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Bachelorarbeit, 2010
41 Seiten, Note: 1,7
1 Einleitung
1.1 Aufgabenstellung
1.2 Zielsetzung der Arbeit
1.3 Vorgehensweise
2 Intention des Werkes
2.1 Die Notwendigkeit eines Gottesbeweises
2.2 Annäherung oder Beweis
2.3 Die Rezipienten
2.4 Methodik
3 Die fünf Wege
3.1 Über die Bewegung
3.2 Kontingenz
3.3 Kausalbeweis
3.3.1 Beweisgang
3.3.2 Zweifel an der Kausalität
3.3.3 Die Welt ohne Ursache
3.4 Über die Stufen der Vollkommenheit
3.5 Teleologie
3.5.1 Beweisgang
3.5.2 Über die Unwahrscheinlichkeit, dass es etwas gibt
3.5.3 Über die drei großen Ordnungen
3.5.4 Ein recht-verstandener Evolutions-Glaube
3.5.5 Ein neuer Raum für Gott
3.5.6 Planlosigkeit
3.5.7 Schöpfung ohne telos
4 Der Weg zum Gott der Christen
5 Fazit: Konsequenzen aus richtiger Kosmologie und falscher Teleologie
Literaturverzeichnis
Die fünf Wege (quinque viae) in der ‚Summa contra Gentiles‘ sowie in der ‚Summa theologica‘ des Thomas von Aquin stellen das dar, was wahrhaft als Klassiker der Gottesbeweise bezeichnet werden kann. Obgleich keiner der fünf Wege originäre Gedanken Thomas‘ sind, stellen sie aufgrund ihrer Homogenität und Akribie ein wichtiges Fundament des rationalen Glaubens für die christlichen Kirchen dar. Seit die fünf Wege vor über 750 Jahren verfasst wurden, hat sich die Rezeption und Kritik einer enormen evolutionären Wandlung unterworfen - zwangläufig nach den vorherrschenden Erkenntnissen der Zeit. So ist die Frage zu stellen, ob überhaupt eine aufrechte Diskussionsgrundlage gegeben ist, wenn der Aquinat heutzutage mit moderner Kosmologie, mit neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen konfrontiert wird. Doch Thomas selbst hat uns die Überzeugung mitgeteilt, dass die menschliche Ratio nicht in einen Widerspruch mit dem Glauben geraten könne.1 Daran will er seine Beweise gemessen wissen und daran werden wir sie messen. Die fortgeschrittene Erkenntnismöglichkeit ist im Gegenteil ein herrlicher Probierstein für die Evidenz der Thomasischen Überlegungen.
Diese Bachelorarbeit wird die fünf Wege der Gottesannäherung untersuchen und überprüfen. Aufgrund der langen Wirkungsgeschichte und der fundamentalen Wichtigkeit der fünf Wege haben Kommentatoren sich in mannigfaltiger Ausführung mit den Beweisen beschäftigt. Die Vielzahl dieser Abwägungen, besonders die formallogischen in Syllogismen verfassten Beweisgänge darzustellen und ein komplettes Bild der vergangenen oder gegenwärtigen Diskussion zu bieten, ist diesem Versuch nicht angemessen. Obgleich die Beurteilung der Beweisstärke die Hauptaufgabe bleibt, so wird der Fokus doch auf gewisse Teilbereiche gerichtet werden. Speziell wird der Bereich, der gerne so lapidar als ‚moderne Kosmologie‘ bezeichnet und deformiert wird, einen großen Stellenwert einnehmen. Die Arbeit wird keine physikalische Abhandlung, jedoch sollen angesprochene Entwicklungsfortschritte der physikalischen Erkenntnis thematisiert werden. Gerade weil bekanntermaßen in diesen kosmologischen Grenzbereichen selbst aufrechte Physiker die Frage nach Gott stellen, soll hier eine modern/mittelalterliche Engführung erfolgen.
Auch wird der fünfte Weg, der den Beweis über eine teleologische Zwecknotwendigkeit begründen möchte, einer genauen Untersuchung unterzogen, was von vielen Autoren verpasst wurde, da dies der schwächste Beweis zu sein scheint.
Beim Studium der Sekundärliteratur über Thomas ist alsbald unverkennbar, dass die Position der jeweiligen Autoren, theistisch oder atheistisch, meist sehr unzweideutig offenkundig wird. Thomas von Aquins Argumentationen werden gegenwärtig im Kampf der Religionsverfechter mit den Religionskritikern zum Schlachtfeld degradiert, dem die schon feststehende Meinung der Autoren aufgezwungen wird. Dies wird eine philosophische Untersuchung. Da die aufgestellten Argumente von Thomas einer These gleichen, welche nun die Herausforderung zur Gegenthese in sich trägt, ist eine kritische Prüfung und somit Versuch zur Widerlegung gleichwohl verpflichtend. Jedoch wird eine Bestätigung der These oder eine harmonische Synthese nicht ausgeschlossen.
Um die Intention der Thomasischen Beweise besser nachvollziehen zu können, wird zunächst eine kurze Untersuchung der ‚Summa contra Gentiles‘ vorgenommen. Diskutiert werden die Notwendigkeit eines Gottesbeweises überhaupt, die Methodik sowie die Frage, ob es sich im eigentlichen Sinne um Beweise, demonstratio, handelt. Die Arbeit wendet sich dann den Gottesbeweisen im Einzelnen zu. Hierbei wird jeweils eine kurze Skizze von Thomas’ Argument gegeben, welches daraufhin untersucht wird. Nachdem diese Beweise erörtert wurden, bleibt noch die Frage zu beantworten, wie Thomas von seinem bewiesenen Gott auf den christlichen schließen kann. Die Arbeit endet mit einem Fazit.
Eine der ältesten Streitpunkte, seitdem Religionen auf die Wissenschaft trafen, ergibt sich aus dem Verhältnis von Glauben und Vernunft. Lässt sich ein Glaube mit Vernunft rechtfertigen oder steht diese dem credo im Wege? Die zweite Position lässt sich mit der Aussage „Credo, quia absurdum est“ subsummieren: „Ich glaube, weil es unvernünftig ist.“
Die fünf Wege des Thomas von Aquin in der Summa contra Gentiles: Eine ausgewählte Betrachtung Es wird nicht versucht den Widerspruch zwischen Glauben und Vernunft in Einklang zu bringen, während jene andere Position diesen Widerspruch aufheben möchte. Eine Engführung von Religion und Vernunft kann möglich sein. Nun ist diese Auffassung gleichwohl der Nährboden, warum überhaupt nach Gottesbeweisen gesucht wurde. In einem Dogma, dass Vernunft aus der Religion ausschließt, können keine wissenschaftlichen oder gar nur diesseitigen Maßstäbe zur Überprüfung angesetzt werden. Sollte die Vernunft mit dem Glauben konvergieren, so kann sich in einem zweiten Schritte die Überlegung anschließen, dass selbst ein Beweis von Gott möglich ist.
Warum jedoch überhaupt die Anstrengung auf sich nehmen, um einen Gott zu beweisen, der sich für jeden gläubigen Christen faktisch in der Bibel offenbart hat? Zu dem jeder Gläubige eine eigene ‚Beziehung‘ spürt? Nun ist es so, dass die bloße Existenz von Glauben noch keinen notwendigen Grund für den Beweis Gottes darstellt. Natürlich hat der faktisch existente Glaube an Gott einen Grund. Er ist tröstend, befreiend, bietet Geborgenheit, kurz: Er hat eine Funktion, bringt eventuell gar einen Überlebensvorteil für den Gläubigen mit sich und kann sich damit sozial evolutionieren und ausbreiten.2 Doch hat all dies nichts mit einem realen Gott zu tun.3
Selbst wenn der Gläubige eine ‚persönliche Beziehung‘ zu Gott fühlt, so ist der Beweis von Gottes Existenz notwendig, da sonst eine persönliche Beziehung zu einem Phantom aufgebaut werden könnte. Der Gläubige sollte sich nicht nur der Bindung gewiss sein, die er fühlt, sondern auch seinem Gegenüber. In einer Beziehung Mensch-Gott bedarf es also nicht nur des Menschen, sondern auch des Gottes. Der Glaube an ein imaginäres Alpha-Männchen4 entbehrt sonst jeglicher Grundlage. Der Aquinat will sich seinem Gegenüber sicher sein und ihn deshalb beweisen.
Natürlich möchte ich an dieser Stelle kurz Pascals Wette in Erinnerung rufen. Darin lässt Blaise Pascal einen Atheisten mit einem Theisten um die Existenz Gottes und das Leben nach dem Tod diskutieren. Wenn es Gott gäbe, dann gewinnt der Theist seine Wette und der Atheist bekommt zudem noch die Strafe Gottes zu spüren. Gibt es Gott nicht, dann gewinnt der Atheist die Wette zwar, aber dies nützt ihm gleichwohl nichts, da beide tot sind. Aber nicht nur das: Selbst wenn es Gott nicht gibt, so hat der Gläubige dennoch ein Leben geführt, dass mit Vorfreude auf das ewige Leben ausgefüllt war. Seinen Irrtum wird er nie erfahren. Der Theist ist immer im Vorteil.
Und dennoch gibt es im Theismus das Bedürfnis, den Glauben zu hinterfragen und zu überprüfen, zu dem sie meist nicht durch Argumente, sondern durch Erziehung gelangt sind.5 In einer Zeit, in der das „credo, quia absurdum“ vorherrschte, ist es allerdings eine großartige Leistung, dass Glaube sich auf den Prüfstein der wissenschaftlichen Logik begibt. Eine Wissenschaft, die das vermeintliche ‚Wissen‘ immer wieder neu überholen muss, die sich selbst immer verwirft und zum Widerspruch herausfordert, trifft auf die Dogmen der Religion, die an sich statisch sind. Dieser Versuch von Thomas ist respektabel und vor allem: Notwendig.
Der Zweiklang von Logik und Empirie hat sich als wirkungsvolles Instrument herausgestellt, wie Wissen über die Natur erlangt werden kann. Die Wissenschaft ist sich ihrer eigenen Schwäche bewusst und fordert die uns geradezu auf, neue Theorien zu liefern, welche die alten ad absurdum führen. Gottglaube ist zunächst buchstäblich ‚Glauben‘, dennoch sollte der Menschenverstand zur Überprüfung heranzogen werden.6 John Locke forderte die Offenbarung Gottes mit Vernunft zu überprüfen:
„Die Vernunft muss unser oberster Richter und Führer in allen Dingen sein.“7
Aus diesem Grund verwundert es auch nicht, dass bis heute versucht wird die Existenz Gottes zu beweisen. Thomas von Aquin formuliert:
„[So ist] die Betrachtung vorauszuschicken, durch die bewiesen wird, daß Gott ist. Ist dies nicht gegeben, so wird mit Notwendigkeit jede Betrachtung über die göttlichen Dinge aufgehoben.“8
Viele Umschreibungen sind schon für Thomas‘ Versuche genannt worden: Handelt es sich um Wege? Um Annäherungen? Oder doch um Beweise? Wenn wir uns ansehen, was Thomas mit seinen fünf Wegen zu Gott bezwecken wollte, nämlich den Aufweis Gottes gegenüber Nichtgläubigen, dann kann es nur eine Antwort geben. Entgegen der Umschreibungen der fünf Wege als ‚Annäherung‘ macht Thomas deutlich, dass er Gott beweisen möchte.9 Es handelt sich um eine demonstratio, welche geführt wird ohne auf metaphysische Hilfsmittel, wie die Bibel, zu rekurrieren.
Genau das ist der entscheidende Unterschied von Thomas im Vergleich zu anderen Gottesbeweisen, die sich, wenn sie sich auf die Bibel beziehen, eines Zirkelschlusses schuldig machen.
Thomas geht den Weg der Wissenschaft und folgt somit den anerkannten wissenschaftlichen Regeln, wie Verifizierbarkeit. Nach Karl Popper ist die Verifikation keine Methode die zur gewissen Erkenntnis führt (denn selbst, wenn ich bisher nur schwarze Raben gesehen habe, so könnte doch irgendwo ein weißer Rabe existieren), doch stellt es die einzige Möglichkeit dar, mit einer Theorie zu arbeiten, bis diese sich als falsch herausstellt. Unter diesem Gesichtspunkt ist es nicht nur legitim sich Thomas‘ Theorien mit modernen Methoden zu nähern, sondern wir werden geradezu aufgefordert. Sein Beweis ist nämlich so lange gültig, bis ihn jemand ad absurdum führt.
Welche Rezipienten hatte Thomas im Sinne als er die ‚Summa contra Gentiles‘ niederschrieb? An wen wollte Thomas seine Beweise gerichtet sehen? Sollten sie wirklich die Gentiles überzeugen? Und wenn ja, wer waren diese Gentiles? Nun war der starke Atheismus zu jener Zeit nicht so verbreitet wie in der Moderne. Unter dem Begriff ‚Heiden‘ lassen sich jedoch auch die große Anzahl der Andersgläubigen subsummieren. Diese sind Muslime, Juden oder generell Häretiker. In den Beweisen wird folglich nicht nur um die Evidenz eines Gottes überhaupt gerungen, sondern auch, dass es nur einen Wahren gibt. Auf diese Weise richtet sich Thomas gegen die Manichäer.10 Das Wort ‚Gentiles‘ wird im Werk nur selten gebraucht. So könnte die Interpretation der Bekehrung der Ungläubigen als ‚Legende des Mittelalters‘ abgetan werden.11
Einen anderen Zweck könnte die Summe als ‚Lehr- und Lernbuch für Dominikanermissionare‘ erfüllt haben: Eine Auflistung von Gedanken zum systematischen Erlernen des Glaubens.12 Und gleichwohl sollen die Gottesbeweise nicht nur andere überzeugen, sondern die Objektivierung und Bestätigung der eigenen Gedanken festigen, wie bereits erörtert wurde.
Wie kann es Thomas nun gelingen, einen Beweis zu führen? Nach Kant ist so ein Versuch nicht möglich, da die Frage nach der Existenz Gottes nicht mit der Vernunft bewiesen werden könne.13 Thomas ist sich durchaus bewusst, dass die Vernunft tatsächlich eine direkte Schau von Gott nicht ermöglichen kann. In der ‚Summa contra Gentiles‘ wird er ausführen, dass Gott weder Materie ist, noch klassifizierbar, noch über sonstige Eigenschaften verfügt, die einen direkten Beweis erlaubten. Es ist nicht das Ziel von Thomas, einen direkten Weg zu Gott zu finden. In einer Analogie erklärt er mit Aristoteles, „dass unsere Vernunft sich zu den ersten Gründen des Seienden, die von Natur das Erkennbarste sind, was das Auge des Nachtvogels zur Sonne verhalte.“14 Dass wir Gott nicht erkennen können, liegt nicht in irgendeiner Form des Defizitären von Gott, sondern an unserer mangelnden Erkenntnis.15 Dennoch bleibt ein zu beschreitender Weg: Über die indirekten Wirkungen.16 Auf die Ursache Gott lässt sich über die Wirkung der Ursache schließen.17
Aquin bewegt sich im Umfeld von zwei extremen Ansichten der Beweisbarkeit Gottes. Er geht zum einen davon aus, dass das Dasein Gottes sicher erkannt werden kann - im Gegensatz zum Fideismus, andererseits keine unmittelbare Schau von Gott möglich ist - im Gegensatz zum Ontologismus.18 Vernunft und Glauben gehören ihm gemäß zusammen. Die menschliche Ratio kann in keinen Widerspruch zum Glauben geraten.19 Es wird eine philosophische und eine theologische Erkenntnis unterscheiden, jedoch ergänzen diese sich gegenseitig. Die Philosophie stellt das Licht der natürlichen Vernunft dar, der Offenbarungsglauben das Licht der übernatürlichen Vernunft. Ein Zusammenwirken kann Fehlschlüssen auf beiden Seiten entgegenwirken.20
Auf die Wirkungen Gottes lässt sich nach Thomas durch Sinneseindrücke schließen. Es zeichnet sich eine induktive Form des Gottesbeweises ab, welche mit der Erfahrung anhebt.21
Jedoch versucht er die sich ergebenden Schlussfolgerungen logisch zu deduzieren und somit Teile des Beweises auf apriorische Erkenntnis zu stützen.22
Ein guter Beweis zeichnet sich dadurch aus, dass die Argumente so stark sind, dass man sie akzeptieren muss. Akzeptiert man sie nicht, so hat man die Argumente nicht verstanden. Und so ist Thomas bewusst, dass er, trotz der Struktur einer Beweisführung, mitunter ‚Wahrscheinlichkeitsgründe‘, propabiles, anführen muss.23 Es wird nun untersucht, wie stark diese Wahrscheinlichkeitsgründe von Thomas sind.
Die Gottesbeweise von Thomas, die quinque viae, werden folgend differenzierend betrachtet. Die epochale Wirkung und die Diskussion, die sie auch heute noch auslösen, verbieten zudem eine Verquickung, beispielsweise der kosmologischen Argumente, welche die ersten drei Wege zusammenfassen. Es wird hierbei jeweils ein kurzer Aufriss gegeben, wie Thomas den jeweiligen Sachverhalt beweisen will. Danach wird dieser Beweis untersucht. Sollten auch die einzelnen Schritte das Dasein Gottes nicht evident machen, so ergibt sich jedoch mit zunehmender Argumentation eine kumulative Beweiskraft.
Der erste von Thomas beschrittene Weg verläuft über die Bewegung. „Omne quod movetur, ab alio movetur.“ Sowie daraufhin: „Patet autem sensua liquid moveri.“24 Was bedeutet, dass alles was bewegt ist, von einem anderen bewegt wird und zudem durch die Sinne ersichtlich ist, dass es Bewegung gibt. Als Beispiel hierfür nennt Thomas von Aquin die Sonne, die augenscheinlich einer Bewegung unterliegt.25 Wenn nun alles von einem anderen bewegt ist, so ist zu untersuchen, wann diese Bewegung angefangen hat. Ein erstes kann von einem zweiten bewegt worden sein, ein zweites von einem dritten und dergleichen in einer unendlichen Kette.
Doch die wichtige Überlegung fußt in der Aussage: „Sed non est procedere in infinitum.“26 Diese Reihe kann also nicht bis in die Unendlichkeit verlängert werden. Demnach muss ein Erstes gesetzt sein, welches sämtliche Bewegungen verursacht. „Ergo necesse est ponere aliquod primum movens immobile.“27 Dieser Beweger ist aus sich heraus nicht bewegt, er ruht, und wird denn so ‚unbewegter Beweger‘ genannt.
Wie auch bei den anderen Argumenten ist diese Überlegung nicht originär von Thomas entwickelt, vielmehr bezieht er sich auf Aristoteles und seine Erkenntnisse in der ‚Physik‘. Thomas sieht in dieser Beweisführung zwei Prämissen, die bewiesen werden müssen. Erstens, dass alles was bewegt sei, von einem anderen bewegt ist, zweitens, dass es bei den Bewegungen keinen Regress ins Unendliche geben dürfe. Hier begibt er sich auf den Weg der Negation über eine Unmöglichkeit der Selbstbewegung hin zu der verursachten Bewegung. Denn: „Si aliquid movet se ipsum, oportet quod in se habeat principium motus sui: alias, manifeste ab alio moveretur.”28 Was nicht aus sich selbst heraus bewegt sei, dass muss von einem anderen bewegt sein. Hier schwingt ein „von was denn sonst?“ ungehört mit. Thomas würde es demnach für seinen Beweis „alias, manifeste ab alio moveretur“29 genügen, wenn er die Unmöglichkeit der Selbstbewegung beweist.
Bei der Untersuchung der Selbstbewegung stützt der Aquinat sich weiterhin auf die ‚Physik‘ von Aristoteles und definiert zunächst die Selbstbewegung. Eine Voraussetzung sei, dass selbstbewegende Körper den Ursprung in sich haben und aufgrund seiner selbst bewegt sein müssten, nicht nur durch einen Teil. So wäre beispielsweise die Bedingung der Selbstbewegung nicht erfüllt, wenn der Fuß einen Mensch nach vorne trüge, da dieser nur einen Teil des Menschen repräsentierte.
Weiterhin wird die Bewegung des Körpers nochmals näher beschrieben: Der bewegte Körper muss über Teile verfügen, da alles Bewegte aus mehreren Teilen bestehe, wie aus der aristotelischen Physik gleichfalls entnommen wird. Sicherlich scheint diese Prämisse zu verwundern, etwas ganzheitlich Einfaches sei zu keiner Selbstbewegung fähig. Und dennoch gelangt der Beweis nun bereits an sein Ende, da es offenbar wird, dass es keine Selbstbewegung geben kann. Die bloße hypothetische Möglichkeit des Ruhens eines Teiles von einem Körper reicht nämlich schon aus, dem Körper die Selbstbewegung abzusprechen.
Denn falls ein Teil ruhen würde (falls er es nur theoretisch könnte), so wären die anderen Teile des Körpers nicht mehr durch sich selbst, sondern mitfolgend bewegt. Da aber Selbstbewegung nur bei komplexen Körpern überhaupt auftreten kann und nicht bei einfachen, ist eine Bewegung aus sich heraus unmöglich. Dieses Ergebnis wird nochmal durch induktive Beo- bachtungen der Natur unterstützt, in dem mehrere Beispiele für Bewegtsein angeführt werden.
Ein dritter Beweisweg führt über Akt und Potenz. Aristoteles hatte gezeigt, dass nichts im Hinblick auf dieselbe Bewegung zugleich in Akt und Potenz sein kann. Das Bewegte ist in Potenz, weil es empfängt, das Bewegende im Akt, weil es wirkt. Ein Körper kann nicht zugleich in Akt und Potenz sein, also nicht bewegt und bewegend, und somit nicht sich selbst bewegen.30 Ein Kessel erwärmt das sich in ihm befindliche Wasser. Diese Eigenschaft gibt der Kessel aber nicht aus sicher heraus weiter, er bezieht die Bewegung von dem Feuer, das unter ihm brennt. Das Feuer wiederum hat die Energie aus dem Holz, das es nährt, und das Holz ist gewachsen durch die Energie der Sonne.31
Natürlich forderte diese Feststellung Generationen von Philosophen auf, nach Beispielen zu suchen, in denen wir Akt und Potenz in einem Körper vereint sehen. Aber es gilt, dass eine Potenz genauso wenig von selbst in den Akt übergehen kann, wie man sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen kann. Also kann sich nichts von sich selbst heraus bewegen.32 Und tatsächlich ist eine induktive Suche nach Widerlegbarkeit dieses Weges ohne Ziel geblieben, da die Unvereinbarkeit von Akt und Potenz von Thomas nicht durch induktive Beobachtung, sondern deduktiv-logisch gewonnen wurde. Es liegt ein kontradiktorischer Widerspruch vor und die Argumentation ist offensichtlich stringent. Es schließt sich logisch aus, dass etwas gleichzeitig ruht und bewegt ist.33 Kaum eine andere Prämisse von Thomas wird so stichhaltig sein wie diese.
Diese Überlegungen stehen sicherlich in keinem Widerspruch zu den modernen physikalischen Erkenntnissen der Energieerhaltung. Robert Mayer hatte 1842 gezeigt, dass Energie in einem geschlossenen System weder entstehen noch verschwinden kann. Und dies gilt gleichwohl in der Newtonschen Mechanik wie in der Thermodynamik.34 Die Einsteinsche Relativitätstheorie und das Wissen um die Äquivalenz von Energie und Materie bestätigt diese Sichtweise.
[...]
1 vgl. Schönberger, R.: Werkinterpretation zu Thomas von Aquins „Summa contra gentiles“, Darmstadt 2001, S. 27
2 vgl. Dawkins, R.: Der Gotteswahn, übersetzt von Vogel, S., Berlin 2007, S. 225ff
3 vgl. Spaemann, R.: Der letzte Gottesbeweis, München 2007, S. 41
4 vgl. Schmidt-Salomon, M.: Manifest des evolutionären Humanismus, Aschaffenburg 2005, S. 55
5 vgl. Runggaldier, E.: Swinburnes Deutung des teleologischen Gottesbeweises, in: Ricken, F.: Klassische Gottesbeweise in der Sicht der gegenwärtigen Logik und Wissenschaftstheorie, Stuttgart 1998, 2. Aufl., S. 180
6 vgl. Mackie, J. L.: Das Wunder des Theismus, Argumente für und gegen die Existenz Gottes, übersetzt von Ginters, R., Stuttgart 1985, S. 16
7 Locke, J.: Versuch über den menschlichen Verstand, übersetzt von Winckler, C.: Hamburg 1981, Kap. XIX, 14
8 v. Aquin, T.: Summe gegen die Heiden, 1. Band, übersetzt von Albert, K., Engelhardt, P., Darmstadt 1974, S. 31
9 vgl. Schönberger, R.: a.a.O., S. 28
10 vgl. Schönberger, R.: a.a.O., S. 10
11 vgl. Hoping, H.: Weisheit als Wissen des Ursprungs, Philosophie und Theologie in der „Summa contra gentiles“ des Thomas von Aquin, Freiburg im Breisgau 1997, S. 37f
12 vgl. Hoping, H.: a.a.O., S. 35
13 vgl. Spaemann, R.: a.a.O., S. 101
14 v. Aquin, T.: a.a.O., S. 13
15 vgl. Schönberger, R.: a.a.O., S. 20
16 vgl. Seidl, H.: Die Gottesbeweise in der „Summe gegen die Heiden“ und der „Summe der Theologie“, Hamburg 1982, 1. Aufl., S. XIV
17 vgl. v. Aquin, T.: a.a.O., S. 11
18 vgl. Muck, O.: Funktion der Gottesbeweise in der Theologie, in: Ricken, F. (Hrsg.): Klassische Gottesbeweise in der Sicht der gegenwärtigen Logik und Wissenschaftstheorie, Stuttgart 1998, 2. Aufl., S. 16
19 vgl. Schönberger, R.: a.a.O., S. 25f
20 vgl. Muck, O.: a.a.O., S. 20f
21 vgl. Seidl, H.: Die Gottesbeweise in der „Summe gegen die Heiden“ und der „Summe der Theologie“, Hamburg 1986, 2. Aufl., S. XIII
22 vgl. Weingartner, P.: Wie schwach können die Beweismittel für Gottesbeweise sein? in: Ricken, F. (Hrsg.): Klassische Gottesbeweise in der Sicht der gegenwärtigen Logik und Wissenschaftstheorie, Stuttgart 1998, 2. Aufl., S. 34
23 vgl. v. Aquin, T.: a.a.O., S. 31
24 ebd., S. 42
25 Auch wenn Thomas sich darüber täuschte und in der Relation Erde/Sonne sich lediglich die Erde bewegt, so ist die Sonne natürlich auch einer makroskopischeren Bewegung in der Milchstraße unterworfen.
26 v. Aquin, T.: a.a.O., S. 43
27 ebd., S. 43
28 ebd., S. 43
29 ebd., S. 43
30 vgl. ebd., S. 45
31 vgl. Seidl, H.: a.a.O., 2. Aufl., S. 140
32 vgl. Seiler, J.: Das Dasein Gottes als Denkaufgabe: Darlegung und Bewertung der Gottesbeweise, Luzern 1965, S. 39
33 vgl. Seidl, H.: a.a.O., 1. Aufl., 142
34 vgl. Gascha, H., Pflanz, S.: Physik verständlich, München 2003, S. 58