Hausarbeit, 2011
26 Seiten, Note: 1,0
1 Einleitung
2 Das Neue Rathaus Hannover
2.1 Die Entstehungsgeschichte
2.2 Das Erscheinungsbild
2.3 Die Kuppel
2.4 Die Südfassade
3 Fazit
4 Literaturverzeichnis
5 Abbildungsverzeichnis
Welches Gebäude ist für mich persönlich das Schönste? Und weshalb? Diese Fragen habe ich mir im Zuge des Oberseminars ”Architektur und Sprache” ge- stellt und einen Aufsatz darüber verfassen. Zunächst bin ich gedanklich alle Orte durchgegangen, an denen ich bisher war und habe überlegt, ob ein bestimmtes Gebäude einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Dabei habe ich festgestellt, dass es durchaus viele Gebäude gibt, die schön oder ansprechend sind. Natürlich hat der Sacre-Coeur in Paris einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Weiß und mächtig, wie er auf dem grünen Berg thront und über die Stadt wacht. Ebenso ist auch die Sagrada Fam´ılia in Barcelona sehr imposant, trotz der vielen Baukräne. Und auch der Petersdom im Vatikan strahlt eine monumentale Kraft aus, die sei- nes Gleichen sucht. Nein, vielmehr bin ich in meinen Gedanken immer wieder zu einem vergleichsweise viel unbedeutenderen Gebäude zurückgekehrt: Das Neue Rathaus in Hannover. Die bereits genannten Architekturen zählen im Allgemei- nen zu den schönsten und perfektesten. Aber das Neue Rathaus ist in keinster Weise eine perfekte Architektur. Vielmehr hat es im Laufe seiner Existenz enor- me Kritik ertragen müssen. Und doch ist es für mich das schönste Gebäude, das ich kenne. Ich habe während der Aufgabe gemerkt, dass Perfektion nicht alles ist, sondern daran noch Dinge wie Emotionen und Erinnerungen geknüpft sind. Denke ich an das Neue Rathaus oder sehe es auf Bildern, so überkommt mich ein Heimatgefühl. 20 Jahre lang habe ich in Hannover gelebt, weshalb ich mich beim Anblick des Gebäudes an diese Zeit erinnert fühle. Meine Kindheit, meine Jugend, all dies Verbinde ich mit diesem Gebäude und somit mit der Stadt.
Um einen Eindruck von meinem ”schönsten” Gebäude zu vermitteln, werde ich nun näher darauf eingehen. Zunächst wird auf die Entstehungsgeschichte ein- gegangen, sowie auf die wichtigsten Daten und Fakten, die mit dem Gebäude in Zusammenhang stehen. Anschließend wird die Kuppel thematisiert, die im Zuge der Entstehungsgeschichte für viele Diskussionen sorgte. Bevor die Arbeit mit einem Fazit abschließt, wird sich der Südfassade im Detail gewidmet, um zu veranschaulichen, was an der Architektur so besonders ist und mit welchem Detailreichtum daran gearbeitet wurde.
Aufgrund der dezentralisierten Institutionen zur Stadtverwaltung Ende des 19. Jahrhunderts einigte sich der Stadtvorstand von Hannover auf ein neues Rat- haus, das in Zukunft jegliche Verwaltung unter einem Dach vereinen sollte. Somit fand sich am 13. August 1895 eine öffentliche Ausschreibung in allen Zeitungen, ”zur Erlangung von Plänen für den Neubau eines Rathauses in Hannover”.1 Die Ausschreibung richtete sich an alle Architekten in Deutschland, sowie Österreich- Ungarn und bat sie, ihre Entwürfe bis zum 15. April 1896 einzureichen. Letztend- lich erreichten 53 Entwürfe die königliche Haupt- und Residenzstadt Hannover, von denen sechs ausgezeichnet wurden.2 Die finalen Entwürfe kamen aus ganz Deutschland, darunter ”Piano” von H. Stier aus Hannover (Vgl. Abbildung 1), ”Labor” von T. Kösser aus Leipzig (Vgl. Abbildung 2), ”Rathaus ohne Ober- licht” von H. Seeling (Vgl. Abbildung 3) und ”Kleeblatt mit Stiel” von H. Eggert aus Berlin (Vgl. Abbildung 4). Bemerkenswert dabei ist, dass alle Entwürfe einen gotischen Baustil aufwiesen. Warum das so war, ist bis heute unklar, aber man vermutet, dass sich die Architekten an dem alten Rathaus in Hannover orientiert haben, sowie von den ”spät- und neugotischen Bauten in der hannoverschen Alt- stadt inspirieren ließen”.3 Da es an allen Entwürfen seitens des Stadtvorstandes, allen voran Bürgermeister Heinrich Tramm (Vgl. Abbildung 5), etwas auszuset- zen gab, wurde ein zweiter Wettbewerb ausgeschrieben, allerdings nur unter den sechs finalen Preisträgern. Im ersten Wettbewerb waren alle Entwürfe noch mit Türmen versehen. Doch waren sie zu klein, nicht repräsentativ genug oder viel zu groß. Ein Kritiker, der für den ”Hannoverschen Anzeiger” schrieb, äußerte sich 1896 wie folgt zu der aufgekommenen ”Turm-oder-Kuppel-Diskussion”:
”Die meisten Entwürfe zeigen einen häufigübertrieben hohen Mittelthurm, obgleich nach unserer Ansicht das in Aussicht genommene Terrain, in die Maschlandschaft, ein Kuppelbau gehört.” 4
Während des zweiten Wettbewerbs gingen die Meinungen hinsichtlich der Dis- kussion, ob eine Kuppel oder ein Turm das Stadtbild bereichern würden, stark auseinander. Bürgermeister Tramm war großer Befürworter einer Kuppel für das Rathaus, denn seiner Ansicht nach ”war das Rathaus als Sitz der städtischen Kollegien auch ein’Parlamentsgebäude’, dessenäußere Würde durch einen Kup-pelbau hervorgehoben werden müsse”. 5 Der in Hannover ansässige Schriftsteller Hermann Löns hingegen wetterte vehement gegen die Kuppel und sprach damit vielen Hannoveranern aus der Seele. In einem Gedicht mit dem Titel ”Kuppelei” machte sich Löns Luft:
”Der spitze Turm, das schräge Dach, War deutsche Bauart von je;
Doch seh’ich mir heute die Häuser an, Dann wird mir wirklich weh’.
Nicht morgenländischer kann es wohlIn Kairo und Bagdad ausschaun,Als hier bei uns, wo sie jetzt nur Noch runde Kuppeln baun.
Die Bauart unsrer Väter ist Nichts mehr für unser Gefühl, Die Architekten schwärmen nur Für türkischen Zwiebelstil.
Schimpft man mich auf Reaktionär,Ich sag’es frank und frei:
Es tut uns eine Lex Heinze not, Ein Gesetz gegen Baukuppelei!” 6
Doch so sehr die Meinungen auch auseinander gingen, so muss man aus heu- tiger Sicht sehen, dass das Neue Rathaus in Hannover mit seiner Kuppel ein- zigartig ist verglichen mit anderen Rathausbauten.7 Charlotte Kranz-Michaelis, Architekturexpertin, vermutet, dass Bürgermeister Tramm mit dem Neuen Rathaus ”mit der ungewöhnlichen architektonischen Form dem Berliner Reichstagein städtisches Parlamentsgebäude von ebenso ausgeprägter Eigenart gegenüberstellen (wollte), das zugleich auf die enge Beziehung der Welfenstadt zu England,dem Mutterlande der Demokratie hinweisen sollte.” 8
Den zweiten Wettbewerb entschied am 21. März 1898 mit einer offiziellen Ge- nehmigung der Architekt Hermann Eggert für sich (Vgl. Abbildung 6).9 Die Bau- arbeiten begannen 1901 mit der Ausschachtung und dem Pfahlrost, die Grund- steinlegung folgte am 30. Juni 1903. Bereits ab 1907 konnten die ersten Ämter in das Neue Rathaus einziehen. Im Herbst 1909 musste Tramm den Vertrag mit Eggert lösen, da die Interessen der beiden Männer auseinanderdrifteten. Eggert sei für Tramm zu konservativ und nicht offen genug für neue Entwicklungen in der Gestaltung.10 Eggerts Nachfolge übernahm Prof. Gustav Halmhuber. Rück- blickend wird im Allgemeinen die Außenarchitektur Eggert zugeschrieben, wo- hingegen Halmhuber für die Innengestaltung verantwortlich ist.
Aufgrund der Bodenbeschaffenheit des Maschparks musste das Neue Rathaus auf 6026 Buchenpfählen errichtet werden, wovon jeder der Pfähle circa 20 Ton- nen wiegt. Das Hauptgebäude umfasst eine Breite von 129 Metern, sowie eine Tiefe von 76,34 Metern. Der höchste Punkt liegt bei 97,67 Metern, was das Neue Rathaus damals zum höchsten Gebäude Hannovers machte und die Marktkir- che, die eine Höhe von 75,73 Metern misst, damit ablöste. In der ”Festschrift zur Einweihung des Rathauses im Jahre 1913”, wird der Eindruck des Gebäudes wie folgt festgehalten:
”Die gesättigten Farbentöne des heimischen graugelben Hausteinma-terials, die ruhigen Flächen der braunroten Ziegeldächer, die zurzeit noch dunklen Kupferdächer der in wohlabgewogener Silhouette empor-ragenden Türme werden von dem Grün der Parkanlagen wirksam um-rahmt, und schon aus weiter Entfernung kennzeichnet der edle Umriß der Kuppel mit ihrer goldstrahlenden Bekrönung die Lage der Resi- denzstadt.” 11
Da der beschreibende Fokus mehr auf der Südfassade liegt, soll an dieser Stelle nur kurz auf die imposante Nordfassade eingegangen werden (Vgl. Abbildung 7). Sie ist, wie der Rest des Gebäudes, eine Mischung aus deutscher Renaissance, sowie vorhergehenden und nachfolgenden Stilepochen. Aus diesem Grund wird das Neue Rathaus in Hannover daher auch dem Eklektizismus zugeordnet. Die Nordfassade ist reich verziert12: Die Eingangshalle wird von den Schutzgöttinnen Germania und Hannovera flankiert. Im Giebel der Ratslaube befindet sich das Stadtwappen, welches von zwei wilden Männern gehalten wird (Vgl. Abbildung 8). Links und rechts der Ratslaube, in die das Stadtwappen eingelassen ist, sind ein Löwe, sowie das Niedersachsenross zu erkennen. Die gesamte Fassade ist mit Reliefs verziert, die Szenen aus der Geschichte Hannovers repräsentieren (Vgl. Abbildung 9). Zu guter Letzt findet sich auf der Spitze des Mittelgiebels neben der Uhr die knabenhafte und mit Posaunen ausgestattete Personifizierung von ”Morgen” und ”Abend”, sowie oberhalb der Uhr das Haupt des Zeitgottes (Vgl. Abbildung 10).
Auf der einen Seite ein Highlight eines jeden Besuchs in Hannover, auf der anderen Seite aber auch großer Streitpunkt in der Entstehungsgeschichte des Rathauses: die Kuppel (Vgl. Abbildung 16). Wie schon weiter oben angedeutet, gingen die Meinungen stark auseinander, ob denn nun eine Kuppel oder ein Turm ein adäquates Repräsentationsmerkmal seien. Als einer der berühmtesten Gegner der Kuppel erwies sich Hermann Löns. ”Viele alte Häuser mit spitzen Giebeln standen noch, auch die Thürme waren noch vorhanden, aber platte orientalische Dächer und dicke Kuppeln ließen darauf schließen, daß, wie früher Italiener, jetzt Türken unsere Häuser bauten. [...] Mir war, als schaute ich vom hohen Minarett auf Konstantinopels Moscheen herab, Kuppel an Kuppel, große und kleine, auf dem Rathause und dem Museum, auf dem neuen Schlachthofe und dem neuen Bahnhofe, auf den Depots der elektrischen Bahn, auf dem Leinewasserwerk, auf den Gymnasien und Bürgerschulen, auf dem Polizeipräsidium,überall Kuppeln, von Halbmonden geziert.” 13 Doch sein Standpunkt hinsichtlich der Kuppeln er- wies sich als äußert konservativ. Denn wie Michael Krische in seinem Buch über das Neue Rathaus in Hannover in einem kleinen Extrakapitel darlegt, hat die Kuppel im Laufe der Zeit einen Bedeutungswandel hinter sich.14 Die Kuppel nur mit orientalischen Bauten in Verbindung zu bringen sei daher zu kurz gegriffen. Vielmehr sind Kuppeln ein Verweis auf das alte Griechenland und etablierten sich danach im alten Rom (s. Pantheon). In der Renaissance und dem Barock erhielt dann die Kuppel erneut vermehrt Einzug in die damalige, primär sakrale Archi- tektur, so beispielsweise der Florentiner Dom, St. Peter in Rom oder St. Paul’s Cathedral in London.15 ”Der Sprung aus dem sakralen und feudalen Symbolkreis in den politischen gelingt der Kuppel im nachrevolutionären Paris” 16, schreibt Krische. Seit dieser Zeit finden sich immer mehr Architekturen, die von einer Kuppel bekrönt werden, wie zum Beispiel das Kapitol in Washington, der heuti- ge Bundesgerichtshof in Leipzig, den Reichstag in Berlin und nun auch das Neue Rathaus in Hannover. Es war also weniger eine Anlehnung oder Hommage an die orientalischen Vorbilder, sondern mehr eine Entscheidung, die das Zeitgeschehen reflektierte.
Eine weitere Besonderheit der Kuppel zeigt sich auch in dem Schrägaufzug, der die Rathausbesucher nach oben befördert (Vgl Abbildung 17). Von 1912 bis 2008 war dieser immer in Begleitung eines Fahrstuhlführers in Betrieb, musste aber über die kalten Wintermonate außer Betrieb bleiben. Seit 2008 wurde die Technik erneuert, weshalb der Aufzug nun ganzjährig und ohne Fahrstuhlführer in Betrieb genommen werden kann. Bei der Fahrt überwindet der Aufzug eine Höhe von 43 Metern und einen Neigungswinkel von 15 Grad. Ein Fenster im Boden visualisiert dem Besucher den schräg zurückgelegten Weg.17
Majestätisch thront das Neue Rathaus am nördlichen Ende des Maschparks. Doch welch grüne Idylle sich hinter ihm verbirgt, ist zunächst nicht ersichtlich. Es wirkt, als wollte das Gebäude den Park verstecken und für sich beanspru- chen, indem es seine Flügel davor ausbreitet. Doch hat man das Hauptportal am Nordflügel, das von zwei kleineren Portalen gesäumt wird, erst einmal durchquert und ist zum Südflügel (Vgl. Abbildung 11) gelangt, so findet man den Park (Vgl. Abbildung 12) in voller Pracht zu seinen Füßen liegen.
[...]
1 Steinweg, Wolfgang: Das Rathaus in Hannover. von der Kaiserzeit bis in die Gegenwart. Schlütersche, 1988, Hannover. S. 28.
2 Die Königliche Haupt- und Residenzstadt Hannover: Festschrift zur Einweihung des Rat-hauses im Jahre 1913. Druck und Verlag Gebrüder Jänecke, Hofbuchdruckerei, 1913, Hannover. S. 79.
3 Steinweg, S. 30. 4 Steinweg, S. 33.
5 Steinweg, S. 36.
6 Steinweg, ebd.
7 Vgl. Steinweg, S. 37.
8 Steinweg, ebd.
9 Festschrift zur Einweihung des Rathauses im Jahre 1913. S. 80.
10 Vgl. Steinweg, S. 72.
11 Festschrift zur Einweihung des Rathauses im Jahre 1913.. S. 85.
12 Festschrift zur Einweihung des Rathauses im Jahre 1913. S. 85 ff.
13 Steinweg, S. 36.
14 Krische, Michael: Das Neue Rathaus Hannover. Entstehung, Architektur, Bedeutung. zu Klampen Verlag, 2006, Hannover. S. 95 ff.
15 Vgl. Krische, S. 96.
16 Krische, S. 97.
17 Krische, S. 98.
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