Bachelorarbeit, 2012
42 Seiten, Note: 1,1
1. Einleitung
2. Grundlagen der Signaltheorie
2.1 Ursprung und Entwicklungen
2.2 Modell eines signaltheoretischen „Vertrauensspiels“
2.2.1 Vertrauen
2.2.2 Beschreibung der Situation
2.2.3 Krypta und Manifesta
2.2.4 Akteure
2.2.5 Bedingungen für ein separierendes Marktgleichgewicht
3. Signaltheoretische Analyse der Corporate Social Responsibility (CSR)
3.1 Definition von CSR
3.2 CSR aus soziologischer Perspektive
3.3 Glaubwürdigkeitsproblematik von CSR
3.4 Fallbeispiel: CSR-Management von NIKE
3.5 Signaltheoretische Analyse und Bewertung der Glaubwürdigkeit der CSR-Strategie
3.5.1 Nikes Verhaltenskodex
3.5.2 Nikes CSR-Report
3.5.3 Zusammenfassende Bewertung von Nikes CSR-Strategie
4. Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
In vielen alltäglichen Interaktionen, insbesondere mit fremden Personen, stehen wir vor dem fundamentalen Problem, ob wir der Person gegenüber Vertrauen schenken können oder nicht. In Situationen, in denen der Vertrauensgeber nur über eine unvollständige Informationsaus-stattung hinsichtlich der Eigenschaften des Interaktionspartner verfügt, besteht immer die Gefahr, dass dieser das Vertrauen, das man in ihn setzt, missbraucht und davon mehr profi-tiert als durch kooperatives Verhalten. Als Lösungen dieses Vertrauensproblems können diverse Strategien aus der Vertrauensforschung angeführt werden: Wiederholte Spiele, Reputation, Kautionen, einklagbare Verträge oder soziale Normen (Diekmann/Przepiorka 2002: 230). Diese Arbeit hingegen konzentriert sich auf eine andere Strategie, dem „Signaling“. Es stellt das Kernstück der aus den Wirtschaftswissenschaften und der Biologie stammenden Signaltheorie dar und untersucht die Vertrauensproblematik unter dem Blick-winkel, wie ehrliche Vertrauensnehmer mithilfe sichtbarer Zeichen bzw. Signalen glaubhaft kommunizieren können, dass sie vertrauenswürdig sind und sich dadurch erfolgreich von unehrlichen Akteuren abgrenzen können. Dabei werden Anreizstrukturen untersucht und Bedingungen formuliert, unter denen Signale entstehen und für den Vertrauensgeber so informativ sein können, dass dieser beide Typen von Vertrauensnehmern unterscheiden kann. Obwohl die Theorie in ihrem Ursprung das Verhalten von Individuen zu erklären versuchte, kann sie auch auf korporative Akteure angewendet werden (Diekmann/Przepiorka 2002: 223). Beispielsweise können sich auch Organisationen und Staaten in „Vertrauensspielen“ enga- gieren. Der Fokus dieser Arbeit liegt auf dem Signaling von Wirtschaftsunternehmen. Es stellt sich die Frage, wie es gelingen kann, dass gesellschaftsverträgliches soziales und öko-logisches Handeln - auch „Corporate Social Responsibility“ (CSR) genannt - glaubhaft nach außen kommuniziert werden kann. Obwohl sozial verantwortliches Wirtschaften besonders in den westlichen Industrienationen eine sehr lange Tradition hat, handelt es sich beim CSR um ein international angewandtes Konzept, das sich in seiner strategischen Ausrichtung erst in den letzten Jahren fest etabliert hat. Es hat sich gezeigt, dass die Implementierung des CSR in das unternehmerische Geschäftsfeld zu einem entscheidenden Faktor geworden ist, um wirt-schaftlich erfolgreich zu sein. Die Notwendigkeit der Akteure, sich voneinander abzugrenzen, um den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens zu sichern, verstärkt sich u.a. aufgrund der Eigenschaft eines CSR-Gutes, ein „Credence Good“ darzustellen. Die Problematik besteht darin, dass Konsumenten meist vor und nach dem Kauf nicht erkennen können, unter welchen sozialen oder ökologischen Bedingungen das Produkt oder die Dienstleistung produziert bzw. erbracht wurde, da die „CSR-Qualität“ durch den Konsumenten nicht direkt zu erkennen ist.
Der analytische Fokus dieser Arbeit liegt auf dem CSR-Engagement der Nike GmbH. Der amerikanische Sportartikelhersteller stellt ein gutes Beispiel eines international tätigen Unternehmens dar, da es im Hinblick auf sein CSR-Engagement eine Trendsetterstellung einnimmt und bei der aktuellen Entwicklung des CSR-Konzepts eine entscheidende Rolle gespielt hat.
Das Anliegen dieser Arbeit ist, das theoretische Konzept des Signaling in einem ersten Schritt darzulegen. So wird das folgende Kapitel die Bestandteile der Signaltheorie genauer beleuch-ten. In einem zweiten Schritt wird das theoretische Konstrukt auf Nike als empirisches Fall-beispiel angewendet. Mithilfe der Signaltheorie soll bewertet werden, ob die einzelnen CSR-Maßnahmen von Nike die theoretischen Anforderungen erfüllen, um als glaubwürdig inter-pretiert werden zu können. Eine zusammenfassende Bewertung des CSR-Managements von Nike und Schlussbemerkungen bilden den Abschluss der Arbeit.
In diesem Kapitel wird die Signaltheorie in ihren Grundzügen dargestellt. Nach einem kurzen geschichtlichen Abriss soll untersucht werden, wie die Signaltheorie Vertrauensprobleme in sozialen Interaktionen, in denen die Akteure asymmetrische Informationen besitzen, formu-lieren kann. Es soll modellhaft veranschaulicht werden, unter welchen Bedingungen bzw. Anreizstrukturen eine Lösung von „Vertrauensspielen“ zustande kommt. Wie ist es möglich, dass sich ein Vertrauensnehmer, dessen wahre Intentionen und Absichten vom Vertrauens-geber nicht direkt beobachtbar sind, glaubhaft kommunizieren kann. Es zeigt sich, dass die Kommunikation nicht über verbale Kommunikation, sondern über Handlungen nach außen getragen wird, um dem Verdacht und Vorwurf zu entgehen, „cheap talk“[1] zu betreiben. Auf die Bedingungen der Glaubwürdigkeit wird genauer eingegangen, indem die Eigenschaften der Signale bzw. „Manifesta“ beschrieben werden, welche Rückschluss auf die nicht beo-bachtbaren Eigenschaften, die sog. „Krypta“ geben sollen. Welche Eigenschaften müssen diese Signale besitzen, damit der Empfänger des Signals feststellen kann, um welchen Akteurstyp es sich handelt; ein Vertrauensspiel basiert nämlich immer auf der Möglichkeit, dass der Vertrauensnehmer den Geber täuschen will. Diese Gefahr übersetzt der Signal-empfänger in eine Kostenkalkulation, in der er intuitiv „berechnet“, ob der Sender des Signals imstande sein kann, ein solches Signal überhaupt senden zu können. Dabei ist nicht die Quan-tität der Kosten für die Produktion entscheidend, sondern die Kostendifferenz der Signale, die zwischen dem ehrlichen (Typ A) und dem opportunistischen Vertrauensnehmer (Typ B) be-steht. Abhängig davon, ob die Signale diese Bedingung erfüllen oder nicht, bilden sich infor-mative, separierende oder nicht-informative „poolende“ Gleichgewichte.
Im darauffolgenden Kapitel wird das theoretische Konstrukt auf einen empirischen Fall über-tragen. Es wird untersucht, ob das „Sign-Management“ (Gambetta/Bacharach 2001: 171) der Nike GmbH gemäß den theoretischen Anforderungen als glaubwürdig zu beurteilen ist oder ob CSR hier eher die Funktion eines „window-dressings“ (Jonker/Stark/Tewes 2010: 175) übernimmt.
Bevor die Signaltheorie einen wohldefinierten und formalen Umbau erhielt, stand die Wissenschaft lange vor dem Rätsel, wie man verschwenderisches und scheinbar selbst-schadendes Verhalten begreifen könne. Wie sollte man erklären, dass bestimmte Handlungen keinen materiellen Nutzen stiften und darüber hinaus noch wertvolle Ressourcen bean-spruchen. Veblen, Soziologe und Wirtschaftswissenschaftler in Personalunion, war der erste, der diese Fragestellung in seiner „Theory of the Leisure Class“ empirisch zu klären ver-mochte (Gambetta 2009a: 186). Er argumentierte, dass zeitraubender Freizeitvertreib sowie demonstrativer Konsum, der deutlich über das Maß der lebensnotwendigen Bedürfnis-befriedigung hinausgeht, die Funktion haben, den Besitz von Reichtum zu demonstrieren. Veblen’s Idee wurde von der Soziologie aufgegriffen und weiterentwickelt. Im Besonderen hebt der Soziologe und Verfechter des signaltheoretischen Konzepts Gambetta (2009a: 188) die Vertreter des symbolischen Interaktionismus Goffman, Bourdieu und Mauss hervor, welche den Fokus ihrer Forschung auf symbolische Kommunikation legten. Beispielsweise untersuchte Goffman (1969) die Strategie, dass Akteure durch die Aussendung falscher Signale dem Interaktionspartner vortäuschen, einen anderen Typ darzustellen. Der Ökonom Spence (1973) hingegen hat sich mit dem genau entgegengesetzten Problem beschäftigt. Er hat untersucht, wie ein Akteur seinen Interaktionspartner durch „erfundene“ Signale davon zu überzeugen versucht, dem Typ zu entsprechen, den er wirklich repräsentiert. In seiner mit dem Nobelpreis honorierten wirtschaftswissenschaftlichen Arbeit, die an dieser Stelle hervor-gehoben wird, untersucht er in einem spieltheoretischen Modell die Signalwirkung von Bildungszertifikaten. Unter stark vereinfachten Annahmen beschreibt er einen Arbeitsmarkt, in dem sich Bewerber des Idealtyps (Typ 1) gegenüber weniger talentierten Personen (Typ 2) durch Selbstselektion abzugrenzen versuchen. Die Problematik der Firmen besteht darin, dass die Informationen über Eigenschaften der Arbeiter „privat“ und somit asymmetrisch verteilt sind. Eine Lösung dieses Informationsproblems besteht darin, dass sie Bildungszertifikate, also beobachtbare Merkmale, zur Bewertung der Leistungsfähigkeit heranziehen; in dem Modell können Kandidaten eine längere (Zertifikat 1) oder kürzere Hochschulbildung (Zertifikat 2) vorweisen. Unter der Annahme, dass Typ 1 schneller lernen und daher das wertigere Zertifikat 1 zu geringeren Kosten erwerben kann als Typ 2, wird Typ 1 im Gegen-satz zu Typ 2 immer den Anreiz haben, das Zertifikat 1 zu erwerben. Bewerber des Typs 2 haben dagegen kein Interesse an einer längeren Ausbildungszeit, da die höheren Kosten der Ausbildung – sowohl monetär als auch psychisch nicht durch das höhere Einkommen kom-pensieren würden. Somit stellen Bildungszertifikate informative und damit glaubhafte Signale für nicht beobachtbare Eigenschaften der Bewerber dar. Obwohl die der Arbeit zugrunde liegende Idee des Signalings zur der Zeit der Veröffentlichung kein Novum in der Wissen-schaft darstellte, fand man eine systematische Ausarbeitung der Theorie erstmals in Spences Arbeit vor (Diekmann/Przepiorka 2002: 224). Einen weiteren entscheidenden Anstoß erfuhr die Signaltheorie aus der Biologie - genauer der Evolutions- und Verhaltensforschung. Mithilfe des sogenannten „Handicap-Prinzips" hat der Biologe Zahavi (1975) erklären wollen, wieso die Vergeudung von Energie, was eigentlich ein Handicap in Bezug auf die Über-lebensfähigkeit darstellen müsste, eine erfolgreiche Strategie sein kann, um Wettkämpfe mit Konkurrenten oder Feinden erfolgreich zu bestehen. Eine weitere Beobachtung von ihm war, dass manche Tiere die Strategie wählen, sich dem Feind offen zu präsentieren, um einen Angriff zu vermeiden. Beispielsweise deutet er das lautstarke Gezwitscher von Vögeln in bedrohlichen Situationen nicht als Warnrufe an die anderen Artgenossen, sondern vielmehr als Signal an den Angreifer, trotz der riskanteren und gefährlicheren Exponiertheit Vertrauen in die eigene Fähigkeit zu haben, rechtzeitig fliehen oder sogar einen Kampf eingehen zu können.
Das signaltheoretische Konzept hat sich innerhalb kurzer Zeit auch in anderen Verhaltens- wissenschaften wie der Ethnologie und Anthropologie als attraktiv erwiesen, um soziale Interaktionen zu beschreiben (Bird/Smith 2005: 221). Auch wenn es in der Soziologie noch nicht richtig etabliert scheint, fordert Gambetta (2009a: 169), die Signaltheorie innerhalb der Soziologie verstärkt als analytisches Werkzeug zu etablieren, um nicht nur Kooperations-probleme, sondern darüber hinaus auch die Entstehung und den Wandel sozialer Normen besser zu beschreiben.
Um ein Vertrauensspiel signaltheoretisch modellieren zu können, ist es wichtig, die Kern-elemente der Theorie zu definieren. Zunächst wird eine gängige Definition des Vertrauens-begriffs (Kapitel 2.2.1) vorgestellt. Darauf aufbauend wird das elementare Vertrauensspiel vorgestellt als Beispiel einer Interaktionssituation, die für die Akteure, im Besonderen jedoch für den Vertrauensgeber, mit einem hohen Maß an Kontingenz verbunden ist. Kapitel 2.2.3 stellt das Versenden bzw. Interpretieren von Signalen als Lösung vor, um mit der Unsicher-heit umzugehen. Das nächste Kapitel (2.2.4) führt dann einen neuen Akteur in das erweiterte Vertrauensspiel ein: den Opportunisten. Da er partout die Ausbeutungsstrategie wählt und die vertrauensstiftenden Signale des ehrlichen Akteurs kopiert, entsteht für den Vertrauensgeber (VG) die Problematik, dass er die beiden Typen nicht diskriminieren kann. Das abschließende Kapitel 2.2.5 beschreibt Kriterien für erfolgreiches Signaling, durch das sich der ehrliche Vertrauensnehmer (VN) durch glaubwürdige Manifesta vom Opportunisten abgrenzen kann.
Die Signaltheorie definiert Vertrauen als „Erwartung des Vertrauensgebers, dass seine einseitige Vorleistung in der Tauschbeziehung vom Vertrauensnehmer nicht ausgebeutet wird, obwohl dieser durch die Wahl der Ausbeutungsstrategie einen höheren Nutzen erreichen könnte“ (Beckert 2002: 28). Diese Definition enthält vier wichtige Aspekte. Zuerst ist hervor-zuheben, dass es sich beim Vertrauen um eine soziale Erwartung handelt, die sich immer auf einen anderen individuellen oder organisationalen sozialen Akteur, jedoch nicht auf einen Gegenstand bezieht. Zudem ist der Vertrauensnehmer frei in seiner Entscheidung, auf die Vorleistung seitens des Vertrauensgebers zu reagieren. Er kann das vom Vertrauensgeber in ihn gesetzte Vertrauen erfüllen oder hintergehen. Die dritte Annahme, dass der Vertrauens-nehmer immer einen Vorteil daraus zieht, nicht zu kooperieren, macht die Interaktion für den Vertrauensgeber derart problematisch. Beispielsweise sind Taxifahrer besonders in gefähr-lichen Bezirken dem Risiko ausgesetzt, Kunden aufzunehmen, die ihn möglicherweise be-stehlen oder verletzen wollen (Gambetta/Hamill 2005). Dagegen muss ein Taxifahrer kein Vertrauen in andere Verkehrsteilnehmer haben, dass diese sich gemäß den Verkehrsregeln zu verhalten, da niemand einen Vorteil daraus ziehen würde, von dieser Norm abzuweichen. Als letztes Charakteristikum von Vertrauen ist die subjektive Erwartungshaltung zu nennen. Um eine Vertrauensbeziehung bewerten zu können, bedarf es einer gewissen Kalkulation seitens des Ego, ob es Alter vertrauen kann. Damit ist keine objektive, auf Wahrscheinlichkeiten beruhende Berechnung, sondern lediglich eine subjektive Einschätzung gemeint (Beckert 2002: 29).
Die obige Definition des Vertrauensbegriffs liefert schon einige wichtige Merkmale eines elementaren Vertrauensspiels (Abbildung 1). Der Vertrauensgeber sieht sich einem asy-mmetrischen Informationsproblem gegenüber; Gambetta beschreibt es als „primary problem of trust – the problem the truster faces in answering the question 'Can I trust this person to do X'" (Gambetta/Bacharach 2001: 148). Der VG ist sich unsicher, wie sich der VN zwischen einer möglichen Kooperations- oder Ausbeutungsstrategie entscheidet.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Das elementare Vertrauensspiel (in Anlehnung an Beckert 2002: 28)
Diese Ungewissheit bringt den VN in eine bessere Handlungsposition, wie die Handlungs-struktur des Vertrauensspiels in Abbildung 1 zeigt. Egal, ob er sich nach dem Zustande-kommen des Vertrauensspiels entweder für Kooperation c oder für die Ausbeutungsstrategie d entscheidet; er erhält beim Ziehen beider Handlungsoptionen ein positives Handlungs-ergebnis („pay-off “). Somit ist der VN immer an einem Zustandekommen der Interaktion interessiert. Der VG hingegen kommt nur zu einem positiven pay-off, wenn der VN kooper-iert. Er muss nach seiner Vorleistung immer das Risiko eingehen, betrogen zu werden. Sich nicht auf das Vertrauensspiel einzulassen, würde ihm ein neutrales Handlungsergebnis ein-bringen. Obwohl der VG im einfachen Vertrauensspiel mit seiner Vorleistung den ersten Impuls für die Interaktion gibt, befindet sich der VN, wie oben geschildert, in einer bevor-zugten Position und damit im Zentrum des Vertrauensspiels (Beckert 2002: 29). Trotz der Kontingenz besitzt der Vertrauensgeber in fast allen Vertrauensspielen eine Möglichkeit, diese Unsicherheit zu minimieren: er kann sein Gegenüber beobachten, bevor er entscheidet, in das Vertrauensspiel einzusteigen.
Je nachdem, ob er erkennt, dass der VN über ein oder mehrere „trust-warranting“ (Gambetta/Bacharach 2001: 153) Merkmale verfügt, geht er das Vertrauensspiel ein. Diese Eigenschaften unterscheiden sich und variieren je nach Art des Vertrauensspiels. Beispiels-weise legt ein Kreditgeber Wert darauf, dass der Nehmer des Kredits ehrlich, elegant ge-kleidet, sparsam und kompetent ist, Selbstdisziplin besitzt und zu zukunftsorientiertem Ver-halten fähig ist. Dagegen ist es für einen kriminellen Bandenboss überlebenswichtig, dass seine Untergebenen loyal sind und nicht mit der Staatsmacht kooperieren. Darüber hinaus werden die Eigenschaften von Person zu Person unterschiedlich bewertet. So ist es z.B. für eine Frau, die einen Partner fürs Leben sucht wichtig, dass dieser überaus intelligent, treu, tolerant und stattlich gebaut ist. Für eine andere Frau können dagegen ganz andere, gar ent-gegengesetzte Anforderungen gelten. Das Vorhandensein dieser Merkmale bzw. deren Kombination liefert in den meisten Fällen jedoch keine hinreichende Bedingung dafür, dass ein Vertrauensspiel auch zustande kommt. Das Problem besteht nämlich darin, dass viele dieser vertrauensschaffenden Eigenschaften, besonders latente Merkmale wie Charakterzüge, Einstellungen und Wertansichten, schwer bis gar nicht zu beobachten sind und dass somit das asymmetrische Informationsproblem weiterhin bestehen bleibt.
Es soll nun im folgenden Kapitel herausgearbeitet werden, wie das Problem der ungleichen Informationsverteilung trotzdem gelöst werden kann, damit eine Kooperation überhaupt zustande kommt.
Es stellt sich die Frage, wie ein VG trotz aller Unsicherheit über die wahren Eigenschaften einer Person fähig ist, vertrauenswürdige Personen von solchen zu diskriminieren, welche möglicherweise das in sie gesetzte Vertrauen zu ihrem eigenen Vorteil missbrauchen wollen. Gambetta (2009a: 170) schlägt folgende Lösung des asymmetrischen Informationsproblems vor, die zugleich das Kernstück der Signaltheorie darstellt:
„Still, our best chance to find out something about people’s unobservable properties is by establishing a connection between their perceivable features and their unobservable properties. Whenever interests are potentially at odds, this connection is the object of signaling theory.”
Diese nicht wahrnehmbaren Merkmale, welche einen „trust-warranting“ Charakter beinhalten, bezeichnet er als „Krypta“ bzw. „t-Krypta“. Um sie dem Interaktionspartner trotzdem zu ver-mitteln, kann der VN sie nicht einfach kommunizieren. Verbale Versicherungen, Eigen-schaften der Vertrauenswürdigkeit zu besitzen, geraten nämlich schnell in den Verdacht, „cheap talk“ darzustellen, da sie einfach vorgetäuscht werden können. Die Krypta können also nur glaubhaft vermittelt werden, indem sie durch Handlungen und sichtbare Eigen-schaften veranschaulicht werden, sogenannte Manifesta.
Beckert (2002) bezeichnet diese als „performative Akte der Selbstdarstellung“ des VN, welche Vertrauensbereitschaft seitens des VG erzeugen. Der VG kann nur solche Zeichen erkennen, welche Merkmale der äußeren Erscheinung des VN zuzurechnen sind: Sprachduktus, Körpersprache, Hautfarbe, Geschlecht, Unternehmenslogo, etc. Durch die bewusste Interpretation bzw. Zurschaustellung transformieren sich die Zeichen in Signale (Gambetta 2009a: 170), welche für den VG die Funktion einer fundamentalen Entscheidungs-heuristik haben, ohne die Vertrauen und damit auch Kooperation in vielen sozialen Hand-lungszusammenhängen gar nicht möglich wäre. Auf der anderen Seite ist das bewusste Nutzen des Signalings seitens des VN mittels der beobachtbaren Manifesta eine basale Strategie, sich selbst als vertrauenswürdig zu präsentieren (Abbildung 2).
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Abbildung 2: Krypta und Manifesta (in Anlehnung an Beckert 2002: 34)
Ob ein Signal erfolgreich versendet bzw. erkannt werden kann, ist abhängig vom Medium der Kommunikation bzw. dessen Informationsgehalt. Beispielsweise stellen hohes Alter und weibliches Gender eines Taxikunden vertrauenswürdige Signale eines ungefährlichen Fahr-gastes dar. Während der Taxifahrer in der Face-to-Face-Interaktion keine Probleme hat, die Signale zu erkennen, bieten dagegen das Telefon und noch weniger das Internet die Möglich-keit, die Zeichen genau zu erkennen.
Das von Gambetta und Bacharach eingeführte Konzept von Krypta und Manifesta verlagert den Anfangspunkt des Vertrauensspiels – anders als im oben dargestellten elementaren Vertrauensspiel auf die Seite des VN. Er gibt den Initialschuss für eine Interaktion, indem er Signale der Vertrauenswürdigkeit aussendet, um Vertrauensbereitschaft beim VG zu erzeu-gen. Die Vorleistung ist somit das Resultat der Erzeugung des Eindrucks von Vertrauens-würdigkeit durch den Vertrauensgeber (Beckert 2002: 30).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Vertrauensnehmer als Initiator des Vertrauensspiels (in Anlehnung an Beckert 2002: 31)
Wie in der veränderten Struktur des Vertrauensspiels in Abbildung 3 zu erkennen ist, initiiert der VN die Interaktion. Um Vertrauenswürdigkeit zu erzeugen, muss er die Investition α tätigen. Diese muss geringer sein als der potentielle Gewinn aus der Kooperationsstrategie, da er sonst eine Ausbeutungsstrategie durchblicken ließe. Damit das Vertrauensspiel in seiner Kosten-Nutzen-Logik fortgesetzt werden kann, muss der Gewinn aus der Beendigung der Interaktion seitens des VG kleiner sein als der mögliche Gewinn aus einem kooperativen Abschluss des Spiels.
Dass auch die Erweiterung des Modells für die Abbildung einer realen Vertrauenssituation noch sehr ungeeignet erscheint, wird im folgenden Kapitel erläutert. Es zeigt sich nämlich, dass auch vermeintlich hochkorrelative Beziehungen zwischen Manifesta und Krypta den VG nicht immer davor schützen, vom VN ausgebeutet zu werden. Diese Problematik rückt erst ins Blickfeld, wenn man das Vertrauensspiel etwas realistischer gestaltet und davon ausgeht, dass Signale auch bewusst eingesetzt werden können, um den Interaktionspartner zu täuschen.
[...]
[1] Cheap Talk bezeichnet eine Form der Kommunikation, die weder aufwendige Voraussetzungen erfordert noch bindende Konsequenzen nach sich zieht (Tewes 2008: 73).
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