Magisterarbeit, 2005
107 Seiten
1. Einleitung
1.1 Gegenstand
1.2 Abgrenzung
1.3 Quellen
1.4 Literatur
1.5 Forschungsstand
2. Bundesrat und Senat
2.1 DasBundesratsprinzip
2.1.1 Vorläufer des Bundesrats
2.2 Das Senatsprinzip
2.2.1 Das Staatenhaus von 1848
3. Die Vorgeschichte des Grundgesetzes
3.1 Londoner Empfehlungen und Frankfurter Dokumente
3.2 FöderalismusdiskussionderParteien
3.2.1 VorbereitungenderCDU/CSU
3.2.2 DieMenzel-EntwürfederSPD
3.2.3 Bundesstaatskonzepte der kleinen Parteien
3.3 Der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee
3.3.1 DerHerrenchiemsee-Bericht
4. Der Parlamentarische Rat
4.1 Zusammensetzung undorganisatorischerAufbau
4.2 VerlaufderVerhandlungen
4.2.1 BeginnderBeratungen
4.2.2 Das Gespräch Ehard - Menzel
4.2.3 Die Verhandlungen in der Krise
4.2.4 ErneuterEinspruchund Verabschiedung
4.2.5 Beurteilung desErgebnisses
5. Die Argumentation zur Länderkammer
5.1 Bundesratsprinzip
5.2 Senatsprinzip
5.3 Mischformen
6. Mischkonzepte der CDU/CSU
6.1 DieEntwicklung derDiskussion
6.2 Lehr-Entwürfe
6.3 Süsterhenn-Entwürfe
6.4 Vorschlag Dr.deChapeaurouge
6.5 EntwurfLaforet
6.6 Drei-Kammer-System
7. Mischkonzepte der anderen Parteien
7.1 MischkonzeptederFDP
7.1.1 Antrag Dehler
7.1.2 DerFraktionsantrag
7.1.3 „ZumPräsidialsystem“
7.1.4 DrucksacheNr.694
7.2 Kompromißvorschlag der SPD?
7.3 Vorschlag des Zentrums
7.4 Vorschlag der DP
7.5 Zusammenfassung undVergleich
8. Die gegenwärtige Kritik am Bundesrat
8.1 Problemlage des deutschen Föderalismus
8.2 Konzepte zur Umgestaltung des Bundesrates
8.3 HypothetischeÜberlegungenzumHalbsenat
8.4 Ausblick
9. Ergebnisse
10. Anhang
10.1 Quellen
10.1.1 UngedruckteQuellen
10.1.2 Quelleneditionen
10.2 Literatur
10.3 Abkürzungen
„Die Verfassunggebende Versammlung wird eine demokratische Verfassung ausarbeiten, die für die beteiligten Länder eine Regierungsform des föderalistischen Typs schafft, die am besten geeignet ist, die gegenwärtig zerrissene deutsche Einheit schließlich wieder herzustellen, und die Rechte der beteiligten Länder schützt, eine angemessene Zentralinstanz schafft und die Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält.“1
Aufgrund dieser im ersten der Frankfurter Dokumente enthaltenen Maßgabe der Alliierten trat am 1. September 1948 in Bonn der Parlamentarische Rat zusammen, um für die bestehenden deutschen Länder der drei westlichen Besatzungszonen eine föderalistische Verfassung auszuarbeiten. Schon vor Arbeitsbeginn des Rates wurde deutlich, daß dem Verfassungsabschnitt, der die Ausgestaltung des Föderalismus bestimmte, eine besondere Bedeutung zukommen würde. Und wirklich gehörten die späteren Grundgesetzartikel 50 bis 53 über den Bundesrat schon bei den Verfassungsberatungen zu „den umstrittensten Teilen des Grundgesetzes“. Der Streit drehte sich dabei um die zukünftige Gestalt der Länderkammer, die als Bundesrat oder als Senat konstituiert werden konnte. Beide Prinzipien hatten ihre entschiedenen Anhänger, ohne daß sich zunächst eines der beiden durchsetzen konnte. Keine Konstruktion schien eine Mehrheit bekommen zu können.
Auf der Suche nach einem Kompromiß entwickelten die Fraktionen sowie einzelne Abgeordnete eine Reihe von Mischkonzeptionen, die eine wachsende Zahl von Befürwortern hinter sich vereinen konnten. Zwar kam es nie zur Einigung auf ein konkretes Modell, trotzdem stand eine gemeinsame Idee hinter allen Konzepten. „Wenn zwei derartige Auffassungen sich schroff gegenüberstehen, so liegt es nahe, daß vermittelnd ein weiterer Vorschlag zum Ausdruck gekommen ist, ein Gedanke, der das Für und Wider beider Systeme reiflich abwägt und versucht, das Beste und Wertvollste aus ihnen zu einem Vermittlungsvorschlag zu vereinigen.“ Damit sollte eine möglichst breite Zustimmung zum Grundgesetzentwurf unter den Abgeordneten erreicht werden.
Obwohl alles darauf zuzulaufen schien, konnte sich durch eine überraschende Wende letztlich doch keines der gemischten Modelle durchsetzen. Das nach langwierigen und schwierigen Verhandlungen erstellte Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland enthielt wiederum den - für Deutschland fast schon traditionellen - Bundesrat. Mit der Verabschiedung der Verfassung am 8. Mai 1949 endete die Arbeit des Parlamentarischen Rates.
Die vorliegende Arbeit behandelt die verschiedenen - mehr oder weniger detailliert ausgearbeiteten - Mischkonzeptionen2 zwischen Senats- und Bundesratsprinzip für die Zweite Kammer3 des deutschen Parlaments, wie sie in der Verfassungsdebatte der Jahre 1948 und 1949 vorgebracht wurden. Um diese verstehen zu können, sollen zunächst die beiden Grundprinzipien Bundesrat und Senat idealtypisch dargestellt werden. Später werden in einem zweiten Schritt ihre jeweiligen Vorzüge und Nachteile erläutert, so daß die Zielkonflikte sichtbar werden, die die Entscheidung für eines der Prinzipien mit sich bringt. Anschließend werden die Ereignisse der Zeit der Verfassungsgebung historisch nachgezeichnet, soweit sie für das Verständnis der Vorgänge und der Positionen der beteiligten Akteure von Bedeutung sind. Dazu zählen unter anderem die Verfassungskonzeptionen der deutschen Parteien vor Beginn der Verhandlungen, der Konvent von Herrenchiemsee sowie die Beratungen des Parlamentarischen Rates selbst.
In einem dritten Abschnitt werden die wichtigsten Vorschläge bezüglich der Mischkonstruktion vorgestellt und eingehend erläutert. Dabei sind die Bestellung der Mitglieder, ihre Rechte und Voraussetzungen sowie der Aufbau der Kammer und ihre Kompetenzen in Gesetzgebung und Verwaltung die wichtigsten Fragen dieser strukturellen Untersuchung. In einer Zusammenfassung sollen die Konzepte letztlich miteinander verglichen werden, wozu die wesentlichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet werden sollen.
Im letzten Teil wird abschließend ein Ausblick aus den späten vierziger Jahren in die Gegenwart gegeben werden. Dies geschieht aus der Überlegung, daß die Bestimmungen zum föderalistischen System nicht nur im Parlamentarischen Rat, sondern auch heute wieder umstritten sind und sich der Bundesstaat nach weitverbreiteter Ansicht in einer Krise befindet. Dazu werden drei Fragen diskutiert: Erstens, ob die vor 50 Jahren erwogenen Mischkonzepte auch in der heutigen Reformdiskussion um den Bundesrat eine Rolle spielen und wie ihre Umsetzungschancen stehen. Zweitens stellt sich die hypothetische Frage, ob es heute besser oder anders um den deutschen Staatsaufbau bestellt wäre, wenn sich die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates für eine gemischte Zweite Kammer entschieden hätten. Und drittens läßt sich fragen, ob ein Mischsystem heute angesichts der Verfassungsrealität in der Bundesrepublik irgendwelche Vorteile gegenüber dem Bundesrat bieten würde.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Föderalismus-Konzeptionen zur Zeit der Verhandlungen des Parlamentarischen Rates, also vom 1. September 1948 bis zum 23. Mai 1949. Der Fokus richtet sich dabei auf diejenigen Konzepte, die eine Mischung der Systeme des Bundesrats und des Senats zum Thema haben. Sofern sie nicht wichtige Vorarbeiten und Beratungsgrundlagen im Parlamentarischen Rat waren, bleiben also die zahlreichen älteren Verfassungskonzeptionen aus der Kriegs- und Nachkriegszeit unberücksichtigt.4 Weiterhin ist die Aufgabe einzuschränken, indem nur von politischen Parteien vorgebrachte Konzepte berücksichtigt werden und hier auch nur von denen, die im Parlamentarischen Rat vertreten waren.5 Insofern sind auch die Vorschläge einzelner Personen nur dann aufgenommen, wenn sie gleichzeitig einer Partei angehörten, die dort Sitz und Stimme hatte. Nicht behandelt werden demnach die verfassungspolitischen Konzeptionen anderer politischer, gesellschaftlicher oder berufsständischer Gruppierungen wie beispielsweise Gemeinden, Gewerkschaften, Unternehmer, Kirchen oder Beamte.
Und auch inhaltlich ist eine Abgrenzung vorzunehmen, denn die Frage des föderalistischen Staatsaufbaus beinhaltet drei Aspekte. Der erste behandelt den Aufbau der Länderkammer, die Bestellung der Mitglieder und deren Rechte. Zweitens geht es um die Rechte der Länder bei der Mitwirkung an Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes. Und der dritte Aspekt behandelt die zweckmäßige Verteilung des Steueraufkommens zwischen beiden Ebenen, also den Finanzföderalismus. Aus Platz- und Zeitgründen kann die vorliegende Arbeit allerdings nur die erst]en beiden Bereiche umfassend darstellen, der finanzielle Aspekt wird nur gestreift.6
Die wichtigste Quelle für die vorliegende Arbeit bildet die große Zahl von schriftlichen Anträgen und Eingaben, die an die verschiedenen Gremien des Rates gerichtet und in Form von Drucksachen vervielfältigt wurden. In diesen Schriftstücken sind die Konzepte einzelner Abgeordneter oder ganzer Fraktionen niedergelegt. Hier finden sich also in schriftlicher Form die Verfassungsvorstellungen der an der Kompromißfindung beteiligten Akteure. Von den über 900 Drucksachen, die in der Zeit der Verfassungsberatungen an die Beteiligten verteilt wurden, sind etwa 40 für diese Arbeit von besonderer Bedeutung. Sie sind bisher nicht ediert worden und wurden deshalb im Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages eingesehen.7 Ebenfalls sehr wichtig sind die Redebeiträge der Abgeordneten aus Plenar- und Ausschußsitzungen, die anhand stenografischer Protokolle überliefert sind. Diese Sitzungsprotokolle wurden zusammen mit vielen Akten des Parlamentarischen Rates in bisher 11 12 dreizehn Bänden ediert. Neben wichtigen Akten zur Vorgeschichte der Verhandlungen finden sich in dieser Publikationsreihe auch die Verhandlungen des Plenums sowie des Organisationsausschusses. Außerdem liegt ein Band mit Entwürfen zum Grundgesetz aus verschiedenen Stadien der Beratungen vor.8 Allerdings ist diese Arbeit noch nicht abgeschlossen. So fehlt bisher der Band über die Verhandlungen des Hauptausschusses, die allerdings an anderer Stelle zugänglich sind.9 Wichtige Auskünfte könnten sicherlich auch Dokumente geben, die die Sitzungen des Redaktionsausschusses dokumentieren, doch scheint dieser keine Aufzeichnungen gemacht zu haben.10
Eine weitere Quelle stellen die Protokolle der Fraktionssitzungen der Parteien im Parlamentarischen Rat dar. So enthält der Band von Rainer Salzmann alle Fraktionssitzungen der CDU/CSU in der Zeit vom 31. August 1948 bis zum 28. Juni 1949.11 Allerdings ist die Unionsfraktion laut Salzmann die einzige, die solche Mitschriften anfertigen ließ. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion Carlo Schmid ließ beispielsweise absichtlich keine Protokolle anfertigen, vermutlich weil er „sich eine gewisse Handlungsfreiheit erhalten wollte und sich niemand fürchten sollte, frei seine Meinung zu sagen.“12
Abschließend sind die verschiedenen Verfassungskonzeptionen der politischen Parteien einschlägig. Auch sie sind größtenteils ediert, wenn auch nicht an einer zentralen Stelle.
Vielmehr lassen sie sich in verstreuten Publikationen verschiedener Disziplinen und Fragestellungen finden, wo sie häufig im Anhang abgedruckt sind. Wegen besonders wichtiger und zahlreicher Quellen sind hier insbesondere die Werke von Werner Sörgel und Wolfgang Benz hervorzuheben.
Diese Arbeit hat das Glück, sich auf die Literatur dreier wissenschaftlicher Disziplinen stützen zu können. Das politikwissenschaftliche Schriftgut beschäftigt sich seit über dreißig Jahren unter allen erdenklichen Fragestellungen intensiv mit dem deutschen Föderalismus. Daneben kommen auch die äußerst zahlreichen Veröffentlichungen seitens der Historiker über die Gründungsphase der Bundesrepublik in Betracht. Und drittens sind natürlich auch die Werke der rechtswissenschaftlichen Forschung zur Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes im Allgemeinen und seiner einzelnen Artikel im Besonderen einschlägig. Rein quantitativ also eine zunächst unüberschaubare Menge an Literatur.
Bei genauerer Durchsicht der Titel stellt sich allerdings ein anderes Bild dar, denn bezüglich der gemischt bundesratlich-senatorialen Konzepte ist die Ausbeute deutlich geringer. In den Überblickswerken zumeist nur mit einem Satz erwähnt, finden sich auch in den ausführlicheren Darstellungen zumeist nur einige kurze, verallgemeinerte Aussagen. Dies trifft naturgemäß besonders auf die historischen Darstellungen zu, deren Interesse sich auf ganz andere Fragestellungen erstreckt. Auch eine historisch-kritische Gesamtdarstellung der Geschichte des Parlamentarischen Rates liegt bisher nicht vor. Auf politik- und rechtswissenschaftlicher Seite werden hingegen zumindest die Befürworter der verschiedenen Prinzipien unterschieden.
Bezüglich des Umfangs und der Detailgenauigkeit sticht eine Arbeit besonders hervor. Die Studie von Richard Ley bearbeitet eine ähnliche Fragestellung wie die vorliegende Arbeit. Indem er die Äußerungen im Parlamentarischen Rat bezüglich Zweiter Kammer, Finanzföderalismus und Kompetenzverteilung zusammengestellt hat, zeichnet Ley zumindest die Föderalismus-Debatte innerhalb der CDU/CSU-Fraktion nach. Aber auch Ley geht nicht allen Konzepten im Einzelnen nach.
Darüber hinaus aber gibt es bisjetzt noch keine ausführliche Abhandlung zu dieser Thematik, weder monografisch noch als Aufsatz. Von daher ist durch die Literatur nur der Rahmen der Arbeit abzustecken, die zentralen Arbeitsschritte wurden anhand der Quellen getan. Eine realistische Einschätzung des Forschungsstandes bereitet deshalb Schwierigkeiten. Denn einerseits sind viele wichtige schriftliche Quellen, wie Protokolle und Akten, vollständig ediert. Allerdings lagen diesen Editionen in aller Regel andere Absichten und Fragestellungen zugrunde. Zudem geht die zahlreich vorhandene Literatur nur wenig auf die hier behandelte Thematik ein.
Andererseits läßt also die reine Existenz von Akten und Literatur noch keine Schlüsse auf den tatsächlichen Forschungsstand zu. So hat sich beispielsweise niemand mit der Frage nach der Funktionalität und Effizienz eines solchen gemischten Systems auseinandergesetzt. Dementsprechend fehlen auch denkbare weitere Untersuchungen zum Thema, wie etwa ein Vergleich mit anderen Ländern. Und ein weiterer Aspekt am mangelnden Kenntnisstand rund um die Mischsysteme sind auch die fehlenden Aussagen der beteiligten Akteure. Denn da sich - zumindest in der Frühphase der Bundesrepublik - niemand mit diesem speziellen Aspekt der Verfassungsberatungen beschäftigt hat, wurden die Akteure und Zeitzeugen auch nie nach ihren Erwartungen, Motiven, Beweggründen und Hoffnungen gefragt, die sie mit der gemischten Zweiten Kammer verbanden. Heute, 56 Jahre später, sind diese interessanten Aussagen leider unwiederbringlich verloren.
Alles zusammengenommen ergibt sich ein lückenhaftes und ungleichmäßiges Bild. Diese Feststellung überrascht angesichts des ansonsten von der Forschung aller drei genannten Disziplinen sehr reichhaltig bedachten Gebiets der Grundgesetzgebung und angesichts des interessanten und breiten Themas, das hier noch fast vollkommen brachliegt.
In fast allen föderalistischen Staaten sind die Gliedstaaten an der Willensbildung des Zentralstaates durch eine eigene Länderkammer beteiligt. „Ihre Funktion ist es, die Gliedstaaten zu repräsentieren und es ihnen zu ermöglichen, ihre Interessen gegenüber dem Gesamtstaat zu wahren. Damit wirkt sie als Mittler und Verbindungsorgan zwischen Zentralstaat und Gliedstaaten.“ Zudem verbindet sich mit der Einrichtung einer Zweiten Kammer stets auch die Hoffnung auf eine gewaltenhemmende Wirkung, indem der Regierung und dem Parlament des Zentralstaats ein Gegengewicht gegenübergestellt wird. Dieses Prinzip wird auch als vertikale Gewaltenteilung bezeichnet.
Im Folgenden sollen die beiden Idealtypen zur Konstituierung einer solchen Länderkammer, der sogenannte Bundesrat und der Senat, eingehend erläutert werden. Bei den Verfassungsverhandlungen der Jahre 1948 und 1949 konnte bereits auf eine Vielzahl an historischen Erfahrungen mit beiden Systemen zurückgegriffen werden, die entweder aus der Geschichte des eigenen Landes oder anderer demokratischer Staaten stammten. Beide Systeme hatten also ihre Vorläufer und dementsprechend auch Vorbilder, an denen sie sich orientierten.
Das Bundesratsprinzip ist tief in der deutschen Verfassungstradition verwurzelt und demnach etwas spezifisch Deutsches, wie immer wieder betont wird.13 Durch den Bundesrat wirken die deutschen Länder bei der Gesetzgebung und der Verwaltung des Bundes und heute auch in Angelegenheiten der Europäischen Union mit. Seine Besonderheit liegt dabei in der Bestimmung seiner Mitglieder und deren Kompetenzen. Zwar haben fast alle föderalistisch verfaßten Systeme ein Zwei-Kammer-Parlament zur Vertretung der Länderinteressen:
„Aber nirgendwo sonst sind die zweiten Kammern [...] nach jenem Prinzip konstruiert, für das das Grundgesetz sich entschieden hat, nach dem - in der deutschen Verfassungssprache so genannten - Bundesratsprinzip. Nirgendwo sonst gibt es eine zweite Kammer, in der die Gliedstaaten durch ihre Regierungen vertreten sind.“14
Es ist also weder die Landesbevölkerung, die die Mitglieder des Bundesrates direkt wählt, noch werden sie von den Länderparlamenten - dem Kräfteverhältnis der Fraktionen entsprechend - entsandt. Sondern es sind die Regierungen der Länder, die die Bundesratsvertreter des jeweiligen Landes stellen. Das bedeutet im Umkehrschluß, daß die Opposition in den einzelnen Ländern keine Möglichkeit hat, sich im Bundesrat unmittelbar Gehör zu verschaffen. Im Bundesrat sitzen also allein die Minister der Länder, die sich bei den vorbereitenden Ausschußsitzungen auch von Beamten vertreten lassen können. Theodor Heuss hat den Bundesrat deshalb einmal sarkastisch als „Parlament der Oberregierungsräte“ bezeichnet. Die Mitglieder des Bundesrates werden aber nicht nur von ihren Regierungen entsandt, sie sind auch weisungsgebunden. Sie dürfen nicht etwa frei, ihrem Gewissen folgend, entscheiden, sondern müssen den Anweisungen der jeweiligen Regierung folgen. Sie unterliegen also einem imperativen Mandat. Dazu kommt die Vorgabe, daß die Stimmen eines Landes im Bundesrat einheitlich abgegeben werden müssen, als Ja, Nein oder Enthaltung.15
Diese außergewöhnliche Konstruktion dieses Organs führt dazu, daß bis heute umstritten ist, ob der Bundesrat die Zweite Kammer des Parlaments bildet, da seine Mitglieder nicht unter den Schutz der üblichen parlamentarischen Rechte fallen und auch keine freie Gewissensentscheidung fällen können.16 Während einige die Kammer-Eigenschaft des Bundesrats bestreiten, sind andere wegen der Beteiligung an der Gesetzgebung der entgegengesetzten Meinung. Doch allgemein wird der Bundesrat wegen seiner Besonderheit als „eine eigentümliche und einzigartige Institution“ sowie als „Organ sui generis“ bezeichnet.17
Die Stimmen und damit auch die Repräsentation der Länder im Bundesrat sind ungleich verteilt. Man hat sich also nicht für das amerikanische oder Schweizer Vorbild entschieden, wo jeder Gliedstaat die gleiche Anzahl von Vertretern in die Länderkammer entsendet. Das Bundesratsprinzip besteht vielmehr darin, die unterschiedliche Größe der Länder auch in der Stimmenverteilung zum Ausdruck zu bringen, wozu die Bevölkerungszahlen der Länder zugrundegelegt werden. Dieses Vorgehen wird als geometrisches Prinzip bezeichnet; als Begründung wird herangezogen, daß die damit verbundene stärkere Berücksichtigung größerer Gliedstaaten das demokratische Element betone.
Allerdings ist das geometrische Prinzip nicht in voller Konsequenz angewandt worden, also dem tatsächlichen Maße, in dem sich die Länder hinsichtlich ihrer Bevölkerungszahl unterscheiden. Man nennt dies eine „abgeschwächte“ oder auch „maßvolle“ Bundesratslösung. Diese Entscheidung fiel aufgrund von Erfahrungen aus der Vergangenheit, indem Preußen vor 1945 aufgrund seines Stimmenübergewichts eine dominierende und zugleich blockierende Stellung einnahm. Dies sollte sich nicht wiederholen, weshalb die kleinen Hansestädte im Vergleich zu den großen Flächenstaaten heute nur unproportional schlechter gestellt sind. „Hätte der Verfassungsgeber sich alleine an der Einwohnerzahl der Länder orientiert und dem kleinsten Bundesland Bremen eine Stimme eingeräumt, so stünden dem Land Nordrhein-Westfalen im Bundesrat vierundzwanzig Stimmen zu.“
So aber hat nach Artikel 51 Abs. 2 GG heute jedes Land mindestens drei Stimmen, Ländern mit mehr als zwei Millionen Einwohnern stehen vier, Ländern mit mehr als sechs Millionen fünf und Ländern mit mehr als sieben Millionen Einwohnern sechs Stimmen zu.18 Insgesamt sind das 69 Stimmen und Mitglieder, da jedes Land so viele ordentliche Mitglieder benennen kann, wie es Stimmen hat. „So macht die nach Artikel 52 Abs. 3 GG für die Beschlüsse des Bundesrates mindestens notwendige absolute Mehrheit 35 und die manchmal notwendige Zweidrittelmehrheit 46 Stimmen aus.“19 Zusätzlich zu diesen 69 ordentlichen Mitgliedern kann jedes Land beliebig viele stellvertretende Mitglieder in den Bundesrat entsenden, sofern sie Teil der Regierungsmannschaft sind. In der Praxis gehören alle Regierungsmitglieder dem Bundesrat an und so gibt es etwa 130 solcher stellvertretenden Mitglieder, was an der variierenden Größe der Kabinette liegt.
Die demokratische Legitimation des Bundesrates ist indirekt. Er geht zwar nicht aus Wahlen hervor, aber seine Mitglieder, die Landesregierungen, werden von den Landtagen der Länder und diese wiederum unmittelbar von der Bevölkerung gewählt. Die zentrale Grundgesetzbestimmung legt zudem fest, daß die Bundesratsmitglieder nicht nur von den Regierungen bestellt, sondern auch abberufen werden. Sollte also ein Mitglied des Bundesrats entgegen dem Länderinteresse - oder einfach entgegen der Weisung des Kabinetts -abstimmen, so könnte es Sitz und Stimme im Bundesrat verlieren.
Da es auch während und nach Landtagswahlen immer eine amtierende Landesregierung gibt und die Wahlen zudem an keinem einheitlichen Termin stattfinden, gibt es auch immer einen Bundesrat. „Auf diese Weise ist der Bundesrat verfassungsrechtlich gesehen ein ,ewiges Organ’; er erneuert sich kontinuierlich, da nach jeder Wahl eines Landesparlaments die neugebildete Regierung auch die Bundesratsmitglieder dieses Landes neu bestellt.“20 Oder anders gesagt: Scheidet ein Minister aus der Regierung aus, so erlischt automatisch auch seine Mitgliedschaft im Bundesrat.
Die Mitglieder des Bundesrats wirken nach Artikel 50 GG bei der Gesetzgebung und der Verwaltung des Bundes mit. Das Grundgesetz hat die Kompetenzen des Bundesrats beschränkt, indem sein Einfluß auf die Entscheidungen des Bundes nach Sachgebieten abgestuft wurde. Damit ist in Deutschland etwas wie ein Mittelweg zwischen einer gleichberechtigten und einer rein beratenden Zweiten Kammer beschritten worden.21 So kann der Bundesrat zu allen Gesetzentwürfen der Bundesregierung eine Stellungnahme abgeben, bevor sie im Parlament beraten werden. Gleichzeitig hat der Bundesrat selbst auch das Recht, neue Gesetze zu initiieren. Diese werden über die Bundesregierung, die ihre Auffassung hierzu darlegt, ans Parlament überwiesen. „Die Regierung ist zur Weiterleitung auch dann verpflichtet, wenn sie den Entwurf des Bundesrates nicht billigt.“22
Die wichtigsten Kompetenzen des Bundesrates aber liegen im Bereich der eigentlichen Gesetzgebung. Hier wird zwischen Einspruchs- und Zustimmungsgesetzen unterschieden. Zustimmungspflichtig sind dabei alle Gesetze, die das Verhältnis von Bund und Ländern betreffen. Dazu zählen drei Gruppen von Gesetzen: Die erste macht die Rechte der Länder auf dem Gebiet des Finanz- und Steuerwesens zum Gegenstand, die zweite diejenigen, die die Rechte und Interessen der Länder bei der Verwaltung, also bei der Ausführung der Bundesgesetze berühren. Und zum dritten sind auch alle Verfassungsänderungen zustimmungspflichtig, sie benötigen sogar eine Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern. „Ein ständiger Regelungsperfektionismus und der Kompetenzhunger des Bundes haben dazu geführt, daß über die Hälfte der Bundesgesetze Zustimmungsgesetze sind und damit nicht ohne die förmliche Zustimmung des Bundesrates in Kraft treten können.“23
In allen nicht zustimmungspflichtigen Gesetzgebungsprozessen hat der Bundesrat das Einspruchsrecht. Einspruchsgesetze sind also Gesetze, von dessen Regelungsgehalt die Länderkompetenzen weniger berührt sind. Dazu sind dem Bundesrat alle beschlossenen Gesetze des Bundestages zur Beratung zuzuleiten. Lehnt er den Beschluß ab, so kann er den Vermittlungsausschuß anrufen, um auf eine Änderung oder Aufhebung zu drängen. Nach einem gescheiterten Vermittlungsverfahren kann der Bundesrat Einspruch gegen das Gesetzesvorhaben einlegen. Kommt dieses Veto mit einfacher Mehrheit zustande, so kann es vom Bundestag mit einfacher Mehrheit zurückgewiesen werden. Ein Einspruch mit Zwei-Drittel-Mehrheit erfordert zur Überstimmung ein ebensolches Quorum im Parlament.24 Diese Lösung wird als suspensives Veto bezeichnet: Der Einspruch des Bundesrates gegen ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz hat aufschiebende Wirkung. Sollte sich die erforderliche Mehrheit im Bundestag aber nicht finden, so ist das Gesetz ebenso gescheitert, wie wenn der Bundesrat einem Zustimmungsgesetz die Zustimmung verweigert.
Der heutige Bundesrat kann auf eine lange Reihe von Vorläufern zurückblicken. Denn seine Wurzeln reichen bis ins Mittelalter zurück. So stellt der Reichstag des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation insofern einen Vorläufer dar, als auch hier mit den Fürsten die Exekutive der Gliedstaaten an den Entscheidungen des Gesamtstaats beteiligt war. Diejenigen Fürsten mit Kurwürde hatten zudem das zusätzliche Privileg, den deutschen König bzw. Kaiser wählen zu dürfen, also über die Reichsleitung mitzubestimmen. Im Laufe der Jahrhunderte steigerte sich der Einfluß der regionalen Fürsten auf Kosten der Zentralmacht, was nicht zuletzt auch in der Errichtung des Immerwährenden Reichstags in Regensburg deutlich wurde.
Nach dem Ende des Reiches 1803/1806 wurde auf dem Wiener Kongreß der Deutsche Bund als neue überregionale Organisation der deutschen Fürstentümer geschaffen. Die Bundesakte von 1815 sah vor, daß die Angelegenheiten des Bundes in der Bundesversammlung zu klären seien.25 Die Mitgliedsstaaten, vertreten durch Bevollmächtigte, führten je nach Landesgröße entweder ganze Stimmen oder mußten sich in einer Kurie eine Stimme mit mehreren Staaten teilen.26 Die Bundesversammlung unter dem Vorsitz Österreichs umfaßte insgesamt siebzehn Stimmen. Bei Verfassungsänderungen kam allerdings eine zweite Stimmenverteilung ins Spiel. Im sogenannten Plenum erhielten die kleinen Staaten eine, die größten dagegen vier Stimmen. Man könnte von einer abgeschwächten Bundesratslösung sprechen. Für Peter Graf Kielmansegg ist im Deutschen Bund daher der erste indirekte Vorläufer des heutigen Bundesrats zu sehen.
Die Zuspitzung der Frage nach einer Groß- oder Kleindeutschen Lösung brachte im Zusammenhang mit dem Deutschen Krieg zwischen Preußen und Österreich das Ende des Deutschen Bundes im Jahr 1866. An seine Stelle setzte Bismarck die Neugründung des Norddeutschen Bundes von 1867, dessen Verfassung sehr wesentlich von ihm selbst konzipiert wurde. Er umfaßte neben Preußen 21 nord- und mitteldeutsche Staaten, darunter das Königreich Sachsen. Das zentrale Organ des Bundes war der Bundesrat, bestehend aus den Vertretern der Mitglieder. Die Stimmenverteilung orientierte sich am Plenum des Deutschen Bundes, wobei Preußen die Stimmen der inzwischen eroberten Gebiete übernahm. Dadurch konnte Preußen siebzehn der insgesamt 43 Stimmen führen, woraus sich eine erdrückende Übermacht ergab.27 Mit Ausnahme der vier Stimmen Sachsens sowie Mecklenburg-Schwerin und Braunschweig mit je zwei Stimmen, hatten alle anderen 18 Mitglieder nurje eine Stimme.
Nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich 1871 traten auch die süddeutschen Staaten dem Bund bei. Das somit geschaffene Deutsche Reich blieb in seinem Aufbau im Vergleich zum Norddeutschen Bund nahezu unverändert. So wurde die ungleiche Stimmenverteilung beibehalten: Preußen führte 17 von nunmehr 58 Stimmen.28 Festgehalten wurde auch daran, daß der Reichskanzler zugleich Vorsitzender im Bundesrat sein sollte. Dies wirkte machtsichernd, da der Reichskanzler vom Kaiser ernannt wurde und die Kaiserwürde per Verfassung dem König von Preußen zustand. Auch diese Konstruktion wurde von Reichskanzler Bismarck entwickelt und wird daher als Bismarckscher Bundesrat bezeichnet: Der Reichskanzler als Chef der Exekutive des Gesamtstaates übernahm auch den Vorsitz des föderativen Organs.
Auch nach dem verlorenen Weltkrieg und der Demokratisierung Deutschlands wich man nicht von dem bekannten Muster der regionalen Repräsentation ab. In der Weimarer Reichsverfassung legte Art. 63 fest: „Die Länder werden im Reichsrat durch Mitglieder ihrer Regierungen vertreten“.29 Allerdings wurde das Stimmenverhältnis neu geordnet und das geometrische Prinzip eingeführt. So führte jedes Land eine Stimme, größere Länder erhielten weitere Stimmen auf je 700.000 Einwohner. Allerdings, und das war eine Regelung zur Begrenzung des preußischen Übergewichts, sollte kein Land allein mehr als zwei Fünftel aller Stimmen im Bundesrat führen. Aber weiterhin führte ein Mitglied der Reichsregierung den Vorsitz im Reichsrat; das Bismarcksche Erbe wurde also fortgeführt.
Nach der vergleichsweise kurzen Phase des Hitlerschen Zentralismus, der im verlorenen Zweiten Weltkrieg geendet hatte, kehrten die Deutschen auf Betreiben der Alliierten schnell zu föderalistischen, bundesratsähnlichen Konstruktionen zurück. So wurden die ersten Gremien zur überregionalen Repräsentanz wie der Länderrat der amerikanischen Zone in Stuttgart nach dem Bundesratsprinzip konzipiert. Auch hier bestanden also Vorbilder für den Parlamentarischen Rat.
Der Ursprung des sogenannten Senatsprinzips liegt in Amerika, weshalb die Amerikaner auch als Erfinder dieser Staatsform gelten und das amerikanische System das wichtigste Beispiel für einen senatorialen Föderalismus darstellt. Die amerikanische Bundesverfassung von 1787 sieht einen aus zwei Kammern bestehenden Kongreß vor, wobei die Länderkammer als Senat bezeichnet wird. In diesem Organ sind alle Gliedstaaten mit zwei Senatoren vertreten, unabhängig von ihrer Größe und Einwohnerzahl. Im Gegensatz zum geometrischen Prinzip des Bundesrates spricht man hier vom arithmetischen Prinzip. „Auf diese Weise wird die Gleichheit und damit Gleichberechtigung aller im Bundesstaat vereinigten Gliedstaaten -unabhängig von ihrer Größe - zum Ausdruck gebracht.“30 Die Amtszeit eines Senators beträgt sechs Jahre. Bei den alle zwei Jahre stattfindenden Wahlen wirdje ein Drittel der Sitze neu vergeben, also eine Teilerneuerung der Länderkammer vorgenommen.
Hinsichtlich der Ermittlung der Senatoren gibt es zwei verschiedene Methoden. Nach dem Inkrafttreten der amerikanischen Verfassung wurden die Senatoren zunächst in indirekter Wahl bestimmt. Das bedeutet, die Senatoren aus den Reihen der Länderparlamente zu wählen, beziehungsweise die Mitglieder der Landesparlamente entscheiden zu lassen, wer das Land repräsentieren soll.31 In der Praxis werden dabei in aller Regel informelle Absprachen getroffen, so daß die entsandten Senatoren die Sitzverteilung im Parlament widerspiegeln, indem den Fraktionen die Zahl ihrer Senatoren entsprechend ihrer Größe zugewiesen wird.32 Diese Regelung wurde allerdings zu Beginn des 20. Jahrhunderts geändert und seit 1913 werden die Senatoren nicht mehr von den Parlamenten, sondern direkt von der Bevölkerung gewählt.33 Die freiwerdenden Sitze werden in den entsprechenden Bundesstaaten zur Neuwahl ausgerufen, der Kandidat mit der Mehrheit der Stimmen wird Senator in Washington. Neben diesem Prinzip der reinen Volkswahl existiert eine besondere Variante, der Laufer/Münch aber durchaus einen eigenen Charakter attestieren. Sie besteht darin, daß die Senatoren nur durch gesellschaftlich relevante Gruppen wie Gewerkschaften, Kultur- und Sozialverbände und damit nur durch einen Teil des Wahlvolks gewählt werden könnten.34 Ein deutsches Beispiel für dieses sogenannte ständische Prinzip bietet der Bayerische Senat, der im Jahr 2000 abgeschafft wurde.35
Gemeinsam ist aber allen Senatssystemen, daß die Senatoren eine freie, nur ihrem Gewissen verpflichtete Entscheidung treffen. Ein imperatives Mandat wäre schon aufgrund technischer Schwierigkeiten, vor allem bei der Meinungsbildung, schlicht unmöglich. Im ersten Fall müßten sich alle Abgeordneten des Länderparlaments auf eine einheitliche Linie verständigen, was trotz aller Konzentration auf die Interessen des Landes aufgrund politischer Differenzen unrealistisch erscheint. Im zweiten Fall würde dies eine Einigung aller wahlberechtigten Einwohner des betreffenden Gliedstaats voraussetzen. Dann könnte auch gleich ein Referendum durchgeführt werden. Egal wie der jeweilige Senat aufgebaut ist, eine Instrumentierung des Repräsentanten wäre also ebenso aufwendig wie langwierig.
Ein weiteres wichtiges Merkmal des Senatsprinzips ist die Gleichberechtigung der beiden Kammern. Damit ist gemeint, daß sowohl das Parlament als auch das föderative Organ der Zweiten Kammer einem Gesetzentwurf mit der erforderlichen Mehrheit zustimmen müssen, um ihm Gültigkeit zu verschaffen. Dieses Vorgehen funktioniert allerdings nur, wenn eine gleichzeitige Mitgliedschaft in beiden Kammern per Gesetz ausgeschlossen ist, man nennt dies das Prinzip der Inkompatibilität. Dazu kommt auch sonst eine strikte Trennung der beiden Ebenen. Man nennt dies den dualen oder auch Trennföderalismus. Dabei sind Bundesstaat und Gliedstaaten mit eigener Legislative, eigener Verwaltung und eigenen Steuerquellen ausgestattet und somit weitgehend unabhängig.36
Auch die Schweiz nahm in Bezug auf die Länderkammer eine ähnliche Entwicklung wie die USA. Denn die schweizerische Bundesverfassung von 1848 sieht einen Ständerat als Länderkammer vor, der nach dem Senatsprinzip von den Kantonen beschickt wird.37 Jeder Kanton entsendet zwei Vertreter und Halbkantone einen, womit der Ständerat heute insgesamt 46 Sitze umfaßt.38 Und genau wie es ursprünglich in den Vereinigten Staaten der Fall war, ist die Frage der Bestimmung der Senatoren allein den Gliedstaaten vorbehalten. „Während in einzelnen Kantonen die Ständeräte noch bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts vom kantonalen Parlament gewählt wurden, erfolgt ihre Wahl heute ausschließlich durch direkte Volkswahlen.“39 Da die Kantone über die Wahl der Ständeräte bestimmen, gibt es auch keine festgelegte Amtsperiode. In den meisten Kantonen werden die Ständeräte allerdings zusammen mit den Nationalräten ebenfalls auf vier Jahre gewählt. In dieser kürzeren Amtsperiode der Landesvertreter und in der fehlenden Teilerneuerung besteht damit ein Unterschied zu den Vereinigten Staaten. Dafür ist auch in der Schweiz die Zustimmung beider Kammern zur Umsetzung von Gesetzgebungsvorhaben nötig, beide Kammern sind gleichberechtigt. Auch sind die Mitglieder beider Kammern in ihrer Entscheidung frei.
In den Jahren zwischen 1945 und 1948, nach Ende des Zweiten Weltkriegs und zu Beginn der verfassungspolitischen Diskussionen in Deutschland, boten sich damit in den föderalistischen Verfassungen der USA und der Schweiz zwei wichtige Beispiele für ein funktionierendes Senatssystem.40 Während die USA bereits zur Direktwahl übergegangen war, konnte die Schweiz als Beispiel für einen indirekt beschickten Senat dienen.
Doch auch in Deutschland hatte man bereits gewisse Erfahrungen mit einem Senat gemacht, an denen man sich orientieren konnte. Obwohl von sehr kurzer Dauer, so läßt sich doch ein historisches Beispiel für eine Mischform und damit auch für Senatselemente in der Bundesverfassung von 1849 finden.
Das Länderorgan des Frankfurter Paulskirchenparlaments war kein Senat im amerikanischen Sinne. Zwar sah die Verfassung die Errichtung eines Zweikammersystems unter Teilung des Reichstags in ein Oberhaus und ein Unterhaus vor. Aber im Gegensatz zu den USA sollte das Oberhaus „zur Hälfte durch die Regierung und zur Hälfte durch die Volksvertretung der betreffenden Staaten ernannt“ werden. In der Konstruktion des sogenannten Staatenhauses werden damit die spezifisch deutschen Gegebenheiten sichtbar: „Wenn der deutsche Nationalstaat, wie es die Mehrheit der Paulskirche wünschte, nicht gegen die deutschen Dynastien, sondern mit ihnen geschaffen werden sollte, dann mußte der deutsche Föderalismus notwendig stärker gouvernementale Züge tragen als der amerikanische.“41
Die Länderregierungen wurden also an der Bundesgesetzgebung beteiligt, um die Zustimmung und Kooperation der Herrscherhäuser zu gewinnen.
Auf der anderen Seite sollte dieses Zugeständnis den Weg zu einem echten parlamentarischen System freimachen. Den Beleg dafür liefern die Senatoren, die die andere Hälfte der Länderkammer besetzen sollten. Und dies wurde auch am beabsichtigten freien Mandat aller Parlamentsmitglieder deutlich. Diese Bestimmung zeigt, „daß das Staatenhaus ungeachtet des indirekten Modus der Bestellung seiner Mitglieder als eine parlamentarische Körperschaft im vollen Sinn des Wortes gedacht war, nicht als eine Mischung aus Senat und Bundesrat in der späteren Bedeutung dieses Begriffes.“42
Ein weiteres Senatsmerkmal dieses Entwurfs war die Gleichberechtigung des Oberhauses mit dem Parlament. Es sollte also eines übereinstimmenden Beschlusses beider Kammern bedürfen, um Gesetze zu verabschieden. Ebenfalls an den amerikanischen Senat erinnert die sechsjährige Amtsperiode der Mitglieder des Staatenhauses. Abweichend von den USA sollten sie allerdings alle drei Jahre zur Hälfte erneuert werden. Ungewöhnlich erscheint dagegen, daß die Bundesstaaten eine abgestufte Stimmenzahl im Staatenhaus erhielten. Demnach sollte Preußen mit 40 Stimmen die meisten, die kleinsten Territorien dagegen nur eine Stimme erhalten. Das geometrische Prinzip wurde also in recht scharfer Form zur Anwendung gebracht.
Letztlich scheiterte der Verfassungsentwurf der Frankfurter Nationalversammlung an der Ablehnung des preußischen Königs, die Krone des deutschen Erbkaisers anzunehmen. Der im Vergleich zur vorherigen Zeit geringe Einfluß, der den Regierungen in der Verfassung eingeräumt wurde, war sicherlich auch einer der Gründe für diese Ablehnung. „Ist die Verfassung somit auch kaum direkt wirksam geworden, so fanden sich doch wesentliche Elemente von ihr [...] in den späteren deutschen Verfassungen wieder.“43 Wenn man sich allein auf die Verfassungsberatungen konzentriert, dann stimmt diese Aussage auch für die Konstruktion der gemischten Zweiten Kammer.
Denn das Konzept der gemischten Zweiten Kammer sollte auch bei den folgenden Versuchen deutscher Verfassungsgebung stets erneut in die Diskussion eingebracht werden, so auch im Jahre 1919 während der Beratungen zur Weimarer Verfassung.
„Nach der Revolution von 1918 erinnerte man sich an das von der Frankfurter Nationalversammlung 1848 vorgesehene Staatenhaus als Zweite Kammer. [...] Aber die Revolutionsregierungen in Reich und Ländern wollten sich nicht um das Erbe der Fürsten bringen lassen. In Weimar setzten sie die Beibehaltung des Bundesrats prinzipiell durch.“44
Aber nicht nur in Weimar, auch bei der Beratung des Grundgesetzes spielte die Idee einer gemischten Zweiten Kammer wieder eine große Rolle, wie im Folgenden zu zeigen sein wird.
Eine der wichtigsten Präjudizierungen auf dem Weg zur Gründung der Bundesrepublik war das Eingestehen, daß eine gemeinsame Staatsgründung mit den Ländern der sowjetischen Besatzungszone zu diesem Zeitpunkt nicht möglich sei. Vor dieser Erkenntnis und den daraus zu ziehenden Konsequenzen schreckten die Parteien und Länderregierungen wegen deren Unpopularität in der Bevölkerung lange zurück.
„Das Dilemma der deutschen Seite bestand in dem unlösbaren Widerspruch zwischen dem Wunsch, die eigenen Befugnisse zu erweitern und der Furcht, durch die sich damit abzeichnende Teillösung der Deutschen Frage die schon vorhandene Spaltung Deutschlands zu vertiefen. Die Länderchefs, die keine Gewißheit über das Ausmaß ihrer Kompetenzen und über die letzten Ziele der Westmächte besaßen, wurden vor ihre schwerste Entscheidung gestellt.“45
Entsprechend dieser Furcht der Öffentlichkeit vor weitreichenden politischen Konsequenzen kam die eigentliche Initiative zur Weststaatsgründung von den Alliierten. Zwar war ihnen bewußt, daß die Teilung in vier Besatzungszonen keine dauerhafte Lösung bleiben konnte. Trotzdem erschien es andererseits nicht sinnvoll, den Neuaufbau Europas wegen der nicht zu realisierenden deutschen Einheit weiter hinauszuzögern.
Aus diesen Überlegungen resultierte die Einberufung der Sechsmächtekonferenz in London, die vom 23. Februar bis zum 6. März sowie vom 20. April bis zum 2. Juni 1948 tagte. Beteiligt waren die Außenminister der drei westlichen Alliierten sowie die Vertreter der drei Benelux-Staaten. Die Ergebnisse der Beratungen wurden als sogenannte Londoner Empfehlungen bezeichnet, die im Anschluß an die Konferenz in eine für alle Seiten akzeptable Textform gebracht wurden, die vier „Frankfurter Dokumente“. Adressaten der Dokumente waren die Ministerpräsidenten der Länder, die sich dadurch zu einer Institution aufgewertet sahen und sich fortan als Sprachrohr der Deutschen verstanden. Drei der vier Dokumente wurden den elf deutschen Ministerpräsidenten bei einem Treffen am 1. Juli durch die alliierten Militärgouverneure Clay, Koenig und Robertson übergeben. „Das geschah in einem förmlich-kalten ,Staatsakt’ im IG-Farben-Hochhaus in Frankfurt, dem Hauptquartier der amerikanischen Armee.“
Dokument I enthält den Auftrag zur Einberufung einer Konstituante, der bereits einleitend zitiert wurde. Das zweite Papier forderte von den Ministerpräsidenten, Vorschläge zu einer Neugliederung der Länder bzw. zu einer Revision der Ländergrenzen zu machen. Dokument III legt dar, welche Rechte die Alliierten während der Besatzungszeit in eigenen Händen zu behalten gedachten, es „skizzierte die Grundlinien eines künftigen deutschen Besatzungsstatuts. Es wurde von deutschen Politikern vielfach als ein ,zweites Versailles’ empfunden.“ Von Konrad Adenauer ist sogar die Äußerung überliefert, verglichen mit den Londoner Empfehlungen sei der Versailler Vertrag von 1919 „ein Rosenstrauß“ gewesen.
In mehreren Konferenzen berieten die Ministerpräsidenten über die Annahme der Londoner Empfehlungen. Auf einer ersten Konferenz auf dem Rittersturz bei Koblenz erarbeiteten sie Gegenvorschläge, was eine heftige Reaktion der Alliierten hervorrief. Die Deutschen hatten die Frankfurter Dokumente als Arbeitsgrundlage verstanden, während die Alliierten, insbesondere Frankreich, auf die Unverhandelbarkeit der Bedingungen pochten.46 Nach zwei weiteren Konferenzen auf dem Jagdschloß Niederwald jedoch konnten sich die Deutschen in den wichtigsten Streitpunkten durchsetzen: Das auszuarbeitende Dokument sollte nicht Verfassung, sondern Grundgesetz heißen. Demnach sollte auch keine Verfassunggebende Versammlung, sondern ein Parlamentarischer Rat einberufen werden. Und die Ratifizierung sollte nicht per Volksentscheid, sondern durch die Landtage erfolgen. Diese Maßnahmen sind vor dem Hintergrund zu sehen, daß die Ministerpräsidenten nicht gewillt waren, die Verantwortung für die Teilung Deutschlands zu übernehmen. Deshalb zielten alle etwas kleinlich anmutenden Maßnahmen darauf ab, das Provisorische an der neuen Ordnung zu betonen.
Da die Verfassungsberatungen nicht nach dem 1. September aufgenommen werden sollten, ging es auch abseits der komplexen Verhandlungen von Ministerpräsidenten und Alliierten im Sommer 1948 in politischem Sinne hektisch zu. Vor allem für die Parteien, denn für sie bedeutete die Übergabe der Frankfurter Dokumente den Startschuß zu umfangreichen Diskussionen verfassungspolitischer Konzeptionen, die es bis dahin kaum gegeben hatte.
In der Bevölkerung und der politischen Öffentlichkeit existierte eine große Bandbreite unterschiedlichster Erwartungen an die zukünftige deutsche Verfassung. Dies schlug sich naturgemäß auch im Parlamentarischen Rat in Bonn nieder. Dort „standen am 1. September 1948 verschiedenartige Verfassungskonzeptionen politischer Parteien und der hinter ihnen stehenden gesellschaftlich-politischen Kräfte einander gegenüber. [...] Aber schon die Entwicklung dieser Verfassungskonzeptionen selbst setzte die Herbeiführung eines Konsensus innerhalb der Parteien voraus.“47
Die Christlich-Demokratische und die Christlich-Soziale Union (CDU/CSU) begannen bereits im Sommer 1945, sich allgemein mit dem Thema einer zukünftigen deutschen Verfassung zu beschäftigen.48 Gehemmt wurde diese Arbeit durch den Umstand, daß die neuen christlichen Parteien bisher nur in den einzelnen Ländern organisiert waren, eine übergeordnete Struktur auf Zonen- oder Reichsebene gab es nicht. Dementsprechend war auch die Zusammenarbeit zwischen den beiden christlichen „Schwesterparteien“ CDU und CSU noch nicht eingespielt und etabliert. Eine erste überregionale Ebene der Zusammenarbeit der Union wurde mit der am 5./6. Februar 1947 in Königstein im Taunus gegründeten „Arbeitsgemeinschaft der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union Deutschlands“ geschaffen. „Jedoch war die Arbeitsgemeinschaft nur ein loser Dachverband der verschiedenen Unionsgruppen auf der Ebene der bestehenden Länder.“ Immerhin wurde bereits auf der Gründungstagung ein Verfassungsausschuß eingerichtet, der in den folgenden Monaten dreimal tagte.
Der erste umfassende Verfassungsentwurf der CDU/CSU stammt allerdings nicht von diesem Ausschuß, sondern findet sich in dem Mitte April 1948 vom „Ellwanger Freundeskreis“ in Bad Brückenau verabschiedeten sogenannten Ellwanger Verfassungsentwurf. Diese „Grundsätze für eine deutsche Bundesverfassung“, die eine „Bundesrepublik Deutschland“ anstrebten, sahen eine reine Bundesratslösung vor, also eine durch Regierungsvertreter besetzte Länderkammer.49 Allerdings sollte die Einwohnerzahl unberücksichtigt bleiben, denn jede Landesregierung sollte zwei weisungsgebundene Vertreter entsenden, die explizit an die Weisungen ihrer Landesregierung gebunden sein sollten. Die beiden Stimmen hätten allerdings einheitlich abgegeben werden müssen. Ein weiteres Merkmal bestand in der Gleichberechtigung beider Kammern: Gesetze benötigten den übereinstimmenden Beschluß von Bundestag und Bundesrat, bei verfassungsändernden Gesetzen sogar eine Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern. Weiterhin sah der Entwurf eine Beteiligung des Bundesrats an den Regierungs- und Verwaltungsgeschäften des Bundes vor, indem Ausführungsverordnungen, Bestimmungen über die Organisation von Bundesbehörden und allgemeine Anweisungen an die Länder die Zustimmung des Bundesrats benötigten. Der weitgehendste Vorschlag allerdings bezog sich auf das Parlament: So sollte der Bundespräsident den Bundestag auf Antrag des Bundesrats auflösen können, wenn „die politischen Verhältnisse ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten zwischen Bundesregierung und Bundestag unmöglich machen.“50 Außerdem sprach sich der Entwurf im erklärenden Teil gegen das ständische Prinzip, also eine Beteiligung von Vertretern der Wirtschaft oder des Kulturlebens, aus.51 Gegen die Kulturschaffenden spräche, daß die Kulturpolitik alleinige Sache der Länder sein solle, gegen Vertreter der Wirtschaft die schlechten Erfahrungen mit dem Reichswirtschaftsrat. Und gegen einen Senat, egal, ob direkt oder indirekt gewählt, spräche die Befürchtung, daß sich auch im Bundesrat Fraktionen bilden dürften und so die Länderinteressen durch die Parteiinteressen verdrängt würden.
In Reaktion auf diesen stark föderalistischen Entwurf des Ellwanger Kreises kam es zu einer Fortsetzung der Arbeit des Verfassungsausschusses, der seit einem Jahr nicht mehr getagt hatte. Der Ausschuß traf sich Ende Mai 1948 in Düsseldorf und endete laut Protokoll in weitgehender Übereinstimmung der Teilnehmer. Nur bei der Besetzung der Zweiten Kammer konnte keine Einigkeit erzielt werden. Denn die CDU der britischen Zone lehnte die Ellwanger Beschlüsse in einem entscheidenden Punkt ab: „Danach sollten der zweiten Kammer neben Vertretern der Regierungen auch indirekt gewählte Abgeordnete der einzelnen Landtage angehören und so die Stellung der Länder gemindert werden.“52 Dieses Anliegen war auch erfolgreich, denn eine Mehrheit des Ausschusses sprach sich letztlich für eine gemischte Zweite Kammer aus. Eine Minderheit, vornehmlich die Teilnehmer aus Bayern und aus der französischen Zone, befürwortete den reinen Bundesrat.
An dieser Konstellation zeigen sich bereits die Fronten, die auch im weiteren Verlauf der Verhandlungen bestehen blieben. Während die süd- und südwestdeutschen Unionsvertreter einen Bundesrat favorisierten, kämpften die west- und norddeutschen Christdemokraten für einen Senat, mindestens aber für eine gemischte Zweite Kammer, die je zur Hälfte aus von den Landtagen gewählten und von den Landesregierungen bestellten Mitgliedern bestehen sollte. Aus diesem Grund kam es auch weder zur Annahme der Ellwanger Beschlüsse als verbindlichem Verfassungsentwurf noch zu der angekündigten Neufassung für die gesamte Arbeitsgemeinschaft aus CDU und CSU. Das wirkte sich auch auf die Arbeit im Parlamentarischen Rat aus, denn „die CDU/CSU-Ratsfraktion besaß also keine von allen ihren Mitgliedern akzeptierte Verfassungskonzeption.“53 Freundlicher bewertet Feldkamp diesen Vorgang, wonach sich die Union „nicht zu früh festlegen [wollte], um offen zu sein bei der späteren Suche nach mehrheitsfähigen Kompromissen.“54
In Bezug auf den Staatsaufbau war die Haltung der Sozialdemokratischen Partei (SPD) „durch die traditionelle Befürwortung eines zentralen Einheitsstaates einerseits und die negativen Erfahrungen mit dem zentralistischen Staat des Nationalsozialismus andererseits geprägt.“ Diese Erfahrungen führten nach dem Krieg zu einer Neuorientierung, die ergab, daß der zu gestaltende westdeutsche Staat ein Bundesstaat sein müsse. Diese Einsicht bedeutet allerdings nicht, daß damit auch ein Gesamtkonzept existiert hätte, wie dieser Bundesstaat aussehen sollte. Im Gegenteil scheinen Detailfragen wie Aufbau, Stellung und Kompetenz der Zweiten Kammer für die SPD keine herausragende Bedeutung gehabt zu haben. „Innerparteilich - sowohl auf den Parteitagen 1946-1948 als auch in der SPDgeprägten Publizistik - gab es abgesehen von wenig grundsätzlichen Randerscheinungen keine Kontroversen in dieser Frage.“55 Von Interesse war lediglich das Problem der effektiven Gestaltung des Föderalismus, bei dem es einen Mittelweg zwischen dem zentralistischen Kommandostaat der Nationalsozialisten einerseits und einem ineffektiven Staatenbund andererseits zu finden galt.56 Ein weiterer Grund für die Verspätung war, daß die SPD bis 1948 der von Carlo Schmid formulierten Provisoriumstheorie anhing, nach der in Deutschland wegen fehlender Souveränität und fehlender staatlicher Einheit nur ein Staatsfragment organisiert werden könne.57
[...]
1 Der Parl. Rat 1, S. 31.
2 Als Mischkonzeptionen oder Kompromißlösungen sollen alle Vorschläge gelten, die eine Besetzung der Länderkammer sowohl mit gewählten, unabhängigen Senatoren als auch mit bestellten, weisungsgebundenen Regierungsvertretern vorsehen.
3 Ob der deutsche Bundesrat tatsächlich eine Zweite Kammer ist, ist umstritten; vgl. 2.1 Das Bundesratsprinzip, S. 10ff. Trotzdem soll in dieser Arbeit diese Bezeichnung verwendet werden, zum einen der sprachlichen Gewohnheit folgend, zum anderen, da der Bundesrat auch in den Quellen oft undifferenziert als Zweite Kammer bezeichnet wird.
4 Für solche Dokumente vgl. Benz 1979, Oberreuter 1987, Bucher 1990 sowie Ruhl 1982, S. 162ff.
5 Zu den im Parlamentarischen Rat vertretenen Parteien und der Zahl ihrer Abgeordneten siehe 4.1 Zusammensetzung und organisatorischer Aufbau, S. 34f.
6 Anders formuliert werden vorrangig die Gegenstände behandelt, die im Entwurf von Herrenchiemsee in den Kapiteln V (Bundesrat/Senat) und IX (Gesetzgebung) stehen. Kapitel X (Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung) wird gestreift, nicht behandelt wird Kapitel XI (Das Finanzwesen); vgl. den Entwurf von Herrenchiemsee in Der Parl. Rat 2, S. 579ff.
7 Vgl. Deutscher Bundestag, Parlamentsarchiv, Bestand 2004, Nr. 101 - 109. Eine vollständige Liste der verwendeten Bestandsnummern findet sich im Anhang. Zitiert als Parlamentsarchiv, Nr. [Archivgutnummer].
8 Vgl. Der Parl. Rat 7.
9 Vgl. Parlamentarischer Rat 1948/49.
10 Laut persönlicher Auskunft von Michael F. Feldkamp.
11 Vgl. Salzmann 1981.
12 Weber 1996, S. 354.
13 Vgl. Kielmansegg 1989 S. 43. Umstritten ist allerdings, wie weit die direkten Vorläufer des heutigen Bundesrats zurückreichen; vgl. dazu 2.1.1 Vorläufer des Bundesrats, S. 14ff.
14 Kielmansegg 1989, S. 43. Hervorhebung im Original.
15 Vgl. Art. 51 GG in Bundeszentrale für politische Bildung 2002, S. 34. Durch das Erfordernis absoluter Mehrheiten wirken Enthaltungen dabei faktisch wie Nein-Stimmen; vgl. Sturm 2003, S. 24.
16 Dazu zählen Immunität, Indemnität und das Zeugnisverweigerungsrecht; vgl. dazu Anm. 139ff., S.31.
17 Stern 1984, S. 744.
18 Für eine Auflistung der Länder und ihrer jeweiligen Stimmenanzahl vgl. Laufer/Münch 1997, S. 82.
19 Reuter 1996, S. 92.
20 Laufer/Münch 1997, S. 109.
21 Eine Gleichberechtigung beider Kammern des Parlaments bedeutet einen größeren Einfluß der Länder, da beide Kammern einem Gesetzentwurf zustimmen müssen, um ihn in Kraft zu setzen.
22 Pfitzer 1994, S. 55.
23 Ebd., S. 57.
24 Vgl. Art. 77 Abs. 4 GG in Bundeszentrale für politische Bildung 2002, S. 48. Als Quorum wird die Mindestanzahl bzw. der Mindestprozentsatz von Stimmen bezeichnet, die/der nötig ist, um eine Abstimmung, Wahl oder einen Beschluß für gültig erklären zu können; vgl. Lenz/Ruchlak 2001, S. 180.
25 Das vollständige Dokument findet sich bei Sautter 2004, S. 1ff.
26 Der Begriff Kurie wurde ursprünglich im alten Rom verwendet, wo er einen Teil der Bürgerschaft bezeichnete. Deshalb wird die Teilkörperschaft einer Kammer auch heute noch als Kurie bezeichnet.
27 Preußen führte neben den eigenen die Stimmen von Hannover, Kurhessen, Holstein, Nassau und Frankfurt; vgl. ebd., S. 102f.
28 Vgl. ebd., S. 120ff. Auch diese Abweichung wurde nicht mit dem geometrischen Prinzip, also der stark voneinander abweichenden Bevölkerungszahl der Mitglieder begründet, sondern weiterhin mit den Vereinbarungen des Deutschen Bundes und den seither „übernommenen“ Stimmen; vgl. ebd., S 124.
29 Sautter 2004, S. 158. Das vollständige Dokument findet sich ebd., S. 145ff.
30 Laufer/Münch 1997, S. 108.
31 Diese Methode wird heute noch in Österreich angewandt; vgl. Fischer 1992, S. 115.
32 Diese Praxis ist zugleich einer der wichtigsten Kritikpunkte am Senatsprinzip; vgl. 5.2 Senatsprinzip, S. 46ff.
33 Die Verfassung wurde durch das 17. Amendment ergänzt; vgl. Baker 1988, S. 213.
34 Vgl. Laufer/Münch 1997, S. 108.
35 Der Bayerische Senat mit 60 Mitgliedern sollte die sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und gemeindlichen Körperschaften repräsentieren. Seine Funktionen bestanden aus einer Mischung von parlamentarischen Rechten, u.a. dem Gesetzesinitiativrecht, und Beratungsfunktionen; vgl. Schenkendorff, Max v.: Der Bayerische Senat, Diss. Jur. Tübingen 1984.
36 Vgl. Falke 1990, S. 355.
37 Zum Folgenden vgl. Häfelin/Haller 2005, S. 436ff.
38 Die Schweiz besteht aus 20 Voll- und 6 Halbkantonen. Die Halbkantone gingen historisch aus der Spaltung von Vollkantonen hervor; vgl. Klötiu.a. 1999, S. 396.
39 Ebd., S. 85.
40 Vgl. Wilms 1999, S. 152. Für die entsprechenden Passagen der beiden Verfassungen sowie einen Verweis auf französisches Rechtvgl. ebd., S. 108f.
41 Kielmansegg 1989, S. 44.
42 Kielmansegg 1989, S. 45.
43 Sautter 2004, S. 48.
44 Eschenburg/Benz 1983, S. 493. Für ein Beispiel für die damalige lebhafte Debatte um die Form der Länderkammervgl. Anschütz 1990.
45 Morsey 1999, S. 38.
46 Vgl. Feldkamp 1998, S. 22f.
47 Sörgel 1985, S. 55 f. Hervorhebung im Original.
48 Zum Folgenden vgl. Ley 1978.
49 Das komplette Dokument findet sich in Parlamentsarchiv, Nr. 62 sowie bei Benz 1979, S. 333ff.
50 Benz 1979, S. 336.
51 Unter dem ständischen Prinzip verstand man die Beteiligung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen an der Gesetzgebung des Bundes, indem ihnen Mitsprache über die Zweite Kammer eingeräumt wurde; vgl. 7.5 Zusammenfassung und Vergleich, S. 75ff.
52 Morsey 1979, S. 24.
53 Salzmann 1981, S. XXX. Trotzdem wurden die Ellwanger Beschlüsse als Arbeitsgrundlage in den Parl. Rat eingebracht und als Drs. 74 veröffentlicht, die Ergebnisse des Verfassungsausschusses allerdings nicht.
54 Feldkamp 1998, S. 32.
55 Altendorf 1979, S. 412.
56 Ebd.
57 Vgl. Antoni 1992, S. 36ff.
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