Examensarbeit, 2012
107 Seiten, Note: 1,7
Geschichte Europas - Neueste Geschichte, Europäische Einigung
1 Einleitung
1.1 Quellen- und Literaturgrundlage
2 Die Stellung der Juden in Polen bis zum Ersten Weltkrieg (1914-1918)
2.1 Entwicklung des polnischen Judentums bis zu den Teilungen Polens (1772-1795)
2.2 Die Lage der Juden bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges (1914-1918)
3 Juden in der Zweiten Polnischen Republik (1918-1939)
3.1 Die Ausgangslage
3.2 Antisemitismus in den 1920er Jahren
3.2.1 Frühe antisemitische Tendenzen in der Politik
3.2.2 Die Haltung der polnischen Bevölkerung zu Juden
3.3 Antisemitismus in den 1930er Jahren
3.3.1 Zwangsemigration als Lösung?
3.4 Die Stellung der Katholischen Kirche
4 Polnische Juden während des Zweiten Weltkrieges (1939-1945)
4.1 Die jüdische Bevölkerung unter deutscher Besatzung
4.1.1 Die ersten Wochen der Okkupation
4.1.2 Ghettoisierung, Deportation und Massenmord
4.2 Polnisch-jüdische Beziehungen während der Besatzungsherrschaft
4.2.1 Die Reaktion der polnischen Gesellschaft
4.2.2 Die Haltung des polnischen Untergrundstaates
5 Polnische Juden in der Nachkriegszeit bis 1948
5.1 Die Frage der Mitschuld
6 Schlussbetrachtungen
7 Quellen- und Literaturverzeichnis
Als im Jahr 1985 der Dokumentarfilm „Shoah“[1] von Claude Lanzmann erschienen ist, führte dies in Polen zu einer Vereinigung ansonsten antagonistischer Parteien. Die sozialistische Regierung, die Katholische Kirche und ein Großteil der Bevölkerung reagierten empört und fühlten sich verleumdet.[2] Grund war die Wahrnehmung des fortbestehenden polnischen Antisemitismus, die Lanzmann mit Aussagen von Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges erzeugte. Nur zwei Jahre später stellte der Literaturwissenschaftler Jan Błoński in einem in der katholischen Wochenzeitung „Tygodnik Powszechny“ („Allgemeines Wochenblatt“) erschienenen Artikel „Biedni Polacy patrzą na getto“ („Die armen Polen schauen auf das Getto“)[3] die Frage, welche Schuld den Polen am nationalsozialistischen Judenmord zukomme. Damit löste er eine breite Diskussion aus und rückte den Antisemitismus als ein moralisches Problem ins Bewusstsein der polnischen Öffentlichkeit. Die heftigste Auseinandersetzung dieser Art löste der amerikanische Historiker Jan Tomasz Gross mit der Veröffentlichung seines Buches „Nachbarn“[4] im Jahr 2000 aus. Gross vertritt in seiner Publikation die Auffassung, dass das Massaker von Jedwabne am 10. Juli 1941, bei dem zwischen 300 und 400 Juden ermordet wurden, entgegen der geläufigen Meinung nicht von Deutschen sondern von der lokalen polnischen Bevölkerung initiiert wurde. Auch zwölf Jahre später spaltet die Diskussion um die polnische Eigenverantwortung am nationalsozialistischen Völkermord weiterhin die Gesellschaft. Ziel der vorliegenden Arbeit ist, anhand einer aussagekräftigen Quellen- und Literaturbasis die Erfahrungen polnischer Juden während des Zweiten Weltkrieges darzustellen, die 55 Jahre nach Kriegsende zu einer derartig heftigen Debatte über die Mitschuld der Polen am Holocaust führten. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen dementsprechend die polnisch-jüdischen Beziehungen während des Holocaust, sowohl in gesellschaftlicher als auch in politischer Hinsicht, und ihre Auswirkungen auf die Nachkriegszeit.
Die jüdische Bevölkerung spielte über Jahrhunderte eine bedeutende Rolle im kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben Polens. Besonders im Mittelalter galt das Königreich Polen als ein Zentrum jüdischen kulturellen Lebens und war bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges neben Palästina das Land mit der höchsten jüdischen Population. Das erste Kapitel der vorliegenden Untersuchung widmet sich daher dem Ursprung des polnischen Judentums sowie bedeutenden historischen Ereignissen, welche die gesellschaftliche, rechtliche und wirtschaftliche Stellung der Juden in Polen prägten und zu einer Diskrepanz zwischen den Lebensformen der westlichen und polnischen Juden führten. In der jahrhundertelangen Geschichte des polnischen Judentums haben sich die polnisch-jüdischen Beziehungen vielfältig ausgestaltet. Ihre starke Repräsentation im Handelswesen führte zu diversen Arten der Kooperation, aber auch zu Konflikten mit der christlichen Bevölkerung, deren Motive und Auswirkungen in der vorliegenden Untersuchung dargestellt werden. An dieser Stelle sind besonders zwei historische Phänomene und deren Folgen anzuführen. Zum einen beeinflussten die durch Österreich, Preußen und Russland bewirkten Teilungen Polens (1772-1795) die Entwicklung des Judentums sowohl in rechtlicher, sozialer als auch ökonomischer Hinsicht in besonderem Maße. Sie führten zu einer Trennung der dort ansässigen Juden, welche bis zu diesem Zeitpunkt in einer kulturellen Gemeinschaft relativ eng verbunden waren. Im darauf folgenden Jahrhundert veränderten zum anderen Wirtschaftskrisen, Industrialisierung und administrative Maßnahmen die Welt der Juden Osteuropas grundlegend und nahmen Einfluss auf die polnisch-jüdische Beziehung und den Antisemitismus in der Zweiten Polnischen Republik.
Die Zwischenkriegszeit stellt eine sehr kurze aber essentielle Periode dar. Viele Forschungsarbeiten beschäftigen sich zwar mit der jüdischen Situation im Zweiten Weltkrieg, aber die vorausgegangenen Ereignisse, die grundlegend für die Darstellung der polnisch-jüdischen Beziehung während des Holocaust sind, werden häufig außer Acht gelassen. Das zweite Kapitel der vorliegenden Arbeit konzentriert sich daher auf die komplexe Lage polnischer Juden in der Zweiten Polnischen Republik. Ausgangspunkt ist hierbei die Etablierung der Zweiten Polnischen Republik im Jahr 1918/19. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen antisemitische Programme rechter Parteien, ihre Argumentationsmuster, aber auch das Verhältnis liberaler und sozialdemokratischer Parteien zur jüdischen Minderheit. In der Zwischenkriegszeit gab es ein breites polnisches Parteienspektrum, so dass im Rahmen dieser Arbeit nur auf die wichtigsten politischen Kräfte eingegangen werden kann. In diesem Kontext wird demonstriert, dass der Antisemitismus in der Zweiten Polnischen Republik nicht geleugnet werden kann und der Fokus vielmehr auf seiner Unterscheidung zum mittelalterlichen Antijudaismus und zum nationalsozialistischen Antisemitismus liegt. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Frage nach dem Einfluss antisemitischer Programme auf die Beziehung zwischen Polen und Juden sowie deren gegenseitiger Wahrnehmung.
Mit der Weltwirtschaftskrise, der damit verbundenen Arbeitslosigkeit und dem zunehmenden Antisemitismus in ganz Europa kam es in der letzten Phase am Vorabend des Holocaust zu einem drastischen Niedergang der Stellung der jüdischen Bevölkerung. Nach dem Tod des Feldmarschalls Józef Piłsudskis 1935, der eine relativ freundliche Judenpolitik betrieb, suchte die „Sanacja“, das Regierungslager um Józef Piłsudksi, die Verbindung mit dem rechten Lager, um ihre Stellung im polnischen Staat zu sichern und einer drohenden Revolution der Linken entgegen zu wirken. Die „Judenfrage“ wurde immer häufiger zum zentralen Thema der polnischen Politik. Vor diesem Hintergrund wird auf die politischen Entwürfe rechter Parteien sowie auf die Maßnahmen der Regierung eingegangen und deren Auswirkungen auf die jüdische Minderheit in Polen transparent gemacht. Im Rahmen der zunehmenden sozialen und wirtschaftlichen Krisen propagierten politische Kreise immer häufiger eine vermeintliche „Überbevölkerung“ Polens und eine Zwangsemigration als ihre Lösung. Die vorliegende Arbeit beleuchtet zunächst den Begriff der „Überbevölkerung“, um anschließend die Emigrationspläne der Regierung sowie die Reaktion der jüdischen Bevölkerung auf die Auswanderungsdebatte darzustellen. Nicht zuletzt spielt bei der Darstellung der polnisch-jüdischen Beziehung der polnische Katholizismus eine besondere Rolle. Diese ergibt sich aus der politischen Funktion der katholischen Kirche, ihrer Haltung gegenüber der jüdischen Bevölkerung und ihrem Einfluss auf die polnischen Bürger. Daher wird der Frage nachgegangen, wie die polnische Kirche als moralische Instanz auf den Antisemitismus und seine Folgen für die jüdische Minderheit reagierte.
Nachdem in den ersten zwei Kapiteln dieser Arbeit die wechselhaften Beziehungen zwischen Juden und Polen skizziert werden, liegt der Fokus im dritten Kapitel auf der Zeit des Nationalsozialismus. Anhand von Anordnungen, Protokollen und Berichten wird das Ausmaß der nationalsozialistischen Judenverfolgung herausgearbeitet, dem sich die jüdische Bevölkerung in Polen ausgesetzt sah. Hierbei ist anzumerken, dass in der Literatur überwiegend zwischen der Judenverfolgung in den in das Deutsche Reich eingegliederten Gebieten und im sogenannten Generalgouvernement unterschieden wird. Ein Grund dafür ist, dass das Generalgouvernement im Gegensatz zu den annektierten Gebieten lange Zeit keiner Germanisierungspolitik unterlag. Es galt vielmehr als eine Art „Abladeplatz“ für unerwünschte Bevölkerungsgruppen. Auf die Unterschiede kann in der vorliegenden Arbeit jedoch nur eingeschränkt eingegangen werden. In der Regel wird von der Judenverfolgung im Allgemeinen gesprochen. Die polnisch-jüdische Beziehung wird hier anhand einer Unterscheidung in zwei zeitlich aufeinander folgenden Phasen transparent gemacht und ihre Reaktion auf die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung bewertet. Im Mittelpunkt der Erörterung stehen in erster Linie jüdische Zeitzeugenberichte, aber auch polnische Dokumente werden herangezogen, um die Haltung der polnischen Bevölkerung, wenn auch nur exemplarisch, wiederzugeben. Nicht zuletzt wird hierbei auch die Reaktion des polnischen Untergrundstaates auf den Völkermord an Juden näher beleuchtet. In diesem Zusammenhang spiegelt sich die Reaktion der polnischen Bevölkerung auf die Judenverfolgung und -vernichtung durch die Deutschen in der konspirativen Presse des polnischen Untergrundstaates wider. Im Mittelpunkt stehen der Verband für den bewaffneten Kampf (Zwiᶏzek Walki Zbrojniej, ZWZ) beziehungsweise die spätere Heimatarmee (Armia Krajowa, AK) sowie der Rada Pomocy Żydom“ (kurz: RPZ; Hilfsrat für Juden beim Bevollmächtigten der Regierung) mit dem Decknamen „Żegota“.
In einem abschließenden Kapitel wird die polnisch-jüdische Beziehung der Nachkriegszeit dargestellt. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, wie viele Juden nach Polen zurückkehrten, wie der polnische Staat diese aufnahm und wie sich das Verhältnis zwischen der jüdischen und einheimischen Bevölkerung entwickelte. Neben der polnisch-jüdischen Beziehung steht insbesondere die Judenpolitik der kommunistischen Machthaber im Mittelpunkt. Den Endpunkt des Untersuchungszeitraums bildet das Jahr 1948, nachdem sich das stalinistische System etabliert hatte und die sich seit 1946 entwickelnde jüdische Parallelstruktur zunehmend an Stabilität gewann. Durch die diskriminierende Judenpolitik der Kommunisten fand diese schließlich ein jähes Ende. Insgesamt ist die jüdische Geschichte in der ersten Phase Volkspolens noch voller Unklarheiten. Aus diesem Grund soll der knapp skizzierte Überblick Aufschluss darüber bringen, wieso die polnisch-jüdische Verständigung nach wie vor negativ geprägt ist, der auf polnischem Boden stattgefundene Völkermord an Juden bis zur Wende 1989 so gut wie gar nicht thematisiert wurde und wieso vor etwa einem Jahrzehnt mit der Publikation von Jan T. Gross „Nachbarn“ die Diskussion um die Mitschuld Polens am Holocaust entbrannte.
Wichtige Impulse für die Eruierung der Geschichte der polnischen Juden im Mittelalter und in der Neuzeit kamen unter anderem von Heiko Haumann[5] und Artur Eisenbach[6]. Für die Entwicklung des polnischen Judentums im ausgehenden 18. Jahrhundert und im 19. Jahrhundert sind die Arbeiten von Israel Bartal[7] und François Guesnet[8] zu nennen. Letzerer widmet sich insbesondere den demographischen Entwicklungen und wirtschaftlichen Strukturen des polnischen Judentums im 19. Jahrhundert.
Als Quellenbasis für die Darstellung der polnisch-jüdischen Beziehungen in der Zweiten Polnischen Republik dienten insbesondere die Quellensammlungen „Dzieje Polski 1918-1939“[9] und „Polska w latach 1918-1939“[10] Darüber hinaus waren einige Artikel der polnisch-jüdischen Zeitungen „Nasz Przeglᶏd“ [„Unsere Rundschau“] und „Nowy Dziennik“ [„Neue Tageszeitung“], in freundlicher Überlassung von Dr. Katrin Steffen, hilfreich bei der Darstellung der jüdischen Reaktion auf die Haltung der polnischen Gesellschaft. Für die Literaturbasis sind die grundlegenden Standardwerke von Joseph Marcus[11] und Pawel Korzec[12] sowie die Publikationen von Szyja Bronsztejn[13] und die Aufsatzsammlung von Antony Polonsky[14] anzuführen. Auf den zunehmenden Antisemitismus in den 1930ern konzentrierten sich insbesondere Emanuel Melzer[15], Yvaat Weiss[16] und Jerzy Tomaszewsky[17]. In diesem Kontext ist die Kontroverse um die Lage der polnischen Juden zu nennen. Besonders in der älteren Forschergeneration bezeichnet man die Lage der jüdischen Bevölkerung einerseits als desolat, andererseits als „optimistisch“.[18] So charakterisiert Ezra Mendelsohn die Zweite Polnische Republik als äußerst antisemitisch[19] und folgte somit jüdischen Forschern, die den Zweiten Weltkrieg überlebt hatten[20], polnisch-jüdischen Nachkriegshistorikern[21] sowie israelischen Publizisten.[22] Am deutlichsten beschreibt Celia Heller mit der Wahl des Titels für ihre Publikation „On the Edge of Destruction“[23] diese Auffassung. Der Historiker Shmuel Ettinger teilt ihre Ansichten.[24] Einen konträren Standpunkt dagegen vertreten in erster Linie Joseph Marcus und Norman Davies, die betonen, dass die Lage der jüdischen Bevölkerung in Polen oft aus ihrem Zusammenhang gerissen dargestellt werde und besonders von Zionisten als katastrophal bezeichnet worden wäre, um ihre eigene politische Situation zu rechtfertigen.[25] Dementsprechend bezeichnen Marcus und Davies die Armut Polens sowie die „Überbevölkerung“ als das tatsächliche Problem und widersprechen Celia Heller, die eine direkte Verbindung vom polnischen Antisemitismus der Zwischenkriegszeit zum Holocaust zieht.[26] In der Tat ist eine unmittelbare Verknüpfung nicht nachzuweisen, allerdings betont Szyja Bronsztejn zu Recht, dass de facto zahlreiche antijüdische Ausschreitungen und Pogrome in Polen stattgefunden hatten,[27] so dass der polnische Antisemitismus in der jüngeren Forschungsliteratur zum größten Teil nicht mehr dementiert wird. In der vorliegenden Arbeit wird folglich vielmehr auf die Wurzeln des polnischen Antisemitismus eingegangen.
Für die Darstellung des jüdischen Schicksals unter der deutschen Besatzungsherrschaft wurden insbesondere der vierte Band der Quellensammlung „Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland. 1933-1945“, die in der DDR herausgegebene Dokumentation „Faschismus-Getto-Massenmord“ und die Quellenauswahl „Polacy - Żydzi. Polen – Juden. Poles - Jews. 1939-1945“ herangezogen. Als wichtige Zeitzeugnisse sind die Tagebücher der polnischen Juden Emanuel Ringelblum, Chaim A. Kaplan und Ludwik Landau zu nennen, die einen wertvollen Einblick in das polnisch-jüdische Verhältnis geben.[28] Darüber hinaus konnten dank der freundlichen Mitarbeit des Jüdischen Historischen Instituts weitere Quellen herangezogen werden. Hinsichtlich der Literaturbasis muss an dieser Stelle betont werden, dass mittlerweile eine Vielzahl an Studien und Publikationen existiert, die sich mit der Judenverfolgung in Westeuropa auseinandersetzt. Dagegen herrschte bis vor einigen Jahren ein Mangel an Kenntnissen über die östliche Judenverfolgung, insbesondere in Polen. Erstaunlich ist dies angesichts der Tatsache, dass vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in der Zweiten Polnischen Republik die meisten Juden lebten und dort der Holocaust stattgefunden hat. Erst in den 1990er Jahren zeichnete sich eine neue Dynamik ab, in der sich überwiegend junge deutsche Historiker mit der Holocaustforschung in Osteuropa beschäftigen. Erste bedeutende Beiträge lieferte hierzu Dieter Pohl.[29] Einen wichtigen und jüngeren Beitrag zur Judenverfolgung und –vernichtung sowohl in den eingegliederten Gebieten als auch im Generalgouvernement stellt die Aufsatzsammlung von Jochen Böhler dar. Zu den einschlägigen Werken, die die polnisch-jüdischen Beziehungen thematisieren, gehört die Publikation von Klaus-Peter Friedrich, in der er die wichtigsten Zeitungen des Untergrundstaates analysiert[30]. Friedrich verdeutlicht mittels einer Auswertung ihrer Stellungnahmen Entwicklungen in der polnisch-jüdischen Beziehung sowie die Reaktionen der polnischen Gesellschaft auf den NS-Völkermord.
Die Geschichte der Juden in der ersten Phase der Nachkriegszeit, insbesondere ihre starke geographische Konzentration in Niederschlesien ist bisher nur ungenügend erforscht. Auf deutscher Seite ist hierbei die Dissertation von Andreas R. Hofmann[31] zu nennen, der darlegt, dass sich eine neue jüdische Geschichte in der Nachkriegszeit entwickelt hat. In Polen selbst sind die kurzen Beiträge von Szyja Bronsztejn[32] und Arnold Goldsztejn[33] erschienen, die jedoch die Thematik kaum problematisierend darstellen. Für die vorliegende Arbeit sind insbesondere die Aufsätze von Andrzej Żbikowski und Frank Golczewski herangezogen worden[34]. Darüber hinaus konnten mit Hilfe des Archive in Breslau (Archiwum Państwowe w Wrocławiu) verwendet werden.
„… ich fand, ich müßte mich mal einmal über die Juden orientieren. Ich fand, ich kannte eigentlich Juden nicht. […] Ich fragte also mich und fragte andere: Wo gibt es Juden? Man sagte mir: In Polen. Ich bin darauf nach Polen gefahren …“[35].
Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs (1914-1918) war Polen neben Palästina das Land mit dem höchsten jüdischen Bevölkerungsanteil.[36] Spätestens für das 11. Jahrhundert lassen sich Hinweise für die Existenz jüdischer Gemeinden im Königreich Polen finden[37], auch wenn die Ursprünge und Umstände der frühen jüdischen Ansiedlung in Osteuropa in der Forschung kontrovers diskutiert werden. Von einer andauernden Existenz jüdischer Gemeinden in Polen sprechen Historiker erst ab dem ausgehenden 13. Jahrhundert, in dem die ersten großen Migrationswellen aus dem Westen, vor allem aus den deutschsprachigen Gebieten, erfolgten. Einer Klärung bedürfen die Motive der massenhaften Flucht in den Osten, aber auch die Reaktion der polnischen Herrscher, die die Zuwanderung auch ganzer jüdischer Gemeinden nicht nur tolerierten, sondern gar förderten.[38] Ausschlaggebend für eine Emigration aus westeuropäischen Ländern waren insbesondere wirtschaftliche sowie religiöse Restriktionen, aber auch Pogrome, wie die Kreuzzüge in den Jahren 1096 und 1146/1147.[39] Die positive Aufnahme der sich in Polen ansiedelnden Juden ergab sich insbesondere durch ihren Nutzen für die Wirtschaftsentwicklung, da sie vorwiegend im Handelswesen tätig waren. Zudem konnten polnische Fürsten von ihren günstigen Krediten profitieren.[40] Das Statut von Kalisz, das vom polnischen Herzog Bolesław V. im Jahre 1264 erlassen wurde, garantierte den Juden uneingeschränkte Handelstätigkeit, den Schutz der Person und des Eigentums sowie Religionsfreiheit.[41] In den folgenden Jahrhunderten dehnten sich die jüdischen Gemeinden geographisch und demographisch aus und gründeten im 14. Jahrhundert unter anderem im polnischen Lwów/Lemberg (1356), Sandomierz/Sandomir (1367) und in Kazimierz/Kasimir (1386) die ersten Judenviertel sowie Dörfer und Kleinstädte, die allgemein unter dem Begriff „Schtetl“ bekannt sind.[42]
Das Statut, seine rechtlichen Erweiterungen in den darauf folgenden Jahrhunderten und die damit verbundenen Sonderrechte ermöglichten bis zur Schaffung des Doppelstaats Polen-Litauen im Jahre 1569 eine Entfaltung des Judentums und eine fast vollständige Autonomie der jüdischen Gemeinden. Das hohe Maß an Autonomie fand vor allem im sogenannten Vierländer-Sejm (hebräisch: Wa’ad arba arazot: Der „Judenreichstag“) seinen Ausdruck, einer Einrichtung, die sich 1581 konstituierte, bis 1764 Bestand hatte und als höchste Instanz die gesamte jüdische Bevölkerung in Polen und Litauen repräsentierte. Der Sejm setzte sich aus Vertretern jüdischer Gemeinden der einzelnen Landkreise Polens, Litauens und Rutheniens zusammen und bestimmte auf Sitzungen, die etwa zweimal im Jahr stattfanden, die Höhe der zu zahlenden Steuern. Darüber hinaus löste das jüdische Parlament auch Konflikte zwischen Juden und Christen, auch wenn aus staatlicher Sicht seine wichtigste Funktion im Bereich der steuerlichen Machtbefugnisse lag.[43] Die autonomen jüdischen Gemeinden, die eine eigene oligarchische Struktur hatten, darüber hinaus aber auch im politischen und wirtschaftlichen System des polnischen Königreiches integriert waren, gründeten bereits in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts „überkommunale, regionale Gremien (va’ade ha-galil, Landtage) sowie landesweite Organisationen (va’ade ha-’aratzot, Länderräte)“.[44]
Polnische Juden waren kulturell, sprachlich und religiös besonders in erster Linie deutsch geprägt. Aufgrund der aus deutschsprachigen Ländern lang andauernden Immigrationsbewegungen in den Osten und der damit verbundenen Konnektivität zum Herkunftsland behielten sie die deutsche Komponente auch lange bei. Allerdings bildete mit „zunehmender Größe und wachsender Kreativität auf gesellschaftlicher wie kultureller Ebene […] die polnische Judenheit immer markantere Eigenmerkmale aus“[45], die später zu essentiellen Differenzen zwischen den östlichen und westlichen Juden führten. Dies spiegelt sich auch in der Berufsausübung wider. Während sich die mittel- und westeuropäischen Juden hauptsächlich auf das Kreditwesen konzentrierten, gingen Juden im Osten auf diversen Gebieten des Handels und der Produktion auch Pachtverhältnisse mit dem polnischen Landadel ein und waren unter anderem als Schankwirte, Verwalter und Steuereintreiber tätig. Aufgrund dieser Stellung kam den Juden in Polen eine ökonomische Funktion zu, so dass sie einen Interessensverband mit dem Adel bildeten. Die jeweiligen Herrscher neigten daher dazu, sie auf dem Land anzusiedeln. Dieser Besiedlungsprozess verstärkte sich vor allem im 16. sowie zu Beginn des 17. Jahrhunderts und führte dazu, dass polnische Juden in den verschiedensten Domänen der Landwirtschaft tätig waren.[46] Die genannten Erwerbstätigkeiten widersprechen dem Klischee, dass Juden im Allgemeinen keine Landwirte, sondern hauptsächlich Städter gewesen seien.[47]
Obwohl das Judentum in Polen im Mittelalter eine kulturelle Blütezeit erlebte, zeichneten sich zunehmend antijüdische Haltungen gegenüber den Immigranten ab. Insbesondere Mitglieder der Katholischen Kirche verlangten bereits im 13. Jahrhundert die Errichtung und Kennzeichnung eigener jüdischer Wohnviertel. Gleichzeitig forderten sie ein Verbot für Juden, öffentliche Ämter zu bekleiden und einen Ausschluss aus wirtschaftlichen Geschäften. Grund hierfür war die zunehmende Rivalität zwischen christlichen und jüdischen Kaufmännern. Letztere pflegten nicht nur internationale Beziehungen, sondern besaßen zudem weitreichende Kompetenzen im Bereich des mediterranen Verkehrswesens.[48] Synoden, welche die diskriminierenden Forderungen zusammenfassten, wurden in Wrocław/Breslau (1267), Buda (1279) und Łęczyca/ Lentschitza (1285) verordnet[49], zeigten jedoch keine negativen Auswirkungen auf die wirtschaftliche Tätigkeit. Dies ist vermutlich nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die polnischen Herrscher von der Handelstätigkeit der Juden profitierten. Für die Hohe Gerichtsbarkeit war der polnische König selbst zuständig, jedoch gab es durch Konzilbeschlüsse und Gewohnheitsrecht Unterschiede in den einzelnen Orten. In einigen Städten unterlagen Juden Einschränkungen hinsichtlich ihrer Berufswahl und Niederlassungsfreiheit, in anderen wurden sogar entsprechende Verbote verhängt. Das bekannteste Verbot war die „Privilegia de non tolerandis Judaeis“, ein Wohnverbot für Juden, das in mehreren Städten konsequent eingehalten wurde. Einige jüdische Viertel, wie die Judenstadt in Kazimierz 1568, reagierten ihrerseits mit einem Niederlassungsverbot für Nicht-Juden, das in der „Privilegia de non tolerandis Christianis“ festgehalten wurde.[50] Unrealistisch war das Wohnverbot für Christen in manchen Orten, in denen Juden mit einem Anteil von etwa 80% die Mehrheit stellten, nicht.[51] Tatsächlich gilt diese immense Bevölkerungsdichte als eines der prägnantesten Charakteristika der jüdischen Bevölkerung und hatte zur Folge, dass sich die jüdische Minderheit in Polen als „ethnische Gruppe mit einer besonderen Identität“[52] betrachtete. Für die Unruhen und Konflikte lassen sich des Weiteren auch religiöse Motive nennen, denen besonders antijüdische Stereotypen zugrunde lagen. So warf man den Juden Ritualmord an christlichen Kindern und allgemeine Religionsvergehen, wie Hostienschändung, vor. Die Streitigkeiten und Vorwürfe endeten immer häufiger in tätlichen und teilweise grausamen Vertreibungen jüdischer Gemeinden. Ihren Höhepunkt fanden sie im Jahre 1648, als ukrainische Bauern unter Bogdan Chmielnicki[53] gegen den polnischen Landadel protestierten und sich ihre Wut an Juden entlud, die allgemein als Vertreter des polnischen Adels gesehen wurden. In ihren „Vermittlerrollen“ stellten Juden für die Bauern „die Personifizierung feudalherrschaftlicher Ausbeutung dar, da sie den Grundherrn nie zu Gesicht bekamen“[54] und gerieten folglich in den sozialen Konflikt beider Parteien. Den Angriffen der ukrainischen Bauern fielen geschätzt 13000 Juden zum Opfer.[55] Zu dem Zeitpunkt waren etwa 500.000 Juden in der Adelsrepublik Polen ansässig und stellten 5% der polnischen Gesamtbevölkerung und des Grossfürstentums Litauen. Für das 15. Jahrhundert schätzt man den Anteil der Juden an der Gesamtheit der polnischen Bevölkerung noch auf 0,6%, also ca. 18.000 jüdische Einwohner im Königreich Polen und 6.000 in Litauen.[56] Im Sommer 1764 kam es mit der Aufhebung des Vierländersejms zu einer Schwächung der autonomen jüdischen Gemeinden. Grund hierfür war das Ziel des polnischen Königs Stanisław August Poniatowski, die polnische Politik stärker zu zentralisieren, um weiterhin die Unabhängigkeit Polens zu bewahren. Vorbilder sah er vor allem in der konstitutionellen Monarchie Englands und in den Ideen der Aufklärung. Zweifellos fanden sich besonders in den Kreisen des Adels, die weiterhin für das dezentralisierte Herrschaftssystem einstanden, vehemente Gegner seiner Idee einer zentralisierten Neugestaltung. Trotzdem wurden einige seiner Reformen verabschiedet, und gerade die ersten betrafen die Auflösung der jüdischen Gremien in Polen und Litauen.[57]
Deutlich ist hier zu erkennen, dass die Entwicklung jüdischer Gemeinden sowohl temporal als auch regional zum Teil unterschiedlich verlaufen ist. Der größer werdende jüdische Anteil an der polnischen Gesamtbevölkerung führte zur Bildung einer autonomen politischen Organisation, die von den jeweiligen Herrschern aus verschiedenen Gründen geduldet wurde. Dies ergab sich insbesondere aus dem ökonomischen Nutzen für die polnischen Könige, die dennoch das Verhalten ihrer Bürger nicht diktieren konnten. In der Bevölkerung machte sich zunehmend, wenn auch regional unterschiedlich, Unmut breit über das wirtschaftliche Erstarken der Juden. Darüber hinaus spielten auch religiöse Motive eine Rolle bei antijüdischen Ausschreitungen. Insgesamt gestaltete sich jedoch das Zusammenleben beider Bevölkerungsgruppen im Königreich Polen nicht schlechter als in anderen Ländern des damaligen Europas und in einigen Zeiträumen sogar besser. Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund vollzogen sich in der zweiten Hälfte des 18. Jh. die polnischen Teilungen (1772-1795), welche großen Einfluss auf das polnisch-litauische Königreich und seine Politik sowie auf die polnische und jüdische Gesellschaft hatten.
Die durch Österreich, Preußen und Russland bewirkten Teilungen der polnisch-litauischen Adelsrepublik, die von 1772 bis 1795 schrittweise vollzogen wurden, beeinflussten insbesondere die Entwicklung des Judentums in Polen. Sie führten zu einer Trennung der dort ansässigen jüdischen Gemeinden, die bis zu diesem Zeitpunkt zu einer kulturellen Gemeinschaft verschmolzen waren.[58] Russland übernahm bei der ersten Teilung Regionen im Nordosten, während Teile des nordwestlichen Polens 1793 an Preußen fielen, Österreich annektierte in der letzten Teilung 1795 fast die gesamten südöstlichen Gebiete. Die neue jüdische Minderheit in Preußen passte sich kulturell und gesellschaftlich den deutschen Juden an, die in gesellschaftlich weitaus integrierter waren als jüdische Gemeinden in Osteuropa. Ein Grund hierfür ist, dass sich die jüdische Lage im Königreich Preußen nach dem Dreißigjährigen (1618-1648) allmählich stabilisierte und die jüdische Besiedlung vermutlich durch die Peuplierungspolitik König Friedrichs II. (1740-1787) wieder zunahm. Die größte Gruppe Juden, die in den an Russland und Österreich fallenden Gebieten ansässig waren, blieb weiterhin ethnisch selbstständig.[59] Die gravierendste Veränderung zu diesem Zeitpunkt war jedoch die mit den Teilungen einhergehende Revision der Judenpolitik.[60] Nachdem die erste Teilung Polens bereits 1772 vollzogen worden war, stellte sich die Frage nach der politischen Form des Reststaates Polen. Erst 1788 traten hierzu polnische Abgeordnete im sogenannten „Vierjahressejm“ in Warschau zusammen, wo eine Verfassung ausgearbeitet wurde, die das Prinzip der Volkssouveränität beinhaltete und am 3.Mai 1791 proklamiert wurde. Darüber hinaus wurde auch die Stellung polnischer Juden thematisiert, sowohl in rechtlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Im Rahmen dieser Debatte griff man auf den Stereotyp des „unnützen“ und für die Wirtschaft „schädlichen“ Juden zurück, der in den folgenden Jahrhunderten immer wieder aufgegriffen werden sollte. Die Reformvorschläge basierten zum größten Teil auf den Ideen der französischen Aufklärung.[61] „Die Forderungen reichten von der Abschaffung der kommunalen Selbstverwaltung über die Umsiedlung der überzähligen „nicht produktiven“ jüdischen Bevölkerung in neue Gebiete bis zur Aufrechterhaltung der Autonomie unter staatlicher Kontrolle.“[62] Als die neue Verfassung am 3. Mai 1791 schließlich verabschiedet wurde, war die jüdische Bevölkerung in Polen ohne politische Rechte.[63]
Mit Vollendung der Teilungen im Jahr 1795 oblag die Judenpolitik nicht mehr dem polnischen Herrscher, sondern den Teilungsmächten. Weder das zaristische Russland noch das Königreich Preußen unterstützten die Ideen der französischen Aufklärung und der Revolution. Im Gegenteil, sie sahen darin eine Gefahr für die eigene politische Macht auf Grundlage der Monarchie. Potentielle Konflikte mit der jüdischen Bevölkerung dürften daher gegenüber der politischen Stabilität zunächst in den Hintergrund getreten sein. Der polnische Adel wurde infolgedessen in die Ständeordnung der einzelnen Teilungsmächte integriert und behielt - zumindest eine Zeit lang[64] - den größten Teil seiner Privilegien. Hiervon profitierten zunächst jene Juden, die weiterhin ihre „Vermittlerrollen“ zwischen den polnischen Bauern und der Aristokratie einnahmen. „Eine gesellschaftliche Revolution gab es [also] nicht, und überhaupt änderte sich auf lokaler Ebene nichts an der gewohnten Lebensweise. Die Juden […] führten ihr Leben unter den alten ökonomischen Verhältnissen weiter; das Feudalsystem wurde nicht abgeschafft, sondern blieb noch mehrere Jahrzehnte bestehen.“[65] Dennoch wurden weite Teile der jüdischen Bevölkerung mit zwei Vorgängen konfrontiert, die konträr verliefen: Formal bestanden die Autonomie und die eigene Rechtsprechung der jüdischen Gemeinden in der ehemaligen Adelsrepublik Polen zwar zum größten Teil fort, gleichzeitig verfolgten die Teilungsmächte das Ziel, diese zu dezimieren. Unter den Fremdherrschaften entfiel daher insbesondere die Gleichberechtigung. Erst mit der Gründung Österreich-Ungarns 1867 erhielten Juden im österreichischen Galizien wieder das Bürgerrecht; im Großherzogtum Preußen schon 1862.[66] Zu diesem Zeitpunkt war die jüdische Bevölkerung neben den genannten politischen Umbrüchen auch demographischen und berufsstrukturellen Veränderungen ausgesetzt. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war von einer Urbanisierung gekennzeichnet, die auf die Industrialisierung zurückzuführen ist. Darüber hinaus vertrieb der Landadel die Juden aus dem landwirtschaftlichen Sektor und nahm insbesondere die Getreide- und Alkoholproduktion in Besitz, die bis dahin auf dem Land die Haupterwerbsquelle polnischer Juden dargestellt hatte. Daraufhin ließen sich diese vor allem in Städten, wie Warschau und Lodz, die besonders von der Industrialisierung erfasst wurden, nieder. Bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert erfuhr die Landwirtschaft daher eine tiefgreifende Strukturveränderung.[67] Die Zweckbeziehung, die zwischen Juden und dem Adel bis zu diesem Zeitpunkt trotz Pogromen und den Teilungen Polens fortbestanden hatte, fand mit der Verdrängung der Juden aus dem Agrarbereich folglich ihr Ende.[68] Der Ausschluss aus dem landwirtschaftlichen Sektor knüpfte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Städten an, in denen es aufgrund der genannten Umstände zu einem Überangebot an Händlern und Handwerkern gekommen war. Auch aus dieser Domäne versuchte man die Juden zu verdrängen, allerdings mit weniger Erfolg als im landwirtschaftlichen Bereich.[69] Im Zuge des gesellschaftlichen Wandels passten sich viele Juden an die fortschrittliche Lebensweise an. Einige derjenigen, die eine Ausbildung an deutschen Universitäten genossen hatten oder zum Protestantismus konvertiert waren, waren im industriellen Bereich überaus erfolgreich. Trotzdem ist hierbei festzuhalten, dass mit Entstehung der Großindustrie ein Großteil der jüdischen Bevölkerung, der immer noch hauptsächlich im traditionellen Handel und Handwerk tätig war, in Armut geriet.[70] So erinnert sich auch Arthur Ruppin, dass nur ein sehr kleiner Anteil jüdischer Erwerbstätiger eine „halbwegs gefestigte und normale Existenz“ hatte.[71] Im ausgehenden 19. Jahrhundert waren etwa 40% der 1,3 Millionen[72] in Polen lebenden Juden verarmt.[73] Hinzu kam, dass durch die blühende Wirtschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das 1815 gegründete Kongresspolen neben der anwachsenden Urbanisierung einen erneuten starken Zustrom an Juden erfuhr.[74] Über 500.000 Juden ließen sich in Polen nieder, so dass 1883 über eine Millionen Juden in Polen gezählt wurden und ihr Anteil an der polnischen Gesamtbevölkerung bei 14,5% lag.[75] Dementsprechend sahen sich sowohl jüdische als auch polnische Familien einer knappen und deswegen überteuerten Wohnraumsituation ausgesetzt.[76]
Hinsichtlich der polnisch-jüdischen Beziehungen ist anzumerken, dass gerade in diesem Zeitraum zahlreiche pogromartige Überfälle auf die jüdischen Gemeinden fielen. Der Beginn der Industrialisierung und die damit einhergehende Entstehung einer modernen Sozialstruktur boten eine Basis für erneute antijüdische Ausschreitungen. Die Verdrängung und der Ausschluss der Juden aus verschiedensten Bereichen sowie die damit verbundene Arbeitslosigkeit riefen erneut Diskussionen hervor, die sich mit der wirtschaftlichen Funktion der Juden und einer „Nützlichmachung“ bzw. Produktivierung derselben beschäftigten. Der bereits erwähnte Stereotyp des „unproduktiven“ Juden diente auch hier als Grundlage.[77] Gleichzeitig nahm in den von Juden beherrschten Berufen wie dem Handwerk und dem Handel sowie in den freien Berufen die Rivalität zu.[78] Die herkömmlichen antijüdischen Einstellungen gingen in nationalistische Diskriminierung über und der Begriff des „Antisemitismus“ setzte sich zu diesem Zeitpunkt nicht nur in Polen, sondern in ganz Europa durch. Antisemitische Programme rechter Parteien, die vor allem im 19. Jahrhundert beginnende Verelendung der jüdischen Bevölkerung in Osteuropa und zahlreiche Pogrome hatten Auswanderungswellen in westeuropäische Länder und die USA zur Folge. Die Emigrationsbewegung in ganz Europa führte zur Errichtung des sogenannten Ansiedlungsrayons, einem Gebiet, das im Westen des Russischen Kaiserreichs lag. Durch einen Erlass von Katharina II., die eine Immigration der aus Polen, Galizien und Ungarn kommenden Juden ablehnte, durften Juden nur in diesem Gebiet leben, arbeiten und das Rayon nur mit Erlaubnis verlassen.[79] Die Emigration aus Kongresspolen ist nur schwer zu bewerten. Sie ist Teil einer in ganz Europa stattfindenden „säkularen Wanderbewegung“[80], in deren Prozess etwa 20 Millionen Menschen Europa verließen. Auf der anderen Seite zog die florierende Wirtschaft Polens auch viele Juden an, so dass trotz der immensen Wanderbewegung vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges etwa 2 Millionen Juden in Polen lebten und ca. 15,0% der polnischen Gesamtbevölkerung stellten.[81] Von einer einseitigen Wanderbewegung aufgrund von Berufsverboten, Diskriminierung und Pogromen kann also nicht ausgegangen werden.
Im Allgemeinen kann hier konstatiert werden, dass die Teilungen (1772-1795) im Vergleich zur vorangegangenen Phase zu nachteiligeren Veränderungen für die jüdische Bevölkerung führten. Von einer einheitlichen polnischen Judenpolitik konnte zu diesem Zeitpunkt keine Rede sein. Die Situation sowohl der Polen als auch der Juden gestaltete sich in den Gebieten der Teilungsmächte unterschiedlich und wechselhaft, ganz allgemein betrachtet wurden sie staatlich diskriminiert. In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts machten sich ernste Differenzen hinsichtlich der Interessen und des Einsatzes von Juden bemerkbar, die im Zuge der Industrialisierung entstanden. Ein Teil konnte sich der modernen Lebensweise anpassen, ein Großteil verarmte jedoch. Auch wird hier ersichtlich, dass die beträchtlich anwachsende jüdische Gemeinde und die bereits im vorangegangen Kapitel erwähnte Toleranz gegenüber ihrer autonomen Organisation dazu führten, dass polnische im Vergleich zu deutschen Juden zu Beginn der Teilungen kaum assimiliert bzw. in die polnische Gesellschaft integriert waren. Dieser Umstand spielt eine wichtige Rolle bei der Bewertung der polnisch-jüdischen Beziehungen in der Zweiten Polnischen Republik.
Während des Ersten Weltkrieges (1914-1918) sah sich die jüdische Bevölkerung in Polen aufgrund der angespannten Situation diversen Anschuldigungen, Konflikten und gesetzlichen Restriktionen ausgesetzt, die von Unruhen und antijüdischen Ausschreitungen begleitet wurden. Besonders litten Juden unter der russischen Staatsgewalt, die sie der Kollaboration mit Deutschland verdächtigte. Nach dem Vormarsch deutscher Streitkräfte löste die zaristische Regierung den Ansiedlungsrayon auf und deportierte viele Juden nach Russland.[82] Als der Erste Weltkrieg 1918 beendet wurde, hofften viele Juden mit der Entstehung eines neuen polnischen Staates „ auf eine Rückkehr zu den Idealen der multi-ethnischen, toleranten polnisch-litauischen Adelsrepublik, während viele Polen einen ethnisch homogenen Nationalstaat favorisierten“.[83] Obwohl Polen mit dem Ende des Ersten Weltkrieges seine staatliche Souveränität wiedererlangte und nach den Bestimmungen des Versailler Vertrags auch international als unabhängige Republik anerkannt wurde, war die Zeit zwischen 1918 und 1920/21 von Unabhängigkeitskämpfen und Kriegen gegen Sowjetrussland und gegen die Westukrainische Volksrepublik geprägt. Ferner musste die polnische Regierung nach 123 Jahren Fremdherrschaft die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systeme der Teilungsmächte integrieren, ändern oder aufeinander abstimmen.[84] Im Zuge des Polnisch-Sowjetischen Krieges (1919-1921) und der Kampfhandlungen mit der Ukraine wurden jüdische Gemeinden immer häufiger der Kollaboration bezichtigt, die zu zahlreichen Übergriffen und Pogromen – wie am 22. November 1918 in Lwów/Lemberg- führten. Derartige Entwicklungen spielten unter anderem bei den Friedensverhandlungen in Versailles eine Rolle. Die alliierten Siegermächte setzten im Vertrag einen Minderheitenschutz[85] fest, den Polen am 28.Juni 1919 unterzeichnen musste. Das Abkommen garantierte der jüdischen Bevölkerung zwar staatsbürgerliche Rechte, den Schutz der Person und Religionsfreiheit, änderte aber wenig an der antijüdischen Haltung eines Großteils der polnischen Bevölkerung,[86] die den Vertrag als aufgezwungen empfanden. Zu vollwertigen polnischen Staatsbürgern wurden polnische Juden gesetzlich mit der März-Verfassung von 1921.[87] Allerdings erschwerten wirtschaftliche Krisen, soziale Probleme und die zunehmend antijüdische Stimmung in ganz Europa die Integration der jüdischen Bevölkerung in Polen. Durch den hohen jüdischen Bevölkerungsanteil verbreiteten sich antisemitische Parolen besonders schnell. Nach dem Ersten Weltkrieg waren nahezu 10,5% der Bevölkerung – etwa 3.000.000 - in Polen Juden und gehörten zu den nationalen Minderheiten, die etwa ein Drittel der polnischen Gesamtbevölkerung ausmachten.[88] In den westlichen Wojewodschaften bewohnten Juden hauptsächlich Dörfer und Kleinstädte, die wirtschaftlich schwach entwickelt waren.[89] In einigen Orten im Osten Polens stellten sie sogar die Mehrheit der Einwohner. 1931 lag der Anteil der Juden in den fünf größten Städten – Warzsawa/Warschau, Łódź/Lodsch, Vilna/Wilna, Kraków/Krakau und Lwów/Lemberg - im Schnitt bei 30,6%.[90] Insgesamt lebten 76,4% der jüdischen Bevölkerung in Städten.[91] In beruflicher Hinsicht waren Juden auch in der Zwischenkriegszeit hauptsächlich im Handelswesen vertreten, in dem sie 1921 einen Anteil von 58,7% stellten. In der Landwirtschaft waren es nur 0,7%.[92] 1931 waren nahezu 80% der in Warszawa/Warschau lebenden Juden im Handwerk, im Handel und in der Industrie tätig. Nur etwa 4% arbeiteten im landwirtschaftlichen Bereich.[93] Des Weiteren waren polnische Juden auch in den freien Berufen stark vertreten. In Warschau waren 66,4% der Ärzte und 36,8% der Rechtsanwälte jüdisch.[94] Den hohen Anteil polnischer Juden in einigen Berufszweigen nutzten zahlreiche Parteien und Organisationen zu Propagandazwecken. Auf diese Weise konnten sie erheblichen Einfluss auf die polnische Bevölkerung nehmen, die sich insbesondere während der wirtschaftlichen Krisen von der jüdischen Minderheit bedroht sah.
[...]
[1] hebräisch: „das Unheil“, „die Katastrophe“.
[2] Vgl. Hirsch/Engelking, Unbequeme Wahrheiten, S.22.
[3] Vgl. Błoński, Die armen Polen schauen auf das Ghetto, in „Tygodnik Powszechny”, 11.1.1987. http://tygodnik.onet.pl/30,0,21303,1,artykul.html (eingesehen am 29.6.2012).
[4] Vgl. Gross, Jan T., Nachbarn, Der Mord an den Juden von Jedwabne.
[5] Vgl. Haumann, Geschichte der Ostjuden.
[6] Vgl. Eisenbach, The Four Years‘ Sejm and the Jews.
[7] Vgl. Bartal, Geschichte der Juden im östlichen Europa 1772-1881.
[8] Vgl. Guesnet, Polnische Juden im 19. Jahrhundert.
[9] Vgl. Dzieje Polski 1918-1939. Wybor tekstow zrodlowych.
[10] Vgl. Polska w latach 1918-1939. Wybor tekstow zrodlowych do nauczania.
[11] Vgl. Marcus, Social and Political History.
[12] Vgl. Korzec, Juifs en Pologne.
[13] Vgl. Bronsztejn, Ludność żydowska w Polsce w okresie międzywojennym,
[14] Vgl. Polonsky u.a., Jews in Independent Poland 1918-1939.
[15] Vgl. Melzer, No Way out.
[16] Vgl. Weiss, Deutsche und polnische Juden.
[17] Vgl. Tomaszewksky, Niepodległa zeczpospolita.
[18] Siehe Polonsky, Introduction, S. xv.
[19] Vgl. Mendelsohn, Interwar Poland, S. 130-139.
[20] Vgl. Lestschinsky, Jabob: The Anti-Jewish Program, S. 141-158.
[21] Vgl. Korzec, Paweł, Juifs en Pologne; Vgl. Ebd., Antisemitism in Poland as an Intellectual, Social and Political Movement, S. 12-104.
[22] Antony Polonsky nennt hierfür Shlomo Netzer, Ma'avak yehudei polin al zekhuyoteihem ha'ezrḥiyot vehal' umiyot (1918-1922), Tel Aviv 1982 und Emanuel Meltzer, Ma'avak medimi bemalkodet: Yehudei polin 1935-1939, Tel Aviv 1982. Siehe Polonsky, Introduction, S. xvi.
[23] Siehe Heller, On the Edge of Destruction.
[24] Siehe Shmuel Etinnger, „The Modern Period“, S. 959.
[25] Vgl. Davies, God’s Playground, Vol. 2, S.240-266; Vgl. Marcus, Social and Political History of the Jews in Poland 1919-1939, S. 231.
[26] Vgl. Heller, on the Edge of Destruction; Vgl. Marcus, Social and Political History of the Jews in Poland 1919-1939, S. 231; Vgl. Davies, God’s Playground, Vol. 2, S. 240-266.
[27] Vgl. Bronsztejn, Polish-Jewish Relations as Reflected in Memoirs of the Interwar Period, S. 87; Vgl. Auch Gᶏsowski, The Second Republic and its Jewish Citizens, S. 132.
[28] Vgl. Ringelblum, Kronika getta warszawskiego; Vgl. ebd., Ghetto Warschau; Vgl. ebd., Stosunki polski-zydowskie; Vgl. Kaplan, Buch der Agonie; Vgl. Landau, Kronika lat wojni I okupacji.
[29] Vgl. Pohl,Von der Judenpolitik zum Judenmord; Vgl. Pohl, Nationalsozialistische Judenverfolgung in Ostgalizien.
[30] Vgl. Friedrich, Der nationalsozialistische Judenmord und das polnisch-jüdische Verhältnis im Diskurs der polnischen Untergrundpresse (42-44).
[31] Vgl. Hofmann, Die Nachkriegszeit in Schlesien.
[32] Vgl. Bronsztejn, Szyja: „Uwagi o ludności żydowskiej na Dolnym Ślᶏsku w pierwszych latach po wyzwoleniu“, in: Biuletyn Żydowskiego Instytutu Historycznego 75 (1970), S. 31-54.
[33] Goldsztejn, Arnold, „Powstanie skupsika ludności żydowskiej na Dolnym Ślᶏsku w latach 1945-47“, in: Sobótka 22 (1967), S. 191-202.
[34] Vgl. Żbikowski, Die Erinnerung an den Holocaust in Polen; Vgl. Golczewski, Die Ansiedlung von Juden in den ehemaligen Ostgebieten Polens 1945-1951.
[35] Siehe Döblin, Reise in Polen, S. 352.
[36] Vgl. Michael, Davidstern, S.11.
[37] Vgl. Friedrich, Verfolgung, S. 14. Für das 12. Jahrhundert bestätigen u.a. hebräische Schriftzeichen im polnischen Kalisz/Kalisch die Beschäftigung jüdischer Münzer. Vgl. hierzu Lübke, Grundlagen des Judentums, S. 43. Lübke setzt ferner bei der Darstellung der Anfänge und der Entfaltung des Judentums im östlichen Europa zunächst im Süden – in den nördlichen Küstenregionen des Schwarzen Meeres – an, wo Juden bereits in der römischen Zeit angesiedelt waren.
[38] Vgl. Friedrich, Verfolgung, S. 14; Vgl. Wyrozumski, Jews, S.13f; Vgl. auch Horn, Juden in Polen, S. 9.
[39] Vgl. Friedrich, Verfolgung, S. 14; Vgl. Lübke, Grundlagen des Judentums, S. 39-43.
[40] Vgl. Lübke, Grundlagen des Judentums, S. 46; Vgl. Friedrich, Verfolgung, S. 14; Vgl. Holger, Davidstern, S. 16f.
[41] Vgl. Kodeks dyplomatyczny wielkopolski, Bd. 1, Nr. 605.
[42] Vgl. Horn, Juden in Polen, S. 11. Zur Rekonstruktion der „Schtetl“ und zum jüdischen Leben in diesen siehe Kłańska, Maria: Aus dem Schtetl in die Welt. 1772 bis 1938. Ostjüdische Autobiographien in deutscher Sprache. Wien [u.a.] 1994 (Literatur und Leben Bd. 45).
[43] Vgl. Friedrich, Verfolgung, S. 15; Vgl. Haumann, Geschichte der Ostjuden, S. 29f.
[44] Siehe Bartal, Geschichte der Juden, S. 28. Zur Struktur der verschiedenen Gremien und deren Funktionen siehe Ebd., S. 28-31. Zu den regionalen Unterschieden der jüdischen Organisationen siehe Hundert, Gershon David: The „Kehilla” and the Municipality in Private Towns at the End of the Early Modern Period. In: The Jews in Old Poland 1000-1795. Hrsg. v. Antony Polosnky [u.a.]. London u. New York 1993, S. 174-185.
[45] Siehe Bartal, Geschichte der Juden, S. 25.
[46] Vgl. Ebd., S. 25f.
[47] Vgl. Schlör, Juden sind Städter, S. 341. Schlör lehnt die gängige Auffassung, dass Juden Städter waren, ab. Ferner verwendet Schlör neue Quellen für die beiden Zugänge zu dem Thema des Stereotyps, das er bereits in einem anderen Aufsatz behandelt hat. Siehe hierzu Schlör, Joachim: Siebzehntes Bild: Der Urbantyp. In: Antisemitismus. Vorurteile und Mythen. Hrsg. v. Julius H. Schloeps und Joachim Schlör. München 1995, S. 229-240.
[48] Vgl. Lübke, Grundlagen des Judentums, S. 48; Vgl. Friedrich, Verfolgung, S. 15.
[49] Vgl. Kodeks dyplomatyczny wielkopolski, Bd. 1, Nr. 423, 487, 551.
[50] Vgl. Horn, Juden in Polen, S. 12.
[51] Vgl. Bartal, Geschichte der Juden, S. 48.
[52] Siehe Ebd., S. 49.
[53] Chmielnicki war ein ukrainischer Kosakenhetman und gegen die Herrschaft Polen-Litauens. Er begründete den ersten Kosakenstaat. Vgl. hierzu den Aufsatz „Chmielnicki, Bogdan Zinovi“ in The Jewish Encyclopedia: http://nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:hebis:30-180012359059. (eingesehen am 13.2.2012).
[54] Siehe Michael, Davidstern, S. 17.
[55] Vgl. Friedrich, Verfolgung, S. 15; Vgl. Lübke, Grundlagen des Judentums, S. 46f. Lübke erwähnt ferner frühere stattgefundene pogromartige Überfälle.
[56] Vgl. Horn, Juden in Polen, S. 11. Nach älteren Schätzungen lag die Zahl der polnischen Juden schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts bei etwa 100.000. Vgl. hierzu Poliakov, Geschichte des Antisemitismus, Bd 2, S. 151. Poliakov merkt jedoch zugleich an, dass diese Zahl nur mit Vorsicht zu behandeln sei, zumal bis zum 18. Jahrhundert sichere Grundlagen für derartige Schätzungen fehlten. Laut der Enzyklopädie des Holocaust lag für den genannten Zeitraum die Zahl der Juden, die in Polen lebten, bei annähernd 30.000, für 1648 bei 300.000. Vgl. hierzu Enzyklopädie des Holocaust, Bd. II, „Polen“, S. 1130.
[57] Vgl. Bartal, Geschichte der Juden, S. 38.
[58] Vgl. Friedrich, Verfolgung, S. 16. Bartal spricht von einer „Auflösung des größten jüdischen Kollektivs, das zu Beginn der Moderne eines einzigen Reiches gelebt hatte.“ Siehe hierzu Bartal, Geschichte der Juden, S. 33.
[59] Vgl. Bartal, Geschichte der Juden, S. 44.
[60] Hinsichtlich der von den einzelnen Teilungsmächten bestimmten Judenpolitik gab es Unterschiede, auf die hier aber nicht näher eingegangen werden kann. Für einen kurzen Überblick vgl. Ebd., S. 67-92.
[61] Vgl. Eisenbach, Four Years‘ Sejm, S. 79ff.
[62] Siehe Bartal, Geschichte der Juden, S. 39.
[63] Vgl. Ebd., S. 41 u. 44.
[64] In den meisten russischen Gebieten Zentralpolens herrschte intern weiterhin die polnische Aristokratie. In anderen Gebieten und in Litauen dezimierte man diese Autonomie, die nach der Niederlage des polnischen Aufstands von 1863 völlig abgeschafft wurde. Vgl. hierzu Bartal, Geschichte der Juden, S. 45.
[65] Siehe Ebd., S. 44.
[66] Vgl. Friedrich, Verfolgung, S. 16; Vgl. Bartal, S. 40f, 44.
[67] Vgl. Guesnet, Polnische Juden, S. 32f und die Tabellen 2-4 auf S. 34f.
[68] Vgl. Ebd., S. 91.
[69] Vgl. Ebd., S. 88f, 98.
[70] Vgl. Friedrich, Verfolgung, S. 17; Vgl. Haumann, Geschichte der Ostjuden, S. 101-109. Hier erklärt Haumann auch die Bezeichnung „Luftmensch“ und ihren Ursprung. Der Begriff wurde eben für jenen verarmten Teil der jüdischen Bevölkerung gebraucht, der jede Gelegenheit nutzte, um Geld zu verdienen.
[71] Siehe Ruppin, Briefe, S. 35.
[72] 14% der Gesamtbevölkerung Polens.
[73] Vgl. Weinryb, Wirtschaftsgeschichte, S. 60; Vgl. Haumann, Geschichte der Ostjuden, S.103. Zu den Ursachen und verschiedenen Erscheinungsformen der jüdischen Armut in Osteuropa vgl. Juden und Armut in Mittel- und Osteuropa. Hrsg. von Stefi Jersch-Wenzel [u.a.]. Köln [u.a.] 2000.
[74] Vgl. Friedrich, Verfolgung, 16.
[75] Vgl. Friedrich, Verfolgung, S. 16; Zur Bevölkerungsentwicklung im 19. Jahrhundert vgl. ebenfalls Guesnet, Polnische Juden, S. 31.
[76] Vgl. Guesnet, Polnische Juden, S. 34.
[77] Vgl. Ebd., S. 89-92.
[78] Vgl. Michael, Davidstern, S. 18. Allerdings stellten Juden in diesem beruflichen Bereich, in dem sie seit dem Mittelalter vertreten waren, nur einen sehr kleinen Anteil. Vgl. hierzu Guesnet, Polnische Juden, S. 99. Guesnet erwähnt hier die statistische Arbeit des Bankiers und Eisenbahnbauers Jan Block (1836-1902), der für die Jahre 1884 und 1885 die Berufsstruktur der jüdischen Bevölkerung in Polen darstellte. Demnach lag nach Ermittlung der Berufe in 86.588 Haushalten der Anteil der Juden in den freien Berufen bei 1%, im Handel bei 45,5% und im Handwerk bei 43,2%. Allerdings wirft Guesnet hier ein, dass in 110.575 Haushalten die wirtschaftlichen Tätigkeiten nicht ermittelt werden konnten.
[79] Vgl. Friedrich, Verfolgung, S. 16; Vgl. Guesnet, Polnische Juden, S. 42f.
[80] Siehe Guesnet, Polnische Juden, S. 42.
[81] Vgl. Kaplun-Kogan, Sprach- und Kulturgemeinschaft, S. 3.
[82] Vgl. Haumann, Geschichte der Ostjuden, S. 196f.
[83] Siehe Friedrich, Verfolgung, S. 18.
[84] Vgl. Tomaszewski, Civil Rights, S. 120.
[85] Juden wurden sogar in zwei Artikeln des Minderheitenschutzvertrages namentlich erwähnt. Vgl. hierzu Levene, Britain, S. 15.
[86] Vgl. Enzyklopädie des Holocaust, Bd II, „Polen“, S. 1131; Vgl. Friedrich, Verfolgung, S. 18; Vgl. Haumann, Geschichte der Ostjuden, S. 198.
[87] Art. 95: „Rzeczpospolita Polska zapewnia na swoim obszarze zupełną ochronę życia, wolności i mienia wszystkim bez różnicy pochodzenia, narodowości, języka, rasy lub religii.“ Art.109: „Każdy obywatel ma prawo zachowania swej narodowości i pielęgnowania swojej mowy i właściwości narodowych. Osobne ustawy państwowe zabezpieczą mniejszościom w Państwie Polskiem pełny i swobodny rozwój ich właściwości narodowościowych przy pomocy autonomicznych związków mniejszości o charakterze publiczno-prawnym w obrębie związków samorządu powszechnego. Państwo będzie miało w stosunku do ich działalności prawo kontroli oraz uzupełnienia w razie potrzeby ich środków finansowych.“ Weiterhin betreffen auch die Artikel 110 – 116 die Minderheiten in Polen. Siehe hierzu: Verfassung vom 17. März 1921, in: Dokumente und Materialien zur ostmitteleuropäischen Geschichte - Modul Zweite Polnische Republik, bearbeitet von Heidi Hein, [2006-10-26 10:04]: http://quellen.herder-institut.de/M01/texte/Abt02/Dok03.doc/TextQuelle_view (eingesehen am 10. März 2012).
[88] 1921 lebten etwa 2.849.000 Juden in Polen und stellten somit 10,5 % der polnischen Bevölkerung, ein Viertel aller Juden und ein Drittel aller europäischen Juden. Nur in Palästina war der Anteil höher. 1931 stellten Juden 9.8% der Bevölkerung. In der Zwischenkriegszeit waren “nur” 68,9% der Gesamtbevölkerung Polen. Vgl. hierzu Żebrowski, Dzieje, S. 7; Vgl. Davies, God’s Playground, S. 404; Vgl. Bronsztejn, Polish-Jewish Relations, S. 15; Vgl. Levene, Britain, S. 15. Einen Überblick über die ethnische Situation im Vielvölkerstaat Polen nach 1918 bietet Simoncini, Gabriele: The Polyethnic State. National Minorities in Iinterbellum Poland, in: Nationalities Papers 22 (1994), Ergänzungsband Nr.1: Ethnopolitica in Poland, S. 5-28.
[89] Vgl. Orla-Bukowska, Shtetl Communities, S. 90.
[90] Vgl. Bronsztejn, Polish-Jewish Relations, S. 66; Vgl Orla-Bukowska, Shtetl Communities, S. 90.
[91] Vgl. Bronsztejn, Polish-Jewish Relations, S. 66; Vgl. Gᶏsowski, Second Republic, S. 130.
[92] Vgl. Michael, Davidstern, S. 18f. Im Jahr 1921 waren 22,1% der im Verkehrswesen tätigen Juden, im Schulwesen und in der Kultur 21,5%, in der Industrie 21,3% und im Hausdienst 5,1%.
[93] Vgl. Bronsztejn, Ludność żydowska, S. 67-85; Vgl. Haumann, Geschichte der Ostjuden, S. 200f.
[94] Vgl. Drozdowski, Warszawiacy, S. 103.
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