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Magisterarbeit, 2003
97 Seiten, Note: 1,5
1. Thema und Abgrenzung
1.1. Ziel der Untersuchung
1.2. Aufbau und Inhalt der Untersuchung
2. Eine gender- sensible Betrachtung des Bedeutungsfeldes ‘Empowerment’
2.1. Strukturelle Determinanten von Disempowerment
2.2. Zur Zentralität des Machtdiskurses im Empowerment- Ansatz . . .
2.3. Das Idealmodell eines Empowerment- Prozesses
3. Untersuchung von Mikrokrediten der Grameen- Bank als Instrument des Frauen- Empowerments
3.1. Zwischen Tradition und Neubeginn: Veränderungspotentiale der gesellschaftlichen Position von Frauen in Bangladesch
3.1.1. Rahmenbedingungen: Lebensalltag bengalischer Frauen
3.1.2. Zur Relativität normativer Ansprüche
3.2. Projektverlauf und Hintergründe der Grameen- Bank
3.3. Evaluierungen zur Grameen- Bank
3.3.1. Herangehensweisen von Evaluierungen mit Empowerment bejahendem Ergebnis
3.3.2. Herangehensweisen von Evaluierungen mit Empowerment verneinendem Ergebnis
3.3.3. Ursachen für heterogene Ergebnisse im Forschungsdiskurs
4. Die Empowerment- Wirkungskette dargestellt am Beispiel von Mikrokrediten der Grameen- Bank
4.1. Die Visibilisierung des ‘unsichtbaren Geschlechts’ als Auslöser einer Wirkungskette
4.1.1. Die erste Hürde: Motive für das aktive Heraustreten aus Marginalisierung und Fremdbestimmung
4.1.2. Mehr als bloße Kreditsicherheit: Die Erzeugung eines Wir- Gefühls in den Frauenspargruppen
4.1.3. Die Bedeutung von Vorbildern und Innovatoren
4.2. Wandel der Wahrnehmung: Prozesse soziokultureller Aufwertung
4.2.1. Partizipation als selbstwertdienlicher Mechanismus
4.2.2. Von der Hausfrau zur Familien- Ernährerin: Auswirkungen auf das haushaltsinterne Machtgefüge
4.2.3. Anerkennung oder Duldung? Zur Außenwahr- nehmung und Akzeptanz von Kreditnehmerinnen in der bengalischen Gesellschaft
4.3. Neue Horizonte: Allokation von Krediten als erstmalige Chance einer eigenständigen Lebensgestaltung
4.3.1. Die Bedeutung eines Bewusstseins für monetäre
Mechanismen als Grundlage für individuelle Lebens- Planung
4.3.2. Beseitigung formaler Barrieren: Die Erschließung überindividueller Handlungsoptionen
4.3.3. Handlungsfelder zwischen Kapitalvermehrung und - konvertierung
4.4. Empowerment - Chance zur Überwindung des klassischen Determinismus oder Schaffung von Frauen- Nischen?
4.5. Schwierigkeiten und Barrieren im Empowerment- Konzept der Grameen- Bank
4.6. Investitionen in die Zukunft: Zu Nachhaltigkeit und Perspektiven gesellschaftlichen Wandels
5. Fazit und Ausblick: Multidimensionales Erklärungs- modell zur Erklärung von Empowerment
6. Anhang
7. Literaturverzeichnis
7.1. Publikationen
7.2. Datenquellen
Alle enthaltenen Abbildungen wurden erzeugt mit Corel Presentations 8
Abb. 1: Mögliche Indikatoren von Frauen- Empowerment
Abb. 2: Modellverlauf eines Empowerment- Prozesses
Abb. 3: Vergleich von Empowerment- Indikatoren bei Grameen- Bank Kundinnen und Nicht- Kundinnen
Abb. 4: Schematische Darstellung der multidimensionalen Wirkungs- weise eines kredit- initiierten Empowerment- Mechanismus
Abb. 5: Vergleich des Drohpunktes bei Grameen- Bank Kundinnen und Nicht- Kundinnen
Abb. 6: Vergleich von Indikatoren zur Einstellung gegenüber geschlechtsspezifischer innerfamiliärer Ungleichbehandlungen bei Grameen- Bank Kundinnen und Nicht- Kundinnen
Abb. 7: Vergleich von Indikatoren zu geschlechtsspezifischen inner- familiären Ungleichbehandlungen bei Grameen- Bank Kundinnen und Nicht- Kundinnen
Abb. 8: Empowermentindikatoren und Entwicklungsindikatoren des UNHDR (1996- 2002) für Bangladesch
Abb. 9: Einfluss der Kreditaufnahme bei der Grameen- Bank auf den Bildungszugang der Kinder (geschlechtsspezifische Unterschiede)
Abb. 10: Vergleich der Nutzungshäufigkeit von Verhütungsmitteln bei Grameen- Bank Kundinnen und Nicht- Kundinnen
Abb. 11: Modell zur Beschreibung von Empowerment- Mechanismen
Anhang Abb. I: Bangladesch und die Grameen- Bank: Überblick über landesweite Verbreitung, Daten und Fakten
Anhang Abb. II: Hierarchie- Struktur bei der Entscheidung über Kredite
Anhang Abb. III: The Sixteen Decisions
Anhang Abb. IV: Frauenarbeit/ Männerarbeit
Für Frauen und Mädchen in Entwicklungsländern1 lassen sich wachsende ökono- mische Ungleichheiten und geringe Möglichkeiten der Partizipation am sozialen und politischen Leben diagnostizieren. Zahlreiche Publikationen und wissen- schaftliche Studien2 weisen auf diese Sachlage hin. Der feministische Diskurs beschränkt sich jedoch heute nicht mehr auf deterministische Problemanalysen, die Beschreibung andauernder struktureller Suppression, bzw. das Anklagen von Ausbeutungsstrukturen. Vielmehr wird die aktuelle Debatte von der Erkenntnis bestimmt, dass es zur Überwindung von Ungleichheiten und Marginalisierung unerlässlich ist, die in vielen Untersuchungen vorherrschende Betrachtung der Frauen als unterdrückte und hilfebedürftige Wesen aufzubrechen (vgl. Lachen- mann 1989: III), und Entwicklung und Wandel nicht mehr länger ausschließlich als positiv für Männer und negativ für Frauen wahrzunehmen (vgl. Bliss u.a. 1994: 22ff.). Aus diesem Bewusstsein heraus entstanden in den vergangenen Jahr- zehnten verschiedenartige Konzepte3, welche allesamt das gemeinsame Ziel ver- folgen, weibliche Handlungsoptionen zu erweitern und sie denen der Männer an- zunähern. Eines der neueren Konzepte, der Empowerment4 - Ansatz, erfährt seit geraumer Zeit besondere Beachtung in der feministischen Entwicklungsdebatte. Er unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt deutlich von ehemals propa- gierten staatlichen „Top- Down- Maßnahmen“ (Bliss u.a. 1994: 31), mit deren Hilfe die praktischen und strategischen gender- Bedürfnisse5 von Frauen ‘behoben’ werden sollten. Ziel von Empowerment- Konzepten ist vielmehr ein „Bottom- Up- Prozeß“ (Bliss u.a. 1994: 34): Behandelten frühere Entwicklungsmaßnahmen arme Menschen (insbesondere Frauen) als unmündig und unfähig, eigene Interes- sen zu formulieren (vgl. Kabeer 1994: 230) und konzentrierten sich in erster Linie auf männliche Bedürfnisse, so legen Empowerment- Strategien den Fokus auf die Fähigkeit (hier: der Frauen), selbst Initiative zu ergreifen und die Verbesserung ihrer persönlichen Lebenssituation in die eigene Hand zu nehmen. Sie propagieren die Abkehr vom Defizit- Blick auf Menschen in schwierigen Lebenssituationen hin zu einem „Blick auf die Menschenstärken“ (Herriger 2002: 3), indem sie Ver- trauen in die Fähigkeit der Einzelnen zu Selbstbestimmung und Autonomie setzen. So wird die defizitäre Wahrnehmung weiblicher Positionen6 in den Hinter- grund gerückt, um Strategien Platz zu machen, welche den Frauen die „Stärkung und Erweiterung der Selbstverfügungskräfte [...] zur (Wieder- )herstellung von Selbstbestimmung über die Umstände des eigenen Lebens“ (Herriger 1992: 231) ermöglichen. Vertreter von Empowerment- Konzepten sehen in dieser Stärkung eine elementare Grundvoraussetzungen dafür, dass es auch den Frauen der Ent- wicklungs- bzw. Schwellenländer zukünftig möglich sein wird, als zentrale Ak- teurinnen an der Gestaltung von sozialem und politischen Wandel mitzuwirken.
Als eine der prominentesten Institutionen, die das Empowerment von Frauen als explizites Projektziel formuliert, gilt die Grameen- Bank (wörtl. übersetzt: Dorf- Bank) von Bangladesch. Das Konzept dieser Bank beruht auf der Erkenntnis, dass Kapitalmangel und die damit einhergehende Ressourcenknappheit zu den Haupt- problemen armer Menschen gehören, deren einziges Kapital ihre Arbeitskraft dar- stellt (vgl. Bittner 1995: 1). Mit der Bereitstellung dieses fehlenden Kapitals in Form eines ausgeklügelten Systems der Mikrokredit- Vergabe an Frauen unterhalb der Armutsgrenze will die Bank die Grundlage für eine aktive Selbsthilfe schaf- fen, auf welcher sich Empowerment, sowohl auf individueller, als auch auf struktureller Ebene, herausbildet.
Ziel der vorliegenden Untersuchung ist, darzustellen, wie mit einer relativ kleinen, sehr begrenzten Maßnahme, nämlich der Mikrokredit- Vergabe an Frauen, im Ent- wicklungsland Bangladesch7 ein Empowerment- Mechanismus in Gang gesetzt wird. Die Darstellung des prozesshaften Charakters von Empowerment steht dabei im Mittelpunkt des Interesses, d.h. Frauen- Empowerment wird als das Ergebnis einer komplexen, von vielen Faktoren abhängigen Wirkungskette betrachtet. Aus wechselnden Blickwinkeln wird analysiert, unter welchen sozio- kulturellen Prä- missen und auf welchen einander zum Teil reziprok bedingenden Ebenen gesell- schaftlichen Zusammenlebens dieser Prozess abläuft. Es ist ein Anliegen dieser Untersuchung, den Blick zu schärfen für die mit der Kreditallokation zusammen- hängenden Mechanismen des Wandels, und herauszufinden, wie die Grameen- Mitgliedschaft die Situation der Frauen direkt oder indirekt beeinflusst.
Zudem wird untersucht, ob aus dem Kreditprogramm der Grameen- Bank gesamtgesellschaftliche Effekte entstehen, und ob solche Effekte das Potential für eine langsame Umstrukturierung bestehender Herrschaftsverhältnisse in Bangladesch beinhalten. Eine Kernfrage lautet also: Inwieweit gehen von der Mikrokreditvergabe Impulse aus, die den Kreditnehmerinnen eine schrittweise Überwindung von struktureller Unterdrückung und Fremdbestimmung ermöglichen?
Die Operationalisierung des Empowerment- Begriffes unter gender- sensiblem Vorzeichen und damit zusammenhängenden Aspekten (z.B. unterschiedlichen Machtkonzeptionen) nimmt den ersten, konzeptionellen Teil dieser Arbeit ein. Hier wird der Diskussionsrahmen für weiterführende Überlegungen abgesteckt. Einer Einführung in soziale, kulturelle und politische Lebensbedingungen benga- lischer Frauen und in die Arbeitsweisen der Grameen- Bank folgt schließlich die Untersuchung von Mikrokrediten der Grameen- Bank als Instrument des Frauen- Empowerments. Zu diesem Zweck werden zunächst unterschiedliche beispielhafte Evaluierungsberichte, die sich der zu untersuchenden Thematik auf verschiedenste Weise nähern, einander gegenübergestellt und verglichen8. Dort, wo die Ergebnis- se eklatant voneinander abweichen wird hinterfragt, ob dies empirische, konzeptu- elle oder methodologische Ursachen hat und welche Konzeptualisierung von Macht hinter den jeweiligen Ansätzen auszumachen ist. Zweck dieser Gegenüber- stellung heterogener Evaluierungen ist es, Stärken und Schwächen der einzelnen Ansätze aufzuzeigen und eindimensionale, gender- Aspekte verkennende Heran- gehensweisen zu demaskieren.
All diese Überlegungen bilden das Argumentationsfundament, auf dessen Grund- lage am Beispiel des Grameen- Konzeptes ein zur Erklärung von Empowerment- Prozessen geeigneteres Analysemodell entwickelt wird, in welchem die Mecha- nismen von Empowerment als Wirkungskette betrachtet werden. Die Ausarbei- tung dieses Modells steht im Zentrum der vorliegenden Untersuchung. Dabei wird sowohl auf kulturelle und gender- relevante Bedingungen, als auch auf immanente Schwächen des Empowerment- Ansatzes der Grameen- Bank eingegangen.
Um die bei einer derartigen Analyse implizite Gefahr eigene Ziele und Normen in den Vordergrund zu stellen, zu minimieren, wird besonderer Wert darauf gelegt, stets die Interessen der Akteurinnen, also der Kreditnehmerinnen im Blickfeld zu behalten, bzw. die gesellschaftliche Einbettung ihrer Entscheidungen und ihr sinn- haftes Handeln zu thematisieren. In die Überlegungen fließen die Resultate von verschiedenen unabhängigen9 Evaluierungen, sowie von solchen, die unter der Schirmherrschaft der Grameen- Bank, bzw. intern erhobenen wurden10 ebenso mit ein, wie allgemeines Datenmaterial zur Lebenssituation bengalischer Frauen11.
Zur theoretischen Untermauerung werden außerdem verschiedene soziologische Erklärungsansätze hinzugezogen. Abschließend erfolgt, in Form eines Fazits, die schematische Darstellung des in der Analyse entwickelten Modells zur Betrachtung von Empowerment- Mechanismen als Wirkungskette.
Um ein klares Bild des in dieser Arbeit zu untersuchenden Konzeptes des Frauen- Empowerments zu zeichnen, ist es sinnvoll, zunächst die Bedeutung des Begriffes Empowerment näher zu beleuchten. Es handelt es sich um einen normativen, ein- en Zielzustand beschreibenden Begriff (vgl. Herriger 1997: 11). Der Zustand Empowerment zeigt sich in einer gestärkten menschlichen Fähigkeit zu Selbstbe- stimmtheit und Handlungsvermögen und auf allen Ebenen gesellschaftlichen Zu- sammenlebens. Chauhan/ Bansal (2002: 10) beschreiben dies folgendermaßen:
Empowerment means giving moral and legal power to an individual in all spheres of life - social, economic, political, psychological, religious and spiritual - which are essential for the survival and overall development of the mankind.
Die Frage, auf welchen Indikatoren ein zu diesem Zustand führender Empowerment- Prozess beruht, ist jedoch nicht eindeutig zu beantworten. Die Durchführung einer eingrenzende Begriffsoperationalisierung erweist sich als äußerst schwieriges Unterfangen. Diese Schwierigkeiten lassen sich am Beispiel des FrauenEmpowerments veranschaulichen:
Ebenso, wie sich die Lebensumstände von Frauen je nach Kulturkreis, Nationali- tät, Klassenzugehörigkeit, ethnischem oder religiösem Hintergrund erheblich von- einander unterscheiden, sind auch die individuellen Fähigkeiten und Empfindung- en einzelner Frauen von unterschiedlicher Natur12. Die Anerkennung dieser sozio- kulturellen und individuellen Heterogenität ist für die Herausbildung von Empo- werment- Strategien von zentraler Bedeutung. Sie müssen sich dem jeweiligen Kontext, bzw. den spezifischen Bedürfnissen von Frauen anpassen, um Aussich- ten auf Erfolg zu haben. Darum können schlichtweg keine allgemeingültigen Indi- katoren zur Erreichung des oben beschriebenen Zielzustandes festgelegt werden. Zur Analyse von Frauen- Empowerment wird sich die vorliegende Untersuchung jedoch immer wieder auf verschiedenste Indikatoren stützen müssen. Um das im- manente Risiko, dabei wichtige Aspekte, Wirkungsweisen oder Wechselwirkung- en außen vor zu lassen, zu minimieren, ist es besonders wichtig, bei der Analyse stets ein möglichst flexibles, multidimensionales und in keinster Weise vorgefer- tigtes Verständnis von Empowerment- Prozessen zu Grunde zu legen.
Die in der nachfolgenden Grafik dargestellten möglichen Indikatoren von Frauen- Empowerment sollen darum lediglich einen Eindruck vermitteln, welche Einfluss- faktoren in Empowerment- Prozessen von Frauen eine Rolle spielen können.
Abbildung 1: Mögliche Indikatoren von Frauen- Empowerment
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In der Darstellung dieser Indikatorenauswahl wird deutlich, dass eine Vielzahl der unterschiedlichsten Aspekte bei der Analyse von Empowerment- Mechanismen zu beachten sind. Dabei könnte die Liste der Indikatoren um viele zusätzliche Aspek- te erweitert werden. Während einige davon relativ mühelos erhoben werden kön- nen (z.B. finanzielle, bzw. politische Teilhabe), sind andere wiederum nur in sehr begrenztem Maße messbar (z.B. Veränderungen in der Eigen- und Fremdwahr- nehmung). Solche Aspekte müssen jedoch auch mit in die Analyse einfließen.
Die Heterogenität der zu untersuchenden Gruppe und die vielförmige Beschaffenheit von Empowerment- Mechanismen erschweren die Analyse und halten zu vorsichtigen Interpretationen von Zusammenhängen bzw. kritischer Hinterfragung eindeutiger Ergebnisse an. Für eine solche Herangehensweise ist auch die Frage nach Ursachen vorhandenen Disempowerments zentral.
In Bangladesch, wie auch in vielen anderen Entwicklungs- und Schwellenländern, erscheint die alles beherrschende Geißel der Armut und die Tatsache, dass Frauen darunter in besonderem Maße zu leiden haben, auf den ersten Blick als die ‘Wur- zel allen Übels’, die es zu bekämpfen gilt. Bei einer genaueren Betrachtung der Gesellschaftsstrukturen erschließt sich jedoch ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dieser Armut und einem strukturellen ‘Disempowerment’13: Mittellose Frauen unterliegen in Bangladesch einem eklatanten Mangel an Handlungsoptio- nen, d.h. in strategisch wichtigen Bereichen der Lebensplanung verfügen sie nicht über Ressourcen, die ihnen Entscheidungsfreiheit ermöglichen bzw. Handlungsal- ternativen offen legen (vgl. Kabeer 1999: 437). Ursächlich hierfür ist zum einen natürlich das Fehlen monetärer Ressourcen, da es dazu führt, dass die Frauen sich den Weg, den sie beschreiten, zumeist nicht aussuchen können. Lebensplanung und Überlebenskampf schließen einander zumeist aus. Agieren unter der Prämisse der Armut ist eher ein stetiges Reagieren auf äußere Umstände, Zwänge und Rückschläge.
Doch nicht allein ökonomische Aspekte bedingen den Mangel an Handlungsop- tionen. Unter drückender Armut leiden auch die Männer Bangladeschs. Ihr Hand- lungsspielraum ist jedoch bei weitem nicht derartig eingeschränkt wie jener der Frauen. Im Unterschied zum weiblichen Bevölkerungsteil verfügen sie über eine Ressource, welche als ‘Zugang zu sozialer Macht’ bezeichnet werden kann. Diese Ressource stellt eine zentrale Einflussgröße dar, denn sie befähigt den Innehaben- den zur Mitwirkung bei der Festlegung von Parametern, die gesellschaftliches Handeln beeinflussen (z.B. Normen, Werte) und dazu, über den eigenen Lebens- verlauf mit zu bestimmen.
Frauen hingegen bleibt der Zugang zu sozialer Macht vielfach verwährt. Sie sind nicht nur systematisch von politischen, rechtlichen, und institutionellen Prozessen ausgeschlossen, sondern erleben auch eine Seklusion auf gesellschaftlicher und sozio- kultureller Ebene. Der soziale Ausschluss der Frauen ist untrennbar mit armutsbildenden Faktoren verbunden: Ein Fehlen sozialer Macht verstärkt die völlige Mittellosigkeit zusätzlich (vgl. Friedmann 1992: 66).
Diesen Teufelskreis aus Armut und Disempowerment zu durchbrechen ist ein ebenso dringliches wie komplexes Erfordernis. Doch wo müssen Empowerment- Konzepte ansetzen, um eine Aufwertung bzw. Stärkung der sozialen Macht von Frauen einzuleiten? Zur Beantwortung dieser Frage ist es unumgänglich, den Em- powerment- Strategien impliziten Machtdiskurs, bzw. verschiedene theoretische Machtkonzepte näher zu beleuchten und gender- sensibel zu hinterfragen.
Schon bei der Betrachtung des Begriffes Empowerment fällt das Wort ‘power’ als zentrales Begriffselement direkt ins Auge. Ins Deutsche übertragen erweist sich der Begriff als mit den unterschiedlichsten Konnotationen behaftet. Diese reichen von Stärke, bzw. Kraft über Einfluss bis hin zu Macht. Die begriffliche Unschär- fe14 führt vielfach zu fast schon willkürlichen Gebrauchsweisen des Terminus Empowerment. So wird der Begriff immer wieder mit Partizipation oder Integra- tion gleichgesetzt (vgl. Kabeer 1994: 224). Derartige Einordnungen verbleiben jedoch zu stark an der Oberfläche und versäumen es, tieferliegende Implikationen von Empowerment (z.B. die Bedeutung geschlechtsspezifischer Machtstrukturen) zu hinterfragen, wodurch sie die Vielschichtigkeit sozialer Macht verkennen.
Laut Friedmann (vgl. 1992: 67ff.) entscheidet eine Vielzahl von Faktoren15 über die Existenz von sozialer Macht, von Wohlstand oder Armut und über die Heraus- bildung von Empowerment. In einer „Spirale der Macht“ (Friedmann 1992: 69) können diese sich gegenseitig verstärken, bzw. einander schwächen. Diese Viel- schichtigkeit spiegelt sich im Forschungsdiskurs zum Thema wieder: Zum Wesen sozialer Macht existieren unterschiedliche Auffassungen und Herangehensweisen. Konzeptionen, die soziale Macht als eine ‘Macht über andere’ definieren, stehen solchen gegenüber, welche sie als „gestaltende Fähigkeit menschlichen Handelns“ (Giddens 1984: 134) verstehen. Antrobus (1989: 189ff.) differenziert zwischen „role power“, einer gesellschaftlich legitimierten Autorität, die den Innehabenden ‘ermächtigt’, und ihn somit in eine Position versetzt, in welcher er Macht über andere ausüben kann und „personal power“, einer weniger formalen, individuellen Form der Macht, die der Einzelne aus persönlicher Reife, Selbstbewusstsein, der Abwesenheit von Suppressionen und dem Bewusstsein bzw. dem Glauben an eigene Ziele und Motive heraus entwickelt16.
Das in der vorliegenden Untersuchung im Mittelpunkt stehende Konzept des Frauen- Empowerments versteht Macht eher im Sinne einer Ressource (vgl. Goetze 2002: 188). Es stützt sich auf ein positives Verständnis von Macht, aus dem sich kein Herrschaftsanspruch über andere Menschen herleitet.
Die Motive für die Bevorzugung von derartigen Herangehensweisen gegenüber solchen, die Macht als Fähigkeit begreifen, die eigenen Interessen gegen die In- teressen anderer durchzusetzen17, sind schnell umrissen: In relationalen Betrach- tungsweisen manifestiert sich Machtpotential zumeist nur in der Durchsetzungs- fähigkeit bei formalen Entscheidungsprozessen. Soziale Macht wird also stets in Verbindung mit (latenten18 ) Konflikten wahrgenommen. Mechanismen struktu- reller Machtgefüge bilden sich jedoch nicht ausschließlich durch offene oder latente Auseinandersetzung heraus (vgl. Giddens 1984: 49f.), sondern entstehen in erster Linie dort, wo sich die geschlechtsspezifische Aufteilung von Verantwort- lichkeiten und Pflichten als fest- gefügt und nicht diskussionsfähig erweist. Die Geschlechterrollen sind in zahlreichen, traditionell patriarchalisch strukturierten Ländern einfach nicht zur gesellschaftlichen Debatte freigegeben: Das männlich dominierte Gesellschaftssystem verfolgt nicht nur eigene individuelle und ge- schlechtsspezifische Interessen, sondern legt zugleich die gesellschaftlichen ‘Spielregeln’ so fest, dass die dahinterstehenden Machtgefüge verborgen bleiben19 und der Anschein von gesellschaftlichem Konsens aufrechterhalten wird (vgl. Kabeer 1994: 229).
Da derartige Rollenschemata aber fraglos als Manifestationen institutionalisierter Macht zu identifizieren sind, müssen geschlechtsspezifische Empowerment- Stra- tegien von einem umfassenderen Machtbegriff ausgehen. Sie dürfen Machtstruk- turen nicht nur dort verorten, wo Gewalt, Zwang oder Konflikt sie herausbilden, sondern müssen sie auch dort vermuten, wo sie weniger offensichtlich oder sogar gar nicht nachweisbar sind (vgl. Giddens 1984: 135). Zu diesem Zweck ist es wichtig, die Bedeutung von sozialen Normen und Geschlechteridentitäten bei der Generierung von Machtstrukturen zu beleuchten, Asymmetrien in der Machtver- teilung bestehender Herrschaftsverhältnisse aufzuzeigen und somit Geschlechter- verhältnisse als Machtverhältnisse zu thematisieren (vgl. Schultz 2002: 62). Es geht nicht darum, den Kern der Macht zu analysieren, sondern die multiplen, in sozialen Netzwerken verankerten Instrumente und Mechanismen der Machtaus- übung zu begreifen (vgl. Foucault 1980: 72). Erst wenn diese Strukturen offen- gelegt sind, können sie wirksam bekämpft und neue weibliche Handlungsspiel- räume auf individueller und kollektiver Ebene erschlossen werden (vgl. Rowlands 1998: 14; vgl. McPhee u.a. 2002: 91).
Die Betonung der kollektiven Dimension von Empowerment- Mechanismen be- ruht auf der Erkenntnis, dass ‘personal power’ (bzw. Stärke) allein der Macht Vieler niemals dauerhaft standhalten kann20 (vgl. Arendt 1970: 45). In der Organi- sierung eigener Interessen (vgl. Rodenberg/ Wichterich 1999: 26) liegt der Schlüssel zu umfassender sozialer Macht. Gleichzeitig ist dort, wo eine Abwesen- heit von ‘personal power’ vorherrscht, ein Zusammenschluss zur Machterzeu- gung schlichtweg undurchführbar. Die Voraussetzung zur Erlangung sozialer Macht von Vielen ist der Zusammenschluss der Stärke Einzelner. Die Stärkung und Erweiterung sowohl kollektiver als auch individueller weiblicher Gestaltungs- macht muss folglich ein zentrales Element von umfassenden Empowerment- Strategien darstellen.
Damit dieser normative Zielzustand von völliger Selbstbestimmung und sozialer Macht jedoch erreicht werden kann, muss ein vielschichtiger Prozess in Gang gesetzt werden, dessen Idealverlauf im Folgenden näher erläutert wird.
Herriger (vgl. 1992: 232ff.) stellt präzise die verschiedenen Etappen dar, welche auf dem Weg hin zu Empowerment zurückzulegen sind. In seinen schematisierten Erläuterungen beschreibt er drei Hauptphasen, die in jedem Empowerment- Prozess durchlaufen werden müssen. Einen Überblick über diese Phasen bietet die nachfolgende Grafik:
Abbildung 2: Modellverlauf eines Empowerment- Prozesses
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Herriger (1992: 232ff.), modifiziert. Eigene grafische Ausarbeitung.
Die Erfordernis, einen Empowerment- Mechanismus eines Individuums einzulei- ten, resultiert zumeist aus dessen defizitärer Wahrnehmung der eigenen Fähigkei- ten und Potentiale. Entstanden durch das wiederholte, alltägliche Erleben von Fremdbestimmung und Machtunterworfenheit verfestigt sich bei einem Individu- um ein Gefühl der Ohnmacht. Zur Herauslösung aus dieser Position bedarf es eines „Initiationsmoments“ (Herriger 1992: 232)21, der die Notwendigkeit von Veränderung offensichtlich macht. Zudem muss das Individuum selbst den Mut aufbringen, Kontakt zu anderen Menschen herzustellen, die sich in einer ähnlich- en Situation befinden. Über die Erfahrung gemeinsamer Betroffenheit entsteht nicht nur ein Erleben von Solidarisierung, es fällt dem Einzelnen auch leichter, die Hemmfaktoren und Barrieren zu identifizieren, welche die eigene Ohnmachts- situation bedingen und aufrechterhalten. So bildet sich allmählich eine kritische Wahrnehmung externer Faktoren heraus, durch welche es dem Individuum ermöglicht wird, sich über die defizitäre Wahrnehmung des eigenen Selbst zu erheben und ein Gegenüber mit kritischen Einwänden und Forderungen zu konfrontieren.
Aufbauend auf dieser Mobilisierungsphase stellt die Organisierung und Formie- rung der sich neu gegründeten Gruppe in ähnlicher Weise betroffener Personen den nächsten großen Abschnitt des Empowerment- Prozesses dar. In dieser Phase ist es enorm wichtig, dass innerhalb der Gruppe Handlungsstrategien entwickelt werden und sich intensiv mit Widerständen und Interessensdivergenzen auseinan- dergesetzt wird. Dabei kann es hilfreich sein, Kontakt zu Netzwerken bzw. sol- chen Personen aufzunehmen, die der Gruppe Unterstützung, organisatorische Hilfe und Ermutigung bieten können. Durch die Bildung derartiger Allianzen gewinnt die Gruppe an Beachtung von außerhalb und zugleich an Verhandlungs- macht. So entdeckt jedes einzelne Gruppenmitglied neue Ressourcen der Stärke und lernt, Wege der Partizipation und Einflussnahme zu beschreiten.
In der dritten und letzte Phase auf dem Weg zum Empowerment wird schließlich die zu Beginn diagnostizierte Ohnmachtposition überwunden und durch eine ge- stärkte Organisationsfähigkeit und Konfliktfähigkeit ersetzt. Die Gruppe ent- wickelt die Fähigkeit, eigenständig ihre Interessen zu artikulieren, auf deren Durchsetzung hinzuwirken, sich die zu diesem Zweck relevanten Informationen zu beschaffen und fehlende Konsensbereitschaft öffentlich zu problematisieren. Diesen abschließenden Abschnitt eines Empowerment- Prozesses bezeichnet Herriger (1992: 232) als die „Phase entwickelter Politikfähigkeit“. Idealerweise gelingt es dem Einzelnen in dieser Phase, Abhängigkeit, Resignation und erlernte Hilflosigkeit zu überwinden, um für sich selbst Autonomie und Lebenssouveräni- tät und in der Gruppe Widerstandsmacht zu entwickeln, um zukünftig mit einem gefestigten Selbstverständnis die Gestaltung der eigenen Lebensverhältnisse selbst in die Hand zu nehmen.
Es bleibt anzumerken, dass die Betrachtung dieses Idealprozesses lediglich zur Verdeutlichung der grundlegenden Funktionsweisen und Struktur von Empower- ment dient, und nicht etwa als vorgefertigtes Problemlösungsmuster herangezogen werden kann. Empowerment- Mechanismen beruhen im Wesentlichen auf der Eigeninitiative des/der Einzelnen, auf seiner/ihrer eigenen Gestaltungskraft und dem persönlichen Einsatz im Umgang mit schwierigen Lebenssituationen. Die vielfach gebrauchte Wendung ‘jemand wird empowert’, bzw. ‘to empower some- one’ geht von der falschen Vorstellung aus, bei Empowerment handle es sich um eine passive Maßnahme, welche Außenstehende durchzuführen in der Lage seien. Es liegt jedoch im Wesen des Empowerments, dass es nur von dem Betroffenen selbst aktiv eingeleitet und vollzogen werden kann. Ein standardisiertes Verfahren für das Empowerment von Frauen und Mädchen kann es deshalb ebenso wenig geben, wie eines, welches in der Lage ist, alle weiblichen Zielpersonen zu errei- chen. Es wird immer Frauen geben, welchen die Nutzung der angebotenen Ressourcen aus eigener Kraft nicht möglich ist (vgl. Sabharwal 2000: 26).
Empowerment- Strategien müssen folglich bemüht sein, in einem Umfeld zu agieren und ein soziales Klima zu generieren, welches es einer möglichst großen Anzahl von Frauen ermöglicht, sich der angebotenen Ressource zu bedienen und sich selbst zu ‘empowern’.
Eine Organisation, welcher nachgesagt wird, ein solches Klima schaffen zu kön- nen, ist die Grameen- Bank von Bangladesch. Sie setzt mit ihrem Kreditprogramm auf die Selbstverfügungskräfte der scheinbar schwächsten und handlungsunfähig- sten gesellschaftlichen Gruppe: auf die der mittellosen Frauen. Das Konzept der Bank beruht nicht auf dem Aufoktroyieren von Problemlösungsmustern, sondern der Unterstützung bei der Erschließung und dem Ausbau vorhandener Energien. Medien und Forschung feierten es immer wieder als durchschlagenden Erfolg und beispielhaftes Modellprojekt. Darum ist es sinnvoll, die Vorgehensweisen, die Projektwirkungen und Empowerment- Strategien der Kreditnehmerinnen, unter Rückbezug auf die vorgenommenen Vorüberlegungen, genauer zu beleuchten.
Bei der Analyse des Potentials der Grameen- Mikrokredite, ein Frauen- Empower- ment einzuleiten, ist ein gender- sensibler Vergleich der gesellschaftlichen Positio- nen und Handlungsspielräume, bzw. die Identifizierung geschlechtsspezifischer Hemmfaktoren, unerlässlich - und zwar sowohl im Familienkontext, also im Be- zug auf Ehe und Familie, als auch auf lokaler und gesamtgesellschaftlicher Ebene (vgl. Johnson 2003: 1). Zudem müssen demographische und sozio- ökonomische Aspekte ebenso beachtet werden wie kulturelle, politische und soziale.
Da diese einzelnen Dimensionen und Handlungsebenen im Lebensalltag jedoch keine tatsächlichen Demarkationslinien darstellen, sondern einander überschnei- den, können sie nicht getrennt voneinander betrachtet werden (vgl. Sabharwal 2000: 26). Ebenso verhält es sich mit den im Folgenden dargestellten Empower- ment- Prozessen. Die Grenzen zwischen individuellem, relationalem und kollekti- vem Empowerment sind fließend und von reziproker Beschaffenheit.
Weiterhin muss in eine Analyse stets die Bedeutung zwischengeschlechtlicher Interdependenzen und sozial konstruierter Geschlechterverhältnisse (also: gender) innerhalb der bengalischen Gesellschaft mit einbezogen werden.
Um die Veränderungspotentiale für Frauen innerhalb der bengalischen Gesell- schaft auszuloten, bedarf es zunächst einer Analyse der strukturellen Rahmenbe- dingungen, des Lebensalltags und der Einbindung in normative Erwartungen bzw. internalisierte Verhaltensweisen. Dabei ist es von besonderer Bedeutung, dass ge- schlechtsspezifische Strukturen nicht als statische Konstrukte dargestellt werden, sondern Bruchstellen und Ansätze des Wandels auch dann wahrgenommen wer- den, wenn sie kaum sichtbar oder von scheinbar bedeutungsvolleren Aspekten überschattet werden. An solchen Bruchstellen offenbart sich die Relationalität der normativen Schranken, und Veränderungspotentiale werden sichtbar.
Der Lebensalltag einer überwiegenden Mehrheit bengalischer Frauen wird von zwei alles beherrschenden Determinanten bestimmt und erschwert: Zum einen sehen sie sich mit einer, häufig aus Landlosigkeit resultierenden Armut konfron- tiert, die so dominierend ist, dass nicht einmal die tägliche Ernährung der Familie gesichert ist. Zum anderen erwachsen ihnen aus Religionskultur und Traditionen viele Benachteiligungen und Beschneidungen ihres Lebensraumes. Unter diesen Prämissen tragen die Frauen Bangladeschs eine überproportionale Last der Armut. Besonders in ländlichen Gebieten erzeugt eine unverhältnismäßig hohe Abhängig- keit von normativ geregelten Ansprüchen geschlechterspezifische Unterschiede im Verarmungsprozess. Die Ungleichbehandlungen beginnen schon bei der inner- familiären Ressourcenverteilung in Bezug auf Nahrung22 und Gesundheit (vgl. Cannon 2002: 48). Diese entspricht traditionellerweise nicht dem tatsächlichen Bedürfnis der Haushaltsmitglieder, sondern wird bestimmt durch die individuelle Stellung in der Familienhierarchie, die wiederum von Alter, Geschlecht und Verwandtschaftsgrad abhängt. Weibliche Familienmitglieder stehen zumeist auf der untersten Stufe der Rangabfolge23. Die Asymmetrie in der Befriedigung von Grundbedürfnissen unter Bedingungen absoluter Armut zeigt sich in einer höherer Krankheitsbelastung und Sterblichkeit bei Frauen und Mädchen24.
Bildung für Mädchen wird in vielen ruralen Gebieten als Zeit- und Geldver- schwendung angesehen25 (vgl. Datta 1994: 186f.; vgl. Rahman 1997: 52f.). Heirat und Mutterschaft, insbesondere das Gebären von Söhnen (vgl. Palriwala 2000: 35) gelten als der Sinn weiblicher Existenz, weshalb die Mädchen häufig sehr jung an Männer verheiratet26 werden, die sehr viel älter sind als sie. Der hohe Altersunter- schied verleiht den Männern eine zusätzliche Autorität über ihre Frauen (vgl.
Pryer 1992: 141). Auch Gewalt gegen Frauen in Form von Vergewaltigung, Körperverletzung und sogar Totschlag sind in Bangladesch verbreitet. Deutlich wird dies z.B. an dem immer noch praktizierten Brauch, ungefügige Frauen mit Säure zu bewerfen (vgl. Rahman 1997: 65f). Folge dieser alltäglichen Suppressionen ist, dass gerade Frauen der unteren sozio- ökonomischen Schichten häufig unter Angstneurosen und Depressionen leiden27.
Weiterhin steht im laizistischen, aber von islamischen Traditionen dominierten Bangladesch die staatliche Verfassung einer patriarchalischen Interpretation des Gesetzes und der islamischen Lehre28 gegenüber, die den Anspruch erhebt, alle menschlichen Lebensbereiche zu umfassen. Betrachtet man den im vergangenen Jahrzehnt angesichts wachsender Armut stattfindenden gesellschaftlichen Werte- wandel in Bangladesch aus der Perspektive der Frauen, so fällt auf, dass ihre tra- ditionellen Pflichten auch weiterhin fast unverändert Geltung haben, ihre tradi- tionellen Rechte hingegen einem fortschreitenden Relativismus unterliegen (vgl. Dannecker 2001: 245f.). Zudem entpuppt sich der universelle Anspruch der isla- mischen Lehre (und der damit verbundenen Rechtslehre ‘Scharia’) als äußerst problematisch für die Implementierung egalitärer Gesetze. In vielen Fragen, bei denen modernes Recht sich mit der traditionellen und religiösen Rechtsordnung überschneidet, erlangt es, oftmals deutlich zum Nachteil von Frauen, kaum Rele- vanz. Per Verfassung gilt zwar die Gleichberechtigung der Geschlechter und deren Gleichstellung vor dem Gesetz, doch die Privat- und Familiensphäre ist ausdrück- lich aus dem Gleichheitsgrundsatz ausgenommen29 (vgl. Datta 1994: 183, Rah- man 1997: 54). Hinzu kommt, dass Frauen, aus Unkenntnis oder Frucht vor sozia- len Sanktionen, Recht ungleich seltener als Männer als Ressource wahrnehmen, mit der sie sich Entscheidungsmacht eröffnen und Durchsetzungskraft verschaffen können. Niedriger Bildungsstand, geringes soziales und politisches Bewusstsein30 sowie die Pflicht zur Einhaltung religiöser und kultureller Normen behindern die weibliche Partizipation in der Praxis.
Aktuell ist eine Verschärfung dieser immanenten Strukturen im Zuge wachsender Islamisierung (vgl. Lachenmann 1989: III), erstarkendem Fundamentalismus und zunehmender religiöser Intoleranz zu verzeichnen (vgl. Creevey 1996: 93). Dazu trägt insbesondere die von der islamischen Religion erwartete normative Verhaltensweise von Frauen (die sog. ‘Purdah’) bei, die ein spezifisches Merkmal der Geschlechterordnung besonders im ländlichen31 Bangladesch darstellt. Früh lernen die Mädchen die Grundregeln der ‘Purdah’, die sie moralisch zu Weltab- geschlossenheit, Unterwerfung und Bescheidenheit verpflichtet (vgl. Creevey 1996: 93). Derartig sozialisiert erscheint ihnen die Unterordnung als ‘natürlich’, während den Jungen die Kraft zur Machtausübung als zentraler Wert vermittelt wird. So werden die Rollen, die Mann und Frau in der Gesellschaft zu erfüllen haben, bereits von Kindheit an über ‘geschlechterspezifische Werte und Moral’, aber auch über die ihnen zugeteilten Aufgaben und die damit verknüpfte Aner- kennung internalisiert. Im Alltag bengalischer Frauen manifestiert sich ‘Purdah’ als strenge Einschränkung der Mobilität außerhalb ihres häuslichen Umfelds, ge- nannt ‘bari’ (vgl. Todd 1996: 2). Frauen, die ihr ‘bari’ verlassen und die öffent- liche ‘männliche Sphäre’ betreten, müssen sich so kleiden, dass Körper und Ge- sicht verhüllt sind. Dies nicht zu tun, würde als provokativ und öffentliches Ärger- nis betrachtet und dem Ansehen der Familie schaden32.
Die Segregation der Geschlechter hat zur Folge, dass Frauen kaum Zugang zum öffentlichen Arbeitsmarkt haben. Wirtschaftlich sind viele Frauen dadurch in einem Status völliger Abhängigkeit dem Wohlwollen des Ehemanns bzw. des männlichen Haushaltsvorstands ausgeliefert und können (beim Tod des Partners, durch Scheidung o.ä.) abrupt in absolute Armut fallen. Sie selbst mussten ihr Elternhaus nämlich meist ohne irgendeine materielle Grundlage verlassen, die Selbständigkeit, Sicherheit und Unabhängigkeit verleihen würde. Neben all diesen dargestellten, in der bengalischen Gesellschaft auch weiterhin virulenten geschlechtsspezifischen Suppressionen und strukturellen Barrieren, lassen sich jedoch auch Anzeichen für einen Wandel scheinbar festgefügter Ge- schlechterdispositionen ausmachen. Dies deutet darauf hin, dass die normative Geschlechterordnung zunehmend einem fortschreitenden Relativismus unterliegt.
Angesichts der wachsenden Armut und der steigenden Anzahl von Frauen, die allein für den Unterhalt ihrer Familie aufkommen müssen33, sind bengalische Frauen vermehrt gezwungen, ihren Lebensunterhalt mit der Arbeit in traditionel- len ‘Männerdomänen’ (z.B. den Handel auf öffentlichen Märkten) zu bestreiten. Die daraus resultierende allmähliche Öffnung der Arbeitsmärkte erweist sich für die Frauen jedoch als zweischneidiges Schwert. Ihre Präsenz in öffentlichen, unter Umständen sogar mit körperlicher Anstrengung verbundenen Arbeitsgebieten ist Zeichen großer Armut und Ausweglosigkeit, denn sonst würden Frauen derartige Arbeiten nicht annehmen. Hier zeigt sich die Widersprüchlichkeit der ‘Purdah’- Norm im Lebensalltag armer Frauen: Mit ihrer Befolgung wird ein hohes soziales und religiöses Prestige verbunden. Da es sich jedoch häufig nur die Wohlhabende- ren leisten können (vgl. Creevey 1996: 94), sich strikt an diese Regeln zu halten, zugleich aber das Ansehen der ganzen Familie mit der für die Öffentlichkeit ‘un- sichtbaren’, ausschließlich in ihrem ‘bari’ wirkenden Frau verbunden ist, befinden sich viele arme Frauen in einem Dilemma: Status und Autonomie lassen sich im islamischen Bangladesch nur schwer (bzw. gar nicht) miteinander vereinbaren (vgl. Schultz 2002: 73). Obwohl ‘Purdah’ noch immer eine so machtvolle Norm darstellt, dass außerhäusliche Arbeit für die Frauen mit beträchtlichem Status- verlust verbunden ist, ist sie für viele arme Frauen schlichtweg nicht einzuhalten (vgl. Pryer 1992: 152). So steigt der Anteil weiblicher Arbeitskräfte, besonders in ex- portorientierten Produktions- Sektoren (Bekleidung, Elektronik, Spielwaren) und im informellen Sektor stetig34 (vgl. Dannecker 2001: 229). Die finanzielle Not lässt sich vielfach nicht mit den normative Ansprüchen der patriarchalischen Gesellschaft vereinbaren. Eine Tatsache, die für die Frauen mit erheblichem psychischem Stress und Verunsicherung verbunden ist.
Die Kehrseite der Medaille liegt in der mit der Öffnung der Arbeitsmärkte ver- bundenen Chance für sozialen Wandel. Frauen wird es dadurch möglich, sich ein eigenes Einkommen zu erwirtschaften und traditionelle ökonomische Abhängig- keitsverhältnisse zu überwinden. Die aus einem wirtschaftlichen Erfolg resultie- renden, bei berufstätigen Frauen in Bangladesch auch durchaus beobachtbaren Effekte35 (wie z.B. ein Zuwachs an Selbstverfügungskraft und Selbstvertrauen, die Herausbildung monetärer Strategien etc.) können sich, in einer Art katalysatori- scher Wirkung, auch auf andere Aspekte gesamtgesellschaftlichen Zusammenle- bens übertragen. Dort, wo Frauen in wirtschaftlicher Hinsicht erfolgreich sind, bleibt ein gewisses Maß gesteigerter gesellschaftlicher Anerkennung, insbeson- dere von Seiten der Ehemänner, nicht aus. Dies gilt um so mehr, da das Einkom- men der Frauen in besonderem Maße zu einer Steigerung der Lebensqualität und einer Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen der ganzen Familie bei- trägt. Zwar werden Frauen im Regelfall deutlich geringer entlohnt als Männer, verstehen es aber oftmals, den geringen Verdienst effektiver einzusetzen. Buviniü (vgl. 1997: 47) beruft sich auf Studien, die belegen, dass das Einkommen der Frauen in vielen Entwicklungsländern welt- weit ganz überwiegend dem Wohl der Familie und der Kinder zugute kommt, während Männer ihr Einkommen oft zu einem erheblichen Teil zunächst für persönliche Zwecke verwenden. Sie schließt aus dieser Tatsache, dass die Art, in der Frauen die knappen Ressourcen in den Haushalt einbringen, für die Familie oftmals größere Gewinne für soziale Belange und Gesundheit mit sich bringt. Auf derartige Multiplikatoreffekte baut auch das Kredit- Konzept der Grameen- Bank. Zugleich muss es jedoch auch sensibel auf gender- spezifischen Benachteiligungen in der bengalischen Gesellschaft achten.36
Die Grameen- Bank, eine genossenschaftsähnliche Entwicklungsbank, fördert mittels Darlehen die Aufnahme neuer wirtschaftlicher Tätigkeiten durch landlose Haushalte. Entstanden aus einem Feldexperiment, welches 1976 von dem Ökono- mieprofessor Mohammed Yunus initiiert wurde, zeichnet sich heute durch eine landesweite Verbreitung37 in den ländlichen Regionen Bangladeschs aus: Insgesamt hat die Bank heute in ca. 60% aller Dörfer über 2,4 Millionen Sparer und gilt als beispielhaftes Projekt, welches die Hilfe zur Selbsthilfe bei der Be- kämpfung von Armut ermöglicht, weil es sich den Potentialen und Stärken der Armen anpasst, statt ihre Schwächen zu laborieren. Das BIDS (Bangladesh Insti- tute of Development Studies) schätzt, dass die Hälfte der Frauen es schafft, nach rund acht Jahren die Armutsgrenze zu überwinden, weitere 27% stehen kurz davor. Die Grameen- Bank ist keine karitative Einrichtung, sondern ein eigenstän- diges Finanzunternehmen38, welches sich nahezu ausschließlich auf Frauen als Kreditnehmer konzentriert (95% der Grameen- Kunden sind weiblichen Ge- schlechts). Sie vergibt Kleinstkredite, die ohne bürokratischen Aufwand, mit pragmatischen Tilgungsplänen, einer Sparkomponente und einem selbstverwalte- ten Gruppenfonds konzipiert sind, nahezu ausschließlich an land- und besitzlose Frauen39, und aktiviert so deren, in konventionellen Entwicklungsprojekten bisher vernachlässigte Kraft zur produktiven Selbstbeschäftigung (vgl. Jessen: 1987: 58).
Das einfache Konzept der Bank sei im Folgenden kurz erläutert: Um einen Mikro- kredit zu erhalten, müssen sich jeweils fünf Frauen40, die sich persönlich kennen und über einen vergleichbaren ökonomischen Status verfügen, in einer Spargrup- pe zusammenschließen. Nach einem einwöchigen Vorbereitungskurs, in dem der neu formierten Gruppe die Bedeutung der Prinzipien und Regeln41 sowie die Funktionsweise der Bank erklärt werden und jedes Mitglied in die Lage versetzt wird, seinen Namen zu schreiben, erhalten die beiden ersten Gruppenmitglieder einen Mikro- oder Kleinkredit42 ausbezahlt. Zahlen diese auf den allwöchentlich- en Sitzungen jeweils 2% der Kreditsumme zurück, sowie Beiträge in diverse Gruppen- und Notlagenfonds ein, so kommen einige Wochen später die nächsten Gruppenmitglieder zum Zug. Die Kredite dienen als Startkapital und fließen zu großen Teilen in den sog. informellen Sektor, also in den Bereich der Gelegen- heitsarbeit und Selbstversorgung, der sich statistischen Berechnungen entzieht, aber die Grundlage der bengalischen Wirtschaft darstellt43 (vgl. Datta 1994:178f.). Das Geld ermöglicht es den Kreditnehmerinnen und ihren Familien, eigene hand- werkliche oder landwirtschaftliche Kleinunternehmungen zu gründen - je nach Interesse und Begabung sichten die Frauen ihre Verdienstmöglichkeiten44. Die Bereiche, in denen Kredite zum Einsatz kommen, sind weit gestreut (vgl. Hulme/ Turner 1990: 209). Sie lassen sich in acht verschiedene Hauptsektoren unterglie- dern: (a) Produktion/ Fertigung, (b) Land- / Forstwirtschaft, (c) Viehzucht/ Fischerei, (d) Dienstleistung, (e) Handwerk, (f) Straßenhandel, (g) Einzelhandel, (h) gemeinschaftliche Unternehmungen (vgl. Haque 1999: 25). Weitere typische Mikrounternehmen sind solche, die in erster Linie den informellen Sektor bedie- nen, z.B. die Anschaffung von Nähmaschinen zur Herstellung von Kleidung oder Juteprodukten, die Weiterverarbeitung von Lebensmitteln (z.B. Schälen von Reis), der Erwerb von Fahrrad- Rikschas, die Durchführung kleinerer Reparaturen, etc. (vgl. Grameen- Bank Annual Report 2001).
[...]
1 Unzweifelhaft bestehen zwischen einzelnen Entwicklungsländern erhebliche länder- und gesell- schaftsspezifische Unterschiede. Doch bei aller Vielfalt haben Frauen sämtlicher Entwicklungs- länder eines gemeinsam: Im Bezug auf Zugang zu Gesundheit und Bildung, sowie auf Möglichkei- ten der Beteiligung am politischen und wirtschaftlichen Leben, sind sie gegenüber den Männern deutlich schlechter gestellt. Zur Vertiefung dieser Thematik sei die Lektüre von Klemp (1993) und Buviniü (1997) empfohlen.
2 Erstmalig diskutiert in Esther Boserup’s Abhandlung „Women’s role in Economic Development“ (New York 1970) durchzieht die Erkenntnis, daß Frauen in Entwicklungsprozssen systematisch benachteiligt werden, die Forschung der vergangenen Jahrzehnte. Interessante Aspekte hierzu finden sich z.B. bei Renate Rott (Hg.): „Entwicklungsprozesse und Geschlechterverhältnisse. Über die Arbeit und Lebensräume von Frauen in der Dritten Welt“ (Saarbrücken 1992).
3 Die unterschiedlichen Frauenförderungsansätze, von Women in Development (WID) zu Gender and Development (GAD) und Mainstreaming gender, reflektieren den Wandel der allgemeinen entwicklungspolitischen Herangehensweisen seit den 50er Jahren, und sind im Einzelnen bei Bliss u.a. (1994: 26 ff.) und Zdunnek (1997: 251ff.) anschaulich dargestellt.
4 Der Begriff Empowerment tauchte erstmals in einer Abhandlung von Barbara Solomon „Black Empowerment: Social work in oppressed communities“ (1976) auf. Die dortige Verwendungswei- se des Begriffs stand im Schnittfeld zwischen den Traditionslinien schwarzer Bürgerrechtsbewe- gung und radikal- politischer Gemeinwesensarbeit. Im entwicklungspolitisch- feministischen Dis- kurs trug das Frauennetzwerk DAWN (Development Alternatives with Women for a New Era) entscheidend zur Prägung des Begriffes bei. Dieser steht heute in Abgrenzung zum Effizienzargu- ment der Weltbank, welches Frauen in erster Linie als im Entwicklungsprozess ungenutzte Res- source verstand (vgl. Schultz 2002: 62).
5 Auf Grund ihrer unterschiedlichen gesellschaftlichen Position entsprechen die Bedürfnisse von Männern und Frauen einander nicht. Bliss u.a. (vgl. 1994: 29) differenzieren zwischen praktischen gender needs (unmittelbare wichtige praktische Bedürfnisse in spezifischem Kontext) und strategi- schen gender needs (langfristige Bedürfnisse, die zu größerer Gleichberechtigung der Geschlechter führen).
6 In Forschung und Entwicklungspolitik werden die Frauen der Entwicklungsländer, wenn überhaupt, vielfach als subalterne Wesen „vermeintlich ohne Kenntnisse, Fertigkeiten, ohne Energie, Unternehmungsgeist und Kreativität“ (Müller- Glodde 1994: 1) wahrgenommen.
7 Bangladesch, der am dichtesten besiedelte Flächenstaat der Welt, zählt zu den ärmsten und am wenigsten entwickelten Ländern. Ca. 36% der Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. Ein geringes Ausbildungsniveau, die schlecht entwickelte Infrastruktur und eine zähe öffentliche Verwaltung gehören zu den Kernproblemen des Landes (vgl. Human Development Report 2002). Periodische Wirbelstürme und Flutkatastrophen verheerenden Ausmaßes werfen das Land immer wieder in seiner Entwicklung zurück und verschärfen die Situation der Bevölkerung zusätzlich. Zu den Auswirkungen klimatischer Katastrophen auf die Situation der Frauen Bangladeschs sei die Lektüre von Cannon (2002) empfohlen.
8 Das grundsätzliche Problem der Sekundäranalyse, nämlich der geringe konzeptionelle Einfluss, der Kooperationszwänge zur Folge hat, wird durch die vergleichende Analyse verschiedenartiger Ansätze etwas gemildert.
9 z.B. Goetz/ Sen Gupta (1996); Rahman (1999), Osmani (1998a, 1998b)
10 z.B. Grameen Bank Annual Report (2001); Todd (1996); Mizan (1994)
11 Im Bezug auf allgemeine Daten zur Entwicklung und Lebenssituation in der bengalischen Gesellschaft stellen der UN General Human Development Report (2002), der Bangladesh Human Development Report (2000) sowie das CIA World Factbook (2002) die sachdienlichsten und ergiebigsten Quellen dar. Die UN- Erhebungen erweisen sich als besonders geeignet, das sie Indikatoren sowohl zum Thema Entwicklung als auch zu gender- Aspekten enthalten.
12 Eine analytische Unterscheidung zwischen den Frauen als sozial übergeordnete Gruppe und der Frau als Mitglied einer hochgradig heterogenen Gruppe von Individuen muss zwingend vorge- nommen werden.
13 Das (Dis- )Empowerment Modell zur Erklärung und Überwindung von Armut ist eine politische Variante des Grundbedürfnis- Ansatzes der 70er Jahre, in welchem davon ausgegangen wird, dass arme Menschen die eigenen Bedürfnisse selber befriedigen können, wenn ihnen die grundlegenden Ressourcen zur Verfügung stehen (vgl. Friedmann 1992: 59 ff.).
14 Aufgrund dieser Unschärfe wird in der vorliegenden Arbeit bewusst darauf verzichtet, den Begriff des Empowerments ins Deutsche zu übertragen. Mögliche Übersetzungen, wie z.B. Ermächtigung, geben den tatsächlichen Sinngehalt des Terminus nur sehr unzureichend wieder.
15 Explizit nennt er folgende voneinander abhängige Machtressourcen: (1) räumlicher und sozialer Wohn- und Lebensraum; (2) überschüssige Zeit, die verbleibt, nachdem ein Existenzminimum gesichert ist; (3) Wissen und Fähigkeiten; (4) relevante Informationen; (5) informelle und formelle soziale Organisation; (6) soziale Netzwerke; (7) Instrumente, die Arbeit ermöglichen (von körperlicher Kraft über Zugang zu Wasser, Ackerboden etc., bis hin zu Werkzeug, Nähmaschinen, Fahrräder etc.); (8) finanzielle Ressourcen (vgl. Friedmann 1992: 67ff.).
16 Arendt (1970: 45) verwendet hierfür den Terminus „Stärke“, worunter sie eine individuelle Eigenschaft versteht, die keiner formalen Ermächtigung von Außen bedarf, sondern nur selbstgeneriert entstehen kann.
17 Derartige Herangehensweisen finden sich bei Weber (1980: 28), bei Dahl (vgl. Lukes 1974:12), aber auch im spieltheoretischen Begriff der Verhandlungsmacht.
18 Nach Lukes (vgl. 1974: 24f.) dreidimensionalem Machtbegriff wird Macht nicht ausschließlich mit Hilfe von Zwang und offenen Konflikten durchgesetzt, sondern manifestiert sich auch in sog. latenten Konflikten durch Einigung und Mittäterschaft.
19 Oftmals werden diese Machtstrukturen (z.B. auf Grund kultureller Sozialisation) von den sozialen Akteuren gar nicht als solche wahrgenommen.
20 Hier erschließt sich die relationale Komponente dieser Herangehensweise: Macht kann nur innerhalb einer Gruppe entstehen, da sie auf der Erkenntnis beruht, dass die Fähigkeit Ereignisse zu erzielen, immer vom Handeln Anderer abhängig ist.
21 Oftmals stellt dieser Auslöser eine tiefgreifende Erschütterung der sozialen Identität dar (vgl. Herriger 1992: 232).
22 Im „Bangladesh Human Development Report 2000“ ist die Rede von einem ‘gender gap in nutrition’: Ca. 50% aller weiblichen Kinder unter 5 Jahren leiden unter gesundheitsgefährdendem Untergewicht. Bei den Jungen beträgt die Zahl ca. 46%.
23 In der Familie des Ehemannes ist die Ehefrau zunächst allen anderen Haushaltsmitgliedern, auch den weiblichen, untergeordnet. Diese Rangabfolge ändert sich zumeist erst mit Geburt der ersten Kindes (vgl. Chauhan/Bansal 2002: 10).
24 Bangladesch gehört darum zu den wenigen Ländern der Welt, in denen die durchschnittliche Lebenserwartung der Männer über der der Frauen liegt, und der männliche Bevölkerungsanteil größer ist als der weibliche (vgl. Asian Development Bank: Country Assistance Plan 2001- 03).
25 Nur 30% der Frauen - im Vergleich zu 52% der Männer - (Quelle: Human Development Report 2002) können lesen und schreiben. Vor allem in ländlichen Gebieten werden Mädchen häufig gar nicht erst eingeschult, da die Meinung, Bildung verderbe den Charakter der Mädchen und hindere sie daran, ihren traditionellen Pflichten nachzukommen, stark verbreitet ist.
26 Üblich ist eine Verheiratung der Mädchen zwischen dem 15. und 19. Lebensjahr. In ländlichen Regionen kommen jedoch auch immer wieder Verheiratungen deutlich jüngerer Mädchen vor (vgl. Mizan 1994: 30f.).
27 Vgl. hierzu amnesty international (2000): Jahresbericht 2001, Frankfurt a.M., S. 109 und Rahman 1997: 52f, 65f.
28 83% der Bevölkerung sind muslimischen Glaubens, 16% sind Hindus, 1% haben sonstige Religionen (Quel1e: CIA - The World Factbook 2002).
29 Geschlechtsspezifische Benachteiligungen und Unsicherheiten finden sich auf allen Rechtsge- bieten, sowohl im traditionell geltenden Recht als auch in modernen Gesetzen. Oft verhindern sie die ökonomische Autonomie und Vermögensbildung von Frauen. Einige Beispiele: Frauen fallen aus der Erbfolge heraus, können ohne zivilrechtliche Scheidung von ihren Ehemännern einfach verstoßen werden, wobei das gesamte gemeinschaftlich erwirtschaftete Vermögen dem Ehemann zufällt; das Erziehungsrecht für die Kinder liegt beim Mann oder einem männlichen Familienmit- glied (vgl. Datta 1994: 183f.).
30 Der Tatbestand, dass seit 1991 sowohl die Regierungs- als auch die wichtigste Oppositionspartei von Frauen geführt werden, täuscht darüber hinweg, dass Frauen ansonsten im politischen Alltag Bangladeschs so gut wie gar nicht vorkommen (vgl. Datta 1994: 184). Zudem sind selbst die beiden Frauen an der Regierungsspitze zum Erhalt ihrer Position auf die Unterstützung männlicher Protektoren angewiesen - eine Fügung in patriarchalisch geprägte und religiös fundierte Normen stellt die Grundvoraussetzung für diesen Schutz dar (vgl. Houscht 1995: 49).
31 Bangladesch ist eines der am wenigsten urbanisierten Länder Asiens. Im Jahr 2000 waren lediglich 34,4% der Bevölkerung in Städten angesiedelt (Quel1e: Human Development Report 2002; vgl. auch Pryer 1992: 151). Im Zuge der Landflucht nimmt der Anteil der in Städten lebenden Bevölkerung jedoch stetig zu.
32 In einigen Regionen nimmt nicht nur die Reputation Schaden. Die Frauen werden, bei Verstoß gegen die ‘Purdah’- Norm, von fundamentalistischen Mullahs vor Dorfgerichten zu sozialer Isolation oder öffentlicher Auspeitschung verurteilt und nicht selten in den Selbstmord getrieben. Zur Rechenschaft werden die Mullahs dafür nur sehr selten gezogen. Die Dorfbewohner fürchten die Macht der Mullahs; Regierung und Polizei schauen untätig zu (vgl. Fazl 1994).
33 Die Zahl der Haushalte, denen Frauen vorstehen, wächst stetig. Insgesamt waren es 1996 landesweit 9,3% der Gesamthaushalte. Die weiter zunehmende Zahl alleinstehender Frauen erklärt sich durch die steigende Scheidungsrate (i.d.R. auf Initiative der Ehemänner) und die zunehmende Migration der Männer. In den ländlichen Regionen mit größeren Migrationsraten, nimmt der Anteil weiblicher Haushaltvorstände deutlich schneller zu in den Städten (Quelle: Bangladesh Bureau of Statistics. Labour force survey 1996, Dhaka).
34 Die Ursache für die wachsende Beliebtheit weiblicher Arbeitskraft ist nicht schwer zu erraten: Unter dem Vorwand, ihr schwächerer Körperbau erlaube nur geringe Leistungsfähigkeit, werden sie in der Regel erheblich schlechter entlohnt als Männer. Ferner gelten sie als besonders flexibel und fügsam (vgl. Dannecker 2001: 229).
35 Die Effekte weiblicher Lohnarbeit in Bangladesch stellt W. Uchatius in seinem Artikel: Im Takt von tausend Nähmaschinen, in: Die Zeit (2003, Vol. 2, S. 15- 16) eindringlich dar.
36 Soweit nicht anders gekennzeichnet wurden die in diesem Kapitel enthaltenen Daten und Fakten der offiziellen Homepage der Grameen- Bank (www.grameen- info.org) entnommen. Die Home- page wird regelmäßig aktualisiert, das Datenmaterial stammt aus dem Jahr 2002.
37 Im Jahre 1980 gelang es der Bank, mit finanzieller Unterstützung des International Fund for Agricultural Development (IFAD), bzw. Geldmitteln aus dem Ausland, ihre Aktivitäten auf das ganze Land auszuweiten. Drei Jahre später wurde sie von der bengalischen Regierung offiziell als einheimische Entwicklungsbank anerkannt. Zur Verbreitung der Bank siehe Anhang (Abb. I).
38 1995 konnte sich die Bank durch die Ausgabe von Obligationen finanziell unabhängig machen und borgt nun mehr Geld aus kommerziellen Quellen zu marktüblichen Konditionen, größtenteils von den Geschäftsbanken Bangladeschs. Zusätzlich wächst der Anteil der Einlagen der Kunden.
39 Anfangs waren Frauen und Männer etwa gleich stark repräsentiert. Im Laufe der Zeit wurde die Erfahrung gemacht, dass Frauen sich als zuverlässigere Schuldner erwiesen (vgl. Bittner 1995: 12). Trotz der Schwierigkeiten, die sich durch das in Bangladesch vorherrschende islamisch- kon- servative Wertsystem ergeben, lag es daher im Interesse der Bank, vor allem Frauen in die Mikrokreditprogramme einzubeziehen.
40 Zunächst wurden Kredite direkt an Einzelpersonen vergeben. Eine Vorgehensweise, die sich schnell als problematisch herausstellte. Nach und nach stellten sich heraus, dass Kleingruppen, deren Mitglieder untereinander in engem sozialen Kontakt stehen, die Effizienz der Mikrokreditvergabe am besten gewährleisten (vgl. Hulme 1990: 208).
41 Eine detaillierte Darstellung der Grameen- Prinzipien befindet sich im Anhang dieser Arbeit (vgl. Anhang Abb. II: The Sixteen Decisions).
42 Die Kredithöhe ist abhängig von der Dauer der Mitgliedschaft und beträgt umgerechnet ca. US$ 75- 250 (vgl. Khandker u.a. 1994: 2). Zur Kredit- Entscheidungshierarchie siehe Anhang Abb. III.
43 Zur Bedeutung weiblicher Subsistenzarbeit (vgl. Anhang Abb. IV: Frauenarbeit/ Männerarbeit).
44 Selbstgewählte Aktivitäten zur Einkommensverbesserung unterscheiden sich wesentlich von außeninduzierten, sog. einkommensschaffenden Maßnahmen (für Frauen häufig Basteln, Nähen, Stricken...). Solche bringen häufig Produkte hervor, die auf dem lokalen Markt nicht nachgefragt sind, weder preislich noch qualitativ konkurrieren können und nur in den Dritte- Welt- Läden der Wohlstandsländer verkauft werden (vgl. Bittner 1995: 18).