf die Zahl der Hochschulabsolventen haben, so dass derzeitige Engpässe in der Besetzung hochqualifizierter Stellen in vereinzelten Branchen weiter wachsen.[26] Daher werden Unternehmen schon in den nächsten Jahren hart um junge Nachwuchskräfte am Arbeitsmarkt konkurrieren müssen, um auch weiterhin innovations- und wettbewerbsfähig zu bleiben. Hinzu kommt, dass Arbeitskräfte, durch die Verknappung des Angebots an jungen Nach- wuchskräften, auch teurer werden. Das stellt wiederum für das Unternehmen einen immensen Kostenfaktor dar.
Bereits im Jahr 2020 werden 41 Prozent aller Arbeitskräfte zwischen 50 und 64 Jahre alt sein und somit in den darauffolgenden Jahren aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Dieser Teil stellt die „Baby Boom“-Generation (1950 bis ca. 1965) dar, welche sich durch das gesetzliche Renteneintrittsalter von 65 Jahren bald in den Ruhestand begibt (vgl. Abbildung 1).
Zudem geht hervor, dass die Altersgruppen „30 bis unter 50 Jahre“ und „50 bis unter 65 Jahre“ die Erwerbsbevölkerung stark dominieren werden (vgl. Abbildung 5).
Die immer mehr an Bedeutung gewinnende mittlere (ab 30 bis unter 50 Jahre) und ältere (ab 50 bis unter 65 Jahre) Erwerbsbevölkerung, wird als Folge, das Älterwer- den des Arbeitskräfteangebots nach sich ziehen. Daraus resultierend wird das Durchschnittsalter der Belegschaften in nahezu allen Unternehmen ansteigen.[27]
Je nach Betrieb, dessen aktuelle Personalpolitik und Altersstruktur kann das Älter- werden der Mitarbeiter sehr unterschiedliche Ausmaße annehmen. Wünschenswert ist, laut dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, eine möglichst ausba- lancierte Altersstruktur der Mitarbeiter im Unternehmen. Das bedeutet, dass keine bestimmte Altersgruppe im Betrieb überproportional vorhanden ist. Damit soll den Alterslücken in der Mitarbeiterstruktur und der Notwendigkeit von „Massenrekrutie- rungen“ durch die schlagartige Verrentung mehrerer Angestellter entgegengewirkt werden. [28]
Nach Meinung von Experten ist aber diese Balance in der Alterszusammensetzung in den nächsten Jahren nicht mehr zu erreichen.[29]
Bereits heute sind in vielen deutschen Betrieben alterszentrierte Mitarbeiterstrukturen als Folge des demografischen Wandels vorhanden.[30] Der Gruppenanteil der Mitarbeiter, die also in den nächsten Jahren in Rente gehen werden, überwiegt somit in der Personalstruktur.
Der abrupte Verlust von Erfahrungswissen und dessen Transfer an die jüngere Generation ist somit unvermeidlich für diejenigen Unternehmen, die die „(...)Strategie des Nichtstuns oder des Aufsichzukommenlassens(...)“ fahren.[31] Zudem ist davon auszugehen, dass sich durch das Ausscheiden dieser Mitarbeiter Kundenverluste und damit Einnahmeverluste ergeben.
Weitere Gefahren liegen zudem - bei nicht Entgegenwirken - in der altersbedingten Erhöhung der Krankenstände und der daraus resultierenden Abschwächung der betrieblichen Produktivität. Da dieser Aspekt der Leitgedanke dieser wissenschaftlichen Arbeit ist, wird diese Thematik im Kapitel 3 eingehender untersucht.
Wie deutsche Unternehmen die Auswirkungen dieses „schleichenden“ Prozesses auf ihren eigenen Betrieb einschätzen, hat die im Jahr 2006 publizierte Studie „Ak- tuelle Haltung der Unternehmen, Erwerbspersonen, Berufseinsteiger zur demografi- schen Entwicklung in Deutschland“ hervorgebracht. Das damit beauftragte Medien- und Sozialforschungsunternehmen TNS Emnid befragt hierzu 1001 Unternehmen.[32] In der Abbildung 6 ist das Ergebnis auf die Frage, welche Folgen der Wandel auf das eigene Unternehmen hat, dargestellt. Hierbei fällt auf, dass die meisten Unter- nehmen davon ausgehen, dass dieser keine, bis geringe Auswirkungen (28%) ha- ben wird. Mehr wird der demografische Wandel mit dem Mangel an Fach- und Füh- rungskräften (23%) und dem fehlenden Nachwuchs (15%) in Verbindung gesetzt. Zwar sehen die deutschen Betriebe mit dem Älterwerden der Erwerbsbevölkerung auch, dass sich damit erwartungsgemäß die Altersstruktur der Mitarbeiter ändert (12%). Dennoch bilden die damit verbundenen, logischen Schlussfolgerungen - der Förderung älterer Arbeitnehmer/ flexible Arbeitszeitmodelle (9%) und höherer Kran- kenstand mit nur 4 % - das Schlusslicht in der Rangliste (vgl. Abbildung 6).
Kritisch muss jedoch bei der Umfrage angemerkt werden, dass die Altersstrukturen der beteiligten Unternehmen nicht evaluiert werden. Deshalb könnte es durchaus möglich sein, dass die Stichprobe aus Unternehmen besteht, die eher jugendzentrierte Strukturen aufweisen und daher altersbedingte Auswirkungen auf die Organisation in den nächsten Jahren keine Rolle spielen.
Abbildung 6: Umfrageergebnisse in Prozent zur Auswirkung des demografischen Wandels auf deutsche Unternehmen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Frauenhofer IAO; DIS AG, 2006: Studie „Aktuelle Haltung der Unternehmen, Erwerbspersonen, Berufseinsteiger zur demografischen Entwicklung in Deutschland“, o.O.
Eine zweite Möglichkeit für die ungenügende Nennung altersrelevanter Folgen könnte auch sein, dass eine Vielzahl der Unternehmen noch gar keine Altersstrukturanalyse ihrer Belegschaft durchgeführt hat. Sie können somit die Beschaffenheit des Personalbestands nicht kennen.
Eine Altersstrukturanalyse untersucht die altersgruppenspezifische Zusammensetzung der Mitarbeiter in einer Organisation, woraus später Erkenntnisse - vor allem über die Unternehmensdemografie und dem dazu gehörigen personalpolitischen Handlungsbedarf - abgeleitet werden können.[33]
Daher wäre es möglich, dass nachgelagerte betriebliche Risiken, die sich nicht direkt aus der demografischen Verschiebung der Altersstruktur ableiten lassen (z.B. höherer Krankenstand, Erfahrungen gehen verloren), von diesen Unternehmen noch gar nicht erkannt worden sind (vgl. Abbildung 6).
Die Ergebnisse sind bereits vier Jahre alt, und die Unternehmenseinschätzungen könnten sich aufgrund der breiten Aufklärungswelle in den letzten Jahren geändert haben.
Dennoch lässt sich den Betrieben zweifelsohne ein defizitäres Problembewusstsein in Bezug auf veraltende Belegschaften unterstellen. Der demografische Wandel stellt zweifelsohne keine Neuerscheinung dar. Wissenschaftliche Auseinanderset- zungen mit dieser Thematik existieren schon seit Jahrzehnten. [34] Hinzu kommt, dass noch heute in vielen Betrieben eine eher jugendzentrierte Per- sonalpolitik herrscht. Betriebliche/r Umstrukturierungen/Personalabbau werden im erheblichen Umfang über die Inanspruchnahme des Altersteilzeitgesetzes vollzo- gen. Ältere Arbeitnehmer gelten als unflexibel, lernunfähig sowie weniger leistungs- fähig. [35]
Dafür sprechen auch aktuelle Erkenntnisse der Studie „50Plus“ vom Adecco Institute. In dieser sticht hervor, dass sich ältere Arbeitnehmer vor allem in den Punkten Karriereentwicklungsmöglichkeiten und gesundheitliche Betreuung benachteiligt fühlen. Adecco begründet diese Tatsache ebenso mit der Aussage, dass diese Unternehmen eher den Ausritt von älteren Mitarbeitern aus dem Erwerbsleben vorbereiten, als weitere Investitionen in sie zu tätigen. [36]
Im Zuge des altersstrukturellen Wandels in der Erwerbsbevölkerung und der Ver- knappung des Angebots an Nachwuchskräften, werden es sich Unternehmen be- reits in den nächsten Jahren nicht mehr leisten können, auf ältere Arbeitnehmer in ihrem Betrieb zu verzichten. Um auch zukünftig wettbewerbs-, innovations- und be- schäftigungsfähig sein zu können, müssen deutsche Unternehmen prioritär eine Personalpolitik anwenden, die sich durch gezielte, altersgerechte Maßnahmen dar- auf ausrichtet, dass Beschäftigungspotenzial der Mitarbeiter ab 50 Jahren zu erhal- ten und optimal zu nutzen.
Im Laufe dieser Arbeit wird daher das „Betriebliche Eingliederungsmanagement“ nach §84 Abs.2 SGB IX als Instrument zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit prä- sentiert.
Vorher wird jedoch der Zusammenhang zwischen der betrieblichen alterszentrierten Personalstruktur und den hohen Krankenständen hergestellt.
Jährlich bringen hiesige gesetzliche Krankenversicherungen Berichterstattungen zur aktuellen, gesundheitlichen Lage sowie der Krankenstandsentwicklung der deutschen (erwerbstätigen) Bevölkerung hervor.
Hohe Krankenstände stellen in der deutschen Wirtschaft einen enormen Kostenfak- tor dar. Daher profitiert die deutsche Wirtschaft - gerade in Bezug auf die Hinter- gründe von Arbeitsunfähigkeitszeiten der Erwerbstätigen - von diesen Veröffentli- chungen.
Aus diesem Grund untersucht dieses Kapitel, inwieweit sich die Langzeitarbeitsun- fähigkeitszahlen der Erwerbstätigen im Laufe der letzten fünf Jahre entwickelt ha- ben. Zudem wird analysiert, welche Altersgruppen besonders betroffen sind und welche betrieblichen Faktoren sich auf das Langzeitarbeitsunfähigkeitsgeschehen nachhaltig auswirken. Je nach Krankenkasse und deren Anzahl an erwerbstätigen Versicherungsmitgliedern, verbunden mit deren Branchenzugehörigkeit und Sozial- status, können die statistischen Ergebnisse der gesetzlichen Versicherungen variie- ren.
Aus diesem Grund wird festgelegt, repräsentativ die Fehlzeitenreporte der AOK (Allgemeine Ortskrankenkasse) aus den Jahren 2006 bis 2010 zu verwenden. Die AOK ist die größte Krankenversicherung Deutschlands. Sie besitzt ca. 9,6 Millionen Mitglieder aus allen Branchen, die sich in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis befinden.[37]
Bevor jedoch das Langzeitarbeitsunfähigkeitsgeschehen genauer unter die Lupe genommen wird, erfolgen einige begriffliche Abgrenzungen.
Als Arbeitsunfähigkeit wird die krankheitsbedingte Verhinderung „(...)des Arbeit- nehmers zur Erfüllung seiner Arbeitsleistung(...)“ angesehen.[38] Die Dauer der Ar- beitsunfähigkeit wird dabei in Tage (AUT) und die Anzahl der Erkrankungsfälle pro Kalenderjahr in Arbeitsunfähigkeitsfälle (AUF) je 100 Versicherungsmitglieder ge- messen.[39]
Die in diesem Kapitel verwendeten, statistischen Erhebungen beruhen selbstverständlich auf (bei der AOK eingegangene) ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der erwerbstätigen Versicherten.
In der folgenden Abbildung 7 ist nun die Entwicklung der krankheitsbedingten Ar- beitsunfähigkeitsfälle/ und -tage von mehr als 42 Tagen veranschaulicht. Die rote Säule stellt den prozentualen Anteil der durch Langzeiterkrankungen verur- sachten Ausfallzeiten an den Gesamt-Arbeitsunfähigkeitstagen dar. Die blaue Säu- le zeigt hingegen den Anteil dieser Erkrankungsfälle an den Gesamt- Arbeitsunfähigkeitsfällen auf.
Besonders prägnant ist, dass der Anteil der Langzeiterkrankungen an den Gesamt- AUF seit 2005 relativ gering und konstant ausfällt. Das bedeutet am Beispiel von 2005, dass nur 4,3 von 100 gemeldeten Krankschreibungen auf das Konto von Langzeiterkrankungen gehen. Den Löwenanteil nehmen dahingehend über die Jah- re hinweg immer Erkrankungen mit einer Dauer von 8 bis 14 Tagen ein. Diese wer- den von Arbeitsunfähigkeitsfällen mit der Dauer von 4 bis 7 Tagen dicht verfolgt.[40]
Abbildung 7: Entwicklung Langzeitarbeitsunfähigkeitsfälle und -tage von 2005 bis 2009
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung nach: Badura, B. et al (Hrsg.), 2010: Fehlzeitenreport 2010 - Vielfalt managen: Gesundheit fördern - Potenziale nutzen. Berlin/ Heidelberg.S.279. ;
Badura, B. et al (Hrsg.), 2009: Fehlzeitenreport 2009 - Arbeit und Psyche: Belastungen reduzierenWohlbefinden fördern. Berlin/ Heidelberg.S.283. ;
Badura, B. et al (Hrsg.), 2008: Fehlzeitenreport 2008 - Betriebliches Gesundheitsmanagement: Kosten und Nutzen. Berlin/ Heidelberg.S.212. ;
Badura, B. et al (Hrsg.), 2007: Fehlzeitenreport 2007 - Arbeit , Geschlecht und Gesundheit - Ge- schlechteraspekte im betrieblichen Gesundheitsmanagement. Berlin/ Heidelberg.S.274. ; Badura, B. et al (Hrsg.), 2006: Fehlzeitenreport 2006 - Chronische Krankheiten - Betriebliche Strate- gien zur Gesundheitsförderung, Prävention und Wiedereingliederung. Berlin/ Heidelberg.S.212.
Zwar mögen die Erkrankungsfälle verhältnismäßig gering sein, dennoch spielen diese bei der Bewertung des Ausmaßes von Langzeiterkrankungen für Unterneh- men eine eher untergeordnete Rolle. Aus betriebswirtschaftlicher und volkswirt- schaftlicher Sicht ist es eher von Bedeutung, den tatsächlichen, zeitlichen Ausfall der Erwerbstätigen im Jahr, bewertet in Tagen, zu erfassen. Nur dadurch können der Krankenstand und die durch Langzeit-AU entstehenden Kosten quantitativ er- hoben werden.
Seit 2005 sind so Langzeiterkrankungen für ca. 39% aller Fehlzeiten verantwortlich. Folglich werden durch einen geringfügigen Anteil an Krankschreibungen immense Ausfallzeiten verursacht. Diese Ausfallzeiten unterliegen in den letzten Jahren nur geringen Schwankungen. Nennenswert ist ausschließlich der Rückgang der AUT von 2007 (39,2%) auf 2008 (38,7%) (vgl. Abbildung 7).
Dieses Ergebnis könnte darauf zurückzuführen sein, dass im Jahr 2004 das betrieb- liche Eingliederungsmanagement (BEM) im § 84 Abs.2 SGB IX gesetzlich verankert wurde. Dieses Gesetz nimmt Unternehmen in die Pflicht, langzeiterkrankte Erwerbs- tätige frühzeitig spezifische Programme zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit anzubieten.[41] Es wäre daher möglich, dass der leichte Rückgang aufgrund von er- folgreichen BEM-Umsetzungen zu erklären ist. Auf der anderen Seite ist es aber auch denkbar, dass die leichte Abschwächung durch Ausgliederung der Betroffenen aus dem Erwerbsleben zu beantworten ist. Als Beispiel könnte dort die Rente we- gen voller Erwerbsminderung genannt werden. Darauf haben Versicherte Anspruch, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit weniger als 3 Stun- den täglich, unter den üblichen Bedingungen am Arbeitsmarkt arbeiten können.[42] Die Mitglieder, die die volle Erwerbsminderungsrente beziehen, gelten wahrschein- lich nicht als erwerbstätig und fallen deshalb aus der Statistik der AOK. Deren Zah- len basieren ausschließlich auf erwerbstätige Mitglieder.
Da der Krankenstand über die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage im Jahr ermittelt wird, ist es nicht verwunderlich, dass Langzeiterkrankungen dessen Höhe maßgeblich beeinflussen. Je mehr Erwerbstätige also von Langzeiterkrankungen betroffen sind, desto höher sind auch die Ausfalltage und damit der Krankenstand.
Das Ausmaß der Fehlzeiten hängt (neben anderen Faktoren) entscheidend vom Alter ab.[43] So ist es sinnvoll zu überprüfen, welche Altersgruppen besonders stark von Langzeiterkrankungen betroffen sind, um dahingehend die Ursachen für den hohen Anteil dieser Ausfälle ausfindig zu machen. Bedauerlicherweise wird im „Fehlzeitenreport“ der AOK das Auftreten von Langzeitenerkrankungen in Abhän- gigkeit von den Altersgruppen nicht ausgewertet. Aus diesem Grund wird versucht, diese Erkenntnis über verfügbare, altersgruppenspezifische Erhebungen zu gewin- nen. Symptomatisch für Langzeitarbeitsunfähigkeitsstatistiken ist ein hoher Anteil an Ausfalltagen, der einem verhältnismäßig geringen Anteil an Erkrankungsfällen ge- genübersteht (vgl. Abbildung 7). Jene Altersgruppen, die somit diese Symptomatik stark aufweisen, könnten folglich von Langzeiterkrankungen im besonderen Maße betroffen sein. In der Abbildung 8 sind nun die Arbeitsunfähigkeitstage (Linien) und - fälle (Balken) nach Altersgruppen, für die Jahre 2005, 2007 und 2009 wiedergege- ben. Aus Motiven der Übersichtlichkeit wird darauf verzichtet, die dazwischen lie- genden Auswertungsjahre mit aufzuzeigen. Um an der bisherigen Methodik dieser Arbeit festzuhalten, wird die altersgruppenspezifische Unterteilung des Statistischen Bundesamtes gewählt. Dazu werden die Ausgangsdaten auf die entsprechende Altersgruppe summiert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 8: Arbeitsunfähigkeitstage und -fälle nach Altersgruppen für 2005, 2007, 2009
Quelle: Eigene Darstellung und Berechnung nach: Badura, B. et al (Hrsg.), 2010: Fehlzeitenreport 2010 - Vielfalt managen. Gesundheit fördern - Potenziale nutzen. Berlin/ Heidelberg.S.283; Badura, B. et al (Hrsg.), 2008: Fehlzeitenreport 2008 - Betriebliches Gesundheitsmanagement: Kosten und Nutzen. Berlin/ Heidelberg.S.218;
Badura, B. et al (Hrsg.), 2006: Fehlzeitenreport 2006 - Chronische Krankheiten - Betriebliche Strategien zur Gesundheitsförderung, Prävention und Wiedereingliederung. Berlin/ Heidelberg.S.218.
In Bezug auf die Gruppe der 20- bis unter 30-jährigen AOK-Mitglieder (blau) lässt sich feststellen, dass diese zwar jährlich den geringsten Anteil von Erkrankungsfäl- len (zwischen 329 und 373,5 AU-Fälle) an allen Altersgruppen haben, aber zugleich auch die niedrigsten Werte an Ausfalltagen (6 bis 7 AU-Tage) besitzen (vgl. Abbil- dung 8).
Markant an dieser Darstellung ist, dass die durchschnittliche, jährliche Ausfallzeit scheinbar mit dem Alter zunimmt. Liegt die Arbeitsunfähigkeitsdauer in der Gruppe der 30- bis unter 50-Jährigen (rote Linie) noch bei ca. 10 bis 11 Tagen, so steigt diese bei älteren Arbeitnehmern ab 50 Jahren (grüne Linie) abrupt auf ca. 18 bis 19 Tage an. Zugleich verursachen letztere aber auch weniger Krankmeldungen. So liegt die Anzahl der AU-Fälle bei den 50- bis unter 64-Jährigen fast immer um hundert unter denen, der mittleren Altersgruppe (vgl. Abbildung 8).
Die besonders von Langzeiterkrankungen betroffene Altersstufe soll, laut eingangs aufgestelltem Kriterium, das Symptom weniger AU-Fälle, in Verbindung mit einer hohen Ausfalldauer aufweisen.
Die Betroffenheit von jungen Erwerbstätigen könnte somit weitestgehend ausge- schlossen werden, da die durchschnittliche Fehlzeit am geringsten ausfällt. Schwieriger wird die Bewertung allerdings bei der mittleren Altersgruppe. Aufgrund der für diese Arbeit auferlegten Methodenstetigkeit, fallen in die mittlere Stufe (30- bis unter 50) 19 verschiedene Jahrgänge, weshalb eine individuelle Alters- differenzierung nicht erfolgen kann. Die Problematik besteht dabei, dass 45-Jährige genau dieselben Fehlzeitenmerkmale aufweisen könnten wie die Altersgruppe der älteren Arbeitnehmer. Deren hohe Anzahl an Fehltagen könnte somit durch die möglicherweise niedrigen, der Anfang 30-Jährigen kompensiert werden. Dieser Verdacht wird dahingehend bestätigt, dass in den ursprünglichen Statistiken der AOK-Reporte die Fehlzeiten ab einem Alter von 45 Jahren sprunghaft wachsen.[44] Ältere Arbeitnehmer verursachen 3-mal so viele Arbeitsunfähigkeitszeiten wie die 20- bis unter 30-Jährigen. Zugleich haben sie den zweitniedrigsten Wert bei der Anzahl der Krankmeldungen.
Insofern ist hier das Charakteristikum der Langzeiterkrankungen am stärksten aus- geprägt. Daher wird davon ausgegangen, dass die Gruppe der 50- bis unter 64- Jährigen ausschlaggebend am Langzeitarbeitsunfähigkeitsgeschehen beteiligt ist. Statistische Auswertungen der DAK (Deutsche Angestellten Krankenkasse) unter- mauern zusätzlich diese Erkenntnis. Beispielsweise sind dort im Jahr 2009 die älte- ren, erwerbstätigen Mitglieder an über die Hälfte aller Langzeiterkrankungen betei- ligt. [45]
In internationalen Studien besteht Einigkeit darin, dass dieser geschlechtsunabhängige Alterseffekt besteht.[46]
Da bereits 2020 rund 41% der erwerbstätigen Bevölkerung aus älteren Arbeitnehmern besteht (vgl. Abbildung 5), könnte das Risiko wachsen, dass auf Unternehmensebene die Anzahl von Langzeiterkrankungen steigt. Die daraus entstehenden überproportionalen Fehlzeiten resultieren in einem erheblichen Wachstum des betrieblichen Krankenstandes.
Im Zuge der im letzten Kapitel gewonnenen Erkenntnisse wirft sich die Frage auf, warum gerade ältere Arbeitnehmer von Langzeitarbeitsunfähigkeit besonders stark betroffen sind.
Langzeiterkrankungen treten laut einer Studie mit besonderer Häufung infolge von Erkrankungen des Muskel-Skelettsystems, des Kreislaufs, der Psyche und von Verletzungen/Vergiftungen auf.[47]
Deshalb erscheint es als sinnvoll, die Krankheitsursachen älterer Erwerbstätige und deren Hintergründe zu untersuchen.
Wie auch schon in der altersgruppenbezogenen Evaluierung der Langzeiterkrankungen, wird es von der AOK versäumt, die Krankheitsursachen von Langzeit-AU nach Altersgruppen auszuwerten. Dahingehend muss erneut auf Erhebungen zurückgegriffen werden, die ausschließlich die altersabhängigen Ursachen des Gesamt-Krankenstands ergründen.
In der Abbildung 9 ist nun die Verteilung der Krankheitsursachen von älteren Arbeit- nehmern dargestellt. Aus Übersichtlichkeitsgründen wird hier der Mittelwert aller AOK-Erhebungen aus den Jahren 2005, 2007 und 2009 herangezogen. Demnach werden 40% aller Fehlzeiten von Erkrankungen im Muskel-Skelett-System verur- sacht. Herz-Kreislauf Erkrankungen (16%) und Verletzungen sowie Erkrankungen der Atemwege (jeweils mit 13%) sind ebenfalls im erhöhten Maße für Ausfälle ver- antwortlich. Schlusslicht bilden die Krankheitsarten Psyche (11%) und Verdauung mit 7% (vgl. Abbildung 9).
Auch hier können wieder eindeutige Parallelen zwischen den Krankheitsursachen von älteren Erwerbstätigen und denen von Langzeiterkrankten gezogen werden. Es gibt dahingehend Übereinstimmungen in der Erkrankungshäufigkeit des MuskelSkelett-Systems, des Herz-Kreislaufs und der Verletzungen.
Allesamt symbolisieren letztere - im weitesten Sinne physiologische - Ursachen, die zu Leistungseinschränkungen und damit zur Arbeitsunfähigkeit führen.
[...]
[1] Schröder, H., 2010: Firmen sollen die Älteren schätzen lernen. Leer Logabirum. http://www.oz- online.de/?id=542&did=33093 (09.12.2010)
[2] vgl. Prezewowsky, M., 2007: Demografischer Wandel und Personalmanagement. Wiesbaden, S.36.
[3] vgl. vgl. Adloch, U., et. al , Landschaftsverband Westfalen-Lippe - Integrationsamt (Hrsg.), Landschaftsverband Rheinland-Integrationsamt (Hrsg.) , 2005: Handlungsempfehlungen zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement, Köln Münster. S.5.
[4] vgl. §84 Abs. 2 SBG IX
[5] vgl. o.A., Gabler Verlag (Hrsg.), 2011: Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Erwerbstätige.o.O. http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/2270/erwerbstaetige-v11.html (04.02.2011)
[6] vgl. Badura, B. et al (Hrsg.), 2010: Fehlzeitenreport 2010- Vielfalt managen. Gesundheit fördernPotenziale nutzen. Berlin/Heidelberg.S.274.
[7] vgl. Technologieberatungsstelle beim DGB NRW e.V., 2010: Demografischer Wandel in Deutschland - eine Herausforderung für Unternehmen und Beschäftigte. Dortmund. http://www.demobib.de/bib/index,id,1698.html, (09.12.2010)
[8] vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, 2009: 35 Jahre bevölkerungswissenschaftliche Arbeit am BiB - Ein öffentlicher Tätigkeitsbericht. Wiesbaden, S.22.
[9] vgl. Statistisches Bundesamt, 2009: Bevölkerung Deutschlands bis 2060 - 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Berlin, S.10f..
[10] vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung; Buck, Hartmut et. al, 2002 : Demografischer Wandel in der Arbeitswelt - Chancen für eine innovative Arbeitsgestaltung. Stuttgart, S.15.
[11] vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, 2009: 35 Jahre bevölkerungswissenschaftliche Arbeit am BiB - Ein öffentlicher Tätigkeitsbericht. Wiesbaden, S.22.
[12] vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung , 2009: 35 Jahre bevölkerungswissenschaftliche Arbeit am BiB - Ein öffentlicher Tätigkeitsbericht. Wiesbaden, S.24.
[13] vgl. ebenda
[14] vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, 2009: 35 Jahre bevölkerungswissenschaftliche Arbeit am BiB - Ein öffentlicher Tätigkeitsbericht. Wiesbaden, S.24.
[15] vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung; Buck, Hartmut et. al, 2002 : Demografischer Wandel in der Arbeitswelt - Chancen für eine innovative Arbeitsgestaltung. Stuttgart, S.16.
[16] vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung; Statistisches Bundesamt , 2008: Bevölkerung - Daten, Fakten, Trends zum demografischen Wandel in Deutschland. Wiesbaden, S.16.
[17] vgl. ebenda
[18] vgl. Statistisches Bundesamt , 2009: Bevölkerung Deutschlands bis 2060 - 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Berlin, S.17.
[19] „mittlere“ Bevölkerung Obergrenze: bei jährlicher Zuwanderung von 200.000 Personen und annähernder Konstanz der Geburtenziffer von 1,4 Kindern je Frau
[20] „mittlere“ Bevölkerung Untergrenze: bei jährlicher Zuwanderung von 100.000 Personen und annähernder Konstanz der Geburtenziffer von 1,4 Kindern je Frau
[21] vgl. Statistisches Bundesamt , 2009: Bevölkerung Deutschlands bis 2060 - 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Berlin, S.29.
[22] vgl. ebenda, S.31
[23] vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, 2009: 35 Jahre bevölkerungswissenschaftliche Arbeit am BiB - Ein öffentlicher Tätigkeitsbericht. Wiesbaden, S.25.
[24] vgl. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung; Statistisches Bundesamt , 2008: Bevölkerung - Daten, Fakten, Trends zum demografischen Wandel in Deutschland. Wiesbaden, S.17.
[25] vgl. Brandenburg, U.; Domschke, J. ,2007: Die Zukunft sieht alt aus - Herausforderungen des demografischen Wandels für das Personalmanagement. Wiesbaden, S.26.
[26] vgl. Brandenburg, U., Domschke, J. ,2007: Die Zukunft sieht alt aus - Herausforderungen des demografischen Wandels für das Personalmanagement. Wiesbaden, S. 27.
[27] vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung; Buck, Hartmut et. al, 2002: Demografischer Wandel in der Arbeitswelt - Chancen für eine innovative Arbeitsgestaltung. Stuttgart, S.54.
[28] vgl. ebenda
[29] vgl. Flato, E.; Reinbold-Scheible, S., 2008: Zukunftsweisendes Personalmanagement - Herausforderung demografischer Wandel. München, S.135.
[30] vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung; Buck, Hartmut et. al, 2002: Demografischer Wandel in der Arbeitswelt - Chancen für eine innovative Arbeitsgestaltung. Stuttgart, S.55.
[31] vgl. ebenda, S.54.
[32] vgl. Frauenhofer IAO; DIS AG, 2006: Studie „Aktuelle Haltung der Unternehmen, Erwerbspersonen, Berufseinsteiger zur demografischen Entwicklung in Deutschland“, o.O.
[33] vgl. Langhoff, T. , 2009: Den demografischen Wandel im Unternehmen erfolgreich gestalten - Eine Zwischenbilanz aus arbeitswissenschaftlicher Sicht. Heidelberg, S.57.
[34] vgl. Juch, A., 2009: Erwerbstätigkeit im Alter - Personalwirtschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten angesichts älterer Belegschaften. Frankfurt a. Main, S.33.
[35] vgl. Brandenburg, U.; Domschke, J. ,2007: Die Zukunft sieht alt aus - Herausforderungen des demografischen Wandels für das Personalmanagement. Wiesbaden, S. 79.
[36] vgl. o.A.; Adecco Institute, 2008: Studie - Ältere Arbeitnehmer fühlen sich vernachlässigt. Kronberg. http://www.accenture.com/Countries/Germany/About_Accenture/Newsroom/News_Releases/Altere- Arbeitnehmer-Studie.htm (15.01.2011)
[37] vgl. Badura, B. et al (Hrsg.), 2010: Fehlzeitenreport 2010 - Vielfalt managen: Gesundheit fördernPotenziale nutzen. Berlin/Heidelberg.S.279.
[38] o.A., o.J.: Arbeitsunfähigkeit. http://www.tarifunion.dbb.de/lexikon/lexikon_a.htm (09.01.2011)
[39] vgl. Badura, B. et al (Hrsg.), 2010: Fehlzeitenreport 2010 - Vielfalt managen. Gesundheit fördernPotenziale nutzen. Berlin/ Heidelberg.S.274.
[40] vgl. Badura, B. et al (Hrsg.), 2010: Fehlzeitenreport 2010 - Vielfalt managen: Gesundheit fördernPotenziale nutzen. Berlin Heidelberg.S.279; Badura, B. et al (Hrsg.), 2009: Fehlzeitenreport 2009 - Arbeit und Psyche: Belastungen reduzierenWohlbefinden fördern. Berlin Heidelberg.S.283; Badura, B. et al (Hrsg.), 2008: Fehlzeitenreport 2008 - Betriebliches Gesundheitsmanagement: Kosten und Nutzen. Berlin Heidelberg.S.212; Badura, B. et al (Hrsg.), 2007: Fehlzeitenreport 2007 - Arbeit , Geschlecht und Gesundheit- Geschlechteraspekte im betrieblichen Gesundheitsmanagement. Berlin Heidelberg.S.274; Badura, B. et al (Hrsg.), 2006: Fehlzeitenreport 2006 - Chronische Krankheiten- Betriebliche Strategien zur Gesundheitsförderung, Prävention und Wiedereingliederung. Berlin Heidelberg.S.212.
[41] vgl. § 84 Abs. 2 SGB IX
[42] vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2009 : Renten wegen verminderter Erwerbsfähig- keit.Berlin.http://www.bmas.de/portal/36862/2009__09__01__Erwerbsminderungsrente.html (06.02.2011)
[43] vgl. Badura, B. et al (Hrsg.), 2006: Fehlzeitenreport 2006- Chronische Krankheiten- Betriebliche Strategien zur Gesundheitsförderung, Prävention und Wiedereingliederung. Berlin/ Heidelberg.S.212 ff.
[44] vgl. Badura, B. et al (Hrsg.), 2010: Fehlzeitenreport 2010 - Vielfalt managen: Gesundheit fördernPotenziale nutzen. Berlin/ Heidelberg.S.283. ; Badura, B. et al (Hrsg.), 2008: Fehlzeitenreport 2008 - Betriebliches Gesundheitsmanagement: Kosten und Nutzen. Berlin/ Heidelberg.S.218. ; Badura, B. et al (Hrsg.), 2006: Fehlzeitenreport 2006 - Chronische Krankheiten- Betriebliche Strategien zur Gesundheitsförderung, Prävention und Wiedereingliederung. Berlin/ Heidelberg.S.218.
[45] vgl. o.A.; IGES Institut GmbH; DAK , 2010: DAK Gesundheitsreport 2010. http://www.presse.dak.de/ps.nsf/Show/03AF73C39B7227B0C12576BF004C8490/$File/DAK_Gesundh eitsreport_2010_2402.pdf , S.25. (15.01.2011); IGES Institut GmbH, DAK , 2008: DAK Gesundheitsreport 2008. http://www.dak.de/content/filesopen/Gesundheitsreport_2008.pdf, S.25. (15.01.2011); IGES Institut GmbH, DAK , 2006: DAK Gesundheitsreport 2006. http://www.dak.de/content/filesopen/Gesundheitsreport_2006.pdf, S.26. (15.01.2011)
[46] vgl. Bödeker, W.; Zelen, K: Frühindikatoren für Langzeitarbeitsunfähigkeit - Entwicklung eines Vorhersageinstruments für die betriebliche Praxis. In: Badura, B. et al (Hrsg.), 2006: Fehlzeitenreport 2006- Chronische Krankheiten - Betriebliche Strategien zur Gesundheitsförderung, Prävention und Wiedereingliederung. Berlin/ Heidelberg.S.192.
[47] vgl. Bödeker, W.; Zelen, K: Frühindikatoren für Langzeitarbeitsunfähigkeit - Entwicklung eines Vor- hersageinstruments für die betriebliche Praxis. In: Badura, B. et al (Hrsg.), 2006: Fehlzeitenreport 2006 - Chronische Krankheiten - Betriebliche Strategien zur Gesundheitsförderung, Prävention und Wiedereingliederung. Berlin/ Heidelberg.S.18.
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