Diplomarbeit, 2012
128 Seiten, Note: 2,3
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abstract
1. Einleitung
2. Methode
3. Geschichte
3.1. Ursprüngliches Verbreitungsgebiet
3.2. Systematik
3.3. Zucht
4. Ökologie
4.1. Körperliche Merkmale
4.2. Vergleich zu Biber und Bisam
4.3. Ernährung
4.4. Lebensweise
4.4.1. Habitat
4.4.2. Baue
4.4.3. Nester
4.4.4. Verhalten
5. Verbreitung
5.1. Ausbreitung der Nutria
5.2. Verbreitung in Deutschland
5.3. Internationale Verbreitung
6. Einfluss auf das Ökosystem
7. Wirtschaftliche Schäden
7.1. Schäden in Deutschland
7.2. Schäden auf internationaler Ebene
8. Management
8.1. Jagd
8.2. Weitere Kontrollmaßnahmen
8.3. Erfassungsmethoden
9. Krankheiten
10. Diskussion
10.1. Ausbreitungspotenzial
10.2. Arealmodellierung mit Maxent
10.3. Forschungsbedarf und Empfehlungen
11. Zusammenfassung
12. Literaturverzeichnis
13. Anhang
14. Danksagung
Abbildung 1: Verbreitung der Nutria in ihrem Ursprungsgebiet in Südamerika (aus Woods et al. 1992)
Abbildung 2: Verhältnis von Körpergewicht und Alter der Nutrias in verschiedenen Ländern. Dargestellt sind Zuchtformen in Frankreich, Großbritannien und USA, sowie die Wildform in Argentinien (aus Guichón et al. 2003).
Abbildung 3: Deutlich sichtbare orangerote Schmelzplatte auf den Incisivi einer adulten Nutria (aus Nentwig 2011)
Abbildung 4: Zeichnung der Körpergestalt von Biber, Bisam und Nutria im Größenvergleich (aus DVWK 1997)
Abbildung 5: Trittsiegel (links) und Spuren beim Gehen (rechts) von Bisam, Biber und Nutria im Vergleich (aus DVWK 1997)
Abbildung 6: Nischenbesetzung der pflanzenfressenden deutschen semiaquatischen Nagetiere (KRL: Kopf-Rumpf-Länge in mm; KRL-V: Kopf-Rumpf-Längen-Verhältnis zwischen zwei benachbarten Arten; aus DVWK 1997)
Abbildung 7: Jahreszeitliche Variationen der Nahrungsspektren bei Nutrias in Norditalien, bestehend aus aquatischen und terrestrischen Pflanzen (%RF= relative Häufigkeit in Prozent; aus Prigioni et al. 2005)
Abbildung 8: Typische Nagetierhaltung beim Fressen, wobei das Gewicht auf die Hinterbeine verlagert wird, um sitzend mit den Vorderpfoten die Nahrung aufzunehmen (von www.naturgucker.de).
Abbildung 9: Häufigkeit der Entfernung zum Gewässer, die Nutrias bei der Nahrungssuche zurücklegen (aus D'Adamo et al. 2000)
Abbildung 10: Über dem Wasserspiegel liegender Eingang zu einem typischen Nutriabau bei Trebur-Geinsheim, Hessen (von www.naturgucker.de)
Abbildung 11: Typische Nutria-Sasse an der Jeetzel (aus DVWK 1997)
Abbildung 12: Nutria auf einer typischen Burg im Allertal, Sachsen-Anhalt (von www.naturgucker.de)
Abbildung 13: Handstandmarkierung der Nutriaböcke (aus Stubbe 1982)
Abbildung 14: Durchschnittlich täglich zurückgelegte Distanzen der Nutria zu unterschiedlichen Jahreszeiten in Louisiana, USA (aus Nolfo-Clements 2009)
Abbildung 15: Gruppe von Nutrias in einem Park bei Mörfelden, Hessen (von www.naturgucker.de)
Abbildung 16: Bettelnde Nutria bei Mörfelden, Hessen (von www.naturgucker.de)
Abbildung 17: Fundpunkte der Nutria in Deutschland ab etwa 1935. Die roten Pfeile deuten eine Einwanderung aus dem Elsass an (eigene Abbildung; Bettag 1988; Stubbe 1992; Pelz et al. 1997; Elliger 1997; DVWK 1997; Heidecke et al. 2001; Kinzelbach 2001; Dolch & Teubner 2001; Zahner 2004; Klein 2007; Biela 2008; Stubbe et al. 2009; Johanshon 2011; Bertolino 2011 in Nentwig 2011; Arnold 2011; Walther et al. 2011).
Abbildung 18: Jagdstrecke der Nutria für Deutschland im Zeitraum 2001 bis 2011 (eigene Abbildung; Zuständige Fachbehörden der Bundesländer 2011; s. Anhang)
Abbildung 19: Jagdstrecken der Nutria in den einzelnen Bundesländern im Zeitraum 2000 bis 2011 (eigene Abbildung; Zuständige Fachbehörden der Bundesländer 2011; s. Anhang)
Abbildung 20: Verbreitung der Nutria in Deutschland zwischen 1974 und 1984 (links), sowie 1989 und 1996 (rechts). Kreise stellen Fundpunkte der Nutrias dar (aus DVWK 1997).
Abbildung 21: Verbreitung der Nutria in Deutschland 2006 (grün), kein Vorkommen (grau) und keine Daten (weiß) (aus Bartel et al. 2007)
Abbildung 22: Verbreitung der Nutria in Deutschland (ausgefüllte Kreise aus Heidecke et al. 2001), ergänzt durch Angaben im Wildtier-Informationssystem des DJV (offene Kreise aus Heidecke 2009)
Abbildung 23: Nutriapopulation in der Ukraine. Angegeben sind die Jagdstrecken von 1999 bis 2005 (von www.biomon.org).
Abbildung 24: Verbreitung der Nutria in Italien (aus Cocchi & Riga 1999 in Panzacchi et al. 2006)
Abbildung 25: Verbreitung der Nutria in Europa. Grau-Blaue Kreise kennzeichnen Orte der Ausrottung (aus Nentwig 2011).
Abbildung 26: Ertrag eines Jagdtages in Louisiana, USA (aus Nentwig 2011)
Abbildung 27: Kahlfraß durch die Nutria in Louisiana mit eingezäuntem unangetasteten Bereich (aus LOUISIANA DEPARTMENT OF WILDLIFE AND FISHERIES 2007)
Abbildung 28: Fraßstellen der Nutria in Rüben- und Maisfeldern (aus DVWK 1997)
Abbildung 29: Schälung eines Baumes verursacht durch eine Nutria (aus DVWK 1997)
Abbildung 30: Uferabbruch durch Grabungsaktivitäten der Nutria (aus SHEFFELS & SYTSMA 2007)
Abbildung 31: In Nutriabau eingebrochener Traktor (aus DVWK 1997)
Abbildung 32: Direkter Kontakt zum Menschen durch zahme Nutrias kann eine mögliche Krankheitsübertragung begünstigen (aus SHEFFELS & SYTSMA 2007).
Abbildung 33: Effizienz von Management Bemühungen (€/km2/Jahr) zur Reduzierung von Schäden (€/km2/Jahr) verursacht durch Nutrias in Norditalien von 1995-2000 (aus PANZACCHI ET AL. 2007)
Abbildung 34: Trend von Nutriaschäden von 1997-2005 in den Gebieten Novara (schwarze Kästchen), Vercelli (schwarze Dreiecke) und Alessandria (offene Kreise) in Norditalien (aus BERTOLINO & VITERBI 2010)
Abbildung 35: Anzahl adulter Nutrias in Großbritannien, die zwischen 1970 und 1990 gefangen wurden. Schwarze Pfeile kennzeichnen besonders kalte Winter (aus BAKER 2006).
Abbildung 36: Am Schwanz einer Nutria befestigter umfunktionierter Halsbandsender (aus MERINO ET AL. 2007)
Abbildung 37: Mit Ködern versehene Multiple-Capture-Trap in der zwei Nutrias gefangen sind (aus WITMER ET AL. 2007)
Abbildung 38: Zutrauliche Nutrias in direktem Kontakt zum Menschen in einem Park bei Mörfelden, Hessen (von WWW.NATURGUCKER.DE)
Abbildung 39: Fütterung von Nutrias meist mit Küchenabfällen in urbanen Räumen (aus NENTWIG 2011)
Abbildung 40: Maxent-Modell zur potenziellen Verbreitung der Nutria bei derzeitigem Klima. Warme Farben zeigen eine hohe Ähnlichkeit zwischen der „idealisierten Nische“ und dem Klima an einem jeweiligen Ort an (eigene Abbildung; http://data.gebif.org; www.naturgucker.de; Mitchell-Jones et al. 1999; Özkan 1999; Murariu & Chişamera 2004; Carter 2007; Egusa & Sakata 2009; Gherardi et al. 2011).
Abbildung 41: Maxent-Modell zur potenziellen Verbreitung der Nutria bei Klima, wie es im Jahre 2050 vorherrschen könnte (HADCM3-Modell, A2). Warme Farben zeigen eine hohe Ähnlichkeit zwischen der „idealisierten Nische“ und dem Klima an einem jeweiligen Ort an (eigene Abbildung; HTTP://DATA.GEBIF.ORG; WWW.NATURGUCKER.DE; Mitchell-Jones et al. 1999; Özkan 1999; Murariu & Chişamera 2004; Carter 2007; Egusa & Sakata 2009; Gherardi et al. 2011).
Tabelle 1: Ein typisches Nahrungsspektrum der Nutria in Deutschland (aus Stubbe & Böhning 2009)
Tabelle 2: Übersicht der Länder, in die die Nutria eingeführt wurde, mit Datum und Ursache für frei lebende Populationen (verändert aus Carter & Leonard 2002)
Tabelle 3: Liste von Invertebraten, die aus dem Fell von 10 wild lebenden Nutrias gewaschen wurden (aus Waterkeyn et al. 2010)
Tabelle 4: Mögliche Auswirkungen der Nutria auf Vegetation, Tiere und abiotische Standortfaktoren in Deutschland und deren Ursachen (verändert aus Biela 2008).
Coypu (Myocastor coypus), a semi-aquatic rodent native to southern South America, has become invasive since the last century in many countries all over the world, such as the USA, Germany, France and Japan. Due to fur farming, including uncontrolled escapes and deliberate releases, coypus were able to establish stable populations, especially in European countries. Over the last decades coypus have been able to spread more and more in many countries. In most of these regions coypus have caused serious damages to the ecosystem as well as agriculture and infrastructure. For that reason some countries have developed special coypu management strategies or eradication plans to control the animals.
The aim of this study was to give an overview of the main international literature to the actual situation of coypus in Europe, especially in Germany. Therefore, the ecology of the species was described exactly to understand the successful spread. Furthermore, the distribution in Germany, Europe and some other countries is shown. The particular damage to ecosystems and agriculture as well as infrastructure are interpreted. For possible solutions, different control mechanisms are being introduced and discussed, as well as suitable recording methods. Finally, a climate niche model was created to predict the future distribution of coypus in different countries, including climate change, which shows a wider spread of coypus in the future for many countries.
Neobiota richten weltweit seit Jahrhunderten verheerende Umweltschäden an. Durch die zunehmende Globalisierung mit Handel, Reisen und Tourismus speziell seit den letzten 60 Jahren, nimmt die Zahl der nicht-heimischen Arten extrem zu. Gleichzeitig nimmt auch die Wahrscheinlichkeit zu, dass sich diese Arten auf Kosten der heimischen Flora und Fauna ausbreiten. Vor allem nach Europa wurden zahlreiche Neobiota von Forschern und Wissenschaftlern gebracht, von denen nicht wenige in ihrer neuen Heimat invasiv wurden.
Die Ursache der meist absichtlichen Einführung von nicht-heimischen Arten in der Vergangenheit lag häufig an einem nicht vorhandenen Unrechtsbewusstsein. Vielmehr herrschte die Auffassung, dass es zu einer „Bereicherung“ der Natur durch die neuen Arten kommen werde, da es oft große und auffällige Tiere waren, die ausgesetzt wurden. Auch die meisten Jäger und Fischer, sowie das fellverarbeitende Gewerbe standen dem Gedanken an die Neubürger offen gegenüber.
Knöterichkontrolle in England, Ambrosiabekämpfung in Ungarn, Bisammanagement in Deutschland, Impfung von Nutztieren, Parasiten in der Landwirtschaft, holzfressende Parasiten in der Waldwirtschaft, Schäden an menschlichen Infrastrukturen, Schädigungen der menschlichen Gesundheit, hervorgerufen speziell durch Allergien – die Schäden, durch invasive Arten verursacht, nehmen in Europa stetig zu. Die EU geht für ihr Gebiet von jährlich 12 Mrd. € für Bekämpfungsmaßnahmen aus (Bertolino 2011 in Nentwig 2011; Bertolino et al. 2012). Die IUCN schätzt die Kosten weltweit sogar auf über 400 Mrd. US $ jährlich (Atkinson 2005).
Das Auftreten eines Neozoon in einem Biotop bedeutet nicht unbedingt eine Bereicherung der Artenvielfalt, da sich die neue Art häufig negativ auf die heimischen Arten auswirkt und somit eine Verarmung vonstattengeht. Zum Beispiel besitzen viele neue Arten oft Krankheiten und Krankheitserreger, welche für sie an sich selbst nicht schädlich sind, jedoch für die benachbarten Arten in ihrem neuen Verbreitungsgebiet. Namhafte Beispiele hierfür sind der Kamberkrebs aus Nordamerika, der eine Pilzerkrankung mitbrachte, die nach und nach die Europäischen Flusskrebse befällt und dezimiert, das Grauhörnchen, ebenfalls eingewandert aus Nordamerika, welches einen tödlichen Pockenvirus speziell in England auf das Eichhörnchen überträgt oder aber der Japanische Aal, der einen parasitischen Fadenwurm in Europa einführte, welcher den Tod Europäischer Aale verursacht (Nentwig et al. 2001).
Vielfach wird invasiven Arten generell unterstellt, dass sie zur Homogenisierung von Faunenregionen beitragen und somit die Verarmung der Biodiversität vorantreiben (Kinzelbach 1995). Auch ist nicht immer direkt klar, ob die neue Art in ihrem neuen Habitat existieren kann. Dies hängt von der potenziellen Existenzmöglichkeit ab. Besitzt die neue Art eine hohe Konkurrenzstärke, kann sie andere Arten verdrängen oder beeinträchtigen. Dabei steigt die Wahrscheinlichkeit, sich in einem bestehenden Ökosystem zu etablieren, mit der Größe der fundamentalen Nische eines Organismus und der dadurch abgedeckten vorhandenen Bedingungen an. Besonders förderlich ist es ebenso, wenn die Tiere mit einer großen Variabilität der Umweltparameter leben können und auf diese aktiv reagieren können (Meyer 2001).
Ein weiteres Tier, das in die Beschreibungen hineinpasst, ist die Nutria. Sie ist ein Nagetier, und gehört somit zu der Ordnung von Säugetieren, zu der über 40% aller Säugetiere zählen (Schüring 2010). Sie lebt im Wasser und an Land. Ursprünglich stammt sie aus Südamerika, von wo sie in den 1920er Jahren nach Deutschland eingeführt und als Pelztier auf Farmen gehalten wurde. Brainich (2008) geht davon aus, dass bereits im 18. Jahrhundert Tiere nach Deutschland in die freie Wildbahn gebracht wurden, um sie zu jagen. Entwichene Tiere aus den späteren Farmen gründeten schließlich überlebensfähige wilde Populationen in Deutschland (Elliger 1997; Bertolino et al. 2012). Interessanterweise stammen die meisten ökologischen Informationen, Studien und Untersuchungen über die Nutria aus Nordamerika und Europa und nicht wie zu erwarten wäre aus ihrem Ursprungsgebiet in Südamerika (Palomares et al. 1994).
Von Menschen geschaffene Bauwerke dienen häufig als Lebensräume für solche semiaquatischen Organismen (z.B. Deiche und Dämme). Diese können durch Grabaktivitäten stark in Mitleidenschaft gezogen werden. Nicht nur Biber, Bisam und Nutria sind dafür verantwortlich, sondern auch Maulwurf, Feldmaus, Schermaus, Wanderratte, Wildkaninchen, Fuchs und Dachs (Elliger 1997). Nutria und speziell Bisam haben sich in Deutschland immer weiter an Fließgewässern und Gräben verbreitet. Die Folgen durch den Nutriabesatz können sein:
- Uferabbrüche und -einbrüche, welche zu Beeinträchtigung der Bewirtschaftung oder Nutzung von Straßen führen können;
- Böschungsrutschungen, wo vor allem bei Deichen und Dämmen schwere Schäden auftreten;
- Unterspülungen, welche die Fließfunktion des Gewässers nachteilig vermindern, was wiederum die Standfestigkeit von Deichen und Dämmen beeinträchtigt;
- Schäden an der Landwirtschaft, die speziell auf Feldern durch die Nahrungsaufnahme der Nutrias entstehen und zu Verwüstungen führen können (DVWK 1997; Bertolino et al. 2012).
Dies sind nur einige Auswirkungen der Nutrias auf ihre Umwelt, die im weiteren Verlauf näher erläutert werden.
Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich mit der Nutria als solche und soll diese genau vorstellen und beschreiben. Dafür wird der Ursprung der Art erläutert und ihre systematische Einordnung beschrieben. Des Weiteren wird die Ökologie der Art sehr genau untersucht und Vergleiche mit Biber und Bisam werden erstellt. Die ausführliche Beschreibung des Verhaltens der Nutria soll ebenfalls zum Verständnis der Art beitragen. Es soll weiter den Fragen nachgegangen werden, wie sich die Nutria außerhalb ihres Ursprungsgebietes in anderen Ländern, speziell in Deutschland etablieren konnte. Wie ist die Nutria heute in Deutschland, in Europa und weltweit verbreitet? Wie beeinflusst die Nutria ihre natürliche Umwelt? Gibt es nennenswerte wirtschaftliche Schäden, welche die Nutria verursacht? Wie kann man die Bestände der Nutria kontrollieren und erfassen? Letztlich erscheint auch die Frage wichtig, ob sich die Nutria in Zukunft weiter ausbreiten wird. Den einzelnen Fragen wird – nach Möglichkeit - auch auf internationaler Ebene nachgegangen.
Um die Art der Nutria genau zu beschreiben und den einzelnen Fragen nachzugehen, wurde eine umfassende systematische Literaturrecherche durchgeführt. Hierfür wurde zunächst in der Universitätsbibliothek Trier nach Literatur zu Myocastor coypus und invasiven Arten gesucht. Über die digitalen Medien der Bibliothek wurde eine umfassende Suche nach zugänglicher Fachliteratur gestartet und dabei u.a. die Suchbegriffe „Myocastor coypus“, „Nutria“, „Coypu“, „Rodentia“, „Sumpfbiber“, sowie gezielte Artikelsuchen genutzt. Daraus resultierende zugängliche Medien konnten über die „Elektronischen Zeitschriften“ der Universität kostenlos erworben werden. Unzugängliche Daten wurden über die Fernleihe der Bibliothek bestellt. Als nächstes konnte ebenfalls über die Universitätsbibliothek auf die Online-Zitationsdatenbank „Web of Science“ zugegriffen werden, um weiter nach Literatur suchen zu können. Diese konnte in den meisten Fällen durch vorhandene Lizenzen der Universität ebenfalls erworben werden. Zusätzlich wurde über weitere Online-Plattformen wie „sciencedirect“ und „googlescholar“ nach Literatur gesucht. Schließlich wurde in den jeweiligen Literaturverzeichnissen der erworbenen Studien nach Primärliteratur gesucht und diese dann ebenfalls über die Universität erworben.
Die Literatur wurde einzeln durchgearbeitet und speziell nach den oben erwähnten Fragestellungen analysiert. Vielfach wurden Abbildungen und Bilder aus der Originalstudie übernommen und manchmal wurden Tabellen abgeändert übernommen. Weiter wurden aus bereitgestellten Daten von Nutriajagdstrecken eigene Abbildungen mit Hilfe von Excel erstellt, welche die Entwicklung der Strecken dokumentieren sollten und sich in den Kontext der Verbreitung einfügen sollten. Um die Ausbreitung der Nutria in Deutschland darzustellen, wurde eine eigene Karte erstellt. Hierfür sind in Google Earth die Fundpunkte eingetragen worden und nach dem anschließenden Datenexport aus Google wurden mit einem Grafikprogramm Pfeile und eine Legende in die Grafik eingefügt. Schließlich wurden die einzelnen Quellen miteinander verglichen, um Übereinstimmungen, Unterschiede und Trends zu erkennen.
Für die Arealmodellierung wurde die Software Maxent benutzt. Mit ihr lassen sich Vorhersagen zur potenziellen Verbreitung von Arten tätigen. Diese sind korrelativ und basieren auf ökologischen (in der Regel klimatischen) Daten an realen Fundpunkten der zu untersuchenden Art. Hieraus wird mittels eines Algorithmus nach dem Prinzip der maximalen Entropie eine „idealisierte Nische“ für die Zielart ermittelt, die dann wiederum mit dem Klima eines größeren Raumes verglichen wird. Je höher die Ähnlichkeit mit der idealisierten Nische, umso höher die Wahrscheinlichkeit des potenziellen Vorkommens der Zielart (Franklin 2010).
Maxent wurde eingesetzt, um die potenzielle Verbreitung der Nutria für die ganze Welt unter dem derzeit herrschenden Klima und einem zukünftigen Szenario zu ermitteln. Als Klimadaten wurden Worldclim-Daten (Hijmans et al. 2005) für den Zeitraum 1950-2000, Auflösung 2,5 Minuten, verwendet (www.worldclim.org). Hieraus wurden „bioklimatische“ Variablen abgeleitet (Nix 1986). Sie eignen sich für Arealmodellierungen besonders gut, da sie regionale Variationen (speziell zwischen verschiedenen Breitengraden) berücksichtigen. Insgesamt sind nach Hijmans et al. (2001) 19 bioklimatische Variablen verfügbar. Aus diesen wurde mittels Maxent durch ein Jackknifing-Verfahren (Phillips et al. 2006) fünf ausgewählt, die die Verbreitung der Nutria besonders gut erklären (annual mean temperature (Bio1), isothermality (Bio2/Bio7 x 100) (Bio3), temperature seasonality (standard deviation of monthly mean temperature x 100) (Bio4), minimum temperature of the coldest month (Bio6), mean temperature of the coldest quarter (Bio11)). Diese wurden für die Modellberechnung verwendet.
Für die mögliche zukünftige Entwicklung der Nutriaverbreitung wurde ein bioklimatischer Datensatz für das Jahr 2050 genutzt, der auf dem HADCM3-Modell basiert. Gewählt wurde das A2-Szenario des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC 2007) (http://www.grida.no/climate/). Dieses Szenario, beziehungsweise diese Szenarienfamilie, beschreibt eine eher heterogene Welt. Die Bevölkerung nimmt bei diesen Szenarien stetig zu und die wirtschaftliche Entwicklung erfolgt lediglich auf regionalem Niveau. Das Pro-Kopf-Einkommen und der technologische Fortschritt sind nur marginal ausgeprägt und entwickeln sich im Vergleich zu den anderen Szenarien nur sehr langsam. Es handelt sich also um sehr pessimistische Szenarien in der A2-Familie (http://www.ccafs-climate.org).
Die für die Modellgenerierung wichtigen Fundpunkte (x/y-Koordinaten; vgl. Franklin 2010) der Nutria, entstammten zu großen Teilen dem Online-Netzwerk „Global Biodiversity Information Facility“ (GBIF: http://data.gbif.org), der Internetplattform „Naturgucker“ (http://www.naturgucker.de), sowie der Literatur (Mitchell-Jones et al. 1999; Özkan 1999; Murariu & Chişamera 2004; Carter 2007; Egusa & Sakata 2009; Gherardi et al. 2011)
Im folgenden Kapitel wird zunächst dargestellt, wo die Nutria ursprünglich verbreitet war und welche systematischen Unterarten zu unterscheiden sind. Ebenso wird auf die Namensfindung der Art eingegangen und die Geschichte der Nutriazucht beschrieben.
Die Nutria stammt aus dem außertropischen Teil Südamerikas, also aus der gemäßigten Region in der südlicheren Hälfte. Man findet sie meist südlich des Wendekreises. Das Ausbreitungsgebiet erstreckt sich vom Süden Brasiliens, über Paraguay, Uruguay, Bolivien und Chile, zu beiden Seiten der Kordilleren, durch ganz Patagonien in Argentinien bis nach Feuerland (vgl. Abb. 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Verbreitung der Nutria in ihrem Ursprungsgebiet in Südamerika (aus Woods et al. 1992)
In Südamerika wurden fünf geographische Unterarten unterschieden, die sich auf verschiedene Bezirke zwischen dem 15. und 50. Grad südlicher Breite verteilen. Innerhalb dieser Unterarten treten auch Standortvarietäten auf, die verschiedene Fellfarben und Eigenschaften aufweisen (Klapperstück 2004). In diesem ursprünglichen Gebiet wurde die Nutria am Anfang des 20. Jahrhunderts so stark bejagt, dass sie schließlich so selten wurde, dass sich die Jagd nicht mehr lohnte. Im Jahr 1900 wurden noch 10 Mio. Tiere in Südamerika erlegt, während es 1930 nur noch 200.000 waren (Kinzelbach 2001). Daraufhin wurde die Jagd in den meisten Gebieten verboten und 1950 auch in Argentinien. Inzwischen wurden großflächige Schutzzonen eingerichtet (Bettag 1988).
Die Nutria (Myocastor coypus) gehört in die Ordnung Rodentia und zur Familie der Myocastoridae (Biberratten) deren einziger Vertreter sie ist. Der wissenschaftliche Name Myocastor coypus ist auf den chilenischen geistlichen Ignaz Molina zurückzuführen, der der Nutria den chilenischen Namen „Coypu“ gab. Er ordnete sie in die Gattung Mus ein, so dass zunächst die Bezeichnung Mus coypus entstand (Gmelin 1788 in Klapperstück 2004). Der heutige Gattungsname Myocastor wurde erst durch Kerr (1792) nachträglich festgelegt, welcher aus dem griechischem kommt und mit „Mausbiber“ übersetzt werden kann.
Die Erstbeschreibung durch Molina wies erhebliche Lücken auf. Aus seiner wissenschaftlichen Bezeichnung geht hervor, dass die Nutria eine Wassermaus von der Größe eines Fischotters sei. Auch gab er an, dass sich in jeder Backenhälfte zwei statt heute bekannt vier Zähne befinden. Daraus ergab sich durch Geoffroy (1805) der falsche Gattungsname Hydromys (Schwimmratte), zu dem noch zwei weitere Arten gefasst wurden (Klapperstück 2004).
Der spanische Offizier Felix D’Azara (1783-97) beschrieb die Nutria als „Quouyia“, welches die guaranische Bezeichnung ist. Diese Sprache wird in Teilen Brasiliens, Boliviens, Paraguays und Argentiniens gesprochen. Der heutige geläufige Name „Nutria“ stammt aus der Gegend um Buenos Aires. Übersetzt bedeutet dies jedoch „Fischotter“ oder „Otterpelz“. Diese falsche Bezeichnung entstand vermutlich dadurch, dass nicht einheimische Spanier das Fell der Nutrias in die Hände bekamen und aufgrund der Ähnlichkeit dachten, es sei von einem Fischotter. Von der Nutria an sich hatten sie keine Ahnung. Der Naturforscher Commerson hatte bereits lange vor Molina und D‘Azara eine unvollendete Skizze der Nutria angefertigt. Allerdings kam er nie dazu die Beschreibung zu veröffentlichen, da er zuvor verstarb. Erst nach der Erstveröffentlichung von Molina fand man die Manuskripte von Commerson, welcher der Nutria den Gattungsnamen Myopotamus gab (DVWK 1997; Bertolino et al. 2012).
Es folgten weiter Namensgebungen wie Mus castoroides, Potamys coypu, Mastonotus popelairi und Guillinomys chilensis. Im deutschen Sprachgebrauch kamen auch „Biberratte“, „Schweifbiber“ und „Sumpfbiber“ zu tragen, wobei sich „Sumpfbiber“ sicherlich am längsten etablieren konnte. Jedoch sind auch diese Namen irreführend, weil es sich bei Myocastor coypus weder um eine Ratte, noch um einen Biber handelt. Erst im Jahr 1904 konnte Weber den heutigen wissenschaftlichen Namen Myocastor coypus endgültig etablieren. Die heutige systematische Einordnung in die Familie der Myocastoridae innerhalb der Teilordnung Caviomorpha erfolgte schließlich erst 2005 durch Wilson & Reeder (Klapperstück 2004; Männchen 2009).
Von der Nutria existieren mehrere Subspezies: In Argentinien Myocastor coypus bonariensis, in Chile Myocastor coypus coypus, in Südchile Myocastor coypus melanops, in Bolivien Myocastor coypus popelairi und in Patagonien Myocastor coypus santacruzae. Bisher sind keine eindeutig identifizierten Unterarten aus europäischen Populationen bekannt, da die Herkunft vieler verwilderter Farmtiere unbekannt ist und es zu unkontrollierbaren Vermischungen kam (Stubbe et al. 2009; Bertolino et al. 2012).
Mitte des 19. Jahrhunderts war der Bestand der Nutrias zwischen dem 31. und 34. Breitengrad so stark vermindert, dass die Fellpreise enorm in die Höhe schossen. Anfang des 20. Jahrhunderts war die Nachfrage nach Nutriafellen in Südamerika jedoch so groß geworden, dass man sie nun farmmäßig hielt. Nach anfänglichen Misserfolgen in den 1920er Jahren, kam es ab 1932 zu einem sprunghaften Anstieg der Nutriafarmen von anfänglich 100 Unternehmen auf 1.000 und zu einer professionellen Produktion. In den 1960er Jahren wurde die Jahresproduktion in Argentinien auf 700.000 Felle geschätzt. Es etablierten sich zwei Zuchtmethoden: die Freilandzucht in meist offenen Lagunen und die Gehegezucht mit kleineren Gruppen (Klapperstück 2004).
Durch die erfolgreiche Zucht in Argentinien, wurden von dort Länder wie Deutschland, die Schweiz, Frankreich, USA, Kanada, Russland, Polen, Ungarn und einige skandinavische Staaten mit Nutrias zur Zucht beliefert (Elliger 1997). Zwischen 1880 und 1890 entstanden in Mitteleuropa in Frankreich die ersten Farmen, während in Deutschland 1926 die erste Zuchtanlage gegründet wurde (Bettag 1988). Die Zucht in Deutschland verlief ähnlich erfolgreich wie in Argentinien, da sie als sehr einfach für dieses Tier galt und so sehr viele Anhänger fand. 1934 etablierte sich in Deutschland ein fester Züchterbestand, der einen Jahresdurchschnitt von 100.000 Fellen zu verzeichnen hatte. Zum Aufbau der Zucht in Deutschland dienten zunächst Tiere aus Argentinien und Frankreich. Ab den 1950er Jahren fanden dann schließlich keine Auslandsimporte mehr statt und es stellte sich ein Grundstock heraus. Ein kompletter Nutriapelzmantel lag Mitte des vorigen Jahrhunderts zwischen 5000 und 8000 DM, was einem reinen Luxusartikel entsprach, den sich nur die wenigsten Menschen leisten konnten. Vielmehr wurde Nutriafell für kleinere Artikel wie Muff, Mantelkragen und Futter benutzt. Bis ins derzeitige 21. Jahrhundert hinein produziert Argentinien weiterhin jährlich rund 500.000 Nutriafelle (Elliger 1997; Männchen 2009). Nutriafleisch wurde früher während der Zucht in Deutschland häufig verzehrt. Es gilt als schmackhaft, bekömmlich und cholesterinarm. In der DDR betrug das Fleischaufkommen vor der Wiedervereinigung etwa 300 t pro Jahr.
Da Nutrias einige Jahrzehnte professionell in Deutschland gezüchtet wurden, zeigen sie heute erste Domestikationsmerkmale, wie z.B. Fellfarbvariationen. Trotzdem kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich um einen abgeschlossenen Domestikationsprozess handelt, da die Zeit dafür bisher einfach zu kurz war (Kinzelbach, 2001). Bei der Zucht wurde besonders auf Merkmale wie die Größe des Tieres, die Dichte des Fells, die Anspruchslosigkeit der Fütterung, sowie die Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten geachtet. Die Ergebnisse dieser Zuchtmethoden wurden in einer Studie belegt, welche die unterschiedlichen Verhältnisse zwischen Körpergewicht und Alter in den einzelnen Ländern untersuchte (vgl. Abb. 2).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Verhältnis von Körpergewicht und Alter der Nutrias in verschiedenen Ländern. Dargestellt sind Zuchtformen in Frankreich, Großbritannien und USA, sowie die Wildform in Argentinien (aus Guichón et al. 2003).
Hier ist das Verhältnis von Körpergewicht und Alter der Nutrias in verschiedenen Ländern dargestellt. Demnach nahmen die Tiere in den USA, Großbritannien und Frankreich schneller an Gewicht zu, erreichten auch ein höheres Gesamtgewicht und waren somit früher geschlechtsreif, als die Tiere im Ursprungsverbreitungsgebiet (Guichón et al. 2003; Bertolino et al. 2012).
Da die meisten freilebenden Tiere in Deutschland aus Züchtungen stammen, kommt schnell die Frage auf, wie genetisch ähnlich sich die Tiere eigentlich sind. Dazu gibt es in Deutschland bislang noch keine Untersuchungen. In Maryland USA, kamen Untersuchungen an freilebenden Tieren zu hohen genetischen Ähnlichkeiten wobei als Ursache der Gründer-Effekt genannt wurde, da nur wenige Tiere in freie Wildbahn gelangten, um Kolonien zu gründen. Dieser genetischen Armut wurde – sowohl in Maryland, als auch in Deutschland - durch Aussetzen und Flucht aus Fellfarmen jedoch entgegengewirkt (Biela 2008).
Im folgenden Kapitel wird die Nutria als solche genau vorgestellt. Um das Wesen und Verhalten des Tieres zu verstehen, wird auf unterschiedlichste Aspekte ihrer Ökologie eingegangen. Neben körperlichen Merkmalen und Ernährung wird besonders auf ihr spezielles Verhalten eingegangen. Da es häufig zu Verwechslungen zwischen Nutria, Biber und Bisam kommt, wird auch diese Problematik hier kurz angesprochen und Ähnlichkeiten und Unterschiede dieser Arten herausgestellt. Dies alles soll zum besseren Verständnis der Nutria als Neozoon in Deutschland und anderen Ländern beitragen.
Durch den früheren Namen „Biberratte“ gingen die Menschen oft sehr voreingenommen an das Tier heran. Tatsächlich erinnert der rattenähnliche, drehrunde, nackte Schwanz an eine Ratte. Hinzu kommt noch der watschelnde und plump wirkende Gang der Nutrias auf ihren kurzen Beinen. Diese Plumpheit an Land machen sie mit gekonnten Schwimmbewegungen im Wasser wett, die an einen Fischotter erinnern. Bei Gefahr können Nutrias aber auch an Land über kurze Strecken sowohl gut laufen, als auch springen (Bertolino 2011 in Nentwig 2011). Die Fellfarbe ist sehr variabel und schwankt zwischen dunkelbraun, fahlem gelb, über silbergrau bis hin zu weiß. Das Kinn ist mit weißen Haaren bedeckt.
Der typische Nagetierschädel der Nutrias beinhaltet zwei Paar große Incisivi, welche sehr scharf sind. Die Vorderseite der Incisici hat eine dicke orangerote Schmelzplatte aufsitzen, während die Innenseite nur eine schwache gelbweißliche Schmelzlage besitzt. Diese äußere Platte verzögert die Abnutzung und verleiht zusätzlich Härte (vgl. Abb. 3).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Deutlich sichtbare orangerote Schmelzplatte auf den Incisivi einer adulten Nutria (aus Nentwig 2011)
Durch den ausgeprägten Spalt in der Oberlippe kann man die Zähne selbst bei geschlossenem Maul sehen (Kinzelbach 2001). Somit kann man neben der Größe auch anhand der Färbung der Incisivi erkennen, ob es sich um ein juveniles oder adultes Tier handelt. Bei Jungtieren sind die Schneidezähne nämlich noch nicht orange gefärbt, sondern hellgelb bis gelb (Willner 1982 in Biela 2008). Die Incisivi werden nicht gewechselt und wachsen bei fortwährender Abnutzung ständig nach. Die oberen Beiden greifen über die Unteren hinweg. Mit diesen kann die Nutria beispielsweise sehr gut Rinde von jungen Zweigen schälen, wenn nicht ausreichend andere Nahrung vorhanden ist (Kinzelbach 2001).
Im Gegensatz zum Biber (Castor fiber) nehmen die Ausmaße der Backenzähne bei der Nutria vom ersten bis zum letzten Zahn zu.
Die durchschnittliche Gesamtrumpflänge der Nutria liegt zwischen 40 und 60 cm, während der Schwanz 30 bis 45 cm lang ist. Diese Werte gelten hauptsächlich für Böcke, wobei die Metzen (Weibchen) etwas kleiner sind. Bei ausgewachsenen Tieren liegt das Gesamtgewicht durchschnittlich zwischen 2 und 4 kg, in Gefangenschaft kann es auch bei 10 kg liegen. Pelztiere wiegen meist nur zwischen 6 und 8 kg, weil bei diesem Gewicht die größten Felle produziert werden (Elliger 1997). Diesen Angaben widersprechen Untersuchungen aus Ostdeutschland, bei denen alle der 77 gemessenen und gewogenen Metzen größer waren und einen fast 2 cm längeren Schwanz hatten als die Böcke (Heidecke et al. 2001).
Die Nutria weist ein paar charakteristische Nagetiermerkmale auf, die speziell Schwimmanpassungen und funktionelle Anpassungen beinhalten: Verlängerung der Mittelfußknochen als Schwimmanpassung; Verkürzung der Oberarme und Oberschenkel, sowie kräftig entwickelte Ellenbogenfortsätze, Reduktion des Daumens, großflächige Schulterblätter und gut ausgebildete Schlüsselbeine als besondere Grabanpassungen. Es befinden sich Schwimmhäute an den hinteren Zehen, jedoch nicht zwischen dem 4. und 5. Zeh. Der Schwanz dient lediglich als Steuerorgan und zum Auf- und Absteigen beim Schwimmen, aber nicht als Antrieb. Die Zitzen der Metzen liegen nicht wie normalerweise bei Säugetieren am Bauch, sondern beiderseits des Rückgrats, so dass die Jungen auch im Wasser gesäugt werden können. Bei anderen Nagetieren gibt es ebenfalls abweichende Zitzenanordnungen. Beim Meerschweinchen befinden sich diese zum Beispiel am Oberschenkel, beim Stachelschwein oberhalb der Achseln und beim Viscacha sind sie ähnlich der Nutria angeordnet (DVWK 1997).
Die Nutria besitzt ein Jacobson-Organ, womit sie in der Lage ist, bestimmte Stoffe wie Pheromone wahrzunehmen. Dieses Verhalten zur olfaktorischen Wahrnehmung wird generell als „Flehmen“ bezeichnet und tritt ebenso bei Gämsen, Moschusochsen, Kamelen, Pferden und Katzen auf. Eine weitere Besonderheit ist das Nagen, welches auch unter Wasser praktiziert werden kann. Dies geht aus der Zweiteilung des Mauls hervor. Es gibt dort die eigentliche Mundhöhle und den Raum zwischen Schneide- und Backenzähnen: ein Diastema. Die Lippen bilden beim Tauchen Backenwülste vor den Molaren, die für einen hermetischen Abschluss sorgen und somit ein Nagen unter Wasser ermöglichen. Auch schützt diese Lücke die Mundhöhle vor Verletzungen beim Nagen.
Das Fell der Nutrias ist speziell auf der Bauchseite sehr dicht, da sie dort vermehrt dem Wasser ausgesetzt sind. Dieser Teil des Fells wird dementsprechend sehr stark vom Fellhandel genutzt. Das Fell wird von der Nutria sehr intensiv mit Fett gepflegt, um wasserabweisend zu bleiben (Kinzelbach 2001). Dafür werden die Talgdrüsen beiderseits der Mundwinkel genutzt (Schmidt 2001). Die Nutria besitzt mehr Haare am Bauch als am Rücken. Die Bauchhaare werden ständig durchkämmt, um dort vermehrt Luftpolster zu bilden, welche beim Schwimmen hilfreich sind und generell vor Temperaturverlusten im Wasser schützen (Kinzelbach 2001). Das Fell der Tiere ist für 80% der Wärmeisolierung verantwortlich, während nur 20% von inneren Isolationsfaktoren abhängen. Bei extrem kalten Temperaturen kann das Fell sogar 90% der Wärmeisolierung ausmachen (Doncaster et al. 1990).
Ein besonderes körperliches Merkmal der Nutrias ist ihr vollkommen unbehaarter Schwanz. Mit diesem haben sie wie Ratten, Mäuse und Biber die Fähigkeit der Thermoregulation. Sie können bei hoher Außentemperatur über ihren Schwanz und die Füße Hitze abgeben und bei niedrigeren Temperaturen den Verlust der Wärme über den Schwanz abschwächen. Dies kann durch gesteuerte Blutflussregulationen kontrolliert werden und bei Kälte durch Absenken der Temperatur im Schwanz. Diesen Regulationen sind jedoch speziell bei hohen Temperaturen Grenzen gesetzt. Ab einer Außentemperatur von über 25°C kann keine Wärme mehr über den Schwanz abgegeben werden und über einer Temperatur von 35°C kann sogar keine konstante innere Körpertemperatur mehr erhalten werden und Hitzeschläge können die Folge sein. Dies steht in Zusammenhang mit Beobachtungen aus Louisiana, wo Nutrias bei 35°C Außentemperatur fast ausschließlich im Wasser blieben (Krattenmacher & Rübsamen 1987). Ein weiterer physiologischer Mechanismus um gegen Kälte anzukommen ist die Fähigkeit zur peripheren Vasokonstriktion[1] um Thermolysereaktionen zu reduzieren. Das Vorhandensein von braunem Fettgewebe besonders bei Juvenilen, dient zur Erhöhung der Thermogenese (Doncaster et al. 1990).
Um das Alter von Nutrias bestimmen zu können, nutzt man wie bei vielen Kleinsäugern typisch, die Korrelation zwischen der Masse der Augenlinse und dem Lebensalter. Speziell während der Wachstumsphase kann man mit Hilfe einer Eichkurve über der Augenlinsenmasse das Lebensalter bestimmen. Das Augenlinsenprotein bei adulten Tieren wächst noch stetig weiter, so ist diese Methode auch bei erwachsenen Tieren gut anwendbar (Pelz et al. 1997).
Im Folgenden sollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Biber, Bisam und Nutria aufgelistet werden, da diese Tiere speziell in Deutschland sehr viele Ähnlichkeiten besitzen und ihnen stellenweise gleichermaßen eine große Schadwirkung nachgesagt wird. Dabei kommt es oft zu Verwechselungen der Nutria mit Otter und Mink, sehr viel häufiger jedoch mit dem wesentlich kleineren Bisam und dem größeren Biber. Speziell bei schwimmenden Tieren fällt die Unterscheidung oft nicht leicht (Elliger 1997). Der Rücken ragt bei Bisam und Nutria aus dem Wasser heraus, wobei die Nutria eine deutliche Delle im Rücken erkennen lässt. Beim Bisam ist die Kopf-Rückenlinie nur schwach wellig ausgeprägt. Bei einem ausgewachsenen Biber ist der Rücken beim Schwimmen meist vollständig unter Wasser. Diese Unterscheidungsmerkmale sind jedoch von Laien häufig nicht zu erkennen, weshalb in Berichten von Tageszeitungen oft aus Unkenntnis Beiträge über Biber oder Bisam fälschlicherweise mit Fotos von Nutrias illustriert werden.
Speziell bei Größe und Morphologie kann man bei den drei Arten jedoch einige wichtige Unterschiede feststellen. Biber sind größer als Nutrias und diese wiederum größer als Bisams (vgl. Abb. 4).
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Abbildung 4: Zeichnung der Körpergestalt von Biber, Bisam und Nutria im Größenvergleich (aus DVWK 1997)
Die Form des Schwanzes unterscheidet sich bei den drei Arten charakteristisch. Während der Biber eine sogenannte „Kelle“ besitzt, ist beim Bisam der Schwanz seitlich zusammengedrückt und bei der Nutria drehrund (Schmidt 2001).
Der Nachweis von Nutrias erfolgt häufig nicht durch direkte Beobachtungen, sondern über die Spuren, die sie hinterlassen. Besonders eignen sich hier Losung, Trittsiegel (vgl. Abb. 5), Nagespuren, Baue und Nester (Elliger 1997).
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Abbildung 5: Trittsiegel (links) und Spuren beim Gehen (rechts) von Bisam, Biber und Nutria im Vergleich (aus DVWK 1997)
Die Identifizierung über den Kot ist nicht immer möglich, da Nutrias diesen oft im Wasser absetzen (Schmidt 2001). Gemeinsam haben die drei Arten ihre hervorragenden Schwimm- und Tauchfähigkeiten, sowie ihren wasserabweisenden Pelz und die Hauptnahrung in Form von Sumpf- und Wasserpflanzen (Schüring 2010). Auch besitzen alle neben Fettdrüsen auch ausgeprägte Duftdrüsen. So wurde die Moschusdrüsen des Bisams zum Beispiel zur Parfümherstellung genutzt (Schmidt 2001).
Nutria und Bisam konnten in Europa sesshaft werden, obwohl bereits semiaquatische Säugetiere vorhanden waren (Biber und Schermaus). In Nordamerika leben Biber und Bisam oftmals am gleichen Gewässer, wohingegen in Europa die Nutria häufig mit dem Bisam am gleichen Gewässer wohnt. Die drei Arten besiedeln sehr häufig ähnliche Gewässer, wobei auch die Baue der jeweils anderen Art bewohnt werden können (DVWK 1997). Im Vergleich zu Bisam und Nutria ist aber der Biber weitaus wählerischer und bevorzugt eher sehr gut geeignete Habitate. Dies beinhaltet für ihn speziell breite Gewässer mit einer Mindesttiefe von 50 cm. Nutrias und Bisams sind in ihrer Habitatwahl wesentlich anpassungsfähiger und können sich auch weitestgehend in für sie nur suboptimalen Gebieten etablieren. So ist die Wassertiefe beispielsweise für die Nutria kein limitierender Besiedlungsfaktor (Corriale et al. 2006). Untersuchungen aus den Ardennen und anderen Gebieten zeigen, dass Biber hauptsächlich Habitate wählen, in denen die Baumarten Alnus glutinosa, Populus spp., Fraxinus excelsior und Carpinus spp. vorkommen. Ergänzend dazu werden Birken- und Weidenarten präferiert. Auch solche artspezifischen Habitatbedingungen konnten für Bisam und Nutria bisher nicht nachgewiesen werden. Nutrias bevorzugen zwar Gebiete mit vielen und hochwachsenden Nahrungspflanzen, doch ist es für sie kein Problem, in Gebieten zu leben, die nur wenig Vegetation aufweisen (Ruys et al. 2011). Zum Teil ernähren sich die drei Arten sogar von den gleichen Pflanzen, ohne das Nutria und Biber jedoch in echte Nahrungskonkurrenz zueinander zu treten (DVWK, 1997).
Bei Untersuchungen im Süden der USA, stellte man fest, dass Nutria und Bisam wenig konkurrieren, weil dort der Bisam vermehrt in Salz- und Brackwasser vorkommt, während die Nutria mehr in Süßwasser lebt. Ebenso konnte bei der Nahrung nur wenig Überlappung festgestellt werden, da sich dort die Nutria hauptsächlich von Spartina spp. ernährt, während sich der Bisam mehr von Schoenoplectus spp. ernährt. Dennoch konnte bei intensiver Entnahme der Nutrias eine enorme Ausbreitung der Bisams in die Habitate der Nutrias festgestellt werden (Baroch & Hafner 2002).
Normalerweise kann man sich die Nahrungsnischenverhältnisse wie in Abbildung 6 dargestellt vorstellen.
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Abbildung 6: Nischenbesetzung der pflanzenfressenden deutschen semiaquatischen Nagetiere (KRL: Kopf-Rumpf-Länge in mm; KRL-V: Kopf-Rumpf-Längen-Verhältnis zwischen zwei benachbarten Arten; aus DVWK 1997)
Während Schermaus und Bisam grob gesagt mehr Gräser bevorzugen, beziehen Nutria und vor allem Biber mehr Blätter, Äste und Rinde. Wie bei der Nutria später jedoch noch festgestellt wird, ist ihr Nahrungsspektrum wesentlich breiter gefächert, als hier dargestellt. Die Abbildung dient hier also lediglich dazu, sich einen Überblick der ökologischen Nischen der semiaquatischen Säugetiere in Deutschland zu verschaffen.
Im Winter sucht die Nutria meist über dem Eis nach Nahrung, während der Bisam auch unter der Eisdecke bleiben kann und auf submerse Pflanzen, Muscheln und Krebse zurückgreift. Somit ist das Nahrungsangebot im Winter für Bisams unproblematischer als für Nutrias (Schmidt 2001). Im Vergleich zum Biber kann die Nutria im Winter auch gefrorene Phytomasse zu sich nehmen, während der Biber sich primär von der Rinde verschiedener Gehölze wie etwa Pappel und Weide ernährt (Heidecke et al. 2001).
Alle drei Nager sind natürlicherweise vornehmlich nachtaktiv, besiedeln ähnliche Gewässer, aber haben aber trotzdem ihre jeweils eigene ökologische Nische (Schüring 2010). Zu den bestimmenden Faktoren für die Nische gehört neben der Rückwirkung der Art auf ihre Umwelt, auch die Dynamik der Jahreszeiten. So kann es im Winter im Zuge von Vereisungen zu Nahrungsmangel kommen, im Sommer bei Niedrigwasser können Baue trocken fallen und im Frühjahr kommt es mancherorts zu ausgedehnten Fang-Programmen (Schmidt 2001).
Nutrias besiedeln kleine bis mittlere Gewässer mit geringer Fließgeschwindigkeit und reicher Ufervegetation. Sie besiedeln jedoch auch Gewässer in Agrarregionen und ernähren sich dort auch von Kulturpflanzen. Im Vergleich zum Biber ist das Ernteverhalten von Nutrias auf Feldern oft großflächig und konzentrisch, während es beim Biber eher nur vereinzelt zum Fressen einzelner Kulturpflanzen kommt. Nutrias sind im Vergleich zu Biber und Bisam die Anspruchsloseren, was speziell die Uferstruktur betrifft. Sie sind insgesamt weniger stark an Gewässer gebunden als Biber und Bisam (Kinzelbach 2001).
Während sich die Wurfzeit beim Biber nur auf bestimmte Zeiten im Jahr beschränkt, kann die Nutria das ganze Jahr über werfen (Stubbe et al. 2009). Bei allen drei Nagetieren findet sich eine dichteabhängige Populationsdynamik. Die Dichte der Population wird vom Territorialinstinkt bestimmt (Schüring 2010). Die Ausbreitung erfolgt bei Allen entlang von Gewässern, allerdings wandern Nutrias normalerweise bedeutend seltener als der Bisam (Schmidt 2001). Der Biber hingegen nutzt die großflächigsten Räume der drei Arten (Heidecke et al. 2001).
Allen drei Arten wird eine mehr oder minder starke Schadwirkung angelastet. Speziell der Bisam ist als intensiver Gräber in Dämme und Teichanlagen, sowie als Räuber von Muschelbänken auch in Frankreich ein Schädling (Zahner 2004). Über die Schadwirkung des Bibers ist man sich in Europa jedoch keineswegs einig. In den meisten Ländern war er stark bedroht oder sogar ausgestorben. In Deutschland, Frankreich und Belgien wurde er daraufhin wieder angesiedelt, da er ursprünglich zur heimischen Fauna zählte und für viele Menschen eine Bereicherung darstellt. Im Gegensatz zu Bisam und Nutria werden ihm hauptsächlich positive Effekte unterstellt. Durch seine einzigartigen gestalterischen Fähigkeiten, sich seinen eigenen Lebensraum zu schaffen, hilft er auch gleichzeitig vielen Pflanzen und Tieren sich anzusiedeln und zu verbreiten. Dadurch kann für den Menschen ein effektiver Schutz vor Überflutungen entstehen, ebenso ein Puffer gegen Luftverschmutzung. Diese positiven Effekte sorgen dafür, dass der Biber im Gegensatz zu Bisam und Nutria stark geschützt wird und in seiner Ausbreitung nahezu ungehindert agieren kann (Ruys et al. 2011).
Das Nahrungsspektrum wird durch Beobachtungen äsender Nutrias, dem Auffinden von Fraßplätzen, gefundenen Nahrungsresten und Verbissstellen bestimmt. Die Hauptnahrung von Nutrias in freier Wildbahn ist rein vegetarisch. Es werden vor allem Schilf- und Wasserpflanzen gefressen, welche in Deutschland beispielsweise Phragmites australis, Limosella aquatica, Typha spp., Elodea spp. und Glyceria spp., sowie weitere Gräser sein können (Elliger 1997; Bertolino et al. 2012). In Tabelle 1 findet man einen Auszug von diesen und anderen von Nutrias bevorzugten in Deutschland heimischen Pflanzen.
Tabelle 1: Ein typisches Nahrungsspektrum der Nutria in Deutschland (aus Stubbe & Böhning 2009)
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Zu beachten sind hier die unterschiedlichen Präferenzen der Tiere für verschiedene Jahreszeiten, in Abhängigkeit der Verfügbarkeit. Dies deckt sich mit Beobachtungen aus Frankreich (Abbas 1991) und Norditalien, wo die Tiere ebenfalls den Jahreszeiten entsprechend unterschiedliche Pflanzen zu sich nehmen (vgl. Abb. 7).
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Abbildung 7: Jahreszeitliche Variationen der Nahrungsspektren bei Nutrias in Norditalien, bestehend aus aquatischen und terrestrischen Pflanzen (%RF= relative Häufigkeit in Prozent; aus Prigioni et al. 2005)
Die Tiere greifen im Frühling und Herbst hauptsächlich auf sumpfige Ufervegetation (emergent macrophytes) zurück, während sie im Winter und vor allem im Sommer hauptsächlich Unterwasserpflanzen (submersed macrophytes) und Schwimmblattpflanzen (floating-leaved macrophytes) bevorzugen. Terrestrische Pflanzen spielten dort nur im Winter eine Rolle, während sie in allen anderen Jahreszeiten nur einen geringen Teil am Nahrungsspektrum ausmachten (Prigioni et al. 2005; Bertolino et al. 2012).
Nutrias nehmen täglich ungefähr ¼ ihres Körpergewichts an Nahrung auf (LeBlanc 1994). Die herbivore Nahrungsweise ist sowohl typisch für ihr Ursprungsgebiet, als auch in den Ländern, wo sie eingeschleppt wurde (Prigioni et al. 2005). Sie besitzen ein recht breites Nahrungsspektrum, wobei die meisten Pflanzenteile gefressen werden. Sogar der für Menschen giftige Wasserschierling wird vertilgt (Elliger 1997). Insgesamt kann sich die Nahrung, je nach Angebot, durchschnittlich auf 24 bis 40 verschiedene Pflanzenarten beziehen (Colares et al. 2010; Bertolino et al. 2012). Juvenile Tiere konsumieren generell weniger verschiedene Pflanzenarten als die Adulten (Prigioni et al. 2005).
Bei dauerhaft hohem Angebot vieler verschiedener Nahrungspflanzen entwickeln Nutrias eine Präferenz für nur einige wenige Arten. Dies hängt mit dem Nährstoffgehalt der Pflanzen zusammen, wobei solche mit hohen Gehalten bevorzugt werden. Dies verändert sich, sobald sich das Angebot verschlechtert. In diesem Fall wird auf ein breiteres Spektrum an Pflanzen zurückgegriffen, um den Nährstoffbedarf decken zu können. Auch im Laufe einer Vegetationsperiode kann sich das Nahrungsspektrum der Tiere ändern, wenn etwa bei einigen Pflanzen der Nährstoffgehalt aufgrund der Blühperiode abnimmt (Colares et al. 2010). Da Nutrias bis zu fünf Minuten tauchen können, ist die Nahrungssuche unter Wasser kein Problem, wobei ihnen die körperlichen Merkmale dabei helfen (vgl. Kapitel 4.1.). Biber und Bisam können jedoch länger unter Wasser bleiben (Deutz 2001). Beim Tauchen haben Nutrias außerdem die Fähigkeit der Bradykardie[2] in Verbindung mit Vasokonstriktion (vgl. Kapitel 4.1.), was die körperlichen Bedingungen bei der Nahrungssuche unter Wasser verbessert (Baroch & Hafner 2002).
Der Aufbau des Verdauungsapparates lässt auf eine insgesamt sehr rohfaserreiche Nahrung schließen. Im sehr groß gewachsenen Blinddarm wird Zellulose durch unzählige Bakterien aufgeschlossen (Deutz 2001). Trotz dieser Fähigkeit wird gerade bei juvenilen Tieren häufig eine vermehrte Aufnahme von jungen Blättern der Ufervegetation beobachtet, aufgrund der geringeren Konzentration an Zellulose und der damit leichteren Verdauung (Colares et al. 2010). Hier sind es vor allem die jungen Blätter von Robinia pseudoacacia, die konsumiert werden. Auch die Nahrungsbeschaffung an Land ist für die juvenilen Tiere mit einem geringeren Energieverbrauch verbunden. Da die Jungtiere zudem auf weniger nahrhafte Nahrung angewiesen sind als die Erwachsenen, fällt der geringere Gehalt an Nährstoffen in den terrestrischen Pflanzen somit kaum ins Gewicht (Prigioni et al. 2005).
In freier Wildbahn lebt die Nutria ausschließlich vegetarisch, während sie in Gefangenschaft auch Fische, Enteneier, Garnelen und Flussmuscheln verspeist (Elliger 1997). Entgegen dieser Beobachtung, gibt es auch Behauptungen, welche die Nutria stellenweise beim Erbeuten von Vogeleiern beschreiben (Panzacchi et al. 2007). Die genannte Quelle Panzacchi et al. (2007) ist bisher jedoch die einzige Untersuchung, die diese Beobachtungen angibt. Bei Untersuchungen in Zentralitalien konnte sogar mit Kameraaufnahmen belegt werden, dass Nutrias in freier Wildbahn kein Interesse an Vogeleiern zeigen (Bertolino et al. 2011).
Eine zu hohe Nutriadichte übt einen ernst zu nehmenden Selektionsdruck auf die aquatische Vegetation aus (Elliger 1997). Der Tagesbedarf an pflanzlicher Nahrung liegt bei adulten Tieren bei bis zu 25% des eigenen Körpergewichtes (Deutz 2001). In Louisiana wurde ein Nutria-Biomasse-Modell entwickelt, um den Druck, den die Tiere auf die Natur ausüben, zu verdeutlichen. Das Modell wurde für ein Sumpfgebiet evaluiert, wie es dort häufig vorkommt. Dabei stellte sich heraus, dass das Gebiet eine Nutriadichte von 4,6 Tieren pro Hektar ertragen konnte. Alles was darüber hinausging, führte unweigerlich zum Kollaps des Biotops, da sich die Pflanzen aufgrund des Fraßdrucks nicht mehr erholen konnten. Infolgedessen kollabierte dort auch die Nutriapopulation (Carter et al. 1999).
[...]
[1] Gefäßverengung
[2] Verlangsamter Herzschlag
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