Diplomarbeit, 2003
128 Seiten, Note: 1,7
II Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
1 Begriffliche Erläuterungen
1.1 Berufsbildung
1.2 Die erste Schwelle
1.3 Was ist ein Übergang?
1.4 Der Übergangsprozess und das Übergangssystem
2 Schulische Bildungswege in Hessen und damit verbundene Übergangsprobleme
3 Was ist Benachteiligung?
3.1 Benachteiligungen, die mit der Person zu tun haben
3.1.1 Soziale Herkunft
3.1.2 Schulische Vorbildung
3.1.3 Geschlecht
3.1.4 Nationalität
3.1.5 Auswirkungen der Benachteiligung
3.2 Marktbenachteiligte
3.3 Fazit
4 Ausbildungsplatzbilanz
4.1 Begriffliche Erläuterungen
4.2 Ausbildungsinteressen und Realisierung Jugendlicher im Übergang
4.3 Entwicklungen in Hessen
4.4 Fazit
5 Alternative Verbleibsmöglichkeiten Jugendlicher
5.1 Berufsgrundbildungsjahr (BGJ), Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) und Berufsfachschulen (BFS)
5.2 Berufs(ausbildungs)vorbereitende Bildungsmaßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit (BvB)
5.2.1 Entwicklung der BvB
5.2.2 Aufgaben und Ziele von BvB
5.2.3 Inhalte der Maßnahmen
5.2.4 Funktion der Maßnahmen
5.3 Maßnahmenangebote der Bundesanstalt für Arbeit
5.3.1 tip- Lehrgang (testen- informieren- probieren)
5.3.2 Grundausbildungslehrgang (G)
5.3.3 Förderlehrgang (F)
5.3.4 Lehrgang zur Verbesserung beruflicher Bildungs- und Eingliederungschancen (BBE)
5.3.5 Weitere Maßnahmen
5.4 Kritische Betrachtung der Berufsvorbereitung
5.5 Fazit
Betriebliche Aspekte
6 Betriebliche Veränderungen und neue Anforderungen
6.1 Schulische Vorbildung als Anforderungskriterium
6.2 Berufliche Handlungskompetenz als Anforderungskriterium
7 Gründe des Ausbildens und Nichtausbildens von Betrieben
7.1 Kosten einer Berufsausbildung
7.2 Nutzen einer Berufsausbildung
7.3 Demographische Entwicklungen als Aspekt für Berufsausbildung und ihre Auswirkungen
8 Schlussbetrachtung
III Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Diese Arbeit befasst sich mit den Übergangsproblemen Jugendlicher von der allgemeinbildenden Schule in die Berufsbildung. Je nach Bildungsniveau können diese Schwierigkeiten sehr unterschiedlich aussehen und vor allem differenziert wirken. Eine Vielzahl von Ursache- Wirkungs- Effekten bedingt immer heterogenere Lebensläufe von Jugendlichen, die dadurch zunehmend ihre Orientierung an Lebenslaufmustern verlieren. Früher war der Lebensweg für Jugendliche relativ absehbar, heute hingegen gibt es kaum noch die Normalbiographie Schule- Ausbildung- Beruf. Durch die Bildungsexpansion und die Forderung nach mehr Bildung mit gleichen Chancen für alle, fand im schulischen Bereich eine strukturelle Verschiebung statt.
Im Zuge technischer Innovationen und Veränderungen des Arbeitsmarktes stiegen auch die betrieblichen Anforderungen an Mitarbeiter und Auszubildende. Von den menschenleeren Produktionshallen in der tayloristischen[1]Phase kam man Anfang der achtziger Jahre wieder ab, da zum einen die maschinengesteuerte Produktion teuer war (z.B. bei Veränderungen im Produktionsablauf, Umstellung der Maschinen) und zum anderen kam das Bewusstsein auf, menschliche Potentiale ungenutzt zu lassen und damit zu verschwenden. Innovatives Denken, Kreativität, eigenständiges Handeln und Entscheiden auf möglichst dezentraler Ebene war jetzt von Auszubildenden wie Arbeitnehmern gefordert, denn das Humankapital schien die Antwort zu sein auf die veränderten Arbeitsbedingungen und den technischen Fortschritt. Dadurch wiederum veränderten sich die Leistungsanforderungen der Unternehmen. Nicht nur, dass die Beschäftigten in nicht- tayloristischen Betriebsstrukturen ein hohes Qualifikationsniveau erreichen müssen, sie müssen auch ihr Know-how flexibel einsetzen, sich im Team einfügen und kooperativ sein können. Von einem Mitarbeiter, der früher bewusst keine Verantwortung tragen durfte, wird dies nun erwartet. Der Erwerb von Schlüsselqualifikationen, sowie sozialen und fachlichen Kompetenzen ist heute für eine Verbesserung der eigenen beruflichen Möglichkeiten, existenziell wichtig geworden. Die Grundlagen für die verlangten beruflichen Handlungskompetenzen bekommen Jugendliche wiederum am ehesten in einer betrieblichen Ausbildung vermittelt.
Da das Angebot an Ausbildungsstellen in Deutschland nicht ausreicht, um die Nachfrage zu decken, kann nicht jedem Jugendlichen der Wunsch nach einer dualen Ausbildung[2]erfüllt werden. Die Frage, die sich stellt, ist, welche Jugendlichen an der ersten Schwelle scheitern und warum. Darauf aufbauend muss man sich ferner fragen, welche Auswirkungen dieses Scheitern hat und welche gegensteuernden Maßnahmen ergriffen werden können.
Die Grundlage für den Selektionsprozess im Übergang wird schon in der Schule geschaffen. Jugendliche werden gemäß ihres Bildungspotentials am Ende der vierten Klasse in ein hierarchisch gegliedertes System eingestuft. Denjenigen, die unter den Schülern als leistungsschwächste eingeschätzt werden, wird eine Hauptschullaufbahn empfohlen mit entsprechend weniger Berufswahlmöglichkeiten, als auf der Realschule oder dem Gymnasium. Da je nach Abschlussniveau die Vermittlungschancen der Schüler in eine Berufsausbildung steigen oder sinken, verstärkt der erworbene Schulabschluss also die Ausgrenzung der schwächsten Jugendlichen. Früher galt der Hauptschulabschluss als qualifikatorische Mindestvoraussetzung für die Aufnahme einer Ausbildung. Heute ist dies der Realschulabschluss.
An sich ist es nicht negativ zu sehen, dass sich das generelle Bildungsniveau in Deutschland erhöht hat. Problematisch dabei ist, dass diese Verschiebung einen gravierenden Druck für bestimmte Gruppen Jugendlicher bedeutet, die diesen Bildungsaufstieg nicht geschafft haben.
Durch die Verringerung des betrieblichen Ausbildungsvolumens und die erhöhte Anzahl von Abiturienten im dualen System beginnt der Konkurrenzkampf um Ausbildungsstellen mittlerweile schon bei Abgängern mit Realschulabschluss. Wie der Begriff „Aufstieg“ schon verdeutlicht, geht es darum, dass Jugendliche sich durch mehr Bildung eine bessere berufliche Startposition verschaffen. Je mehr Schüler aber höhere Abschlüsse anstreben, um wettbewerbsfähig zu sein, desto schwieriger wird die Situation für schwache Schüler, die diesen Aufstieg nicht schaffen. Betriebe können sich die besten Schüler aussuchen, was je nach Berufsfeld aber im seltensten Fall Hauptschüler sind. Wenn, dann werden hier wieder die Besten ausgewählt. Zurück bleibt eine Gruppe Jugendlicher, die im Bildungssystem isoliert werden, kaum Aussichten auf eine Berufsausbildung haben und von einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme in die nächste vermittelt werden.
Der Wunsch nach einer dualen Ausbildung ist aber gerade bei den Schulentlassenen mit höchstens Hauptschulabschluss am größten. Trotz generell hoher Nachfrage nach einer Ausbildung im dualen System haben sich aber die Vermittlungsverhältnisse geändert. Untersuchungen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) zeigen, dass 1970 rund 80 % der Auszubildenden Hauptschulabschluss hatten, in 2001 war es gerade noch die Hälfte (www.bibb.de, Schaubild 0501). Der Trend zur Höherqualifikation auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt spiegelt auch die schulische Expansion wider. In den fünfziger Jahren dominierte der Hauptschulbesuch als Bildungsweg, mit rund 80 % der Schülerschaft.
Seit ca. 1984 gab es dann erstmals mehr Realschüler als Hauptschüler.[3]Demographische, politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen tragen dazu bei, dass die Hauptschulen immer mehr schrumpfen und die Schüler auf Realschulen abwandern. Zahlen der Kultusministerkonferenz (KMK) belegen dies. In Hessen gab es beispielsweise 1980 noch 506 Hauptschulen[4], im Schuljahr 2000/ 2001 waren es gerade 314, was einer Verringerung von rd. 38 % entspricht (www.kultusministerium.hessen.de1). Die Anzahl der Schulabsolventen hat sich dementsprechend verändert. Seit Ende des Schuljahres 1972/ 1973 bis 1999/ 2000 ist die Anzahl der Absolventen mit höchstens Hauptschulabschluss um 17 % gesunken. Bei Realschülern und Abiturienten hingegen gab es Steigerungen um 13 % bzw. 7 %.
Dementsprechend ist nicht nur die Anzahl der Hauptschulabsolventen gesunken, sondern auch die derjenigen ohne Abschluss.
Die Zahl der Abgänger ohne Schulabschluss hat sich in Hessen seit Anfang der siebziger Jahre um etwa 46 % verringert und liegt heute bei 7 % (www.kultusministerium.hessen.de2). Wahrscheinlich ist die Reduktion der Anzahl derjenigen ohne Abschlusszeugnis ebenfalls auf eine Abwanderung durch Bildungsaufstieg zurückzuführen. Die Schüler ohne Abschluss sind im Zuge der Bildungsexpansion an Hauptschulen abgewandert. Der Realschulabschluss ist an Stelle des Hauptschulabschlusses gerückt. Selbst Eltern, die- je nach Geburtskohorte- nur den Hauptschulabschluss erreichten, antizipieren heute mit dem Hauptschulbesuch immer stärker gesellschaftliche Chancenlosigkeit, Arbeitslosigkeit und Ausgrenzung von einem normalen Leben. Jugendliche aus sozial schwachen Familien werden allerdings wesentlich seltener von den Eltern unterstützt und motiviert, eine weiterführende Schule zu besuchen. Der künftige Lebenslauf eines Schulabgängers hängt aber entscheidend von dem sozialen Status und individuellen Bildungsgrad des Jugendlichen ab. Je höher der Bildungsstand eines Jugendlichen an diesem Übergang ist, desto besser gelingt der Wechsel in eine Berufsausbildung oder in Erwerbstätigkeit. Jugendliche mit höchstens Hauptschulabschluss haben immer weniger Chancen auf Ausbildungsstellen oder Arbeitsplätze und scheitern an der ersten Schwelle. Ohne Berufsausbildung haben diese Jugendlichen wiederum kaum Aussichten auf eine stabile Erwerbstätigkeit.
Aufgrund des Konkurrenzdrucks und der hohen Arbeitslosigkeit werden Ungelernte von ihren Einfacharbeitsplätzen verdrängt, die vermehrt höher Qualifizierte besetzen. Denn selbst Arbeitsplätze mit geringen Anforderungen sind in den letzten Jahren aufgrund technischer Innovationen komplexer geworden (vgl. BMBF (a), 2002, S. 24).
Im Rahmen dieser Arbeit soll zuerst untersucht werden, welche Ursachen für das Scheitern von Jugendlichen an der ersten Schwelle verantwortlich sind. Dafür müssen die verschiedenen Voraussetzungen vor und an dem ersten Übergang eines Jugendlichen beleuchtet werden. Dadurch soll eine definitorische Eingrenzung der Jugendlichen möglich sein, die in dem Bildungs- und später im Beschäftigungssystem benachteiligt werden. Anhand statistischer Daten soll gezeigt werden, welche berufsbildenden Möglichkeiten diesen Benachteiligten offen stehen, wie hoch die Vermittlungschancen sind, welche Alternativen Jugendliche ergreifen können, und wie die Bildungssituation zu erklären ist, bzw. sich entwickelt hat. Dabei reicht es nicht aus, anhand der Veränderungen in Deutschland nur den Ist- Zustand zu betrachten, sondern entscheidend ist der „Wird“- Zustand.
Das meint zum einen eine Darstellung der Folgen von Ausbildungslosigkeit für Jugendliche und zum anderen eine Betrachtung der zukünftigen demographischen Entwicklungen, sowie des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage an Lehrstellen. Um zu verdeutlichen, weshalb die Bildungssituation sich auf diese Art modifiziert hat und wie zukünftige Veränderungen aussehen werden, ist eine Betrachtung von Problemen Jugendlicher[5]an der ersten Schwelle notwendig. Im Folgenden soll daher untersucht werden, ob der bildungspolitisch eingeschlagene Weg der beruflichen Bildung in die richtige Richtung führt. Für eine Beurteilung müssen zunächst einige Begrifflichkeiten geklärt werden.
In den allgemeinen Vorschriften des Berufsbildungsgesetzes von 1969 wird Berufsbildung als „Berufsausbildung, die berufliche Fortbildung und die berufliche Umschulung“ definiert (BBiG, § 1, Satz 1). Diese veraltete Charakterisierung der Berufsbildung lässt leider die immer wichtiger werdende Ausbildungsvorbereitung außen vor. Die Befähigung, Unterstützung und Finanzierung Jugendlicher zur Aufnahme einer Ausbildung gehört aber ebenso in den Bereich der Berufsbildung, wie die Förderung einer Fortbildung oder die Umschulung in einen anerkannten Ausbildungsberuf.
Der Begriff der Berufsbildung soll daher im Rahmen dieser Arbeit die Aneignung berufsrelevanten Wissens umfassen. Dies kann in einer Ausbildungsvorbereitung vermittelt werden, um Grundlagen für die Ausbildung zu schaffen. Berufliche Bildungsmaßnahmen können während der Ausbildung als Unterstützung und zur Festigung des Gelernten dienen. Fortbildung und Umschulung sollen die eigene Position auf dem Arbeitsmarkt verbessern.
Das strategische Ziel der Berufsbildung liegt darin, Personen zu qualifizieren, um ihnen eine stabile Beschäftigung zu ermöglichen. Berufsbildung darf demnach nicht erst in der Ausbildung stattfinden. Ebenso wichtig ist die Zeit vor und während des ersten Übergangs, der für manche Jugendliche einen gravierenden Bruch in ihrem Lebenslauf darstellt. Um die Frage klären zu können, warum der Übergang von der allgemeinbildenden Schule in die Berufsbildung für manche Jugendliche ein größeres Problem darstellt als für andere, müssen zunächst Bedingungen und Ausgangspositionen Jugendlicher an der ersten Schwelle dargestellt werden.
Als erste Schwelle bezeichnet man Barrieren, die den Übergang Jugendlicher von der allgemein bildenden Schule in die Berufsausbildung[6]erschweren. Jugendlichen, die die allgemeinbildende Schule verlassen oder beendet haben, stehen verschiedene Handlungsalternativen zur Verfügung. Sie können in eine betriebliche oder schulische Berufsausbildung übergehen oder als Ungelernter sofort eine Erwerbstätigkeit anstreben. Inwiefern der Übergang gelingt, hängt sowohl von der familiären Herkunft als auch dem erreichten Schulabschluss ab (siehe Abb. 01). Unvermittelten oder noch nicht ausbildungsreifen Jugendlichen bietet sich die Möglichkeit, Schwellenprobleme mittels Berufsvorbereitung zu mildern. Nach Verlassen der allgemein bildenden Schule soll die Berufsvorbereitung[7]helfen, schulische Defizite auszugleichen und Übergänge abzusichern. Berufsvorbereitung kann schulisch oder in Form berufsvorbereitender Bildungsmaßnahmen stattfinden. Durch die Maßnahmen soll ein Bruch an der ersten Schwelle verhindert werden.
Die zweite Schwelle charakterisiert den Wechsel von der Ausbildung in die Erwerbsarbeit (vgl. BMBF (a), 2002, S. 21).
Beide Schwellen „markieren die entscheidenden Etappen der Integration in das Erwerbssystem“, da zwischen ihnen die Berufsausbildung liegt, die als „qualifikatorische Grundlage“ und „formale Voraussetzung“ für Erwerbsarbeit gilt (Preiß, in: Raab, 1996, S. 11).
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Abb. 01: Jugendarbeitslosigkeit an den Schwellen des Übergangs; Quelle: BMBF (b), 2002, S. 20; modifizierte Darstellung
Diese Arbeit konzentriert sich hauptsächlich auf den Übergang von der Schule in die Berufsausbildung. Im Rahmen dieser Arbeit soll deutlich werden, welche Auswirkungen Übergangsprobleme für Jugendliche haben können. Schwellenprobleme können den Eintritt in den Ausbildungs- oder Arbeitsmarkt verzögern oder sogar verhindern. Gelingt der Übergang in die Berufsausbildung nicht, kommt es für viele Jugendliche zum „Drop- out“, d.h., sie fallen aus dem System heraus, bleiben ungelernt und werden arbeitslos (BMBF (b), 2002, S. 21).
Wie der Begriff „Übergang“ schon verdeutlicht, ist damit der „Prozess eines Wechsels“ gemeint, an dessen Anfang Jugendliche mit unterschiedlichen (berufs-) biographischen Ausgangspositionen stehen, und an dessen Ende sich die Jugendlichen in einer mehr oder weniger gewollten Zielposition wiederfinden. Der Begriff „Übergang“ ist an dieser Stelle also wertneutral zu sehen, quasi als eine Art tiefgreifende Veränderung, einen Wechsel der Lebensphasen- während der Bruch in diesem Prozess, der den Wechsel verlängert, als Schwelle dargestellt wird. Daher soll im Folgenden untersucht werden, welche Problematiken an der ersten Schwelle auftreten können, welche Jugendlichen davon besonders betroffen sind und warum das Scheitern an dieser „Statuspassage“ gravierende Auswirkungen auf den weiteren Lebensverlauf der jungen Erwachsenen haben kann (Walther, 2000, S. 16, 50-51 und Wahler in: Schober, 1996, S. 11).
Um das „Wann“ und „Warum“ der Probleme abgrenzen zu können, bedarf es zuerst einer Betrachtung der schulischen Situation, die vor der Zeit des Übergangs liegt. Dazu muss ferner geklärt werden, zu welchem Zeitpunkt der Prozess beginnt und endet und welche Interdependenzen das Übergangssystem bestimmen.
DerÜbergangsprozessbeginnt „mit Beendigung eines formalen Bildungs- oder Ausbildungsgangs“ und ist erst „mit dem Eintritt in eine
stabileBeschäftigung abgeschlossen“ (CEDEFOP, 1999, S. 141, 163). Gesellschaftstheoretisch betrachtet, ist der Übergang in die Erwerbstätigkeit der „grundlegende Modus gesellschaftlicher Integration“, wenn man voraussetzt, dass das „Konzept der Arbeitsgesellschaft“ zugrunde liegendes „Gesellschaftsmuster“ ist (Walther, 2000, S. 49). Aufgrund der hohen Bedeutung der Berufsausbildung in Deutschland, sowie der nachweisbaren Chancenlosigkeit Ungelernter auf dem Arbeitsmarkt, soll nachfolgend von dieser Annahme ausgegangen werden. (vgl. dazu BMBF, 1999, S. 10- 15)
Zudem beeinflusst die berufliche Stellung das gesellschaftliche Ansehen. Dies liegt wohl vor allem daran, dass Menschen in höheren Positionen ein größeres Macht- und Einflussgebiet unterstellt wird, als beispielsweise ungelernten Arbeitern. Machtpositionen sind meiner Meinung nach stark Einkommensabhängig und umgekehrt steigt mit zunehmender Machtstellung meist auch das Einkommen eines Individuums. Je höher der Bildungsgrad eines Jugendlichen bei Eintritt in das Beschäftigungssystem ist, desto größer sind dessen Chancen auf reibungslose Übergänge in eine stabile Beschäftigung und damit gesellschaftliche Integration sowie höheres Ansehen.
Beeinflusst wird dieser Prozess des Übergangs durch dasÜbergangssystem, in dem Jugendliche interagieren. Als Übergangssystem bezeichnet man die Gesamtheit der Beziehungen zwischen den Beteiligten dieser Übergangsprozesse. Es herrschen Interdependenzen zwischen Betrieben, Institutionen, Jugendlichen und deren Eltern (vgl. Walther, 2000, S. 16- 17, 51).
Die von Unternehmen ausgehende Arbeitskräftenachfrage beeinflusst den Arbeitsmarkt und den Ausbildungsstellenmarkt. Die Berufswahl Jugendlicher richtet sich daher auch nach Einstellungschancen, um durch die berufliche Absicherung gesellschaftliche Integration zu erreichen. Finanzielle Aspekte spielen dabei ebenso eine Rolle wie der Wunsch nach einem „normalen“ Lebenslauf mit einer eigenen Familie.
Die Schullaufbahn und das Elternhaus eines Jugendlichen beeinflussen dessen Werdegang nachhaltig und bestimmen mit, welche Berufsoptionen diesem zur Verfügung stehen.
Daher ist das Übergangssystem ganzheitlich zu sehen, da es neben den institutionellen und betrieblichen Strukturen auch die sozialen Verflechtungen umfasst. Was wiederum nicht zwangsläufig bedeutet, dass die „Macht in diesem Feld“ gleich verteilt ist und Chancengleichheit für alle besteht (Walther, 2000, S. 16). Die soziale Herkunft beeinflusst nicht nur den Bildungsweg eines Jugendlichen, sondern auch dessen soziale Netzwerke. Je niedriger das Bildungsniveau eines Jugendlichen im Übergang ist, desto höher wird die Schwelle für diesen, in eine Ausbildung überzugehen.
Bis Jugendliche die erste Schwelle erreichen, haben sie diverse schulische Erfahrungen hinter sich, die sie positiv wie negativ prägen und ihre Ausgangsposition für den ersten Übergang entscheidend mitbestimmen. Daher ist auch dasallgemeinbildende Schulsystem, durch das junge Erwachsene schon ihre erste Selektion erfahren, Grundlage des Übergangssystems. Um die Konflikte am Übergang erfassen zu können, muss zunächst der schulische Werdegang Jugendlicher innerhalb des deutschen Schulsystems betrachtet werden.
In der Schule werden nach nur vier Jahren die wichtigsten „Weichen“ für die Zukunft der Jugendlichen gestellt:
Am Ende der Grundschule werden die Schüler nicht nur objektiv aufgrund ihrer erbrachten Leistungen (Zeugnisse, Beurteilungen) selektiert, sondern auch nach der „Aspiration der Eltern“, also den für ihr Kind erwarteten und erhofften Bildungsweg (Friebel, 2000, S. 74). Zudem fließen verschiedene Kriterien, wie z. B. „Ausdauer, Leistungsbereitschaft sowie Charaktereigenschaften wie Anpassungsfähigkeit, Gehorsam, Höflichkeit usw.“ in die Beurteilung ein (Dresselhaus, 1997, S. 37). Diese Selektion zeigt, dass es nicht um individuelle Wahlmöglichkeiten der Schüler nach eigenen Präferenzen und individuellen Interessen geht, sondern um Leistungsbewertung und soziale Zuordnung. Wie soll es beispielsweise einem sozial schwachen Hauptschüler gelingen, in der Schule dasselbe Maß an Disziplin, Höflichkeit und Gehorsam aufzuwenden wie ein Akademikerkind? Die familiäre Grundlage ist bei beiden zu verschieden.
Die Schüler werden in verschiedene Bildungswege des Sekundarbereichs I eingestuft: Das Schulsystem in Deutschland besteht aus unterschiedlichen Bildungsgängen, die in verschiedenen Schularten organisiert sind (siehe Abb. 02).
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Abb. 02: Bildungswege in Hessen: Quelle: LAA (a), 2002, S. 2
Die drei Hauptsäulen sind die Hauptschule, die Realschule und das Gymnasium.
Dadurch, dass die allgemeine Schulbildung der Länderhoheit obliegt, gibt es regionale Unterschiede in der Ausgestaltung dieser Mehrgliedrigkeit des Schulsystems. In Hessen gibt es zudem Gesamtschulen und verschiedene Arten von Sonderschulen für den Sekundarbereich I. Da Schwellenprobleme aber eher von dem erreichten Bildungsniveau abhängen und nicht zwangsläufig von einer Schulform, sollen diese hier nicht separat betrachtet werden. Die Gesamtschule kann z.B. sowohl mit Hauptschulabschluss als auch mit Abitur verlassen werden (vgl. LAA (a), 2002, S. 10- 13, 17).
Die Hauptschule endet in der Regel mit der Jahrgangsstufe Neun, den Abschluss erreicht man nach dem erfolgreichen Besuch dieser Jahrgangsstufe. Der qualifizierende Hauptschulabschluss (noch in der Planungsphase) beinhaltet zusätzlich eine Abschlussprüfung und den erweiterten Hauptschulabschluss erlangt man nach dem Besuch eines freiwilligen zehnten Hauptschuljahres.
Die Realschule führt nach insgesamt zehn Schuljahren zu der „Mittleren Reife“ und das Gymnasium nach zwölf bis dreizehn Jahren zum Abitur und damit zur allgemeinen Hochschulreife. (LAA (a), 2002, S. 14, 15, 21)
Wird nach der vierten Klasse einer der dargestellten Bildungswege (Hauptschule, Realschule oder Gymnasium) erst einmal eingeschlagen, verbleiben die meisten Schüler dort. Abstufungen auf niedrigere Bildungswege aufgrund der Überforderung des Schülers sind dabei wesentlich wahrscheinlicher als der Aufstieg in eine weiterführende Schule. Generell sind solche Wechsel nur mit großen Problemen und unter „erhöhtem Arbeitsaufwand möglich“ (Dresselhaus, 1997, S. 37) Das liegt vor allem daran, dass die unterschiedlichen Schulformen von den Lerninhalten und damit den Anforderungen her gesehen weit auseinander gehen.
Durch den gesellschaftlichen Wandel zur Informations- und „Wissensgesellschaft“ (Friebel, 2000, S. 11) sehen Eltern und auch Jugendliche die Hauptschule immer mehr als „Abstellgleis“, denn selbst ein erworbener Hauptschulabschluss verbessert die Chancen auf einen Ausbildungsplatz kaum. Der dadurch entstehende „Auslesedruck“ und „Entscheidungszwang“ belastet und überfordert Lehrer wie Schüler und beeinflusst das Schulklima negativ. Ängste werden forciert, Freundschaften getrennt und „soziale Etikettierungen“ gesetzt: das Gefühl versagt zu haben, kommt so sehr früh auf und verankert sich tief im Bewusstsein der Kinder. (Michael, 1993, S. 545)
Dies verdeutlichen Zahlen des hessischen Kultusministeriums: Während im Schuljahr 1968/ 1969 noch 50,5 % der hessischen Schüler nach Ende der vierten Klasse in die Hauptschule wechselten, so waren es im Jahr 2000/ 2001 nur noch 5,1 %, die von vorn herein die Hauptschule besuchten. (www.kultusministerium.hessen.de3)
Zeitgleich angestiegen ist dafür die Zahl der Wiederholer in der Hauptschule. Um 1970 lag die Zahl der Hauptschüler, die eine Klasse wiederholen mussten, zwischen 0,9 % und 3,2 %, 2001 dagegen lag der Anteil schon bei 4,1 % bis 10,7 % (www.kultusministerium.hessen.de4). Auffällig ist hierbei, dass die Quote jeweils in der fünften Klasse am höchsten ist, also unmittelbar nach der ersten Selektion.
Dies könnte auf den oben beschriebenen Druck der Versagensangst zurückzuführen sein: Im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung bleiben gerade diejenigen sitzen, von denen es in der Schule am ehesten „erwartet“ wird. Die Jugendlichen fühlen sich von vornherein an den sozialen Rand gedrängt, resignieren und verlieren letztendlich die Lernmotivation. Sie assoziieren schon früh Chancenlosigkeit und Stigmatisierung mit dem Hauptschulbesuch. Dramatisch dabei ist die Tatsache, dass der Hauptschulbesuch augenscheinlich nicht nur an Attraktivität verloren hat, sondern eben verstärkt negativ wirkt.
Umso gravierender die Abwanderung an Realschulen die Hauptschule schrumpfen lässt, desto stärker fällt der Blick auf den „Rest“ an Schülern, der ja versagt haben muss, denn sonst hätte jeder einzelne etwas in seinem Leben erreichen können, anstatt „nur“ auf die Hauptschule zu gehen. Dass die Hauptschule eine Pflichtschule ist, kommt den Jugendlichen dabei nicht zugute: wer hier „hängen“ bleibt, muss Defizite haben, sonst würde er eine weiterführende Schule besuchen.
Zunehmend assoziieren Unternehmer Hauptschüler mit verhaltensauffälligen, lernbeeinträchtigten, sozial und kulturell benachteiligten Jugendlichen. Durch diese Stigmatisierung und das große Angebot höherqualifizierter Bewerber werden Hauptschüler zunehmend von Ausbildungsplätzen verdrängt. Die Möglichkeit eines schnellen Übergangs in die Berufsausbildung wird durch diese „Benachteiligung“ der Hauptschüler drastisch verringert.
Sucht man nach den Ursachen, so spielt die soziale Herkunft der Schüler dabei eine gravierende Rolle (vgl. Rolff, 1997, S. 20). Schulische Sozialisation bedarf einer stetigen Unterstützung durch das Elternhaus, denn die Familie ist das „einflussreichste Mikrosystem für die Persönlichkeitsentwicklung, bzw. Wertesozialisation“ Jugendlicher (Friebel, 2000, S. 132; vgl. Raab, 1996, S. 31).
Jugendliche aus problematischen Familienverhältnissen werden dadurch allerdings doppelt benachteiligt. Zum einen, weil sie kaum auf Unterstützung der Eltern zählen können, um sich schulisch zu verbessern und zum anderen, weil sich genau diese problematischen familiären Voraussetzungen stigmatisierend auswirken. Der erste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung bestätigt diese soziale Benachteiligung:
„Im Hinblick auf die Chancengleichheit beim Schulbesuch... ergibt sich eine tendenziell eindeutig schichtenspezifische Chancenverteilung.
Nach wie vor sind berufliche und ökonomische Positionen der Haushalte bzw. deren Vorstände maßgeblich für die unterschiedliche Partizipation an den verschiedenen Schultypen.“
(www.bma.bund.de/de/sicherung/armutsbericht/ARBBericht01.pdf)
Der im Übergang benachteiligende Faktor „soziale Herkunft“ wird in Kap. 3.1.1 differenzierter betrachtet.
Die Ausgangssituation Jugendlicher an der ersten Schwelle ist folglich heterogen: Alter, positive oder negative schulische Erfahrungen, Niveau des Schulabschlusses, familiäre Verhältnisse, soziale Kontakte und andere Einflussfaktoren können den Übergang fördern oder aber hemmen.
Ein Hauptschüler ist an der ersten Schwelle mit 14 oder 15 Jahren verhältnismäßig jung. Ein Realschüler mit mittleren Bildungsabschluss ist meist zwei Jahre älter und viel erfahrener im Umgang mit Bildung, da er in der Regel mindestens zehn Jahre lang unterrichtet wird. Verlässt ein Schüler die allgemeinbildende Schule sogar ohne Hauptschulabschluss, wird er mit der Notwendigkeit der Berufsorientierung und –wahl noch früher konfrontiert. Diese Orientierung setzt allerdings erst in späteren Jahrgangsstufen ein und erreicht daher sogenannte „Frühabgänger“, also Abgänger der Klassen sechs bis acht, erst gar nicht (BMBF (b), 2002, S. 21). Hinzu kommt bei jungen Schulabgängern der Übergang zwischen Jugend- und Erwachsenenphase, soziologisch gesehen also der Wechsel von einem abhängigen Schülerdasein hin zu dem Status eines eigenverantwortlich handelnden Erwachsenen (vgl. Friebel, 2000, S. 55- 57).
Die an der ersten Schwelle entstehenden Konflikte überfordern Jugendliche. Im Vordergrund stehen bei diesen nach wie vor Wünsche nach individueller Lebensplanung, verbunden mit „familiärem Glück“ – also Liebe, Partnerwahl, Familiengründung und Kinderplanung.
Aber auch die berufliche Karriere, der „Entwicklungs- und Aufstiegswunsch“, stellt für die meisten Jugendlichen an der ersten Schwelle einen Wunschtraum dar. Dieser Traum beinhaltet zum einen, materiell abgesichert zu sein und zum anderen, sich als „vollwertiges“ Mitglied der Gesellschaft fühlen zu können und sich dadurch leichter zu integrieren. Dieser Traum erfüllt sich aber für Jugendliche umso seltener, je schwieriger der Übergang sich für diese gestaltet. (Friebel, 2000, S. 58- 61)
Generell antizipieren die meisten Jugendliche zwar Arbeit und Erwerbstätigkeit als langfristiges Lebensziel für die Erfüllung ihrer materiellen, gesellschaftlichen und sozialen Wünsche, aber gerade von den schwächsten Jugendlichen wird dabei verlangt, schon in ihrer kurzen Schulzeit entscheiden zu können, welchen Beruf sie danach ergreifen werden. Trotz der expliziten Arbeitsbereitschaft fehlen besonders den jungen Abgängern Handlungskompetenzen, um die Berufsbereitschaft konkret in eine Berufsausbildung umzusetzen (vgl. Braun, 1999, S. 7- 10 und Schober, 1996, S. 127-135). Viele Jugendliche werden im Laufe der Schulzeit nur in geringem Maße bzw. überhaupt nicht auf den Berufseinstieg vorbereitet und sind somit an der ersten Schwelle zum Scheitern verurteilt. Dabei haben die im Übergang getroffenen beruflichen Entscheidungen der Jugendlichen zum Teil lebenslange Auswirkungen, im Sinne von „Weichenstellungen“, die sich später für bestimmte Schülergruppen kaum mehr revidieren lassen (Raab, 1996, S. 19; vgl. auch Schober, 1996, S. 206- 207).
Das liegt aber nicht daran, dass das Bildungssystem sich vor diesen Schülern verschlossen hätte, sondern mehr daran, dass das typische Lebenslaufmuster (Schule- Ausbildung- Erwerbstätigkeit) von immer mehr Flexibilität und Individualisierung geprägt wird, so dass heute nicht mehr davon ausgegangen werden kann, einen einmal erlernten Beruf immer ausüben zu können.
Diese Veränderung kann auch als „Ende des ‚Lebensberufs’ und als „Anfang des lebenslangen Lernens“ bezeichnet werden (Friebel 2000, S. 37). Die Individualisierung der Bildungschancen sollte eigentlich jedem Jugendlichen die gleichen Berufsoptionen ermöglichen, da es vielfältige Wege gibt, einen guten Schulabschluss zu erlangen. Dies hängt aber maßgeblich von der „Leistungsbereitschaft, Qualifikation“ und „sozialen Kompetenz“ des Einzelnen ab (Arbeitsstab Forum Bildung Nr. 6, 2001, S. 33).
Theoretisch hat allein in Hessen ein Schüler neun Möglichkeiten einen Hauptschulabschluss zu erreichen, bei mittlerer Reife sogar elf Alternativen: sei es durch verlängerten Besuch der allgemeinbildenden Schulen, den Abschluss einer Berufsschule oder das Absolvieren einer Abendhauptschule (LAA (c), 2002, S. 60- 61).
Mögliche Übergangsprozesse sind vielfältiger und dadurch aber auch unübersichtlicher geworden. Verschiedene Maßnahmen, wie die der Berufsvorbereitung, Berufsbegleitung etc. sollen helfen, allen Jugendlichen, die eine Ausbildung absolvieren möchten, dies auch zu ermöglichen. Durch die „Entstandardisierung des Normallebenslaufes und seinem Verblassen als biografisches Orientierungsmuster“ sind Jugendliche gezwungen, sich ihre Zukunft selbst zu gestalten, die im Gegensatz zu früher nun eine Fülle an Entscheidungsmöglichkeiten bietet (Walther, 2000, S. 55).
Gerade diese Vielfalt hat nun aber mehrere Effekte: einerseits kann es auf Jugendliche positiv wirken, da sie wissen, dass selbst das Scheitern auf einem eingeschlagenen Weg keine „Sackgasse“ darstellt, sondern dass es viele andere Möglichkeiten für einen erwünschten Abschluss gibt. Andererseits wiederum kann es vor allem dann für Schüler frustrierend und demotivierend sein, wenn ihnen der Überblick fehlt, und sie durch schlechte schulische Leistungen sowie mangelnde Orientierung in den unübersichtlicher gewordenen Verhältnissen der Arbeitswelt in eine gesellschaftliche „Abseitsposition“ befördert werden. (Rademacker, 1999, S. 130- 131)
Dadurch werden die Jugendlichen zunehmend auf weniger Berufe kanalisiert (vgl. Kapitel 4.2). Die Erhöhung der theoretischen Anforderungen in der Ausbildung, notwendig geworden durch den technologischen Wandel, die Rationalisierung von Produktionsprozessen und dezentrale Entscheidungsprozesse mit gestiegener Verantwortung für den einzelnen Mitarbeiter, erschweren Hauptschülern den Übergang in eine Ausbildung (vgl. Walther, 2000, S. 30). Auffällig ist, dass Hauptschüler der Abgangsklasse neun, die ihren Wunsch nach einer dualen Ausbildung nicht verwirklichen können, mit einer Quote von ca. 18 % überdurchschnittlich oft den Besuch einer berufsbildenden Schule wählen (vgl. BMBF (a) 2002, S. 76- 79).
Das liegt wohl daran, dass die Jugendlichen sonst kaum attraktive Alternativen für sich entdecken und durch einen zusätzlichen Schulabschluss ihre Handlungsoptionen verbessern wollen (Schober, 1996, S. 207). Dadurch wiederum verlängern sich die Übergänge, die von Unsicherheiten und Risiken geprägt sind, besonders bei den Jugendlichen, die ohne Unterstützung nicht in der Lage sind eine Ausbildungsstelle zu bekommen. Dass die Anzahl der Schüler jährlich steigt, zeigt die quantitative Entwicklung des Berufsvorbereitungsjahres (BVJ): Seit 1992 ist ein kontinuierlicher Anstieg zu verzeichnen, der im Schuljahr 2000/ 2001 in 6,1 % Zuwachs mündet. 1999/ 2000 betrug die Veränderung zum Vorjahr bundesweit gerade 2,7 %. Bei Betrachtung der Entwicklung in den einzelnen Bundesländern fällt deutlich der Anstieg in Hessen um48 %zum Vorjahr 1999/ 2000 auf (BMBF (a), 2002, S. 123; S. 328, Tab. 16)
Eine Bestätigung dieser Entwicklung zeigt das durchschnittliche Alter der Auszubildenden: Von 1970 bis 1990 erhöhte sich der Wert von 16, 6 auf 19 Jahre und seitdem stagniert es (BMBF (a), 2002, S. 89).
1970 waren nur 22 % der Auszubildenden über 18 Jahre, heute sind es 72 %. Zum einen ist seitdem das Durchschnittsalter der Abgänger aus dem Sekundarbereich I und die Anzahl der Abiturienten gestiegen, zum anderen besucht ein immer größer werdender Teil der Jugendlichen eine berufliche Vollzeitschule. Das liegt zwar mit daran, dass die Verweildauer im Bildungssystem durch den Wunsch nach besserer Qualifizierung generell höher geworden ist, aber eben auch daran, dass besonders schwache Schüler an der ersten Schwelle vermehrt scheitern und durch Warteschleifen den Übergang überbrücken wollen (vgl. Friebel, 2000, S. 54).
Der verlängerte Übergang kann eben dadurch aber schon eine ausgrenzende Wirkung haben, weil er Außenstehenden signalisiert, dass der betroffene Jugendliche nicht „normal“, sondern „problematisch“ ist und durch die Lücke zwischen Schule und Ausbildung Defizite vorhanden sein müssen.
Das traditionell aus betrieblichen und schulischen Bildungsgängen bestehende System der beruflichen Bildung wurde deshalb durch das sozialpädagogische „Maßnahmensystem“ ergänzt, um genau diese Lücken zu schließen und Jugendlichen den Übergang zu erleichtern. Aufgrund des „strukturellen Wandels“ und der damit verbundenen „Disparitäten von Angebot und Nachfrage“ auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ist das Maßnahmensystem mittlerweile zu einem festen Bestandteil des Übergangssystems geworden, um schwache Jugendliche aufzufangen, die angesichts der Lehrstellenknappheit in Kombination mit den gestiegen Anforderungen der Arbeitswelt keine Aussichten auf einen Ausbildungsplatz haben. (Rademacker, 1999, S. 130- 132)
Es sollen durch diese Maßnahmen also nicht nur Angebotsdefizite ausgeglichen, sondern auch die Chancen des einzelnen Jugendlichen erhöht werden, möglichst schnell in eine stabile Beschäftigung übergehen zu können. Mittels berufsvorbereitender, ausbildungsbegleitender und –
ergänzender Maßnahmen sollen Jugendliche für die Aufnahme und den Abschluss einer Berufsausbildung befähigt werden (vgl. Raab, 1996, S. 22- 23).
Ursprünglich gedacht als Instrumente des Ausbildungsmarktes für Krisenzeiten, stellen diese Maßnahmen heute einen unverzichtbaren Teil im Gesamtsystem beruflicher Bildung dar, der von Jugendlichen an der ersten Schwelle immer häufiger genutzt wird.
Genau diese Übergangshilfen können aber auch kontraproduktiv wirken und Jugendliche, die die Maßnahmen durchlaufen zu Schulversagern stigmatisieren, da diese den Übergang ohne Unterstützung nicht geschafft hätten. Dies beeinflusst ihre Chancen, sich anschließend in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu integrieren, negativ. (vgl. Kapitel 4.4)
Je niedriger das erreichte Bildungsniveau bei Verlassen der Schule ist, desto geringer sind die Aussichten der jungen Erwachsenen auf einen anschließenden Ausbildungsplatz im dualen System und desto größer ist die Gefahr, eine Maßnahmenkarriere zu durchlaufen oder ungelernt zu bleiben.
Die Position, die ein junger Erwachsener einnimmt, wenn er anschließend in das Beschäftigungssystem eintritt, wirkt sich gravierend auf seinen weiteren Karriereverlauf aus. Diese Position hängt, wie schon beschrieben, maßgeblich von dem Elternhaus, der schulischen Laufbahn und dem erreichten Abschluss ab.
Nur eine abgeschlossene Berufsausbildung bietet Jugendlichen an der zweiten Schwelle die Chance, Übergänge in das Berufsleben weitgehend störungsfrei zu meistern und die eigene Platzierung auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern (vgl. BMBF (a), 2002, S. 13). Das bestätigen Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit, die 1998 in Deutschland die Arbeitslosenquote für Personen mit abgeschlossener beruflicher Ausbildung
(8,5 %) und ohne Berufsabschluss (25,8 %) untersuchte und dabei ermittelte, dass Personen ohne Berufsabschluss das dreifache[8]Risiko tragen, arbeitslos zu werden.
Es wird deutlich, dass die Selektionsprozesse, die schon in der Schulzeit bestimmte Jugendliche ausgrenzen, sich an den beiden folgenden Schwellen fortsetzen und so von Anfang an durch ihre Stigmatisierungseffekte normale Biographien verhindern. Wie hoch der Anteil derer ist, die keine Ausbildung aufnehmen können oder wollen, hängt auch stark von „regionalen“ und „konjunkturellen“ Schwankungen ab (Rademacker, 1999, S. 131). So sieht die Ausbildungssituation in ländlichen Gegenden schlechter aus als in der Stadt, und in Ostdeutschland schlechter als in Westdeutschland (was unterschiedliche Gründe hat, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll).
In Zeiten des konjunkturellen Abschwungs verringert sich das Angebot ebenfalls, da in Unternehmen mehr eingespart wird und dadurch Fachkräfte eher rekrutiert als ausgebildet werden, denn auf Platz Eins der Gründe des Nichtausbildens von Betrieben steht nach wie vor der Faktor „Kosten“. (vgl. Kapital 7.1)
Nachfolgend ist zu untersuchen, welche Personengruppen bei der Problematik der ersten Schwelle und den damit verbundenen Folgen von Ausbildungslosigkeit besonders betroffen sind, denn nach wie vor sehen die meisten Jugendlichen eine Berufsausbildung als Grundlage für ihre berufliche Zukunft.
Zunächst muss der Begriff der Benachteiligung näher differenziert werden, um später anhand der Ausbildungsstellenvergabe überprüfen zu können, ob Jugendliche mit Hauptschulabschluss mittlerweile als benachteiligt eingestuft werden können.
In der Literatur wird der Begriff der Benachteiligung unterschiedlich eingegrenzt und bewertet. Deshalb soll zunächst betrachtet werden, welche Faktoren bestimmen, ob jemand während der Übergangsprozesse als benachteiligt anzusehen ist oder nicht.
Es gibt eine Vielzahl von Ursachen für das Scheitern Jugendlicher an der ersten Schwelle. Wirtschaftspolitische Faktoren, wie eine Verschlechterung der Ausbildungssituation aufgrund konjunkturellen Abschwungs tragen ebenso zu Benachteiligungen bei, wie Lern- und Bildungsdefizite oder soziale Faktoren.
Allerdings ist das Risiko eines Bruchs im Übergang nicht auf alle gleich verteilt. Bei manchen Gruppen Jugendlicher verzögern oder verhindern Schwellenprobleme den Übergang in eine Berufsausbildung.
Welche Jugendlichen nun schwierigere Startpositionen haben und warum, ist in einer knappen Definition nicht zu leisten. Aufgrund vielfältiger Ursache- Wirkungseffekte kann das Scheitern Benachteiligter sowohl durch einzelne Faktoren als auch durch die „Überlappung“ mehrerer negativer Bedingungen, forciert werden. Ein verhaltensauffälliger Hauptschüler mit Bildungsdefiziten, der in einer Krisenregion eine Ausbildungsstelle sucht, wird aufgrund der Anhäufung negativer Faktoren nicht dieselben Chancen darauf haben, wie ein Realschüler mit normaler Biographie. Das bedeutet, die Jugendlichen, die benachteiligt sind, sind dies oft mehrfach.
Wie die Faktoren kombiniert sind, hängt individuell von dem Lebens- und Bildungsweg des Jugendlichen ab. Dadurch ist die Gruppe der benachteiligten Jugendlichen sehr heterogen. Lösungsansätze müssen diese Pluralitäten der Lebensbedingungen berücksichtigen (vgl. BMBF (b), 2002, S. 26- 27).
Rechtliche Grundlageder Förderung Benachteiligter sind die §§ 235, 240- 246 SGB III. Demnach gelten als benachteiligt:
„Förderungsbedürftig sind lernbeeinträchtigte und sozial benachteiligte Auszubildende, die wegen der in ihrer Person liegende Gründe ohne Förderung
1. eine Berufsausbildung nicht beginnen, fortsetzen oder erfolgreich beenden können oder
2. nach dem Abbruch einer Berufsausbildung eine weitere Ausbildung nicht beginnen oder
3. nach erfolgreicher Beendigung einer Ausbildung ein Arbeitsverhältnis nicht begründen oder festigen können.“ (§ 242 Abs. 1,Satz 1- 3 SGB III)
Die gesetzliche Definition sieht also lernbeeinträchtigte und sozial benachteiligte Auszubildende als Zielgruppe der Förderung. Diese offene Formulierung zeigt die Heterogenität der Gruppe. Eine einheitliche Eingrenzung der Jugendlichen, die als benachteiligt gelten, gibt es in dieser Form nicht. Diese Arbeit befasst sich mit denjenigen Jugendlichen, die ohne Unterstützung keine Ausbildungaufnehmenkönnen. Dabei sollen vor allem Hauptschüler näher betrachtet werden.
Bildungspolitisches Ziel der Förderungen ist das Motto „Ausbildung für alle“. Jedem jungen Menschen, der eine Berufsausbildung absolvieren möchte, soll dies auch ermöglicht werden. Generell kann man aber festhalten, dass es Jugendliche gibt, die aufgrund bestimmter Faktoren weniger Chancen auf einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz haben, als andere.
Die Gruppe der Benachteiligten ist, wie oben angeführt, nicht eindeutig bestimmbar. Fehlende berufliche Qualifizierung als Merkmal einer Benachteiligung reicht allerdings nicht aus, da alle Jugendlichen bis zum Ende der Erstausbildung als nicht formal qualifiziert gelten.
Wie schon erwähnt können sich bestimmte Risikofaktoren negativ auf den Übergangsprozess auswirken und die Schwelle erhöhen. Ein Jugendlicher kann somit wegen seiner individuellen Voraussetzungen stigmatisiert und ausgegrenzt werden. Entscheidend sind also bei der Betrachtung Benachteiligter diejenigen Kennzeichen, die Jugendlichen den Erwerb formaler Berufsqualifikation erschweren oder verhindern (vgl. Brandt/ Volkert, 1996, S. 34- 37).
Das können äußerliche Merkmale sein, wie ein fehlender oder schwacher Hauptschulabschluss, kein direkter Übergang in eine Ausbildung, das Durchlaufen berufsvorbereitender Maßnahmen, Abbruch der Berufsausbildung o.ä. Diese Merkmale sind aber nur Indizien für eine Benachteiligung. Nicht jeder, der beispielsweise eine schulische Ausbildung absolviert ist benachteiligt.
[...]
[1]Taylorismus ist die arbeitsteilige Gliederung von Organisationen. Planung und Durchführung werden voneinander getrennt. Frederick W. Taylor führte zwischen 1909 und 1911 Untersuchungen mit Arbeitnehmern durch und kam zu dem Entschluss, dass die Arbeiter ihre Tätigkeiten weder reflektierten noch analysierten. Produktionsprozesse sollten mittels Arbeitsteilung effizienter werden, da jeder Arbeiter lediglich einen kleinen Teil des Gesamten bearbeitet. Routinen sollten helfen, diese wiederkehrenden Arbeitsschritte schneller und besser zu erledigen. Rd. 80 % der damaligen Arbeiter waren Analphabeten, so dass Taylors Argumente nicht ausser acht gelassen werden können, bzw. damals sicher ihre Berechtigung hatten. Selbst heute gibt es genug Unternehmen, die hierarchisch geprägt und zentral gesteuert sind. Großbetriebe setzen allerdings verstärkt auf die Nutzung des Humankapitals (vgl. Dybowski/ Haase/ Rauner, 1993, S. 27- 31)
[2]Erstausbildung im Betrieb und in der Berufsschule
[3]In den alten Ländern. Die Entwicklung der neuen Ländersoll in dieser Arbeit nicht explizit betrachtet werden, da die Ausbildungskrise der neuen Bundesländer noch auf verschiedene andere Faktoren zurückzuführen ist, deren Untersuchung den Rahmen sprengen würde.
[4]einschließlich Gesamtschulen
[5]Aus Gründen der Vereinfachung umfasst diese Bezeichnung im folgenden männliche und weibliche Jugendliche
[6]Ausbildung oder Ausbildungsplatz, etc. bezieht sich, wenn nicht explizit anders dargestellt nur auf eine betriebliche Ausbildung (duales System). Die Begriffe Lehrstelle, Ausbildungsplatz, Ausbildungsstelle etc. werden synonym verwendet.
[7]Ausbildungsvorbereitung, berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme und Berufsausbildungsvorbereitung werden hier synonym verwendet, Berufsvorbereitung umfasst zusätzlich noch die schulische Vorbereitung.
(vgl. dazu auch www.aaonline.dkf.de/bb/p118.htm)
[8]Quelle: Bundesanstalt für Arbeit; Berechnungen nach Grund- und Strukturdaten 1999/ 2000 (hrsg. vom BMBF), S. 378- 383)
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