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Diplomarbeit, 2011
133 Seiten, Note: 1
Psychologie - Klinische Psychologie, Psychopathologie, Prävention
1. Einleitung
1.1 Vorwort
1.2 Was soll gezeigt werden
2. Emotionen
2.1 Begriffe der Emotionspsychologie
2.2 Definition von Emotionen und deren Komponenten
2.3 Gute Emotion versus schlechte Emotion
2.4 Emotionsdimensionen/ Klassifikation von Emotionen
2.5 Zur Universalität von Emotionen
2.6 Emotionstheorien
2.6.1 Aus funktionalistischer und evolutionspsychologischer Sicht
2.6.2 Aus kognitivistischer, konstruktivistischer, motivationaler Sicht, Appraisaltheorie nach Lazarus
2.6.3 Systemisch-Integrative Bestandsaufnahme und Schlussfolgerung nach Hühlshoff und Holodynski
2.7 Kognition und Emotion
3. Emotionsregulierung40
3.1 Einleitung und historischer Abriss
3.2 Kultur und Sozialisation von Emotionen
3.3 Von der interpersonalen zur intrapersonalen Regulation
3.4 Theorien der Emotionsregulationen
3.5 Emotionsregulation und Gesundheit
3.6 Dysfunktionale Emotionsregulation
3.7 Beschreibung einiger relevanter Basisemotionen
4. Neuere Forschung zur Emotionsregulation von Alkoholabhängigen
5. Alkoholismus
5.1 Alkoholgebrauch, Alkoholmissbrauch, Alkoholabhängigkeit
5.1.1 Formen des Suchtverhaltens
5.2 Bedingungsgefüge des Alkoholismus
5.2.1 Allgemeines
5.2.2 Droge Alkohol
5.2.3 Individuum
5.2.4 Umweltfaktoren
6. Suchttheorien
6.1 Annahmen der Verhaltenstherapie
6.2 Eine Interaktionstheoretische Sichtweise
7. Wissenschaftliche Untersuchung
7.1 Standortbestimmung
8. Fragestellungen der Untersuchung
8.1 Die Fragestellung nach der Erlebenshäufigkeit von Emotionen
8.2 Die Fragestellung nach der Akzeptanz und Ablehnung von Emotionen
8.3 Die Fragestellung nach dem Umgang mit Emotionen
8.4 Die Fragestellung nach der Alkoholiker Persönlichkeit
9. Untersuchungsmethodik
9.1 Untersuchungsablauf
9.2 Untersuchungsinstrument
9.3 Beschreibung der verwendeten statistischen Verfahren
10. Darstellung der Untersuchungsergebnisse
10.1 Soziodemographie der Teilnehmer
10.2 Erlebenshäufigkeit von Emotionen
10.3 Akzeptanz und Ablehnung von Emotionen
10.4 Dysfunktionaler Umgang mit Emotionen
10.5 Alkohol und Persönlichkeit
11. Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse
12. Persönliche Note
13. Tabellenverzeichnis
14. Abbildungsverzeichnis
15. Literaturverzeichnis
„Ein Indianer kennt keinen Schmerz“
(Sprichwort)
Kennt ein Indianer wirklich keinen Schmerz? Oder kennt er diesen doch und zwar ziemlich gut, kann diesen nur besser aushalten und hat andere wirksame Strategien entdeckt mit diesem umzugehen?
Warum ich dieses Sprichwort als Überschrift dieser Diplomarbeit gewählt habe ist recht einfach erklärt. Herr Prof. Sulz hat diese Veranschaulichung einmal gewählt um darzulegen, welche Rolle die Regulation von Emotionen im Individuum-Umweltgefüge einnimmt. Wie die Art wie wir mit unseren Emotionen umgehen unser Denken und Handeln beeinflusst, wie daraus auf lange Sicht hin verschiedene Persönlichkeiten entstehen können, und warum der eine ein unangenehmes Gefühl besser aushalten kann beziehungsweise besser damit zurecht kommt und der andere nicht so gut. Hierbei wurde darüber gesprochen wie Emotionen entstehen, wie wir diese wahrnehmen und in der Folge mit ihnen umgehen. Der gemeinsame Nenner dieser Überlegung liegt nun in der Annahme, dass ein Individuum den Umgang mit dem Spannungsfeld der Innen-und Außenwelt, zwischen eigenen Bedürfnissen und den Bedürfnissen der Umwelt, zwischen Individuation und Sozialisation, kurz gesagt zwischen dem aufeinanderprallen von Umweltbedingungen auf ein menschliches, physisch abgegrenztes Lebewesen, zu erlernen hat, wenn er sich in einer Gemeinschaft von Individuen zurechtfinden will.
Warum nun sich der eine im Spannungsfeld Individuum-Umwelt besser zurechtfindet und der eine schlechter gilt es zu klären. Des Weiteren, welche Rolle Drogen (hier Alkohol) in der genannten Auseinandersetzung spielen.
Die Frage ist nun, können Menschen mit einer ausgeprägten Alkoholsucht, welche öfter als manch anderer durch Substanzmitteleinfluss ihren Gefühlszustand ändern, ihre Emotionen schlechter anderweitig dysfunktional regulieren als Menschen ohne Alkoholsucht. Des Weiteren, ist die Emotionswelt oder das Emotionserleben beider Vergleichsgruppen überhaupt identisch miteinander, oder gibt es Unterschiede in der Anzahl und Intensität verschiedener Emotionen.
Hinter jeder Erscheinungsform körperlicher oder psychischer Krankheiten stecken eine oder mehrere Ursachen. Deshalb interessiert mich im weiteren Verlauf, ob es auch hier in der Alkoholsucht eine oder mehrere gemeinsame Ursachen, vielleicht sogar einen Roten Faden gibt. Vielleicht deutet solch ein Roter Faden sogar auf eine Ursache oder einen Zustand hin, welcher jeder Substanzmittelsucht zu Grunde liegt.
Es soll gezeigt werden, dass die Bandbreite der wahrgenommenen positiven und negativen Emotionen als auch deren Intensität als auch deren Akzeptanz oder Ablehnung bei Alkoholsuchtpatienten geringer ausgeprägt ist als bei Nicht-Alkoholikern.
Es soll weiterhin gezeigt werden, dass Alkoholsuchtpatienten nicht nur ein geringeres Gefühlsspektrum haben, sondern auch diese, im Vergleich zu Nicht-Alkoholikern, weniger dysfunktionale Strategien erlernt haben um ihre Emotionen zu regulieren.
„ To see and hear what is there”
Instead of what should be, was or will be
To say, what one feels and thinks
Instead of what one should.
To feel what one feels
Instead of what one ought,
To ask for what one wants
Instead of always waiting for permission.
To take risks in one´s own behalf,
Instead of choosing to be only <secure>
and not rocking the boat.”
(Verfasser unbekannt)
“Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner blickt es zurück.”
(Karl Kraus)
Wie in vielen anderen Disziplinen und Teildisziplinen der akademischen Wissenschaft herrscht auch hier, auf Ebene der Begriffsdefinitionen in der Emotionspsychologie, Uneinigkeit darüber welche Definitionen den verschiedenen Begrifflichkeiten zugrunde liegen sollen. Des Weiteren, welche Begrifflichkeiten Teil der Emotionspsychologie sind und dessen Umfeld bilden und welche nicht.
Dieser Umstand zeigt aber auch, dass wie in jedem Teilgebiet der Geisteswissenschaften eine Vielzahl von Menschen ein großen Berg an Gedankengut generieren, mit ihrerseits wieder zum Teil unterschiedlichsten Erfahrungen und Grundannahmen. Gerade hier im Bereich der Emotionen, betrachtet man diese als wissenschaftliches Konstrukt, tritt dadurch eine menschliche Eigenheit in seiner Wahrnehmung zum Vorschein, und zwar die eines subjektiv geprägten mehrschichtigen und mehrdimensionalen Geschehen.
Deshalb weißen folgende Begriffe mehr oder weniger Unterschiede aber auch Gemeinsamkeiten auf.
Stimmung (engl. Moods) oder auch Gefühlszustand (feeling states) werden nach, Isen (1984, zitiert nach Otto, Euler & Mandl, 2000, S.12) als kleine, alltägliche und low-level Emotionen angesehen.
Ewert (1983, zitiert nach Otto et al. 2000, S.12), veranschaulicht diese low-level Emotionen anhand einer Gesetzmäßigkeit aus der Gestaltpsychologie:
Dieses Gestaltgesetzt beschreibt die Tendenz des perzeptiven Feldes, sich in Figur- und Grundkomponenten zu gliedern. Die Figur ist eindrucksvoll, bedeutsam und steht im Vordergrund. Sie hat die Form und die Eigenschaft eines Gegenstandes. Der Grund hingegen ist formlos und erstreckt sich hinter der Figur. Er ist gegenstandslos und hat die Eigenschaft ungeformten Materials. Stimmungen werden mit dem Grund verglichen, der eine Art Dauertönung des Erlebnisfeldes darstellt, von dem sich mehr oder weniger scharf umrissen andere Erlebnisgegebenheiten abheben.
Eine wichtige Komponente ist hierbei die Aufmerksamkeit des Betrachters, denn durch deren Veränderung können hintergründige Stimmungen in Vordergründige, genannt Emotionen, wechseln. Die Rolle der Aufmerksamkeit oder auch die der Intention oder Bedeutungszugschreibung des Betrachters bezüglich seiner Gefühlswelt ist ein wichtiger Bestandteil der Emotionspsychologie und vieler Emotionstheorien.
Des Weiteren werden von vielen Autoren Emotionen und Stimmungen auch bezüglich ihrer Dauer, Intensität und Objektbezogenheit unterschieden. Wobei nach Otto et al. (2000) das Unterscheidungskriterium „Ausmaß der Objektbezogenheit“ am wenigsten kontrovers zu sein scheint, da es ermöglicht […] Abstufungen auf einem grundlegenden Kontinuum emotionaler Prozesse zu betrachten (Otto et al., 2000, S.12).
In der Fachliteratur werden des Weiteren die Begrifflichkeiten Affekt (engl. affect) und Gefühl (engl. feeling) unterschieden. Wobei nach Otto et al. (2000, S.13), […] der Begriff „Affekt in der gegenwärtigen Emotionspsychologie kaum eine Rolle spielt und eher in der Psychiatrie zur Kennzeichnung kurzfristiger besonders intensiver Emotionen, die oft mit einem Verlust der Handlungskontrolle einhergehen, Verwendung findet, […].“
Der Begriff „Gefühl“ steht im Deutschen für eine enge Definition von Emotionen, die die subjektive Erlebnisqualität als ein Teil der Emotion in den Mittelpunkt rückt. Üblicherweise steht die Bezeichnung „Emotion“ im Deutschen aber für eine weitere Auffassung und den Oberbegriff, der den körperlichen Zustand und das Ausdrucksverhalten mit einschließt (Otto et al., 2000, S.13-14).
Wie im Kapitel 2.6 Emotionstheorien ersichtlich werden wird, stehen hinter verschiedenen Theorien oft verschiedene Fragestellungen und Herangehensweisen der Forschung, welche oft unterschiedliche Komponenten einer Gesamtstruktur erfassen.
So auch im Bereich der Begiffsdefinitionen in der Emotionspsychologie, in welchem unterschiedliche wissenschaftliche Paradigmen unterschiedliche Erklärungen liefern. Wobei ironischerweise unter solcher Betrachtung, das Gestaltbeispiel von Ewert (1983) hinsichtlich der Bedeutungszuschreibung auf diesen Umstand Anwendung findet.
Ulich & Mayring (2003, S.52 zitiert nach Otto et al., 2000) halten gegenwärtig folgende Auffassungen von Emotionen für konsens- und durchsetzungsfähig, wobei folgende Aufzählung somit auch als Arbeitsgrundlage für die vorliegende Diplomarbeit definiert wird.
1. Emotion ist Oberbegriff für „Affekt“, „Gefühl“, „Stimmung“ usw.
2. Emotion wird als System von Komponenten definiert, Kognitive, Physiologische, Soziale usw.
3. Dabei wird die Einschätzung der subjektiven Bedeutung eines Ereignisses als zentral angesehen
4. Emotionen haben instrumentelle Funktion wie z.B. die Steuerung von Handlungen und Kommunikation
5. Emotionen sind Mediatoren in
6. der Schnittstelle zwischen Person und Umwelt
Abb. 1: Zentrale Merkmale von Emotionen
Ulich und Mayer (2003) zeigen in ihrer Aufzählung der zentralen Merkmale von Emotionen auch die Hauptfunktion von Emotionen auf, und zwar die der Mediation und Modulation aller Reize welche auf ein Individuum eintreffen, ob äußerer oder innerer Natur.
Im Folgenden wird diese Hauptfunktion von Emotionen im Sinne der relevanten Funktionskomponenten für diese Arbeit weiter differenziert.
Wie im Kapitel 2.1 gezeigt, kann die Existenz und das Wirken von Emotionen nicht monokausal erklärt werden. Ihre Erklärung besteht aus verschiedenen Komponenten, wissenschaftlicher Teilbereiche. So beschreibt Hülshoff (2006, S.14) dass, je nach Konzept, mit dem man an diese Fragestellung herangeht, werden die Untersuchungen eines emotionalen Phänomens, die Fragestellung und wohl auch die Antworten etwas unterschiedlich ausfallen.
Hülshoff (2006, S.14) beschreibt somit weiter: „Emotionen sind körperliche-seelische Reaktionen, durch die ein Umweltereignis aufgenommen, verarbeitet, klassifiziert und interpretiert wird, wobei eine Bewertung stattfindet“.
So sind mehrere Komponenten an dem theoretischen Konstrukt „Emotion“ beteiligt.
Im Rahmen dieser Annahme schlägt Scherer (1990, S. 6) folgende Arbeitsdefinition des Konstrukts „Emotion“ vor:
Emotion ist eine Episode zeitlicher Synchronisation aller bedeutenden Subsysteme des Organismus, die fünf Komponenten bilden (Kognition, physiologische Regulation, Motivation, motorischer Ausdruck und Monitoring/Gefühl), und die eine Antwort auf die Bewertung eines externalen oder internalen Reizereignisses als bedeutsam für die zentralen Bedürfnisse und Ziele des Organismus darstellt.
Diese Definition bietet einen guten Überblick darüber welche Komponenten an dem Prozess „Emotion“ beteiligt sind. Nie aber können Definitionen ein Gesamtabbild eines betrachteten Objekts geben. Objekt wird hier definiert durch die Bedeutungszuschreibung und Aufmerksamkeitsbündelung eines oder mehreren Betrachtern an diesem. Des Weiteren unterliegen wie angeführt Definitionen immer gewissen vom Betrachter ausgehenden Annahmen und Vordefinitionen, welche wieder sicherlich wie folgende Zitation zeigt durch sein direktes oder indirektes Umfeld geprägt sind.
Definitionen geben an, welches Vorverständnis von den Untersuchungsgegenständen besteht, in welche Richtung gefragt und welche Sachverhalte mit welchen Fragen verknüpft werden sollen. Definitionen beantworten keine Fragen, sondern sie werfen Fragen auf, […]. Emotionsdefinitionen machen also nur innerhalb bestimmter Fragestellungen Sinn. (Ulich et al. 2003, S.54)
Dieser Feststellung möchte ich mich anschließen um die Definition von Scherer noch einmal zu betrachten um die für diese Diplomarbeit relevante Fragestellung herauszuarbeiten. Dabei wird eine Ursprüngliche aus Evolutionsbiologie kommende Kategorisierung von Fragestellungen hinzugezogen. Hülshoff (2006, S.16) unterscheidet hierbei zwischen einer proximaten Fragestellung „Wie“ und einer ultimaten Fragestellung „Warum“.
Solch eine ultimate Betrachtungsweise fragt also nicht nach den Wirkprinzipien eines Phänomens (hier: eines emotionalen Phänomens), sondern betrachtet die Funktion einer Emotion, also deren Anpassungswert. (Hülshoff 2006, S.16)
Unter diesem Aspekt ist für die vorliegende Diplomarbeit aufgrund der vorgestellten Hypothesen die subjektive Selbsteinschätzung der Probanden bezüglich Ihrer Gefühlsbreite deren Akzeptanz/Ablehnung und dem dysfunktionalen Umgang mit Gefühlen die Frage nach dem „Warum“ oder auch „Wozu“ die relevantere Fragestellung. Angewandt auf die Definition von Scherer interessiert hierbei der Teil: […] und die eine Antwort auf die Bewertung eines externalen oder internalen Reizereignisses als bedeutsam für die zentralen Bedürfnisse und Ziele des Organismus darstellt. (Scherer 1993, S. 4)
Folgende Zitation kann somit für dieses Kapitel zusammenfassend wirken und das Interessensgebiet im Diplomarbeitsbereich Emotionen verdeutlichen.
Die zentrale Rolle kognitiver Prozesse, besonders bei der Einschätzung und kontinuierlichen Neueinschätzung der Auseinandersetzung mit der Umwelt, aber auch bei dem Entwurf von Handlungen, stellt den Kern gegenwärtiger Arbeitsdefinitionen von Emotionen dar. (Otto et al. 2000, S.16)
Eine Übersicht über die Komponenten welche bei Emotionen eine Rolle spielen gibt Merten (2003) zitiert nach Scherer (1990):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Emotionskomponenten als Zustandsformen fünf organismischer Subsysteme (nach Scherer, 1990)
Wie vorangegangen erwähnt interessieren im Bereich dieser Arbeit vor allem zwei Komponenten. Die Kognitive Komponente die der Reizbewertung dient und die Gefühlskomponente welcher die Reflexion und die Kontrolle der Emotionen zugrunde liegen. In weiterer Betrachtung wird aber auch die Motivationale Komponente welche die Handlungsvorbereitung steuert wichtig werden.
Durch Ulich et al. (2003, S.54) wurde im vorherigen Kapitel gezeigt, dass eine Antwort auf eine wissenschaftliche Frage nur dann Sinn macht wenn, die Fragestellung die zu bearbeitenden Thememkomplexe eingrenzt. Aus diesem Grund werden in dieser Arbeit im Bereich Emotionen die Komponenten Neurophysiologie und Ausdruck eine nachgeordnete Rolle einnehmen.
„Ohne Emotionen ist ein Mensch blind
Quasi Farbenblind – für alle Farben“.
Sulz (2000)
Die Frage welche sich unmittelbar stellt, wenn angenommen wird, dass Emotionen wie gerade aufgezeigt Reizbewertungsprozessen unterliegen ist, ob es folglich gute und schlechte Emotionen gibt.
Hülshoff (2006, S.15) schreibt hierzu in einem einführenden Werk:
„Ein wichtiges Anliegen dieses Buches ist es aufzuzeigen, dass es keine guten oder schlechten Gefühle, sondern angemessene oder unangemessene Gefühle gibt. Die Frage der Angemessenheit aber ist immer Kontextabhängig. Die Frage ist also: Wozu ist ein Gefühl gut? […]“
Izard (1999, S.35) fügt passend hinzu:
Jedoch kann jede Emotion (z.B. Freude, Furcht) positiv oder negativ sein, wenn die Kriterien für eine Klassifikation auf der Angepasstheit oder Unangepasstheit einer Emotion für eine bestimmte Situation basieren. Extrem starke Erregung kann Probleme schaffen in einer sexuellen Beziehung, und zu viel Freude über das Leiden eines anderen kann zu Sadismus führen.
Emotionen sind also nicht neutral und hängen in hohem Maße von den Umgebungsfaktoren des Individuums ab, wie auch folgendes Exzerpt von Izard (1999, S.25) zeigt:
„Ob eine bestimmte Emotion in diesem Sinne positiv oder negativ ist, hängt ab von intraindividuellen Prozessen zwischen Person und Umgebung wie auch von allgemeineren ethologischen und ökologischen Bedingungen.“
Welchen Sinn haben also Emotionen? Welchen Sinn haben Aggression oder Trauer, Sehnsucht oder Angst oder Freude? Bezugnehmend auf Hühlshoff (2006) wird davon ausgegangen, dass evolutionsbiologisch im Sinne eines lösungsorientierten Mediators jede Emotion ihren Sinn und Anpassungswert hat, auch wenn diese als positiv oder negativ bewertet wird beziehungsweise so empfunden wird. Diese Unterscheidung ist deshalb wichtig, da im Folgenden die Begriffe positive/negative Emotionen aus praktischen Gründen zwar verwendet werden, diese Begriffe aber nicht darüber hinwegtäuschen sollen, dass nicht das gesamte Spektrum menschlicher Emotionen ihre Berechtigung hat, wenn man sich den Begriffen „Emotion“ und „Emotionsregulation“ unter klinischer Betrachtung nähern will. Im Kapitel 2.4 und 2.5 wird darauf aufbauend auf die individuellen Färbungen von Emotionen weiter eingegangen.
„Was geschähe, gäbe es die Trauer nicht? Menschliche Bindung und Solidarität, Liebe und Zuneigung haben als Kehrseite der Medaille Trauer vor Verlust zur Folge“ (Hülshoff, 2006, S.15)
In der Emotionspsychologie wird versucht, einen Konsens darüber zu erreichen wie verschiedene Emotionen klassifiziert und eingeordnet werden können, um im weiteren Verlauf in der Messung dieser auf eine einheitliche Basis beziehungsweise Vorstellung zurückgreifen zu können. Dazu schreibt Ulich und Mayring (2003, S.144) zitiert nach Otto et al. (2000, Kap. 1.3):
Die bisherigen Versuche, konkrete Gefühle zu inventarisieren und zu ordnen, sind fast unübersehbar in ihrer Zahl und unübersichtlich in ihrem Inhalt.
In diesen Bemühungen der verschiedenen Autoren, Emotionen zu klassifizieren lassen sich nach Ulich und Mayring (2003, S.144) drei Ordnungsstrategien unterscheiden.
- Die Suche nach Basisemotionen (Primäremotionen), meist abgeleitet aus der phylo- und/oder ontogenetischen Entwicklung […].
- Das Aufstellen grundlegender Dimensionen, die ein Koordinatensystem darstellen, in die dann die konkreten Emotionen eingeordnet werden.
- Das Aufstellen eines Klassifikationssystems, in dem spezifische Emotionen zu einzelnen Gruppen zusammengefasst werden.
In der Auswahl eines geeigneten zu Grunde liegen Klassifikations- oder Messsystems ist es wichtig zu berücksichtigen in welchem Kontext dieses einzubetten ist, und welches Ziel damit verfolgt werden soll.
Schmidt-Atzert & Ströhm (1983, S. 135) verfolgen mit ihrer Clusteranalyse von Emotionsbegriffen das Ziel, eine empirisch belegbare Klassifikation vorzunehmen, wobei dieser Versuch dem Aufzählungspunkt drei von Mayring (2003) zuzuordnen ist. Anders als bei der Suche nach Primäremotionen, nach zum Beispiel Bridges (1983) oder Plutchik (1980) meist abgeleitet aus Verhaltensbeobachtungen beim Mensch oder Tier, versucht Schmidt-Atzert et al. (1983) „eine Gegenüberstellung und Bewertung von Emotionslisten, die auf der empirischen Analyse von Emotionswörten beruhen“ (Merten, 2003, S. 19).
Wie Ulich et al. (2003, S.151) beschreiben, waren Ausgangspunkt dafür umfangreiche Listen aller Emotionsbegriffe in verschiedenen Sprachen, reduziert auf 56 Begriffe, welche eindeutig Emotionen kennzeichnen. Diese wurden wie Ulich et al. (2003) weiter beschreiben von Probanden in (beliebig viele) Gruppen geordnet und die Ergebnisse einer Clusteranalyse unterzogen.
Schmidt-Atzert & Ström extrahierten und interpretierten hier 14 Emotionsklassen und vergleichen ihr Ergebnis mit anderen klassischen Studien (Schmidt-Atzert & Ström 1983, S. 138). Danach können vor allem Abneigung, Ärger, Neid, Angst, sexuelle Erregung, Unruhe, Traurigkeit, Scham Freude, Zuneigung und Überraschung als eigenständige Emotionskategorien angesehen werden. (Ulich et al., 2003, S. 151)
Ulich et al. (2003, S.151) erklären weiterhin, dass der dort zugrunde gelegte Ansatz der Kombination empirischer Klassifikation mit theoretischer Analyse heute zur Differenzierung spezifischen Emotionen am fruchtbarsten erscheint.
Merten (2003, S. 19) beschreibt, dass nach neueren Erkenntnissen von Schmidt-Atzert (2003), „[…] in allen referierten Studien die Emotionskategorien Ärger, Angst/Flucht, Traurigkeit und Freude gefunden wurden“.
Aufbauend auf dieser theoretischen Grundlage wurde im weiteren Verlauf von Sulz (1999) das Verhaltensdiagnostiksystem VDS32 (Emotionsanalyse) aus Materialienmappe Strategische Therapieplanung (VDS20-VDS47) entwickelt, welches auch in dieser Arbeit verwendet wird.
Für die weitere Betrachtung von Emotionen werden, bezogen auf die in Kapitel 1.2 postulierten Hypothesen, zwei zu Unterscheidende Emotionsdimensionen wichtig sein. Einmal die Breite der wahrgenommenen Basisemotionen (Angst, Trauer, Wut, Freude) als auch deren Intensität, wie auch im weiteren Verlauf deren Akzeptanz oder Ablehnung.
Die Bevorzugung einer Klassifikation von Emotionen nach Emotionslisten, soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Einordnung der Emotionen nach Dimensionen, also ihrer Beziehungsstruktur (meist bipolar), aber auch nach Primär- und Sekundäremotion in anderen Kontexten durchaus hilfreich sind. So versuchen zum Beispiel die dimensionalen Ansätze aufzuzeigen wie die einzelnen Emotionen untereinander in Beziehung stehen.
Ein gutes Beispiel für eine dimensionale Anordnung ist das dreidimensionale Circumplexmodell von Plutchik (2003), welches versucht aus einer evolutionsbiologischen Betrachtungsweise, Emotionen nach deren Intensität und deren Gemeinsamkeiten zu ordnen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Plutchik´s Wheel of Emotion (Plutchik, 2002)
Das Modell von Plutchik versucht sowohl die Annahme von Primär- und Sekundäremotionen zu berücksichtigen, als auch die Annahme dass Emotionen in Dimensionen zu klassifizieren sind und somit mehr oder weniger miteinander „verwandt“ sind, oder Ähnlichkeit besitzen. So unterscheidet Plutchik (2002, S. 103) in seinem „Wheel of Emotion“, Abb.3 drei Eigenschaften von Emotionen
… (a) the vary in intensity (Intensität), (b) they vary in degree of similarity (Ähnlichkeit) to one another, (c) they express opposite bipolar (Gegensätzlichkeit) feelings or actions.
Das zweidimensionale Modell gibt dabei Aufschluss über die Ähnlichkeiten der Emotionen zueinander und sagt weiterhin aus, dass bestimmte Emotionen Gegensätzlich angeordnet sind, wie zum Beispiel „joy“ (Freude) und „sadness“ (Traurigkeit) oder „anger“ (Ärger) und „fear“ (Angst), welche wie oben gezeigt auch Schmidt-Atzert (2003) fanden. Das dreidimensionale Modell hingegen, berücksichtigt die Intensität der Emotionen, zum Beispiel von „serenity“ (Heiterkeit) über „joy“ (Freude) bis zu „ecstasy“ (Ekstase). Interessant ist weiterhin, dass Plutchik (2002) davon ausgeht, dass bestimmte Emotionen ein Produkt von zwei zugrundeliegenden Emotionen darstellen, wie das bei „love“ (Liebe) der Fall ist. Diese entsteht aus „serenitiy“ (Heiterkeit) und „acceptance“ (Akzeptanz/Annahme).
Auch die für diese Arbeit wichtigen Basisemotionen (Freude, Trauer, Angst und Ärger) sind in Plutchik´s Theorie enthalten, zumal Plutchik noch vier weitere Emotionen zu den Basisemotionen dazuzählt, also insgesamt acht.
Bezüglich der zahlreichen Versuche Emotionen zu ordnen und zu klassifieren und in Beziehungen zueinander zu setzen fügt Plutchik (2003, S.103) passend hinzu: „Neither colors nor emotions are clear-cut categories with sharp boundaries.“
„Sie stritten sich beim Wein herum,
Was das nun wieder wäre;
Das mit dem Darwin wär` gar zu dumm
Und wider die menschliche Ehre.
Sie tranken manchen Humpen aus,
Sie stolperten aus den Türen,
Sie grunzten vernehmlich
Und kamen zu Haus
Gekrochen auf allen vieren.
(Wilhelm Busch)
Plutchik (2002) geht in seinem Modell der Emotionen davon aus, dass die acht gefundenen Basisemotionen dem Menschen angeboren sind und somit bei allen Menschen in gleicher Weise vorhanden sind. An diesem Punkt ist eine weitere Unterscheidung notwendig, vor allem vor dem Hintergrund einer Erhebung von Daten aufgrund subjektiver Selbsteinschätzungen, wie das Anhand eines Fragebogens für diese Arbeit geschehen ist. Es kann deshalb bei der Erhebung von Emotionen via Fragebogen nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass alle Probanden die gleiche Vorstellung der abgefragten Emotionen besitzen. Wie aber im Folgenden gezeigt wird, kann trotzdem davon ausgegangen werden, dass die Basis (Primär) Emotionen bei jedem Menschen vorhanden sind, auch wenn diese zum Teil unterschiedlich erlebt werden.
Die Frage ob Emotionen eher angeboren oder erlernt sind, kann nicht ohne weiteres zu Gunsten der einen oder anderen Seite verabsolutiert werden.
Depending on how many special conditions are required for a given emotion to develop, and on how special they are, the emotion will be located more towards the `basic` end of the spectrum or more towards the `culturally specific end. (Evans 2003, S.16)
Vielmehr können Emotionen wie auf einer Skala entweder mehr in Richtung angeboren oder in Richtung erlernt rücken, wie Evans (2003) im vorherigen Zitat zum Ausdruck bring.
Dylan Evans (2003, S.4, 5) bezieht sich auf die in den späten 60’ern von Paul Ekman durchgeführte Fore-Studie und zeigt auf, dass die Emotionen Freude (Joy), Trauer (Distress), Wut (Anger), Fear (Angst), Suprise (Überraschung) und Ekel (Disgust) kulturübergreifend bei allen Menschen vorhanden sind.
There is no culture in which these emotions are absent. Moreover, they are not learned; they are hardwired into human brain. This much is clear from the fact that babies who are born blind still make the facial expressions typical for these emotions – smiling, grimacing, and so on (Evans, 2003, S.4,5).
Des Weiteren führt Evans (2003, S.7)) bezogen auf die Studie von Ekman aus:
The studies tell us nothing about the subjective feeling behind those expressions. […]. I can never be sure for example that your experience of the colour red, or your sense of the sweetness of sugar, are the same as mine.
Emotionen welche in höherem Maße kulturellen Einflüssen unterliegen nennt Evans (2003, S. 21) Higher cognitive Emotions. Hierunter fallen Liebe (Love), Schuld (Guilt), Scham (Shame), Enttäuschung (Embarrassment), Stolz (Pride), Neid (Envy) und Eifersucht (Jealousy).
Nicht nur dass letztere Emotionen mehr durch kulturelle Einflüsse geprägt sind, sie weißen auch noch mehr als die Basisemotionen folgende Eigenschaften auf:
They are not so automatic and fast as basic emotions, and nor are they universally associated with a single facial expression (Evans, 2003, S.20).
Evans (2003, S.20) weißt des Weiteren darauf hin, dass die höheren kognitiven Emotionen mehr kortikale Aktivierung mit sich bringen: „[…], because they involve much more cortical processing than basic emotions“.
Ob Emotionen nun eher auf der genetisch bedingten oder der kulturell geprägten Seite einer Skala angeordnet werden können, hängt unter anderem wie ausgeführt vom kortikalen Einfluss, von der Schnelligkeit und Unmittelbarkeit (Rigidität) einer Emotion und außerdem auch noch von der Unverfälschbarkeit einer Emotion ab. Als unverfälschbar gelten Emotionen dann wenn diese ein „honest Signal“ darstellen und wie das Wort besagt, schwer zu imitieren, zu simulieren oder zu fälschen sind.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die subjektiven Empfindungen der Probanden einer Stichprobe bezüglich ihrer wahrgenommenen Emotionen sicherlich divergieren, diese Divergenz aber durch einmal die Verwendung von Basisemotionen und zweitens durch eine kulturell homogene Stichprobe gering gehalten werden kann.
Ulich et al. (2003, S. 135, zitiert nach Saarni, 1998) fasst die Wechselwirkung von Emotion und Sozialisation gut zusammen:
Im Verlauf der Sozialisation findet eine emotionale <Spezialisierung> statt, aufgrund derer das Kind bestimmte emotionale Zustände, die eine Auswahl aus einer großen potenziellen Bandbreite möglicher emotionaler Erlebnisse darstellen, bevorzugt erlebt
Dazu passend schreibt Sulz (2000, S.10):
Der Mensch kann kognitiv und affektiv Stellung nehmen zur Welt und zum Selbst, er kann beide bewerten. Und er kann sein Wahrnehmen, Erleben und Bewerten in Sprache umsetzen. Diese spezifisch menschlichen Fähigkeiten, die er in so unvergleichlichem Ausmaß differenzieren und weiterentwickeln konnte, sind vielleicht die Basis der Vielfalt und Reichhaltigkeit der menschlichen Psyche.
„Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen, sondern was wir über die Dinge denken“
(Seneca)
Emotionstheorien geben ganz unterschiedliche Antworten auf die Frage, wie ein bestimmter Gefühlszustand entsteht, welche Komponenten er enthält, von welchen Bedingungen seine Entstehung abhängt, und welche Folgen er gegeben falls hat (Ulich, 2003, S. 62).
Dieses Exzerpt von Ulich (2003) verdeutlicht dass unterschiedliche Theorien aufgrund ihrer Schulen Zugehörigkeit zu Emotionen einmal mehr diesen und einmal mehr jenen Aspekt zur zum Beispiel Entstehung von Emotionen hervorheben.
Die folgenden Emotionstheorien stellen einen Auszug der in der Emotionspsychologie bekannten Emotionstheorien dar. Exemplarisch werden hierbei solche erläutert, welche einmal nach zahlreichen Autoren den größten Einfluss auf die heutigen emotionspsychologischen Paradigmen ausüben, zweitens aber auch jene welche den größten Beitrag zur vorliegen Diplomarbeit liefern können. Sowohl die unter 2.6.1 als auch die unter 2.6.2 dargestellten Emotionstheorien versuchen aktual genetische als auch allgemeine Aspekte der Emotionsgenese gleichermaßen zu behandeln. Zumal das Kapitel 2.6.1 eher in Richtung allgemeine Emotionsgenese und das Kapitel 2.6.2 eher in Richtung Aktual Genese von Emotionen tendiert.
Von persönlichem Interesse war bei der Einarbeitung in Emotionstheorien ein möglichst umfassendes Bild dieser zu bekommen um einer integrativen Sichtweise möglichst nahe zu kommen. Deshalb schließt dieses Kapitel mit einer Abhandlung zum Versuch viele Aussagen zu Emotionen, welche heute allgemein anerkannt sind, in eine Integrative Theorie zusammenzuführen.
Evolutionstheoretische Ansätze unterscheiden sich von anderen Ansätzen im Wesentlichen darin, dass sie eine zusätzliche Erklärungsebene einbeziehen. Sie beschreiben nicht ausschließlich physiologische und psychologische Vorgänge (proximate Erklärungen) und deren ontogenetische Entstehung (distale Erklärung), sondern fragen vor allem, warum ein Phänomen überhaupt in der Phylogenese entstehen konnte, zu welchem Zweck es sich herausbildete und welchen Reproduktionsvorteil es erbrachte (ultimate Erklärungen) (Otto et al., 2000, S. 45).
So können die evolutionsbiologischen Emotionstheorien auch der Gruppe der funktionalistischen Theorien zugeordnet werden.
Die Emotionstheorie von Cosmides und Tooby (2000) versteht sich als Weiterentwicklung zahlreicher älterer Theorien zu Emotionen aus der Evolutionsbiologie (wie zum Beispiel nach Darwin) und stellt nach Meinungen zahlreicher Emotionstheoretiker den momentan fruchtbarsten Ansatz in der Erklärung emotionaler Phänomene dar.
Die Autoren Cosmides und Tooby (2000) beschreiben Emotionen als „[…] Dirigenten eines kognitiven Orchesters“ (Schwab, 2004, S. 120) und Emotionen somit als „[…] Metaprogramme, die zur Lösung adaptiver Probleme unsere kognitiven Subroutinen in spezifischer Art und Weise beeinflussen“ (Schwab, 2004, S. 108).
Cosmides und Tooby (2000) definieren also Emotionen, wie Schwab (2004) beschreibt, als übergeordnete Programme welche eine „[…] Anpassung zur Orchestrierung verschiedenster Mechanismen […]“(Schwab, 2004, S.109) darstellen. Wie Schwab (2004) weiter ausführt sind diese Mechanismen gleichzusetzen mit evolvierten, domainspezifischen Programmen oder Mikroprogrammen welche sich aufgrund realer und somit adaptiver Probleme entwickelt haben.
Jede Emotion ruft verschiedene, adaptive Programme durch Aktivierung, Deaktivierung und Parameterjustage auf, um das Gesamtsystem in einen harmonischen und effektiven Zustand zu bringen, wenn es mit bestimmten Hinweisreizen oder Situationen konfrontiert wird (Schwab, 2004, S. 109).
Weiters beschreibt Schwab (2004, S. 109):
Diese Konstellation war in der Lage, in der Vergangenheit im Mittel die meisten adaptiven Probleme, die mit der Situation verbunden waren, zu lösen. Zu den so zu steuernden Subprogrammen gehören Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Schlussfolgern, Lernen, Gedächtnis, Zielwahl, motivationale Prioritäten, Kategorisierung und konzeptuelle Rahmen sowie physiologische Reaktionen. Aber auch Reflexe, Entscheidungsregeln für Verhalten, motorische Systeme, Kommunikationsprozesse, energetische Prozesse, affektive Färbungen von Ereignissen und Stimuli, die Rekalibrierung von Wahrscheinlichkeitseinschätzungen, Situationseinschätzungen, Werte und regulierende Variablen, wie etwa der eigene Selbstwert etc. Die Emotion ist in diesem Ansatz nicht reduzierbar auf eine Kategorie dieser Effekte wie etwa Physiologie, Verhaltensfolgen, kognitives Appraisal oder erlebte Gefühlszustände (Schwab, 2004, S.110).
Adaptive Probleme sind nach Schwab (2004, S.112) „[…] evolutionär lange bestehende, wiederkehrende Gruppierungen von Bedingungen, welche reproduktive Möglichkeiten oder reproduktive Hindernisse konstituieren.“ Diese wurden nach Schwab (2004, S.112) „[…] von der Selektion geformt, um solche Möglichkeiten auszunutzen oder Hindernisse zu umgehen, um zu einer Steigerung der Netto-Lebensspannen-Reproduktivität des Organismus und seiner biologischen Verwandten beizutragen.
Adaptive Probleme dürfen aber nach Schwab (2004, S.112) nicht mit kurzfristigen Bedrohungen oder dem eigenen Überlegen gleichgesetzt werden. Für die Evolution ist Überleben nicht von zentraler Bedeutung, da schließlich alle Organismen früher oder später sterben müssen. „Überleben ist nur insofern bedeutsam, als es zur Reproduktion bestimmter Gestaltungsmerkmale beiträgt, […]“ (Schwab, 2004, S.112).
So können nach Schwab (2004, S.112) der sich auf Cosmides und Tooby (2000) beruft, auch scheinbar negative oder nutzlose Gefühle wie zum Beispiel das der Depression unter Anbetracht der Fitnesskonsequenzen für die Gesamtlebensspanne ihre Berechtigung aufweisen, da letzteres somit induziert, dass bisherige Pläne und Strategien oder Verhaltensweisen die in der Vergangenheit als lustvoll erlebt wurden eine neue affektive Beurteilung benötigen und eine Neu-beziehungsweise Umstrukturierung dieser erforderlich wird/ist, „[…] sodass in Zukunft veränderte Gewichtungen in Entscheidungsprozessen Berücksichtigung finden“ (Schwab, 2004, S.112).
Somit wird nach Schwab (2004, S.113) auch die Unterscheidung zwischen Emotion und Kognition hinfällig, da die Evolutionspsychologie „[…] das so genannte Denken in verschiedene unabhängige domainspezifische Programme auflöst, auf welche Emotionen in vielfältiger Weise Einfluss nehmen können. Diese kognitiven Module entsprechen funktionell der Entwicklung von Organstrukturen wie der Leber zur Entgiftung oder Herzen zum Bluttransport. Die menschliche Architektur wird als multimodular verstanden, wobei viele Programme funktionell zur Lösung bestimmter Probleme gestaltet sind.“
Ein Beispiel welches bisher gesagtes gut veranschaulicht ist die Evolution der Fähigkeit des Menschen zur Phantasie oder Fiktion.
Emotionale Programme integrieren also einen immensen Reichtum an Weisheit, der für viele Organismen jedoch nur zugänglich ist, wenn sie mit Umwelten und Situationen konfrontiert werden, die entsprechende Hinweisreize offenbaren, um das Programm zu aktivieren, dies reduziert den Vorteil, dieser Programme immens. Ein entscheidender evolutionärer Vorteil entstand, als es möglich wurde, auf die Programme zuzugreifen, indem entkoppelte fiktionale oder contrafraktische Abbilder oder Ereignisse eingespeist werden konnten, so dass die Antworten der Emotionsprogramme erfahrbar wurden. Dies konnte zur Planung und Analyse von Verhalten, Motiven sowie Rekalibrationen herangezogen werden (Schwab, 2004, S.112).
Die Theorie von Cosmides und Tooby (2000) zusammengefasst durch Schwab (2004) ist noch wesentlich umfangreicher und bezieht des weiteren Bereiche wie Kommunikation und Stimmungen mit ein, auf welche aber hier nicht weiter eingegangen werden kann.
Es ist allen funktionalistisch geprägten Theorien der Emotionen gemein, dass diese aufbauend auf strukturalistischen Theorien versuchen Emotionen vermehrt unter ihrem funktionalistischen Hintergrund zu beleuchten.
Unter einem funktionalistischen Forschungsparadigma wird eine Emotion nicht mehr als eine Konfiguration von Emotionsformen definiert, sondern über die Funktion, die sie im System der individuellen Tätigkeitsregulation einnimmt (Holodynski, S. 16, 2009, nach Frijda, 1986 und Lazarus, 1991)
Nach Holodynski (2009, S.17) kommen den Emotionen zwei besondere Funktionen zu. Einmal die der motivrelevanten Einschätzung der Situation und die Auslösung einer Handlungsbereitschaft. Frijda (1986) zitiert nach Holodynski (2009, S.17) beschreibt weiter, dass „Die auf die Person einströmenden externen oder internen Reize […] werden fortlaufend daraufhin eingeschätzt, inwiefern sie für die Befriedigung der individuellen Motive und relevanten Anliegen förderlich, hinderlich oder abträglich sind. Diese Einschätzungsprozesse (>appraisals<) lösen die emotionale Handlungsbereitschaft aus. […] Die durch die Bewertung ausgelöste Handlungsbereitschaft (>action readiness<) soll die Beziehung zur Umwelt in motivdienlicher Weise verändern. […] Ärger zum Beispiel verändert die Handlungsbereitschaft dahingehend, die Quelle der Zielblockade beseitigen zu wollen.“
„Die Qualität einer Emotion hängt somit von der Bedeutung ab, die das Individuum dem aktuellen Ereignis in Bezug auf die eigene Motivbefriedigung zuweist. Sie führt zu einer spezifischen Beziehungsbedeutung (>relational meaning<, nach Lazarus, 1991).“ (Holodynski, 2009, S. 18). So können zum Beispiel aufgrund der Tatsache dass ein Kind einem anderen zum Beispiel ein Spielzeug vorenthält verschiedene Reaktionen entstehen, je nachdem wie das gegenüber diese Situation bezogen auf seinen Wunsch einschätzt. Wird diese allein als Nichterfüllung des eigenen Wunsches angesehen, ist Frustration die Folge. Denkt das gegenüber dass ihm/ihr das Spielzeug absichtlich verweigert wurde und er/sie sich gegen den Auslöser zur Wehr setzen kann, wird diese mit der Emotion Ärger reagieren. Steht stattdessen Zwiespalt im Vordergrund, dass der andere etwas besitzt, das man selber auch gerne besitzen würde, dann würde diese Person mit Neid reagieren.
Das funktionalistische Paradigma hat isoliert gesehen für die Thematik dieser Arbeit den größten Aufklärungswert, da es hierfür vier besonders wichtige Teile von Emotionen anspricht. Wie gerade ausgeführt die Appraisalprozesse, daneben die Regulationsprozesse und die Unterscheidung in Emotionsbezogenes und Problembezogenes Coping, welche in den folgenden Kapiteln noch ausführlicher besprochen werden. Gesagtes verdeutlicht folgende Abbildung:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: Emotion in der Sichtweise des funktionalistischen Paradigmas
Eine funktionalistische Emotionstheorie wirft aber auch zwei neue Probleme auf, und zwar die Unterscheidung zwischen Wissen (>knowledge<) und Einschätzung (>appraisal<) und wie eine Person ohne sichtbaren Ausdruck subjektiv Fühlen kann. Es wird wie Holodynski (2009, S. 19) ausführt nicht zwischen einer >cold cognition< und einer >hot emotion< unterschieden. Nach Holodynski (2009, S. 18) ist nur der Mensch zur symbolischen Repräsentation der Welt (einschließlich seiner selbst und seiner Beziehung zur Welt) fähig. „Und dieses Wissen, wie die Dinge im Allgemeinen und im Besonderen funktionieren, was sie zu bedeuten haben, ist unabdingbar, um angemessen handeln zu können“ Holodynski (2009, S. 18). Eine Person kann zum Beispiel wissen, dass Sie nach dem Tod eines Verwandten jetzt trauern müsste, da dies die Regel ist, fühlt aber keine >hot emotion< wie intensive Trauer mit allen Erscheinungen, sondern lediglich eine >cold cognition<. Holodynski (2009, S.18) schreibt dazu:
Wann kann eine Person sicher sein, dass sie eine Emotion tatsächlich fühlt und nicht nur glaubt sie zu fühlen? Dieses Problem ist nicht nur von theoretischer Relevanz, sondern es hat auch praktische Konsequenzen. Denn Menschen können in ihrem alltäglichen Handeln Appraisal und Wissen verwechseln, sei es dass man Emotionen fälschlicherweise zu erleben glaubt, oder umgekehrt, dass man um tatsächliche Emotionen unangemessen oder gar nicht weiß, und sie damit nur unzureichend in die eigene bewusste Handlungsregulation einbinden kann. Das kann fatale Folgen für die eigene Lebensführung bis hin zu psychischen Störungen nach sich ziehen. Mittlerweile kümmert sich ein ganzer Berufszweig, die Psychotherapeuten, um diese Folgen.
Die Äußerung von Holodynski (2009), dass es selten vorkommt dass Menschen über ihre Emotionen in ihrem gesamten Spektrum „bescheid wissen“ steht in direktem Zusammenhang mit der Hypothese eins dieser Diplomarbeit.
Nach Holodynski (2009, S.21) kann dieses theoretische Problem gelöst werden indem man zwischen realem Fühlen und mentalem Feedback unterscheidet Dieses mentale Wissen um Gefühle und deren Erlebniskomponente entsteht im Verlauf der Ontogenese durch mentale Ausdruckszeichen und durch mentale Körpersensationsmarkern (>somatic marker<) (Damasio, 1994), welche quasi die subjektive Erlebniskomponente einer Emotion ausmachen. Diese entstehen nach Holodynski (2009, S.21) durch introspektive Wahrnehmung realer oder zentralnervös gespeicherter, interozeptiver oder propriozeptiver Rückmeldungen aus dem Körper, die durch Appraisalprozesse ausgelöst worden sind.
Dazu sollte man sich von der bislang üblichen Vorstellung lösen, dass die Emotionsformen ausschließlich instrumentelle Funktionen für die Handlungsbereitschaft haben (z.B. den Körper auf eine Gefahr hin fluchtbereit zu aktivieren). Stattdessen sollte man sich mit der Vorstellung vertraut machen, dass Emotionsformen auch ausschließlich eine semiotische Funktion, eine Zeichenfunktion haben können (z.B. Gefahr nur signalisieren ohne eine Fluchtbereitschaft zu aktivieren). Nur unter der Bedingung, dass Emotionsformen ausschließlich als Zeichen für die Person selbst benutzt werden, ist es prinzipiell möglich, dass sie in ihrem subjektiven Gefühl Körper- und Ausdruckszeichen verspürt, ohne dass ein Beobachter diese wahrnehmen kann. Holodynski (2009, S. 22)
Holodynski (2009, S.22) schreibt weiter: „Offensichtlich wäre dies nicht der Ausgangspunkt der Entwicklung beim Säugling, sondern ein späterer Entwicklungszustand, der eher Erwachsene kennzeichnet“.
Diese Unterscheidung zwischen der instrumentellen und semiotischen Funktion von Emotionen, verdeutlicht die Tendenz eines Individuums erprobtes externales zu internalisieren. Mit Verweis auf Kapitel 3 kann angedeutet werden, dass sich die Handlungsregulation im Laufe eines Lebens verändern kann bzw. verändern sollte, von der interpersonalen zur intrapersonalen Regulation, von der abhängigen dyadischen Regulation einer Mutter-Kind-Beziehung in die selbstständige Regulation des Erwachsenen Menschen. Vygotskij (1992, S. 235 f.) schreibt:
[…] Jede höhere psychische Funktion war äußerlich, …bevor sie eine innere, eigentlichen Sinne psychische Funktion wurde. Sie stellte zuerst eine gesellschaftliche Beziehung zwischen zwei Menschen dar. Das Mittel der Einwirkung auf sich selbst ist ursprünglich ein Mittel der Einwirkung auf andere oder ein Mittel der Einwirkung anderer auf einen selbst.
Wie mangelhaft erlernte Regulationsstrategien mit Emotionen und süchtigem Verhalten einhergehen wird durch die Hypothese zwei dieser Arbeit umbeschrieben.
In diesem Sinne wird deutlich, dass der Einfluss des sozialen Umfelds auf ein Individuum und damit auf ihre Emotionen und Emotionsregulation nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Der Mensch als Kulturschaffendes Wesen hat von Generation zu Generation ein Kulturgut geschaffen welches als großer Erfahrungsspeicher durch lernen „vererbt“ wird. „Dieser Erfahrungsspeicher besteht nicht nur aus technischen Instrumenten und Handlungsverfahren, die den Austausch mit der Natur betreffen, sondern auch aus sozialen Instrumenten und Handlungsverfahren, die das Miteinander der Menschen durch ein System von Normen und Werten regeln“ Holodynski (2006, S.33) nach Matsumoto (2000), und woraus wiederum eine unglaubliche individuelle Vielfalt und Variabilität der Emotionsformen- und -funktionen ermöglicht wird. Diesen Prozess der Enkulturation verdeutlicht folgendes Beispiel auf verblüffende Weise.
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