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Bachelorarbeit, 2011
55 Seiten
Tabellenverzeichnis
Symbolverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Normalarbeitsverhältnis, atypische Beschäftigung und der Prekaritätsbegriff
2.1 Formen und Ausmaß atypischer Beschäftigungsverhältnisse
2.2 Der Prekaritätsbegriff und seine Bedeutung für die Arbeitswelt
3 Empirische Analysen
3.1 Stand der Forschung und Kategorisierung der ausgewählten Studien
3.2 Studie 1: Empirische Analyse der Prekaritätsrisiken von Zeitarbeitskräften
3.2.1 Datengrundlage und statistische Verfahren
3.2.2 Empirische Ergebnisse
3.3 Studie 2: Empirische Analyse über die Prekaritätsrisiken der Kernformen atypischer Beschäftigung
3.3.1 Datengrundlage und statistische Verfahren
3.3.2 Empirische Ergebnisse
3.4 Studie 3: Empirische Analyse über die sozioökonomischen Risiken von befristeter Beschäftigung, Zeitarbeit und Teilzeitarbeit
3.4.1 Datengrundlage und statistische Verfahren
3.4.2 Empirische Ergebnisse
3.5 Studie 4: Empirische Analyse zur Entlohnung befristeter Beschäftigungsverhältnisse
3.5.1 Datengrundlage und statistische Verfahren
3.5.2 Empirische Ergebnisse
4 Kritischer Vergleich der ausgewählten Studien
5 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
Tabelle 1: Anzahl und Anteile Erwerbstätiger in verschiedenen Beschäftigungsformen in den Jahren 1998 und 2008
Tabelle 2: Anteile Erwerbstätiger in verschiedenen Beschäftigungsformen nach soziodemografischen Merkmalen und Wirtschaftszweigen
Tabelle 3: Ergebnisübersicht des Propensity Score Matching
Tabelle 4: Bruttostundenlohn und Niedriglohnschwelle
Tabelle 5: Logarithmierter Bruttostundenlohn
Tabelle 6: Beschäftigungsstabilität
Tabelle 7: Beschäftigungsfähigkeit
Tabelle 8: Tatsächliche und eingeschätzte Risiken atypisch beschäftigter Männer
Tabelle 9: Tatsächliche und eingeschätzte Risiken atypisch beschäftigter Frauen
Tabelle 10: Einkommenseffekte befristet beschäftigter Männer
Tabelle 11: Einkommenseffekte befristet beschäftigter Frauen
Tabelle 12: Probit-Modelle
Tabelle 13: Deskriptive Statistiken und Balancing der einzelnen Variablen (Befragung 2006)
Tabelle 14: Deskriptive Statistiken und Balancing der einzelnen Variablen (Befragung 2007)
Tabelle 15: Erklärungsgehalt der Probit-Schätzungen vor und nach dem Matching
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Atypische Beschäftigungsverhältnisse gewinnen auf dem deutschen Arbeitsmarkt an Bedeu- tung. Im Gegensatz zum typischen unbefristeten Vollzeitbeschäftigungsverhältnis kennzeich- nen sich diese Erwerbsformen im Kern durch eine erhöhte Flexibilität des Arbeitsverhältnis- ses aus. Auf der Arbeitgeberseite bieten diese Beschäftigungsformen vielerlei Möglichkeiten. Einerseits können so beispielsweise die Arbeitskosten, wie die Lohnzusatzkosten, durch die Einstellung von geringfügig Beschäftigten gesenkt werden.[1] Andererseits bietet z.B. die zeit- liche Befristung eines Arbeitsverhältnisses die Möglichkeit, die Produktion in konjunkturel- len Boomphasen kurzfristig zu erhöhen, ohne den Arbeitnehmer nach dieser Phase weiter zu beschäftigen. Auf der Arbeitnehmerseite bietet diese erhöhte Flexibilität eine bessere Anpas- sung an das private und soziale Umfeld. Allerdings können atypische Beschäftigungsverhält- nisse für die Arbeitnehmer auch Risiken beinhalten, wie eine schlechtere Einkommenslage oder ein höheres Arbeitslosigkeitsrisiko.
Der wissenschaftliche Diskurs über atypische Beschäftigungsformen fußt dabei auf diesen möglichen Risiken. Im Zentrum der Diskussion steht dabei die Frage, inwiefern atypische Beschäftigungsverhältnisse als prekär anzusehen sind.
In der folgenden Darstellung soll diese Frage anhand eines Überblicks an empirischen Studien zur Überprüfung des Prekaritätsrisikos von atypischen Erwerbsformen erläutert und geklärt werden. Dabei wird unter Gliederungspunkt 2.1 auf die Formen und das Ausmaß atypischer Beschäftigungsverhältnisse auf dem deutschen Arbeitsmarkt eingegangen. Unter Gliederungspunkt 2.2 wird der Prekaritätsbegriff vorgestellt. Die empirischen Analysen zur Beziehung zwischen Prekarität und atypischer Beschäftigung werden unter Gliederungspunkt 3 betrachtet. Ein Vergleich der Studien und deren Ergebnisse erfolgt unter Gliederungspunkt 4. Das Fazit unter Gliederungspunkt 5 rundet die Darstellung ab.
In der Literatur bildet die negative Abgrenzung vom sogenannten Normalarbeitsverhältnis üblicherweise die definitorische Basis atypischer Beschäftigungsverhältnisse.[2] Demzufolge kennzeichnen sich atypische Beschäftigungsverhältnisse dadurch aus, dass sie von einem oder mehreren zentralen Merkmal(en) des Normalarbeitsverhältnisses abweichen.[3]
Diese zentralen Eigenschaften lassen sich hierbei folgendermaßen zusammenfassen: Erstens lässt sich das Normalarbeitsverhältnis dadurch charakterisieren, dass es in Voll- oder Teil- zeit[4] und vertraglich unbefristet ausgeübt wird. Zweitens binden Normalarbeitsverhältnisse die Arbeitnehmer in die sozialen Sicherungssysteme (wie z.B. die Renten- oder Arbeitslo- senversicherung) ein.[5] Drittens besteht bei jedem Normalarbeitsverhältnis eine Weisungsge- bundenheit des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber, bei gleichzeitiger Identität von Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis.[6] Im Folgenden soll nun zum einen auf die Formen und das Ausmaß atypischer Beschäftigungsverhältnisse eingegangen und zum anderen der Prekari- tätsbegriff näher beleuchtet werden.
Auf dem deutschen Arbeitsmarkt haben atypische Beschäftigungsverhältnisse in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Dabei sind die Merkmalsausprägungen, die Be- rührungspunkte zwischen und die Verteilung atypischer Beschäftigungsverhältnisse auf die einzelnen Wirtschaftszweige vielseitig und komplex. Um das Ausmaß dieser Beschäftigungs- formen mengenmäßig zu quantifizieren, muss zunächst einmal dargestellt werden, welche Kernformen sich in letzter Zeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt herausgebildet haben. Zu diesen Kernformen zählen die[7]
- Teilzeitbeschäftigung mit weniger als 21 Wochenarbeitsstunden
- Geringfügige Beschäftigung
- Befristete Beschäftigung
- Zeitarbeit.[8]
Teilweise wird auch die Beschäftigungsform der Selbstständigkeit (mit ihren Ausprägungen der Selbständigkeit mit bzw. ohne Beschäftigten, sogenannte Solo-Selbstständige) unter den Begriff des atypischen Beschäftigungsverhältnisses subsumiert.[9] Jedoch gestaltet sich hier eine genaue Abgrenzung vom Normalarbeitsverhältnis als schwierig, da hier, anders als bei den eben erwähnten Kernformen, kein Arbeitsvertrag existiert.[10] [11]
Zu erwähnen ist noch, dass diese Kernformen nicht immer isoliert voneinander auftreten, sondern vielmehr auch Überschneidungen aufweisen können.[12]
So kann z.B. eine Person, die in einem Zeitarbeitsverhältnis erwerbstätig ist, gleichzeitig auch geringfügig beschäftigt sein. Ausgehend von den Daten des Mikrozensus[13] hat das Sta- tistische Bundesamt im Jahr 2009 eine mengenmäßige Quantifizierung der verschiedenen Erwerbsformen auf dem deutschen Arbeitsmarkt für die Jahre 1998 und 2008 vorgenommen. Die Ergebnisse dieser Analyse beziehen sich auf die sogenannten Kernerwerbstätigen. Zu dieser Gruppe zählen Erwerbstätige im Alter von 15 - 64 Jahren, die sich nicht in Bildung oder Ausbildung befinden.[14]
Tabelle 1: Anzahl und Anteile Erwerbstätiger in verschiedenen Beschäftigungsformen in den Jahren 1998 und 2008 [1])
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: In Anlehnung an Statistisches Bundesamt (2009), S. 8
Tabelle 1 zeigt, dass sich im Jahr 2008 von 34,7 Millionen Erwerbstätigen 7,7 Millionen Personen in einem atypischen Beschäftigungsverhältnis befanden, was einem Anteil von rund 22% entspricht. Dabei stellten die Teilzeitbeschäftigten die mengenmäßig größte Untergruppe mit einem Anteil von rund 14% dar.
Befristet und geringfügig Beschäftigte waren mit jeweils 7,9% und 7,4% vertreten. Zeitar- beitnehmer stellten den quantitativ geringsten Anteil mit rund 1,8% dar. Rund 66% der Er- werbstätigen arbeiteten 2008 in einem Normalarbeitsverhältnis, womit diese Gruppe den größten Anteil an allen ausgewerteten Beschäftigungsformen hatte. Vergleicht man diesen Wert jedoch mit dem Wert aus 1998, so wird deutlich, dass der Anteil der Normalbeschäftig- ten um rund 6,5 Prozentpunkte gesunken ist. Demgegenüber erfuhr jede der atypischen Be- schäftigungsformen, ausgenommen der Zeitarbeit die erst ab 2006 im Mikrozensus erfasst wird[15], einen prozentualen Anstieg. Gemessen am Ausmaß der anderen atypischen Beschäf- tigungsformen erscheint der Anteil an Zeitarbeitern von 1,8% gering. Betrachtet man aller- dings die Entwicklung dieses Segments über den Zeitverlauf, so zeigt sich die Zeitarbeit in einem anderen Licht: Auf Basis der Arbeitnehmerüberlassungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit[16] ermittelte das Statistische Bundesamt für den Zeitraum zwischen 1997 und 2007 ei- ne Zuwachsrate von 235% für die Gruppe der Zeitarbeiter.[17] Dieser starke Anstieg lässt sich vor allem auf die Deregulierung der Zeitarbeit durch die Hartz-Reformen im Jahr 2004 zu- rückführen.[18]
Eine Aufgliederung der Ergebnisse nach soziodemografischen Merkmalen und Wirtschaftszweigen ist in Tabelle 2 gegeben.
Dabei zeigt eine Differenzierung nach dem Geschlecht, dass Frauen in 2008 mit einem Anteil von 34,4% deutlich häufiger atypisch beschäftigt waren als Männer mit einem Anteil von 12%. Der größte Teil atypisch beschäftigter Frauen arbeitete mit einem Anteil von 26,8% in einer Teilzeitbeschäftigung, wohingegen unter den Männern die Gruppe der befristet Beschäftigten den größten Anteil mit 7,2% darstellte.
Eine Differenzierung der Erwerbsformen nach verschiedenen Altersgruppen für 2008 zeigt, dass sich die Gruppe der 15-25-Jährigen am häufigsten in einem atypischen Beschäftigungsverhältnis befand (37,3%), wobei hier befristete Beschäftigungsformen den größten Anteil mit 26% stellten. Mit zunehmendem Alter nehmen die Anteile für Normalarbeitsverhältnisse und atypische Beschäftigungsformen zu bzw. ab.
Zudem sind auch hier Teilzeitbeschäftigungsformen in fast allen Altersgruppen, mit Ausnahme der Gruppe der 15-25-Jährigen und der Gruppe der 25-35-Jährigen, und unter allen atypischen Beschäftigungsformen am häufigsten.
Eine Unterscheidung der Erwerbsformen zwischen Ost- und Westdeutschland macht deutlich, dass es hier keine größeren Differenzen in der Struktur der Erwerbsformen gab.
Tabelle 2: Anteile Erwerbstätiger in verschiedenen Beschäftigungsformen nach soziodemografischen Merkmalen und Wirtschaftszweigen 2008*)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Statistisches Bundesamt (2009), S. 12
Die jeweiligen Anteile für Normalarbeitsverhältnisse (68,2% in Ostdeutschland und 65,5% in Westdeutschland) und atypische Beschäftigungsverhältnisse (19,8% in Ostdeutschland und 22,8% in Westdeutschland) verdeutlichen dies.
Unter den atypischen Beschäftigungsformen stellte bei dieser Unterscheidung die Teilzeitbe- schäftigung den größten Anteil (15,4%) in Westdeutschland dar. Dagegen waren in Ost- deutschland befristete Beschäftigungsverhältnisse mit einem Anteil von 10,5% am häufigsten vertreten.
Vergleicht man die Ergebnisse hinsichtlich des Ausbildungsniveaus, so wird deutlich, dass Personen ohne eine anerkannte Berufsausbildung am häufigsten (35,9%) in atypischen Be- schäftigungsformen arbeiteten. Mit zunehmendem Ausbildungsniveau sinkt der Anteil atypi- scher Beschäftigungsformen, wobei die Anteile für Normalbeschäftigungsverhältnisse zu- nehmen.
Eine Klassifikation der verschiedenen Erwerbsformen nach unterschiedlichen Wirtschaftszweigen zeigt, dass der Anteil atypischer Beschäftigungsformen im Sektor der Privaten Haushalte mit rund 76% in 2008 am größten war. In den Bereichen des Gastgewerbes (33,8%), des Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesens (31,4%), und im Erziehungs- und Unterrichtswesen (29,1%) waren die Anteile atypischer Beschäftigungsformen ebenfalls überdurchschnittlich hoch. Dabei stellte die Teilzeitbeschäftigung in fast allen klassifizierten Wirtschaftszweigen, mit Ausnahme der Energie- und Wasserversorgung und der exterritorialen Organisationen und Körperschaften, den jeweils größten Anteil dar.
Im Allgemeinen kann man eine Erwerbsform dann als prekär bezeichnen, wenn die Beschäf- tigten durch ihre Erwerbstätigkeit verstärkt sozialen Risiken, wie Einkommensarmut oder mangelhafter Ansprüche aus den sozialen Sicherungs- und Schutzsystemen, ausgesetzt sind. Eine eindeutige Definition des Prekaritätsbegriffs erweist sich aber als schwierig.[19] Vielmehr kann er, in Abhängigkeit von der Betrachtungs- und analytischen Herangehensweise, mehre- re Dimensionen umfassen. Diese Dimensionen erstrecken sich dabei auf Kriterien, die von Merkmalen der Erwerbstätigkeit, wie Einkommens-, soziales Schutz- und soziales Integrati- onsniveau, bis hin zu subjektiven Kriterien, wie Statussicherheit, Sinnverlust oder Anerken- nungs- und Planungsdefiziten, reichen.[20] Ein weiterer Aspekt des Prekaritätsbegriffs äußert sich darin, dass Prekarität häufig mit atypischer Beschäftigung gleichgesetzt wird.[21] [22] Doch wie gestaltet sich nun der Prekaritätsbegriff und wie sieht seine Beziehung zu atypischen Be- schäftigungsverhältnissen aus? Was Letzteres betrifft, erscheint eine Gleichsetzung von Pre- karität und atypischer Beschäftigung als zu allgemein und undifferenziert.
Vielmehr hängt das Verhältnis von Prekarität und atypischer Beschäftigung vom Haushalts- kontext der Individuen und von der Einbindung in die sozialen Sicherungsnetze ab.[23] Was den Haushaltskontext betrifft, so befinden sich einzelne Personen aus vielerlei Gründen in ei- nem atypischen Beschäftigungsverhältnis. Manche Arbeitnehmer ziehen es aus familiären Aspekten vor, einer Beschäftigung mit einer geringeren Arbeitszeit nachzugehen. Andere wiederum bevorzugen es, die Steuer- und Sozialabgabenlast durch die Arbeitsaufnahme in einem bestimmten Beschäftigungsverhältnis zu reduzieren. Zudem befinden sich manche Ar- beitnehmer nur auf Grund des Wunsches nach einem kleinen Hinzuverdienst in einer atypi- schen Beschäftigungsform, vor allem dann, wenn andere Einkommensquellen existieren. An- dererseits kann sich ein Individuum in einem weniger bevorzugten, atypischen Beschäfti- gungsverhältnis befinden, weil es wegen eines Mangels an zu besetzender Normalbeschäfti- gungsverhältnisse oder einer eingeschränkten Mobilität und Flexibilität keine, den Wünschen entsprechende, Stelle findet.[24] Inwiefern sind atypische Beschäftigungsverhältnisse nun als prekär anzusehen? Ein weit gefasster Prekaritätsbegriff, der sowohl subjektive (wie Status, Integration in das soziale Umfeld, etc.) als auch objektive (wie Vergütung, Einbindung in die sozialen Sicherungssysteme, etc.) Kriterien erfasst, tendiert zu Unschärfe und einer Einbuße an analytischer Aussagekraft, weil verschiedene Lebenssituationen unterschiedlicher Indivi- duen unter einen Oberbegriff zusammengefasst werden.[25] Aus analytischer Perspektive ist daher ein Prekaritätsbegriff zu definieren, der seine Hauptmerkmale an objektivierbaren und operationalisierbaren Kriterien festmacht.[26] Ein solcher enger Prekaritätsbegriff kann dabei durch Charakteristika des Arbeitsmarktes und der sozialen Sicherungssysteme definiert wer- den.[27] Dieser kann dabei um Lebenssituationen mit Prekaritätspotenzial, fern von arbeits- markttypischen Merkmalen, ausgebaut werden.[28] Die Kriterien eines solchen Prekaritätsbeg- riffs umfassen dabei:[29]
- Ein existenzsicherndes Einkommen aus der Erwerbstätigkeit
- Die Eingliederung in die sozialen Sicherungssysteme
- Beschäftigungsstabilität, im Sinne einer möglichst unterbrechungsfreien Erwerbstätig- keit zur Sicherung des Einkommens und der Ansprüche aus den Systemen sozialer Sicherung
- Beschäftigungsfähigkeit, im Sinne des Zugangs zu Weiterbildungs- und anderen Schulungsmöglichkeiten, um den Anforderungen einer sich ständig wandelnden Be- rufswelt gerecht zu werden und somit die Beschäftigungsstabilität abzusichern. Anhand dieser Kriterien lassen sich Prekaritätsdimensionen ausmachen, die im Vergleich zu Normalarbeitsverhältnissen[30] und gesellschaftlichen akzeptierten Standards[31] das Prekaritätsrisiko atypischer Beschäftigungsverhältnisse einstufen können.
Der folgende Abschnitt widmet sich der empirischen Überprüfung eines Zusammenhanges zwischen Prekarität und atypischer Beschäftigung. Es werden vier unterschiedliche Studien vorgestellt, die diesen möglichen Zusammenhang aus verschiedenen Perspektiven beleuchten und mit unterschiedlichen statistischen Methoden überprüfen.
Der Forschungsstand bezüglich des Verhältnisses zwischen atypischer Beschäftigung und Prekarität ist weit gefächert. Zum einen existieren Studien, die das Verhältnis lediglich an- hand von objektivierbaren Kriterien erfassen. Zum anderen wurden Analysen durchgeführt, die die Beziehung von Prekarität und atypischer Beschäftigung nur durch die Auswertung subjektiver Kriterien bestimmen.[32] Des Weiteren gibt es zahlreiche Studien, die das Verhält- nis mit Hilfe eines einzigen Kriteriums und einer einzelnen Ausprägung atypischer Beschäf- tigungsformen analysieren. So wurden beispielsweise jeweils Lohnstudien für Teilzeit-, be- fristet und geringfügig Beschäftigte sowie für Zeitarbeiter durchgeführt, ebenso wie Analy- sen zur Beziehung von Beschäftigungsstabilität sowie Beschäftigungsfähigkeit und einzelner atypischer Beschäftigungsformen. Vergleiche zwischen den Ergebnissen der einzelnen Studi- en gestalten sich dabei teilweise als schwierig, da die einzelnen Studien mit verschiedenen Datensätzen und verschiedenen statistischen Methoden durchgeführt wurden.[33] Bei der Aus- wahl der folgenden Studien wurde darauf geachtet, dass diesen zum einen die gleiche oder eine vergleichbare Datenbasis zugrunde liegt. Zum anderen überprüfen die ausgewählten Studien die Beziehung zwischen atypischen Beschäftigungsformen und Prekarität anhand der wichtigsten Varianten atypischer Beschäftigung gemeinsam mit mehreren Prekaritätsdimen- sionen oder anhand einer atypischen Beschäftigungsform und mehreren Prekaritätsdimensio- nen.
Die folgende Studie befasst sich mit einer empirischen Überprüfung des Prekaritätsrisikos von Zeitarbeitskräften mit Hilfe des Propensity-Score-Matching-Verfahrens. Dabei werden sieben Prekaritätsdimensionen definiert, anhand derer die Beschäftigungssituation von Zeitarbeitskräften und Normalbeschäftigten verglichen werden.
Die Datengrundlage der Studie bildet das deutsche sozioökonomische Panel (SOEP).[34] Im Rahmen des auf Dauer angelegten SOEP werden jährlich, seit 1984, Daten zu soziologischen und ökonomischen Individuallebensbedingungen, wie z.B. individuelle Zufriedenheit oder Erwerbsstatus, anhand einer repräsentativen Stichprobe aus der deutschen Wohnbevölkerung erfasst.[35] Seit den Haushaltsbefragungen in 2001 gibt das SOEP Auskunft darüber, ob eine Person in der Zeitarbeitsbranche tätig ist. Im Rahmen der empirischen Analyse werden Da- tensätze aus den Jahren 2006[36] und 2007 herangezogen. Des Weiteren werden nur Erwerbstä- tige aus Privathaushalten im Alter von 18-65 Jahren, die einer abhängigen Vollzeitbeschäfti- gung nachgingen, in die Analyse aufgenommen.[37] Personen in beruflicher oder schulischer Ausbildung werden von der empirischen Überprüfung ausgeschlossen.
Auf Basis dieser Datengrundlage erfolgt unter Verwendung des Propensity Score Matching eine Analyse, ob Zeitarbeiter im Vergleich zu Normalbeschäftigten einem erhöhten Prekaritätsrisiko ausgesetzt sind. Ziel des Propensity Score Matching ist es, Selektionsverzerrungen zu verringern.[38] Das Problem der Selektionsverzerrungen fußt dabei auf dem grundlegenden Evaluierungsproblem von Studien, nämlich der Unmöglichkeit ein und dieselbe Person (Person A) in zwei unterschiedlichen Zuständen (Person A als Zeitarbeiter oder Person A als Normalbeschäftigter) zu beobachten.[39] Dieses Problem einer Unbeobachtbarkeit von zwei unterschiedlichen Zuständen kann bedingt durch die Bildung einer Teilnehmer- (Zeitarbeiter) und einer Kontrollgruppe (Normalbeschäftigte) gelöst werden.
Hier aber tritt die Gefahr von Selektionsverzerrungen auf: So können z.B. beobachtete Lohn- differenzen zwischen Zeitarbeitern und Normalbeschäftigten nicht auf der Beschäftigungsart, sondern vielmehr auf individuellen Charakteristika, wie dem Qualifikationsniveau, beru- hen.[40] Mit Hilfe des Propensity Score Matching können diese Selektionsverzerrungen, durch die Bildung einer geeigneten Kontrollgruppe an Normalbeschäftigten, reduziert werden. Die Normalbeschäftigten in der Kontrollgruppe werden dabei so ausgewählt, dass sie, in Abhän- gigkeit der Charakteristika, eine möglichst gleiche Wahrscheinlichkeit haben, Zeitarbeiter zu sein.[41] Mit anderen Worten werden die Normalbeschäftigten so ausgewählt, dass eine mög- lichst hohe Übereinstimmung bezüglich der relevanten Charakteristika mit den Zeitarbeitern besteht.[42] Diese Zuordnung kann dabei mit verschiedenen Algorithmen ausgeführt werden[43], wobei in dieser Studie ein 5:1-Nearest-Neighbor-Verfahren angewendet wurde. Idealerweise werden hierbei jedem Zeitarbeiter fünf ähnliche Normalbeschäftigte zugeordnet. Bei diesem Zuordnungsverfahren wird einerseits die Varianz reduziert. Andererseits besteht hierbei die Gefahr, dass die fünf pro Zeitarbeiter selektierten Normalbeschäftigten, bezüglich mancher ihrer Charakteristika, sehr verschieden sind. Diese Gefahr wird dadurch verringert, dass je- dem Zeitarbeitserwerbstätigen lediglich die fünf Normalarbeitskräfte zugeordnet werden, die eine möglichst identische bedingte Partizipationswahrscheinlichkeit, d.h. der Wahrschein- lichkeit in Zeitarbeit tätig zu sein, aufweisen.[44]
Die Schätzung der Partizipationswahrscheinlichkeit erfolgt mit Probit-Modellen aus den SOEP-Datensätzen der Jahre 2006 und 2007. Dabei stellt die Beschäftigungsart die abhängi- ge Variable dieser Schätzung dar. Die unabhängigen Variablen dieser Schätzung werden aus drei Merkmalsgruppen gebildet. Die erste Merkmalsgruppe umfasst soziodemografische (z.B. Geschlecht, Familienstand, Alter) sowie den höchsten Berufsabschluss betreffende In- formationen. Die zweite Merkmalsgruppe erfasst Informationen zur Erwerbsform vor der ak- tuellen Erwerbstätigkeit und deren Beendigungsgründen. Berufs- und tätigkeitsspezifische Informationen über Branchenvariablen, Auskünfte zu selbstständigen Handlungsoptionen in- nerhalb der Erwerbsform sowie Informationen über die Betriebsgröße werden in der dritten Merkmalsgruppe abgebildet.[45]
Die Ergebnisse dieser Probit-Schätzungen sind in Tabelle 12 im Anhang auf Seite 44 dargestellt und werden hier in kurzer Zusammenfassung wiedergegeben.[46]
Eine Aufgliederung der Ergebnisse nach Geschlecht und Alter zeigt, dass Männer sowie jün- gere Personen mit größerer Wahrscheinlichkeit als Zeitarbeiter tätig sind. Ist eine Person ver- heiratet oder hat Kinder unter 16 Jahren zu versorgen, dann sinkt die Wahrscheinlichkeit als Zeitarbeiter beschäftigt zu sein. Personen mit einem höheren Bildungsabschluss oder einer Berufsausbildung sind weniger wahrscheinlich in der Zeitarbeitsbranche tätig. Des Weiteren sind Personen, die vor der aktuell ausgeübten Erwerbsform ebenfalls erwerbstätig waren, mit geringerer Wahrscheinlichkeit als Zeitarbeiter beschäftigt als Personen, die vorher arbeitslos waren. Eine Aufgliederung nach Branchen zeigt, dass Personen im öffentlichen Dienst häufi- ger als Zeitarbeiter tätig sind als Personen, die in der Dienstleistungsbranche arbeiten. Zudem nimmt die Wahrscheinlichkeit, in der Zeitarbeitsbranche tätig zu sein, mit geringer Autono- mie beruflichen Handelns sowie mit steigender Betriebsgröße zu.
Bezüglich der Güte und der Aussagekraft des Matching müssen zwei Kriterien erfüllt sein. Deren Inhalt und Gültigkeit für diese Studie sollen hier kurz vorgestellt werden. Das erste Kriterium bezieht sich auf einen möglichst hohen Informationsgehalt des zugrunde gelegten Datensatzes. Die SOEP-Datensätze stellen mit jeweils 6.083 Normalbeschäftigten und 207 Zeitarbeitern in 2006 und jeweils 6.312 Normalbeschäftigten sowie 192 Zeitarbeitern in 2007 genügend Fallzahlen zur Verfügung, um eine gute Matching-Qualität zu ermöglichen.[47] Das zweite Kriterium bezieht sich auf eine befriedigende Selektion der Normalbeschäftigten und deren Zuordnung auf die Zeitarbeiter hinsichtlich der interessierenden Variablen. Die Ergeb- nisse der diesbezüglichen Balancing-Tests sind im Anhang in den Tabellen 13, 14 und 15 zu finden. Ein Mittelwertsvergleich der erklärenden Variablen, zu finden in den Tabellen 13 und 14, vor und nach der Matching-Prozedur zeigt, dass hinsichtlich der relevanten Merkmale nach dem Matching keine statistisch signifikanten Unterschiede mehr auszumachen sind. Ta- belle 15 zeigt, auf Basis eines χ[2]-Tests bezüglich der gemeinsamen Signifikanz der erklären- den Variablen, dass diese nach der Matching-Prozedur keine Systematik hinsichtlich ihres Erklärungsgehalts mehr aufweisen.[48] Die durchgeführten Tests zeigen somit, dass das Mat- ching von Zeitarbeitern und Normalbeschäftigten als erfolgreich betrachtet werden kann.
3.2.2 Empirische Ergebnisse
Die Ergebnisse zur Beziehung zwischen Prekarität und Zeitarbeit werden im Folgenden anhand von sieben Prekaritätsdimensionen dargestellt. Diese Prekaritätsdimensionen umfassen sowohl objektive als auch subjektive Kriterien. Die empirischen Ergebnisse dieser Untersuchung sind in Tabelle 3 wiedergegeben.
Tabelle 3: Ergebnisübersicht des Propensity Score Matching
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(Fortsetzung auf der nächsten Seite)
[...]
[1] Dietz, Walwei (2006), S. 18
[2] Keller, Seifert (2009), S. 40
[3] Wingerter (2009), S. 1081
[4] Zur Problematik und Lösung der Beziehungen zwischen Voll- und Teilzeitarbeit siehe Wingerter (2009), S. 1081
[5] Statistisches Bundesamt (2008), S. 6
[6] Wingerter (2009), S. 1081
[7] Ebenda, S. 1081 - 1082
[8] Auch Leiharbeit oder Arbeitnehmerüberlassung genannt.
[9] Siehe Keller, Seifert (2009), S. 40 - 41
[10] Wingerter (2009), S. 1082 - 1083
[11] Auf die Beschäftigungsform der Selbstständigkeit soll in dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden.
[12] Statistisches Bundesamt (2009), S. 7
[13] Zur Datenquelle Mikrozensus siehe Wingerter (2009), S. 1082
[14] Statistisches Bundesamt (2009), S. 7
[15] Wingerter (2009), S. 1083
[16] Zur Unterscheidung zwischen Arbeitnehmerüberlassungsstatistik und Mikrozensus siehe Statistisches Bundesamt (2008), S. 12
[17] Statistisches Bundesamt (2008), S. 12
[18] Brenke, Eichhorst (2008), S. 242
[19] Kraemer (2008), S. 77 - 78
[20] Dörre (2005), S. 252
[21] Keller, Seifert (2007), S. 11
[22] Auch Normalbeschäftigungsverhältnisse können Prekaritätsrisiken aufweisen, z.B. auf Grund geringer Löhne.
[25] Brinkmann et al. (2006), S. 18
[26] Ebenda, S. 18
[27] Ebenda, S. 20
[28] Brinkmann et al. (2006), S. 18
[29] Keller, Seifert (2007), S. 20 - 21
[23] Keller, Seifert (2007), S. 11
[24] Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage (2008), S. 304 - 305
[30] Keller, Seifert (2007) S. 21
[31] Brinkmann et al. (2006), S. 17
[32] Brehmer, Seifert (2008), S. 502
[33] Ebenda, S. 502
[34] Dütsch (2011), S. 302
[35] SOEP Group (2001), S. 7
[36] Ein Rückgriff auf die Daten aus 2006 findet deshalb statt, weil in den Datensätzen einige Prekaritätsindikatoren nicht aufgenommen wurden. Siehe Dütsch (2011), S. 304
[37] Dütsch (2011), S. 303
[38] Rosenbaum, Rubin (1983), S. 41
[39] Heckman, Smith (1996), S. 40
[40] Dütsch (2011), S. 304
[41] Pfeifer (2007), S. 11
[42] Dütsch (2011), S. 304
[43] Siehe Caliendo, Kopeinig (2005), S. 8-12 für verschiedene Matching-Algorithmen
[44] Dütsch (2011), S. 304
[45] Ebenda, S. 304-305
[46] Siehe im Einzelnen Dütsch (2011), S. 305
[47] Dütsch (2011), S. 305
[48] Ebenda, S. 305