Bachelorarbeit, 2007
53 Seiten, Note: 1,0
Einleitung
1 Vorläufige Begriffsklärung
1.1 Was impliziert der Begriff „Christ-sein“?
1.2 Zum Begriff und zur geschichtlichen Erscheinung der Aufklärung
1.2.1 Eine Definition
1.2.2 Themen und Tendenzen der Aufklärung
1.2.3 Aufklärung im Verständnis der Aufklärung – Kant
1.2.3.1 Ein Exkurs: Die Transzendentalphilosophie Kants
2 Glauben und Wissen
3 Widerlegung Gottes durch die Vernunft?
3.1 Religions- und Christentumskritik
3.2 Gott als Gedanke des Menschen – Feuerbach (1804 – 1872)
3.2.1 Zur Sekundärliteratur
4 Vier typische Reaktionsmuster deutscher Intellektueller auf die leitende Fragestellung
4.1 Dezidierte Christentumskritiker
4.2 Agnostiker
4.3 Das ,graue Heer‘ der ,Lauen‘ und ,Mitläufer‘
4.4 Dezidierte Christentumsbekenner
5 Eine Zwischenbilanz
6 „Aufgeklärte Christen“ – Kein Paradoxon
6.1 Versuch einer eigenen Antwort
7 Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis
„Was? Du studierst Theologie? Heißt das, dass du diesen ganzen Mist etwa wirklich glaubst?“ In meinem privaten Raum muss ich mich häufig wegen meiner Studienwahl rechtfertigen. Ja, ich glaube an etwas, an ein ‚Mehr‘. Ja, ich studiere Theologie. Deswegen bin ich noch lange nicht blind, dumm, naiv oder fromm. Theologie ist die „gläubige und zugleich vernünftige bzw. wiss[enschaftliche] ,Rede v[on] Gott‘...“[1]. Mein Erkenntnisinteresse liegt darin, den christlich Glaubenden in seiner Zeit zu verstehen und diesen Glauben auf seinen Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Insofern diese Prüfung die Tragfähigkeit des christlichen Glaubens bestätigt, resultiert daraus natürlich ein Erhaltungsinteresse.[2] Die Wahrheitsfrage und der Wahrheitsanspruch des Christentums können hier nicht im Detail diskutiert werden. Vielmehr stellt sich auch eine allen christlichen Fragen vorgeordnete, eine fundamentaltheologische Frage: „Kann sich ein aufgeklärter Mensch noch Christ nennen?“ Kann ein wissender Mensch überhaupt noch glauben? Wenn man in der heutigen Zeit nur noch von etwas überzeugt sein darf, von dem man etwas weiß, was erklärbar und beweisbar ist, so kann ich dieses Unterfangen an dieser Stelle abbrechen und die gestellte Frage mit einem eindeutigen „Nein!“ beantworten. Dabei möchte ich es aber nicht belassen, ich möchte weiterhin und zwar verantwortlich von einem Gott reden können (vgl. 6). Ich stelle nicht den Anspruch, dies soll hier deutlich hervorgehoben werden, eine Lösung zu finden, welche die seit dem frühen Altertum bestehende Religionskritik ein für alle Mal bei Seite schiebt. Ich bearbeite dieses Thema, um einen vorläufigen, möglichen Antwortversuch zu finden. Mein Ziel ist es, den Leser zum gemeinsamen Nachdenken anzuregen, eine mögliche Orientierung zu bieten und ein Sprachangebot, vielleicht einen Sprachgewinn, im Reden von und über Gott zu unterbreiten. Aus diesem Grund muss zunächst beleuchtet werden, was die Brisanz der Fragestellung ausmacht (vgl. 1) und daraus resultierend, was als „glauben“, was als „wissen“ soll gelten dürfen (vgl. 2). Außerdem setze ich mich mit dem auseinander, was dem Glaubenden entgegengehalten wird, wie und auf welcher Ebene er zur Rede gestellt wird. Dazu ziehe ich die Positionen Feuerbachs (vgl. 3.2) und Buggles (vgl. 4.1) heran. In den Teilkapiteln 4.2 bis 4.4 prüfe ich, wie sich rezente Menschen im Spannungsfeld zwischen „glauben“ und „wissen“ bewegen, sich gegebenen Falls sogar entscheiden (vgl. 5). Auf all diesen Überlegungen gründe ich meinen Antwortversuch (vgl. 6), der nicht verteidigend und apologetisch ausfallen soll. Ich werde versuchen, Elemente der Kritik aufzunehmen und selbstkritisch zu verarbeiten.
Erstes Anliegen dieser Arbeit soll es sein, die Fragestellung „Kann sich ein aufgeklärter Mensch noch Christ nennen?“ verständlich zu machen. Mir ist bewusst, dass Verstehen dann zum Problem wird, wenn der Zusammenhang, durch den die Bedeutung erstellt wird, noch nicht bekannt ist und erst hergestellt werden muss. Aus diesem Grund beginne ich damit darzulegen, was die Brisanz der zu bearbeitenden Fragestellung überhaupt ausmacht. Das im Verlauf dieser Arbeit zu klärende Problem ergibt sich allein durch die Verwendung zweier, in der zu bearbeitenden Frage benutzter, Begriffe. „Aufklärung“ und „Christ“ scheinen, auf einer Sprachebene verwendet, nicht zu harmonieren, sich gar zu widersprechen. Nach Ludwig Wittgenstein ergibt sich die Bedeutung eines Wortes durch seinen Gebrauch in der Sprache. Aus diesem Grund werde ich im Folgenden aufzeigen, welchen Kontexten die Begriffe „Aufklärung“ und „Christ“ entspringen, was sie somit bedeuten.
Die Apostelgeschichte enthält in Kapitel elf Vers sechsundzwanzig[3] die Notiz, dass in Antiochien die Jünger erstmals „Christen“ genannt wurden. Diese Bezeichnung bleibt bis zur Mitte des zweiten Jahrhunderts selten, weshalb die Vermutung nahe liegt, dass die Anhänger Jesu Christi zunächst von Außenstehenden und Gegnern als „Christen“ bezeichnet wurden, bevor sie diesen Begriff für sich selbst adaptierten. Die Selbstbezeichnung „Christ“ wurde in der Verfolgung zum Bewährungskriterium, weil es unmöglich ist, den Christusnamen abzuleugnen, ohne damit Christus selbst zu verleugnen. Wer sich „Christ“ nennt, bekennt seine personale Verbundenheit mit Christus. Der Christenname impliziert eine Beziehung.[4] Hier wird deutlich, dass sich „glauben“ durch unbedingtes Vertrauen auf sein Gegenüber auszeichnet. Nach theologischem Verständnis ist „glauben“ folglich ein Beziehungsgeschehen, das dem Menschen von außen Verlässlichkeit zuspielt, die er in sich selbst nicht findet.[5] Der „Christ“ lebt aus dem Glauben an Gott als Herrn der Wirklichkeit und an Christus, sucht das Heil im geschichtlichen Mitvollzug der Selbstmitteilung Gottes, denn die Geschichte ist das Medium des Glaubens.[6] Als geschichtliche Größe lebt der christliche Glauben von überlieferten Bekenntnissen, deren Wahrheitsgehalt oft aus alter und missverständlicher Sprache heraus zu verflüssigen ist.[7] Die Einheit des „Christen“ mit Christus ist ein ‚Sich ausstrecken‘ zwischen dem ‚Schon‘ und dem ,Noch nicht‘ des Gottesreiches.[8] Glauben erstreckt sich in die Zukunft Gottes, hat eine Hoffnungs- und Zuversichtsstruktur.[9] Die Kirche ist die Gemeinschaft derer, die durch den Heiligen Geist in Christus eins sind.[10] Hier ist ersichtlich, dass Glaube zwar subjektiv gestaltet und verantwortet ist, es zur Entstehung und zur Entfaltung jedoch der Glaubensüberlieferung und Glaubensgemeinschaft bedarf.[11] Der christliche Glaube wird also sowohl durch seine geschichtliche als auch durch seine gemeinschaftliche Verfassung charakterisiert. Jener ist durch seinen Anspruch auf Relevanz in der gegenwärtigen Situation definiert. Dieser Anspruch findet seinen Ausdruck in verschiedenen Formen, von der Gestaltung des individuellen Lebens bis hin zu Themen gesamtgesellschaftlicher Bedeutung.[12]
Nicht-altkirchlich-Glaubende empfangen zwei Sakramente: Das Abendmahl und die Taufe. Durch die christliche Taufe vollzieht sich nach Paulus ein Macht- und Herrschaftswechsel über den Täufling, sodass er nicht mehr der versklavenden Macht der Sünde, sondern der befreienden Herrschaft Christi untersteht. Die Taufe ist ein ‚Zusammenwachsen mit der Gestalt des Todes Christi‘[13], das heißt, dass der Getaufte in den Wirkungsbereich der im Kreuzestod kulminierenden Geschichte Jesu hineingestellt wird.[14] Der christlich Glaubende bezieht sich auf Jesus Christus als geschichtlichen Grund und Brennpunkt seiner Glaubensüberzeugung. Der christliche Glaube beinhaltet, Jesus Christus als die ultimative Offenbarung Gottes zu verstehen, indem die Beziehung zwischen Gott, dem Schöpfer, und der sündigen Menschheit durch Gottes versöhnende Liebe erneuert wird, sodass Menschen in Kongruenz mit ihrer geschöpflichen Bestimmung leben können, sofern sie an der Wirklichkeit der Erlösung in Christus teilhaben.[15]
Damit diese Betrachtung nicht einseitig auf Jesus Christus gelenkt wird, möchte ich schon an dieser Stelle als Zwischenbilanz festhalten, dass ein Mensch, der Jesus als den Christus glaubt, schon trinitätstheologisch denkt. Jesus wird metaphorisch als der Sohn des biblisch bezeugten Gott-Vaters geglaubt, der sich in Jesus Christus im Wort des Evangeliums offenbart, welches „Christen“ weiter tragen. Die Kompetenz, Jesus als Gott-Sohn zu glauben, wird Heiliger Geist genannt. Christen glauben an Gott-Vater, Gott-Sohn und Gott-Heiligen Geist, den Glaubensgrund.[16] Die Inhalte des christlichen Glaubens als Aussagen über das Handeln Gottes des Vaters, des Schöpfers, des Sohnes, Versöhners, und Vollenders, Heiligen Geistes, beschreiben immer zugleich die Handlungsmöglichkeiten, Normen und Ziele des menschlichen Glaubens. Darin begründet sich eine handlungsorientierende Kraft, die der christliche Glaube besitzt.[17]
Zur Beantwortung der Frage, was ein „Christ“ sei, erscheint es mir sinnvoll, die Abhandlung „Von der Freiheit eines Christenmenschen“[18], welche 1520 von Martin Luther verfasst wurde, heranzuziehen, da hier die Bedeutung von Gott-Sohn, Gott-Vater und Gott-Heiliger Geist für einen Christen thematisiert wird.[19]
Thema des christlichen Glaubens ist Gottes Beziehung zur Welt der Menschen.[20] Die Rechtfertigungslehre ist das Integral für alle theologischen Themen, da in der Freiheitsschrift das Verhältnis von Gott und Mensch grundsätzlich von Gott aus geregelt wird.
Bei Luther kommt es bezüglich des Heils auf Gnade, Glaube und Christus an. Glauben ist die Bedingung der Möglichkeit des Geschenkes gerecht gesprochen zu werden. Unschwer ist zu erkennen, dass Gott den Glaubenden Gerechtigkeit zuteilt. Hier spricht man von der passiven Gerechtigkeit. Somit wurde die formale und aktive Gerechtigkeit abgelöst, in der Gott Recht spricht und Gerechtigkeit nach der Tora fordert. Denn Jesus Christus hat die Tora, welche jedoch weiterhin als ethische Leitlinie fungiert, als Heilsweg überwunden. Je mehr Jesus Christus im „Christen“ Raum gewinnt, desto weniger sündigt er.
Luther beginnt in „Von der Freiheit eines Christenmenschen“[21] mit Aussagen über die Freiheit und Dienstbarkeit des „Christen“. Die Doppelthese sagt aus, dass „Ein Christenmensch […] ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan [ist und dass] ein Christenmensch […] ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan [ist]“[22]. Er begründet dieses scheinbare Paradoxon durch die zwei Naturen des „Christen“.
Im Hinblick auf die Seele wird der „Christ“ ein geistlicher, neuer, innerlicher -, im Blick auf Fleisch und Blut wird er ein leiblicher, alter und äußerlicher Mensch genannt.[23]
Luther propagiert, dass das Haben oder Tun äußerer Dinge die Seele nicht frei macht, da keines dieser äußeren Dinge, wie zum Beispiel Krankheit und Gefangenschaft des Leibes, bis an die Seele reicht. Der Seele hilft also weder Schein noch Äußerlichkeit, weder Umgang noch Nicht-Umgang mit heiligen Dingen, um frei zu werden, da sich auch Scheinheilige heilig verhalten, beten oder wallfahrten können. Gott offenbart sich in Jesus Christus, im Wort des Evangeliums. Nur darin lebt die Seele fromm, frei und christlich. Allein der Glaube an Gottes Wort gibt der Seele Freiheit von Werken. Nur wenn die Seele Gottes Wort hat, ist sie frei und bedarf nichts weiter. Luther verweist hier auf Matthäus Kapitel vier Vers vier[24]. Der Mensch ist Sünder vor Gott und im Hinblick auf sich selbst. Gottes Wort zeigt das eigene Verderben und die Rettung in Christus. Von diesem Verderben kann der Mensch loskommen, wenn er auf Jesus Christus vertraut, glaubt. Der Mensch ist Gerechter im Hinblick auf Jesus Christus. Alle „Christen“ sollen sich das Wort, das heißt, die Predigt Christi, einprägen, ihren Glauben üben und stärken. Der Glaube allein macht ohne Werke fromm, während der Mensch an den Geboten und Gesetzen Gottes, dem Alten Testament, sein Unvermögen sehen kann. Nach dieser Erkenntnis greift die göttliche Verheißung und Zusage, das Neue Testament. Denn was mit allen Werken der Gebote unmöglich zu erreichen ist, wird dem Glaubenden, kurz gefasst, durch den Glauben zuteil. So geben die Zusagen Gottes, was die Gebote fordern, und vollbringen, was sie befehlen, dadurch sind sowohl die Gebote als auch ihre Erfüllung Gottes eigene Sache. In der Seele eines Christenmenschen regieren allein das Wort und der Glaube. Der Glaube macht gerecht, weil er Gott für wahr hält und ihm die Ehre gibt. Im Gegenzug ehrt Gott die Seele und hält sie für fromm und wahrhaftig, was sie durch solchen Glauben auch ist. Durch den Glauben wird die Seele des Glaubenden mit Jesus Christus vereinigt. Jesus Christus übernimmt die Sünden der gläubigen Seele und da seine unüberwindliche Gerechtigkeit größer als alle Sünde ist, wird die Seele des Glaubenden frei. Durch den Glauben wird das erste Gebot erfüllt, weswegen schon aus diesem Grund der Glauben die Gerechtigkeit des Menschen und die Erfüllung aller Gebote ist.[25]
Jesus Christus ist die erste und einzige männliche Geburt Gottes des Vaters von der Jungfrau Maria. Darum hat Christus als Erstgeborener das geistliche Königs- und Priesteramt inne. Sein Reich besteht, ebenso wie sein Priesteramt, aus geistlichen Gütern. Zum einen bittet er für uns, zum anderen lehrt er uns. Alle Glaubenden haben am Königs- und Priesterrecht Christi teil.[26] Durch den Glauben wird ein Christenmensch so hoch über alle Dinge gehoben, dass er in geistlicher Weise ein Herr über alle wird.[27] Das Priestertum des „Christen“ macht es jedem glaubenden Menschen möglich und ihn würdig vor Gott zu treten und für andere zu bitten. Durch sein Königtum hat der Christenmensch Macht über alle Dinge, durch sein Priestertum hat er Macht über Gott. Das christliche Evangelium muss so gepredigt werden, dass Glauben daraus erwächst und erhalten bleibt. Dies geschieht dann, wenn dem Glaubenden gesagt wird, warum Christus gekommen ist, was er ihm gebracht hat. Dies geschieht dort, wo man die christliche Freiheit recht auslegt, welche die „Christen“ von ihm haben: Sie sind Könige und Priester.[28]
Luther geht nun von der Betrachtung des inneren freien Menschen zu der Betrachtung des äußeren leiblichen Menschen über. Der Leib des Menschen darf den inneren Menschen nicht behindern. Aus diesem Grund muss der Leib geübt werden, dem innerlichen Menschen und dem Glauben gehorsam und gleichförmig zu werden.[29] Ein glaubender frommer „Christ“ tut fromme Werke. So ist der Rückschluss nachvollziehbar, dass, wer gute Werke tun will, fromm sein muss.[30]
Werke, durch welche man selig werden will, sind verwerflich. Eine bloße Werkpredigt ohne Glaubenspredigt ist also irreführend. Die Absicht eines „Christen“ bei allen Werken soll frei und nur darauf gerichtet sein, anderen Menschen damit zu dienen und nützlich zu sein. Er soll sich nichts anderes vor Augen stellen, als, was die anderen nötig haben. Die Dankbarkeit gegen Christus lässt einen „Christen“ des anderen Christus werden. So müssen Gottes Güter von einem zum andern fließen. Sie sollen vom „Christen“ aus zu denen fließen, die sie brauchen. Aus allem folgt der Schluss, dass ein Christenmensch nicht in sich selbst, sondern in Christus und in seinem Nächsten lebt: In Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe.[31]
Dem Leser wird deutlich geworden sein, dass ich mich zunächst an dem traditionellen Glaubenswissen des Credos[32] orientierte, um zu beantworten was das „Christ-sein“ impliziert. Da Glaube jedoch in der Christentumsgeschichte vielfältige Gestalten angenommen hat und es den einen Glauben nicht anders als in vielen konfessionellen, sozialen und individuellen Transformations- und Konkretionsgestalten gibt[33], konzentrierte ich mich auf die evangelisch-lutherische Ausprägung des christlichen Glaubens.[34]
Es ist wichtig, dass nicht unerwähnt bleibt, dass es zwei unterschiedliche Wege gibt, von Gott zu reden, ihn zu denken – ‚von oben nach unten‘ und ,von unten nach oben‘.
Zum einen kann man, wie Luther oder die Verfasser der traditionellen Gottesbeweise, von einem monotheistischen theistischen Gottesbild ausgehen. Der existierende metaphysische ,Gott im Himmel‘ offenbart sich den passiven Menschen, die im Gegenzug an ihn glauben und ihm vertrauen, sich ihm unterwerfen, ihn lieben, ihn verehren und ihm Gehorsam leisten.
Auf der anderen Seite kann man ‚unten‘ ansetzen, von dem Subjekt Mensch ausgehen und Gott ‚von seiner Wolke herunter holen‘. Menschen reden von dem, was sie „Gott“ nennen, als sei es zum Beispiel eine wollende und handelnde Person.
In der vorläufigen Begriffsklärung treten noch beide Denkwege auf.
Jeder Aufklärungsbegriff muss sich an der geschichtlichen Bewegung[35] orientieren, welche sich im 18. Jahrhundert selbst den programmatischen Namen „Aufklärung“ gegeben hat. Diesem Begriff liegt die Metaphorik des Hellmachens und Hellwerdens zu Grunde, denn erst durch das Denken, Argumentieren und Erziehen kamen Licht, Helligkeit und Klarheit in eine Welt der Dunkelheit und Finsternis. Die Aufklärung wurde in der europäischen Neuzeit als deren treibende Kraft und geistige Signatur zu einer alle Lebensbereiche durchdringenden Bewegung.[36]
Nach der heute vorherrschenden Definition bezeichnet „Aufklärung“ als Epochenbegriff jene in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts einsetzende und im 18. Jahrhundert kulminierende europäische Geistesbewegung, durch die in einem alle menschlichen Lebensbereiche von Grund auf verändernden Säkularisationsprozess die „moderne Welt“ heraufgeführt und eine umfassende „Entzauberung der Welt“ eingeleitet wird. Ziel dieser „Entzauberung“ ist im Prinzip die Emanzipation des Menschen aus der Welt des geschichtlichen Herkommens, d.h. seine Befreiung von allen Autoritäten, Lehren, Ordnungen, Bindungen, Institutionen und Konventionen, die der kritischen Prüfung durch die autonome menschliche Vernunft nicht standzuhalten vermögen, sich der Einordnung in ihr gesetzmäßiges System entziehen und sich infolgedessen als Aberglaube, Vorurteil, Irrtum usw. erweisen. Im Zuge dieser „Entzauberung“ strebt die Aufklärung die Erziehung des Menschen zu einem selbstbewußten Vernunftwesen und zu einer selbständigen sittlichen Lebensweise an, die nicht durch die Überlieferung und die Wahrheit einer positiven Religion, sondern durch die Vernunft und die von ihr kraft ihres selbsteigenen Vermögens klar, deutlich und nachprüfbar erkannte Wahrheit über Gott, Welt und Mensch bestimmt ist.[37]
Legt man einen zeitlich wie sachlich weit gespannten Aufklärungsbegriff zu Grunde, so kann ein Epochenkriterium gefunden werden, das der Vielfalt der Phänomene gerecht wird. Aufklärung erscheint dann als jene gesamteuropäische, in Art, Richtung und Intensität nach Ländern und Konfessionen verschiedene Geistesbewegung, durch welche die mittelalterliche Traditions- und Autoritätskultur zerstört wurde.[38]
Mit einem außerordentlichen Selbst- und Sendungsbewusstsein wurde im Namen der Vernunft der Anbruch einer neuen Zeit verkündet, wurde die gesamte Zielsetzung des Lebens weg von der Tradition und den erprobten Werten der Vergangenheit hin auf die Zukunft orientiert. Die Folge war eine wachsende, tief in der eigenen Erfahrung und damit im Lebensgefühl der Zeit verankerte Abkehr von der Vergangenheit, der Tradition und ihren Autoritäten. Diese, dazu zählte auch die Bibel, hatten bis dahin alles menschliche Denken und Handeln bestimmt. Ihre Normen und Werte, ihre Sinndeutungen und Welterklärungen galten auf sämtlichen Gebieten als unüberbietbare Wahrheiten. In dem einsetzenden Prozess der Loslösung kam es zu erheblichen Vorbehalten Theorien gegenüber, nicht primär als Skepsis, sondern als systematischer Wille zur Prüfung alles Bestehenden. Gegen Dogmatismus und apriorische Konstruktionen wurde ein neues Verhalten zur Wirklichkeit, zur Erfahrung wirksam. Die betont wertende Höherstellung des Praxisbezuges gegenüber der reinen Theorie, der Zuwendung zur Empirie und damit zum eigenen Suchen und Erkennen an Stelle der Zustimmung zu irgendeiner berühmten Autorität, begegnet dem Betrachter in der Zeit der Aufklärung.[39]
[...]
[1] Wiedenhofer, Siegfried: Theologie. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Hrsg. von Walter Kasper. 3., völlig neu bearbeitete Auflage. Bd. 9. Freiburg im Breisgau: Herder 2000. S. 1435.
[2] Vgl.: Härle, Wilfried: Dogmatik. Berlin: De Gruyter 1995. S. 10.
[3] Vgl.: Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung. Hrsg. von der Evangelischen Kirche in Deutschland. Neu bearbeitet. Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 1984. Apg 11, 26: „Und als er ihn fand, brachte er ihn nach Antiochia. Und sie blieben ein ganzes Jahr bei der Gemeinde und lehrten viele. In Antiochia wurden die Jünger zuerst Christen genannt.“
[4] Vgl.: Menke, Karl-Heinz: Christ. In: LThK3. S. 1100.
[5] Vgl.: Ritter, Werner H.: Glaube. In: Theologische Schlüsselbegriffe. Biblisch – systematisch – didaktisch. Hrsg. von Rainer Lachmann, Gottfried Adam und Werner H. Ritter. 2. Auflage. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2004. S. 95.
[6] Vgl.: Menke, K.-H.: Christ. S. 1100.
[7] Vgl.: Ritter, W. H.: Glaube. S. 95.
[8] Vgl.: Menke, K.-H.: Christ. S. 1100.
[9] Vgl.: Ritter, W. H.: Glaube. S. 95.
[10] Vgl.: Menke, K.-H.: Christ. S. 1100 - 1101.
[11] Vgl.: Ritter, W. H.: Glaube. S. 96.
[12] Vgl.: Schwöbel, Christoph: Gott in Beziehung. Studien zur Dogmatik. Tübingen: Mohr Siebeck 2002. S. 9ff.
[13] Vgl.: Röm 6, 5 – 14.
[14] Vgl.: Roloff, Jürgen: Taufe. In: Reclams Bibellexikon. Hrsg. von Klaus Koch, Eckart Otto u.a.. 7., überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co. 2004. S. 527 – 529.
[15] Vgl.: Schwöbel, C.: Gott in Beziehung. S. 9ff.
[16] Vgl.: Ritter, W. H.: Glaube. S. 96.
[17] Vgl.: Schwöbel, C.: Gott in Beziehung. S. 9ff.
[18] Luther, Martin: Von der Freiheit eines Christenmenschen. Hrsg. von Ernst Kähler. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 1996. S. 110 – 150.
[19] Luther war kein Systematiker. Er benutzt die hier eingeführten Begriffe nicht in dieser Weise. Trotzdem lässt sich meines Erachtens das Verhältnis und die Bedeutung der drei Personen des Einen Gottes aus der Freiheitsschrift herauslesen. Im Folgenden wird die Position Luthers indikativisch referiert. In Punkt 6 wird durch die eigene Stellungnahme die Einschätzung des referierten Ergebnisses geleistet.
[20] Vgl.: Ritter, W. H.: Glaube. S. 95.
[21] Luther, M.: Von der Freiheit eines Christenmenschen. S. 110 – 150.
[22] Ebd. S. 125.
[23] Vgl.: Luther, M.: Von der Freiheit eines Christenmenschen. S. 125.
[24] Vgl.: Mt 4, 4: „ [...] Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.“
[25] Vgl.: Luther, M.: Von der Freiheit eines Christenmenschen. S. 125 – 134.
[26] An dieser Stelle verweist Luther auf 1. Petr 2, 9.
[27] Als Beispiel können hier Röm 8,28 und 1.Kor 3,21f. angeführt werden.
[28] Vgl.: Luther, M.: Von der Freiheit eines Christenmenschen. S. 134 – 138.
[29] An dieser Stelle verweist Luther auf: Röm 7,22f. und Gal 5,24.
[30] Vgl.: Luther, M.: Von der Freiheit eines Christenmenschen. S. 138 – 145.
[31] Vgl. Luther, M.: Von der Freiheit eines Christenmenschen. S. 145 – 150.
[32] Altkirchliches Glaubensbekenntnis, auch als Apostolikum bekannt. Bekenntnisse sind „norma normata“ und zusammenfassende Auslegung der Heiligen Schrift. Die Heilige Schrift ist „norma norms“. Ich möchte darauf hinweisen, dass ich trotzdem stets bemüht war, nicht im konfessorischen, sondern im analytischen und deskriptiven Modus zu sprechen, da ich den Anspruch habe, aus der objektiven Perspektive darzulegen.
[33] Vgl.: Ritter, W. H.: Glaube. S. 96.
[34] Mit dieser Vorgehensweise möchte ich die katholische Ausprägung christlichen Glaubens, die hier nicht ausformuliert wird, in keiner Art und Weise diffamieren. Da ich mich aber im Kontext der evangelischen Theologie bewege, erschien es mir sinnvoll, Luthers Stimme Gehör zu schenken.
[35] An dieser Stelle möchte ich auf Martin Greschat hinweisen. Dieser proklamiert, dass zur Erfassung des Wesens und der Eigenart der Aufklärung die möglichst genaue Umschreibung ihres historischen Ortes hinzugehört, das heißt die Berücksichtigung der geistigen und geistlichen, der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen, unter denen sie entstand und sich in vielfältig variierenden Erscheinungsformen durchsetzte. Aus diesem Grund skizziert Greschat die wesentlichen Triebkräfte der Aufklärung in den verschiedenen konfessionellen, nationalen und politischen Räumen Europas. Er gibt einen Abriss über die frühe Aufklärung, seit etwa der Mitte des 17. Jahrhunderts, ihre volle Durchsetzung im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts sowie über Ausstrahlungen bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts hinein. Es waren recht unterschiedliche Tendenzen, Kräfte und Erfahrungen, die das Heraufkommen und die Durchsetzung der Aufklärung in Europa förderten und trugen. Entsprechend dieser realen Vielfalt war die Aufklärung von Land zu Land, von einer politisch-ökonomisch-sozialen Umwelt zur anderen zumindest anders akzentuiert. Auch in zeitlicher Hinsicht gab es wichtige Verschiebungen: Das neue Gedankengut mit allen seinen weitreichenden Folgerungen verbreitete sich, grob umrissen, zuerst in Holland und insbesondere in England. Von da aus setzte es sich, in ganz eigener Ausprägung, in Frankreich durch. Von hierher wurde es, erneut umgestaltet durch die jeweils eigenen Gegebenheiten, nach Mittel-, Süd- und Osteuropa getragen. Bei alledem überwogen nach Greschat jedoch Gemeinsamkeiten, sodass es berechtigt ist, generell von einer Epoche der Aufklärung zu sprechen. Die Eigentümlichkeiten dieser Epoche bringt er zusammen mit den Übereinstimmungen und auch den jeweiligen Abweichungen und Unterschieden zur Sprache. Diese Darstellung geht über die in diesem Rahmen zu leistende hinaus. Als diese Fragestellung näher behandelnden Literaturtipp gebe ich folgenden: Greschat, Martin: Die Aufklärung. In: Gestalten der Kirchengeschichte. Die Aufklärung. Hrsg. von Martin Greschat. 2. Auflage. Bd.8. Stuttgart: W. Kohlhammer GmbH 1994. S. 7 – 41. Hier möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass Max Seckler im Kontrast zu Greschat diskutiert, ob der Aufklärungsbegriff als historischer Epochenbegriff festgelegt werden sollte. Er plädiert im Gegensatz zu Greschat dafür, zwischen einem Allgemeinbegriff und einem Artbegriff der Aufklärung zu differenzieren. (Vgl.: Seckler, Max: Aufklärung und Offenbarung. In: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft. Hrsg. von Franz Böckle, Franz-Xaver Kaufmann u.a.. Bd. 21. Freiburg im Breisgau: Herder 1980. S. 15 – 18.)
[36] Vgl.: Seckler, M.: Aufklärung und Offenbarung. S. 12 – 13.
[37] Struke, Horst: Aufklärung. In: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze u.a.. Bd. 1. Stuttgart: Klett-Cotta 1972. S. 245. Diese Definition sei aus der Vielzahl von historischen Aufklärungsbegriffen, die zugleich das sachliche Anliegen dieser Bewegung auszudrücken suchen, hervorgehoben, da diese sich auf umfangreiche begriffsgeschichtliche Untersuchungen stützt.
[38] Vgl.: Seckler, M.: Aufklärung und Offenbarung. S. 20.
[39] Vgl.: Greschat, M.: Die Aufklärung. S. 8 – 12.
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