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Studienarbeit, 2013
47 Seiten
Didaktik für das Fach Deutsch - Pädagogik, Sprachwissenschaft
1.) Einleitung
2.) Was ist eine Novelle?
2.1.) Charakteristika einer Novelle
2.2.) Handelt es sich bei Timms Die Entdeckung der Currywurst um eine Novelle?
3.) Das Kreuzworträtsel
3.1.) Homers Odyssee
3.2.) Kriegerisch-politische Wörter
3.3.) Lösungswörter, die die Machart der Novelle aufgreifen
3.4.) Weitere Lösungswörter des Kreuzworträtsels
4.) Bedeutung von Die Entdeckung der Currywurst für den Deutschunterricht
5.) Handlungs- und produktionsorientierter Unterricht
5.1.) Was zeichnet einen handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht aus?
5.2.) Was sind Möglichkeiten und Grenzen eines handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts in Abgrenzung zu anderen Methoden?
6.) Ein Vorschlag zur Vermittlung: Handlungs- und produktionsorientierte Unterrichtssequenz anhand von Timms Die Entdeckung der Currywurst
6.1.) Didaktische Impulse
6.2.) Methodische Impulse
7.) Schlussfolgerung
8.) Literaturverzeichnis
Im Juni dieses Jahres erschien im Kölner Stadt-Anzeiger ein Artikel darüber, wo man in Köln die beste Currywurst essen kann. Das Ergebnis des Testers war an der Bratwurst-Manufaktur auf der Dürener Straße.[1] Die Currywurst hat in allen Städten Deutschlands Einzug erhalten und wird in verschiedenen Formen serviert. Sogar die Fast-Food-Kette Mc Donald’s hat zweitweise seinen Artikel „McCurrywurst“ verkauft und der „Curry King“ aus dem Kühlregal von Meica ist in aller Munde. Aber woher kommt die Currywurst? Aus Berlin, Hamburg oder doch dem Ruhrgebiet? Wer hat sie erfunden oder gab es mehrere Erfinder? Diese Frage stellt sich der Ich-Erzähler der Novelle Die Entdeckung der Currywurst von Uwe Timm. Der Titel lässt vermuten, dass sich das Werk ausschließlich darum bemüht, aufzuklären, wer und wo die Currywurst entdeckt wurde. Jedoch kommt es anders. Denn die im Altersheim lebende Lena Brücker erzählt nach Bitten des Ich-Erzählers nicht direkt, wie sie ihre Currywurst-Bude in Hamburg aufgemacht hat, sondern berichtet ihm von einem Verhältnis mit einem fahnenflüchtigen Soldaten während des Endes des Zweiten Weltkrieges. Zum Schluss erfährt der Leser aber trotzdem, wer in der Novelle die Currywurst erfunden hat und wo sie zum ersten Mal aufgetaucht ist.
Die vorliegende Arbeit wird sich mit Timms Werk aus dem Jahre 1993 eindringlich beschäftigen. Anfangs wird geklärt, ob sich der von Timm gegebene Untertitel „Novelle“ für das Werk bestätigen lässt, indem zuerst die allgemeinen Gattungsmerkmale dieser literarischen Form aufgezeigt und mit dem literarischen Text in Verbindung gebracht werden. Währenddessen wird sich zeigen, dass Symbole und Leitmotive gehäuft in Novellen aufzufinden sind, wodurch eine Überleitung zu dem Symbol des Kreuzworträtsels geschaffen wird, welches Hermann Bremer in der Wohnung löst. Es wird auf die verschiedenen Lösungswörter eingegangen und welchen Bezug sie zu der Handlung in der Novelle einnehmen. Besondere Aufmerksamkeit kommt der Verbindung zu dem Mythos von Kalypso und Kirke aus Homers Odyssee zu. Anschließend wird geklärt, ob Die Entdeckung der Currywurst für einen Unterricht geeignet scheint oder nicht. Denn im weiteren Verlauf soll eine Unterrichtssequenz zu Timms Novelle formuliert werden. Dabei wird zunächst allgemein der handlungs- und produktionsorientierte Literaturunterricht vorgestellt und seine Vor- und Nachteile gegenübergestellt, um die handelnd produktiven Verfahren auf die dargestellte Novelle anzuwenden. Zum Schluss wird ein konkreter Unterrichtsverlauf vorgestellt, der sich auf die produktions- und handlungsorientierten Methoden stützt, indem zwischen den didaktischen und den methodischen Impulsen unterschieden wird.
Im folgenden Verlauf soll zunächst erläutert werden, was die charakteristischen Merkmale einer Novelle sind, um anschließend zu klären, ob es sich bei Die Entdeckung der Currywurst von Uwe Timm wirklich um eine Novelle handelt, wie es der Prätext voraussetzt. Denn viele Autoren haben unter ihre Werke den Zusatz Novelle vermerkt, damit sie veröffentlicht werden. Zuvor muss festgehalten werden, dass es für die Literaturwissenschaft zwar sinnvoll und notwendig ist, Werke und Texte in Gattungen zu unterteilen, um sie miteinander vergleichen zu und abgrenzen zu können. Allerdings zeigt jede Art von Literatur eine eigene Beschaffenheit auf und kann von den Merkmalen der Gattung abweichen, die von Literaturwissenschaftlern festgelegt worden sind.
Die Bezeichnung Novelle leitet sich aus dem lateinischen Adjektiv „novellus“ ab, welches unter anderem mit „neu, neuerworben, neuerobert“[2] übersetzt werden kann. So wird auch in einer Novelle etwas Neues und Überraschendes erzählt. Die Gattung taucht das erste Mal Ende des 13. Jahrhunderts mit Il Decamerone von dem Italiener Boccacios auf. Im deutschen Sprachraum kommt die Bezeichnung im 17. Jahrhundert vor, wobei dabei eine neue Meldung in einer Zeitung gemeint ist. Als konkrete Gattungsbezeichnung etabliert sich die Bezeichnung dann Ende des 18. Jahrhunderts dank Goethes Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten.[3] An dieser Stelle kann nicht expliziter auf die Geschichte der Novellengattung eingegangen werden, da es den Umfang der Arbeit übersteigen würde.
Ein Merkmal einer Novelle ist die Beschränkung auf einen Handlungsstrang, welcher auf einen Höhepunkt zuläuft und sich um ein unglaubliches und überraschendes Ereignis dreht. Das Ende erfolgt nach einem Höhe- und Wendepunkt mit einem spannungslosen Ausklang. Es kann einen oder mehrere Wendepunkte in einer Novelle geben. Das Geschehen einer Novelle besteht aus einer Binnen- und Rahmenhandlung. Mithilfe dieser Konstruktion soll ein mündlicher Charakter geschaffen werden, welcher auch mithilfe von einer alltagsnahen Sprache und Dialektik hervorgerufen wird.[4] Die Rahmung der Handlung besteht aus der „retrospektive(n) Erzählung durch eine ehemals beteiligte Figur der Handlung […] und die Erzählung […] durch einen außenstehenden, aber oftmals personalisierten Erzähler.“[5] Eine Novelle besitzt eine mittlere Länge, so dass eine zeitliche Raffung stattfindet. Es sind wenige Personen an der Handlung beteiligt und es wird sich auf wenige Schauplätze beschränkt. Nach Goethe muss jede Novelle „ ‚eine sich ereignete unerhörte Begebenheit‘“[6] enthalten.[7] In dem Moment der Begebenheit wird ein Anspruch auf Wirklichkeit stark gemacht. Dabei bedeutet das Faktum unerhört, dass der Leser die erzählte Geschichte noch nicht kennt und dass „etwas Außerordentliche(s) berichtet“[8] wird, welches sich durch Bruch mit den Normen auszeichnet oder die Einmaligkeit. Zusätzlich wird mit dem Merkmal der unerhörten Begebenheit und dem Wort Novelle die Neuheit des Erzählten verdeutlicht, welches wahr sein soll.[9] Die Handlung der Novelle erzählt von einem Ereignis oder einer bestimmten Situation, die sich mit Alltäglichkeit auszeichnet. Diese Situation besteht vornehmlich aus Krisen oder schwierigen Gegebenheiten, mit denen normale und alltägliche Persönlichkeiten konfrontiert werden und die sich im Laufe des erzählten Geschehens wenden und verändern. Deswegen gilt die Novellengattung als „literarische Form ‚von unten‘.“[10] Das Geschehen der Novelle muss nachvollziehbar, realistisch und möglich sein, ist aber nicht an eine historische Wahrheit gebunden, aber die Novelle besitzt Wahrheitsanspruch. Zudem wird der Rezipient am Anfang einer Novelle direkt und unverbindlich in das Ereignis hineingeführt, so dass er sich mitten in der Handlung wiederfindet.[11] In einem Symbol verdichten sich „ein Erlebnis oder eine Erfahrung.“[12] Die Handlung der Novelle zentriert sich auf eine Dingsymbolik, welches ein Symbol in Form von einem Gegenstand ist, oder auch den sogenannten Falken[13].[14] Ein Dingsymbol ist „ein Gegenstand von symbolhafter Bedeutung, der an bedeutsamen Stellen wiederholt erscheint“[15] und das „etwas Konkretes, für die Erzählung Wichtiges bezeichne(t), aber zugleich Allgemeineres bedeute(t).“[16] welches einen Wendepunkt vergegenständlicht. Das Dingsymbol bildet somit als ein sich wiederholendes Leitmotiv der Novelle den Mittelpunkt der Handlung, um das sich der Wendepunkt dreht.
Der Autor Uwe Timm hat sein Werk selbst mit dem Zusatz „Novelle“ betitelt. Nun wird ausgehend von den zuvor angestellten Überlegungen der Frage nachgegangen, ob sich der Text in die Gattung der Novelle einordnen lässt. Mit knapp 187 Seiten erfüllt das Werk schon mal das Merkmal von einer mittleren Länge, jedoch ist das nicht der ausschlaggebende Punkt, um einen Text Novelle zu nennen. Da ist schon eher die Konstruktion eines Rahmens entscheidend. In Die Entdeckung der Currywurst erzählt ein personalisierter Ich-Erzähler in der Rahmenerzählung, wie er nach „gut zwölf Jahren“[17] die Imbissbudenbesitzerin Frau Brücker wieder getroffen hat, um zu klären, ob diese Dame in Hamburg schon vor dem Aufkommen in Berlin die Currywurst serviert hat (vgl. EdC, 9). Der anonyme Ich-Erzähler besucht sie an „sieben Nachmittagen“ (EdC, 15) im Jahr 1989,[18] um von ihr die Geschichte der Erfindung der Currywurst zu erfahren. Diese Rahmenhandlung entsteht sozusagen aus der Not heraus, die wahre Erfinderin der Currywurst ausfindig zu machen. Viele Rahmenerzählungen von Novellen entstehen aus einer „ ‚existentielle(n) Notsituation [heraus] […], die den Erzählakt motiviert bzw. durch ihn ‚behandelt‘ wird.“[19] Frau Brücker erzählt ihm von ihrem Leben in den Jahren 1945 bis 1946, bei der es vornehmlich nicht um die Entdeckung der Currywurst geht, sondern vielmehr um eine Liebesgeschichte, obwohl noch zu untersuchen ist, ob es sich tatsächlich um Liebe handelt. Diese Retrospektive der Figur Brücker bildet die Binnenhandlung des Werkes. Es findet immer wieder ein Wechsel der verschiedenen Zeitebenen und Handlungen statt, wobei die Binnenerzählung auch von einer Vorvergangenheit berichtet, indem Frau Brücker von ihrem Ehemann erzählt oder von der Deportation von Juden im Jahr 1942 (vgl. EdC, 148). Somit ist ein wichtiges Kriterium der Gattung Novelle mit dem extra- und intradiegetischen Aufbau erfüllt.
Die Sprache entspricht auch der Gattung der Novelle, indem eine Alltagssprache und Dialektik benutzt wird, wie beispielsweise an dem Satz „Hat was mitm Wind zu tun“ (EdC, 9) zu erkennen ist. Auch die handelnden Personen sind Menschen aus dem Alltag. Denn Frau Brücker repräsentiert in der Binnenerzählung einen Typ von Frau, wie sie in der Kriegszeit vorzufinden waren. Ihr Mann und ihr Sohn sind an der Front und ihre zwanzigjährige Tochter als Arzthelferin in Hannover (vgl. EdC, 31-32). Lena ist alleine und versucht sich durch Arbeit in einer Kantine zu versorgen. In der Rahmenerzählung ist sie eine normale alte Dame, welche in einem Altersheim lebt. Das Erzählte in dem Werk muss nicht historisch war sein, aber es besitzt Plausibilität und kann so geschehen sein. Es findet zwar ein „untypisches Tauschgeschäft“[20] mit Frau Brücker statt, durch den sie schließlich an das Gewürz Curry und durch einen Zufall die Currysoße entdeckt hat, aber alles in allem bleibt die Geschichte nachvollziehbar. Die Novelle muss fiktional sein, da beispielsweise an manchen Stellen die Innensicht Bremers erzählt wird, die die Erzählerin Brücker nicht wissen kann (vgl. EdC, 74). In dem Text sind wenige Personen beteiligt und es wird sich auf wenige Schauplätze besinnt. Denn in der Rahmenhandlung lässt sich das Altersheim als Schauplatz finden und in der Binnenhandlung Lenas Wohnung. Zusätzlich zeigen sich in der Rahmenhandlung nur der Ich-Erzähler und Frau Brücker und in der Binnenhandlung vornehmlich Hermann Bremer, Lena Brücker, Tante Hilde, Lammers, Frau Eckleben, Gary, Holzinger und Dr. Fröhlich. Dadurch werden weitere Merkmale der Gattung Novelle erfüllt. Ein weiteres Kriterium bildet das Eintreten des Rezipienten am Erzählanfang in das unmittelbare Geschehen. Am Anfang des vorliegenden Werks werden dem Leser die Zeit- und Ortangaben des Rahmengeschehens gegeben. Der Ich-Erzähler besucht Frau Brücker in Hamburg zwölf Jahre nachdem sie sich zuletzt gesehen haben. Der Ich-Erzähler beginnt mit seiner Geschichte in der Vergangenheit, indem er beschreibt, wo früher Frau Brückers Imbissbude gestanden hat, in der er vor zwölf Jahren zuletzt gegessen hat und immer wieder wegen der Currywurst von München nach Hamburg gefahren war. Er berichtet mit Einschüben aus einer noch weiter zurückliegenden Vergangenheit, die von Erlebnissen mit seiner Tante erzählen, die er während der Kriegsjahre unerlaubt besucht hatte, wie er Frau Brücker öfter in Hamburg in der Imbissbude antraf, „als sei [es] […] erst gestern gewesen“ (EdC, S.7). Die gegenwärtige Handlung beginnt dann mit dem zweiten Absatz, indem der Ich-Erzähler Frau Brücker aufsucht, um die Erfindung der Currywurst zu erfragen (vgl. EdC, 7-11). Der Leser wird zwar unmittelbar in den Ort und die Zeit des Geschehens eingeführt, aber die eigentliche Handlung beginnt erst ein paar Seiten später.
Es gibt in Timms Werk einen Handlungsstrang, der darin besteht, dass Frau Brücker, zwar mit Abschweifungen, von der Entdeckung der Currywurst berichtet, weshalb der Ich-Erzähler sie aufsucht. Manche Literaturwissenschaftlicher verbinden mit der Gattung Novelle, dass das Zentrum dessen Handlung „das sexuelle Vergehen von Personen [ist], denen Sexualität gesellschaftlich nicht erlaubt ist.“[21] Dies ist auch in dem zu untersuchendem Werk der Fall, da Lena und Hermann eine sexuelle Beziehung führen, obwohl sie beide verheiratet sind. Zudem darf sich Hermann als Marinesoldat, der eigentlich an der Front sein müsste, gar nicht in der Wohnung aufhalten und somit ist die Beziehung zwischen beiden verboten. Aus diesem Grund legen sie auch die beiden Matratzen auf dem Boden, damit sie keiner beim Geschlechtsverkehr hört. Auf die „Matratzeninsel“ (EdC, 96) wird später noch eingegangen werden. Der Höhe- und Wendepunkt befindet sich in der Novelle innerhalb der Binnenerzählung, wenn Bremer von Lena an den Kopf geworfen bekommt, dass der Zweite Weltkrieg zu Ende ist und er daraufhin ihre Wohnung verlässt. Nun stellt sich die Frage, ob es in Die Entdeckung der Currywurst ein von der Novellengattung gefordertes unerhörtes Ereignis gibt. Die Geschichte ist für den Leser dahingehend unerhört, da er diese Version von der Erfindung der Currywurst in Hamburg noch nicht kennt. Die sexuelle Beziehung zwischen den beiden Verheirateten während der Kriegszeit bricht aufgrund des Ehebruchs mit den Normen und kann deswegen als unerhört gelten. Zudem wird durch Lenas Lügen und Schweigen gegen die Moral agiert. Die daraus resultierende Gefangenschaft könnte auch als unerhörte Begebenheit gedeutet werden, da es moralisch verwerflich ist.[22] Das Verstecken des Soldaten in ihrer Wohnung bricht zusätzlich gegen die in der Kriegszeit vorherrschende Norm und Regel. Für den Autor selbst stellt die Erfindung der Currywurst die unerhörte Begebenheit in seiner Novelle dar wegen der Neuigkeit dieses Essens.[23] Es kann festgehalten werden, dass mehrere unerhörte Begebenheiten in Timms Werk zu finden sind, wobei immer der Anspruch auf Wirklichkeit und Tatsächlichkeit in Anspruch genommen wird. Zudem ist zu klären, ob sich eine Dingsymbolik in dem Werk finden lässt. Beispielsweise lässt sich in der Feldplane, dem Pullover, dem Reiterabzeichen oder der Currywurst eine Dingsymbolik finden. Jedoch können sie an dieser Stelle nicht genauer betrachtet werden, da es den Umfang der vorliegenden Arbeit übersteigen würde.[24] Im weiteren Verlauf wird deshalb ein Symbol und Leitmotiv herausgegriffen, um es umfangreich betrachten zu können.
Es lässt sich zusammenfassen, dass Uwe Timms Werk viele Merkmale einer Novelle erfüllt: „Anschein historischer Wahrheit, Dramatik der geschilderten Begebenheit, einsträngige Handlung, meist chronologischer Erzählverlauf, konzentrierte, knappe, zügige voranschreitende Darstellung, verallgemeinernde Beschreibung von Menschen und Sitten sowie die Verwendung von Dingsymbolik“[25] und das Aufkommen einer unerhörten Begebenheit.
Im folgenden Verlauf soll eindringlich auf die Symbolik der Kreuzworträtsel eingegangen werden, die Hermann Bremer in der Wohnung von Lena Brücker löst, während diese arbeiten ist, um der Langeweile zu entgehen. Der Autor Uwe Timm selbst erklärt, dass für ihn eine Novelle „wie ein Kreuzworträtsel angelegt“[26] sei. Das Symbol des Kreuzworträtsels wiederholt sich mehrfach in dem literarischen Werk und nimmt eine zentrale, leitmotivische Rolle ein. Es spiegelt die Unwissenheit Bremers wider, die darin besteht, dass er nicht weiß, dass der Zweite Weltkrieg zu Ende ist und die Langweile, die er hat wegen seiner Beschäftigungslosigkeit in der Wohnung. Das Rätsel bringt „als Text im Text“[27] Bremer die Welt von außen in die Wohnung und ist dadurch „ein intertextuelles Relais.“[28] Das Kreuzworträtsel symbolisiert im gesamten Geschehen die Machart der Novelle, die zwischen der Rahmen- und Binnenhandlung und den verschiedenen Erzählzeiten springt. Die Rahmen- und Binnenhandlung überkreuzen sich, wie es auch die verschiedenen Lösungswörter in dem Rätsel machen. Sie gehen ineinander über, wie die beiden Erzählungen in Die Entdeckung der Currywurst.[29] Dadurch findet wie bei der Currywurst eine Verbindung zwischen dem „Fernste(n) mit dem Nächsten“ (EdC, 10) statt. Es wird sich zeigen, dass viele Lösungswörter auf Bremers Situation in der Wohnung Bezug nehmen. So könnte gedacht werden, dass der Autor versucht seiner Erzählfigur etwas mitzuteilen, was er natürlich nicht verstehen kann. Die Anspielungen sind „ein ironischer Kommentar des Autors zu seiner Erzählung als ein wesentliches Element der Handlung.“[30] Zudem wird mithilfe des Kreuzworträtsels in der Binnenerzählung eine Verknüpfung zur Rahmenhandlung hergestellt. Denn auch der Ich-Erzähler möchte eine Lösung zu einem sich selbst gestellten Rätsel erfahren und zwar, die Frage danach, wer die Currywurst erfunden hat.[31] Die in dem Rätsel gesuchten Lösungswörter lassen sich in vier Kategorien einteilen, auf die nun expliziter eingegangen wird.
Dabei stellt die erste Kategorie eine Intertextualität zu einem Werk Homers dar. Die Intertextualität ist ein „hermeneutisch erfassbares Gestaltungsmerkmal literarischer Texte“,[32] indem in einem Werk in vielfältiger Weise explizit oder implizit auf andere literarische Texte Bezug genommen wird. Im weiteren Verlauf wird zu sehen sein, dass Die Entdeckung der Currywurst den „Mythos zitiert oder konnotiert und zugleich performativ inszeniert“[33] und fortschreibt. Generell kann gesagt werden, dass Intertextualität in Timms Werken „ein Geflecht aus Ordnung und Chaos [ist], das seine Identität, seinen realistischen, utopischen und politischen Charakter erst im Bezug auf Andere konstituiert.“[34]
[...]
[1] Vgl. Kölner Stadt Anzeiger: Geschmackssache.
[2] Hau: Pons, S. 668.
[3] Vgl. Pleticha: Novelle, S. 60.
[4] Vgl. Vogt: Wie analysiere ich eine Erzählung?, S. 176-177.
[5] Ebd., S. 180.
[6] Korten: Novelle, S. 548.
[7] Vgl.ebd., S. 547-548.
[8] Aust: Novelle, S. 10.
[9] Vgl. ebd., S. 9-11.
[10] Vogt: Wie analysiere ich eine Erzählung?, S. 177.
[11] Vgl. Füllmann: Einführung in die Novelle, S. 7-17.
[12] Schede: Interpretationen Deutsch, S. 65.
[13] Die Bezeichnung des Falkens entsteht aus Boccaccios Decamerone. Denn in dieser Novelle versucht ein Mann die Liebe einer Frau zu gewinnen, indem er ihr einen Falken zum Essen serviert. Die Geschichte wendet sich dahingehend, dass die Frau sich wegen des Falkens auch in den Mann verliebt (vgl. Pleticha: Novelle, S. 61).
[14] Vgl. ebd., S. 60-61.
[15] Noack: Spiel mit der Gattung, S. 51.
[16] Steine>
[17] Timm: Die Entdeckung der Currywurst, S. 7. Künftig zitiert mit Sigle EdC und der Seitenangabe.
[18] Die Zeitangabe ergibt sich aus der Annahme, dass Lena Brücker im Jahr 1945 43 Jahre alt ist (vgl. EdC, 34) und in der gegenwärtigen Rahmenerzählung „fast siebenundachtzig“ (EdC, 90) ist. 1989 bildet im Übrigen eine erwähnenswerte Anspielung zu der Wende, wie auch 1945 eine Wende darstellt.
[19] Aust: Novelle, S. 14.
[20] Vogt: Wie analysiere ich eine Erzählung?, S. 185.
[21] Schlaffer: Poetik der Novelle, S. 27.
[22] Vgl. Vogt: Wie analysiere ich eine Erzählung?, S. 186.
[23] Vgl. Durzak: Die Position des Autors, S. 347.
[24] Vgl. hierzu Noack: Spiel mit der Gattung, S. 48-50.
[25] Schede: Interpretationen deutsch, S. 88.
[26] Durzak: Die Position des Autors, S. 347.
[27] Vogt: Erzählen heißt Stricken mit Wörtern, S. 84, Sp. 3.
[28] Ebd.
[29] Vgl. Noack: Spiel mit der Gattung, S. 50.
[30] Schede: Interpretationen deutsch, S. 79.
[31] Vgl. Lorenz: Kalypsos Matratzeninsel, S. 252.
[32] Schöll: Chaos und Ordnung zugleich, S. 128.
[33] Ebd., S. 137.
[34] Ebd., S. 139.