Examensarbeit, 2003
155 Seiten, Note: 1,7
1. EINLEITUNG
2. DER JENAPLAN ALS FORM DES OFFENEN UNTERRICHT
2.1 DIE ÖFFNUNG VON SCHULE UND UNTERRICHT
2.2 DER PÄDAGOGISCHE AUFTRAG DER GRUNDSCHULE
2.3 DIE VERÄNDERTE LEBENSWELT DER KINDER
2.3.1 KINDER LEBEN HEUTE IN EINER VERÄNDERTEN FAMILIÄREN LEBENSWELT
2.3.2 VERÄNDERTES SPIEL- UND FREIZEITVERHALTEN
2.3.3 VERÄNDERTE LEBENSWIRKLICHKEIT DURCH MEDIEN
2.3.4 VERÄNDERTES ELTERLICHES ERZIEHUNGSVERHALTEN
2.3.5 VERÄNDERTE SITUATION DURCH VIELFALT DER KULTUREN
2.4 INNERE DIFFERENZIERUNG ALS REAKTION AUF EINE VERÄNDERTE KINDHEIT
3. BIOGRAPHIE VON PETER PETERSEN
3.1 HAMBURGER JAHRE
3.2 BERUFUNG NACH JENA
4. JENAPLAN - ENTWICKLUNG EINER PÄDAGOGISCHEN SCHULE
4.1 DIE REFORMPÄDAGOGIK
4.1.1 KRITIK AN DER BÜRGERLICHEN GESELLSCHAFT UND AM KONVENTIONELLEN LERNBEGRIFF
4.1 2 DIE SCHULORGANISATORISCHEN FORDERUNGEN
4.2 REFORM DER SCHULE UNTER DEM PRIMAT DER ERZIEHUNG
4.2.1 DIE UNIVERSITÄTSÜBUNGSSCHULE IN JENA
4.2.2 DIE NEUEUROPÄISCHE ERZIEHUNGSBEWEGUNG 1925
4.2.3 DIE ENTSTEHUNG DES NAMENS „JENA - PLAN“
4.2.4 DIE UNIVERSITÄTSÜBUNGSSCHULE IN JENA IN DER SBZ UND DER DDR ZWISCHEN 1945 UND 1950
4.2.5 SCHULVERSUCHE NACH DEM JENAPLAN IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND
4.2.6 AKTUELLE KONZEPTE
4.3 JENA - PLAN RENAISSANCE IN DEN NIEDERLANDEN
4.4 ZUSAMMENFASSUNG
4.5 RESÜMEE - DIE JENAPLAN - SCHULE ALS EINE SCHULE DER DEMOKRATIE?
5. DER ANSATZ DES JENAPLANS
5.1 DIE ERZIEHUNGSIDEE
5.2 WOCHENARBEITSPLAN STATT „FETZENSTUNDENPLAN“
5.2.1 KRITERIEN EINES „RHYTHMISCHEN WOCHENARBEITSPLANS“
5.3 BILDUNGSGRUNDFORMEN
5.3.1 DAS GESPRÄCH
5.3.2 DAS SPIEL
5.3.3 DIE ARBEIT
5.3.3.1 D IE A RBEITSMITTEL
5.3.3.2 L EISTUNGSKULTUR STATT L EISTUNGSKULT
5.3.4 DIE FEIER
5.3.4.1 Z IELE DER F EIER
5.3.4.2 S CHLUSSBETRACHTUNG
5.4 „SCHULWOHNSTUBE“ STATT KLASSENZIMMER
5.4.1 DAS GESTALTEN DER „SCHULWOHNSTUBE“
5.4.2 LERNUMGEBUNG ALS ANREIZ
5.5 STAMMGRUPPENPRINZIP STATT JAHRGANGSKLASSEN
5.5.1 DIE PÄDAGOGISCH - DIDAKTISCHEN VORTEILE
5.5.2 DIE SCHULGEMEINDE
5.6 DIE LEHRERROLLE
5.7 PROBLEME BEIM UNTERRICHT NACH DEM JENAPLAN
5.8 ZUSAMMENFASSUNG
6. DIE GRUNDSCHULE AM STEIGERWALD
6.1 DAS SCHULKONZEPT
6.2 ELTERNARBEIT
7. DER JENAPLAN IN DER SCHULISCHEN PRAXIS
7.1 EINFÜHRUNG
7.2 ERKENNTNISMÖGLICHKEITEN DES NARRATIVEN INTERVIEWS
7.3 DAS ABLAUFSCHEMA
7.4 GRUPPENDISKUSSION
7.5 ERGEBNISSE UND INTERPRETATION DES INTERVIEWS
8. KINDORIENTIERUNG IN DER JENAPLAN - SCHULE?
9. LITERATURVERZEICHNIS
9.1 PRIMÄRLITERATUR
9.2 SEKUNDÄRLITERATUR
9.3 VIDEO
9.4 INTERNET
9.5 ADRESSEN
10. ANHANG
Den Anstoß für die folgende Arbeit gaben die Erfahrungen während meines Blockpraktikums in der Erfurter Grundschule am Steiger.
Im Rahmen dieses Praktikums bot sich mir einmalig die Möglichkeit, einen Ein-blick in einen durch Wochenplanunterricht geprägten Schulalltag zu bekommen. Bei meiner Hospitation konnte ich den Einsatz des Wochenplans beobachten. Ich erlebte die Gestaltung eines rhythmisierten Vormittags, geprägt durch immer wie-derkehrende Elemente wie das Klassengespräch im Morgenkreis, die selbsttätige Arbeit der Kinder und die Vorstellung verschiedener Arbeiten. Im gesamten Schulalltag fiel mir immer wieder ganz besonders die selbständige Arbeit der Kinder mit Hilfe ihrer Wochenpläne, aber auch während der Ausübung der freien Tätigkeiten auf. Die Lehrerinnen erlebte ich in einem partnerschaftlichen Umgang in einer für mich zunächst ungewohnten Rolle.
Auch wenn das Praktika schon einige Zeit vergangen ist, hat mich dieser von Of-fenheit und Vielfalt geprägte Unterricht so sehr begeistert, dass ich den Wunsch verspürte, mich insbesondere mit dem Thema „Peter Petersen“ näher auseinander-zusetzen.
Besonders der Vergleich mit meinem ersten Orientierungspraktikum und auch mit meiner eigenen Grundschulzeit, welche geprägt waren durch einen überwiegend frontal vom Lehrer geführten Unterricht, machten mich neugierig auf die Möglichkeiten, die der „Jenaplan“ von Peter Petersen bieten kann. Darüber hinaus ist es für mich von großer Bedeutung, dass ich mich einem Thema widme, welches sich direkt auf die Arbeit in der Grundschule bezieht.
Aus diesen Gründen weckte das Thema „Peter Petersen“, aber auch die aktuelle Situation in den Schulen, im Hinblick darauf, ob und wie der „Jenaplan“ eingesetzt wird, mein Interesse. Ich beschloss daher, meine wissenschaftliche Hausarbeit über diese Thematik zu verfassen.
Im Folgenden wird das methodische Vorgehen dargestellt:
Die wissenschaftliche Hausarbeit soll in besonderer Weise auf das Spannungsfeld zwischen Demokratie und Gemeinschaft eingehen. In unserer heutigen Staats-form, der Demokratie, nehmen immer mehr Individualisierungstendenzen zu. Welche Rolle kommt daher in einer demokratischen Gesellschaft der Gemein-schaft zu? Und wie verhält es sich in der Schule? Um diese Fragen zu beantwor-ten wird zu Beginn die Forderung nach Öffnung von Schule und Unterricht erläu-tert. Ausgehend davon wird auf den pädagogischen Auftrag, den die Institution Schule heute erfüllen soll eingegangen, um zu zeigen, ob der Jenaplan diesem An-spruch gerecht werden kann. Im direkten Zusammenhang damit werden Verände-rungen der Lebenswelt der Kinder beschrieben. Damit soll der Einsatz eines diffe-renzierten Unterrichts in der Grundschule heute, wie ihn der Jenaplan bietet, be-gründet werden.
Um zu zeigen, dass die beschriebene Forderung nach Öffnung von Schule und Unterricht bereits Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts deutlich formuliert wur-de, wird im weiteren Verlauf meiner Arbeit ein historischer Exkurs durchgeführt. Dazu werden die wichtigsten biographischen Lebensstationen von Peter Petersen erläutert. Ausgehend davon wird die historische Entwicklung des Jenaplans und der Jenaplan als pädagogisches Konzept in den Zusammenhang mit der Reform-pädagogik gestellt. Weil sich der Jenaplan in verschiedenen politischen Systemen immer wieder neu interpretieren konnte, werden in diesem historischen Rückblick jene Systeme kurz dargestellt. Auf diese Weise wird die Vieldeutigkeit des Jena-plans hervorgehoben. Dabei wird auch auf die gesellschaftspolitische Position von Peter Petersen eingegangen. Diese wissenschaftliche Arbeit sieht eine Einschrän-kung vor. Dabei verzichtet sie auf die Diskussion, die sich dem Jenaplan im Nati-onalsozialismus zuwendet. Der Jenaplan ist in der Zeit des Nationalsozialismus sehr umstritten. Daher ist diese Thematik sehr umfassend. Um das eigentliche Thema dieser Arbeit nicht außer Acht zu lassen, wird der Jenaplan auf seine ge-sellschaftliche Bedeutung analysiert, den er in einer Demokratie aufweisen kann. Des weiteren wird darauf hingewiesen, dass das religiöse Menschenbild von Peter Petersen außen vor gelassen wird, da es eine sehr umfassende Thematik ist und für meine Themenstellung, nämlich der heutigen Bedeutung, keine Relevanz auf- weist.
Der nächste Teil befasst sich mit dem pädagogischen Ansatz des Jenaplans und behandelt die einzelnen organisatorischen Elemente, die mit dem Jenaplan ver-bunden sind. Um neben dem beschriebenen Anspruch des Jenaplans gemäß mei-nes Themas auch auf die Realität, das heißt auf die Praxis des Jenaplans in der Grundschule zu sprechen zu kommen, führe ich ein Interview mit zwei Grund-schullehrerinnen. Dazu wird zunächst die Grundschule in Erfurt vorgestellt, in der ich das Interview geführt habe. Um einen Einblick in das Erhebungsinstrument zu geben, werden zunächst Erkenntnismöglichkeiten eines Narrativen Interviews aufgezeigt. Daraufhin wird der Ablauf dieses Interviews geschildert. Ein besonde-res Augenmerk richtet sich in der Folge auf die Auswertung des Interviews. In Kapitel 8 ziehe ich schließlich eine Bilanz meiner Ausarbeitung.
Zur Orientierung für den Leser möchte ich an dieser Stelle noch erwähnen, dass ich, um eine bessere Lesbarkeit zu gewährleisten, diese Arbeit im generischen Maskulinum verfasst habe. Ich verwende daher in der Regel die männliche Form, dabei schließen aber alle Begriffe, die Personen umschreiben, beide Geschlechter mit ein.
Bei der formalen Gestaltung der wissenschaftlichen Hausarbeit habe ich mich an den Richtlinien von Eiko Jürgens an dem Buch „Leitfaden: Examensarbeit für das Lehramt“ orientiert.
Hat der Schüler nicht wenigstens die Hälfte des Weges selbst beschritten, so hat er nichts gelernt.
(Sokrates)
Einen entscheidenden Anstoß für die Diskussion um Offenen Unterricht lässt sich spätestens auf die PISA - Studie im Jahr 2000 zurückführen. Damals wurden Basisprinzipien, die für die Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben wichtig sind, getestet.
Als eine Konsequenz daraus lassen sich die aktuellen bundesweiten Diskussionen um die Bildungsstandards zusammenfassen. Diese geben vor, was Schüler am Ende eines bestimmten Bildungsabschnittes (einer Klasse) beherrschen müssen. Sie beschreiben Wissen und Fähigkeit zunächst für die Fächer Deutsch, Mathematik und die erste Fremdsprache bis zur mittleren Reife.
Weitläufiger lässt sich diese kritische Auseinandersetzung in die sechziger und siebziger Jahren zurückführen. Mit der „Wiederentdeckung des Kindes“ wurde an den sogenannten „geschlossenen Curricula“ der lernzielorientierte Unterricht kri-tisiert, der das Kind nicht als Subjekt anerkennt. In den geschlossenen Curricula waren Strukturmodelle für die unterschiedlichen Lernbereiche entwickelt worden. Diese wurden von vielen Lehrern als verbindlich angesehen, was eine genaue Pla-nung des Unterrichts sowie eine inhaltlichen Festlegung in verbindlichen Lernse-quenzen bedeutete. Diese Starrheit der genauen Festsetzung von Lern- und Unter-richtsschritten wurde schon bald als Nachteil erkannt. Jedoch muss die Forderung nach Lernzielorientierung, bis zu einem gewissen Grad auch Gegenstand des Of-fenen Unterrichts bleiben.1
Da der Terminus „Offener Unterricht“ ein sehr weitläufiger Begriff ist und sich mit Begriffen wie „Eigenständigkeit“, „Mitbestimmung“ und „Selbständigkeit“ u.a. auseinandersetzt, möchte ich zunächst eine Definition vornehmen.
Charakteristische Merkmale für den Offenen Unterricht sind, dass Kinder die Möglichkeit haben selbständig und selbstverantwortlich zu lernen. Das bedeutet, dass der Unterrichtsinhalt sowie der Unterrichtsverlauf sich ganz besonders am Kind mit seinen Interessen, Wünschen und Neigungen orientieren sollte. Der Un- terricht ist um so offener um so mehr Selbst- und Mitbestimmung die Kinder ha- ben, zum Beispiel wann sie was und mit wem lernen wollen. Dies heißt allerdings nicht ein Lernen im „laissez - faire - Stil“, was eine Beliebigkeit bedeutet. Bei den Offenen Arbeitsphasen handelt es sich nicht um eine Beliebigkeit des Lernens, denn die Aufgaben sind sorgfältig strukturiert. Und die Art der Arbeit überfordert die Kinder nicht, da sie mit der Hilfe der Lehrkräfte erfolgt. Diese müssen gerade bemüht sein allen Kindern zu helfen, ihre Arbeit möglichst selbständig zu planen und diese aus eigenem Antrieb zu tun.2
Vor allen müssen bei einer Öffnung des Unterricht auch die veränderten Bedin-gungen der Kindheit, auf die ich im Verlauf der Arbeit noch eingehen werde, mit berücksichtigt werden. Kinder können in offenen Unterrichtsformen, in denen sie nicht lediglich in „gute“ oder „schlechte“ Schüler eingestuft werden, lernen „ihre Probleme selbst zu erkennen, zu lösen und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln“.3
Darüber hinaus ist die optimale Förderung jedes einzelnen Kindes von enormer Bedeutung.
Um die Kennzeichen der verschiedenen Formen des offenen Unterrichts zu ver-deutlichen, möchte ich nun die von Hermann Schwarz aufgelisteten Merkmale für heutigen offenen Unterricht aufzeigen. Mit heutigen Offenheitsbestrebungen wird an pädagogische Reformer angeknüpft: Maria Montessori4, Célestin Freinet5, Pe-ter Petersen und weitere. Bei diesen Pädagogen lassen sich insbesondere drei Öff-nungstendenzen feststellen, die uns heute noch leiten müssen und sollen:
1. Wir müssen das Kind als Subjekt seines Lebens und Lernens ernster nehmen als bisher und seine Objektrolle mindern, also: das Kind mehr eigenständig lernen lassen und weniger belehren; seine Selbststeue- rungskräfte und sein Mitentscheidenkönnen wesentlich stärker zum Zuge kommen lassen; ein Zuviel an einengender Lenkung zurückneh- men zugunsten helfender Begleitung, All das bedeutet dann gleichzei- tig mehr Individualisierung der Lernvorgänge
2. Dem Miteinander der Kindergruppe müssen wir als einer das Lernen bereichernden Kraft mehr Wirkungsmöglichkeiten lassen und schaffen: also Lernen durch geistigen Austausch und Zusammenarbeit in Über- windung eines Lernens in Konkurrenz der Einzelnen.
3. In Ablösung einer großenteils gekünstelten Didaktik muss der Unter- richt stärker als bisher ein den Kindern als sinnvoll erlebbares und selbst- oder mitzuverantwortendes Lernen in Lebens- und Handlungs- bezügen enthalten. Dazu gehören informelles, entdeckendes sowie pro- jektorientiertes Lernen, ein stetes Anknüpfen schulischen Lernens an Inhalte aus dem Leben der Kinder, ein Hinausgehen zu interessanten Lernorten außerhalb der Schule und enge Zusammenarbeit mit den El- tern.6
Nach Hermann Schwarz ist es also notwendig das Kind als Subjekt zu betrachten sowie das Miteinander stärker zu betonen. Mit dem dritten Punkt soll erreicht werden, dass Kindern Umweltzusammenhänge nicht entgegen ihren Sichtweisen in „lebensweltfremde und lernerschwerende Abschnitte“7 zergliedert werden.
Solche Prinzipien sind in den Niederlanden aus der praktischen Arbeit an Jena-plan - Schulen und der kritischen Auseinandersetzung mit Peter Petersen und der langen Entwicklung einer kindgerechten und humanen Schule entstanden. Sie enthalten wesentliche Elemente des Verständnisses einer Offenen Schule und Of-fenen Unterrichts und helfen Schulen bei der Orientierung an einer verbindenden und pädagogischen grundlegenden Übereinstimmung. Deshalb werden sie auch „Basisprinzipien“ genannt, womit sie den relativ stabilen Kern eines aktuellen und offenen Jenaplan - Konzepts bilden.8 Diese Basisprinzipien sind den Theorien des Offenen Unterrichts und dem Jenaplan gemeinsam. Aus diesem Grund möchte ich diese kurz erläutern.
Die Basisprinzipien bestehen aus 20 Prinzipien, die wiederum in drei Unterpunkte unterteilt sind. Die ersten fünf Prinzipien beschäftigen sich mit Gedanken „Über den Menschen“, wobei die Erziehung der Kinder zu selbständigen und verant-wortlichen Personen an erster Stelle steht. Die nächsten fünf Prinzipien befassen sich mit Themen „Über die Gesellschaft“. Die letzten zehn Prinzipien beschäfti-gen sich mit Inhalten „Über die Schule“.9 Solche Prinzipien werden auf verschie-dene Weise mit den Kindern reflektiert und erfahren. Damit dienen sie gerade dem Verschwinden von Idealen und moralischen Orientierungen, da es in unserer komplexen Gesellschaft zunehmend schwieriger wird moralische Standpunkte zu beziehen.
Um einen offenen Unterricht zu verwirklichen, bedarf es einiger Strukturelemente, die einen Offenen Unterricht kennzeichnen. Eine Bedingung für einen offenen gestaltenden Unterricht ist, den Klassenraum in einen werkstattähnlichen und zugleich wohnlichen Lebens- und Lernraum zu verwandeln. Aber auch Unterrichtsformen und Strukturen müssen den Offenheitsbestrebungen nachkommen, um eine offene Pädagogik zu realisieren. Ich möchte verschiedene Elemente aufzeigen, die den Schultag offener gestalten lassen.
Kindern gestattet eine offen gestaltete Situation morgens vor Unterrichtsbeginn einen Schulvormittag, der in einer entspannten Atmosphäre beginnen kann und eine ungezwungene Kommunikation erlaubt. Des weiteren sind auch der Morgen-kreis sowie der Abschlusskreis und das selbständige Arbeiten Formen für eine of-fene Unterrichtsstruktur. Der Morgenkreis enthält eine Erzählrunde, in der es vor-rangig darum geht, dass sich die Kinder nicht so sehr als Schüler sondern viel-mehr als Menschen begegnen. Er trägt dazu bei, dass sie sich besser kennen ler-nen und so Beziehungen entstehen können. Daher ist der Morgenkreis eine extrem reichhaltige Lernform gegen die Individualisierungstendenzen der Gesellschaft. Diesen folgt auch der Abschlusskreis, der durch Reflektieren und Rückbesinnung auf das Tun des vergangenen Tages und der Woche die Möglichkeit bietet, um künftiges Verhalten besser zu machen. Bei Kindern ist es wichtig und geradezu unerlässlich, dass solche Orientierungen aus nicht allzu zeitlich großer Distanz er-folgen.
Zu der bereits angesprochenen Form des selbständigen Arbeitens gehört die Ta-gesplanarbeit, die Wochenplanarbeit sowie Freiarbeit. Dabei handelt es sich um eine Kombination aus selbständiger Arbeit an Pflichtaufgaben und frei gewählten Aufgaben. Damit soll das Erreichen von Lehrplanzielen, die Erziehung der Kinder zu selbständiger Arbeitsplanung und vor allem zu selbstgewollten Arbeiten [Her-vorhebung des Autors] gewährleistet werden. Die Aufgabe des Lehrers besteht nun darin Einzelhilfe zu geben oder eine Gruppe in ein Problem oder eine Aufga-be einzuführen. Dabei ist es von enormen Vorteil, dass der Lehrer jederzeit die Kinder aus ihrer selbständigen Arbeit zu sich bitten kann, um mit ihnen weiterfüh-rend zu arbeiten.
Darüber hinaus empfiehlt Schwarze den Unterricht in Form von Gruppen- und Klassenvorhaben zu verstärken. Die Kinder lernen hierbei Fähigkeiten und Fer-tigkeiten in lebensbezogenen Anwendungen und sie lernen mehr als bei anderen Formen des Unterrichts kooperativ und konstruktiv miteinander zu arbeiten. Dar-über hinaus ist es für einen kindgerechten Unterricht von großer Bedeutung, dass kein 45 Minuten - Takt den Schultag bestimmt. Daher wäre eine Zeiteinteilung von 90 Minuten - Blöcken, wobei innerhalb der Blöcke Kurzpausen integriert sind, sinnvoll. Tages- oder Wochenplanarbeit geben Kindern daher die Möglich-keit ein ausdauerndes „Bei der - Sache - Bleiben“. Darüber hinaus können die Schüler ihre Arbeitsintensität und mit wem sie kooperieren selbst bestimmen, wo-bei sich ein anregendes soziales Leben entfalten kann. Solch ein gestalteter Schul-vormittag gewährt den Kindern ein Lernen und Arbeiten, dass sich mehr Raum für die eigene Arbeitsplanung schafft. Darüber hinaus lernen sie sich die Arbeits-zeit selbstständig einzuteilen und sie können den eigenen Lernbedürfnissen ent-sprechend Schwerpunkte setzen. Mit größeren Entscheidungsfreiräumen wird ih-nen gleichzeitig eine größere Verantwortung für ihr Lernen zugeteilt.10
In der Jenaplan - Schule lernen Kinder deshalb bewusst, die eigene Arbeit zu or-ganisieren und zusammen zu arbeiten. Darüber hinaus lernen sie zu reflektieren und zu lernen, wie man lernt. Das eigenständige Planen und mit der Zeit umzugehen ist eine Grundvorrausetzung, um später im Studium und im Beruf strukturiert arbeiten zu können und Ergebnissee sinnvoll zu erschließen.
Petersen hat seiner Zeit ausgehend von den pädagogischen Überlegungen Pesta-lozzis11, Fröbels12 und Herbarts13 einen Plan „größtmöglicher Offenheit und Frei-heit“ geschaffen. Damit erweitert er schulisches Lernen, so dass „unterrichtliches und schulisches Leben“ möglich wird. Somit rückt auch der Jenaplan heute in das Zentrum einer humanen Pädagogik, weil das Recht des Kindes auf das ihm gemä-ße Lernen verwirklicht wird.14 Ein wesentlicher Bestandteil des Offenen Unter-richts ist die Gruppenarbeit, indem die Kinder eigenständig und selbsttätig arbei-ten sollen. Von dem „gruppenunterrichtlichen Verfahren“ (auf dieses wird in Ka-pitel 5 noch näher eingegangen) bei Petersen lassen sich Parallelen zu der Grup-penarbeit des Offenen Unterrichts ziehen. Bei Petersen sollten die Kinder nach gemeinsamer Besprechung eines Themas in Tischgruppen für einen längeren Zeit-raum selbständig arbeiten. Auch bei der heutigen Form des Offenen Unterrichts sollen die Kinder eigenständig und selbsttätig arbeiten und der Lehrer zugunsten der Schüleraktivität in den Hintergrund treten. Bei Petersen nimmt der Lehrer al-lerdings eine „Führerrolle“ ein, wogegen er im Offenen Unterricht eine weniger dominante Rolle einnimmt.
Somit gibt es einen Zusammenhang zwischen Elementen des „Offenen Unterrichts“ und zentralen pädagogischen Prinzipien der Jenaplan - Schulen.
Ein Hauptaspekt meiner wissenschaftlichen Hausarbeit ist die Öffnung des Unter-richts durch den Jenaplan. Dieser Plan ist ein Vorläufer für den heutigen Offenen Unterricht. Um eine Öffnung des Unterrichts durch den Einsatz des Jenaplans zu begründen, wird zunächst ein Einblick in den pädagogischen Auftrag der Grund-schule gegeben.
Der pädagogische Auftrag der Schule ist es eine Grundlegung der Bildung zu leis-ten. In den Schulgesetzen ist eindeutig festgehalten, dass der Schule dieser Erzie-hungsauftrag übertragen worden ist. So ist im Thüringer Rahmenplan festgehal-ten, Schulen sollen eine „breite Grundbildung sichern“.15 Dies gilt für die Grund-schule seit 1921. Schule muss daher zu einem Lebensraum werden, in dem sich die körperlichen, seelischen, geistigen und sozialen Fähigkeiten des Kindes ent-wickeln können. Petersen spricht in diesem Zusammenhang von „funktionaler Er-ziehung“.16 Darüber hinaus muss sich die Schule an der Lebenswelt der Kinder o-rientieren, wodurch sie mehr den Anspruch einer Stätte kindgemäßer und grund-legender Bildung bekam und ihre Erzieheraufgabe mehr betont wurde. Vor allem wurden Ansprüche nach „Selbsttätigkeit und produktiver Eigenständigkeit“ des Kindes ausschlaggebend, wofür der Unterricht vor allem methodisch umgestaltet werden sollte. Selbständigkeit und Mündigkeit sind auch die Leitbilder einer neu-en demokratischen Erziehung.17
Im Verständnis der gegenwärtigen Diskussion um die Bildungsaufträge der ein-zelnen Schulstufen wird der Auftrag „grundlegender Bildung“ allein der Grund-schule zugeordnet. Darunter ist die elementare Bildung zu verstehen, die als Grundlage für ein erfolgreiches Lernen in den weiterführenden Schulen in glei-cher Weise wie für die Bewältigung des Lebens nach der Schule notwendig ist.18 Der Thüringer Lehrplan konkretisiert Vorstellungen zur grundlegenden Bildung folgendermaßen:
„Entsprechend dem im Schulgesetz formulierten Auftrag entfalten die Thüringer Lehrpläne ein Konzept von Grundbildung, das die Verzahnung von Wissensver-mittlung, Werteaneignung und Persönlichkeitsentwicklung beinhaltet. Grundbil-dung zielt auf die Entwicklung der Fähigkeit zu vernunftbetonter Selbstbestim-mung, zur Freiheit des Denkens, Urteilens und Handelns, sofern dies mit der Selbstbestimmung anderer Menschen vereinbar ist. Ziel ist es, alle Schüler zur Mitwirkung an den gemeinsamen Aufgaben in Schule, Beruf und Gesellschaft zu befähigen.
Um diese Grundbildung zu sichern, werden in der Schule Kompetenzen ausgebildet, wobei die Entwicklung von Lernkompetenz im Mittelpunkt steht. Lernkom-petenz hat integrative Funktion. Sie ist determiniert durch Sach-, Sozial-, Selbst-und Methodenkompetenz und schließt die Beherrschung der Kulturtechniken ein.19
Mit diesen Kompetenzen wird der Lernprozess in seiner Mehrdimensionalität er-fasst, d.h. fachlich - inhaltlich, methodisch - strategisch, sozial - kommunikativ und affektiv. Mit den genannten Kompetenzen ist die Möglichkeit gegeben, das Lernen im Fach und auch aus der Sicht fächerübergreifender Zielstellungen zu be-schreiben.20
Die Grundschule erfüllt diesen Auftrag mit ihren didaktischen und methodischen Mitteln. Mit einer Differenzierung des Unterrichts und einer dadurch weitgehen-den Individualisierung des Lernens versucht sie zu einer Selbständigkeit und zu einem Selbstbewusstsein der Kinder beizutragen und sie die Kräfte der kindlichen Persönlichkeit zu entfalten. Unterstützt wird dies durch soziale Lernformen sowie eine reiche Gestaltung des Schullebens, womit sie einen Ausgangspunkt für sozia-les Handeln schafft.
Auf die Frage, ob der Jenaplan eine grundlegende Bildung leisten kann, muss man diesen Sachverhalt in einen erweiterten Kontext stellen. Für Petersen ist nicht die Vermittlung von Bildung durch Unterricht die bestimmende Bedeutung, die Schu-le ausmacht. Vielmehr ging es ihm um ein gestaltetes Schulleben, dass von Leh-rern und Schülern gemeinsam gestaltet wird.21 Die Anthropologie von Petersen zeigt hier deutlich, dass Petersen nicht den Primat der Bildung sondern den Primat der Erziehung gibt. Also ergibt sich aus der Frage, ob der Jenaplan eine Grundbil-dung leisten kann, eine weiterführende Frage, nämlich ob Schule eine Erziehung leistet oder ob der Wissensvermittlung letzten Endes doch der Vorrang gegeben werden muss.
Die Frage nach der Grundbildung befindet sich in einem schwierigen Konflikt. Die Reformpädagogik ist, wie sich im Verlauf meiner Arbeit noch zeigen wird, aus der Kultur- und Bildungskritik des 19. Jahrhunderts hervorgegangen. „Ihre positive Antwort auf diese Kritik fand sie in einer Neubesinnung der Erziehung und des gemeinschaftlichen Lebens, die den Bildungsaspekt nur insoweit tangierte, als die Vermittlung von Bildung durch Unterricht als Bestandteil gehaltvoller pädagogischer Situationen begriffen wurde, die im übrigen auch Situationen des realen Lebens sein können.“22 Die unterrichtsmethodische Vielfalt ist aus der reformpädagogischen Praxis hervorgegangen und kann auf die drängenden inhaltlichen Probleme moderner Bildung keine Antwort geben.
Das Konzept von Petersen kann daher keinen Beitrag zur allgemeinen Grundbildung leisten. Dennoch hat es einen entscheidenden Anteil an den Vermittlungs funktionen von Bildung im Unterricht und in der Schule.
Um diese wird in den letzten Jahren wieder mit dem Begriff „grundlegende Bildung“ für den Bildungsauftrag der Grundschule in der Öffentlichkeit diskutiert. Dabei sind zwei Tendenzen erkennbar. Die einen fordern eine Renaissance der Reformideen, die sie an die heutigen Belange anpassen wollen. Dabei verstehen sie unter grundlegender Bildung Eigenständigkeit, elementare Denkfähigkeit und eine sich anbahnende soziale und politische Mündigkeit.
Die Anderen kritisieren diese Eigenständigkeit und beklagen sich darüber, dass die Kinder nicht konsequent genug auf die Aufgaben der weiterführenden Schulen vorbereitet werden. Sie argumentieren weiter, dass die Vermittlung notwendiger Grundkenntnisse wie Lesen, Schreiben und Rechnen vernachlässigt werden, da sie die Kinder zu wenig fordere und zu viele Zugeständnisse an die Kindgemäß-heit des Unterrichts gebe.
Die Reformer halten dagegen, dass durch überspannte Wissenschaftsorientierung die Leistungsfähigkeit der Kinder überfordert wird. Sie orientieren sich in erster Linie am Kind und messen dem freien Spiel und der freien Arbeit großes Gewicht bei.
Die Anderen streben dagegen eine grundlegende Bildung an, mit der Beherr-schung von sogenannten Kulturtechniken, die weniger reflektiert sind aber um so gefestigtere Fertigkeiten und Kenntnisse besonders in Muttersprache und Heimat-kunde vermitteln. Auch fordern sie die Fähigkeit sich einer notwendigen Schuldisziplin zu unterwerfen. Es geht ihnen gleichermaßen um das Kind und die Sache, um die kindgemäße Weitergabe von Traditionen, Kulturgütern, Lieder u.a.. Es lässt sich die Tendenz feststellen, dass die Mehrheit der Lehrerschaft versucht, die Vorzüge der einen mit den Vorzügen der anderen Positionen zu vereinen und die Nachteile beider zu vermeiden.23
Wie aus diesen Tendenzen gut zu erkennen, ist der Auftrag der Schule und Lehrer auch, die Kinder dort „abzuholen“ wo sie sind, d.h. dies aufzugreifen, was die Kinder mitbringen und ihnen außerdem eine Orientierung in ihrer Lebenswirklichkeit zu geben. Wenn die Schule also auf die Lebenswirklichkeit der Kinder eingehen möchte, muss sich erst einmal vor Augen geführt werden, was diese Lebenswelt der Kinder ausmacht und durch welche Veränderungen sie gekennzeichnet ist. Mit den Aspekten zur veränderten Kindheit soll gezeigt werden, dass der Offene Unterricht als pädagogische Antwort auf die tiefgreifenden Veränderungen in der Sozialisation von Kindern verstanden werden kann.
Der offene Unterricht und damit auch der Jenaplan soll in besonderem Maße auf den Wandel der Gesellschaft und die veränderte Kindheit reagieren. Aber was ist gemeint, wenn von der „veränderten Lebenswelt“ gesprochen wird? In Anlehnung an Maria Fölling - Albers gibt es fünf wesentliche Aspekte, die die Veränderungen in der Sozialisation von Kindern beschreiben und erkennen lassen, warum die Arbeit nach dem Jenaplan eine pädagogische Antwort darauf sein kann.
Die veränderte Kindheit ist damit verknüpft, dass die sozialen Erfahrungsmög-lichkeiten in der Ursprungsfamilie für viele Kinder immer geringer werden, weil die Familien immer kleiner werden. Durch den starken Geburtenrückgang (in den letzten 25 Jahren um fast 50 %) wachsen etwa Dreiviertel aller Kinder ohne oder nur mit einem Geschwisterkind auf. Einzelkinder erleben somit nicht mehr das Anderssein oder das Gleichsein im täglichen Familienleben. Von Kindern, die ein Geschwisterkind haben, machen ca. nur ein Drittel davon Umgangserfahrungen mit einem andersgeschlechtlichen Geschwisterteil in der eigenen Familie. Dazu kommt noch der vermehrte Umgang mit den Erwachsenen im Familienverband. Auf der einen Seite erhalten die Kinder dadurch mehr elterliche Zuwendung aber auf der anderen Seite werden höhere Erwartungen an sie gerichtet, was für schuli-sche Lernerfolge ebenso wie für außerschulische Freizeitaktivitäten gilt.24 Proportional zum Geburtenrückgang steigt die Müttererwerbstätigkeit. Je geringer die Kinderzahl ist, desto -höher ist in den Familien die Mütter- Erwerbsquote. Durch viele alleinerziehende und berufstätige Mütter zieht dies oftmals ein Betreuungsproblem der Kinder vor und nach der Schulzeit nach sich.25 Dadurch muss Schule immer mehr die Funktion einer Begegnungs- und Betreuungsstätte übernehmen.26
Darüber hinaus steigt auch die Anzahl der geschiedenen Ehen. Somit machen Kinder heute ganz andere Familienerfahrungen, da die Vielfalt an Familienkons-tellationen zugenommen hat. Die traditionelle Ehepaar - Familie ist neben ver-schiedene weitere Familienformen getreten. Ein Teil der Partner gehen nach der Scheidung wieder neue Familienbindungen ein oder wohnt bei einem nicht eheli-chen Zweitpartner. Auch die Anzahl der nicht ehelichen Gemeinschaften hat zu-genommen. In Stadtstaaten wie Bremen, Hamburg oder Berlin wird bereits jedes fünfte Kind in so eine nicht eheliche Lebensgemeinschaft hinein geboren. Im Bundesdurchschnitt betrifft es etwa jedes zehnte Kind. Das hat zur Folge, dass Kinder unter Umständen einen unterschiedlichen Familienbegriff haben. Wenn ein Kind also von seiner Mutter oder von seinem Vater spricht, kann man nicht mehr automatisch davon ausgehen, dass es auch seine leiblichen Eltern sind. Ver-stärkt nimmt auch die individualisierte Familienform der Eineltern- Familie zu. So lebt heute schon jedes neunte Kind bei der allein erziehenden Mutter oder bei dem allein erziehenden Vater. Ein weiteres Merkmal dieser individualisierten Famili-enform ist ein besonders hoher Anteil an Einkind - Familien.27
Diese „asozialen Entwicklungen“ nehmen einen entscheidenden Anteil an einer Veränderung der Lebenswelt der Kinder. Die Kinder müssen sich durch die Ver einzelung immer weniger die Zuwendung der Eltern teilen, wachsen jedoch durch zunehmende Isolation immer einsamer auf. Die Familie mit ihrer Funktion der Vermittlung von sozialen Erfahrungen und Normen leistet in dieser Hinsicht im-mer weniger.28
Das Spiel- und Freizeitverhalten der Kinder hat sich stärker von ungebundenen Draußen - Aktivitäten hin zu zeitlich vorgegebenen Drinnen - Aktivitäten ver-schoben. Das liegt mitunter daran, dass Kinder von den Straßen und freien Plätzen mehr und mehr verdrängt werden.29 Ich denke, dass es an dieser Stelle auch wich-tig ist zu ergänzen, dass die Kriminalität gestiegen ist und viele Eltern um ihre Kinder besorgt sind, sie frei draußen spielen zu lassen. Dies ist mit ein Grund, wa-rum fertige Spielplätze von Grundschulkindern kaum genutzt werden.
Aufgrund von großer Verkehrsdichte und mangelnder naturnaher Freiplätze oder auch einer geringeren Kinderdichte kann das freie Draußen - Spielen nicht oder nur unzureichend praktiziert werden. Dies führt wiederum zu einem Bewegungs-mangel der Kinder sowie zu eingeschränkten sozialen Erfahrungen in den „peer -groups“30. Dafür bevorzugen sie mit einem bestimmten Kind am Nachmittag zu spielen. Die Verabredungen dafür werden in der Schule oder über das Telefon zu Hause getroffen. Die Schule sollte darauf reagieren, indem sie den Kindern das Lernen an außerschulischen Lernorten ermöglicht und ihnen dadurch primäre Er-fahrungen aus ihrer Umwelt näher bringt. Erwähnenswert ist hier, dass dies aus meinen eigenen Erfahrungen vorrangig für Städte gilt, da auf dem Land noch ver-stärkt draußen gespielt wird.
Heutige Kinder nehmen vermehrt Förder - und Freizeitangebote wahr. Das führt dazu, dass viele Kinder schon im Grundschulalter einen gefüllten Terminkalender haben. Diese Lernangebote werden häufig als käufliche Dienstleistung angesehen, die man beliebig austauschen oder aufgeben kann, wenn sie interessant oder luk-rativ genug erscheinen.31 Die Verplanung der Kinder führt durch das Fehlen der „freien Zeit“ zu einem anderen und neuen Spielverhalten, welches durch weniger Spontanität einerseits und einem größeren Drang, dass etwas Aufregendes gebo-ten wird andererseits.32 Die Kinder verlernen durch einen Überschuss an Angebo-ten und Attraktionen immer mehr, sich spontan (sinnvoll) selbst zu beschäftigen. Damit bekommt das Leben der Kinder schon früh etwas „Geschäftliches“ und Kinder erfahren, dass man sich käuflich beschäftigen lassen kann.33 Ich denke, dass es hier wichtig ist darauf hinzuweisen, dass eine Verantwortung für solch ei-nen gefüllten Terminkalender die Eltern trifft. Einige Eltern haben die Einstellung ihre Kinder im frühen Alter schon zur Bestleistung fördern zu müssen, was bei den Kindern aber zu einer Orientierungslosigkeit führt, da sie von den vielfältigen Angeboten überfordert sind und keine Zeit mehr haben ihre eigenen Fähigkeiten zu finden und sich Selbst auszuprobieren. Dadurch kann es passieren, dass Kinder ihr Spiel- und Freizeitverhalten als isoliert und zusammenhangslos erleben.
Eine weitere negative Folge daraus ist, dass die Kinder schon sehr früh einen rati-onellen Umgang mit der Zeit lernen.34 Kinder müssen sich also schnell daran ge-wöhnen, sich ständig an verschiedenen Orten und in verschiedenen sozialen Gruppen zu befinden. Schon früh werden sie darauf getrimmt, ihre Termine ein-zuhalten und stehen nicht selten unter dem sogenannten „Freizeitstress“35. Eine weitere negative Folge dieser Angebotskultur ist, dass eine Ausweitung der Entwicklungsschere statt findet. Das heißt, Kinder, deren Eltern solche Hobbys bezahlen können, machen mehr Lernerfahrungen in diesem Bereich, die ihnen ei-nen Vorsprung gegenüber anderen Kindern verschafft. Hinzu kommt, dass solche Kinder von Lehrern in der Schule in vielen Sachgebieten aufgrund vielseitiger au-ßerschulischer Förderungen als äußerst sachkompetent erlebt werden.36 Diese so-ziale Auslese findet zudem nachmittags stärker statt als in der Schule.37 Dieses veränderte Spielverhalten der Kinder und die damit verbundene Erwar-tungshaltung, dass ihnen immer etwas geboten wird, fließt natürlich auch in den Schulalltag mit ein. Dieses Verhalten sollte von der Schule nicht unterstützt wer-den, sondern sie sollte Kindern helfen, das Lernen zu lernen und mit den Mitschü- lern zu kommunizieren. Das bedeutet, dass in besonderem Maße auf die Interakti- on mit Gleichaltrigen Wert gelegt werden sollte. Der offene Unterricht kann, in-dem sich Kinder in Ruhe mit verschiedenen Angeboten beschäftigen können, da-her ein Gegenpol zu der von Hektik und Konsum bestimmten Lebenswelt der Kinder sein.38
Die meisten Kinder wachsen heute wie selbstverständlich mit Medien auf. In na-hezu allen deutschen Haushalten steht heute ein Fernsehgerät. Meistens stehen den Kindern dann auch noch Radio, Kassettenrekorder, CD - Player, Videorekor-der, Walkman, Game - Boys oder gar Computer zur Verfügung. So kann bei Kin-dern, selbst wenn sie alleine sind, keine Langeweile aufkommen, da sie sich selb-ständig uneingeschränkte Unterhaltung und Abwechslung verschaffen können.
Die Nutzung des Fernsehgerätes fällt sehr unterschiedlich aus. Extreme Vielseher (drei und mehr Stunden am Tag) findet man vermehrt in Familien der unteren so-zialen Schichten. Insbesondere werden Unterhaltungs- und Actionprogramme bei den unter 14 - Jährigen bevorzugt. Am häufigsten werden die Vorabendpro-gramme und in Haushalten mit Kabelanschluss die Programme der privaten Fern-sehanstalten genutzt. Nicht nur, dass das viele fernsehen den Kinderaugen scha-det. Ein weiterer negativer Nebeneffekt ist, dass den Kindern auch Informationen zukommen, zu denen sie sonst kaum oder gar keinen Zugang erhielten. Man hat auch festgestellt, dass Kinder aus Unterschichten eher aus Gewohnheit fernsehen, während der Fernsehkonsum in Familien mit höherem Sozialstatus weit mehr ein-geschränkt ist. Sie wählen oft gezielt Programme aus, um etwas zu lernen. In der Regel können Kinder aber ihre Medienerfahrungen in der Schule nicht nutzen.39 Die Medien können den Kindern leicht eine „Secondhand-Wirklichkeit“ vermit-teln. Dies geschieht dadurch, dass die Kinder ihre Erfahrungen mit der Lebens-wirklichkeit oft nicht mehr aktiv erleben.40
Kinder werden durch Filme, Kassetten, Sticker, Bilderbücher, Fernsehsendungen, Handtücher, T - Shirts, Geschirr, Plastikspielfiguren etc. so stark beeinflusst, dass sie sich ein „Expertenwissen“ außerhalb des Lehrplans aneignen. Diese Situation kann die Schule nicht unbeachtet lassen, allerdings sollte der Unterricht dieses mediale Bewusstsein als sekundäre Erfahrung der Realität nicht weiterführen. Der Unterricht sollte daher großen Wert auf primäre Erfahrungen legen. Die Kinder sollten dazu ermutigt werden, ihre Eigentätigkeit zu entwickeln. Ein entdeckendes Lernen mit allen Sinnen, um Eindrücke und Erfahrungen aus erster Hand zu erhal-ten, sollte Gegenstand des Unterrichts sein. Dabei sollten Handeln und Denken in einem direkten, nachvollziehbaren Zusammenhang stehen, was sich ergeben kann, wenn der Zweck der Tätigkeit und der Lohn der Anstrengung in der Sache selbst liegen. Dieses ermutigende Lernen wiederum kann die von der Medien- und Kon-sumwelt immer mehr verdrängten Werte wie Ruhe, Ausdauer, Beharrlichkeit und Ordnung vermitteln und dafür sorgen, dass die Öffnung der Schule ein Stück Ge-genkultur schafft. Die Schule muss sich der Herausforderung der Medienwelt an-nehmen, indem sie den bruchstückhaften Erkenntnissen, die sie vermittelt mit praktischem Lernen durch „Kopf, Herz und Hand“ entgegenwirkt, auch wenn dies durch den Mangel an „action“ (die die Kinder durch die Medien oft gewohnt sind) erschwert werden kann.41 Darüber hinaus lässt sich zu den Medienehrfahrungen sagen, dass die Erfahrungsdiskrepanzen zwischen der heutigen Lehrergeneration und heutigen Kindern sehr groß ist.42
Ein weiterer Aspekt ist, dass wir heute in einer Informationsgesellschaft leben und Grundschulkinder nehmen schon an der „Massenkommunikation“ teil. Sie nutzen dabei, wie schon gezeigt, verschiedene Informations- und Informationstechniken. So hat die Wirtschaft die Kinder schon als Konsumenten entdeckt. Während die Kinder jedoch immer mehr in ihre Konsumentenrolle hineingepresst werden, wird auf der anderen Seite die Zahl derjenigen Kinder immer größer, die in „Armut und finanzieller Not aufwachsen“. Diese Kinder sind von der Teilhabe am kulturellen Leben weitgehend ausgeschlossen.43
Die heutige Erziehung ist geprägt von veränderten Erziehungsnormen und Erzie-hungswerten. So sind heute andere Erziehungsziele anstrebenswert, wie der Er-ziehungsstil, der liberaler und offener geworden ist. Erziehungstugenden wie Dis-ziplin, Leise - Sein, Still - Sein, Zurückhaltend - Sein aber auch Mutig - Sein, Gehorsam, Fleiß und Pünktlichkeit sind heute nicht mehr gefragt. Statt dessen wird Selbständigkeit, Kreativität, Kooperationsfähigkeit und Spielen- können von den Eltern gewünscht. Kinder werden früh dazu angehalten, für ihr Handeln Ver-antwortung zu tragen, vernünftig und aufgeweckt zu sein, die Dinge zu hinterfra-gen. Die Erwartungen der Eltern beziehen sich heute nicht mehr auf soziales Wohlverhalten sondern vielmehr auf Lernerfolgserwartungen in der Schule. Die meisten Eltern wünschen sich heute eine gymnasiale Schulbildung für ihre Kin-der. Dass sich Erziehungswerte und Erziehungsnormen ändern ist ein natürlicher Prozess, der mit den gesellschaftlichen Veränderungen einher geht.
Darüber hinaus sind Kinder heute zur emotionalen Bedürfnisbefriedigung für die Eltern geworden. Sie müssen heute nicht mehr die Eltern im hohen Alter versor-gen. Stattdessen sollen Kinder den Eltern vor allem Lebensglück und den Sinn des Lebens bescheren.44
Darüber hinaus hat sich das elterliche Erziehungsverständnis geändert. Die Schule muss sich oft mit der Erwartungshaltung der Eltern auseinandersetzen, die sich aufgrund von Erziehungsunsicherheiten ihrerseits von Lehrern professionelle Er-ziehungsentlastung erhoffen. Eltern sehen daher die Aufgabe der Schule darin, ei-ne Erziehung außerhalb des Familienhauses vorzunehmen, da sie oft nicht mit den Kindern fertig werden. Die Schule sollte sich jedoch keinesfalls als „Reparaturbe-trieb der Gesellschaft“ verstehen. Daher ist es auch wichtig, dass Elternhaus und Schule erzieherisch zusammen arbeiten.
Diese ohnehin schon vorhandene Erziehungsunsicherheit von Eltern scheint im-mer öfter in eine Erziehungsverweigerung umzuschlagen, da sie aufgrund einer Verunsicherung nicht mehr wissen, was nun richtig für die Erziehung ihres Kin-des ist. Daraus erwächst für die Schule eine größere Verantwortung im erzieheri-schen Bereich.
Dies führt unter Umständen dazu, dass es Kinder gewohnt sind im Mittelpunkt zu stehen und darauf ausgerichtet sind, ihre Wünsche und Interessen erfüllt zu be-kommen. Sie möchten daher nicht nur an Entscheidungen teilhaben, sondern wol-len auch ihren Willen ohne Rücksicht auf andere durchsetzen und sind zudem noch weniger kompromissbereit. Hier führt die Individualisierung anscheinend dazu, dass Kinder mehr ich - bezogen sind und Defizite bei der sozialen Einord- nungsfähigkeit und der Gemeinschaftsfähigkeit aufweisen. Das Problem dieser Liberalisierung des Erziehungsstils ist, dass die Eltern nicht nur Rat bei Erziehungsproblemen in der Schule suchen, sondern dass sie darüber hinaus von der Schule eine direkte Entlastung von eigenen Erziehungsaufgaben erhoffen und diese einfordern. Eltern fühlen sich oft nur noch für eine Erziehung innerhalb des Hauses verantwortlich und so wird eine Erziehung außerhalb des Hauses in zunehmendem Maße der Institution Schule übereignet. So soll die Schule fehlgeleitete Sozialisationsprozesse korrigieren.45
Die beschriebenen Veränderungen in den Familien bedeuten heute oft, dass die Kinder früher selbständig werden müssen. Möglich sind daher Probleme bei der Rollenidentifikation der Kinder und damit verbunden, dass sie zu wenig Auf-merksamkeit und Geborgenheit von den Eltern bekommen. Diese fühlen sich je-doch oft unsicher, wo und wie viele Grenzen sie Kindern setzen sollten. In einer Jenaplan - Schule lernen die Kinder daher in einer größeren Gruppe zu leben. Die Stammgruppe wird als Familiengruppe erlebt. Darüber hinaus wird ein starkes El-ternengagement gefördert sowie ein Gespräch zwischen dem Elternhaus und der Schule angestrebt. Dabei geht es vor allem um Fragen wie viel Grenzen Eltern ih-ren Kindern sowie wie viel Raum sie ihnen gewähren sollten.46
Die Schule sollte im Hinblick auf den durch Emanzipation und Demokratisierung veränderten Umgang der Kinder (der Kinder untereinander und mit den Erwach-senen) dem Anspruch gerecht werden, Entscheidungen und Beteiligungen der Kinder zuzulassen.47 Die Basis einer Demokratie bildet heute Partizipation auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen. Solch eine Partizipation gilt bereits für Kinder und zwar unabhängig von ihrem Alter immer nach ihren Möglichkeiten. Daher fördert eine Jenaplan - Schule die Mitbestimmung und Mitverantwortung der Kinder zum Beispiel beim Formulieren von Regeln für das Zusammenleben in der Stammgruppe oder bei der Einrichtung und der Durchführung von Diensten in der Schulwohnstube.48
Die multikulturelle Gesellschaft wächst und man findet heute zahlreiche Kinder mit nicht - deutscher Muttersprache in den Klassen. Diese Kinder bringen unter-schiedliche kulturelle Lebenskontexte sowie verschiedene religiöse Orientierun-gen mit. Die Schule wird in Zukunft, durch einen steigenden Ausländeranteil, immer mehr mit einer Kulturenvielfalt zutun haben. Die kulturelle Reichhaltigkeit kann für jeden einzelnen einerseits eine Bereicherung des alltäglichen Lebens be-deuten, andererseits aber auch für Unsicherheiten und Ängste sorgen. Die sozio-kulturelle Heterogenität in den Klassen stellt besonders hohe Ansprüche an Tole-ranz und Verständnis. Besonders von den Kindern werden durch die Auseinander-setzung mit fremden Kulturen hohe Sozialisationsleistungen verlangt. Unter-schiedliche Kulturen bedeuten unterschiedliche Wertvorstellungen, mit denen Kinder umgehen lernen müssen.
Die Lehrer müssen sich daher nicht nur mit pädagogisch - didaktischen, sondern auch mit kulturellen, sozialen und psychischen Problemen auseinandersetzen. Die sowieso schon große Unterschiedlichkeit der Lerngruppen, die Leistungsdifferenzen von bis zu drei Schuljahren beinhaltet, erfordert zudem noch eine sozialerzieherische und individualisierende Arbeit des Lehrers.49
Die Unterschiede, gerade in den Erziehungsnormen- und Gewohnheiten, stellt an die Grundschulen hohe Anforderungen an das soziale Lernen der Kinder. Die Schule muss daher versuchen, eine Basis für eine Kommunikation zwischen die-sen verschiedenen Kulturen und für ein verständnisvolles Leben miteinander zu schaffen. Das wiederum muss erlebt und erfahren werden, was Geduld, Zeit, Ruhe und Empathie erfordert. Stress und Leistungsdruck wirken diesen entgegen.50
Diese veränderten Sozialisationsbedingungen der Kinder darf die Schule nicht unbeachtet lassen. Da in den Klassen der Grundschulen Kinder mit verschiedenen Lernausgangslagen und Lernvoraussetzungen sitzen, verstärken sie die Dringlich-keit in allen Grundschulklassen offene Unterrichtsformen weiterzuentwickeln o-der einzuführen, wie sie durch Öffnen des Grundschulunterrichts angestrebt wer- den. In Anbetracht dessen ist die Feststellung von Klafki und Stöcker gut nach- vollziehbar: „Die sogenannte Jahrgangsklasse ist keine homogene Lerngruppe!“51 Gegen eine Homogenisierung sind entsprechende Einwände zu erheben. Zum Beispiel sind die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen von Schülern sozialisationsbedingt und damit durch soziale Schichten bedingt. Eine Homogenisierung des Unterrichts würde daher die Unterschiede, die in unserer Gesellschaft vorhanden sind, noch vertiefen.52 Darüber hinaus spielt auch die Erziehung eine wichtige Funktion. Lernen am Anderen sowie Teamfähigkeit sind heute wichtige Eigenschaften, die sich schon in der Schule fördern lassen.
Nachdem die Notwendigkeit Innerer Differenzierung aufgezeigt wurde soll nun auf die Zielsetzung einer Inneren Differenzierung eingegangen werden. Eine innere Differenzierung kann für jedes Kind eine optimale Förderung bringen, da individuell auf die Bedürfnisse des einzelnen Kindes eingegangen werden kann, um langsam Ungleichheiten abzubauen. Darüber hinaus bietet der Jenaplan im offenen Unterricht die Möglichkeit, Binnendifferenzierung zu praktizieren und kann außerdem durch die verschiedenen Sozialformen wie Gruppen- und Partner-arbeit auch einen weiteren Anspruch des offenen Unterrichts erfüllen, nämlich die soziale Kompetenz der Kinder zu fördern. Die im vorangegangenen Kapitel schon beschriebene Sozialkompetenz stärkt und befähigt die Kinder zu einer eigenen moralischen Urteilsbildung.
Um im weiteren Verlauf meiner Arbeit darauf zurückzukommen, wie der Jenaplan konzipiert ist und damit dem Anspruch der Inneren Differenzierung gerecht zu werden, betrachten wir die von Klafki und Stöcker aufgelisteten Merkmale zur Funktion der Inneren Differenzierung.
„Innere Differenzierung soll:
- Der Zielsetzung optimaler Förderung aller Schüler bei der Aneignung von Erkenntnissen, Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten dienen;
- Die Entwicklung verschiedener Persönlichkeitsdimensionen und ihre wechselseitige Beziehung anregen und unterstützen;
- Die Selbständigkeit jedes einzelnen Schülers fördern, ihn also ‚das Lernen lehren’ oder besser: ‚das Lernen lernen lassen“;
- Die Fähigkeit der Schüler zu bewußtem sozialem Lernen und in die- sem Rahmen ihre Kooperationsfähigkeit entwickeln (während der her- kömmliche, undifferenzierte Klassenunterricht den einzelnen Schüler, ob gewollt oder ungewollt, weitgehend isoliert).“53
„Wenn der Unterricht jeden einzelnen Schüler optimal fördern will, wenn er je-dem zu einem möglichst hohen Grad von Selbsttätigkeit und Selbständigkeit ver-helfen und Schüler zu sozialer Kontakt- und Kooperationsfähigkeit befähigen will, dann muß er im Sinne Innerer Differenzierung durchdacht werden.“54
Auch der Rahmenplan des Freistaates Thüringen fordert eine Innere Differenzierung, die u.a. Freiräume für offenen Unterricht bereithält. Die Richtlinien des Rahmenplanes legen fest:
„Die vorhandenen Erfahrungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Kinder bilden den Ausgangspunkt für die Gestaltung eines differenzierten Unterrichts, der durch kindgerechte, sachgemäße und lebensnahe Aufgabenstellungen ihren Lernwillen herausfordert und ihnen hilft, ihr eigenes Können schrittweise zu erfahren und zu erweitern. Dieser Haltung liegt die Einsicht zugrunde, dass Kinder die grundlegenden Ziele auf unterschiedlichem Niveau, in unterschiedlichen Zeiten und auf unterschiedlichen Wegen erreichen können.
In der Unterrichtsgestaltung werden Differenzierungsformen praktiziert, die einer-seits vom Lehrer bestimmt sind und die andererseits den Kindern selbständiges Planen und Gestalten ermöglichen. In diesem Prozess werden auf das entdeckende Lernen und handelnde Begreifen, auf projektorientiertes Arbeiten und themen-zentriertes Lernen besonders Gewicht gelegt. Gleichfalls sind spielerisches Ler-nen, freie Arbeit sowie Tages- und Wochenplanarbeit geeignet, die Lernangebote zu differenzieren und Raum für individuelle sowie partner- und gruppenbezogene Arbeitsvorhaben zu schaffen.
Differenzierung findet in der Regel im Klassenverband statt; sie wird dann richtig verstanden, wenn die individuellen Leistungsvoraussetzungen aufgegriffen und das Kind zu den ihm möglichen Lernerfolgen geführt wird. Insbesondere die Freiräume des Lehrplans dienen dazu, verstärkt auf die individuelle Entwicklung und die Interessen eines Schülers einzugehen.“55
Veränderte Bedingungen der Kinder sollten also direkte Auswirkungen auf den Unterricht haben. Die starke Unterschiedlichkeit der Kinder stellt jedoch „höchste Anforderungen an die Differenzierungs- Individualisierungskunst der Grund-schulpädagogin“.56 Die Grundschule muss daher immer mehr den Anspruch erfül-len, den Unterricht binnendifferenziert zu gestalten. Eine Lösung ist die „Selbst-differenzierung des Schülers“, was heute in offenen Lernformen wie Tagesplanar-beit, Wochenplanarbeit oder Freiarbeit seinen Ausdruck findet. Diese bringen ei-nen Individualisierungsgrad, wie er sonst nicht zu schaffen ist. Die Lehrerin plant dabei das Aufgabenmaterial vor „und im übrigen werden die Kinder dazu erzo-gen, sich selbst das auszusuchen, was sie für ihr Lernen brauchen“.57 Der Lehrer ist im Grunde überfordert, wenn er „fortlaufend in allen Lernbereichen feststellen soll, auf welchem Niveau sich jeder ihrer 25 Schüler jeweils befindet, um dem dann mit unterschiedlichen Aufgabenmengen, Schwierigkeitsgraden, Lernzeiten und Hilfen zu entsprechen“.58
Die Forderung nach Offenheit im Unterricht und damit auch zu Möglichkeiten der Differenzierung spielte bereits in der Reformpädagogik eine große Rolle. Aus diesem Grund wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit der Reformpädagoge Peter Petersen und sein pädagogischer Ansatz vorgestellt.
Am 26. Juni 1884 wird Peter Petersen als ältestes von sieben Kindern eines Bau-ern in Großenwiehe in der Nähe von Flensburg geboren.59 Er arbeitet viel auf dem elterlichen Hof mit und erlebt, wie die Menschen seines Dorfes aufeinander an-gewiesen sind. Auf diesen Erfahrungen basiert seine spätere Pädagogik, in deren Mittelpunkt der „Gemeinschaftsbegriff“ steht. Von 1890-1896 besucht er die ein-klassige Dorfschule, anschließend ist er Schüler des Gymnasiums in Flensburg und legt dort im Jahr 1904 sein Abitur ab. Im selben Jahr beginnt er sein Studium in Leipzig, später in Kiel, Kopenhagen und Posen. Er studiert zunächst evangeli-sche Theologie, Philologie, Geschichte, Psychologie und Nationalökonomie60 und wird in die empirische Forschung in Leipzig durch den Psychologen Wilhelm Wundt eingeführt. 1908 schreibt er seine Dissertation über die Philosophie W. Wundts. Ein Jahr später legt er die staatliche Prüfung für das Lehramt an Gymna-sien ab und absolviert anschließend das Referendariat am Leipziger Königin - Ca-rola - Gymnasium.61
Ein halbes Jahr später wird er vom Oberschulrat Professor Doktor Brütt nach Hamburg an die renommierte Johanneums - Schule berufen, tritt in den Lehrkör-per des Johanneums ein und wird dort am 1.10.11 festangestellter Oberlehrer.62
Petersens offizieller Eintritt in die Schulreformbewegung wird mit Oktober 1912, als er zum Sekretär, des „Bundes für Schulreform“ gewählt wird, datiert. Seit dem hat er ein großes Engagement für Schulreform. Das erste Studium der Landerzie-hungsheime macht Petersen 1912. Er studiert den Bildungsbegriff und das Land-erziehungsheim von Julius Lohmann, der Gründer des Landerziehungsheimes am Ammersee.63 Dort hat Petersen sein sogenanntes Schlüsselerlebnis. „Den Anstoß zum Versuch, die überlieferte Schulwirklichkeit innerlich so umzugestalten, daß sie erzieherische Funktionen wahrhaft entfalten könne, gab der Besuch des Land- erziehungsheims am Ammersee, Herbst 1912, [...]“64 Danach habe für Petersen zweifellos fest gestanden, "aus der Schule als Ganzem etwas Neues zu machen, d. h. das ganze Schulleben von Grund auf radikal zu ändern. Und dann gelte es, dort hinein den Unterricht zu setzen und sorgfältig zu prüfen und zu erproben, wie sich dieser ändern werde, wenn man gezwungen sei, immer jenes neue Schulleben zu erhalten, die neue Schulgesinnung zu bewahren, also kurz gesagt: Den Unterricht der Erziehung zu unterwerfen, zuerst Erzieher, dann erst Lehrer zu sein."65
In Hamburg war Petersen zunächst Oberlehrer am Johanneum und scheidet dort erst aus, als er Ostern 1920 die Leitung der Lichtwarkschule übernimmt, welche er drei Jahre lang leitet. Der Wechsel an die Lichtwarkschule verläuft sehr schnell und Petersen sieht ihm mit großer Freude entgegen.66
Das weltoffene Hamburg war schon seit Jahrzehnten ein Ort pädagogischer und bildungspolitischer Reformversuche.67 Die Lichtwarkschule in Hamburg ist, mit weiteren Hamburger Versuchsschulen, ein „Vorreiter“68 in der Schulreformbewe-gung in der Zeit der Weimarer Republik. Die Schulrevolution hatte in der Ham-burger Lichtwarkschule ihre „revolutionäre Keimzelle“69 gefunden. Bis 1918 steht die Lichtwarkschule unter direktoraler Leitung. Das Direktorat wird 1919 in allen Schulen Hamburgs durch den Arbeiter- und Soldatenrat, der vorübergebend die Regierungsgewalt ausübte, abgeschafft. Das 1920 erlassene "Selbstverwaltungsgesetz" sieht eine gemeinsame Verwaltung der Schulen durch den Elternrat und das Lehrerkollegium vor. Während die Lehrer die Erziehungs-und Lehrarbeit nach den Bestimmungen der Oberschulbehörde durchzuführen ha-ben, soll der Elternrat (zu dem der Schulleiter, zwei gewählte Lehrer und neun gewählte Vertreter der Eltern gehören) die Beziehungen zwischen Schule und El-ternhaus pflegen. Der Schulleiter wird für drei Jahre gewählt. Als Petersen die Stelle als Schulleiter an der Lichtwarkschule übernimmt, bietet für ihn die in Hamburg bereits eingeleitete pädagogische Bewegung die Möglichkeit, die Lichtwarkschule als Versuchsschule zu gründen. Das neue Selbstverwaltungsge- setz eröffnet den reformwilligen Lehrern die legale Möglichkeit diese reformorientierte Schule zu öffnen. Revolutionär ist für sie der Gedanke den Blick auf ein neues Menschenbild frei zu machen und nach neuen Wegen zu suchen. Noch gibt es aber kein Konzept oder ein pädagogisches Profil, nach dem unterrichtet werden soll. Es steht unter den Vorstellungen „innerer Schulreform“ und der „Neuen Erziehung“. Diese beinhalteten drei große Leitgedanken: Der Gedanke der „Einheitsschule“, die Fragen der inneren Umgestaltung von Unterricht und die dafür zu verändernde Lehrerbildung und -ausbildung.70
Die Lehrer sind sich einig, dass sie die bisherige „Lernschule“ ablehnen und for-dern den Erziehungsgedanken wesentlich stärker in den Vordergrund zu rücken. Sie wenden sich gegen den bisherigen praktizierten Unterricht, der „sich einseitig auf die Gedächtnis- und Verstandesbildung des Schülers beschränke und die Aus-bildung sowohl affektiver als auch motorischer Fähigkeiten der Schüler vernach-lässige, was zu einer Verkümmerung der kindlichen Entwicklungsmöglichkei-ten“71 führe. Stattdessen fordern sie das selbständige Erarbeiten und Erfassen von gestellten Themen. Auch legen sie Wert auf eine individuelle Bewertung der Ar-beit ohne Ziffernnoten. Diese Forderungen formuliert Petersen später mit weiteren Reformwilligen im „Bund für Schulreform“.72
Der erste Weltkrieg verhindert die Verwirklichung zunächst. Möglich wird sie erst durch die Novemberrevolution 1918, die den Obrigkeitsstaat des Kaiserreichs zum Abdanken zwingt und Deutschland den ersten Demokratieversuch als Wei-marer Republik wagt.73 Mit der Einführung der Demokratie als Staatsform wird auch das Bildungswesen demokratisiert und somit das Grundrecht des Menschen auf Bildung verfassungsmäßig gesichert. Dieses führte zur Einführung einer vier-jährigen Grundschulpflicht, in der alle Kinder des Volkes ungeachtet ihrer Her-kunft und Begabung die gemeinsame Grundschule besuchen. Rechtsgrundlage da-für ist Artikel 146 der Weimarer Verfassung und das Reichsgrundschulgesetz vom 28. April 1920. Das nach Ständen aufgesplitterte Elementarschulwesen sollte hiermit beseitigt werden und zu einer Chancengleichheit im Bildungswesen bei- tragen. Damit verbunden war auch die Entwicklung einer neuen pädagogischen Konzeption der Grundschule („Richtlinien zur Aufstellung von Lehrplänen für die Grundschule“), dass die Reformpädagogen als ein Wecken und Fördern aller geistigen und körperlichen Kräfte des Kindes verstanden.
Petersen macht seine ersten praktischen Versuche, was er später in Jena noch aus-reifen lässt und unter der Idee einer „Freien allgemeinen Volksschule nach den Grundsätzen Neuer Erziehung“ zusammenfasst.74 Durch Petersens Einsatz und seine Tätigkeit wurde aus der vorhandenen „Realschule Winterhude“ in Hamburg 1920 eine „Deutsche Oberschule“, deren Besonderheit es war, einerseits die Kin-der unter der Koedukation75 zu erziehen als sowohl auch mit weiteren Volksschu-len in der unmittelbaren Umgebung in Kontakt und Zusammenarbeit einer „Schu-lengemeinschaft“ zu stehen.
Schon 1923 beschreibt Petersen kurz vor seinem Weggang aus Hamburg, was für ihn an der Gemeinschaftsschulbewegung von entscheidender Bedeutung und Ei-genheit sei:
„1. Die neuen Gemeinschaftsschulen sind Versuchsschulen, nicht Versuchsklassen; uns scheint jeder, der Versuchsklassen fordert und einrichtet, erst auf dem Wege zur „neuen Erziehung“ zu sein.
2. Diese Schulen sind die ganz gewöhnlichen öffentlichen, staatlichen Volksschulen, d.h. die Idee der neuen Erziehung wird ebenda verwirklicht, wo wir alle sie wirklich sehen wollen.“76
1920 habilitiert Petersen an der damals neugegründeten Universität in Hamburg in Philosophie und Pädagogik. Damit erhofft er sich eine Stelle für die neu gegrün-dete Hamburger Professur für Erziehungswissenschaften. Diese Hoffnung wird jedoch zerschlagen, da er „für das damals rote und demokratische Hamburg nicht die rechte politische Haltung hatte“ und so wird er „bei der Einrichtung der Pro- fessur für Erziehungswissenschaften Ostern 1923 übergangen“77
Nach dieser harten Enttäuschung wird er 1923 wegen seines Einsatzes für Volks-schule und akademische Lehrerbildung an den Lehrstuhl für Erziehungswissen-schaft in Jena berufen, die nach einem Gelehrten suchten, „der für die Volksschu-le und die akademische Lehrerbildung eintrat“.78 Hier tritt er die Nachfolge von Wilhelm Rein79 an, dessen pädagogische Ansichten häufig im Gegensatz zu denen der Reformpädagogik stehen. So kommt es unweigerlich zu Auseinandersetzun-gen und schulpolitischen Kämpfen.
Die Zwanziger Jahre sind geprägt von der revolutionären Nachkriegszeit und mit ihr die seit 1918 ausweglose außenpolitische Lage durch die Reparationen und den Dawes- Plan80 sowie die innenpolitische Radikalisierung von Rechts und Links. Diese Spannung bekommt auch Petersen auf eine ganz bestimmte Weise zu spüren. Er sieht den sich anbahnenden Konflikt, der später als der „Jenaer Hoch-schulkonflikt“ bekannt wurde, zwischen der Fakultät einerseits und dem „Roten Thüringen“ andererseits. Thüringen war bis zu den Neuwahlen im Februar 1924 von KPD81 und SPD82 / USPD83 regiert. Der bis dahin tätige Staatsminister für Volksbildung (USPD/SPD) Max Greil war ein ehemaliger Volksschullehrer und hatte sich als Vermittler zwischen Politik und Wissenschaft den Jenaer C. J. Scha-xel84, der sein Vertrauensmann und sein Experte in Hochschulfragen war, ins Volksbildungsministerium geholt. C. J. Schaxel wurde mit Petersen zusammen nach Jena berufen und zu einer Neugestaltung des Landes Thüringen beizutragen. Am Anfang der jungen demokratischen Republik sollten Reformen in der über- wiegend republikfeindlich gesinnten Hochschullandschaft durchgesetzt werden. Kernstück der von Greils geplanten Schulreform sollte die Einheitsschule sowie das Greilsche Lehrerbildungsgesetz sein, dass die Verlegung der Volksschullehrerbildung an die Universität forderte. Greil und Petersen hatten so gegenseitiges Interesse aneinander.
Jedoch leisten Jenaer Ordinarien85 erbitterten Widerstand gegen die demokrati-schen Bildungsreformen. So scheitert sein Traum von einer gemeinsamen Univer-sitätsausbildung aller Lehrer, um so für Volksschullehrer die bis dahin fehlende akademische und für Gymnasiallehrer die fehlende pädagogische Basis für eine darauf aufzubauende gemeinsame Ansicht von „Neuer Erziehung“ zu schaffen.86
Petersen leitet die der Universität angeschlossene Versuchsschule, der 1934 noch ein Fröbelkindergarten angeschlossen wird, und unterrichtet selbst nach dem sogenannten Jenaplan. Petersen behält den Religionsunterricht bei, macht ihn aber nicht zur Pflicht. Dennoch ist für ihn ein Schulspruch von großer Bedeutung, der sich aus Petersens christlicher Ethik ableiten lässt. So sollte dieser Lehrer und Schüler gleichermaßen mahnen:
Der Größte unter Euch soll sein wie der Jüngste Und der Vornehmste wie ein Diener. (Lukas 22,26)87
Mit seinen Mitarbeitern betreibt er ‚Pädagogische Tatsachenforschung‘ . Mit die-ser Art der Forschung ist er einer der ersten, die durch systematische Beobachtun-gen des Kindes in seiner Erziehungswirklichkeit pädagogische Entscheidungen absichern bzw. korrigieren. Ernst Meumann88 öffnet Petersen den Blick für dieses „neue wissenschaftliche Forschungsgebiet“.89 Meumann hatte somit einen ent-scheidenden Einfluss auf Petersen. Durch die Begegnung mit Meumann hat Peter-sen den Entschluss gefasst, dessen Arbeit von der „exakten Jugendkunde“ weiter-zuführen und zu einer eigenständigen Erziehungswissenschaft zu machen. Peter- sen schreibt: „Die tägliche praktische Tätigkeit im Unterricht und an den Erzie- hungsaufgaben der Jugend half nachdrücklich zu erkennen, daß es eine „pädagogische Wirklichkeit“ gäbe, die von keiner der vorhandenen Fachwissenschaften ausreichend bearbeitet und gedeutet werden konnte,...“.90
Ab 1927 wird er weltweit zu Vorträgen und zur Einrichtung von Versuchsklassen nach dem Jenaplan eingeladen. Er hält 1934 Vorträge in Krakau, nimmt 1936 am Evangelischen Schulkongress in Utrecht teil, unternimmt 1937 eine Vortragsreise durch die Südafrikanische Union und erhält im gleichen Jahr die Ehrendoktor-würde der Universität Athen. Noch 1942 reist Petersen zu Vorträgen nach Rumä-nien und Bulgarien. 1950 wird seine Schule als „ein reaktionäres, politisch sehr gefährliches Überbleibsel aus der Weimarer Republik“ von der SED- Regierung der DDR geschlossen.91
Bis zu seinem Tod am 21. März 1952 lebt er in Jena. Seine Urne wird in Großenwiehe beigesetzt.
[...]
1 Vgl.: Jürgens, Die ‚neue’ Reformpädagogik und die Bewegung Offener Unterricht 1995, S. 11ff.
2 Vgl.: Schwarz, Hermann, Zur Offenheit des Grundschulunterrichts. In: Fölling - Albers, Veränderte Kindheit - Veränderte Grundschule 1995, S. 156f.
3 Wallrabenstein, Offene Schule - Offener Unterricht 1991, S. 44
4 Maria Montessori (1870 - 1952): Die Montessori-Pädagogik stellt die Freude des Lernens in den Vordergrund und leistet einen differenzierten Unterricht.
5 Célestin Freinet (1896 - 1966): Landschullehrer, der die Verbindungen von Schule und Leben, von körperlicher und geistiger Arbeit sowie die pädagogische Kooperation von Schülern und Lehrern und der Lehrer untereinander forderte.
6 Schwarz, Hermann, Zur Offenheit des Grundschulunterrichts. In: Fölling - Albers, Veränderte Kindheit - Veränderte Grundschule 1995, S. 147f.
7 a.a.O., S.148
8 In den Niederlanden wird seit 20 Jahren erfolgreich mit den Basisprinzipien gearbeitet. Sie wer-den spätestens alle zehn Jahre neu diskutiert und wenn nötig revidiert. Auch in Deutschland hat die Gesellschaft für Jenaplan - Pädagogik diese Basisprinzipien 1991 als Grundlage für ihre Arbeit akzeptiert.
9 Vgl.: Both, Jenaplan 21 2001, S.238f.
10 Vgl.: Schwarz, Hermann, Zur Offenheit des Grundschulunterrichts. In: Fölling - Albers, Veränderte Kindheit - Veränderte Grundschule 1995, S. 151ff.
11 J. H. Pestalozzi (1746 - 1827): schweizer. Pädagoge und Philosoph; nach P. hat Erziehung die Aufgabe, jeden Menschen zur Erfüllung seiner je eigenen Bestimmung zu führen, indem sie ihm hilft, seine Grundkräfte zu entwickeln. Kopf, Herz und Hand entsprechen Wissen, Wollen und Können, und ihnen tragen intellektuelle, sittliche und körperliche Erziehung Rechnung
12 F. Fröbel (1782 - 1852): dt. Pädagoge, Schüler von Pestalozzi; gründete 1837 im thüringischen Blankenburg den ersten deutschen Kindergarten
13 J. F. Herbart (1776 - 1841): dt. Philosoph und Pädagoge. In der Herbartschen Methode steht v. a der Ausbau und die Schematisierung der Herbartschen Formalstufen des Unterrichts im Vorder-grund
14 Vgl.: Hansen - Schaberg/ Schonig, Jenaplan - Pädagogik, S, 166
15 Thüringer Lehrpläne für die Grundschule 1999, S.1
16 Vgl.: Petersen, Führungslehre des Unterrichts 1970, S. 14
17 Vgl.: Neuhaus - Siemon, Schule der Demokratie, In: Haarmann (Hrsg.), Handbuch Grundschule 1994, S. 15ff.
18 Vgl.: Wittenbruch, Das pädagogische Profil der Grundschule 2000, S.101
19 Vgl.: Thüringer Kultusministerium, Thüringer Lehrpläne für die Grundschule, S.5
20 „Was ist neu an den Thüringer Lehrplänen für Grund- und Regelschule und Gymnasium“ 1998, S. 7
21 Vgl.: Retter, Reformpädagogik zwischen Rekonstruktion, Kritik und Verständigung 1996, S.32
22 Retter, Reformpädagogik zwischen Rekonstruktion, Kritik und Verständigung 1996, S. 176
23 Vgl.: Wittenbruch, Das pädagogische Profil der Grundschule 2000, S. 102f.
24 Vgl.: Fölling - Albers, Schulkinder heute 1995, S. 10f.
25 Ebd.
26 Vgl.: Wallrabenstein, Offene Schule - Offener Unterricht 1991, S. 45
27 Vgl.: Fölling - Albers, Schulkinder heute 1995, S. 10f.
28 Vgl.: Jürgens, Die ‚neue’ Reformpädagogik und die Bewegung Offener Unterricht 1995, S.28
29 Vgl.: Fölling - Albers, Schulkinder heute 1995, S. 10f.
30 peer - groups: Zusammenschluss von gleichaltrigen Kindern und Jugendlichen in Spiel-, Nachbarschafts- und Kameradschaftsgruppen sowie in Cliquen
31 Vgl.: Fölling - Albers, Schulkinder heute 1995, S. 12
32 Vgl.: Wallrabenstein, Offene Schule - Offener Unterricht 1991, S. 45
33 Vgl.: Jürgens, Die ‚neue’ Reformpädagogik und die Bewegung Offener Unterricht 1995, S.37
34 Vgl.: Wallrabenstein, Offene Schule - Offener Unterricht 1991, S. 45
35 Vgl.: Jürgens, Die ‚neue’ Reformpädagogik und die Bewegung Offener Unterricht 1995, S.36f.
36 Vgl.: Fölling - Albers, Schulkinder heute 1995, S. 12
37 Vgl.: Wallrabenstein, Offene Schule - Offener Unterricht 1991, S. 45
38 a.a.O., S. 45f.
39 Vgl.: Fölling - Albers, Schulkinder heute 1995, S. 12
40 Vgl.: Jürgens, Die ‚neue’ Reformpädagogik und die Bewegung Offener Unterricht 1995, S. 33
41 Vgl.: Wallrabenstein, Offene Schule - Offener Unterricht 1991, S. 46
42 Vgl.: Fölling - Albers, Schulkinder heute 1995, S. 12f.
43 Vgl.: Jürgens, Die ‚neue’ Reformpädagogik und die Bewegung Offener Unterricht 1995, S. 39f.
44 Vgl.: Fölling - Albers, Schulkinder heute 1995, S. 13f.
45 Vgl.: Jürgens, Die ‚neue’ Reformpädagogik und die Bewegung Offener Unterricht 1995, S.30f.
46 Vgl.: Both, Jenaplan 21 2001, S. 40
47 Vgl.: Wallrabenstein, Offene Schule - Offener Unterricht 1991, S. 47
48 Vgl.: Both, Jenaplan 21 2001, S. 44
49 Vgl.: Wallrabenstein, Offene Schule - Offener Unterricht 1991, S. 46
50 Vgl.: Fölling - Albers, Schulkinder heute 1995, S. 14ff.
51 Klafki/ Stöcker, Innere Differenzierung des Unterrichts 1993 In: Klafki, Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik 1993., S.176
52 Vgl.: a.a.O., S.177
53 Klafki/ Stöcker, Innere Differenzierung des Unterrichts 1993 In: Klafki, Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik 1993., S.181
54 Klafki/ Stöcker, Innere Differenzierung des Unterrichts 1993 In: Klafki, Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik 1993., S.181
55 Thüringer Kultusministerium, Thüringer Lehrpläne für die Grundschule 1999, S.7
56 Schwarz, Hermann, Zur Offenheit des Grundschulunterrichts. In: Fölling - Albers, Veränderte Kindheit - Veränderte Grundschule 1995, S. 149
57 Ebd.
58 Vgl.: Schwarz, Hermann, Zur Offenheit des Grundschulunterrichts. In: Fölling - Albers, Veränderte Kindheit - Veränderte Grundschule 1995, S. 149
59 Es gibt nicht viele Personen, die sich über die Biographie Peter Petersens geäußert haben. Es sind im wesentlichen zwei Gruppierungen: Zum Einen sind es die „Zeitzeugen“, Menschen die zu Lebzeiten Petersens persönlichen oder beruflichen Kontakt zu ihm hatten Zum zweiten sind es die „Materialzeugen“. Dazu lassen sich die Autoren rechnen, die sich in der 2. Generation mit Petersens Leben und Werk beschäftigt haben. Sie haben sich in den biographischen Teilen zumeist auf Wiederholung oder Bearbeitung bereits bekannten Materials beschränkt.
60 Nationalökonomie entspricht heute der Volkswirtschaftslehre
61 Vgl.: Scheuerl, Klassiker der Pädagogik 1979, S. 183ff.
62 Vgl.: Kluge, Peter Petersen. Lebenslauf und Lebensgeschichte 1992, S. 103
63 Schongau am Ammersee liegt im Bundesstaat Bayern
64 Petersen, Der Kleine Jena - Plan 2001, S. 19
65 a.a.O., S.116f.
66 Vgl.: Kluge, Peter Petersen. Lebenslauf und Lebensgeschichte 1992, S. 111
67 Hansen- Schaberg/ Schonig, Jenaplan - Pädagogik 2002, S. 28
68 Vgl.: Maschmann, Peter Petersen. Beiträge zur Schulpädagogik und Erziehungsphilosophie 1985, S. 32
69 Kluge, Peter Petersen. Lebenslauf und Lebensgeschichte 1992, S. 113
70 Vgl.: Kluge, Peter Petersen. Lebenslauf und Lebensgeschichte 1992, S. 300
71 Wendt, Die Lichtwarkschule in Hamburg 1921 - 1937 2000, S. 27
72 Vgl.: Kluge, Peter Petersen. Lebenslauf und Lebensgeschichte 1992, S. 112
73 Vgl.: Hansen- Schaberg/ Schonig, Jenaplan - Pädagogik 2002, S. 31
74 Vgl.: Kluge, Peter Petersen. Lebenslauf und Lebensgeschichte 1992, S. 118
75 Koedukation: die gemeinsame Erziehung der Kinder beider Geschlechter
76 Petersen, Innere Schulreform und neue Erziehung 1925, S. 162
77 Lebensdokumente von Peter Petersen In: Kluge, Peter Petersen. Lebenslauf und Lebensgeschichte 1992, S. 121
78 a.a.O., S. 133
79 Wilhelm Rein (1847-1929): einer der wichtigsten Herbartianer, lebte in Jena und leitete eine U-niversitätsübungsschule
80 Vertrag der Siegermächte über die zu zahlenden Reparationen von 1924; Nachfolger des Versailler Vertrages
81 KPD: Kommunistische Partei Deutschlands
82 SPD: Sozialdemokratische Partei Deutschlands
83 USPD: Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands
84 Christoph Julius Schaxel nimmt sich 1943 das Leben, nachdem er 1933 mit als erster von den Nazis „beurlaubt“ wurde, danach sein Haus und seine Arbeitsstätte durchsucht wurden und er in die Sowjetunion immigrierte
85 Ordinarien: Universitätsprofessoren
86 Vgl.: Kluge, Peter Petersen. Lebenslauf und Lebensgeschichte 1992, S. 135ff.
87 Kluge, Peter Petersen. Lebenslauf und Lebensgeschichte 1992, S. 184f.
88 Ernst Meumann (1862 - 1915): er leitete das 1913 gegründete „Institut für Jugendkunde“. Petersen, der seit 1912 Oberlehrer war und seine Hauptaktivität auf die Reformation des Religionsunterrichtes richtete, wurde bei Meumann von Anfang an Mitarbeiter in einer Arbeitsgruppe für Religionspsychologie. Petersen wird 1915 Meumanns Nachfolger
89 Petersen, Die Pädagogische Tatsachenforschung 1965, S. 95
90 Petersen, Die Pädagogische Tatsachenforschung 1965, S. 95f.
91 Darauf wird im nächsten Kapitel noch ausführlicher eingegangen werden
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