Für neue Kunden:
Für bereits registrierte Kunden:
Fachbuch, 2012
58 Seiten
1. Vorwort zur ersten Auflage
2. Abkürzungsverzeichnis
3. Zur Steuerpflicht von Seeleuten an Bord von Schiffen im internationalen Verkehr
3.1. Nationales Steuerrecht
3.1.1. Flaggenrecht, Staatsgebiet und steuerlicher Inlandsbegriff
3.1.2. Der steuerrechtliche Inlandsbegriff
3.1.3. Schaubild: Seegrenzen des Staatsgebietes (Handelsschifffahrt)
3.1.4. Schaubild Flaggenrecht und beschränkte Steuerpflicht
3.1.5. Beispiel
3.1.6. Exkurs: Gewöhnlicher Aufenthalt auf dem Seeschiff?
3.2. Internationales Steuerrecht
3.3. Grafik: Unbeschränkte und beschränkte Steuerpflicht und internationale Regelungen
3.3.1. Beispiel 2 - DBA
3.4. Flaggenstaaten ohne DBA
3.5. Rückfallklauseln
3.5.1. Beispiel 3 - Rückfallklauseln
3.5.2. Beispiel 4 – Unilaterale Rückfallklausel
3.6. Hinweise zur deutschen DBA-Politik
3.6.1. Bulgarien DBA 2010
3.6.2. Spanien DBA 2011
3.6.3. Malaysia DBA 2010
3.6.4. UK DBA 2011
3.6.5. Schweiz DBA
3.6.6. Griechenland DBA 1966
3.6.7. Zypern DBA 2011
3.6.8. Was bedeutet dies nun für Seeleute mit zypriotischem Arbeitgeber?
3.6.8.1. Beispiel 5 (DBA Zypern)
3.5.7 Liberia DBA 1970
3.5.7.1 Grafik: Prüfungslogik des Artikel 15 Abs. 1 und 2 OECD-MA
3.5.7.2 Beispiel 6 (DBA Liberia)
3.5.7.3 Beispiel 7 (DBA Liberia)
3.7. Praktische Aspekte der Veranlagung beschränkt Steuerpflichtiger
3.8. Gestaltungsoptionen
3.9. Beispiel 8
4. Aktuelle Entwicklungen zu den Werbungskosten von Seeleuten auf Hochseeschiffen
4.1. Reisekostengrundsätze
4.1.1. Fahrtkosten
4.1.1.1. Beispiel 9
4.1.1.2. Beispiel 10
4.2. Übernachtungskosten
4.3. Verpflegungsmehraufwendungen
4.3.1. Beispielsfall: Die Entscheidung des FG Niedersachsen 2010
4.3.2. Höhe des Tagegeldes
4.3.2.1. Für unter deutscher Flagge fahrende Schiffe
4.3.3. Zeitraum
4.3.4. Beispiel 11 (keine Dreimonatsfrist)
4.3.5. Beispiel 12 (keine Dreimonatsfrist)
4.3.6. Beispiel 13 (Beispielhafte Zusammenstellung Verpflegungsmehraufwendungen für Schiffsreise)
4.4. Telefonkosten als Werbungskosten?
5. Sonstige Punkte von Interesse
5.1. Steuerfrei Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit (SFN Zuschläge)
5.2. Beiträge zur Seemannskasse
5.3. Sozialversicherungspflicht
6. Anhang
6.1. Auszug aus dem Schreiben des Bundesfinanz-ministeriums v. 21.7.2005, BStBl I S. 821, Tz. 2.2, 3.3 betreffend § 50d Abs. 8 EStG
6.2. Senatsverwaltung für Finanzen Berlin, Erlass v. 22.05.2009, III A – S 1301 – 1/2007 - Besteuerung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit an Bord von Kreuzfahrtschiffen nach den DBA mit Italien und Großbritannien
6.3. Verf. OFD Hannover v. 18.07.2006, S 1301 – 426/6 – StO 112, Besatzungsmitglieder von Seeschiffen im internationalen Verkehr - Beschluss vom 26. April 2005 - I B 86/04
6.4. Schreiben betr. beschränkte Steuerpflicht von Bordpersonal inländischer Fluggesellschaften; Bericht der Bundesregierung v. 19. April 2006 - BMF IV C 8-S 2300-10/06
6.5. Kurzinformation vom 4.9.2008 (aktualisiert 31.1.2012) betr. Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen an Bord von Schiffen für Seeleute der Bundes- oder der Handelsmarine - Finanzministerium Schleswig-Holstein - VI 315 – S 2380 – 183
6.5.1. Bundesmarine:
6.5.2. Handelsmarine:
6.6. Vorteil aus unentgeltlicher Verpflegung für Bordpersonal eines Flusskreuzfahrtschiffes ausnahmsweise kein Arbeitslohn
6.7. Keine Begrenzung auf drei Monate für den Abzug von Verpflegungspauschalen bei Fahrtätigkeit (Seefahrt)
6.8. Arbeitslöhne von Piloten irischer Fluggesellschaften sind steuerfrei
6.9. Verfassungswidrigkeit eines sog. Treaty-Override
6.10. Übernachtungskosten und regelmäßige Arbeitsstätte bei LKW-Fahrern
6.11. Neue Anlage N-AUS
In Deutschland unterliegt die Besteuerung von Seeleuten an Bord von Schiffen im internationalen Verkehr einigen Besonderheiten.
Zum einen betrifft dies die Frage ob Seeleute – insbesondere beschränkt steuerpflichtige Seeleute – überhaupt in Deutschland mit ihrer Heuer (anteilig) steuerpflichtig sind. Zum anderen betrifft dies die ggf. als Werbungskosten absetzbaren Reisekosten, insbesondere Verpflegungsmehraufwendungen, von Seeleuten. Hier haben sich seit 2005 zum Teil erhebliche Änderungen ergeben.
Die Grundsätze hierzu werden nachfolgend unter Beachtung aktueller Rechtsprechung und Literatur kurz und prägnant anhand zahlreicher Beispiele dargestellt. Im Zweifel sollte bei der Bearbeitung entsprechender Fälle bzw. Einkommenssteuererklärungen externer Rat zugezogen werden. Selbstverständlich steht auch der Autor gerne als Ansprechpartner zur Verfügung.
Hamburg, Sommer 2010
Anmerkungen zur dritten Auflage 2012
Die vielen Downloads dieses kleinen Ratgebers haben gezeigt, dass es einen Bedarf für einen Steuerratgeber für Seeleute gibt. Die nun vorliegende dritte Auflage enthält daher abermals einige verbesserte Darstellungen und Erweiterungen.
Insbesondere aber wurde dieser Ratgeber aktualisiert und berücksichtigt nunmehr den Stand der Gesetzgebung und Rechtsprechung per Mai 2012. Hervorzuheben ist dabei insbesondere die Aktualisierungen zum internationalen Steuerrecht insbesondere zu den Doppelbesteuerungsabkommen mit Zypern und Liberia.
Dieser Ratgeber lebt von den praktischen Fällen, die an mich herangetragen wurden. Hinweise, Fragen oder Ergänzungen können gerne an den Autor unter folgender E-Mail-adresse gerichtet werden: rudiger.urbahns@stburbahns.de
Hamburg, Sommer 2012
Rüdiger Urbahns
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Glaubt man den internationalen Schätzungen, so sind weltweit in der internationalen Handelsschifffahrt 466.000 Offiziere und 721.000 Mannschaftsgrade beschäftigt. Davon stammen noch knapp zirka 40% der Offiziere und 20% der Mannschaftsgrade aus den OECD-Staaten. Auf Schiffen unter deutscher Flagge sollen Ende 2010 knapp 15.000 Seeleute beschäftigt gewesen sein, davon zirka 8.000 deutsche Seeleute.[1] Insgesamt, so wird geschätzt, gibt es zirka 10.000 deutsche Seeleute, von denen etwa ein Viertel auf Schiffen unter ausländischer Flagge tätig sind.[2]
Wenngleich Deutschland als Flaggenstaat nur eine unbedeutende Rolle spielt (obwohl immerhin noch unter den Top-Zwanzig der Welt), so steht Deutschland bei den wirtschaftlichen Eigentümern von internationalen Handelsschiffen weltweit an dritter Stelle noch vor China.[3]
Vor dem Hintergrund dieser Gemengelage soll dieser kleine Ratgeber all jenen Seeleuten und deren (steuerlichen) Beratern einen ersten Überblick der Besteuerung ihrer Heuer bieten, die entweder in Deutschland wohnen oder ihre Heuer von einem deutschen Arbeitsgeber erhalten und damit auf die eine oder andere Weise mit deutschem Steuerrecht in Berührung kommen.
Soweit Seeleute nicht bereits aufgrund eines Wohnsitzes (§ 8 AO) oder gewöhnlichen Aufenthaltes (§ 9 AO) in Deutschland einer unbeschränkten Steuerpflicht mit ihren weltweiten Einkünften nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG unterliegen[4], kann allenfalls eine beschränkte Steuerpflicht mit ihrer Heuer im Inland nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 a EStG in Betracht kommen, soweit eine Tätigkeit im Inland ausgeübt wird.[5]
Nach den Rechtsprechungsgrundsätzen des BFH[6] kommt es dabei allein auf die Ausübung der Tätigkeit, nicht aber auf die Verwertung der Tätigkeit im Inland an, etwa durch einen deutschen Reeder. Nach dem BFH wird die Tätigkeit von Seeleuten an Bord des Schiffes ausgeübt und die Arbeitsleistung dort dem Arbeitgeber zugeführt. Die seit 2007 für eine an Bord eines im internationalen Verkehrs eingesetzten Luft fahrzeuges zu beachtende Spezialvorschrift des § 49 Abs.1 Nr. 4e EStG, soweit das Verkehrsflugzeug von einem Unternehmen mit Geschäftsleitung im Inland unterhalten wird, ist auf Mannschaften an Bord eines Schiffes nicht anwendbar.[7] Im Gesetzgebungsverfahren war eine Ausweitung dieser Vorschrift auf die internationale Schifffahrt zunächst vorgesehen, ist aber in deren Verlauf mit Rücksicht auf die Wettbewerbssituation der deutschen Schifffahrt wieder fallen gelassen worden.[8]
Nochmals: Bei un beschränkter Steuerpflicht ist der Ort der Arbeitsausübung, vorbehaltlich internationaler Regelungen in Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), zunächst nicht entscheidungserheblich; Deutschland geht zunächst von einer grundsätzlichen Steuerpflicht aller weltweit erzielten Einkünfte in Deutschland aus. Regelmäßig wird in diesen Fälle aber zu prüfen sein, ob eine dem Artikel 15 (3) OECD-Musterabkommen entsprechende Vorschrift in einem Doppelbesteuerungsabkommen das Besteuerungsrecht einschränkt (siehe hierzu unter Tz.3.3), dabei sind insbesondere auch die (umstrittenen) nationalen Vorschriften des § 50d Abs. 8 und 9 EStG zu beachten.
Bei Tätigkeiten an Bord eines Schiffes im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht tritt als erschwerendes Tatbestandsmerkmal der Umstand hinzu, dass sich der Ort der Ausübung auf nicht stationäre Verkehrsmittel bezieht.
Bei Schiffen unterscheidet die herrschende Meinung daher danach, unter welcher Flagge und in welchem Territorium das Schiff fährt, auf dem eine nichtselbständige Arbeit ausgeübt wird, um Besteuerungsrechte zuzuordnen.[9]
Diese Unterscheidung lässt sich wie folgt durchführen:
Die Tätigkeit von beschränkt steuerpflichtigen Seeleuten auf einem unter deutscher Flagge fahrendem Schiff wird im Inland ausgeübt (und ist dann dort grundsätzlich (anteilig) steuerpflichtig), wenn und insoweit sich das Schiff während seiner Seereise innerhalb der maritimen Eigengewässer Deutschlands (Häfen, Wasserstraßen, Küstenmeer) bewegt, sowie in Territorien, die zu keinem Staatsgebiet gehören (Internationale bzw. Hohe See); sie wird im Ausland ausgeübt, soweit sich das Schiff in maritimen Eigengewässern fremder Staaten befindet (Häfen, Wasserstraßen, Küstenmeer[10] ).[11]
Es liegt in der Natur der Sache, dass eine genaue Zuordnung nicht immer einwandfrei möglich ist und ggf. im Schätzungswege erfolgen muss. Will man nicht jeweils eine detaillierte und zeitaufwendige Zerlegung anhand des Seefahrtbuches vornehmen, so sind durch die betroffenen Seeleute zumindest Aufzeichnungen und schematische Zerlegungen der jeweiligen Schiffsrouten vorzulegen. Bei inländischen Seeleuten können regelmäßig die Aufzeichnungen für SFN Zuschläge verwendet werden.
Bei einem unter ausländischer Flagge fahrenden Schiff verhält es sich demnach genau umgekehrt, und lediglich die Tätigkeit, die innerhalb der maritimen Eigengewässer Deutschlands (Häfen, Wasserstraßen, Küstenmeer) ausgeübt wird, gilt als eine im Inland ausgeübte Tätigkeit. Schließt die Route des Schiffes bereits gedanklich die Durchquerung deutschen Territoriums aus, also etwa die Route Antwerpen-Havanna, so ist die Tätigkeit in Deutschland mangels (anteiliger) Ausübung im Inland bei beschränkter Steuerpflicht insgesamt nicht steuerbar.
Vermutlich bereits aus diesem Grund werden Seeleute ohne Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland zumeist bevorzugen, auf Schiffen unter ausländischer Flagge tätig zu werden, obwohl die steuerliche Gesamtsituation nur im jeweiligen Einzelfall beurteilt werden kann. Zudem ist zu bedenken, dass eine mangelnde Steuerpflicht bereits nach nationalem deutschen Steuerrecht keine weitere Prüfung mehr der steuerlichen Situation nach Doppelbesteuerungsrecht bedarf, weil DBA zwar deutsches Besteuerungsrecht einschränken, nicht aber begründen können.
Zum deutschen Territorium (=Inland) gehört völkerrechtlich[12] und vollumfänglich das sog. Küstenmeer, ein sich an das Landesgebiet eines Staates bzw. seine inneren Gewässer angrenzender Küstenstreifen mit einer Ausdehnung von bis zu zwölf Meilen (Zwölfmeilenzone).
Seewärts der Zwölfmeilenzone bis maximal 200 Seemeilen Entfernung zur Küste befindet sich die sogenannte ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ)[13] bzw. der Festlandsockel [14], in der nur eingeschränkte Hoheitsrechte des Küstenstaates bestehen. Jenseits der AWZ bzw. des Festlandsockels schließt sich die sogenannte Hohe See [15] an, die allen Staaten nach Maßgabe des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen zur Nutzung offen steht.
Die AWZ ist im Wesentlichen mit dem sogenannten deutschen Anteil am Festlandsockel identisch. Eine gute graphische Darstellung des Verlaufs der deutschen AWZ respektive des deutschen Anteils am Festlandssockel in Nord- und Ostsee findet sich auch auf der Webseite des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie.[16]
Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 EStG gehört der deutsche Anteil am Festlandsockel funktionell zum Inland. Das bedeutet, dass Tätigkeiten, die dort ausgeübt werden insoweit der Besteuerung unterliegen, als dort Naturschätze des Meeresuntergrundes erforscht oder ausgebeutet werden oder der Festlandsockel der Energieerzeugung unter Nutzung erneuerbarer Energien dient.[17] Die Vorschrift wurde insoweit erst durch das Jahressteuergesetz 2008 um Energieerzeugung unter Nutzung erneuerbarer Energien erweitert, in dem es die Deutschland zustehenden völkerrechtlichen Rechte nach dem SRÜ aufgegriffen hat, insbesondere wegen der Vielzahl der geplanten Windkraft Offshoreanlagen.[18]
Für die kommerzielle Handelsschifffahrt (anders ggf. für Spezialschiffe im Bereich der Ausbeutung der Naturschätze des Meeresgrundes oder Energieerzeugung[19] ) bedeutet dies regelmäßig, dass sich ein Schiff, das sich lediglich im Bereich des Festlandsockels oder der AWZ aufhält, wie ein Schiff in internationaler See behandelt wird (siehe hierzu unter Tz 3.1.1).[20] Siehe dazu das nachfolgende Schaubild.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Ein Matrose aus Thailand ohne Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland ist bei einer deutschen Reederei aber auf einem unter ausländischer Flagge fahrenden Schiff ausschließlich außerhalb der deutschen Hoheitsgewässer tätig. Der Matrose ist mit seinen Bezügen in Deutschland nicht steuerpflichtig, weil er weder im Inland ansässig ist (keine unbeschränkte Steuerpflicht) noch im Inland tätig ist (keine Ausübung der Tätigkeit innerhalb der maritimen Eigengewässer Deutschlands).
Alternative 1: Angenommen die Schiffsroute wäre die Strecke Rotterdam – Klaipeda und würde über den Nord-Ostsee-Kanal geführt, so würde der Streckenanteil der über die maritimen Eigengewässer Deutschlands geführt würde eine (anteilige) beschränkte Steuerpflicht im Inland auslösen. Da ein inländischer Reeder (Arbeitgeber) vorliegt und vorbehaltlich der Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen, wäre auf diesen Streckenanteil deutsche Lohnsteuer einzubehalten und zu bescheinigen, wobei aufgrund der Geringfügigkeit möglicherweise gar keine Lohnsteuer anfällt, diese Vorgehensweise also durchaus auch vorteilhaft sein könnte, wenn der ausländische Ansässigkeitsstaat die Einkünfte des Matrosen (insoweit) von der Besteuerung freistellen sollte. Die inländische Reederei hat entsprechende Aufzeichnungen über die Streckenanteile zu führen, die auf deutsches Territorium entfällt und auf Verlangen der Finanzbehörde vorzulegen.
Alternative 2: Wie im Ausgangsfall, jedoch handelt es sich um ein Schiff unter deutscher Flagge. In diesem Fall führen auch die Streckenanteile, die auf hoher See zurückgelegt werden und vorbehaltlich der Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen zur anteiligen Steuerpflicht in Deutschland.
Soweit ersichtlich bislang höchstrichterlich nicht geklärt bzw. problematisiert worden, ist die Frage, ob ein (ausländischer) Seemann einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland begründen kann, wenn er auf einem unter deutscher Flagge fahrenden Schiff für einen längeren Zeitraum tätig wird, weil das Schiff völkerrechtlich als „schwimmender Gebietsteil“ des Flaggenstaates, also Deutschlands, gilt.[21] Dies gilt jedenfalls soweit sich das Schiff in deutschem Territorium oder in internationaler See aufhält bzw. dieses durchquert.
Meines Erachtens wird dies häufig nicht der Fall sein, da es sich insoweit nicht um einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland handeln wird. Gemeinhin setzt § 9 Satz 1 AO ein nicht nur vorübergehendes Verweilen im Inland voraus, das aus den (äußeren) Umständen erkennbar sein muss. Die äußeren Umstände müssen den Schluss zulassen, dass sich Seeleute über einen längeren Zeitraum in einem bestimmten Gebiet aufhalten wollen. Zu prüfen sein wird regelmäßig die sich aus den Umständen ergebende beabsichtigte Verbleibensdauer.[22]
Die beabsichtigte Verbleibensdauer wird sich zumeist aus dem Heuerschein (Dauer, Ausgestaltung) und dem Einsatzgebiet (Schiffsroute, Intervalle) ergeben. Nur ausnahmsweise wird sich daraus ein gewöhnlicher Aufenthalt ableiten lassen.
Besteht allerdings für zeitlich zusammenhängende Perioden von mehr als 6 Monaten (einschließlich kurzfristiger Unterbrechungen und Urlaub) ein körperlicher Aufenthalt auf einem unter deutscher Flagge fahrenden Schiff und hielt sich das Schiff gleichzeitig länger als 6 Monate in deutschen Territorium oder auf internationaler See auf, so erscheint die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthaltes von Beginn des Einsatzes an nach § 9 Satz 2 AO nicht ausgeschlossen. Zu prüfen ist das anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles, wird aber regelmäßig längerfristige gleichbleibende Heuerverhältnisse von über 6 Monaten erfordern, um auf entsprechende (beabsichtigte) physische Anwesenheiten im Inland zu kommen. Fraglich ist zudem, ob es sich um dasselbe Schiff handeln muss, oder ob ein Schiffswechsel nicht zur Unterbrechung der 6 Monatsperiode führt.
Etwas anderes kann jedoch für Bau- oder Spezialschiffe gelten, die auf dem deutschen Festlandssockel eingesetzt werden und etwa zum längeren Einsatz bei dem Bau von Offshore-Windkraftanlagen dienen. Ähnliches wäre denkbar, wenn ein Schiff für längere Zeit in einem deutschen Hafen festgemacht wird.
Soweit ein Doppelbesteuerungsabkommen zur Anwendung kommt, wird nach den allgemeinen Grundsätzen des Artikels 15 Abs. 1 und 2 OECD-Musterabkommen grundsätzlich dem Tätigkeitsstaat (Staat der physischen Berufsausübung) des Arbeitsnehmers das Besteuerungsrecht zugeordnet und verbleibt nur ausnahmsweise beim Ansässigkeitsstaat, dem [Haupt-]Wohnsitzstaat des Crew-Mitglieds bzw. Arbeitnehmers (183-Tage-Regelung mit weiteren Voraussetzungen).[23]
Soweit Seeleute betroffen sind, enthalten Doppelbesteuerungsabkommen jedoch häufig eine Regelung entsprechend dem Artikel 15 Abs. 3 OECD-MA – eine Spezialregelung für Tätigkeiten an Bord eines Seeschiffes oder Luftfahrzeuges im internationalen Verkehr -, wonach das Besteuerungsrecht grundsätzlich demjenigen Vertragsstaat zugewiesen wird, indem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des die Schifffahrt betreibenden Unternehmens (Arbeitgebers) befindet.[24]
Die Logik dieser Regelung leuchtet unmittelbar ein, wenn man die Ausführungen zu Tz. 3.1.4 bedenkt, denn durch die Zuweisung des Besteuerungsrechts an den Geschäftsleistungsstaat des Arbeitsgebers soll vermieden werden, dass Bordpersonal in allen Staaten, die sie während ihrer Schiffsreise durchqueren (teilweise) steuerpflichtig werden. Außerdem soll dem Staat, der mit den Betriebsausgaben durch die gezahlten Arbeitslöhne belastet ist, auch das Recht zustehen, diese Arbeitslöhne zu besteuern. Graphisch lässt sich dies wie nachfolgend unter Tz. 3.3 aufgezeigt skizzieren.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Grundsätzlich regelt Artikel 15 Abs. 3 OECD-MA nur Fälle in denen Ansässigkeitsstaat und Geschäftsleitungsstaat (= andere Vertragsstaat in dem die Reederei ihre Geschäftsleitung hat) auseinander fallen.[25] Im Übrigen fordern der BFH und wohl auch die deutsche Finanzverwaltung, dass das die Schifffahrt betreibende Unternehmen zugleich der (wirtschaftliche) Arbeitgeber ist.[26]
Im Einzelfall kann dies zu schwierigen Abgrenzungsfragen führen, insbesondere für nur indirekt beteiligtes Bordpersonal, denn dieses muss sich im Zweifel die Erkenntnisse ihres Arbeitgebers zu eigen machen, um die eigene Steuersituation vollumfänglich abschätzen zu können.
Allerdings hat sich jüngst der Finanzsenat Berlin[27] in einem Erlass zum wirtschaftlichen Arbeitgeber geäußert und insoweit auf das BMF- Schreiben vom 14.09.2006, BStBl. I S. 532, Tz 5.2 verwiesen; in dem entschiedenen Fall ging es um konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung in der Kreuzfahrtbranche. Insgesamt kann es in solchen Fällen wohl zur Annahme eines wirtschaftlichen Arbeitgebers in der Gestalt des den Arbeitslohnes (wirtschaftlich) tragenden Schifffahrtunternehmens und damit zur Anwendung des Artikel 15 Abs. 3 OECD-MA kommen, vgl. unter Tz 6.2.
Kommt es aber nicht zur Anwendung des Artikel 15 Abs. 3 OECD-MA, so ist zu bedenken, dass nach BFH Auffassung[28] das Besteuerungsrecht beim Ansässigkeitsstaat liegen soll, mithin Artikel 15 Abs. 1 Satz 2 (Tätigkeitsstaat) und Abs. 2 OECD-MA (Rückausnahme zum Tätigkeitsstaat) nicht zur Anwendung kommen sollen. Dies gilt wiederum nicht, soweit das jeweilige DBA keine Vorschrift entsprechend Artikel 15 Abs. 3 OECD-MA enthält, so etwa die DBA mit Liberia und Trinidad und Tobago.[29] Zudem ist zu bedenken, dass die jeweiligen bilateralen DBA vom Wortlaut des OECD Musters abweichen können und dies auch häufig genug tatsächlich tun.
Artikel 15 Abs. 3 OECD-MA regelt nicht diejenigen Fälle, bei denen ein Staat (Quellenstaat) Besteuerungsrechte beansprucht, weil ein Schiff sein Territorium kreuzt, der weder Ansässigkeitsstaat noch Geschäftsleitungsstaat des Bordpersonals ist.
Praktische Relevanz wird dem aber häufig nicht zukommen, denn wenn das jeweilige nationale Recht überhaupt einen Anknüpfungspunkt für ein Besteuerungsrecht bietet, so wird dies de facto doch häufig ins Leere laufen, weil die aus der Praxis relevanten Anknüpfungspunkte (Ansässigkeit, also etwa Familienwohnsitz der Seeleute) oder aber der Wohnsitz des Arbeitgebers (=Geschäftsleitungsstaat des die Schifffahrt betreibenden Unternehmens = Pflicht zum Lohnsteuereinbehalt) im Quellenstaat nicht vorliegen.
Zudem dürften häufig nur anteilige Einkünfte zu berücksichtigen sein, die keine oder nur sehr geringfügige Steuern auslösen, so dass der Quellenstaat auch häufig kein wirtschaftliches Interesse an der Durchsetzung seines Besteuerungsanspruches hat, auch und insbesondere um den internationalen Transport nicht zu behindern. Nach deutscher Rechtsprechung stellt das fahrende Schiff auch keine Betriebstätte des die Schifffahrt betreibenden Unternehmens dar, so dass es nach deutscher Sichtweise bereits an einem inländischen Arbeitgeber mangelt, wenn sich nur ein Schiff eines im Ausland ansässigen Unternehmens im Inland aufhält bzw. dieses durchquert und keine weiteren Einrichtungen im Inland unterhalten werden.[30]
Deutschland als Ansässigkeitsstaat (=Wohnsitzstaat) eines Schiffsingenieurs hat mit unterschiedlichen Ländern Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen, denen jeweils das (theoretische) Besteuerungsrecht für einen Teil der Einkünfte des Ingenieurs nach nationalem Steuerrecht zusteht. Geschäftsleitungsstaat des Arbeitgebers und Schiffsbetreibers soll der ausländische Staat X sein. Flaggenstaat soll ein Drittstaat sein.
[...]
[1] Vgl. BT Drucksache 17/4375 v. 5.1.2011
[2] Vgl. Hamburger Abendblatt, Kapitäne und Offiziere gesucht, 20.01.2010
[3] Zu allen Daten vgl. unter www.marisec.org/shippingfacts
[4] Vgl. beispielhaft etwa den Fall eines unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitäns der auf einem Schiff unter der Flagge Antiguas tätig wird unter Tz 3.2.1 (Entscheidung des FG v. 21.01.2010, 14 K 281/07, rechtskräftig)
[5] Vgl. auch ganz allgemein unter anderem im Hinblick auf die sozialversicherungsrechtliche Einordnung (die nachfolgend nicht behandelt wird) das Rundschreiben der Knappschaft See v. Mai 2010, Rundschreiben über die sozialversicherungsrechtlichen Auswirkungen einer Eintragung in das Internationale Schifffahrtsregister (ISR), Tz. 8; der Auslandstätigkeitserlass (BMF-Schr. V. 31.10.1983 IV B 6 – S 2293-50/83, BStBl I 1983, 470) kommt für die Tätigkeit von Bordpersonals auf Seeschiffen in Nicht-DBA-Staaten nicht zur Anwendung. Siehe auch unter Tz. 5.3
[6] Vgl. BFH Urteil v. 12.11.1986, I R38/83, BStBl 1987 II S. 377, Tz. 2.4
[7] Vgl. etwa Anmerkung bei Loschelder in Schmidt, 2010, § 49 Tz. 59.
[8] Vgl. zur Anwendung des § 49 Abs.1 Nr. 4e EStG das ebenfalls in dieser Reihe erschiene Booklet „Deutschland: Zur Steuerpflicht von Personal an Bord von Verkehrsflugzeugen im internationalen Verkehr“
[9] Vgl. ausführlich auch zum Thema Schifffahrt, Kreutziger, Internationale Besteuerungsprobleme bei Schifffahrtsunternehmen, in Handbuch der internationalen Steuerplanung, Herne 2003
[10] Anders für Schiffe der deutschen Marine (Kriegsschiffe), siehe Urteil FG Düsseldorf v. 28.09.2007, 18 K 638/06 E, weil Kriegsschiffe Territorium des jeweiligen Flaggenlandes auch in maritimen Eigengewässern anderer Statten bleiben, siehe auch im Anhang unter Tz. 6.5.1.
[11] Vgl. auch R 39d Abs. 1 Satz 3 LStR 2008
[12] Art 2 und 3 des Seerechtsübereinkommens (SRÜ) der Vereinten Nationen vom 10.12.1982, BGBl. 1994 II S. 1798ff. Danach hat jeder Staat das Recht, die Breite seines Küstenmeeres über die frühere Dreimeilenzone hinaus auf bis zu höchstens 12 Seemeilen auszudehnen. Deutschland hat die völkerrechtlichen Regelungen des SRÜ durch Gesetz v. 02.09.1994, BGBl II 1994, 1798 in innerstaatliches Recht transformiert. Auf der Grundlage des SRÜ hat die Bundesrepublik Deutschland mit Wirkung vom 1. Januar 1995 das deutsche Küstenmeer auf bis zu 12 Seemeilen ausgeweitet und eine ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) in der Nord- und Ostsee eingerichtet.
[13] Teil V des SRÜ v. 10.12.1982/ 28. Juli 1994 gem. Beschluss 98/392/EG des Rates vom 23. 3. 1998
[14] Teil VI des SRÜ a.a.O.
[15] Teil VII des SRÜ a.a.O.
[16] http://www.bsh.de/de/Meeresnutzung/Wirtschaft/Windparks/AWZ.jsp
[17] Das Besteuerungsrecht wird durch die in den Art. 56 und 77 des SRÜ vorgesehenen Tätigkeiten bestimmt. Vgl. auch Schreiben betr. steuerliche Vorrechte und Befreiungen aufgrund zwischenstaatlicher Vereinbarungen vom 20. August 2007, BStBl. I S. 656
[18] Wobei dieses Recht nicht grenzenlos ist und etwa die Freiheiten der Schifffahrt und Luftfahrt nach Artikel 56 (3) i.V.m Artikel 87 SRÜ nicht eingeschränkt werden dürfen.
[19] Vgl. hierzu etwa die Anmerkungen von Laub im Hansa International Maritime Journal 2009, Nr.9 S. 81
[20] Vgl. BFH Urteil v. 5.10.1977, I R 250/75, BStBl II S. 50
[21] Ein Wohnsitz i.S.d § 8 AO wird sich durch die Nutzung einer Schiffskabine wohl nicht begründen lassen, denn der Wohnungsbegriff setzt regelmäßig eine stationäre Räumlichkeit voraus. Bewohnen ist dabei mehr als der alleinige „Aufenthalt“ an einem Ort oder die „Übernachtung“, vgl. etwa Urteil des FG Hamburg v. 10.07.2008, 6 K 56/06 m.w.N.
[22] Vgl. Koenig in Pahlke/Koenig, AO, § 9 Tz 10
[23] Vgl. etwa Urbahns/Becker, Steuerliche Grundzüge grenzüberschreitender Personalentsendung, INF 2002, S. 353 und 392
[24] Vgl. im Einzelnen zu dieser Vorschrift und den Besonderheiten Prokisch in Vogel, DBA Kommentar zu Artikel 15 OECD-MA, Tz 100 ff. und Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, MA Art. 15 Rz. 181 ff, sowie Hilbert, Besteuerung von Gehaltszahlungen im Fall bestimmter Transportgesellschaften – Sonderregelungen zur Schifffahrt sowie zum internationalen Flugverkehr, DStR 2012, S. 7. Achtung: Es gibt zahlreiche Abweichungen bzw. Modifikationen zu diesem Muster, so dass immer das jeweilige einschlägige DBA zu prüfen ist, siehe auch unter Tz 3.6.
[25] Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, MA Art 15, Rz 181
[26] Vgl. etwa die Ausführungen bei Wassermeyer in Debatin/Wasermeyer, MA Art 15, Tz. 198, mwN und Verf. OFD Hannover v. 18.07.2006, S 1301 – 426/6 – StO 112, BeckVerw. 097724; ständige Rechtsprechung, siehe etwa: BFH Urteil 10.11.1993, I R 53/91, BStBl 1994 II, 218; BFH-Urteil v. 08.02.1995, I R 42/94, BStBl 1995 II, S. 405; BFH-Urteil v. 11.02.1997, I R 36/96, BStBl II 1997, 432; BFH Urteil v. 05.09.2001, I R 55/00, IStR 2002, 164; BFH Urteil v. 18.05.2010, I B 204/09, a.A. Prokisch in Vogel, DBA Kommentar zu Artikel 15 OECD-MA, Tz 110.
[27] Erlass v. 22.05.2009, III A – S 1301 – 1/2007, BeckVerw 160177
[28] BFH-Urteile v. 11.02.1997, BStBl II S.432 und v. 05.09.2001, BFH/NV 2002 S. 478, siehe auch dazu kritisch Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, MA Artikel 15, Rz. 182
[29] BMF-Schreiben v. 14.09.2006, BStBl I S. 532, Tz.8. Das DBA mit Liberia hat erhebliche Bedeutung für die Schifffahrt, siehe daher auch die Ausführungen unter Tz. 3.5.7
[30] Vgl. BFH-Urteile v. 13.02.1974, BStBl 1974 II S. 361 und v. 09.10.1974, BStBl 1975 II S. 203; Urteil FG Hamburg v. 27.05.2009, 6 K 102/08; § 38 Abs. 1 Nr. 1 EStG; ggf. anders nach § 38 EStG soweit im Inland ein ständiger Vertreter tätig wird bzw. bei Arbeitnehmerverleih. Zudem ist zu bedenken, dass in Fällen in denen Deutschland zwar (teilweise) Quellenstaat aber weder Ansässigkeitsstaat noch Geschäftsleistungsstaat ist, ihm nach den jeweiligen DBA (Artikel 15 (2) OECD-MA) wohl zumeist kein Besteuerungsrecht zu steht, sondern ein solches wohl häufig beim Ansässigkeitsstaat verbleiben wird (so die Lösung der Finanzverwaltung für den umgekehrten Fall, vgl. BMF-Schreiben v. 14.09.2006, BStBl I S. 532, Tz. 7.3).