Bachelorarbeit, 2013
66 Seiten, Note: 1,3
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Gang der Arbeit
2. Berufsbild des Wirtschaftsprüfers
2.1 Rolle des Wirtschaftsprüfers
2.2 Grundlagen der Abschlussprüfung
2.3 Grundlagen der Beratungstätigkeit in der Wirtschaftsprüfung
3. Grundsatz der Unabhängigkeit
3.1 Erklärungsansätze für Anreize zur Unabhängigkeitsaufgabe
3.1.1 Theoretische Modelle
3.1.2 Unabhängigkeitsgefährdende Sachverhalte
3.2 Maßnahmen zur Wahrung der Unabhängigkeit
3.3 Vor- und Nachteile der Verbindung von Beratung und Prüfung
4. Normativer Rahmen zur Wahrung der Unabhängigkeit
4.1 Normen zur Stärkung der Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers
4.1.1 Berufs- und handelsrechtliche Normen
4.1.2 Bestimmungen der EU
4.1.3 Code of Ethics der IFAC
4.1.4 Sarbanes-Oxley Act of 2002
4.2 Kompatibilität von Prüfung und ausgewählten Beratungsleistungen
4.3 Reformbestrebungen der EU infolge der Finanzkrise
5. Vereinbarkeit von Abschlussprüfung und Beratungstätigkeit in der Prüfungspraxis
5.1 Quantitative Studien zur Entwicklung der Beratungstätigkeit in der Wirtschaftsprüfung
5.2 Qualitative Studien zur Vereinbarkeit von Beratung und Prüfung
5.2.1 Surrogate zur Messung der Unabhängigkeitsbeeinträchtigung
5.2.2 Studien zur Auswirkung der parallelen Beratung auf die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers
6. Schlussbetrachtung
Anhang
Literaturverzeichnis
Eidesstattliche Erklärung
Abbildung 1: Prüfungskosten im Zeitablauf nach DEANGELO
Abbildung 2: Prinzipal-Agenten-Beziehungen bei gleichzeitiger Beratung und Prüfung
Abbildung 3: Experimentelle Studien zur wahrgenommenen Unabhängigkeit
Abbildung 4: Befragungen zur wahrgenommenen Unabhängigkeit
Tabelle 1: Entwicklung der Honorare der führenden sechs Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in Deutschland
Tabelle 2: Entwicklung der Honorare der Big Four-Wirtschaftsprüfungsgesellschaften weltweit
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Jährliche Umsatzwachstumsraten von ca. 52 % (1999 bis 2001), Steigerung des Börsenwertes von 50 Mrd. (1996) auf 80 Mrd. US-Dollar (2001), Auszeichnung zum innovativsten Unternehmen der USA durch das renommierte Wirtschaftsmagazin „Fortune“[1] - lange Zeit galt der Energiekonzern Enron als eines der lukrativsten Unternehmen der Welt. Nur wenige Monate später löste der rapide Zusammenbruch Enrons einen der größten Bilanzskandale der Geschichte aus, der sich bis heute nachhaltig negativ auf das Berufsbild des Wirtschaftsprüfers in der öffentlichen Wahrnehmung auswirkt.[2] Dies ist vor allem auf das Fehlverhalten des bei Enron bestellten Wirtschaftsprüfers zurückzuführen. Arthur Andersen übersah nicht nur Unzulänglichkeiten in der Berichterstattung, sondern regte auch aktiv zur Bilanzmanipulation an.[3] Die Tatsache, dass Arthur Andersen im Jahre 2000 bei Enron über die Prüfungsleistungen in Höhe von 25 Mio. US-Dollar hinaus auch sonstige Dienstleistungen in erheblichem Umfang (27 Mio. US-Dollar) erbrachte, führte die Notwendigkeit einer Stärkung der Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit.[4]
Dass diese Verknüpfung von Abschlussprüfung und Beratungstätigkeit die Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers gefährden kann, stellten jedoch MAUTZ/ SHARAF bereits 1961 heraus und forderten zugleich eine Trennung beider Tätigkeiten.[5] Während der Problematik anfangs vornehmlich in der Literatur Relevanz beigemessen wurde, stiegen in den 80er und 90er Jahren die Umsätze der Wirtschaftsprüfer im Beratungssegment deutlich an. Besonders signifikant zeigte sich diese Entwicklung in den USA, wo große Wirtschaftsprüfungsgesellschaften den Anteil ihrer Beratungsumsätze an den Gesamterlösen von 13 % (1981) auf 51 % (1999) steigern konnten.[6]
Deutlich wurde der Regulierungsbedarf erst mit dem Bilanzskandal bei Enron. Dabei repräsentiert der Fall Enron/Arthur Andersen keinen Einzelfall, sondern eher den öffentlichkeitswirksamen Höhepunkt zahlreicher Unternehmenszusammenbrüche sowohl auf nationaler (Philipp Holzmann, Flow Tex) als auch auf internationaler (Worldcom, Parmalat) Ebene um die Jahrtausendwende.[7] Dementsprechend sahen sich Gesetzgeber und Standsetter weltweit gezwungen, restriktive Maßnahmen zur Stärkung der Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers zu erlassen. Besonders deutlich wurden die Reformabsichten in den USA mit dem Sarbanes-Oxley Act of 2002 (SOA), der die Vereinbarkeit von paralleler Beratung und Prüfung erheblich einschränken sollte.[8] Ähnlich restriktive Vorschriften wurden in Deutschland mit dem Bilanzrechtsreformgesetz (BilReG) 2004, dem Abschlussprüferaufsichtsgesetz (APAG) 2005 und dem Berufsaufsichtsreformgesetz (BARefG) 2007 verabschiedet.[9]
Trotz der Vielzahl an Maßnahmen trat die Diskussion um die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers im Zuge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise wieder verstärkt in den Vordergrund. Nachdem anfänglich primär Kreditinstitute, Aufsichtsbehörden und Ratingagenturen in der Kritik standen,[10] rückten in der Folgezeit auch Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in den Fokus der Regulierungsabsichten. Mit der Veröffentlichung eines Grünbuches zur Reformierung der Abschlussprüfung hat die Europäische Kommission einen neuen Vorstoß unternommen, die Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers durch verschiedene Maßnahmen zu stärken. Vor dem Hintergrund steigender Beratungsumsätze zielen die Regulierungsabsichten besonders auf eine strikte Behandlung von Nichtprüfungsleistungen ab.
Insbesondere ein Verbot von Beratungsleistungen würde die Prüfungsgesellschaften jedoch vor erhebliche wirtschaftliche Probleme stellen. In Zeiten stark sinkender Gewinnmargen im Prüfungswesen sind Wirtschaftsprüfer auf das florierende Beratungsgeschäft angewiesen.[11] Der Wirtschaftsprüfer steht somit zweifelsohne im Interessenskonflikt. Während die Ausdehnung der Beratungsleistungen besonders wirtschaftlich lukrativ sein dürfte, trägt eine Fokussierung auf die Prüfungstätigkeit zur Stärkung seiner Unabhängigkeit bei.
Die vorstehenden Ausführungen zeigen die übergeordnete Bedeutung und gleichzeitig auch Aktualität der Thematik. Vor diesem Hintergrund soll in der folgenden Ausarbeitung dargestellt werden, inwieweit sich Abschlussprüfung und Beratungstätigkeit vor dem Hintergrund des Unabhängigkeitsgrundsatzes vereinbaren lassen. Ziel ist es dabei, neben den theoretischen und normativen Grundlagen zur Unabhängigkeit, die Vereinbarkeit von Abschlussprüfung und Beratung in der Prüfungspraxis anhand qualitativer und quantitativer Studien zu analysieren.
Nachdem in Kapitel 2 auf die Grundlagen der Wirtschaftsprüfungstätigkeit eingegangen wird, soll im folgenden Kapitel der Grundsatz der Unabhängigkeit erläutert werden. Dabei werden erst Erklärungsansätze für Anreize zur Unabhängigkeitsaufgabe (3.1) dargestellt, bevor im Anschluss potenzielle Maßnahmen zur Stärkung der Unabhängigkeit (3.2) vorgestellt werden. Abschließend soll erörtert werden, welche Chancen und Risiken mit der Vereinbarung von Beratung und Prüfung verbunden sind (3.3). In Kapitel 4 wird auf den normativen Rahmen zur Stärkung der Unabhängigkeit des Prüfers eingegangen. Dabei sollen auf grundlegende Bestimmungen (4.1) und auch auf die Kompatibilität einzelner Beratungsleistungen mit der Prüfung (4.2) eingegangen werden. Ferner werden die Reformplanungen der EU-Kommission (4.3) dargestellt.
Einen inhaltlichen Schwerpunkt der Arbeit stellt die Analyse der Vereinbarkeit beider Tätigkeiten in der Prüfungspraxis dar (Kapitel 5). Ausgangspunkt dabei ist eine quantitative Untersuchung zur Entwicklung der Beratungstätigkeit der Wirtschaftsprüfer (5.1). Die Analyse erfolgt anhand der Auswertung der Jahres- und Transparenzberichte ausgewählter Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. In der Folge soll die Untersuchung auf die qualitative Ebene ausgedehnt werden (5.2). Dabei werden Studien zur Auswirkung der parallelen Beratung auf die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers dargestellt. In der Schlussbetrachtung (Kapitel 6) sollen die Ergebnisse zusammengefasst werden und ein kritisches Fazit zu den Reformabsichten der EU-Kommission gezogen werden.
Durch die zunehmende Komplexität und Größe von Unternehmen sowie die fortschreitende Internationalisierung von Handelsprozessen hat sich der Informationsbedarf von Share- und Stakeholdern eines Unternehmens deutlich erhöht. Um das Informationsdefizit von diesen Interessentengruppen gegenüber der Unternehmensführung zumindest partiell zu kompensieren, agiert der Wirtschaftsprüfer im Rahmen der Jahresabschlussprüfung als Intermediär zwischen Share- und Stakeholdern und dem Management des bilanzierenden Unternehmens. Aufgrund der hohen Fachexpertise des Wirtschaftsprüfers stellt es allerdings keine Seltenheit dar, dass sich das Leistungsspektrum von Prüfungsgesellschaften über die Abschlussprüfung hinaus auf weitere Dienstleistungen erstreckt. Wirtschaftlich lukrativ ist hierbei vor allem das Angebot von Beratungsleistungen. So hat sich aus dem klassischen Tätigkeitsfeld des Wirtschaftsprüfers ein drei Segmente umfassendes Geschäftsmodell entwickelt. Eine gängige Unterteilung erfolgt dabei in die Bereiche Audit bzw. Prüfung, Tax bzw. Steuern und Advisory bzw. Beratung.[12]
Sowohl der zunehmende Informationsbedarf der Anteilseigner und Öffentlichkeit als auch die Nachfrage nach Beratungsleistungen der Unternehmen haben in den letzten Jahrzehnten zu einer gestiegenen Bedeutung des Wirtschaftsprüfers geführt. Dies spiegelt sich auch in der Zahl der bestellten Wirtschaftsprüfer wider, die sich in Deutschland von 1961 (1.590) bis 2013 (14.345) nahezu verzehnfacht hat.[13]
Vor dem Hintergrund dieser steigenden Bedeutung wird im folgenden Kapital das Berufsbild des Wirtschaftsprüfers skizziert. Dabei sollen neben der Rolle bzw. Bedeutung des Wirtschaftsprüfers (2.1) auch auf die Grundlagen der Abschlussprüfung (2.2) sowie der Steuer- und Unternehmensberatung (2.3) dargestellt werden.
Im Rahmen unternehmerischen Handelns stellt die Verfügbarkeit von Informationen sowie deren Austausch ein zentrales Element dar. Maximaler gesellschaftlicher Nutzen kann nur bei vollständiger Information aller Akteure erreicht werden.[14]
Bedingt durch die Trennung von Unternehmensführung und Eigentum bei Kapitalgesellschaften entstehen jedoch Informationsasymmetrien zwischen Anteilseigern und geschäftsführenden Organen des Unternehmens. Letztere können diesen Informationsvorsprung nutzen, um durch opportunistisches Verhalten (z.B. kurzfristiger Erfolgsausweis im Jahresabschluss) eine persönliche Nutzenmaximierung (z.B. Steigerung von erfolgsabhängigen Bonuszahlungen) zu erzielen. In diesem Kontext dient die Rechnungslegung zur Normierung des Informationsaustausches zwischen Management und Anteilseigern.[15] Um die Einhaltung dieser Rechnungslegungsnormen und die Ordnungsmäßigkeit der durch das Unternehmen kommunizierten Daten zu gewährleisten, bedarf es der Prüfung des Jahresabschlusses durch einen sachverständigen und unabhängigen Dritten. Diese Notwendigkeit begründet die Existenz des Berufsstandes der Wirtschaftsprüfer.
Mit der Prüfung des Jahresabschlusses kompensiert der Abschlussprüfer allerdings nicht nur die Informationsdefizite der Shareholder, sondern auch die der Stakeholder des Unternehmens. Dabei handelt es sich u.a. um Banken (Vergabe von Krediten), Lieferanten (Entscheidung über Geschäftsbeziehung), Kunden (Kauf von Produkten), Arbeitnehmer (Arbeitsplatzwahl) und den Staat (wirtschaftspolitische Entscheidungen), die aus verschiedenen Gründen auf die Verlässlichkeit der im Jahresabschluss enthaltenen Informationen angewiesen sind.[16]
Ausdruck findet die hohe Bedeutung des Wirtschaftsprüfers darin, dass die Tätigkeit als Freier Beruf klassifiziert wird (§ 1 Abs. 2 S. 1 WPO). Nach § 1 Abs. 2 S. 1 PartGG basiert die Tätigkeit der Freiberufler auf einer besonderen beruflichen Qualifikation und dient der Erbringung von Dienstleistungen höherer Art, die nicht nur einen Nutzen für den Auftraggeber, sondern auch für die Allgemeinheit darstellen sollen. Hervorgehoben werden diese Attribute auch durch den Bundesverband der Freien Berufe. Demnach ist die Tätigkeit von Freiberuflern u.a. durch eine hohe Professionalität, der Verpflichtung gegenüber dem Allgemeinwohl und einer strengen Selbstkontrolle charakterisiert.[17]
Gesetzliche Grundlage der Durchführung der Abschlussprüfung bilden die Regelungen des HGB (§§ 316 ff.) sowie der WPO.[18] Nach § 317 HGB handelt es bei der Abschlussprüfung um eine Ordnungsmäßigkeitsprüfung.[19] Dabei obliegt dem Wirtschaftsprüfer die Aufgabe, Buchführung und Jahresabschluss auf Konformität mit den gesetzlichen Vorschriften und ergänzenden Bestimmungen (Gesellschaftsvertrag und Satzung) zu prüfen (§ 317 Abs. 1 S. 1 u. 2 HGB). Darüber hinaus muss nach § 317 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 264 Abs. 2 HGB festgestellt werden, ob dem fachkundigen Adressaten ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des zu prüfenden Unternehmens unter Beachtung der GoB vermittelt wird. Ferner hat der Abschlussprüfer nach § 322 HGB das Ergebnis seiner Prüfung in einem Bestätigungsvermerk zusammenzufassen. Ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk stellt allerdings nicht – wie häufig in der breiten Öffentlichkeit vermutet – eine Gewähr für den Fortbestand und die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens dar. Diese Diskrepanz zwischen öffentlicher Wahrnehmung und tatsächlichen Prüfungsnormen bezeichnet man als Erwartungslücke oder expectation gap.[20]
Konkretisiert werden die rechtsbindenden Regelungen des HGB durch berufsständische Normen wie die IDW-Verlautbarungen. Nach IDW PS 200 Tz. 8 dient die Abschlussprüfung der Bestätigung der Verlässlichkeit der in Jahresabschluss und Lagebricht enthaltenden Informationen. Ziel der Abschlussprüfung ist es jedoch nicht, eine lückenlose Prüfung (IDW PS 200 Tz. 19) zur Erlangung absoluter Sicherheit (IDW PS 200 Tz. 24 f.) durchzuführen. Aufgrund der limitierten Erkenntnis- und Feststellungsmöglichkeiten im Rahmen der Abschlussprüfung sind die Prüfungshandlungen lediglich darauf auszurichten, hinreichende Sicherheit zu erreichen. Allerdings hat der Abschlussprüfer dabei ein besonderes Maß an Skepsis und eine kritische Grundhaltung an den Tag zu legen (IDW PS 200 Tz. 16).
Entsprechend der vorstehenden Ausführung kann die Aufgabe Jahresabschlussprüfung in drei Teilfunktionen kategorisiert werden.[21] So kommt der Prüfung eine Kontrollfunktion (Prüfung der Verlässlichkeit der im Jahresabschluss enthaltenen Informationen), eine Informationsfunktion (Berichterstattung gegenüber den gesetzlichen Vertretern des Unternehmens, den Aufsichtsorganen und den Anteilseigern über das Ergebnis der Prüfung) und eine Beglaubigungsfunktion gegenüber externen Adressaten, wie Gläubigern oder Lieferanten, zu.
Neben der Durchführung von Jahresabschlussprüfungen umfasst das Leistungsspektrum des Wirtschaftsprüfers auch die steuerliche (§ 2 Abs. 2 WPO) und unternehmerische Beratung (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 WPO).[22] Bedingt durch die stagnierenden Margen in der Abschlussprüfung und den steigenden Bedarf an fachlicher Beratung gewinnen diese beiden Tätigkeitsfelder zunehmend an Bedeutung für den Wirtschaftsprüfer.[23]
Nach § 3 Nr. 3 StBerG sind Wirtschaftsprüfungsgesellschaften zu unbeschränkten Hilfeleistungen in Steuersachen befugt. Die Leistungen im Einzelnen sind dabei vielfältig und können sich von der Erstellung von Steuererklärungen und Steuerbilanzen bis hin zur Beratung in komplexen steuerlichen Angelegenheiten, wie Gestaltungsmaßnahmen zur Steuerbegünstigung (Rechtsformwahl, Standortwahl, etc.) oder Fragen der internationalen Besteuerung auf Konzernebene, erstrecken.[24] Darüber hinaus hat der Wirtschaftsprüfer das Recht, den Steuerpflichtigen vor Finanzgerichten, dem BFH sowie in Ausnahmefällen vor den Verwaltungsgerichten zu vertreten.[25]
Durch die hohe Fachexpertise sind die Tätigkeitsmöglichkeiten des Wirtschaftsprüfers im Segment der Unternehmens- und Wirtschaftsberatung vielfältig. Sinnvoll erscheinen insbesondere Beratungen im Bereich der externen Rechnungslegung (z.B. Hilfestellung bei Umstellung auf IFRS), da es sich hierbei um ein prüfungsnahes Tätigkeitsfeld des Wirtschaftsprüfers handelt.[26] Ferner können Beratungen u.a. in den Gebieten Informationstechnologie (z.B. EDV-Systeme zur Lohn- und Gehaltsabrechnung), allgemeine Unternehmensorganisation (z.B. Aufbau des IKS), Personalmanagement (z.B. Prüfung von Bewerbern für das Rechnungswesen) oder Unternehmensführung (z.B. Strategieentwicklung) durchgeführt werden.[27] Inwieweit die einzelnen Leistungen überhaupt gesetzlich zulässig sind, soll in Kapitel 4 dargestellt werden.
Bedingt durch den nicht klar definierten Begriff der Beratung gestaltet sich eine klare Abgrenzung von Abschlussprüfung und Beratungstätigkeit als schwierig. Die Problematik der Begrifflichkeit wird auch durch die Terminologie von SEC (non-audit services), IFAC (non-assurance services) und EU (Nichtabschlussprüfungsleistungen) deutlich, die alle nicht unter die gesetzliche Prüfungspflicht fallenden Tätigkeiten in einem Sammelposten zusammenfassen.[28] Diese mangelnde Spezifikation erschwert, wie sich im Verlaufe der Arbeit zeigen wird, ein dezidiertes Urteil über die Auswirkungen der Beratung auf die Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers.
Ein verlässliches Urteil über die Normkonformität des Jahresabschlusses erfordert sowohl die Urteilsfähigkeit (fachliche Qualifikation) als auch die Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers.[29] Für die Prüfung des Jahresabschlusses bedeutet dies, dass die Urteilsbildung des Abschlussprüfers frei von eigenen Interessen und Einflüssen Dritter zu erfolgen hat. Neben der tatsächlichen Unabhängigkeit, der inneren Haltung des Wirtschaftsprüfers (independence in fact), muss auch die in der Öffentlichkeit wahrgenommene Unabhängigkeit (independence in appearance) gewährleistet sein.[30] Demnach gehört der Grundsatz der Unabhängigkeit zu den zentralen Berufspflichten des Wirtschaftsprüfers.[31] KROMMES bezeichnet den Unabhängigkeitsgrundsatz gar als „Kardinaltugend“[32] des Wirtschaftsprüfers.
Vor diesem Hintergrund ist der Grundsatz der Unabhängigkeit von zentraler Bedeutung für den weiteren Gang der Arbeit und soll daher im Folgenden ausführlich dargestellt werden. Anreize zur Aufgabe der Unabhängigkeit können anhand verschiedener Erklärungsansätze (3.1) veranschaulicht werden. Sowohl theoretische Modelle (3.1.1) als auch in der Praxis typische Sachverhalte für die Gefährdung der Urteilsfreiheit (3.1.2) können dabei als Erklärungsansatz für die Aufgabe der Unabhängigkeit angeführt werden. Um die Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers daher zu stärken, wird regelmäßig über die Einführung verschiedener Maßnahmen (3.2), wie bspw. die Trennung von Beratung und Prüfung, diskutiert. Nichtsdestotrotz zeigt sich, dass die Verbindung von Beratungstätigkeit und Abschlussprüfung nicht nur Risiken birgt, sondern gleichzeitig auch Vorteile für den Wirtschaftsprüfer bieten kann (3.3).
Neben fachlichen Kriterien determiniert die Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers maßgeblich die Qualität der Abschlussprüfung. Daher stellt dieser Grundsatz eine der wichtigsten Berufspflichten dar. Dennoch zeigt sich, dass für den Wirtschaftsprüfer Anreize bestehen, seine Unabhängigkeit aufzugeben und opportunistische Ziele zu verfolgen. Diese Verhaltensweise soll nun erst auf theoretischer Modellebene und anschließend anhand praxisrelevanter Beispiele erklärt werden.
Erklärungsansätze für die Aufgabe der Unabhängigkeit bieten verschiedene Modelle. Aufgrund ihrer hohen Bedeutung in der Literatur sollen im Folgenden der Quasi-Rentenansatz von LINDA ELIZABETH DEANGELO und der agency-theoretische Ansatz von RICK ANTLE skizziert werden.
Der Quasi-Rentenansatz von DEANGELO basiert auf einer mehrperiodigen Betrachtungsweise. Während im ersten Prüfungsjahr höhere Aufwendungen für den Prüfer anfallen,[33] profitiert dieser in den Folgeperioden von seinem Kenntnisstand aus der Erstprüfung, sodass die vereinnahmten Honorare die anfallenden Prüfungskosten übersteigen. Abbildung 1 veranschaulicht diese Ausführungen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1:Prüfungskosten im Zeitablauf nach DEANGELO[34]
Um von den künftigen Renten auch weiterhin zu profitieren, ist der Abschlussprüfer bestrebt, die bestehende Geschäftsbeziehung aufrechtzuerhalten. Gleiches gilt für den Mandanten, der die aus einem Prüferwechsel resultierenden Transaktionskosten vermeiden möchte. DEANGELO bezeichnet dieses Verhältnis zwischen Mandant und Prüfer als „bilateral monopoly“.[35] Beide Parteien können diese gegenseitige Abhängigkeit allerdings auch nutzen, um Druck auf die Gegenpartei auszuüben. So kann der Prüfer mit Beendigung der Geschäftsbeziehung drohen, um ein höheres Honorar durchzusetzen. Der Mandant hingegen kann mit einer solchen Maßnahme versuchen, Einfluss auf das Prüfungsurteil zu nehmen. Daraus resultiert eine Gefährdung der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers.[36]
Die Terminologie der Quasi-Renten ist auf den Effekt des low ballings zurückzuführen . Bedingt durch den Wettbewerb um künftige Prüfungsaufträge und die Erwartung künftiger Renten akzeptiert der Wirtschaftsprüfer im ersten Prüfungsjahr ein Honorar, das unterhalb seiner Prüfungskosten liegt (low balling).[37] Bei vollkommenem Wettbewerb beträgt der Kapitalwert aller Zahlungsströme null und die Anfangsverluste können durch die Renten der Folgeperioden lediglich kompensiert werden. Demnach handelt es sich nicht um tatsächliche, sondern um Quasi-Renten für den Wirtschaftsprüfer.[38] Dies könnte das Interesse des Prüfers an einer Fortführung des Auftrages erhöhen und dementsprechend die Gefährdung seiner Unabhängigkeit weiter verstärken.
DEANGELO leitet aus ihrem aufgestellten Modell allerdings nicht per se eine Aufgabe der Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers ab. Durch die Vielzahl der Aufträge beschränkt sich die Erwartung künftiger Quasi-Renten nicht auf einen einzelnen Mandanten. Im Falle einer wahrgenommenen Unabhängigkeitsbeeinträchtigung droht der Verlust anderer Prüfungsaufträge und der damit verbundenen Quasi-Renten. Daher lässt sich bei großen Prüfungsgesellschaften tendenziell eine eher geringe Beeinträchtigung der Unabhängigkeit vermuten.[39]
Ein weiteres Modell zur Erklärung der Unabhängigkeitsaufgabe bietet RICK ANTLE mit der Erweiterung der Prinzipal-Agenten-Theorie. Demnach agiert nicht nur das Management als Agent der Anteilseigner, sondern auch der von der Hauptversammlung gewählte Abschlussprüfer.[40] Da dieser die bestehenden Informationsasymmetrien zwischen Unternehmensführung und Eigentümern kompensieren soll, liegt es in der Natur der Aufgabe, dass auch der Wirtschaftsprüfer über einen Informationsvorsprung gegenüber seinem Prinzipal, den Anteilseigern, verfügt. Dies ermöglicht dem Prüfer, ähnlich wie dem Management, opportunistische Ziele durchsetzen (moral hazar d).[41] Unter Wirtschaftlichkeitsaspekten könnte er dazu tendieren, den Umfang der Prüfungshandlungen zu reduzieren, um so höhere Gewinnmargen zu erzielen.
Eine weitere für den Wirtschaftsprüfer nutzenmaximierende Möglichkeit ist die Ausdehnung der Geschäftsbeziehung mit dem Mandanten. So könnte er neben der Prüfungstätigkeit (Agent der Anteilseigner) auch in beratender Funktion (Agent des Managements) für das Unternehmen tätig werden. ANTLE sieht ferner in diesem Beratungsvertrag ein „vehicle for side-payments“[42] durch das Management an den Abschlussprüfer. Abbildung 2 veranschaulicht die Erweiterung des Beziehungskonstrukts im Rahmen der Prinzipal-Agenten-Theorie.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Prinzipal-Agenten-Beziehungen bei gleichzeitiger Beratung und Prüfung[43]
Aus der Funktion des Wirtschaftsprüfers als Doppel-Agent von Management und Anteilseignern resultiert unvermeidlich ein Interessenskonflikt, der letztendlich zu einer Beeinträchtigung der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers führen kann.[44]
Nachdem im vorangegangen Kapitel die Ursachen für die Aufgabe der Unabhängigkeit modelltheoretisch erläutert wurden, sollen im Folgenden unabhängigkeitsgefährdende Sachverhalte aus der Prüfungspraxis dargestellt werden. Eine Möglichkeit der Kategorisierung dieser Tatbestände ist die Einteilung in personelle Verflechtungen, finanzielle Interessen, persönliche Beziehungen und die Verbindung von Beratung und Prüfung.[45]
Personelle Verflechtungen liegen vor, wenn der Abschlussprüfer als Funktionsträger bei dem zu prüfenden Unternehmen agiert.[46] Dabei kann er als gesetzlicher Vertreter (in der Geschäftsführung oder im Vorstand), Mitglied des Aufsichtsrats oder Angestellter des Unternehmens tätig sein. Eine Gefährdung der Unabhängigkeit liegt in diesem Kontext insbesondere vor, wenn der Abschlussprüfer direkt (Tätigkeit im Rechnungswesen) oder indirekt (Führungsposition mit Weisungsbefugnis gegenüber dem Rechnungswesen) an der Erstellung des Jahresabschlusses beteiligt ist.
[...]
[1] Vgl. PEEMÖLLER, VOLKER H./ HOFMANN, STEFAN (2005), S. 29.
[2] Vgl. ZILCH, CHRISTOPHER (2010), S. 2.
[3] Vgl. PEEMÖLLER, VOLKER H./ HOFMANN, STEFAN (2005), S. 31 ff.
[4] Vgl. PEEMÖLLER, VOLKER H./ HOFMANN, STEFAN (2005), S. 35.
[5] Vgl. MAUTZ, Robert K./ SHARAF, HUSSEIN A. (1961), S. 223 f.
[6] Vgl. SATTLER, MATTHIAS (2011), S. 2.
[7] Vgl. SATTLER, MATTHIAS (2011), S. 1.
[8] Vgl. SATTLER, MATTHIAS (2011), S. 2 f.
[9] Vgl. HERKENDELL, ANJA (2007), S. 1.
[10] Vgl. EU-Kommission (2010), S. 3.
[11] Vgl. BALLWIESER, WOLFGANG (2008), S. 10.
[12] Dieser funktionalen Gliederung folgen auf internationaler Ebene KPMG und PWC. Deloitte unterteilt das Beratungssegment in Financial Advisory und Consulting. Ernst & Young listet zusätzlich Transaction Advisory Services separat auf.
[13] Vgl. WIRTSCHAFTSPRÜFERKAMMER (2013), S. 2.
[14] Vgl. MARTEN, KAI-UWE/ QUICK, REINER/ RUHNKE, KLAUS (2011), S. 35.
[15] Vgl. MARTEN, KAI-UWE/ QUICK, REINER/ RUHNKE, KLAUS (2011), S. 39.
[16] Vgl. KROMMES, WERNER (2011) S.13.
[17] Vgl. BFB (2012), S. 1.
[18] Zur Kategorisierung von Prüfungsnormen und deren Bindungswirkung vgl. MARTEN, KAI-UWE/ QUICK, REINER/ RUHNKE, KLAUS (2011), S. 88 ff.
[19] Vgl. MARTEN, KAI-UWE/ QUICK, REINER/ RUHNKE, KLAUS (2011), S. 17.
[20] Vgl. GRAUMANN, MATHIAS (2007), S. 139 f.
[21] Vgl. dazu und zum Folgenden: IDW (2012), S. 2399.
[22] Darüber hinaus listet die WPO die treuhänderische Verwaltung (§ 2 Abs. 3 Nr. 3 WPO) und die Tätigkeit als Sachverständiger (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 WPO) auf.
[23] Vgl. SATTLER, MATTHIAS (2011), S. 60 ff.
[24] Vgl. ZITZELSBERGER, SIEGFRIED (2008), S. 22.
[25] Vgl. IDW (2012), S. 7.
[26] Vgl. ZITZELSBERGER, SIEGFRIED (2008), S. 22.
[27] Vgl. GRAUMANN, MATHIAS (2007), S. 10;.ZITZELSBERGER, SIEGFRIED (2008), S. 23 f.
[28] Vgl. SATTLER, MATTHIAS (2011), S. 57 f.
[29] Vgl. MARTEN, KAI-UWE/ QUICK, REINER/ RUHNKE, KLAUS (2011), S. 154.
[30] Vgl. MARTEN, KAI-UWE/ QUICK, REINER/ RUHNKE, KLAUS (2011), S. 154.
[31] Weitere Berufsgrundsätze des Wirtschaftsprüfers vgl. IDW (2012), S. 64 ff.: Unparteilichkeit, Verschwiegenheit, Gewissenhaftigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Berufswürdiges Verhalten.
[32] Vgl. KROMMES, WERNER (2011), S. 6.
[33] Hierbei handelt es sich um Start up-Kosten für den Prüfer, um sich u.a. mit Tätigkeit, Geschäftsumfeld, Rechnungswesen und IKS des Mandanten vertraut zu machen.
[34] DEANGELO, LINDA ELIZABETH (1981a), S. 119.
[35] DEANGELO, LINDA ELIZABETH (1981a), S. 118.
[36] Vgl. zu diesem Abschnitt: DEANGELO, LINDA ELIZABETH (1981a), S. 118.
[37] Vgl. DEANGELO, LINDA ELIZABETH (1981a), S. 116.
[38] Vgl. DEANGELO, LINDA ELIZABETH (1981a), S. 116.
[39] Vgl. zu diesem Abschnitt: DEANGELO, LINDA ELIZABETH (1981b), S. 189 ff.
[40] Vgl. ANTLE, RICK (1984), S. 2.
[41] Vgl. MARTEN, KAI-UWE/ QUICK, REINER/ RUHNKE, KLAUS (2011), S. 157.
[42] Vgl. ANTLE, RICK (1984), S. 16
[43] SATTLER, MATTHIAS (2011), S. 24.
[44] Vgl. SATTLER, MATTHIAS (2011), S. 23
[45] Vgl. u.a. MARTEN, KAI-UWE/ QUICK, REINER/ RUHNKE, KLAUS (2011), S. 154.
[46] Vgl. LEFFSON, ULRICH (1988), S. 70 ff.
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