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Bachelorarbeit, 2013
56 Seiten, Note: 2,3
Einleitung: Die (Neu-)Erschaffung der kommunikativen Welt
1. Kommunikatives Handeln 3
1.1. Kommunikation vs. kommunikatives Handeln
1.2. Habermas Theorie des kommunikativen Handelns
1.2.1. Innen- und Außenwelt
1.2.2. Mythische Weltbilder
1.2.3. offene vs. geschlossene Weltbilder & Lebenswelten
1.2.4. Kritik & Anforderungen an das kommunikative Handlungsmodell
1.3. Der Wandel der Kommunikation und des kommunikativen Handelns durch das Internet
1.3.1. Aus »Face-to-face« wird »Font-to-font«
1.3.2. Kommunikation und kommunikatives Handeln offline vs. Kommunikation und kommunikatives Handeln online
2. Identität
2.1. Identität in Habermas Theorie des kommunikativen Handelns
2.2. Identität & Internet – die Folgen einer Nutzung des Internets als dominantes Kommunikationsmedium auf unsere Identitätsbildung
3. Das Internet
3.1. Wie Google, Facebook & Co. eine zweite Welt erschaffen
3.2. Von Vorurteilen, Irrtümern und falschen Denkansätzen
4. Ausblick
4.1. Identitätsarbeit durch Identitäts- und Internetkompetenz
Schluss: Der Traum von einer kommunikativen Ideal-Welt
Literatur / Zitate / Abbildungen
„Wie sprechen Menschen mit Menschen? Aneinander vorbei.“
Kurt Tucholsky
Wenn von Kommunikation die Rede ist, wird dies häufig damit abgetan, dass Kommunikation ja etwas sei, das in unserer Welt zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist, über die man nicht mehr zu sprechen braucht, geschweige denn diese Thematik gar zum Inhalt einer wissenschaftlichen Arbeit zu machen, scheint nicht mehr von irgendeiner Relevanz zu sein, immerhin sprechen und kommunizieren wir täglich mit anderen Menschen, ohne uns großartig Gedanken darüber zu machen. Wir leben in einem Medienzeitalter, in dem durch die Erfindung des Internets die Kommunikation revolutioniert wurde und sich eine neue kommunikative Welt eröffnet – manche sprechen gar von der Erschaffung einer ganz neuen und eigenständigen Welt, die sich uns durch das World Wide Web eröffnet. Überall ist die Aufbruchsstimmung allgegenwärtig und spürbar. User sprechen mit leuchtenden Augen über die revolutionären Möglichkeiten des Internets, die das menschliche Leben komplett auf den Kopf stellen und stilisieren das Internet zu einer Parallelwelt neben der Wirklichkeit – eine zweite Welt, die angeblich viel besser ist als unsere alte Welt. Die Kritiker und Sittenwächter hingegen prangern den Werteverfall an, der sich im Zuge der Digitalisierung und durch das Internet einstellt.
In der bisherigen Forschungsliteratur widmet sich die Wissenschaft hauptsächlich den offensichtlichen Problemen des Internets wie beispielsweise der Gewalt, Internetmobbing, Kinderpornographie und Suchterscheinungen, die aus übermäßigen Internetkonsum entstehen, aber wenn es um die Kommunikation geht, werden eben nur die oberflächlichen Veränderungen innerhalb der Kommunikation beleuchtet, so dass wir bisher lediglich wissen, worin sich digitale und analoge Kommunikation unterscheiden, aber nicht welche Auswirkungen die Veränderung der Kommunikationsart auf den Menschen womöglich hat oder noch haben wird. Dies mag zum einen daran liegen, dass das Internet mit seinen knapp 22 Jahren noch sehr jung ist und wir uns zu diesem Zeitpunkt inmitten jener Entwicklung gerade erst befinden, aber zum anderen liegt es auch daran, dass dieses Thema auf den ersten Blick zu unbedeutend erscheint, sich überhaupt damit auseinanderzusetzen, schließlich gab es auch schon Kommunikation, bevor das Internet erfunden wurde und dahingehend wurden die Auswirkungen auf den Menschen zu genüge untersucht. Diese Arbeit bemüht sich daher, diese Lücke zu schließen, indem sie anhand von Jürgen Habermas Theorie des kommunikativen Handelns mögliche Veränderungen auf den Menschen auf den Wandel seiner Kommunikationsart zurückführt.
Durch Kommunikation werden wir erst zu dem Menschen, der wir sein wollen oder bereits sind und gerade durch die Veränderungen, die das Internet auf die Kommunikation des Menschen ausübt, ist es ratsam, diesen Aspekt wissenschaftlich zu untersuchen. Kommunikation ist nicht einfach etwas, von dem wir sagen können, dass wir sie bereits verstehen, nur weil wir sie täglich anwenden und angeblich alles über sie wissen. Kommunikation ist weit mehr als nur das Fundament, auf dem sich die Gesellschaft entwickelt und durch das wir unsere Identität ausbilden, um uns selbst als (autonomes) Individuum zu verstehen. Mit dem Internet ist eine neue Komponente hinzugekommen, die Einfluss auf den Menschen und sein Kommunikationsverhalten ausübt und diese neue Komponente gilt es, zu untersuchen.
Im ersten Teil der Arbeit widme ich mich daher dem kommunikativen Handeln und Habermas Theorie diesbezüglich. Ich grenze kommunikatives Handeln von der normalen Kommunikation ab und gehe schließlich auf den Wandel der Kommunikation und des kommunikativen Handeln durch das Internet sowie auf die Unterschiede ein, die zwischen der Online- und Offline-Situation bezüglich der Kommunikation und des kommunikativen Handelns bestehen. Der erste Teil der Arbeit ist sozusagen die Voraussetzung dafür, um zu verstehen, wie wir durch Kommunikation und kommunikatives Handeln unser Selbst bzw. unsere Identität ausbilden, die im zweiten Abschnitt der Arbeit im Fokus steht.
Es geht darum anhand von Habermas Theorie die Prozesse der Identitätsbildung in der alten Welt nachzuvollziehen, um die Folgen der Nutzung des Internets als (dominantes) Kommunikationsmedium in der neuen Welt besser einschätzen zu können und die möglichen Veränderungen auf den Menschen durch die Nutzung digitaler Medien und die Veränderung seines Kommunikationsverhaltens zu untersuchen.
Im dritten Teil der Arbeit wende ich mich ganz dem Internet zu, um die Funktionsweise und das System, das sich hinter der digitalen Welt verbirgt – in die die Nutzer unmittelbar eintauchen und durch die sie ihre Weise miteinander zu kommunizieren verändern – kritisch zu reflektieren. Dort gehe ich auch auf die Vorurteile, Irrtümer und falschen Denkansätze ein, die sich teilweise in der Forschungsliteratur bezüglich der Auswirkungen des Internets auf den Menschen finden lassen und verbreitet haben.
Und im vierten und letzten Teil der Arbeit wage ich einen Ausblick in die Zukunft, wie der Mensch die nötige Identitäts- und Internetkompetenz entwickeln kann, um seine Identität auch weiterhin erfolgreich auszubilden, ohne sich online zu isolieren.
„Dass wir miteinander reden können, macht uns zu Menschen.“
Karl Jaspers
Auf den ersten Blick scheint auf der Hand zu liegen, was unter kommunikativem Handeln zu verstehen ist. Es geht irgendwie um eine Mischung aus Kommunikation und Handeln, was jeder von uns in seinem Leben mit Sicherheit schon mehrmals getan hat, schließlich macht uns diese Eigenschaft und Fähigkeit erst zu Menschen und Individuen. Kommunikation ist ein existentieller Bestandteil unseres Lebens, der fest in der Gesellschaft und im Menschen selbst verwurzelt ist. Mit anderen Menschen zu kommunizieren und in Interaktion mit anderen Menschen zu treten, davor kann sich niemand im Leben und in unserer Gesellschaft verstecken. Gesellschaftliches Leben ist auf Kommunikation angewiesen und baut auf ihr auf. Kommunizieren kann bzw. muss jeder und für Kommunikation bedarf es in der Regel der Teilnahme von mindestens zwei Menschen, eines Themas und einer Richtung, in die Kommunikation gelenkt wird – so ist zumindest die gängige Meinung, wenn es um Kommunikation geht.
Für den Rahmen dieser Arbeit reicht diese Definition jedoch nicht aus. Im Folgenden grenze ich daher den Begriff der Kommunikation von dem des kommunikativen Handelns ab, da diese Unterscheidung wichtig ist, um einerseits Habermas Theorie des kommunikativen Handels besser zu verstehen und um andererseits die erarbeitete Definition auf die vermeintliche Diskrepanz anzuwenden, die nicht nur zwischen kommunikativem Handeln in der Realität und kommunikativem Handeln im Internet sondern auch zwischen kommunikativem Handeln und Kommunikation generell besteht.
Die alltagssprachlichen Bedeutungen für ›kommunizieren‹ reichen von ›mit jemandem in Verbindung treten‹, ›mit jemandem Informationen austauschen‹, ›jemandem eine Mitteilung machen‹ über ›sich mit jemandem verständigen‹ bis zu ›jemanden an etwas teilnehmen lassen‹, ›mit jemandem etwas gemeinsam machen‹, ›mit jemandem verkehren‹, ›mit jemandem Umgang, eine Beziehung oder ein Verhältnis pflegen‹. Das Bedeutungsspektrum variiert schon seit dem lat. communicatio / communicare bis zu den heutigen französischen, englischen und russischen Entsprechungen um ›Mit-Teilen‹ herum. Mit-Teilen setzt raum-zeitliche Teilung voraus, von der leibgebundenen Existenz über natürliche bis zur soziokulturellen Teilung der Aktivitäten zwischen Individuen. […]
In der Kommunikation entsteht etwas Gemeinsames, das selbst nicht wieder exklusiv aufgeteilt werden kann. Dieses Mit-Gemeinsame wird zumindest unter modernen Voraussetzungen nicht als ein absolut, sondern als ein in Bezug auf Teilungen relativ Gemeinsames erfahren, das nicht mit einem bestimmten inhaltlichen Konsens zusammenfallen muss.[1] Mit anderen Worten: Kommunikation ist ein „Mitteilen“, das raum- und zeitbedingt ist und synchron zwischen zwei Kommunikationsteilnehmern stattfindet, deren kommunikative Aktivität von ihrer leibgebundenen Existenz abhängig ist. Erst durch eine gemeinsame Sprache wird Kommunikation ermöglicht, die jedoch nicht auf einen inhaltlichen Konsens hinauslaufen muss, sondern nach heutigen Maßstäben steht der Kommunikationsprozess selbst im Mittelpunkt der Kommunikation. Für einen solchen Kommunikationsprozess ist charakteristisch, dass innerhalb der Kommunikation ein Perspektivenwechsel von der Teilnehmer- zur Beobachter- bzw. Selbstbeobachterperspektive möglich ist. Aus der Perspektive der Teilnahme wird Kommunikation als Handlungskoordinierung durch symbolische Interaktion zwischen Individuen erschlossen. […] Aus der Perspektive der Beobachtung wird Kommunikation als zeichenvermittelte Verhaltenskoordinierung zwischen unterscheidbaren Einheiten beschrieben. Und aus der Perspektive der Selbstbeobachtung liegt Kommunikation vor, insofern die Verhaltenskoordinierung als Handlungskoordinierung und umgekehrt die Handlungskoordinierung als Verhaltenskoordinierung verwirklicht wird. [2]
Der Begriff des kommunikativen Handelns bei Habermas hingegen kennt keine (Beobachter-)Perspektiven, er „bezieht sich auf die Interaktion von mindestens zwei sprach- und handlungsfähigen Subjekten, die (sei es mit verbalen oder extraverbalen Mitteln) eine interpersonale Beziehung eingehen. Die Aktoren suchen eine Verständigung über die Handlungssituation, um ihre Handlungspläne und damit ihre Handlungen einvernehmlich zu koordinieren. Der zentrale Begriff der Interpretation bezieht sich in erster Linie auf das Aushandeln konsensfähiger Situationsdefinitionen“. [3] Beide Aktoren handeln, keiner von ihnen beobachtet. Habermas unternimmt einen Paradigmenwechsel von der Zwecktätigkeit der Kommunikation zum kommunikativen Handeln, durch den die Zwecksetzungen (nicht nur die Mittel) und damit auch die Maßstäbe möglicher Kritik selbst im Prozedere der Kommunikation fraglich und begründbar werden.
Kommunikatives Handeln bezeichnet er als einen Typus von Interaktionen, die zwar durch Sprachhandlungen – sprich Kommunikation – koordiniert werden, aber nicht mit diesen zusammenfallen. Sprechhandlungen innerhalb des kommunikativen Handelns sind »verständigungsorientiert« und nicht »erfolgsorientiert«, d.h. sie orientieren sich an der Einlösung von bestimmten sprachlich erhobenen Geltungsansprüchen und nicht am strategischen Erfolg der Kommunikation per se. Habermas spricht vom kommunikativen Handeln, wenn Interaktionen durch verständigungsorientierten Sprachgebrauch koordiniert werden.[4] Kommunikatives Handeln hat somit unmittelbar strukturbildende Folgen für die Lebenswelt der Interaktionsteilnehmer, denn im Gegensatz zur »normalen« Kommunikation geht das kommunikative Handeln über Sprechakte hinaus.
Diese Sprechakte fungieren in diesem Sinne auch dann als Medium der Verständigung, wenn sie der Herstellung interpersonaler Beziehungen (Geltungsanspruch der Richtigkeit) oder der Manifestation von Erlebnissen (Geltungsanspruch der Wahrhaftigkeit) dienen. Schlägt nun der Koordinationseffekt des Sprechaktes innerhalb der normalen Kommunikation fehl, zeichnet sich das »verständigungsorientierte Handeln« (sprich das kommunikative Handeln) dadurch aus, dass es zu einer »reflexiven Fortsetzung« des Sprechaktes mit den Mitteln der Argumentation kommt, um seinen Gegenüber zu einer »Handlung« zu bewegen bzw. ihn von den »eigenen Handlungen« zu überzeugen. Der Bindungseffekt des kommunikativen Handelns kommt also dadurch zustande, dass die Teilnehmer zu den Angeboten der »normalen« Kommunikation »Nein« sagen können. Da dieses Nein-Sagen aber nicht auf bloßer Willkür beruhe, sondern auf dem »eigentümlich zwanglosen Zwang zum besseren Argument«, würden die Kommunikationsteilnehmer in einen »Lernprozess« hineingezogen, der ihr egozentrisches Weltverständnis dezentriert.[5]
In diesem Sinne zielt das kommunikative Handlungsmodell darauf ab, dass sich Sprecher und Hörer – mit Hilfe der Sprache als ein Medium unverkürzter Verständigung – aus dem Horizont ihrer vorinterpretierten Lebenswelt gleichzeitig auf etwas in der objektiven, sozialen und subjektiven Welt beziehen, um gemeinsame Situationsdefinitionen auszuhandeln.[6] Allerdings verstehen die beteiligten Aktoren jeweils die Handlung ihres Gegenübers nur, wenn sie deren Sinn und Funktion kennen, d.h. sie müssen den subjektiven Sinn der entsprechenden Handlung kennen. Somit ergibt sich die Funktion einer Handlung für sie erst, wenn sie wissen, welche Funktion sie für das Handlungs-Subjekt selbst hat und warum bzw. mit welcher Absicht sie vollzogen wird. Ein Hörer versteht die Handlungsweise des Sprechers nämlich nur, wenn er ihren intersubjektiven Sinn kennt, umgekehrt versteht der Sprecher die auf seine Handlung provozierte Handlungsweise des Hörers nur, wenn er ebenfalls den intersubjektiven Sinn der Handlungen des Hörers erschließen kann. [7]
Das kommunikative Handlungsmodell zielt auf die beidseitige Offenheit der Aktoren ab, deren primäres kommunikatives Ziel es ist, ihre Handlungen auf eine einvernehmliche Einigung über bestimmte Sachverhalte auszurichten, wobei sie einen Konsens zwischen ihrer vorinterpretierte Lebenswelt und der objektiven Welt finden müssen. Oder einfacher gesagt: Kommunikation ist Sprechen um der Sprache und Verständigung willen und kommunikatives Handeln ist Handeln durch Sprache um der Handlung willen, die zu einem gemeinsamen Konsens durch Sprache führt bzw. führen soll.
Kommunikatives Handeln ist für den Menschen eine existentielle Grundeigenschaft, sich selbst und gleichzeitig auch andere Menschen besser zu verstehen. Für Habermas ist in seiner Theorie des kommunikativen Handels „die Rationalität von Meinungen und Handlungen […] ein Thema, das herkömmlicherweise in der Philosophie bearbeitet wird. Man kann sogar sagen, daß das philosophische Denken dem Reflexivwerden der im Erkennen, im Sprechen und Handeln verkörperten Vernunft entspringt. Das philosophische Grundthema ist Vernunft“.[8] Ohne Vernunft weiß der Mensch die Meinungen und Handlungen anderer sowie die eigene Meinung und das eigene Handeln nicht richtig zu deuten. »Richtig« meint in diesem Kontext, dass wir uns weder auf die Wahrheit, die uns als wahr erscheint, noch auf die Wahrheit, die anderen als wahr erscheint, verlassen können. Außerdem können wir nicht mit Sicherheit sagen, welche Meinung und welches Handeln als rational richtig oder rational falsch gilt bzw. gelten muss, denn „wann immer wir den Ausdruck ›rational‹ verwenden, unterstellen wir eine enge Beziehung zwischen Rationalität und Wissen. Unser Wissen hat propositionale Struktur: Meinungen lassen sich explizit in der Form von Aussagen darstellen. […] In sprachlichen Handlungen wird Wissen explizit ausgedrückt, in zielgerichteten Handlungen drückt sich ein Können, ein implizites Wissen aus; auch dieses know-how kann grundsätzlich in die Form eines know-that übergeführt werden. […] Personen, die über Wissen verfügen, und symbolische Äußerungen, sprachliche und nicht-sprachliche, kommunikative oder nicht-kommunikative Handlungen, die Wissen verkörpern, können mehr oder weniger rational sein“.[9]
Diese Erkenntnisse führen in Habermas Theorie dazu, dass Wissen als unzuverlässig kritisiert werden kann und/oder begründbar sein muss, da die enge Beziehung zwischen Wissen und Rationalität vermuten lässt, dass die Rationalität einer Äußerung von der Zuverlässigkeit des in ihr verkörperten Wissens abhängt.[10]
Dementsprechend erfüllt eine Äußerung „die Voraussetzungen für Rationalität, wenn und soweit sie fehlbares Wissen verkörpert, damit einen Bezug zur objektiven Welt, d.h. einen Tatsachenbezug hat, und einer objektiven Beurteilung zugänglich ist. Objektiv kann eine Beurteilung dann sein, wenn sie anhand eines transsubjektiven Geltungsanspruches vorgenommen wird, der für beliebige Beobachter und Adressaten dieselbe Bedeutung hat wie für das jeweils handelnde Subjekt selbst. Wahrheit und Effizienz sind Ansprüche dieser Art. So gilt für Behauptungen und für zielgerichtete Handlungen, daß sie um so rationaler sind, je besser der mit ihnen verknüpfte Anspruch auf propositionale Wahrheit oder Effizienz begründet werden kann“. [11]
Habermas führt an dieser Stelle den Begriff der kommunikativen Rationalität ein, so müssen die Teilnehmer einer argumentativen Rede jeweils ihren subjektiven Standpunkt und ihre Auffassungen überwinden und „sich dank der Gemeinsamkeit vernünftig motivierter Überzeugungen gleichzeitig der Einheit der objektiven Welt und der Intersubjektivität ihres Lebenszusammenhangs vergewissern“.[12]Sie müssen sich auf eine Gemeinsamkeit in der Welt verständigen, da die gemeinsame Basis für ihr kommunikatives Handeln bzw. für den kommunikativen Prozess, der aus ihren subjektiven Auffassungen heraus resultiert, allein in der objektiven Welt zu finden ist, in der sie zu gleichen Anteilen Mitglied sind. Kommunikatives Handeln hat somit seinen Ursprung in den subjektiven Horizonten der Kommunikationsteilnehmer, deren Subjektivität jeweils in der objektiven Welt Bestand haben muss, um glaubhaft Rationalität und Wahrheit für die eigenen Äußerungen zu beanspruchen. Ohne diesen Bezug zur Objektivität bleibt kommunikatives Handeln in der Subjektivität der jeweiligen Teilnehmer gefangen. Kommunikation und Verständigung glücken jeweils nur, wenn Tatsachenbezug und Begründungsfähigkeit der Äußerung in der objektiven Welt nachprüfbar sind und dort Gültigkeit haben, die nicht nur subjektiv sondern auch objektiv als »richtig« und »wahr« anzusehen ist. „Für die Rationalität der Äußerung ist konstitutiv, daß der Sprecher für die Aussage »p« einen kritisierbaren Geltungsanspruch erhebt, der vom Hörer akzeptiert oder zurückgewiesen werden kann. Im anderen Fall ermöglichen Tatsachenbezug und Begründungsfähigkeit der Handlungsregel die Möglichkeit einer erfolgreichen Intervention in die Welt. Für die Rationalität der Handlung ist konstitutiv, daß der Aktor seinem Handeln einen die Wahrheit von »p« implizierten Plan zugrunde legt, demzufolge der gesetzte Zweck unter gegebenen Umständen verwirklicht werden kann. Eine Behauptung darf nur dann rational genannt werden, wenn der Sprecher die Bedingungen erfüllt, die für die Erreichung des illokutionären Zieles notwendig sind, sich mit mindestens einem weiteren Kommunikationsteilnehmer über etwas in der Welt zu verständigen; eine zielgerichtete Handlung nur dann, wenn der Aktor die Bedingungen erfüllt, die für die Verwirklichung der Absicht notwendig sind, erfolgreich in die Welt zu intervenieren“.[13]
Dies bedeutet, dass Angehörige einer Kommunikationsgemeinschaft nur als rational und zurechnungsfähig gelten, wenn sie ihr „[kommunikatives] Handeln an intersubjektiv anerkannten Geltungsansprüchen orientieren“ und sie sich „mit dieser kommunikativen Praxis zugleich ihres gemeinsamen Lebenszusammenhangs, in der intersubjektiv geteilten Lebenswelt vergewissern“.[14]
Rational können wir somit jede Person nennen, die sich ihrem Interaktionspartner gegenüber (welt-)offen und verständigungsbereit präsentiert und „auf Störungen der Kommunikation in der Weise reagiert, daß sie auf die sprachlichen Regeln reflektiert. […] Irrational verhält sich, wer seine eigenen symbolischen Ausdrucksmittel dogmatisch verwendet“.[15] „Wer sich [also] systematisch über sich selbst täuscht, verhält sich irrational; wer aber imstande ist, sich über seine Irrationalität aufklären zu lassen, der verfügt nicht nur über die Rationalität eines urteilsfähigen und zweckrational handelnden, eines moralisch einsichtigen und praktisch zuverlässigen, eines sensibel wertenden und ästhetisch aufgeschlossenen Subjekts, sondern über die Kraft, sich seiner Subjektivität gegenüber reflexiv zu verhalten und die irrationalen Beschränkungen zu durchschauen, denen seine kognitiven, seine moralisch- und ästhetisch-praktischen Äußerungen systematisch unterliegen.[16] Die Quelle eines solchen Dogmatismus beruht meist auf geschlossenen Weltbildern, die absolute Wahrheit für sich beanspruchen, obwohl sich ihre lebensbeherrschende Wahrheit und auch das Weltbild an sich anderen als »falsch« erweist.
Habermas unterscheidet zwischen der Rationalität von Weltbildern auf der einen Seite und der kognitiven Entwicklung von Individuen auf der anderen Seite, d.h. unabhängig von ihren jeweiligen Weltbildern ist es Individuen grundsätzlich möglich kognitive Prozesse zu initiieren, durch die sie sehr wohl rational und unabhängig von ihrem jeweiligen Weltbild handeln können.[17] Geltungsansprüche, die sich auf Weltbilder oder formale Weltkonzepte stützen, können grundsätzlich kritisiert werden, da ihnen – zumindest rational gesehen – die Abwesenheit rationaler Gründe in der objektiven Welt zum Verhängnis wird.
Dies liegt vor allem an ihrem Ursprung und der beschränkten Begründbarkeit bzw. Gültigkeit ihrer Geltungsansprüche, die allein in der Transzendenz verwurzelt sind und die in der immanenten und objektiven Welt, in der sich die Interaktionspartner durch kommunikatives Handeln auf einen gemeinsamen Konsens einigen sollen, gänzlich fehlen. „Geltungsansprüche erfordern immer die rationale Stellungnahme eines Gegenübers“. [18] Ohne diese Stellungnahmen verfällt man dem Dogmatismus und der Irrationalität des eigenen Handelns, das gegenüber anderen und der (objektiven) Welt nicht standhält.
Die Begriffe Innen- und Außenwelt sind in Habermas Theorie des kommunikativen Handelns von besonderer Bedeutung. Die Außenwelt konstituiert die Innenwelt, denn „erst in dem Maße wie sich das formale Konzept einer Außenwelt, und zwar einer objektiven Welt existierender Sachverhalte wie einer sozialen Welt geltender Normen ausbildet, kann sich der Komplementärbegriff der Innenwelt oder der Subjektivität ergeben, der alles zugerechnet wird, was der Außenwelt nicht inkorporiert werden kann und wozu der Einzelne einen privilegierten Zugang hat. Nur vor dem Hintergrund einer objektiven Welt, und gemessen an kritisierbaren Wahrheits- und Erfolgsansprüchen, können Meinungen als systematisch falsch, Handlungsabsichten als systematisch aussichtslos, können Gedanken als Phantasien, als bloße Einbildungen erscheinen; nur vor dem Hintergrund einer gegenständlich gewordenen normativen Realität, und gemessen an dem kritisierbaren Anspruch auf normative Richtigkeit, können Absichten, Wünsche, Einstellungen, Gefühle als illegitim oder auch nur idiosynkratisch, als nicht verallgemeinerbar und bloß subjektiv erscheinen“.[19]
Die Außenwelt verhindert sozusagen, dass wir uns in unserer eigenen Subjektivität isolieren, uns dadurch von der Außenwelt gänzlich abwenden und auf diese Weise einen Zugang zur objektiven Welt verlieren, durch deren Verlust wir zu einer irrationalen Person würden, die dogmatisch und egozentrisch handelt.
Die Verständigungsprozesse zwischen Innen- und Außenwelt, zwischen einem Mensch und einem anderen, durch die wir auf etwas in der objektiven, für alle Beobachter identischen bzw. auf etwas in unserer intersubjektiv geteilten sozialen Welt Bezug nehmen, sind demnach wichtig und notwendig, um ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Innen- und Außenwelt aufrecht zu erhalten. Die Ansprüche auf propositionale Wahrheit und normative Richtigkeit aktualisieren diese Gemeinsamkeitsunterstellungen jeweils für eine bestimmte Äußerung. So bedeutet die Wahrheit einer Aussage, daß der behauptete Sachverhalt als etwas in der objektiven Welt existiert; und die Richtigkeit, die für eine Handlung hinsichtlich eines bestehenden normativen Kontexts geltend gemacht wird, bedeutet, daß die hergestellte interpersonale Beziehung als ein legitimer Bestandteil der sozialen Welt Anerkennung verdient. [20]
„Das Konzept der subjektiven Welt gestattet uns, nicht nur die eigene Innenwelt, sondern auch die subjektiven Welten der Anderen von der Außenwelt abzuheben“.[21]
Mythische Weltbilder beherrschen und beschneiden in dieser Hinsicht die kommunikative Rationalität ihrer Anhänger, indem sie die Kognitionen und Handlungen verhindern, so dass keine Abgrenzung eines Bereichs der Subjektivität möglich zu sein scheint. Absichten und Motive werden von den Handlungen und ihren Konsequenzen ebenso wenig getrennt wie Gefühle von ihren normativ festgelegten, stereotypisierten Äußerungen. Charakteristisch ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung, daß die Mitglieder archaischer Gesellschaften ihre eigene Identität in hohem Maße an die Details des mythisch festgeschriebenen kollektiven Wissens und an die formellen Einzelheiten der rituellen Vorschriften binden.[22] Diese Art geschlossener und dogmatischer Weltbilder verhindert sozusagen, die Entwicklung einer eigenen Subjektivität durch die Dominanz der Außenwelt über die Innenwelt des Individuums. In einen Prozess des kommunikativen Handelns im Sinne von Habermas zu treten, erscheint mit dieser Art von Menschen aussichtslos zu sein, denn es fehlt das Fundament der objektiven Welt als Gemeinsamkeit, auf die man sich in einem Verständigungsprozess einigt. Kommunikation zwischen einem rationalen und einem rituellen (irrationalen) Menschen wirft die Problematik auf, dass die Subjektivität bzw. die Innenwelt dieser Menschen an ihr Weltbild gekoppelt ist und sich aus einer unheilvollen Verbindung von Weltbild und einer fälschlicherweise geglaubten Autonomie ihres Selbst ihre jeweilige Identität entwickelt. „Mythische Weltbilder werden von Angehörigen nicht als Deutungssysteme verstanden, die an eine kulturelle Überlieferung angeschlossen sind, die durch interne Sinnzusammenhänge konstituiert, auf die Wirklichkeit symbolisch bezogen, mit Geltungsansprüchen verbunden, daher der Kritik ausgesetzt und einer Revision fähig sind“.[23] Die Rationalität von Lebensformen lässt sich, laut Habermas, zwar nicht auf die kognitive Angemessenheit der ihnen zugrundeliegenden Weltbilder zurückführen, aber sie schränkt dennoch ihre kognitiven Fähigkeiten ein, sich in die Handlungsweisen und deren Funktionen (bzw. so wie sie das Handlungs-Subjekt selbst versteht) hineinzuversetzen. Ihre Urteilsfähigkeit hört an den Grenzen ihrer eigenen Subjektivität auf, denn in ihrer eigenen Innenwelt bewahren sie vor der Kritik der objektiven Welt das Konzept der durch ihr Weltbild konstruierten bzw. vermittelten Außenwelt, das sie für sich selbst als »richtig« und »wahr« erkannt haben, was sich aber umgekehrt anderen als »falsch« erweist – und somit zu Recht kritisiert werden darf.
Mit der Dimension Geschlossenheit vs. Offenheit scheint sich ein kontextunabhängiger Maßstab für die Rationalität von Weltbildern zu bieten. Eine Deutungsweise, die die moderne Wissenschaft und auch die Philosophie als Bezugspunkt hat, so ist für den identitätssichernden Charakter geschlossener Weltbilder charakteristisch, dass sie sich gegen Deutungsalternativen und auch gegen Kritik von außen immunisieren, was mit der offenen Lernbereitschaft und Kritikfähigkeit als den hervorstechenden Zügen des wissenschaftlichen und philosophischen Geistes kontrastiert. [24]
[...]
[1] Krüger, Hans-Peter (2010): Kommunikation, in: Enzyklopädie Philosophie, S. 1259.
[2] vgl. Krüger, Hans-Peter (2010), S. 1259.
[3] vgl. Habermas, Jürgen (1995): Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1, S. 128.
[4] vgl. Meggle, Georg (2010): kommunikatives Handeln, in: Enzyklopädie Philosophie, S. 1264.
[5] vgl. Meggle, Georg (2010), S. 1264f..
[6] vgl. Habermas, Jürgen (1995), S. 142.
[7] vgl. Meggle, Georg (2010), S. 1265.
[8] Habermas (1995), S. 15.
[9] Habermas (1995), S. 25.
[10] vgl. Habermas (1995), S. 25f..
[11] Habermas (1995), S. 27.
[12] vgl. Habermas (1995), a.a.O., S. 28.
[13] Habermas (1995), S. 29.
[14] vgl. Habermas (1995), S. 31 u. S. 34.
[15] Habermas (1995), S. 43f..
[16] Habermas (1995), S. 42f..
[17] vgl. Habermas (1995), S. 74f..
[18] vgl. Habermas (1995), S. 82.
[19] Habermas (1995), S. 83.
[20] vgl. Habermas (1995), S. 82.
[21] Habermas (1995), S. 106.
[22] vgl. Habermas (1995), S. 83.
[23] Habermas (1995), S. 85.
[24] vgl. Habermas (1995), S. 97.