Bachelorarbeit, 2013
103 Seiten, Note: 1,3
Vorwort
Zusammenfassung
abstract
1. Einleitung
1.1. Problemstellung
1.2. Zielsetzung der Arbeit
1.3. Gliederung der Arbeit
2. Definitorische Grundlegungen
2.1. Kultur
2.2. Interkulturalität in Abgrenzung zu Multi- und Transkulturalität
2.3. Religion
2.4. Konflikt
2.5. Interkultureller Konflikt
3. Ein dialektisches Wechselspiel: Zum Verhältnis von Kultur, Religion und Konflikt
3.1. Metaperspektiven des aktuellen sozialwissenschaftlichen Diskurs
3.1.1. Die primordialistische Perspektive
3.1.2. Die instrumentalistische Perspektive
3.1.3. Die konstruktivistische Perspektive
3.2. Das Verhältnis von Kultur und Religion
3.3. Kultur und Religion in Konfliktsituationen
3.3.1. Der Ansatz der „Cultural Variability“
3.3.2. Der Ansatz des „Need for Cognitive Closure - NFC“
3.3.3. Der Einfluss von Stress auf Konfliktsituationen
3.3.4. Kulturalisierung und Religiosierung
3.3.4.1. Die Attributionstheorie
3.3.4.2. Der Social Identity Approach
3.3.5. Vorurteile und Stereotype
4. interkulturelle Mediation als Handlungskonzept der Konflikttransformation
4.1. Mediation und ihr implizites Universalitätspostulat
4.2. interkulturelle Mediation perspektivenreflexiv
4.3. Bisherige interkulturelle Mediationsmodelle
4.3.1. Das klassische 5-Phasen Modell
4.3.2. Die Ethno Mediation
4.3.3. Das Mediationsmodell nach Augsburger
4.3.4. Das „Elective Model“ nach Lederach
4.3.5. Die spontane Laienmediation nach Busch
4.3.6. Das kultursynergetische Modell nach Mayer
5. Methoden der interkulturellen Mediation in Konflikten mit religiöser Dimension
5.1. Die Debatte um methodisches oder spontanes Vorgehen
5.2. religiös politisches Dolmetschen nach Aroua
5.3. kunstbasiertes Arbeiten nach LeBaron
5.4. Diapraxis nach Rasmussen
5.5. kulturell balancierte Co-Mediation nach Mason und Kassam
6. Resümee und Ausblick
6.1. Resümee
6.2. Ausblick
7. Darstellungsverzeichnis
8. Abkürzungsverzeichnis
9. Literaturverzeichnis
10. Anhang
A.1. Konflikteskalationsstufen nach Glasl
A.2. Allensbacher Umfrage Kampf der Kulturen in Deutschland
A.3. Das elektive Trainingsmodell nach Lederach
A.4. Das zentralamerikanisches Modell der Konfliktbearbeitung
Die vorliegende Bachelorarbeit „Interkulturelle Mediation in Konflikten mit religiöser Dimension“ entstand aus meinem besonderem Interesse am Themengebiet der interkulturellen und interreligiösen Friedensarbeit.
Dieses wurde insbesondere durch längere Auslandsaufenthalte in Konfliktherden, wie Israel und Palästina, Ägypten kurz nach dem Sturz Hosni Mubaraks oder dem Nord - und Südsudan geweckt. Durch diverse Praxiserfahrungen im Bereich der Migranten - und Flüchtlingsarbeit in Deutschland, sowie durch mein Engagement in der Jungen Islam Konferenz 2012 und 2013 auf Bundesebene, steht mir auch in Deutschland der noch immer problematisierte Diskursüber kulturelle und religiöse Minderheiten, allen voranüber Islam und Muslime als größte kulturelle und religiöse Minderheit vor Augen.
Um Mediation als Weg der Konflikttransformation im Folgenden näher aus- führen zu können, möchte ich mich, stellvertretend für viele weitere insbesonde- re bei Prof. Dr. Dr. Claude-H é l è ne Mayer, Dr. Katharina Kriegel-Schmidt, PD Dr. Anne Koch, sowie bei Pastor James Wuye, Imam Muhammad Ashafa und den Mitarbeitern des Interfaith Mediation Centre in Nigeria für ihre Unter- stützung bedanken.
Diese Bachelorarbeit trägt den Titel: „Interkulturelle Mediation in Konflikten mit religiöser Dimension - Eine Breitenanalyse zu praktischen Methoden der Deeskalation und Konflikttransformation“.
Sie führt zunächst in die Verhältnisbestimmung der spannungsvollen Phänomene Kultur, Religion und Konflikt ein. Dazu werden aktuell diskutierte Perspektiven und Theorien, etwa des Primordialismus, Instrumentalismus oder Konstruktivismus vorgestellt und anhand von Erkenntnissen der kulturvergleichenden Konfliktforschung hinterfragt.
Mediation gilt als Verfahren zur Konflikttransformation, sie wird unter Analyse ihrer zugrundeliegenden Modelle und Methoden auf ihre konkrete Anwendbarkeit in interkulturellen und interreligiösen Praxisfeldern hin analysiert.
Die Methoden des religiös politischen Dolmetschens, des kunstbasierten Ar- beitens, der Diapraxis oder der kulturell balancierten Co-Mediation werden ab- schließend als Ergänzung zu herkömmlichen Mediationsmethoden vorgeschla- gen.
This bachelor thesis holds the title: „Intercultural mediation in conflicts with religious dimension - a broadly based analysis for practical methods of deescalation and conflict transformation.“
At first it sees itself as an introduction into the relationship of culture, religion and conflict. For that purpose current perspectives and theories such as primordialism, instrumentalism or constructivism are presented and questioned by perceptions of culture comparing conflict research.
Mediation sees itself as a procedure for conflict transformation. It is therefore being analyzed in terms of models and methods that are at her basis whether and how it could be used in intercultural and interreligious settings.
The methods of religious political interpreting, the arts based approach, Diapraxis, as well as culture balanced Co-Mediation are proposed in addition to conventional mediation methods.
„The challenge of our time is learning how to manage, negotiate or navigate through multiple worlds.“ 1
Infolge des Globalisierungsprozesses, diverser Migrationsbewegungen und steigender Mobilität sind kulturelle Kontakte, damit einhergehende Spannungen und Konflikte weltweit im Steigen begriffen.
Sie gelten als wesentliches Erscheinungsmerkmale moderner Gesellschaften, so auch der Bundesrepublik Deutschland, die sich in einer, seit dem Jahr 20002 erstmals offiziell anerkannten sozialen Umbruchsphase befindet. Obwohl im politischen Diskurs seither Schlagworte wie Vielfalt oder diversity manage ment aufkommen, ist die deutsche Gesellschaft noch lang nicht so offen und tolerant, wie von offizieller Seite erwünscht.
Während sich durch die Globalisierung einerseits eine neue Weltkultur im Entstehen begreift, werden synchron lokale und regionale Differenzen der Ethnizität, des religiösen Bekenntnisses und identitätsstiftende Symbole zur Grenzziehung betont.3 In neuen Formen kommunaler Nachbarschaft etwa scheinen Menschen differenter Herkunft, Tradition, oder Religion, sowie unvereinbare Wahrheiten und soziale Realitäten aufeinanderzuprallen.4
Was beispielsweise als ergebnisoffener Dialogüber den Bau und Standort einer Ahmadyya-Moschee in Berlin Heinersdorf begann, entpuppte sich 2006 als „Gefühl, [...] ein ganzes Wertesystem“ verteidigen zu müssen. Der Spiegel resümierte: „Am Rande von Berlin kämpfte die freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen die Scharia.“5
Wenngleich Auseinandersetzungen nie auf einzelne Faktoren rückführbar sind, gelten Konflikte mit einer religiösen Dimension jedoch aufgrund ihrer vermeintlich unverhandelbaren Natur religiöser Identitäten und Themen als besonders schwer lösbar.
Das seit den 1970`er Jahren vertretene Säkularisierungspostulat, welches etwa den Rückzug der Religion ins Private annahm, scheint revidiert, vielmehr kommt es zu einer Art postsäkularen Wiederkehr religiöser Elemente,6 welche sich als Teil der Öffentlichkeit neu etablieren.7 Mit einem, meist rein akademisch geführten Dialog der Religionen werden aber auch bestehende Konflikte an der Basis nur bedingt aufgegriffen.8
Mediation als alternative Streitbeilegungsmethode könnte hier effektivere Verfahren zur Konfliktlösung bieten, als dass sie an der konkreten Lebenswelt der Parteien anknüpft und Religion als Teil derselben ernst zu nehmen vermag. Ein steigender Bedarf besteht demnach nicht nur bezüglich guter Integrations-, sondern auch interkultureller Mediationskonzepte um einer Eskalation kulturbe- dingter Konflikte präventiv entgegenzuwirken, bzw. bestehende zum Erhalt des sozialen Friedens konstruktiv zu bearbeiten und zu deeskalieren.9
Da deutschsprachige Forschungsbemühungen jedoch noch hinter den interna- tionalen Entwicklungen, allen voran der angloamerikanischen Mediationsfor- schung zurückliegen,10 möchte sich die vorliegende Arbeit als Anstoß verstehen diesen Bereich der interkulturellen Mediation auch in Deutschland interdiszipli- när zu erforschen.
Von dieser Themenstellung ableitend, lässt sich auch die Zielsetzung dieser Arbeit formulieren: Inwiefern ist das Modell Interkulturalität als Grundlage für Mediation im Kontext kultureller Unterschiede zielführend? Wie vermag Kultur und Religion in diesem Kontext Konfliktsituationen zu beeinflussen? Wie müs- sen daher Mediationsmodelle für die interkulturelle und interreligiöse Praxis mit dem Anspruch der Konflikttransformation beschaffen sein? Welche konkreten Mediationsmodelle und Methoden sind vor diesem Hintergrund denkbar?
Meine Vorgehensweise versucht anhand von vier aufeinander aufbauenden Kapiteln zumindest in Ansätzen der Interdisziplinarität des Themas gerecht zu werden. Einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben sie damit aber in keinster Weise.
In Kapitel 1 werden zunächst geeignete Arbeitsdefinitionen verschiedener Kultur-, Religions- und Konflikttheorien ausgeführt. Ebenso wird der Ansatz der Interkulturalität im Hinblick auf weitere in der Debatte stehenden Modelle, wie der Multi- oder Transkulturalität abgegrenzt.
In Kapitel 2 findet eine Annäherung an die spannungsumwobene Beziehung zwischen Kultur, Religion und Konflikt statt. Hierzu werden einleitend die drei, den aktuellen Diskurs bestimmenden Metaperspektiven dieses Verhältnisses anhand des Primordialismus, des Instrumentalismus, sowie des Konstruktivis- mus mit ihren spezifischen Grundannahmen und Vertretern vorgestellt.
Aufbauend wird nochmals detaillierter auf das Wechselverhältnis von Kultur, Religion und Konflikt eingegangen. Dafür ist zunächst separat das Verhältnis von Kultur und Religion zu beleuchten, sodann die Rolle von Kultur und Religi- on in Konfliktsituationen zu analysieren. Dies geschieht beispielhaft anhand des Ansatzes der „Cultural Variability“, der Theorie des „Need of Cognitive Closure - NFC“ , sowie mittels Erkenntnissen aus der Stressforschung. Kulturalisierung und Religiosierung als Strategien in Konflikten sollen beispielhaft durch die At- tributionstheorie und den Social Identity Approach Bearbeitung finden, bevor die besondere Bedeutung von Stereotypen und Vorurteilen in Konfliktsituationen ausgeführt wird.
Kapitel 3 wird sich schließlich der Methode der interkulturellen Mediation als Mittel der Konflikttransformation zuwenden. Ausgehend von einer kritischen Be- trachtung des Verfahrens als scheinbar universell anwendbares Handlungskon- zept, werden bisherige Modelle interkultureller Mediation vorgestellt. Hierzu zählen nach ihrem Selbstanspruch das klassische 5-Phasen-Modell, das „Elective Model“ von Lederach, die Gegenüberstellung eines klassischen und eines traditionellen Mediationsmodells nach Augsburger, die spontane Laien- mediation nach Busch, sowie das kultursynergetische Modell nach Mayer.
Nach Skizzierung der Debatte um methodisches oder spontanes Vorgehen, werden in Kapitel 4 konkrete Mediationsmethoden für den Bereich interkultureller Konflikte mit religiöser Dimension vorgestellt. Als weiter zu entwickelnde Anregungen verstehen sich etwa das religiös-politische Dolmetschen nach Aroua, das kunstbasierte Arbeiten nach LeBaron, die Diapraxis nach Rasmussen oder die kulturell-balancierte Co-Mediation nach Mason und Kassam.
Da sich bereits 1952über 150 gültige Definitionen11 des komplexen, hochdynamischen, sozialen Phänomens Kultur zählen ließen, kann es nicht Anliegen dieser Arbeit sein, eine endgültige Definition zu erarbeiten. Zumindest aber sollte sich durch Zusammenführung verschiedener Perspektiven in „Hypothe sensystemen“12 für den Verlauf der Arbeit ein gangbarer, nicht zu verkürzter Zugang zur interkulturellen Mediation eröffnen.13
Kultur wird in dieser Arbeit verstanden als „Komplex von (...) ,symbolischen Ordnungen`, mit denen sich die Handelnden ihre Wirklichkeit als bedeutungs voll erschaffen und die in Form von Wissensordnungen ihr Handeln ermögli chen und einschränken.“14
Als relevant für ein vertieftes Verständnis dieser Definition scheint es zu- nächst Kultur als conditio humana, als anthropologische Universalie des Men- schen herauszustellen. Denn dieser „Komplex symbolischer Ordnungen“ ist un- verzichtbarer Bestandteil der menschlichen Lebensbewältigung,15 insofern er als Orientierung schaffende Lebenswelt, bzw. als „ unbefragte[r] Boden aller Gegebenheiten [...].“16 die informelle Logik des täglichen Lebens prägt.17 LeBa- ron fasst dieses Verständnis zusammen, wenn sie Kultur sieht als: „under- ground rivers of meaning-making, [...] the water in which fish swim, unaware of its effect on their vision.“18 Da Menschen ihre sie umgebende Welt als selbst- verständlich ansehen, in sie hineingeboren und in ihr sozialisiert sind, erfahren sie sich als kulturell verwurzelte Wesen. Hofstede beschreibt Kultur daher als „mentale Programmierung“19.
Gleichzeitig ist Kultur nie trennbar vom je denkenden und konstruierenden Subjekt. Sie ist wie alle anderen Begriffe auch kulturelles Konstrukt des Denkenden.20 Daher erfährt sich jeder Mensch als kulturell abhängig, gleichzei- tig aber als autonom, indem er auch pro-aktiv als kulturstiftender Produzent sei- ner eigenen Wirklichkeit in Erscheinung tritt. Dies insofern, da er die ihn umge- bende Kultur in seinen Interaktionen bestätigt, sie in Prozessen des Tätigseins und Formens (u.a. von Symbolen)21 fortschreibt, ihr so verändernd Sinn und Bedeutung verleiht22 und sie letztlich erneut tradiert. So ist der Mensch „[...] ein Wesen [...], das in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist.“23
Als soziales Wesen verläuft diese symbolische Kulturtätigkeit aber stets in- nerhalb von Beziehungsgeflechten, als ein gemeinsames Produzieren von Sinn. Es ist ein aufeinander bezogenes, kommunikatives Handeln, auf Mikro- Meso- und Makroebene. Unter diskurstheoretischer Perspektive24 sind Indivi- duen daher auch stets Teil eines spannungsreichen, inhomogenen sozialen Diskursraums. Kultur ist somit nie statisch, sondern ganz im Gegenteil dyna- misch und veränderbar.25
Als ebenso dynamische Konstituenten dieses Gewebes, der Lebenswelt, des unbefragten Bodens oder des Wassers finden sich Sprache, Religion, Tradition, Geschichte, Wissenschaft, Alltag, Kunst oder gemeinsame Grundüberzeugun- gen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darstellung 1: Konstituenten von Kultur26
Kultur ist daher durch eine Reihe von Adjektiven spezifizierbar, ohne gänzlich in diesen aufzugehen.27 Jene Konstituenten bilden nun wiederum die, in obiger Definition erwähnten „Wissensordnungen“ mit aus, welche das Handeln von In- dividuen ermöglichen und einschränken.28 Mitgliedern einer Gesellschaft, Nati- on, Organisation oder Gruppe29 stehen so „Ordnungsformen und Deutungs- muster für kognitive und rationale, emotionale und affektive Identifikation, Eva- luation und Strukturierung von Gegebenheiten und Geschehnissen in der Welt, sowie Prinzipien und Paradigmen der Handlungsorientierung und Lebensfüh- rung“30 zur Verfügung.
Bereits aufgrund der Vielzahl an Deutungs- und Orientierungsmöglichkeiten, welche Individuen hiermit bereitgestellt werden, sind neben Nationalkulturen auch binnenkulturelle Differenzierungen zu berücksichtigen, welche innerhalb vielfältiger Einzel- und Subkulturen und heterogener Lebenswelten bestehen. Aufgrund dessen besitzt in letzter Konsequenz nicht nur jeder Einzelne seine ganz individuelle Kultur, sondern ist zudem selbst noch Träger diverser Kultu- ren. Schulz von Thun etwa beschreibt die Pluralität des menschlichen Innenlebens dem Modell des Inneren Teams.31
Kulturen sind daher keineswegs als homogene, hermetisch voneinander abgeriegelte Sozialsphären oder gar als „Gro ß akteure der Internationalen Politik“32 skizzierbar. Darauf verweisen insbesondere Senghaas mit seiner Konfigura tionstheorie,33 sowie auch König, wenn ihr Resümee lautet: „[...] Es gibt in Wahrheit so starke kulturelle Unterschiede innerhalb einer Gesellschaft zwi schen ihren unterschiedlichen Teilen, dass sie unter Umständen größer sind als die Unterschiede zwischen verschiedenen Kulturen.“
„People do not live in different worlds, they live differently in the world.“ 34
Dem inflationären Gebrauch des Begriffes Kultur gleichend, treten seit den 1980`er Jahren als mögliche Antworten auf die sich wandelnden kulturellen Kontexte in unzähligen Gesellschaftsbereichen die Schlagworte „ Multi-, Inter und Transkulturalität“ zutage.
Multikulturalität steht zunächst in der Diskussion für eine Reihe von Theorien, welche Schutz und Anerkennung kultureller Unterschiede in einer multikulturellen Gesellschaft gegenüber, scheinbar nebeneinander existierender ethnischer und kultureller Gruppen artikulieren35.
Einem Kugelmodell oder Mosaik gleich kann so eine Gesellschaft etwa aus „DEN Deutschen“, „DEN Türken“ oder „DEN Chinesen “, bestehen. Eine Höherwertigkeit einer spezifischen Kultur wird nicht angenommen, weshalb auch der Gedanke einer Leitkultur, bzw. Der Assimilationsdruck entfällt. Angestrebt wird die Gleichwertigkeit zwischen den Kulturen, welche sich mit gegenseitiger Anerkennung, Respekt und Toleranz begegnen sollten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darstellung 2: Multikultureller Ansatz36
In Darstellung 2 wird dieser Ansatz schematisch mittels drei separat voneinander bestehenden Entitäten ausgeführt, welche zur Anerkennung der Unterschiede der jeweils anders kulturellen Gruppen angehalten sind. Eine Vermischung der einzelnen Kulturen ist nicht vorgesehen.
Gegner dieses Ansatzes sehen in ihm allerdings Gefahren wie Selbstsegre- gation, Separatismus oder Individualitätsverlust, da sich Individuen in Anbe- tracht der Institutionalisierung „ihres“ vermeintlichen kulturellen Unterschiedes lediglich innerhalb dieses ethnisch gesteckten Rahmens identifizieren können.37
In Verweis auf die faktisch nicht existenten homogenen Partikularkulturen (vgl. 2.1.), wird dieser Ansatz auch in dieser Arbeit als nicht ausreichend für ei- ne interkulturelle mediative Praxis angesehen, jedoch in der ein oder anderen aktuell geführten Debatte, insbesondere in der Perspektive des Primordialismus erneut auftauchen.
Für Welsch, Vertreter der Transkulturalität wurde das Modell der Multi- und Interkulturalität ebenso aufgrund der faktisch nicht existenten, monolithisch gedachten Partikularkulturen und dem zugrundeliegenden essentialistischen Kulturverständnis längst obsolet.
Demgegenüber ist „Transkulturalität [...] ein Ansatz, der eine gemeinsame Kultur jenseits bestehender kultureller Eigenheiten annimmt. Die Kombination von Elementen verschiedener Herkunft kann so ein Individuum transkulturell erscheinen lassen.“ 38
Kulturen sind als verwoben, vermischt und verflochten anzusehen, ihre nati- onalen Grenzen im Verwischen begriffen. Diese Hybridisierung,39 so Welsch sei aber nicht erst seit dem Zeitalter von Migrationsbewegungen und Globalisie- rung in hochdifferenzierten Gesellschaften zu beobachten, sondern mit einem Blick in die Geschichte bereits seit langem evident. „Die Trennschärfe zwischen Eigenkultur und Fremdkultur ist dahin“40 und dies auf allen Ebenen, auch auf der individuellen. Hier bilden sich ebenso Lebensformen jenseits nationaler und regionaler kultureller Eigenarten heraus.41 Transkulturelle Individuen können daher als grenzüberschreitende, „kulturelle Mischlingen“42 beschrieben werden.
Darstellung 3 nimmt eben diese Vorstellung transkultureller Lebenswelten auf, indem sie die Lebensformen und -stile von Individuen alsüber die Grenzen ihrer jeweiligen (National-)Kultur hinausreichend versteht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darstellung 3: Transkultureller Ansatz43
Kritiker der Transkulturalität behaupten nun aber, dieser Ansatz idealisiert wiederum kulturelle Begebenheiten, indem er die Aufhebung teils nicht voll- kommen auflösbarer Grenzen zwischen Eigenem und Fremden postuliert.44 Er scheint daher weder „zur Beschreibung realer interkultureller Umgangsmus- ter“45 noch zur Erfassung „ kultureller Tiefenstrukturen und Grundorientierun- gen“46 geeignet. Letztere gilt es aber vor allem in einer mediativen Praxis mit Menschen diverser kultureller Hintergründe zu berücksichtigen, da sie, um im Bild des Eisberges (vgl. Darstellung 8 unter 3.3.1.) zu sprechen, den wohl größ- ten, zumeist unbewussten Teil von Kultur unter der Wasseroberfläche ausma- chen.
Die vorliegende Arbeit schließt sich daher den Kritikern des Konzeptes der Transkulturalität an und hält den Weg der perspektivenreflexiven Interkulturalität am geeignetsten.
Interkulturalität wird daher mit dem deutsch-iranischen Philosophen Yousefi gedeutet als gegenseitigen Verständigungsprozess von Personen die größtenteils differenten Kulturen angehören und daher „nichtüber dieselben Wertorientierungen, Bedeutungssysteme und Wissensbestände verfügen.“ 47
Das Präfix „Inter“ soll sich hierbei nicht an einem statischen „zwischen“ homogen gedachter und hermetisch voneinander abgeriegelter Partikularkulturen orientieren, sondern im Rückblick auf das unter 2.1. ausgeführte Kulturverständnis als prozesshaftes dynamisches „miteinander“ von Angehörigen veränderbarer Kulturen mit offenen Grenzen interpretiert werden.48
Dieses Verständnis versucht Darstellung 4 aufzugreifen, indem es die Grenzen zwischen bestehenden Kulturen als offen und dynamisch ansieht. „ Das Adjektiv ,interkulturell ‘ bezeichnet daher einen Raum, in dem ein Aus tauschprozess stattfindet, durch den Menschen mit unterschiedlichen kulturel lem Hintergrund miteinander in Kontakt treten.“ 49
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darstellung 4: Interkultureller Ansatz50
Dergestalt kann Interkulturalität mehr leisten als Multikulturalität im Sinne der Anerkennung nebeneinander existierender Einzelkulturen oder Transkulturalität im Sinne der Überschreitung bestimmter Kulturen.51 Aus diesem Grund soll der Ansatz der Interkulturalität für diese Arbeit leitend sein.
Ähnlich wie zum Phänomen der Kultur, herrscht auch bezüglich Religion eine Definitionspluralität vor.52 In den seit den 1960`er Jahren geführten Dauerdebat- ten um eine trennscharfe religionsanalytische Begrifflichkeit, spiegeln Abgren- zungs-, Messbarkeits-, Zugängigkeitsprobleme, sowie die Probleme von Unein- heitlichkeit und Gegenwärtigkeit53 wohl vor allem eines: den hochambivalenten, schillernden Charakter des Religiösen,54 der in ungefähr alle Dimensionen der Wirklichkeit hineinreicht.55 So „[...] liegt [es] aber nun im Wesen der Religion, da ß sie sich einer Definition im streng formal - logischen Sinn entzieht“56 .
In Verweis auf die Euro- und Christentumszentrik des Religionsbegriffes als intellektuelle Erfindung der Aufklärung57, der in nicht-westlichen Religionen, bzw. Sprachen kaum ein Äquivalent findet,58 scheint der Vorschlag ihn gänzlich zu dekonstruieren und lediglich als „umbrella term“ beizubehalten nicht fern.59
Da solch ein Vorgehen aber jede Form intersubjektiver wissenschaftlicher Diskussion unterbinden würde,60 unterscheiden Religionswissenschaft und - soziologie grundsätzlich noch zwei Definitionsformen: Die relativ enge, substan- tielle, welche nach der Substanz der Religion fragt61 von einer breiteren, funkti- onalen Definitionen, deren Interesse auf der gesellschaftlichen Funktion, bzw. Leistung der Religion liegt.62 Exemplarisch für erstere sei hier Mensching zitiert, nach welchem „Religion erlebnishafte Begegnung des Menschen mit der Wirk- lichkeit des Heiligen und antwortendes Handeln des vom Heiligen bestimmten Menschen [ist].“ 63 Stellvertretend für letztere sei hingegen Xaver-Kaufmann ge- nannt. Zahlreiche funktionale Definitionen bündelnd, führt er die Identitätsstif- tung, Handlungsführung, Kontingenzbewältigung, Sozialintegration, Kosmisie- rung und Weltdistanz als spezifische Funktionen von Religion an.64
Heutigen Definitionen von Religion ist vor allem an der Verbindung beider gelegen, so greift Pollack65 Elemente beider auf und sieht individuelle Überzeu- gungen, soziale Praktiken (Rituale, Zeremonien etc.), eine moralische Gemein- schaft, sowie eine institutionelle Ausprägung als konstitutiv für Religion an.
Im Verständnis dieser Arbeit bietet diese Definition bereits eine gute Basis, welche jedoch noch, um ein tieferes Verständnis von Religion zu erzielen durch die Ansätze von Geertz und Bourdieu erweitert werden soll.
Geertz versteht Religion mehrdimensional, sieht wie Pollack die individuelle-, gemeinschaftliche-, kultische- und ethische Komponente, ergänzt sie aber noch um eine sprachliche- und emotionale Dimension. So definiert er Religion als:
„Ein Symbolsystem, das darauf zielt, starke, umfassende und dauerhafte Stim mungen und Motivationen in den Menschen zu schaffen, indem es Vorstellun gen einer allgemeinen Seinsordnung formuliert und diese [...] mit einer solchen Aura und Faktizität umgibt, dass die Stimmungen und Motivationen völlig der Wirklichkeit zu entsprechen scheinen.“66
Die Bedingungen einer Deutung dieser Symbole, des „wirklich Wirklichen“67, bzw. religiöser Letzthorizonte untersucht Bourdieu durch Ergänzung der sozia- len und politischen Determinanten von Macht und dynamischem Diskurs.
Ausgehend vom religiösen Interesse der Laien, fokussiert er hierzu vor allem die (intra-/interreligiösen) Macht- und Konkurrenzsituationen religiöser Spezialisten auf dem wie andere soziale Felder im sozialen Raum hierarchisch strukturierten „ religiösen Feld“ (champ religieux). Dieses kann sich jedoch, so Bour dieu zum Zweck des Machterhalts auch mit anderen Formen der Regelung sozialer Ordnung, wie Politik oder Recht verbinden.68
Mit dem Ziel der Durchsetzung einer symbolischen Ordnung, vollzieht sich hier ein Ringen um Macht- und Deutungspositionen, bzw. um die Konstrukti- onshoheitüber religiöse Glaubensinhalte und Praktiken,69 einschließlich der Definierung von Orthodoxie und Häresie.70 Hinterfragt werden können daher mit Bourdieu vor allem die zugrundeliegenden Interessen im Umgang mit dem hochambivalenten Charakter des Religiösen, welche in einer je spezifischen Hermeneutik kulminieren.
Geertz Symbolverständnis und Bourdieus Gedanken zum „ religiösen Feld“ können als grundlegend für das Verständnis dieser Arbeit angesehen werden und sind insbesondere in der Perspektive des Konstruktivismus unter 3.1.3. er- neut aufzugreifen.
Leitend für die vorliegende Ausarbeitung soll die Synthese diverser Konfliktdefinitionen des österreicherischen Konfliktforschers Glasl sein.
Er beschreibt einen Sozialen Konflikt als „[...] Interaktion zwischen Aktoren [Individuen, Gruppen, Organisationen usw.], wobei wenigstens ein Aktor eine Differenz bzw. Unvereinbarkeit im Wahrnehmen, [...] Denken bzw. Vorstellen, [...] im Fühlen und [...] Wollem mit dem anderen Aktor [den anderen Aktoren] in der Art erlebt, dass beim Verwirklichen dessen, was der Aktor denkt, fühlt oder will eine Beeinträchtigung durch einen anderen Aktor [die anderen Aktoren] erfolge.“71
Das kognitive oder affektive Erleben von Unversöhnlichkeiten muss daher von einem sogenannten „Realisierungshandeln“ begleitet werden, dahingehend dass mindestens ein Akteur die Situation so erlebt, dass er „die Gründe für die Nichtverwirklichung der eigenen Gedanken, Gefühle und/oder Intentionen der anderen Partei zuschreibt.“72
In der Beschreibung von Konflikten sind desweiteren spezifische Konfliktarten differenzierbar, wobei der Schwerpunkt obiger Definition hinsichtlich der Merkmale involvierter Parteien nicht auf intrapersonalen oder -gruppalen, sondern auf interpersonalen und intergruppalen Konflikten liegt.
Konflikte besitzen zunächst bestimmte Konfliktgegenstände. Diese sogenannten „Issues“ sind zumeist vordergründige Themen, denen jedoch vielfältige und als interdependent zu betrachtende Konfliktziele zugrunde liegen.
Unterscheidbar sind hiernach inhaltliche Ziele, etwa Sachkonflikte, welche außerhalb der Konfliktparteien liegen, Beziehungsziele, Prozess- und identi- tätsbasierte Ziele.73 Letztere beinhalten Prozesse des Gesicht wahrens und zie- len auf die Würdigung und Anerkennung der eigenen personalen, oder sozialen Identität.
Was Erscheinungsformen von Konflikten anbelangt, sind latente von mani- festen Konflikten, schwache von extremen, formgebundene (gesellschaftlich institutionalisierte), sowie formungebundene oder heiße von kalten Konflikten gegeneinander abgrenzbar.
Sie manifestieren sich in bestimmten „Konfliktarenen“ auf Mikro-, Meso- oder Makroebene, durchlaufen aber, Glasl folgend in ihrer Eskalation ein ähnliches 9-stufiges Schema.
Darstellung 5 zeigt dieses Schema anhand einer Treppe, wobei jede Stufe einem Schritt in der weiteren Eskalation des Konfliktes entspricht. Die Stufen 1- 9 können so mit charakteristischen Verhaltens- bzw. Vorgehensweise seitens der Konfliktparteienüberschrieben werden. Stehen zu Beginn lediglich verhär- tete Standpunkte, wandeln sich diese schnell in Debatten oder Taten als bevor- zugte Strategie. Die anfänglich noch hohe Kooperationsbereitschaft geht daher mit jedem Schritt nach unten mehr verloren. Können die ersten drei Stufen noch in einer „win-win“ Lösung Bearbeitung finden, geht in Stufe 4-7 meist ein Verlie- rer aus dem Konflikt hervor, eine sog. „win-lose“ Situation. Hier gehen die Kon- fliktpartei auf die Suche nach Verbündeten, suchen das Ansehen der anderen Person zu ruinieren und drohen der Gegenpartei. Auf den Stufen 7-9, welche eingehen mit begrenzten Vernichtungsschlägen, Zersplitterung und letztlich der Bereitschaft sogar die eigene Existenz aufs Spiel zu setzen um der anderen Partei zu schaden, sind letztlich beide Parteien Verlierer ihres Konfliktes, finden sich in einer „lose-lose“ Situation wieder. Nähere Ausführungen zu den Inhalten der einzelnen Stufen findet sich unter A.1.
Den jeweiligen Eskalationsstufen ordnet Glasl ebenso stufenspezifische Strategien zur Deeskalation zu. Sie reichen von Moderation, (soziotherapeutische) Prozessbegleitungüber Mediation und gerichtliche Verfahren bis hin zum Machteingriff in Stufe 9.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darstellung 5: 9-stufiges Konflikteskalationsschema74
Da Konflikte zumeist mit pathologischen-, dysfunktionalen Vorstellungen konnotiert sind, gilt es im Gegensatz dazu herauszustreichen, dass Konflikte nicht nur alltäglicher und normaler Bestandteil menschlichen Lebens75 sind, sondern der konstruktiven Verhandlung aufeinanderstoßender „multiple reali ties“76 auch eine Chance zur Entwicklung und Verbesserung gesellschaftlicher und interpersonaler Beziehungen innewohnt,77 welche sie gar als Förderer sozialen Wandels78 wünschenswert machen.79
Kurzum: „conflict is a difference that matters“80
Zur Beschreibung interkultureller Konflikte, liegt ebenso Glasls Definition der Arbeit zu Grunde. Nach der sind diese „[...] Konflikte im Sinne einer Interaktion zwischen Personen [oder Gruppen], die verschiedene kulturelle Systeme reprä- sentieren, wobei wenigstens eine Person [oder Gruppe] Unvereinbarkeiten im
Denken/Vorstellen/Wahrnehmen und/oder Fühlen und/oder Wollen, mit der an- deren Person [oder Gruppe] in der Art erlebt, dass im Realisieren eine Beein- trächtigung durch die andere Person erfolgt und Kultur eine Rolle spielt.“81
Bezüglich des Zusammenhanges von Kultur, Religion und Konflikt, bzw. Zum Thema interkultureller Konflikte mit religiöser Dimension beherrschen die aktuelle sozialwissenschaftliche Debatte derzeit drei Grundpositionen, welche nun einführend vorgestellt werden sollen.
Spätestens mit dem Einsturz des World Trade Centers am 11.September 2001, verbreitete sich Huntingtons82 These des „clash of civilizations“ (dt. „Der Kampf der Kulturen“), erstmals in Foreign Affairs, 1993 veröffentlicht auch außerhalb der akademischen Welt wie ein Lauffeuer. Heute ist sie gar Bestandteil der politischen und feuilletonistischen Sprache geworden83 und Religion im selben Zug vom (vermeintlichen) Privatissimum zum Politikum avanciert.84
Die Primordialisten, bzw. Ihre Anhänger wie Samuel P. Huntington, Bassam Tibi85 oder Gilles Kepel86 nehmen in ihrer Perspektive grundlegende Gedanken des Multikulturalismus (vgl. 2.2.) auf, wenn sie nach Ende des Kalten Krieges eine neue Ära konstatieren, in welcher Allianzbildungen und Konfliktlinien im vorherrschenden Machtvakuum nicht mehr vorrangig politisch-ideologischen (bspw. Nationalismen des 19. und 20. Jh.) oder wirtschaftlichen Interessen fol- gen, sondern sich entlang als homogen gesehenen kulturell-religiöser Überlie- ferungen/Zivilisationen87 ( „cultural entities“ ) neu formieren. „An Stelle von Blö- cken wie in Zeiten des Kalten Krieges, treten kulturelle Gemeinschaften. “88 Diese Zivilisationen werden als urwüchsig und ursprünglich angesehen und mit ihnen ihre kulturell-religiöse Überlieferung. Sie sind Huntington zufolge unter- schieden durch: “ history, language, culture, tradition and, most important, religi- on.“
Den Primordialisten nach, gibt es weltweit die drei großen Zivilisationen des christlich-westlichen Kulturkreises, des islamischen und des, von China angeführten konfuzianisch-asiatischen Kulturkreises. Diese drei konkurrieren nun wiederum um die Unterstützung fünf kleinerer. Zu ihnen zählen der japanische-, der hinduistische Kulturkreises in Indien, der orthodoxe -, der lateinamerikanische-, sowie der afrikanische Kulturkreis.89
Für eine Interessenpolitik sieht Huntington ursächlich den Faktor der Identi- tät, welche positiv durch die eigene Kultur und Religion, sowie durch damit ge- gebene Abgrenzung und Feindbilder geprägt ist, ganz gemäß dem Motto:
„Wir wissen wer wir sind, wenn wir wissen, wer wir nicht sind und gegen wen wir sind.“ 90
Der zugrunde liegende Konflikt ist daher kulturell, beziehungsweise durch Unterschiede in den religiösen Traditionen geprägt. Religion kommt somit als konstitutives Element der Identität für die Blockbildung eine primordiale, ursäch- liche, faktisch nur konfliktverschärfende Bedeutung zu. Denn: „No other reposi- tory of cultural meaning has historically offered so much in response to the hu- man need to develop a secure identity and sense of locatedness. ”91
Aufgrund der zentralen Rolle, die Religion in der Konstituierung personaler- und sozialer Identitäten spielt, fühlen sich Anhänger bei Infragestellung ihres Bezugssystems zutiefst angefochten.92 Diese Herausforderung sei bereits durch die bloße Existenz einer andersreligiösen Gemeinschaft gegeben und bringe teils defensive, teils gewaltvolle Reaktionen mit sich. Eine inhärente
Feindschaft gegenüber Religionen entwickelt sich, da sie „als urwüchsige An triebskräfte menschlichen Denkens, Wertens und Handelns, die Angehörige unterschiedlicher Glaubensrichtungen zwangsläufig gegeneinander aufbringen und regelm äß ig in [...] Konflikte treiben.“93 Durch die Trennung von Gläubigen und Ungläubigen seien jegliche Friedensaktivitäten zum Scheitern verurteilt, da bereits feststeht „wer als Freund und wer als Feind gilt.“94
Huntingtons Prognose folgend, wird auch der Dritte Weltkrieg ein Religionskrieg sein, eine Vorahnung dessen findet sich bereits im Jugoslawien95 - oder dem Israel - Palästina - Konflikt.
Zur Vermeidung, bzw. im Umgang mit bestehenden Konflikten empfehlen Anhänger des Primordialismus „ Dem Westen“ den Einsatz der bekannten klas- sischen Instrumente der Machtpolitik aus Zeiten des Kalten Krieges. Zu Ihnen zählen sie militärische Überlegenheit, Taktiken der Abschreckung, Einschüchte- rung oder Unterdrückung, den starken Zusammenhalt untereinander bei gleich- zeitiger Schwächung der anderen Staatenblöcke, die Nichteinmischung in Staa- ten, Regionen oder Konflikte, solange „ Dem Westen“ durch dortige Entwicklun- gen kein Nachteil droht,96 als letztlich eine Trennung differenter kultureller und religiöser Gruppen.
Wie unter 2.1. - 2.3. ausgeführt kann diese Perspektive auf das Verhältnis von Kultur und Religion in Konfliktsituationen aufgrund der als monolithisch, unveränderlich gedachten Struktur von Kultur und Religion97 und letztlich auch zwecks massiven empirischen und theoretischen Defiziten alsüberholt und nicht zielführend gelten. Huntingtons „düsteren Prognosen (...) wurden in der Wissenschaft gewogen und für zu leicht befunden.“98
Der „Kampf der Kulturen“ ist jedoch ein Begriff mit globalem Anspruch und enthält eine sehr einfache Weltsicht.99 Dieser bediente sich nicht nur G.W.Bush zur Rationalisierung des „War on Terror“ oder eine wachsende politische Rech- te in Europa, sondern sie prägt auch das Denken und Fühlen vieler Deutscher gegenüber ihren kulturellen und religiösen Minderheiten. Einer Umfrage des Allensbacher Instituts zufolge, sahen sich im Jahr 2012 in der Bundesrepublik Deutschland 43% der Befragten und damit die relative Mehrheit einem Kampf der Kulturen ausgesetzt (A.2.).100
Obgleich also diese Perspektive wissenschaftlichüberholt ist, muss ihr im Hinblick auf ihre komplexitätsreduzierende Funktion dennoch im Zusammentreffen verschiedener kultureller und religiöser Gruppen in der Konfliktbearbeitung Beachtung geschenkt werden.
Weil quantitative Untersuchungen101 Huntingtons Erwartungen nicht bestätigen konnten, betonen Dieter Senghaas,102 Thomas Meyer,103 Graham Fuller104 oder Georg Elwert als Vertreter des Instrumentalismus, „dass die zu beobachtende weltweite politische Renaissance der Religionen eine Folgeökonomischer und sozialer Krisen ist. Es gibt demnach keine Religionskonflikte im engeren Sinne. Vielmehr werden religiöse Überzeugungen von Eliten bewusst für politische Zwecke [lediglich negativ] instrumentalisiert.“105
Kultur und Religion treten nicht als primordiale, genuine Ursache von Auseinandersetzungen zwischen Kollektiven hervor, diese fatalistische Gleichung, dass kulturelle und religiöse Unterschiede zwangsläufig in Konflikten enden, beschreiben sie als Scheinzusammenhang, die Überbetonung dieser Differenzen sind ein „Epiphänomen“106.
Der eigentliche Konfliktkern ist sozio-ökonomischer Natur, er besteht vorwie- gend aus Verteilungs - und Machtkonflikten, welche zur sozialen Verelendung und wirtschaftlichen Diskriminierung ganzer Bevölkerungsschichten führen können.107 Fühlen sich Menschen verunsichert, geraten in Existenzangst oder finden sich in Modernisierungskonflikten wieder, in welchen der Verfall traditioneller Werte und des sozialen Gefüges befürchtet wird, sind sie besonders offen für absolute (kulturelle, wie religiöse) Werte und Ordnungen.
[...]
1 Docherty, J. S.: 1996, 52
2 mit Einberufung einer unabhängigen Zuwanderungskommission erkennen die politischen Parteienübergreifend Deutschland als „Einwanderungsland“ an, in In einem offenen Brief von 17 Unionspolitikern, veröffentlicht in der Wochenzeitung „Die Zeit“ Nr. 6 vom 31. Januar 2008, findet sich hierzu ein bemerkenswertes Eingeständnis:
Die Union musste „erkennen, dass Deutschland de facto ein Einwanderungsland ist und es in der jahrzehntelang verschlafenen Integrationspolitik einen dringenden Nachholbedarf gibt., In: Straubhaar, T., 2008, 1ff
3 Vgl.: Weiße, W. & Gutman, H.-M., 2010, 38
4 Vgl.: Metha, G. & Rückert, K., 2004, IX
5 Gutsch, J.M., 2006, 72
6 Vgl.: Habermas, J., 2001; 2009
7 Vgl.: Kippenberg, H.G.; von Stuckrad, K., 2003, 7
8 Vgl.: Trachsler, D., 2011, 2
9 Vgl.: Metha, G. & Rückert, K., 2004, X
10 Vgl.: Bastine, R., 2002, 3
11 Vgl.: Kroeber, A.L. & Kluckhohn, C., 1952, 47
12 Vgl.: Wierlacher, A. & Hudson-Wiedenmann, U., 2003, 219
13 Vgl.: Kriegel-Schmidt, K., 2012, 167
14 Reckwitz, A., 2008, 84
15 Vgl.: Eppenstein, T. & Kiesel, D., 2008, 239
16 Schütz, A. & Luckmann, T., 2003, 43
17 Vgl.: Wrogemann, H., 2012, 132
18 LeBaron, M. & Pillay, V., 2006, 14
19 Vgl.: Hofstede, G., 2001
20 Vgl. Kriegel-Schmidt, 2012, 175
21 nach Thomas zählen hierunter etwa die Sprache, bedeutungshaltige Zeichen oder typische Verhaltensweisen, Vgl.: Thomas, A. Et al, 2003, 239
22 Vgl.: Bolten, J., 2007, 18
23 Geertz, C., 1994, 9
24 Vgl.: Foucault, M., 1991
25 Vgl.: Cassirer, E., 2007
26 eigene Darstellung nach Yousefi, H.R. & Braun, I., 2011, 11
27 Vgl.: Ebd., 2011, 11
28 Vgl.: Reckwitz, A., 2008, 84
29 Vgl.: Thomas, A., 2003, 239
30 Straub, J., 2004, 581
31 Vgl.: Schulz von Thun, F.: 1998
32 Vgl.: Yousefi, H.R. & Braun, I., 2011, 24
33 Vgl.: Ebd., 24f
34 Zitat von Anthropologin Kirsten Hastrup, in: Moosmüller, A., 2010, 193
35 Vgl.: Yousefi, H.R. & Braun, I., 2011, 105
36 Vgl.: eigene Darstellung nach Fischer, R. & Furrer-Küttel, A. o.J.
37 Vgl.: Gehrmann, K., 2013, 19
38 Vgl.: Yousefi, H.R. & Braun, I., 2011, 108
39 Vgl.: Welsch, W., 2000, 330
40 Vgl.: Ebd., 1998, 52
41 Vgl.: Yousefi, H.R. & Braun, I., 2011, 108
42 Welsch, W., 2000, 339
43 Vgl.: Bugari: 2006, 8
44 Vgl.: Waldenfels, B., 1997, 110
45 Antweiler, C., 2007, 91
46 Vgl.: Elm, R., 2001, 14
47 Barmeyer, C. & Genkova, P., 2010, 35f
48 Vgl.: Földes, C., 2009, 504
49 Vgl.: Yousefi, H.R. & Braun, I., 2011, 29
50 Vgl.: Bugari, 2006, 8
51 Vgl.: Waldenfels, B., 1997, 110
52 Vgl.: Pollack, D.: 2003, 28-55
53 Vgl.: Pickel, G., 2011, 23
54 Graf, F.W., 2004, 30
55 Vgl.: Hempelmann, R. & Kandel, J., 2006, 18
56 Vgl.: Mann, U., 1970, 11
57 Vgl.: Arnal, W.E., 2000, 23 ; Vgl.: Asad, T., 1993, 27-54
58 „Dharma“ entspricht in der Hindu Tradition etwa der Bedeutung „göttliche Weltordnungg“, wobei „Bhakti“ als „Hören, gläubiges Vertrauen, Verehrung der Gottheit“ traditionell eher in Gebrauch war. „Dhamma“ bezeichnet im Buddhismus das „Wissen um die Weltordnung und eine Technik der Erlösung von ihr“, „Tao“ wird hingegen im Konfuzianismus als „Lehre um den rechten Weg“ bezeichnet; die hebr. Bibel kennt „huqqat“ und „dat“ als „Gesetz, Ordnung, Kultordnung“ und der Islam „Din“ oder „Imam/ Islam“, letzteres als „Hingabe, Unterwerfung unter Gott“. Anders als beim Religionsbegriff stehen hier vor allem die praktischen Aspekte im Vordergrund, Vgl.: Schäfer, H.W., 2004, 293 ; Vgl.: Bernhardt, R., 2005, 22
59 Vgl.: Kippenberg, H.G., 1983, 9-28
60 Vgl.: Pickel, G.: 2011, 16
61 Vgl.: Vertreter u.a.: Schleiermacher, F.D.E; Otto, R.; Troeltsch, E.; Hick, J.; Tillich, P.; Küng,H.
62 Vgl.: Vertreter u.a.: Durkheim, D.É.; Hill; Weber, M.; Lübbe, H.; Luhmann, N.
63 Mensching, G., 1947, 103
64 Vgl.: Kaufmann, F.-X., 1989, 85
65 Vgl.: Pollack, 2001, 337
66 Geertz, C.: 1983, 48
67 Ebd., 93
68 Vgl.: Pickel, G., 2011, 240f ; Vgl.: Bourdieu, P., 2000, 67
69 Vgl.: Pickel, G., 2011, 241
70 Vgl.: Bourdieu, P., 2000, 87
71 Glasl, F., 2004, 17
72 Mattl, C., 2006, 35
73 Vgl.: Mattl, C., 2004, 10
74 eigene Darstellung in Anlehnung an Glasl, F., 1992, 218 / 365
75 Vgl.: Myers, S. Et al, 1992, 3 ; Vgl.: Kuhn, H., 1999, 55
76 Lederach, 1988, 8ff, In: Augsburger, D.W., 1992, 17
77 Vgl.: Besemer, C., 1997, 24
78 Vgl.: Bonacker, T. & Imbusch, P., 1996, 72
79 Vgl.: Augsburger, D.W., 1992, 21; Vgl.: Habermas, J., 1981; Vgl.: Luhmann, N., 1987; Vgl.: Bourdieu, P., 1982
80 LeBaron, 2011
81 adaptiert nach Glasl, 1999, S.14f, zit nach: Metha, G. & Rückert, K., 2004, 12
82 Vgl.: Huntington, S.P., 1993, 22-49, Vgl.: ders., 1996
83 Vgl.: Riesebrodt, M., 2001, 16
84 Vgl.: Schäfer, H.W., 2009, 3
85 Vgl.: Tibi, B., 1995
86 Vgl.: Kepel, G., 1994; ders. 2004
87 Vgl.: Huntington, S.P., 1996
88 Vgl.: Ebd., 193 ; Vgl.: Weingardt, M.A., 2007, 23
89 Vgl.: Weingardt, M.A., 2007, 24
90 Vgl.: Huntington, S.P., 1996, 147
91 Seul 1999, 564
92 Vgl.: Fox, J., 2004
93 Rittberger, V. & Hasenclever, A., 2000, 36
94 Ebd., 136
95 Vgl.: Kaplan, R.D., 1994
96 Vgl.: Weingardt, M.A., 2007, 24
97 Kritik u.a. Von Edward Said, 1981 und Amartya Sen, 2006
98 Hasenclever 2003, 289
99 Müller, H., 1999, 16
100 Vgl.: Peterson, T., 2012, Schaubild 3
101 Vgl.: Henderson, E.A. & Tucker, R. 2001; Vgl.: Chiozza, G., 2002; Vgl.: Russett, B. & Oneal, J.R., 2001, 239-270
102 Vgl.: Senghaas, D., 1995, 180-191; Vgl.: ders., 1996 ; Vgl.: ders., 1998
103 Vgl.: Meyer, T., 1997
104 Vgl.: Fuller, G.E., 1995, 145-158
105 Rittberger, V. & Hasenclever, A., 1998, 168
106 Vgl.: Ebd., 137
107 Vgl.: Gurr, T.R. & Harff, B.,1994, 20-25; Vgl.: Juergensmeyer, M., 1996, 9-11, zit. nach: Rittberger, V. & Hasenclever, A., 2000,138
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