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Bachelorarbeit, 2009
48 Seiten, Note: 1,3
1 Einleitung
I Forschungsstand zur interpersonalen Wahrnehmung
2 Das Wesen der Personenwahrnehmung
2.1 Unterschiede in der Wahrnehmung von Personen und Objekten
2.2 Personenwahrnehmung als Fähigkeit?
3 Der Prozess der Eindrucksbildung
3.1 Algebraische Modelle der Eindrucksbildung
3.2 Implizite Persönlichkeitstheorien
3.3 Kategorisierung und Eindrucksbildung
3.4 Die Bedeutung der kognitiven Struktur des Wahrnehmenden
4 Einflussfaktoren auf die Personenwahrnehmung
4.1 Halo-Effekte
4.2 Reihenfolge – Effekte
4.3 Stimmungskongruenzeffekt
4.4 Negativitätstendenz
4.5 Sich selbst erfüllende Prophezeiungen
4.6 Attributionsverzerrungen
II Interpersonale Wahrnehmung in der Altenpflegeausbildung
1 Interpersonale Wahrnehmung in der Arbeit der AltenpflegerInnen
1.1 Welche Rolle spielt die interpersonale Wahrnehmung für den Beruf der Altenpflege?
1.2 Die Bedeutsamkeit der Forschungserkenntnisse zur interpersonalen Wahrnehmung – Fallbeispiele
2 Rezeption der Forschungsergebnisse zur interpersonalen Wahrnehmung in der Altenpflegeausbildung
2.1 Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für den Beruf der Altenpflege
2.2 Durchsicht der Lehrbücher
III Schlussbetrachtung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Die Wahrnehmung zwischen Personen ist ein alltäglicher Vorgang und wesentlicher Bestandteil der Interaktion. Jede soziale Begegnung hinterlässt bei uns einen bestimmten Eindruck, ein „Bild vom anderen“. Welcher Art dieses Bild ist, kann weitreichende Folgen haben. So enthält das Bild nicht nur vermeintliche Informationen über den anderen, es wird auch in doppelter Richtung verhaltenswirksam: Es beeinflusst unser Verhalten ihm gegenüber und damit auch sein Verhalten.
Wie aber kommt das Urteil, das Bild über den anderen Menschen zustande? Welche Faktoren beeinflussen die Personenwahrnehmung? Und ist der Eindruck, den wir uns von unseren Interaktionspartnern machen, ein Abbild der Wirklichkeit? Die Beantwortung dieser Fragen spielt eine bedeutsame Rolle in personenbezogenen Dienstleistungen wie der Altenpflege. Die Kenntnisse des Prozesses der interpersonalen Wahrnehmung in all seinen Facetten – mit seinen Regelmäßigkeiten und verzerrenden Einflüssen – ist eine notwendige Voraussetzung, um über das eigene Wahrnehmen und Verhalten reflektieren zu können und eine emotional zufriedenstellende Beziehung zu den Heimbewohnern aufbauen zu können. die den Bedürfnissen der Bewohner gerecht wird.
Daher stellt die vorliegende Arbeit – „Die Theorie der interpersonalen Wahrnehmung und ihre Rezeption in der Altenpflegeausbildung“ – die Frage, ob die Ergebnisse zur interpersonalen Wahrnehmung in der Ausbildung der Altenpflegerinnen eine Rolle spielen. Die Fragestellung wird anhand einer Literaturauswertung erarbeitet.
Im ersten Teil der Arbeit soll es darum gehen, den Forschungsstand zur interpersonalen Wahrnehmung darzustellen. Dazu gibt das zweite Kapitel zunächst eine Einführung in die Besonderheiten der Personenwahrnehmung. Darauf folgt die Durchleuchtung des Prozesses der Eindrucksbildung. Hier wird auf ein Verständnis dessen hingearbeitet, wie wir überhaupt zu Eindrücken von anderen Menschen kommen. Es finden algebraische Modelle der Eindrucksbildung ebenso Beachtung wie implizite Persönlichkeitstheorien und Kategorisierungsprozesse. Einflussfaktoren, die zu Verzerrungen in der Wahrnehmung führen können, werden im vierten Kapitel besprochen.
Der zweite Teil der Arbeit widmet sich der interpersonalen Wahrnehmung in der Altenpflegeausbildung. Hier soll zunächst die Bedeutsamkeit der interpersonalen Wahrnehmung in der Arbeit der AltenpflegerInnen zum einen durch strukturelle Merkmale des Berufs, zum anderen durch die Analyse von Fallbeispielen aus dem Pflegealltag herausgestellt werden, um dann zu überprüfen, ob sich die beträchtliche Relevanz dieses Forschungsbereichs in der Altenpflegeausbildung niederschlägt. Zu diesem Zweck sollen zum einen die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung und zum anderen die einschlägigen Lehrbücher für die Ausbildung betrachtet werden.
Tagtäglich treffen wir, privat wie beruflich, auf eine Vielzahl von Menschen. Um erfolgreich mit ihnen interagieren zu können, sind wir darauf angewiesen, uns ein angemessenes Bild von ihnen zu machen, sie „richtig“ wahrzunehmen . Personenwahrnehmung ist damit das erste, entscheidende Stadium jeder zwischenmenschlichen Interaktion (Forgas, 1999, S. 20).
Das Bild vom anderen gibt uns eine Orientierung, wie wir uns verhalten sollen und mit welchen Reaktionen wir beim anderen zu rechnen haben. Somit hilft es uns, die komplexe Welt zu strukturieren, sie erklärbar zu machen und ihr sinnhafte Zusammenhänge zu verleihen (Rosemann/Kerres, 1986, S. 11).
Die Forschung zur Personenwahrnehmung, die auch als soziale Wahrnehmung bezeichnet wird, untersucht die Prozesse, wie wir Eindrücke von anderen Menschen gewinnen. Wir gelangen zu Urteilen über die aktuelle Stimmung unseres Interaktionspartners, über seine Einstellungen, Intentionen und Persönlichkeitseigenschaften, indem wir uns u.a. an seinem Verhalten, seinen Äußerungen, seinem Aussehen und nonverbalen Informationen, wie z.B. seinem Gesichtsausdruck orientieren (Herkner, 2001, S. 277). Auf letzteres wird im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen.
Der Prozess der interpersonalen Wahrnehmung, also der Wahrnehmung zwischen Personen, ist durch zwei grundlegende Aspekte gekennzeichnet. Zum einen ist an den Wahrnehmungsprozess immer ein Akt der Selektion gekoppelt, insofern, dass „von allen gegebenen und zugänglichen Informationen nur ein kleiner Teil beachtet und verarbeitet wird“ (ebenda, S. 277).
Werth & Mayer illustrieren das sehr anschaulich an folgendem Beispiel. Sie vergleichen die Wahrnehmung mit einer Filmkamera, durch die ebenfalls nur ein bestimmter Ausschnitt der Umwelt gesehen wird, bei dem weiterhin nicht alles im Bild scharf ist, sondern durch Fokussierung auf bestimmte Objekte oder Personen diese scharf gestellt werden. Soweit zu den Gemeinsamkeiten zwischen der Personenwahrnehmung und der Kamera. Der Unterschied besteht darin, dass die Kamera in der Lage ist, den Gegenstand, auf den sie fokussiert, „objektiv“ abzubilden, während der Mensch immer begleitet wird von seinem Vorwissen, seinen Einstellungen und Erwartungen, so dass er nie wirklich objektiv sein kann (Werth/Mayer, 2008, S. 26). Zudem beeinflussen Vorwissen, Einstellungen, Emotionen u.ä., welche Informationen überhaupt ausgewählt bzw. beachtet werden (Rosemann/Bielski, 2001, S. 134).
Das zweite bezeichnende Merkmal der interpersonalen Wahrnehmung besteht darin, dass man über das Wahrgenommene hinausgeht, indem man aus diesem auf andere, nicht beobachtete Eigenschaften schlussfolgert und so das Bild, das man sich von der Person gemacht hat, ergänzt und ausschmückt (Herkner, 2001, S. 277).
Schon aufgrund einer kurzen Begegnung entwickelt sich ein erster Eindruck der Person. Dieses Bild wird zur Grundlage unserer Handlungen: Es bestimmt und steuert unser Verhalten der betreffenden Person gegenüber, was wiederum deren Verhalten beeinflusst. Genau darin liegt auch die Bedeutsamkeit dieses Bildes und des berühmt berüchtigten ersten Eindrucks, die, wie bereits angedeutet wurde, ganz gewiss nicht als „Abbild der Person“ zu verstehen sind (Rosemann/Kerres, 1986, S. 35).
Das Besondere an der sozialen Wahrnehmung wird auch deutlich, wenn wir sie mit der Wahrnehmung physikalischer Objekte vergleichen. Die Objektwahrnehmung bezieht sich auf unmittelbar beobachtbare Merkmale, wie z.B. Größe, Gewicht, Form usw., so dass im Falle eines Wahrnehmungsfehlers, dieser durch genaueres Hinsehen korrigiert werden kann.
Die Wahrnehmung von Personen hingegen ist auf „verborgene“, nicht unmittelbar zugängliche Merkmale, wie z.B. Einstellungen, Intentionen und Persönlichkeitseigenschaften gerichtet, die erst erschlossen werden müssen. Daher können Fehler in der Personenwahrnehmung nicht so ohne Weiteres entdeckt und berichtigt werden (Forgas, 1999, S. 21).
Ist die Wahrnehmung anderer Personen als eine Kunst anzusehen, die nicht jeder beherrscht? Mit anderen Worten, gibt es sogenannte „Menschenkenner“, die mit einem Blick einen anderen Menschen „durchschauen“ können?
Im Alltag ist die Sichtweise auf die Personenwahrnehmung als eine Fähigkeit, eine Kunst, die gelernt werden will, weit verbreitet. Man denke an diverse Artikel in Frauenzeitschriften, die versprechen, uns den Schlüssel zum Tor der Menschenkenntnis zu öffnen.
Ein Artikel aus der Zeitschrift „freundin“ z.B. trägt die bezeichnende Überschrift „Die Kunst des Gedankenlesens“ und führt in das Thema mit dem Versprechen ein, „ Mit diesen sechs Strategien werden Sie schnell eine Meisterin in Sachen Menschenkenntnis“ (Schmiede, 2008). Der Kommentar eines Lesers dazu lautet: „[…] Trotzdem bin ich froh, dass es nur wenige Menschen gibt, die mit dieser gabe [!] gesegnet sindsonst gaebe [!]es keine Geheimnisse mehr […]“ (ebenda). Daraus wird deutlich, dass an eine Fähigkeit geglaubt wird, die in gewisser Weise zwar gelernt werden kann, aber doch auch als Gabe angesehen wird, die nur gewissen Menschen vorbehalten ist. Diese „Gabe“ erlaubt in diesem Sinne ein „vollkommenes Durchschauen“ des Menschen, in dem sogar zu den Geheimnissen des Menschen „vorgedrungen“ wird.
Eine kurze Recherche auf www.amazon.de führt zu einer Vielzahl von Büchern über dieses Thema, von denen einer den aufmerksamkeitsheischenden Titel „Ich weiß, was sie denken! Vier glasklare Methoden, Menschen zu durchschauen“ trägt (Autorin: Lillian Glass).
Solche Titel klingen sehr verlockend, denn „wer möchte nicht auch über ‚Menschenkenntnis’ verfügen, in die Geheimnisse der Körpersprache, die verdeckten Botschaften des Verhaltens, die Methoden zur exakten Interpretation der Persönlichkeit eingeweiht werden?“ (Rosemann/Kerres, 1986, S. 12).
Der Gedanke, andere zu „durchschauen“, ist auch mit dem Gefühl der Macht verknüpft. Wenn man weiß, wie der andere „wirklich“ ist, kann man sein Verhalten vorhersagen und somit leichter beeinflussen. In diesem Zusammenhang wird „typisch für eine technikgläubige Welt […] suggeriert, daß [!] alles nur eine Frage der richtigen Kenntnisse, des Eingeweihtseins in Expertenwissen sei“ (ebenda, S. 13).
So anziehend diese Vorstellung auch sein mag, ist sie doch nur eine Illusion. Denn die interpersonale Wahrnehmung ist, wie im Verlauf dieser Arbeit deutlich werden wird, kein passives Registrieren von Merkmalen, sondern ein höchst komplexer, vielschichtiger Vorgang der aktiven Auseinandersetzung mit dem anderen, deren selektives und konstruktives Moment kennzeichnend ist (Hartung, 2000, S. 30).
Schon bei der ersten Begegnung und mit nur wenigen Informationen bilden wir uns ein Urteil über andere. Wie funktioniert das? Wie kommen wir zu einem ganzheitlichen Eindruck über einen Menschen, obwohl unsere „Informationen über ihn in der Regel bruchstückhaft und unzusammenhängend sind“ (Forgas, 1999, S. 54)? Ein und dieselbe Person kann von verschiedenen Leuten ganz unterschiedlich eingeschätzt werden. Wie kommt das?
In diesem Abschnitt soll es darum gehen, sich dem Prozess der Personenwahrnehmung aus verschiedenen Perspektiven zu nähern.
Wenn wir auf einen Menschen treffen, erschließen wir unter anderem aus seinem Äußeren, seinem Verhalten oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe vielfältige Informationen über seinen Charakter oder seine Einstellungen. Auf die Frage, wie diese Einzelinformationen zu einem Gesamturteil integriert werden, versuchen algebraische Modelle Antwort zu geben. Im Einzelnen sollen an dieser Stelle das Summen- und das Durchschnittsmodell erörtert werden. Beide Modelle versuchen die Kombination der Einzelinformationen mit Hilfe von mathematischen Modellen abzubilden.
Wenn wir eine Person mit Eigenschaftsbegriffen charakterisieren, verbinden wir mit diesen gleichzeitig affektive Bewertungen. Wir empfinden eine bestimmte Eigenschaft als positiv oder negativ. Das Summenmodell besagt, dass unser Gesamteindruck von einem Menschen der Summe der Bewertungen der Einzelmerkmale entspricht (Rosemann/Kerres, 1986, S. 48).
Forgas erläutert das an folgendem Beispiel: „Halten wir […] Hans – unsere Zielperson – für ehrenwert und hilfsbereit – und haben wir diesen Eigenschaften auf unserer von –7 bis +7 reichenden, subjektiven Gunstskala die Werte 7 und 6 zuerkannt, beträgt der Gunstwert unseres Eindrucks von Hans 7+6 = 13“ (Forgas, 1999, S.57). Nach dem Summenmodell ist also der Eindruck von einer Person umso positiver, je mehr positive Eigenschaften ihr zugeschrieben werden. Dabei spielt die Größe der Bewertung der Eigenschaften keine Rolle. Das Hinzufügen einer Eigenschaft mit positivem Vorzeichen reicht aus, um das Gesamturteil zu verbessern. Wenn wir also Forgas Beispiel folgend über Hans in Erfahrung bringen würden, dass er Etiketten von Streichholzschachteln sammelt und dieses Merkmal mit +1 bewerten würden, dann steigt der Gunstwert unseres Eindrucks von ihm auf 14 (ebenda, S.57).
Das Durchschnittsmodell geht davon aus, dass sich der Gesamteindruck aus dem arithmetischen Mittel der Einzelbewertungen ergibt. Eine modifizierte Form des Modells, das gewichtete Durchschnittsmodell, berücksichtigt die Tatsache, dass die Eigenschaften nicht alle in gleichem Maße in die Eindrucksbildung einfließen (Rosemann/Kerres, 1986, S. 48 f.).
Das Hinzukommen einer marginal positiven Eigenschaft (Sammeln von Streichholzschachtelnetiketten) im Vergleich zu zwei sehr positiv bewerteten Eigenschaften (ehrenwert und hilfsbereit) würde dementsprechend unseren Eindruck verschlechtern (7+6+1/3=4,33). Das bedeutet, dass sich die Kenntnis von einem Merkmal nur unter der Voraussetzung, dass seine Bewertung günstiger ist als das bereits gebildete Urteil, positiv auf das Gesamturteil auswirkt (Forgas, 1999, S.57 f.). Das Durchschnittsmodell kommt also verglichen mit dem Summenmodell zu divergierenden Voraussagen. Nun stellt sich die Frage, welche der beiden Modelle eher geeignet ist, die Integration von einzelnen Merkmalen zu einem Gesamteindruck abzubilden.
Norman H. Anderson, ein wichtiger Vertreter dieser algebraischen Modelle der Informationsintegration, hat diverse Experimente dazu durchgeführt, von denen ein typisches im Rahmen dieser Arbeit nur kurz erwähnt werden soll.
Den Probanden wurden Eigenschaftsbegriffe mit bekanntem Wert für Liebenswertheit dargeboten, die eine fiktive Person beschrieben. Diese sollten anschließend von den Probanden dahingehend eingeschätzt werden, wie sympathisch sie ihnen sind. Die Ergebnisse sprechen insgesamt eher für das Durchschnittsmodell. Wenn der Eigenschaftsliste, die z.B. zwei hoch positiv eingeschätzte Merkmale enthielt, zwei schwach positive Merkmale zugefügt wurden, veränderte sich der Eindruck in die negative Richtung (Forgas, 1999, S. 58 f.).
Nach der Darstellung dieser mathematisch gefärbten Modelle drängt sich die Frage auf, inwiefern sie imstande sind, die Entstehung eines Eindrucks von einer Person in alltäglichen Interaktionen zutreffend zu beschreiben. Fungiert der Mensch in sozialen Begegnungen wirklich nur als ein „Verrechner“ von Informationen, der durch nachvollziehbare Rechenoperationen zu einem Bild seines Gegenübers gelangt?
Forgas führt dazu aus: „[…] wir [funktionieren] normalerweise nicht wie eine objektive Rechenmaschine, die auf Knopfdruck aus wahrgenommenen Reizen Mittelwerte bildet. Einige wenige hoch negative Informationen über einen Menschen können genügen, um – arithmetischer Durchschnitt hin oder her – bestehende positive Eindrücke zunichte zu machen“ (Forgas, 1999, S.60).
Ein weiterer Schwachpunkt der algebraischen Modelle bezieht sich auf den Umstand, dass die Bewertungen der Eigenschaften nicht unabänderlich feststehen, sondern kontextabhängig sind. So kann z.B. die Eigenschaft „stolz“ als positiv gelten, wenn sie eine unabhängige oder vertrauenswürdige Person beschreibt, aber als negativ bewertet werden, wenn sie zusammen mit der Beschreibung „arrogant“ oder „aggressiv“ vorkommt ( Forgas, 1999, S. 60).
Es sei noch angemerkt, dass ein so diffiziler und vielschichtiger Vorgang wie die Eindrucksbildung wohl kaum durch eine einzige Theorie bzw. ein einziges Modell hinreichend beschrieben werden kann. Vielmehr sind die verschiedenen Modelle oder Herangehensweisen so zu verstehen, dass sie den Gegenstand aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten und so zu einem besseren Verständnis dessen beitragen.
Weitere Perspektiven auf den Vorgang der Eindrucksbildung sollen im Folgenden thematisiert werden.
Wir treten in soziale Interaktionen nicht als eine Tabula rasa ein, die passiv die Merkmale ihres Gegenübers registriert bzw. aufzeichnet, sondern als ein Individuum mit einer persönlichen Geschichte, mit Erfahrungen, Vorinformationen und Annahmen (Hiebsch, 1986, S.34 f.). Die Wahrnehmung anderer Personen ist ein Vorgang aktiver und konstruktiver Auseinandersetzung mit dem Anderen, der sich nicht unabhängig von diesen Erfahrungen und Einstellungen des Wahrnehmenden vollzieht (Forgas, 1998, S.36).
Wir haben alle Vorstellungen darüber, wie bestimmte Merkmale mit anderen zusammenhängen. Stellen wir uns vor, dass wir einer Person zum ersten Mal begegnen und sie in der Situation freundliches Verhalten an den Tag legt, dann wird unser Eindruck von ihm sehr wahrscheinlich nicht nur aus dieser Information bestehen. Vielmehr wird sich in uns ein Bild entwickeln, dem wir andere Eigenschaften zufügen, die wir mit der Eigenschaft „freundlich“ assoziieren. Sollte uns dann z.B. ein Bekannter fragen, was für ein Mensch diese Person ist, dann würden wir sie wohl mit mehr Worten beschreiben können, als nur zu sagen, sie sei freundlich gewesen. Vielleicht würden wir sie weiter als gesellig, offen oder tolerant charakterisieren.
Dieser Umstand geht auf unsere implizite Persönlichkeitstheorie zurück, die erstmals 1955 von Cronbach so bezeichnet wurde (Herkner, 2001, S. 298). Implizite Persönlichkeitstheorien sind „[…] Theorien von Laien über die Verknüpfung von Eigenschaften, Vorstellungen darüber, welche Eigenschaften ‚zusammengehören’ und welche nicht […]“ (Rosemann/Kerres, 1986, S.44). Implizit werden diese Theorien genannt, da man sich über diese Annahmen nicht explizit bewusst ist und sie somit unbemerkt in die Eindrucksbildung einfließen (ebenda, S.44).
Solomon Asch, der mit seinen Studien zur Eindrucksbildung die Forschung zu den impliziten Persönlichkeitstheorien anregte, war basierend auf der Gestalttheorie der Ansicht, „daß (!) man danach strebt, sich auch dann ein vollständiges Bild über einen anderen Menschen zu machen, wenn man nur über unvollständige Informationen verfügt“ (ebenda, S. 42).
Demnach entsteht der Eindruck von einem Menschen nicht dadurch, dass man seine Merkmale addiert oder einen Durchschnitt aus ihnen bildet. Stattdessen werden die Merkmale als zusammengehörig erlebt. Dabei sind die Eindrücke auch strukturiert, so dass bestimmte Eigenschaften größeren Einfluss auf den Gesamteindruck haben als andere. Die einzelnen Eigenschaften konstituieren das Bild über den Anderen, werden aber auch wiederum von diesem Bild in ihrer Bedeutung beeinflusst, so dass man von einem wechselseitigen Zusammenhang sprechen kann (ebenda, S. 42 f.).
Nachfolgend soll einige wichtige Experimente von Asch skizziert werden, die diverse Experimente zur Erforschung impliziter Persönlichkeitstheorien nach sich zogen.
Asch legte seinen Versuchspersonen Listen mit Eigenschaftsbegriffen mit der Information vor, es handle sich um die Beschreibung einer bestimmten Person. Die Versuchspersonen hatten anschließend die Aufgabe, in Form von freien Beschreibungen und Ankreuzen einer Eigenschaftsliste ihren Eindruck von der Person wiederzugeben. In einer Bedingung enthielt die Liste die Eigenschaften „intelligent, geschickt, fleißig, warm, entschlossen, praktisch vorsichtig“. In der anderen Bedingung wurde lediglich die Eigenschaft „warm“ durch „kalt“ ersetzt (Frey/Greif, 1994, S. 434 f.).
Den im letzten Kapitel vorgestellten algebraischen Modellen der Eindrucksbildung zufolge dürfte der Gesamteindruck davon nicht allzu stark beeinflusst werden. Das Ergebnis von Aschs Experiment war jedoch, dass der Austausch eines einzigen Merkmals die Beurteilung ganz massiv beeinflusste. Der entstandene Eindruck in der „Warm“-Bedingung war eher positiv, in der „Kalt“-Bedingung hingegen eher negativ. Die mit „warm“ beschriebene Person wurde häufiger als großzügig, weise, glücklich, gutmütig, beliebt, gesellig und humorvoll charakterisiert als die Person, deren Beschreibung das Merkmal „kalt“ enthielt. Im Anschluss daran nannte Asch Eigenschaften, die den Gesamteindruck sehr stark bestimmen, zentrale Eigenschaften. In einer Variation des Experiments wurden die Eigenschaften „warm – kalt“ durch die Eigenschaften „höflich – plump“ ausgetauscht. Ob in der Liste „höflich“ oder „plump“ vorkam, schlug sich in dem Eindruck nur unwesentlicher nieder. Nach Asch hatten diese Eigenschaften also peripheren Status (Forgas, 1999, S. 55).
Es zeigte sich aber auch, dass die Zentralität einer Eigenschaft davon abhing, von welchen anderen Eigenschaften sie umgeben war. Des Weiteren gab es auch interindividuelle Unterschiede dahingehend, dass ein Merkmal, das für den einen zentral war, für den anderen peripheren Status haben konnte (Rosemann/Kerres, 1986, S. 44).
Wie sieht es aber bei der Wahrnehmung wirklicher Menschen in natürlichen Umgebungen aus? Sind Aschs Ergebnisse, die letztlich auf der Beurteilung von Wortlisten beruhen, auf die realen Wahrnehmungs- und Eindrucksbildungsprozesse übertragbar?
In einer Studie von Kelley wurde drei Gruppen von Studenten ein Gastdozent angekündigt, von dem sie vor Kursbeginn eine Beschreibung erhielten, die angeblich von einem seiner Freunde verfasst wurde. Die Rolle des Dozenten übernahm in zwei Gruppen dieselbe Person, in der dritten Gruppe eine andere Person. Die Beschreibung enthielt neben berufsbezogenen Informationen auch Eigenschaften, die sich mit den von Asch verwendeten größtenteils deckten und unterschied sich ebenfalls nur in den Begriffen „warm“ und „kalt“. So endete die Beschreibung mit folgendem Satz: „Wer ihn kennt, hält ihn für eine ziemlich kalte [sehr warmherzige] Person, fleißig, kritisch, praktisch und entschlossen“ (Kelley 1950, S. 56).
Der Dozent führte mit der Klasse eine zwanzigminütige Diskussion durch. Im Anschluss daran sollten die Studenten freie Beschreibungen über die Zielperson erstellen und sie zusätzlich bezüglich einer Reihe von Merkmalen einschätzen. Es stellte sich heraus, dass auch in dieser sehr realistischen Versuchssituation die Bezeichnung „warm-kalt“ den Eindruck maßgeblich beherrschte. Die Studenten, denen die „warm“-Vorinformation gegeben wurde, beurteilten den Dozenten durchgehend positiver als diejenigen, denen er als kalt angekündigt wurde. Die Einflussstärke dieser Beschreibungsmerkmale manifestierte sich auch in dem Umstand, dass „die ‚warm-kalt’-Variable im allgemeinen [!] Unterschiede in derselben Richtung für beide Stimulus-Personen hervorruft, obwohl beide in Persönlichkeit, Verhalten und in ihren Eigenheiten im Benehmen sehr unterschiedlich sind […]“ (ebenda, S. 60).
Weiterhin wirkten sich die Variablen auch auf die Interaktionsbereitschaft der Studenten aus. Aus der „warm“-Gruppe beteiligten sich deutlich mehr Studenten an der Diskussion (56%) als aus der „kalt“-Gruppe (32%) (ebenda, S. 61).
Aschs und Kelleys Ergebnisse weckten Interesse und regten zu weiterer Forschung an. In einer Studie wurden Studenten gebeten, ihre Dozenten bezüglich der Eigenschaften einzuschätzen, mit denen Asch in seinen Versuchen gearbeitet hatte. Wishner ermittelte anschließend die Korrelationen zwischen allen Eigenschaften und lieferte damit eine Erklärung für das Phänomen der Zentralität. Danach korrelierten die von Asch als zentral bezeichneten Eigenschaften am höchsten mit den Eigenschaften, die den Versuchspersonen zur Beschreibung ihres Eindrucks vorgelegt wurden, während die peripheren Merkmale nur niedrige Korrelationen aufwiesen (Wishner 1960, nach Rosemann, 1986, S. 45).
So können Aschs Ergebnisse also im Lichte der impliziten Persönlichkeitstheorie interpretiert werden. Wenn wir einer Person eine bestimmte Eigenschaft zuschreiben, „werden all jene Eigenschaften, die mit ihr hoch korreliert sind, in die Eindrucksbildung mit einfließen“ (ebenda, S. 45). Implizite Persönlichkeitstheorien kann man dementsprechend vereinfacht auch als eine Matrix von Korrelationen zwischen Eigenschaften definieren, die jeder mit sich herumträgt (Jahnke, 1975, S. 75).
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