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Seminararbeit, 2009
15 Seiten
1. Einleitung
2. Die NATO nach dem Kalten Krieg
3. Gegenwärtiger Stand der ESVP
3.1 Ziele und Strategien
3.2 Fähigkeiten
4. Unterschiedliche europäische Interessen
5. Zusammenarbeit zwischen NATO und ESVP
6. Fazit/Ausblick
Literaturverzeichnis
Robert Kagan spricht in seinem Aufsatz „Of Paradise and Power“ davon, dass sich Europa im Gegensatz zu den USA von der Macht abwendet und in eine geschlossene Welt von Gesetzen eintritt.1 Gewiss ist festzustellen, dass die USA in Verfolgung ihrer Interessen offensiver auftreten und auch den Einsatz ihrer militärischen Fähigkeiten als „ultima ratio“ nicht scheuen. Die EU als Gemeinschaft von 27 Nationalstaaten besitzt zwar über eine gemeinsame Europäische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik (ESVP) und einer gemeinsamen Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS), dennoch scheint sie als „global player“ zumindest im militärischen Bereich nicht zu existieren. 21 der 27 EU-Länder sind jedoch auch Mitglieder der NATO und damit in einem von den USA angeführten Militärbündnis. Im Zuge des Kalten Krieges hatte dies für die Europäer v.a. den Vorteil des Schutzes vor der Sowjetunion. Diese Gefahr existiert nicht mehr. Die NATO geriet dadurch in eine Identitätskrise. Durch das Engagement im Irak, an dem die USA nicht auf das Militärbündnis als Ganzes zurückgriffen, sondern auf eine Koalition der Willigen setzten, scheint die Organisation an Relevanz verloren zu haben. Gleichzeitig fand und findet eine dynamische Entwicklung der ESVP statt. Es stellt sich die Frage, ob die europäischen Staaten in der Durchsetzung ihrer (nationalen) Interessen mehr auf Autonomie setzen und somit sich von der NATO entfremden. Damit verbunden ist die Annahme, dass die USA als Anführer des Militärbündnisses und Europa andere Interessen verfolgen, anderen Gefahren gegenüberstehen.
Die zentrale Frage dieser Arbeit lautet daher, ob die ESVP auf dem Weg zu einer Konkurrenz der NATO ist. Spezifischer werden dabei die Fähigkeiten im militärischen Konfliktmanagement untersucht. Es soll auch geklärt werden, ob die EU eine eigenständige Militärmacht ist. Unter Militärmacht wird dabei verstanden, dass sie ihre Interessen auch im Bedarfsfall mit militärischen Mitteln erreichen kann.2 Dabei soll zunächst im Kapitel 2 die Entwicklung der NATO nach dem Ende des Kalten Krieges skizziert werden. Es wird auch auf die transatlantischen Differenzen im Bezug auf den Irak-Krieg eingegangen und somit Gründe für eine eigenständige europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik aufgezeigt werden. Anschließend wird im Kapitel 3 der gegenwärtige Stand der ESVP skizziert. Dabei werden die Ziele und Strategien der Union ebenso behandelt wie die das mögliche Fehlen militärischer Fähigkeiten. Aufbauend auf die Klärung der Frage, ob die EU als eigenständiger Militärmacht existiert sollen weiters die Unterschiede innerhalb der europäischen Staaten aufgezeigt werden. Anhand der drei „Großmächte“ Großbritannien, Frankreich und Deutschland wird untersucht, ob diese Länder zur Durchsetzung ihrer Interessen eher auf die NATO (als Junior-Partner der USA) oder auf die ESVP setzen. Anhand der darin gezeigten unterschiedlichen Haltungen der Europäer soll im Kapitel 5 die gegenwärtige Zusammenarbeit zwischen NATO und ESVP untersucht werden. Ist diese ausreichend, um die europäischen Ziele zu erreichen? Abschließend soll ein Ausblick auf die Präsidentschaft Barack Obamas und einem möglichen Wandel der amerikanischen Außenpolitik gewagt werden.
Die NATO wurde 1949 im Zuge des startenden Kalten Krieges gegründet. Die Organisation sollte den amerikanischen Einfluss in Europa bewahren und v.a. die westeuropäischen Staaten vor der Sowjetunion und einer möglichen kommunistischen Invasion schützen. Die Organisation besitzt eine Beistandspflicht, es ist daher ein Bündnis mit kollektiver Verteidigung. Die Strategie davor beruhte großteils auf deterrence, also Abschreckung. Ein Angriff der Sowjetunion auf ein NATO-Mitgliedsland hätte unmittelbar zu einem amerikanischen Gegenanschlag geführt. Das Einsatzgebiet des Militärbündnisses war daraus folgend Europa. Durch das Ende des Kalten Krieges stand die NATO daher vor einer Krise.3 Durch das Zusammenbrechen der Sowjetunion und des Warschauer Paktes hatte man seinen Gegner verloren, das Gebiet ihres Handels, Europa, war territorial nicht mehr bedroht. Das Bündnis blieb dennoch bestehen. Die Entwicklung seit 1991 zeigt v.a. eine Ausweitung des Handlungsgebietes. Es werden Krisen auch außerhalb Europas, so genannte Out of Area Einsätze behandelt. Dabei ist zuerst der Afghanistaneinsatz gegen das Taliban-Regime und Al-Kaida zu erwähnen. Dadurch wird deutlich, dass die westlichen Staaten neuen Gefahren wie Terrorismus gegenüberstehen. Während der Präsidentschaft George W. Bushs lässt sich v.a. durch den Irak-Krieg die Tendenz der USA beobachten, militärische Aktionen auch ohne die NATO als Ganzes durchzuführen. Ob das Bündnis damit an Legitimation verliert, bleibt umstritten.
Eine weitere Entwicklung des Militärbündnisses ist die Aufnahme neuer Mitglieder. Im Zuge der NATO-Osterweiterung wurden 11 osteuropäische Länder in die Allianz aufgenommen. Darunter, mit den baltischen Staaten, Gebiete der ehemaligen Sowjetunion und frühere Mitglieder des Warschauer Paktes. Ziel war es ein „Europe whole and free“4 zu schaffen. Diese Osterweiterung umfasst damit auch sämtliche Staaten der EU-Osterweiterung, ausgenommen Malta und Zypern. Der Anteil der EU-Staaten, die gleichzeitig Mitglieder der NATO sind, stieg. Dadurch erschwert sich der Aufbau einer gemeinsamen, autonomen europäischen Sicherheitspolitik.
Eine weitere wichtige Entwicklung des Bündnisses ist der Aufbau von zivilen Mitteln des Konfliktsmanagements. Die Gefahren des 21. Jahrhunderts (Terrorismus, failed states) sind nicht mehr mit einer Strategie der Abschreckung abzuwehren. Es ist unumgänglich politische und zivile Lösungen zu suchen. Deshalb ist man in der NATO bemüht, diese Fähigkeiten aufzubauen. Ein Überlappen mit der Stärke der Zivilmacht EU ist daher festzustellen. Zusammenfassend kann man jedoch feststellen, dass das atlantische Militärbündnis für die europäischen Mitglieder nicht mehr den Schutz ihrer Territorien sicherstellt; die Gefahr aus Moskau existiert schlichtweg nicht mehr. Die Tendenz der USA, auf eine Koalition der Willigen zu setzten lässt sich rational durchwegs erklären. Einige NATO-Mitglieder wie Deutschland waren gegen einen Einsatz im Irak. Der entscheidende Punkt dürfte jedoch sein, dass die Europäer der NATO zu wenig bieten können. Die Militärausgaben der europäischen Staaten sind weit unter jenen Amerikas5. Die USA sind fähig, militärische Aktionen alleine auszuführen. Eine europäische Beteiligung würde auch europäischen Einfluss bei einer Aktion bedeuten. Ohne einen Ausbau der Militärs sinkt daher auch der Grad an Umsetzung europäischer Interessen durch die NATO. Wer keine Leistung bringt, entscheidet auch nichts. Es besteht deshalb das Ziel der Stärkung eines europäischen Blocks innerhalb des Bündnisses, an dem v.a. Großbritannien interessiert ist. Um bei der Entscheidungsfindung, hierbei v.a. welche Aktionen durchgeführt werden, größeren Einfluss zu gewinnen, setzt die Blair- Regierung auf eine stärkere ESVP und den Ausbau dieser.6
Wie schon zuvor erwähnt, war mit dem Zerfall der Sowjetunion die einzige territoriale Gefahr für Westeuropa weggefallen. Neue Gefahren wie Transnationaler Terrorismus, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und Folgen von Staatszerfall, sind zwar existent und werden auch wahrgenommen, sind jedoch nicht unmittelbar spürbar und daher den Bürgern schwerer vermittelbar.7 Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden die Militärausgaben gekürzt; Europa verabschiedete sich von der Macht. Erst der Balkankonflikt und insbesondere der Kosovo-Krieg „offenbarte die militärische Unfähigkeit und politische Konfusion Europas.“8 Die EU-Staaten waren nicht in der Lage einen Konflikt in ihrer unmittelbaren Umgebung ohne amerikanischen Hilfe zu lösen. Dieses Versagen war der Startpunkt einer gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.9
Der Aufbau der ESVP wurde auf dem Europäischen Rat in Köln 1999 eingeleitet und ist seit dem Vertrag von Nizza Teil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Union. Sie gehört damit der intergovermentalen Zweiten Säule der EU an, die Entscheidungen werden daher von den nationalen Regierungen im Rat gefällt. Die Aufgaben der ESVP sind zum einem die Erfüllung der Petersberg-Aufgaben. Diese wurden 1992 von der Westeuropäischen Union erklärt und sind Gegenstand der ESVP und im Vertrag von Nizza 2000 in die vertraglichen Grundlagen der EU aufgenommen:
- Humanitäre Aktionen und Rettungseinsätze
- Friedenserhaltende Maßnahmen
- Kampfeinsätze für das Krisenmanagement einschließlich Maßnahmen zur
Wiederherstellung des Friedens
In der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) aus dem Jahre 2003 wurde ein Konzept für die Gemeinsame Politik formuliert. Darin stellt man fest, dass Europa Bedrohungen ausgesetzt ist. Diese sind Terrorismus, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Regionale Konflikte, die Folgen von Staatszerfall und Organisierte Kriminalität.
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1 Vgl. Kagan, Macht, 2002, S.1194.
2 Es ist unbestritten, dass die EU über Fähigkeiten im zivilen Konfliktmanagement und damit v.a. in der primären und tertiären Konfliktprävention tätig ist. Zivile Mittel werden hierbei jedoch nur als Ergänzung zu militärischen Fähigkeiten gesehen. Um als Konkurrenz zur NATO auftreten zu können, braucht es eben diese militärischen Fähigkeiten.
3 Vgl. Wiesmann, Letzte Chance der NATO, 2003, S.7.
4 President George Bush sen. 1989, zitiert nach: Keller, Future of NATO, 2007, S. 208.
5 Vgl. CIA World Factbook. Ausgaben 2005 USA 4,06% des BIP, UK 2,4%, Frankreich 2,6%, Deutschland 1,5%.
6 Vgl. Kirchner, ESVP und NATO, 2004, S.141.
7 Vgl. Kestermann, Karsten, ESVP Konkurrent zur NATO,2006, S.11.
8 Kagan, Macht und Schwäche,2002, S.1197.
9 Vorläufer wie die WEU sollen nicht vernachlässigt werden. Dennoch bedeutet die Schaffung der ESVP einen tiefen Einschnitt in der Intensität der Gemeinsamen Sicherheitspolitik.