Diplomarbeit, 2010
118 Seiten, Note: 1,0
Einleitung
Kapitel 1: Allgemeine Didaktik und Fachdidaktik Informatik
1.1 Allgemeine Didaktik
1.1.1 Begriffscharakterisierung
1.1.2 Historische Entwicklung
1.1.3 Didaktische Modelle
1.1.3.1 Die Bildungstheoretische Didaktik
1.1.3.2 Die Lehr- bzw. Lerntheoretische Didaktik
1.1.3.3 Andere Didaktiken und Unterrichtskonzepte
1.1.4 Fazit
1.2 Fachdidaktik der Informatik
1.2.1 Zur Informatik
1.2.1.1 Der Begriff "Informatik"
1.2.1.2 Wissenschaftliche Einordnung
1.2.1.3 Gegenstand oder Teilgebiete der Informatik
1.2.2 Informatik lehren und lernen
1.2.2.1 Entstehung des Schulfaches in Österreich
1.2.2.2 Legitimation als Schulfach
1.2.2.3 Inhalte des Informatikunterrichts
1.2.2.4 Methodik des Informatikunterrichts
1.2.3 Fazit
Kapitel 2: Betriebssysteme aus fachlicher Sicht
2.1 Betriebssysteme in der Theorie
2.1.1 Begriffscharakterisierung
2.1.2 Geschichtliche Entwicklung
2.1.3 Aufgaben und Klassifizierung
2.1.4 Strukturelle Grundlagen
2.1.4.1 Prozessverwaltung
2.1.4.2 Deadlocks
2.1.4.3 Speicherverwaltung
2.1.4.4 Dateisysteme
2.1.4.5 Ein- und Ausgabe
2.1.4.6 Benutzeroberfläche
2.2 Betriebssysteme in der Praxis
2.2.1 Fallbeispiel Windows
2.2.2 Entwicklungsgeschichte von Windows
2.2.3 Eigenschaften von Windows
2.2.3.1 Systemarchitektur von Windows
2.2.3.2 Multitasking unter Windows
2.2.3.3 Speicherverwaltung unter Windows
2.2.3.4 Dateisysteme und Ein-/Ausgabe unter Windows
2.2.3.6 Graphical User Interface unter Windows
2.2.4 Leistungsmerkmale von Windows
Kapitel 3: Betriebssysteme im Unterricht
3.1 Bedingungen des Unterrichts
3.1.1 Gesellschaftliche Bedingungen
3.1.2 Institutionelle Bedingungen
3.2 Das Unterrichtsthema "Betriebssysteme"
3.2.1 Zur Begründung des Themas
3.2.2 Didaktische Analyse
3.2.3 Bezug zu den Lehrplänen
3.4 Inhalte des Unterrichts über Betriebssysteme
3.4.1 Gliederung des Unterrichtsthemas "Betriebssysteme"
3.4.2 Anwendungs- versus Strukturorientierung
3.4.3 Exemplarische Inhalte und genetisches Lernen
3.2.3.1 Beispiel 1: Prozessverwaltung
3.2.3.2 Beispiel 2: Deadlocks
3.2.3.3 Beispiel 3: Speicherverwaltung
3.5 Methoden beim Unterricht über Betriebssysteme
3.5.1 Anwendungs- und Problemorientierung
3.5.2 Schüler- versus Fachorientierung
3.5.3 Arbeitsformen
3.6 Portfolio für den Unterricht
Zusammenfassung
Epilog
Literaturverzeichnis
Literaturangaben aus dem Internet
"Die Erweiterungen der Macht und ihre Selbstlegitimierung [gehen heute] über die Produktion, Speicherung, Zugänglichkeit und Operationalität der Informationen."[1] Bereits 1979 erkannte Jean-François Lyotard die gesellschaftlichen Veränderungen, die heute mit dem Schlagwort "Informationsgesellschaft" in Verbindung gebracht werden. Die "Informationsmaschinen", wie Lyotard sie nannte, haben Einzug in unsere privaten und öffentlichen Lebensbereiche gefunden und beeinflussen unsere Arbeitsweise, aber auch das Freizeitverhalten maßgebend. "Informationsmaschinen" oder, wie man sie heute nennt, IT-Geräte jeglicher Art besitzen eine Gemeinsamkeit, ohne selbige moderne Anwendungen nicht mehr denkbar wären: das Betriebssystem.
Das Betriebssystem stellt sowohl für die Programmiererin bzw. den Programmierer als auch für die Benutzerin bzw. den Benutzer von IT-Geräten ein entscheidendes Abstraktionsniveau dar, durch das der Zugang zu den Funktionen der Informationstechnik wesentlich erleichtert wird. Eine Behandlung des Themas "Betriebssysteme" im Informatikunterricht ist also ein lohnendes Unterfangen, zumal es den Schülerinnen und Schülern einen selbstbewussten Umgang mit der Informationstechnologie ermöglicht.
Konkret beschäftige ich mich in dieser Arbeit mit dem Thema "Betriebssysteme im Informatikunterricht" und den entsprechenden didaktischen und fachlichen Voraussetzungen. Ich habe die Arbeit in drei Kapitel untergliedert, wobei ich mich im ersten Kapitel sowohl mit allgemeinen als auch mit fachdidaktischen Grundlagen beschäftige. Im zweiten Kapitel wende ich mich den fachlichen Gegebenheiten bezüglich des Themas "Betriebssysteme" zu und im letzten Kapitel betrachte ich die Betriebssysteme als Unterrichtsthema und lasse dabei Erkenntnisse aus den ersten beiden Kapiteln einfließen. Die genauere Vorgangsweise ist wie folgt:
Zu Beginn der Arbeit gehe ich der Frage nach dem Wesen der Didaktik nach. Über eine Begriffscharakterisierung und die Darlegung der historischen Entwicklung der Didaktik komme ich zu den didaktischen Modellen. Detaillierte Betrachtungen widme ich der Bildungstheoretischen Didaktik nach Wolfgang Klafki und der Lerntheoretischen Didaktik nach Paul Heimann. Aber auch alternative Didaktiken und Unterrichtskonzepte finden ihre Erwähnung in einem knappen Überblick. Um von der Didaktik zur Fachdidaktik der Informatik überzuleiten, kläre ich zunächst den Begriff, die Einordnung und den Gegenstand der Informatik. Im Rahmen der Fachdidaktik beschäftige ich mich zum einen mit Entstehung und Legitimation des Schulfaches "Informatik" und zum anderen mit den Inhalten und der Methodik des Informatikunterrichts.
Im zweiten Kapitel wende ich meinen Blick den Betriebssystemen zu und betrachte diese zunächst aus einer rein fachlichen Sicht. Dabei beginne ich mit den allgemeinen Eigenschaften eines Betriebssystems wie dem Begriffscharakter, der geschichtlichen Entwicklung und den Aufgaben und Klassen von Betriebssystemen, denen die allgemeinen strukturellen Eigenschaften folgen. Zu den wichtigsten allgemeinen Strukturen, die ich im Detail behandle, zählen die Prozessverwaltung, die Speicherverwaltung, die Dateisysteme, die Ein- und Ausgabefunktionen und die Benutzeroberfläche. Nach dieser theoretischen Betrachtung eines Betriebssystems ziehe ich Windows als ein konkretes Fallbeispiel heran. Über die Entwicklungsgeschichte von Windows komme ich zu den strukturellen Eigenschaften, in denen sich die zuvor beschriebenen allgemeinen Strukturen wieder finden. Eine genauere Analyse der strukturellen Eigenschaften von Windows beinhaltet die Systemarchitektur, die Eigenschaft des Multitaskings und die Implementierung der allgemeinen Strukturen. Zur Abrundung des Kapitels folgt ein kurzer Abschnitt über die Leistungsmerkmale von Windows.
Ausgehend von den Erkenntnissen aus den didaktischen und fachlichen Betrachtungen der vorangegangenen Kapitel beschäftige ich mich im letzten Kapitel konkret mit dem Unterricht über Betriebssysteme. In Anlehnung an die didaktischen Modelle beginne ich mit einer Analyse der gesellschaftlichen und institutionellen Bedingungen von Unterricht. Zur äußeren Betrachtungsweise des Unterrichtsthemas "Betriebssysteme" führe ich eine Begründung, eine Analyse und einen Bezug des Themas zum Lehrplan an. Die inhaltliche Betrachtung setzt sich aus einer Gliederung und der Beantwortung der Frage, wie das Thema "Betriebssysteme" optimal unterrichtet werden kann, zusammen. Des Weiteren erarbeite ich Beispiele, an denen der exemplarische Gehalt des Themas "Betriebssysteme" ersichtlich wird. Bezug nehmend auf die Methodik, wende ich gängige Unterrichtsmethoden auf das Thema "Betriebssysteme" an und runde das Kapitel mit einem Portfolio von Inhalten in Kombination mit unterschiedlichen Arbeitsweisen als Grundlage für eine weitere Unterrichtsplanung ab.
Ich möchte mich in diesem ersten Kapitel dem Thema "Betriebssysteme im Informatikunterricht" über die Didaktik nähern und mich dabei mit folgenden zwei Fragestellungen beschäftigen:
1. Was ist Didaktik?
2. Welchen didaktischen Beitrag kann die Informatik leisten?
Nun zunächst zur ersten Fragestellung nach dem "Wesen" der Didaktik:
Als Lehramtsanwärter möchte ich mir zu Beginn dieser Arbeit ein paar grundsätzliche Gedanken zur Didaktik machen. Dazu möchte ich zunächst den Begriff genauer charakterisieren und in Folge einen kurzen historischen Überblick über die Entwicklung der Didaktik geben. Mein Anliegen ist es, mir selbst und der Leserin oder dem Leser mehr Klarheit über prinzipielle Fragen bezüglich des Lehrens und Lernens zu verschaffen. Um Antworten auf meine Fragen zu finden, aber auch um einen Überblick über die Didaktik zu gewinnen, möchte ich zwei anerkannte didaktische Modelle genauer erläutern. Zunächst aber beginne ich mit der Begriffscharakterisierung.
Der Begriff "Didaktik" als pädagogischer Begriff und in der Form, in der er heute verstanden wird, taucht erstmals im 17. Jahrhundert auf. So zum Beispiel im Titel des Werkes "didactica magna" von Johann Amos Comenius oder in dem Werk Wolfgang Ratkes "Kleine Pädagogische Schriften".[2] Das Wort 'Didaktik' stammt vom griechischen Wort 'didaskein' und bedeutet aus etymologischer Sicht im Aktiv "lehren" bzw. "unterrichten" und im Passiv "lernen" bzw. "unterrichtet werden".[3] Aus heutiger Sicht hat das Wort 'Didaktik' keine einheitliche Bedeutung.[4] Dies hat zum einen historische Gründe und zum anderen zeigt sich, dass der Begriff von unterschiedlichen anthropologischen Annahmen geprägt ist[5] .
Trotz unterschiedlicher Auffassungen des Begriffs in der heutigen Diskussion scheint es in der Literatur doch einen gewissen Konsens darüber zu geben, was unter Didaktik verstanden werden kann:
"In einem sehr weiten Sinn versteht man unter Didaktik die Theorie des Lehrens und Lernens in allen möglichen Situationen und Zusammenhängen […]"[6] . In einem engeren Sinn wird unter Didaktik die "[…] Theorie des (schulischen) Unterrichts oder auch die Theorie der Bildungsinhalte und des Lehrplans verstanden"[7] .
Obwohl der Begriff der Didaktik in der Antike nicht bekannt war, finden sich Wurzeln des Nachdenkens über Lehren und Lernen schon im alten Griechenland. Es waren große Denker der Antike, wie beispielsweise die Gruppe der Sophisten, Platon und Aristoteles, die bereits über didaktische Fragen nachdachten. Den Sophisten war die Rhetorik und insbesondere das Unterrichten von Rhetorik ein zentrales Anliegen.[8] Es zeigten sich auch schon erste Ansätze eines Lehrplans, der als "Lehrplan des Abendlandes"[9] die Geschichte des Mittelalters prägte.
Während die Sophisten behaupteten, etwas zu wissen und Wissen weitervermitteln zu können, sagte Sokrates von sich selbst: "Ich weiß, dass ich nichts weiß"[10] . In einem gleichberechtigten Dialog versucht Sokrates seine Gesprächspartner herauszufordern, über die Unzulänglichkeit ihres eigenen vermeintlichen Wissens zu reflektieren und zu eigenen neuen Erekenntnissen zu kommen (Hebammenkunst).[11] Auch im heutigen Repertoire didaktischer Möglichkeiten findet sich diese Idee in der Form des so genannten "Sokratische Gespräch" wieder.[12]
Auch Aristoteles, der in die Geschichte als "der Philosoph" eingegangene Denker der Antike, beschäftigte sich mit Fragen der Erziehung und Lehre. Der Erziehung zum "guten Tun"[13] misst Aristoteles eine geringere Bedeutung zu, da man, wie er meint, die Naturanlagen eines Menschen kaum beeinflussen könne. Die Aneignung von Wissen hingegen ist für ihn durchaus möglich, indem vorhandenes Wissen erweitert und präzisiert werde.[14] "Alles vernünftige Lehren und Lernen geschieht aus einer vorangehenden Erkenntnis."[15]
Obwohl der Begriff "Didaktik" schon im Mittelalter verwendet wurde, hatte er zur damaligen Zeit eine literarische Bedeutung im Sinne von moralisch-belehrender Dichtung.[16] Erst die Aufklärung brachte einen Begriff der "Didaktik" hervor, der mit dem heutigen Begriff vergleichbar ist.[17] Wie schon im vorangegangenen Abschnitt erwähnt, waren es vor allem Ratke und Comenius, die als Erste im 17. Jahrhundert den Begriff in einem pädagogischen Sinne verwendeten und damit die Didaktik als eigenständige, wissenschaftliche Disziplin begründeten.[18]
Ratke und Comenius, die sich selbst als "Didactici"[19] bezeichneten, hatten durchaus ähnlich visionäre Vorstellungen von einer Didaktik, die sie als Lehrkunst bezeichneten. Diese Vorstellungen äußerten sich zum Beispiel im Anliegen von Comenius "alle Menschen alles zu lehren"[20] (omnes – omnia – omnino). Ziel der Didaktik sei es, die menschlichen Verhältnisse zu verbessern, um das "Heil" oder die "Vollkommenheit" der Menschheit zu erwirken.[21] Man erkennt deutlich die christlich-religiösen Vorstellungen in den Werken dieser frühen Didaktiker, die sich in ihren Grundannahmen und Zielvorstellungen widerspiegeln.[22] Didaktik und Pädagogik stellen aus der Perspektive der Lehrkunst eine Einheit dar.
Im 18. und 19. Jahrhundert wurde der Begriff der Didaktik stärker durch die Lehre des so genannten erziehenden Unterrichts nach Johann F. Herbart geprägt. Herbart beschränkte die Didaktik auf eine Lehre vom Unterricht, wobei er Unterricht von anderen Formen der Erziehung dadurch unterschied, dass hier neben "Zögling" und "Erzieher" noch etwas Drittes hinzukommt, nämlich der "Gegenstand", der das Interesse der Lernenden wecken sollte.[23] Einfluss auf den schulischen Alltag hatte die Lehre Herbarts vor allem durch seine Schülerinnen und Schüler, die Herbartianerinnen und Herbartianer, die eine Formalstufentheorie entwickelten und dadurch unbeabsichtigt den Unterricht im deutschsprachigen Raum teilweise "inhumanisierten".[24]
Ausgehend von Herbart, aber dennoch neuartig war die Theorie der Didaktik als Bildungslehre von Otto Willmann, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Begriff der Didaktik formte. Gleichberechtigt neben die sittliche Assimilation, also die Erziehung, stellt Willmann die geistige Assimilation, unter der er die "Übertragung der geistigen Güter auf die Nachkommenschaft"[25] versteht, und die für ihn die eigentliche Didaktik darstellt. In Willmanns Theorie spielen aber auch christliche und patriotische Vorstellungen eine wesentliche Rolle.[26]
Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die so genannte Reformbewegung, die sich gegen die systematischen Didaktiken des 18. und 19. Jahrhunderts richtete. Man erkannte, dass eine Didaktik an die Vielschichtigkeit von Inhalten und die Individualität des Kindes oder Jugendlichen angepasst werden sollte. Es entstanden viele praktische Ratgeber für "guten Unterricht" und unterschiedlichste programmatische Lösungsmodelle, die eine "praktizierte Pluralität didaktischer Lehren"[27] darstellten. Zu dieser Zeit entstanden aber auch alternative Didaktiken, so die von Maria Montessori oder Rudolf Steiner. Sie haben bis in die heutige Zeit ihre Existenzberechtigung nicht verloren.[28]
Parallel zur Reformbewegung entwickelte sich eine zweite Strömung, die als geisteswissenschaftliche Pädagogik bezeichnet wird. Die Vertreter derselben machten die Erziehungswirklichkeit und vor allem die Bildungsinhalte zum wissenschaftlichen Gegenstand und versuchten damit den Bereich der Didaktik wieder mehr zu objektivieren. Erich Weniger, ein maßgeblicher Vertreter der geisteswissenschaftlichen Pädagogik, propagierte durch seine "Theorie der Bildungsinhalte und des Lehrplans"[29] das Primat der Bildungsinhalte im Lehr- und Lerngefüge.[30] Die Vertreter der im nächsten Abschnitt behandelten, gegenwärtigen Modelle nutzen die geisteswissenschaftliche Methodik als Ausgangspunkt für ihre eigenen Überlegungen.
Aus heutiger Sicht existieren mehrere didaktische Modelle nebeneinander, wobei jedes Modell eigene Schwerpunkte setzt. Seit den frühen 1960er-Jahren wurden erste vollständige Modelle entwickelt. Später kamen neue Modelle hinzu, ältere Modelle wurden weiterentwickelt und verändert. Ich möchte hier nun besonders zwei Modelle genauer betrachten, die früh entwickelt wurden, großen Anklang in der Lehrerbildung und allgemeinen Rezeption fanden und bis heute in ihrer Weiterentwicklung aktuell sind.[31] Es handelt sich um das Bildungstheoretische Modell von Wolfgang Klafki und das Lehrtheoretische Modell von Paul Heimann bzw. Wolfgang Schulz und Gunter Otto.
"Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen."[32]
Die Befähigung zu einer eigenständigen Benützung des Verstandes im Sinne der Aufklärung hat sich auch die Bildungstheoretische Didaktik, deren wichtigster Vertreter Wolfgang Klafki ist, zur Aufgabe gemacht. Ein zentrales Moment im Modell von Klafki stellt die Bildung der bzw. des Lernenden dar, die sie bzw. ihn zu einer vernunftbestimmten Mündigkeit und Selbständigkeit führen und schließlich zur Bedingung eines Lebens in Freiheit werden soll. Eine für Klafki wesentliche Aufgabe der Didaktik ist das Auffinden von exemplarischen Inhalten, die Bildung ermöglichen.
Unter exemplarischen Inhalten oder dem Exemplarischen werden beispielhafte, konkrete Tatsachen verstanden, die besonders dazu geeignet sind, allgemeine Gesetzmäßigkeiten zu erklären. Vom Exemplarischen ausgehend sollen die Schülerinnen und Schüler selbständig Verbindungen zum Elementaren, also zum Allgemeinen, zu Gesetzmäßigkeiten und Prinzipien, herstellen können. Diese spontan vollzogenen Verbindungen zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen bzw. dem Exemplarischen und dem Elementaren entsprechen, aus der Perspektive der Schülerin oder des Schülers, fundamentalen Grundeinsichten und neuen Erkenntnissen und Erfahrungen. Deshalb sollte im Sinne der Bildungstheoretischen Didaktik den Schülerinnen und Schülern zunächst das Exemplarische und erst dann das Allgemeine bzw. Elementare dargeboten werden, um den selbständigen Induktionsschritt der Schülerinnen und Schüler nicht vorweg zu nehmen.[33]
An dieser Stelle möchte ich ein kleines Beispiel von Martin Wagenschein einbringen. Er vertritt ebenfalls die Methode des exemplarischen Lernens.[34] Wagenschein verwendet das Phänomen von Vollmond bzw. Halbmond, um die Begriffe "Exemplarisch" und "Elementar" besser zu verstehen: Den Schülerinnen und Schülern ist das Phänomen der sichtbaren Himmelserscheinung bekannt, doch kennt womöglich nicht jede oder jeder von ihnen die dahinter liegenden Gesetzmäßigkeiten. Das Exemplarische stellt in diesem Fall das Himmelsphänomen der unterschiedlichen Erscheinungen des Mondes dar. Das Elementare hingegen liegt in Gesetzmäßigkeiten von Planetenbahnen und sich dadurch ergebenden Konstellationen verborgen. Bevor diese elementare Gesetzmäßigkeit den Schülerinnen und Schülern jedoch dargeboten wird, um das Phänomen zu erklären, sollten diese selbst in die Lage versetzt werden[35] , den Zusammenhang zwischen Phänomen und Gesetz zu erkennen und somit Bildung selbst zu erfahren anstatt Faktenwissen auswendig zu lernen.
Eine seit dem frühen 19. Jahrhundert geläufige Unterscheidung in materiale und formale Bildungstheorie kann bei der Erhellung eines weiteren zentralen Begriffs in Klafkis Modell, der "Kategorialen Bildung", weiterhelfen. Materiale Bildungstheorien gehen von den Inhalten aus und stellen die Frage, welche Inhalte so wichtig sind, dass sie jede Schülerin und jeder Schüler lernen sollte. Formale Bildungstheorien gehen von den Schülerinnen bzw. Schülern und ihren Bedürfnissen aus und fragen danach, welches Verhalten oder welche Handlungsformen für die Schülerinnen und Schüler gegenwärtig und zukünftig von Bedeutung sein werden. Klafki versucht in seinem Bildungsmodell materiale und formale Bildungsaspekte dialektisch miteinander zu verschränken[36] . Er sieht im Phänomen der Bildung einen materialen Aspekt, der die Erschließung der Welt für die Schülerin bzw. den Schüler beinhaltet, und einen formalen Aspekt, der es der Schülerin bzw. dem Schüler ermöglicht, sich selbst der Welt zu erschließen. Klafki schreibt:
"Diese doppelseitige Erschließung geschieht als Sichtbarwerden von allgemeinen, kategorial erhellenden Inhalten auf der objektiven Seite und als Aufgehen allgemeiner Einsichten, Erlebnisse und Erfahrungen auf der Seite des Subjekts."[37]
Die Lehrerin bzw. der Lehrer nimmt in diesem Modell eine Vermittlerrolle zwischen "der Welt"[38] und der Schülerin oder dem Schüler ein.
Die didaktische Analyse ist ein wichtiger Bestandteil des Bildungstheoretischen Modell Klafkis. Es soll der bzw. dem Lehrenden dabei helfen, den Bildungsgehalt aus den vorgegebenen Bildungsinhalten zu abstrahieren.[39] Der Bildungsgehalt, im Sinne der von Klafki propagierten Kategorialen Bildung, ist also jener Gehalt, der den Schülerinnen und Schülern dabei helfen soll, allgemeine Zusammenhänge, Begriffe und Erkenntnisse zu gewinnen, die dann später auf andere Inhalte übertragen werden bzw. die in anderen Inhalten erkannt werden können. Wie der Bildungsgehalt am konkreten Beispiel des Themas "Betriebssysteme" extrahiert werden kann, werde ich im dritten Kapitel dieser Arbeit zeigen.
Folgende fünf Grundfragen sollen eine Reflexions- und Problematisierungshilfe für Lehrerinnen und Lehrer im Sinne der didaktischen Analyse darstellen:
1. Welche Bedeutung hat der betreffende Inhalt bereits im geistigen Leben der Kinder meiner Klasse, welche Bedeutung sollte er – vom pädagogischen Gesichtspunkt aus gesehen – darin haben?
2. Worin liegt die Bedeutung des Themas für die Zukunft der Kinder?
3. Welches ist die Struktur des Inhaltes?
4. Welchen allgemeinen Sachverhalt, welches allgemeine Problem erschließt der betreffende Inhalt?
5. Welches sind die besonderen Fälle, Phänomene, Situationen, Versuche in oder an denen die Struktur des jeweiligen Inhalts den Kindern dieser Bildungsstufe, dieser Klasse interessant, fragwürdig, zugänglich, begreiflich, "anschaulich" werden kann?[40]
In den 1970er- und 1980er-Jahren entwickelte Klafki unter Einbeziehung der Argumente seiner Kritiker sein Modell der Bildungstheoretischen Didaktik weiter zur Kritisch-konstruktiven Didaktik. Die grundlegenden und nun auch emanzipatorischen Zielsetzungen des neuen Modells sind:
- Selbstbestimmung
- Mitbestimmung
- Solidarität
Klafki fordert eine kritische Didaktik, da er in den vorherrschenden gesellschaftspolitischen Strukturen Hindernisse sieht, die die Entwicklung der Schülerin oder des Schülers in Richtung der oben genannten Zielstellungen einschränken könnten.[41] Mögliche Auswirkungen von hinderlichen Strukturen auf den Unterricht sollen durch eine Bedingungsanalyse erkannt, und im Hinblick auf eine bestmögliche Entfaltung und Entwicklung der Schülerin oder des Schülers ausgeblendet werden.
Als konstruktiv bezeichnet Klafki sein neues Didaktikmodell, da er sich nicht mehr damit zufrieden geben möchte, Unterricht im Rahmen der gesellschaftlich und institutionell vorgegebenen Schranken zu gestalten.[42] Klafki arbeitet nun als Gegenpol zur vorherrschenden Unterrichtspraxis konkrete Entwürfe aus, die in Zukunft umgesetzt werden könnten. Weiters fordert Klafki in seinem neuen Modell zusätzlich zur historisch-hermeneutischen Methode eine Integration von empirischen und gesellschaftskritisch-ideologischen Methoden, da diese im alten Modell zu wenig berücksichtigt wurden.[43] Die Kritik an dem postulierten Primat der Bildungsinhalte nimmt Klafki auf und stellt nun Zielentscheidungen[44] im Verhältnis zu allen anderen, den Unterricht mitkonstituierenden Faktoren als Primat in den Vordergrund.[45]
Klafki stellt in seinem weiterentwickelten Modell der Kritisch-konstruk-tiven Didaktik auch ein neues Schema zur Unterrichtsplanung vor, das die didaktische Analyse ergänzen soll. Das Perspektivenschema zur Unterrichtsplanung, wie Klafki es nennt, ist in Abbildung 1 dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Perspektivenschema zur Unterrichtsplanung (Quelle: Klafki, 1991, p. 272)
Dem Schema folgend ist die Vorraussetzung für eine gelungene Planung die Bedingungsanalyse hinsichtlich der Lerngruppe und der Institution, in deren Rahmen unterrichtet wird. Die Pfeile stellen keine zeitliche Abfolge dar, sondern gewisse Abhängigkeiten zwischen den Strukturelementen im Schema. Entscheidende Momente in der Planung, wie die Begründung von Inhalten, deren Strukturierung, Zugänglichkeit und methodische Aspekte, sind in jeweils eigene Spalten eingeteilt. Klafki betont, dass sein Konzept keinesfalls ein normatives Kriteriensystem für eine Unterrichtsplanung, sondern lediglich ein Problematisierungsschema darstellt, anhand dessen, Unterricht geplant werden kann.[46]
In kritischer Auseinandersetzung mit dem ursprünglichen Modell der Bildungstheoretischen Didaktik entstand in den 1960er-Jahren die Lerntheoretische Didaktik. Ihr Begründer ist Paul Heimann, der Bezug nehmend auf ein positivistisches Wissenschaftsverständnis die Wertfreiheit seines didaktischen Modells als markantes Unterscheidungsmerkmal im Vergleich zur Bildungstheoretischen Didaktik hervorhebt.[47] Insbesondere richtet sich seine Kritik an die zentrale Stellung des Bildungsbegriffs, der sich nicht zur Begründung eines wertfreien Didaktikmodells eigne.[48] Allerdings beansprucht die Lerntheoretische Didaktik in ihrer Weiterentwicklung, der Lehrtheoretischen Didaktik, dann doch normative, emanzipatorische Ziele und übt sich in einer kritischen Auseinandersetzung mit der Gesellschaft. Weiterhin anzumerken ist, dass die Lehrtheoretische Didaktik die Schülerinnen und Schüler im Sinne einer Mitgestaltung aller am Unterricht Beteiligten stärker in den Blickpunkt rückt, als dies in früheren didaktischen Ansätzen der Fall war.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Strukturanalyse des Unterrichts nach Heimann (Quelle: Dörfler, 2000)
Eine der wesentlichen Aufgaben, die sich Heimann und seine Mitautoren Otto und Schulz stellten, war das Auffinden von möglichst allgemeinen Strukturen, die sich in jedem Unterrichtsgeschehen wieder finden lassen. Als Ergebnis ihrer Untersuchungen veröffentlichten Heimann, Schulz und Otto 1965 das in Abbildung 2 dargestellte Modell der "Strukturanalyse des Unterrichts", das Lehrenden als Planungs- und Analyseraster dienen sollte.[49]
Wie in Abbildung 2 zu sehen, weist das Modell vier Entscheidungsfelder und zwei Bedingungsfelder auf. Auffallend an der Darstellung ist, dass im Vergleich zur Bildungstheoretischen Didaktik die Thematik, also die Frage nach den Inhalten, eines von mehreren Entscheidungsfeldern auf gleicher Prioritätenstufe darstellt. Des Weiteren ist anzumerken, dass Heimann und seine Mitautoren mit dem Begriff "Intentionalität" nicht nur die Absichten von Lehrerinnen und Lehrern ansprechen möchten, sondern auch die der Schülerinnen und Schüler. Die anthropogenen und sozialkulturellen Vorraussetzungen beeinflussen die Entscheidungen und stellen daher Bedingungsfelder dar.
Entsprechend dem geforderten Merkmal nach wertfreier Wissenschaft enthält das in Abbildung 2 gezeigte Schema keine normativen Festlegungen, sondern lediglich jene Strukturmomente, die Heimann und seine Mitautoren durch eine Analyse des Unterrichtsgeschehens gewonnen haben. Heimann zeigt also in seinem Modell lediglich Entscheidungsfelder auf. Die konkreten Entscheidungen über die Absichten einer Lehrperson und die zu wählenden Themen, Methoden und Medien bleiben ihr selbst überlassen. Heimann konstatiert:
"Die Entscheidung selbst ist ein Akt der Freiheit, der den theoretischen Bereich transzendiert."[50]
Nach dem Tod Heimanns 1967 entwickelte Schulz das von Heimann geprägte Lerntheoretische Modell zum Lehrtheoretischen Modell, auch "Hamburger Modell" genannt, weiter. Er berücksichtigte die allgemeine Kritik an der vermeintlichen Wertfreiheit des Lehrtheoretischen Modells und ließ schließlich unter dem zusätzlichen Einfluss der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule die Forderung nach einer wertfreien Didaktik fallen.[51] Schulz übernahm nun in sein Modell klare Wertvorstellungen, wie die Egalisierung der Lernchancen oder die Erziehung zur Autonomie einer bzw. eines jeden Einzelnen.[52]
Der Begriff der Intentionalität wird aus dem Lerntheoretischen Modell übernommen, wobei er eine gewisse Erweiterung erfährt, da er nun auch die Ziele und Absichten der Schülerinnen und Schüler beinhalten soll. In diesem Zusammenhang proklamiert Schulz drei Ziele von Unterricht[53] :
- Kompetenz
- Autonomie
- Solidarität
Zu beachten ist, dass nach Schulz die Ziele bzw. Werte nicht für sich allein Werte darstellen, sondern nur im Gefüge zu ihrer Geltung kommen. So steht zum Beispiel Kompetenz in einem Zusammenhang mit der Autonomie, da eine höhere Kompetenz gleichzeitig die Autonomie fördert.[54] Den Begriff der Thematik, ebenfalls aus dem Modell von Heimann übernommen, entfaltet Schulz in den "Sachaspekt", den "Gefühlsaspekt" und den "Sozialaspekt", wobei auch diese Aspekte sich in der Unterrichtswirklichkeit meist in zusammengesetzter Weise finden lassen.[55] Aus den sechs Begriffen "Kompetenz", "Autonomie", "Solidarität", "Sachaspekt", "Gefühlsaspekt" und "Sozialaspekt" entwickelte Schulz eine heuristische Matrix, die als Suchschema für das Auffinden von Richtzielen dienen soll.[56] Die Matrix soll des Weiteren nicht auf der Planungsebene von einzelnen Unterrichtsstunden eingesetzt werden, sondern lediglich als Orientierungsgrundlage bei der Perspektivplanung eines Unterrichtsjahres oder Semesters ihre Anwendung finden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Handlungsmomente didaktischen Planens (Quelle: Schulz, 1981, p. 82)
Zur Hilfestellung bei der Planung einer konkreten Sinneinheit innerhalb der Perspektivenplanung stellt Schulz sein Modell der "Handlungsmomente didaktischen Planens" vor, das in Abbildung 3 dargestellt ist.
Schulz fasst in diesem Modell die Entscheidungsfelder "Intentionen" und "Themen" aus dem vorangegangenen Modell von Heimann zum Feld der "Unterrichtsziele" und die Felder "Methodik" und "Medienwahl" zum Feld "Vermittlungsvariablen" zusammen. Das Feld "Ausgangslage der Lernenden und Lehrenden" kommt inhaltlich den Feldern "anthropogene Vorraussetzungen" bzw. "sozialkulturelle Vorraussetzungen" des Vorgängermodells nahe. Hinzu kommt das Entscheidungsmoment "Erfolgskontrolle", wobei damit die Selbstkontrolle sowohl der Schülerinnen und Schüler als auch der Lehrerinnen und Lehrer gemeint ist. Aus dem Modell ersichtlich ist das Verständnis von Lehrerinnen bzw. Lehrern und Schülerinnen bzw. Schülern als Partnerinnen und Partner, die beidseitig an den Entscheidungen zur Unterrichtsplanung mitwirken. Die auf die Planungsentscheidungen einwirkenden Rahmenbedingungen werden in umgebenden Ringen dargestellt. Diese sind die "Institutionellen Rahmenbedingungen", die zum Beispiel durch den Schulapparat zustande kommen, die "Produktions- und Herrschaftsverhältnisse"[57] sowie das "Selbst- und Weltverständnis" schulbezogen Handelnder.
Im Zusammenhang mit Schulz' Forderung nach "[…] einer Planung als Interaktion der Beteiligten"[58] setzte er sich mit Prinzipien auseinander, die ursprünglich durch Erfahrungen mit psychoanalytischen Gruppentherapien entwickelt wurden. Insbesondere ließ er sich von dem von der Exil-Amerikanerin und Psychoanalytikerin Ruth Cohn vorgeschlagenen Konzept der Themen-Zentrierten Interaktion (kurz: TZI) inspirieren.[59] Cohn benutzt ein Rad als Metapher, um die ihrer Meinung nach notwendige Balance zwischen dem "Es", dem "Ich" und dem "Wir" innerhalb einer Gruppe zu beschreiben.[60] Schulz übertrug einige Grundsätze der TZI aus dem Bereich der Gruppentherapie in den pädagogischen Bereich und stellte sie in den Kontext seines didaktischen Modells. Ein zentraler Aspekt der TZI, der auch von Schulz übernommen wurde, ist die Forderung nach einem ausgeglichenen Verhältnis von Sach-, Personen- und Gruppenansprüchen.[61] Diese Balance kann durch das so genannte "Ouidy-Rad" (Abb. 4) schematisch dargestellt werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: "Ouidy-Rad" von Ouidy Billon entworfen (Quelle: Schulz, 1981, p. 77)
Nach Cohn zeigt das Rad sowohl die Wichtigkeit der bewussten Selbst- ("Ich") und Gruppenwahrnehmung ("Wir"), als auch den Zusammenhalt einer Gruppe durch die Konzentration der einzelnen Gruppenmitglieder auf das Zentrum des Rades, also auf das behandelte Thema ("Es").[62]
Mit dieser kurzen Darstellung der TZI im Rahmen der Lehrtheoretischen Didaktik möchte ich diesen Teilabschnitt abschließen und als Nächstes jene didaktischen Modelle ansprechen, die bis jetzt noch keine Erwähnung gefunden haben.
Neben der Bildungstheoretischen und der Lern- bzw. Lehrtheoretischen Didaktik entwickelte sich eine Vielzahl anderer Didaktiken, die bis heute ihre Anwendung finden. Auch Unterrichtskonzepte und Unterrichtshilfen verschiedenster Art tummeln sich auf dem "freien Markt" der Hilfestellungen für Lehrpersonen. Ich möchte, um diesen Abschnitt abzurunden, jene Didaktiken und Ansätze vorstellen, die eine gewisse Akzeptanz und Rezeption in der Literatur und, wie ich annehme, auch in der Praxis erfahren haben. Zunächst möchte ich einige, ihrem Anspruch nach vollständige Didaktiken kurz vorstellen, denen alternative didaktische Ansätze folgen.
In der Kritisch-kommunikativen Didaktik (Rainer Winkel) wird Lehren und Lernen als kommunikativer Prozess gesehen, wobei die sozialen vor den inhaltlichen Aspekten Vorrang haben. Eine ähnliche aber etwas ältere Didaktik ist die Kommunikative Didaktik. Weniger der kommunikative, dafür mehr der individuelle Prozess des Lernens steht bei der Konstruktivistischen Didaktik (Kersten Reich) im Vordergrund. Unter Didaktik wird hier ein konstruktiver Ort der individuellen Weltfindung verstanden, an dem Selbst- und Wissensorganisation durch die Lernenden stattfinden. Gegensätzlich dazu beschäftigen sich die Vertreter der Kybernetisch-informationstheoretischen Didaktik, wie Felix von Cube und Helmar Frank, mit geplanter Lernsteuerung zum Zwecke der Erlangung eines Lernziels. Der Lernvorgang wird als Regelkreis gesehen, wobei die Semantik des Lerninhalts völlig ausgeklammert wird. Ebenso mit Lernzielen beschäftigt sich Christine Möller, eine der wichtigsten Vertreterinnen der Curricularen Didaktik. Der lernzielorientierte Ansatz, wie Möller ihre Didaktik bezeichnet, rückt die Festlegung und Überprüfung von Lernzielen in den Mittelpunkt. Auch die Lernzieltaxonomie von Benjamin Bloom fällt in diesen behavioristisch geprägten Ansatz.
Lothar Klingberg ist ein aus der ehemaligen DDR stammender Didaktiker, der als einer der Wenigen ein vollständiges didaktisches Modell entwickelt hat, ohne dabei nur den Anforderungen der sozialistischen Regierung zu genügen. Als didaktisches Grundverhältnis verstand Klingberg eine Dialektik des Lehrens und Lernens, die sich in seinem Modell widerspiegelt. Zwei andere didaktische Modelle, deren Vertreter es sich zur Aufgabe machten, ihre Modelle stärker an die unterschiedlichen Entwicklungsstufen von Kindern und Jugendlichen anzupassen, sind die Psychologische Didaktik (Hans Aebli) und die Bildungsgangdidaktik (Meinert Meyer). Während Aebli lernpsychologische Erkenntnisse in sein Modell einfließen lässt[63] , fordert Meinert eine stärkere Anpassung des Curriculums an die Entwicklung der Lernenden.
Weniger als Didaktik, sondern eher als Lehrkunst in Anlehnung an deren Ahnherren Comenius und Ratke[64] versteht Hans Christoph Berg sein Modell. Für ihn hat neben den Methoden des exemplarischen und genetischen Lehren und Lernens auch die dramaturgische Art des Lehrens einen wichtigen Stellenwert. Inhaltlich orientiert sich Berg an Ereignissen, die die Menschheit stark geprägt haben.
Besonders erwähnen möchte ich alternative Ansätze, die ihre Wurzeln teilweise in der Reformbewegung vom Anfang des 20. Jahrhunderts haben und sich in Richtung eines offeneren und stärker handlungsorientierten Unterrichts bewegten. Der Unterricht nach diesen Ansätzen ist, im Vergleich zum klassischen Unterricht, von selbständigerer Arbeit der Schülerinnen und Schüler geprägt, die so mehr Freiraum im Bezug auf Lerninhalte und Arbeitsweisen haben. Ein Schultag ist meist auch nicht in Einheiten von je 50 Minuten unterteilt, sondern oft werden Projekte und Themen über einen ganzen Tag oder längere Zeiträume bearbeitet. In diesem Zusammenhang zu erwähnen wäre das Schulentwicklungskonzept Jena-Plan von Peter Petersen. Ebenfalls erwähnen möchte ich die gebürtige Italienerin Maria Montessori und die nach ihr benannte Montessori-Pädagogik. Nach dem pädagogischen Ansatz von Montessori stehen vor allem die Bedürfnisse und Begabungen eines jeden Kindes, und der Entwicklungsstand je Altersstufe im Vordergrund. Die von Rudolf Steiner begründete Waldorfpädagogik zählt ebenso zu den alternativen Ansätzen und kommt vor allem in Waldorfschulen zur Anwendung. Sie basiert auf einer von Steiner vertretenen, spirituellen Weltanschauung der Anthroposophie.[65] Unter den alternativen und offeneren Ansätzen finden sich die so genannten Klassendruckereien des französischen Reformpädagogen Célestine Freinet und eine von dem Schweizer Johann Pestalozzi begründete Pädagogik, die auf eine Balance zwischen "Kopf, Herz und Hand" im Unterrichtsgeschehen setzt.
Mit diesem knappen Überblick über didaktische Modelle und alternative didaktische Ansätze möchte ich nun diesen Abschnitt über die Allgemeine Didaktik mit einem Fazit abschließen, um danach mit der Fachdidaktik fortzusetzen.
Der Begriff "Didaktik" stammt aus dem Griechischen und bedeutet kurz gesagt die Theorie des Lehrens und Lernens. Obwohl in der Antike schon über das Lehren und Lernen nachgedacht wurde, verwendete man den Begriff erstmals im Mittelalter; zu dieser Zeit allerdings noch in einem moralisch-belehrenden Sinn. Ab dem 17. Jahrhundert erhielt er seine pädagogische Bedeutung, wobei er von Didaktikern wie Ratke, Comenius, Herbart, Willmann und von den Strömungen wie der Reformbewegung und der geisteswissenschaftlichen Pädagogik geprägt wurde.
Heute reihen sich in die Didaktik unterschiedliche Modelle und Ansätze ein. Zwei Didaktikmodelle, die besonderen Anklang fanden, sind die Bildungstheoretische und die Lerntheoretische Didaktik. Zentrales Anliegen der Vertreter der Bildungstheoretischen Didaktik ist die Bildung der Schülerin oder des Schülers, die dieser oder diesem zur Mündigkeit und Selbständigkeit verhelfen soll. Bildung vollzieht sich nach diesem Modell durch exemplarische Inhalte, die es der Schülerin bzw. dem Schüler ermöglichen sollen, allgemeine Zusammenhänge zu erkennen. Diese allgemeinen Zusammenhänge können dann später selbständig auf andere Inhalte übertragen werden. Die Weiterentwicklung der Bildungstheoretischen Didaktik ist die Kritisch-konstruktive Didaktik, die nun auch emanzipatorische Zielsetzungen, wie Selbstbestimmung und Gesellschaftskritik beinhaltet.
Die Vertreter der Lehrtheoretischen Didaktik bevorzugen ein wertfreies Modell, das lediglich allgemeine Strukturen des Unterrichtsgeschehens explizieren soll. Eine Strukturanalyse, die Strukturmomente wie "Thematik" oder "Sozialkulturelle Voraussetzungen" beinhaltet, soll dabei helfen, das Unterrichtsgeschehen hinsichtlich Entscheidungen und Bedingungen zu untersuchen. Entscheidungen werden in diesem Modell von allen am Unterricht Beteiligten, also auch von den Schülerinnen und Schülern, mitgetragen. Bei der Weiterentwicklung zum "Hamburger Modell" wurde auf die Wertfreiheit verzichtet und es kamen Zielsetzungen wie Autonomie und Solidarität hinzu.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die beiden didaktischen Modelle durch ihre jeweilige Weiterentwicklung mehr aneinander angeglichen haben. Im Vordergrund stehen nun klare Ziele wie die Selbstbestimmung und die Autonomie der Schülerin bzw. des Schülers, die durch den Unterricht erreicht werden sollen. Sowohl die kritische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft durch die Lehrerin oder den Lehrer, als auch die Befähigung der Schülerinnen und Schüler dazu spielen in beiden Modellen eine wichtige Rolle.
Die Frage "Was ist Didaktik?" kann nun aufgrund der vorangegangenen Betrachtungen wie folgt beantwortet werden:
Didaktik im Allgemeinen ist die Theorie vom Lehren und Lernen, wobei heutige didaktische Modelle klar auf die Förderung der Selbständigkeit und Solidarität der Schülerinnen und Schüler ausgerichtet sind.
Nachdem ich nun das Thema Didaktik im Allgemeinen behandelt habe, möchte ich nun zu den Besonderheiten der Fachdidaktik übergehen.
[...]
[1] Lyotard, 1986, p. 138
[2] Vgl. Wigger, 2004, p. 248
[3] Vgl. Peterßen, 1976, p. 97
[4] Vgl. dazu zum Bsp. Wigger, 2004 p. 244; Schröder, 1985, p. 62; Peterßen, 1976,
p. 96; Heursen, 1989, p. 307
[5] Vgl. Meyers Kleines Lexikon, 1988, p. 111
[6] Böhm, 2005, p. 155
[7] Meyers Kleines Lexikon, 1988, p. 111
[8] Vgl. Wigger, 2004, p. 249
[9] Vgl. Dolch, 1959
[10] Verkürztes, populäres Zitat aus der Verteidigungsrede von Sokrates (Apologie 21d); vgl. Platon, 1971, p. 13
[11] Vgl. Wigger, 2004, pp. 249-250
[12] Vgl. Vortrag von Leonard Nelson, 1922; auch zu finden bei Wagenschein, 1975,
pp. 113-115
[13] Wigger, 2004, p. 251
[14] Ebenda
[15] Aristoteles, Zweite Analytik I 1, 71a1
[16] Vgl. Peterßen, 1991, p. 662; Böhm, 2005, p. 155
[17] Vgl. Heursen 1989, p. 308
[18] Vgl. Heursen 1989, p. 308; Peterßen, 1991, p. 662
[19] Vgl. Böhm, 2005, p. 155
[20] Comenius, 1992, p. 1
[21] Vgl. Wigger, 2004, p. 253
[22] So gründet zum Bsp. Comenius sein Werk "Grosse Didaktik" in der Einleitung auf eine biblische Weltanschauung, die oftmals durch Verse aus der Bibel untermauert wird. Vgl. dazu die Einleitung in "Große Didaktik" von Comenius, 1992, pp. 9-18
[23] Vgl. Heursen, 1989, p. 308; Peterßen, 1991, p. 663; vgl. auch die Methode der TZI (siehe weiter unten)
[24] Vgl. Peterßen, 1976, p. 98
[25] Willmann zitiert nach Wigger, 2004, p. 259
[26] Vgl. Willmann, 1957, p. 419
[27] Wigger, 2004, p. 261
[28] Vgl. Ebenda, p. 261
[29] Titel des erstmals 1930 erschienen Werkes von Erich Weniger
[30] Vgl. Peterßen, 1991, p. 664
[31] Vgl. Jank/Meyer, 1991, pp. 131-132
[32] Kant, 1784 zitiert nach Zehbe (Hg.), 1967
[33] Vgl. Klafki, 1991, pp. 145-154
"Exemplarisches" bzw. "genetisches Lernen" (vgl. Wagenschein, 1976, pp. 226-232) oder auch das "sokratische Gespräch" (vgl. Nelson, 1931) sind ähnliche Begriffe, unter denen man eine Methode des Lehrens versteht, die den Schülerinnen und Schülern ein selbständig entdeckendes Lernen ermöglichen. Vgl. dazu auch einen Auszug aus der Tübinger Resolution von 1951: "Ursprüngliche Phänomene der geistigen Welt können am Beispiel eines einzelnen, vom Schüler wirklich erfassten Gegenstandes sichtbar werden, aber sie werden verdeckt durch eine Anhäufung von bloßem Stoff, der nicht eigentlich verstanden ist und darum bald wieder vergessen wird." zitiert nach Wagenschein, 1976, p. 227
[34] Vgl. Wagenschein, 1975, pp. 42-43
[35] Die Schülerinnen und Schüler in die bewusste Lage zu versetzen ist keineswegs eine leichte Aufgabe und erfordert Übung und Fingerspitzengefühl.
[36] Vgl. Klafki 1963, p. 43
[37] Klafki 1963, p. 43
[38] Ich habe das Wort 'Welt' deshalb unter Anführungszeichen gesetzt, da uns die Erkenntnistheorie lehrt, dass unsere Erkenntnisse über die Welt stets subjektiv sind. Vgl. dazu die Denkrichtung des radikalen Konstruktivismus vertreten durch zum Bsp. Glasersfeld oder von Foerster.
[39] Vgl. Jank/Meyer, 1991, p. 133
[40] Vgl. Klafki, 1964, pp. 15-22
[41] Vgl. Jank/Meyer, 1991, p. 166
[42] Vgl. Jank/Meyer, 1991, p. 166
[43] Ebenda, p. 167
[44] Zielentscheidungen betreffen nach Klafki vor allem Entscheidungen über das Thema des Unterrichts, über Unterrichtsmethoden und eingesetzte Medien, sowie Entscheidungen über die Bedeutung von sozialkulturellen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler.
[45] Vgl. Jank/Meyer, 1991, p. 168
[46] Vgl. Klafki, 1991, p. 266
[47] Vgl. die Normenkritik von Schulz, 1965, pp. 39-40; Peterßen, 1991, pp. 665-666
[48] Vgl. Peterßen, 1976, p. 100
[49] Vgl. Schulz, 1965, p. 23
[50] Heimann, 1965, p. 10
[51] Vgl. Wigger, 2004, p. 272; Böhm, 2005, p. 156
[52] Vgl. Schulz, 1969, p. 137
[53] Vgl. Schulz, 1981, pp. 35-36
Vgl. auch die Begriffe Klafkis "Selbstbestimmung", "Mitbestimmung", "Solidarität" (weiter oben) oder die Begriffe Klingbergs "Mitentscheidung", "Mitgestaltung" und "Mitverantwortung", Klingberg, 1990, pp. 45-48
[54] Vgl. Schulz, 1981, pp. 36-37
[55] Ebenda, pp. 37-38
[56] Ebenda, pp. 39-42
[57] Diese beiden Begriffe und die mit ihnen im Zusammenhang stehende Kritik an der unreflektierten Akzeptanz vorgegebener gesellschaftlicher Verhältnisse wurden aus der Frankfurter Schule, die von Max Horkheimer begründet wurde, rezipiert. Vgl. dazu das Werk von Horkheimer und Theodor Adorno, 1969.
[58] Schulz, 1981, p. 76
[59] Vgl. Cohn, 1975, pp. 110-215
[60] Ebenda, p. 209
[61] Vgl. Schulz, 1981, p. 77
[62] Vgl. Cohn, 1975, p. 209
[63] Aebli war Schüler von Jean Piaget, dessen Arbeiten und Erkenntnisse erheblichen Einfluss auf Aeblis Didaktik hatten.
[64] Siehe Abschnitt 1.1.2
[65] Die Waldorfpädagogik weist aufgrund ihrer Verflechtung mit der anthroposophischen Weltanschauung einen normativen Charakter auf.
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