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Masterarbeit, 2013
58 Seiten, Note: 1,3
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Historische und politische Einordnung
1.2 Definition von Fertigungsaufträgen
1.3 Problemstellung: Bewertung mehrperiodischer Fertigungsaufträge
2 Umsatzrealisierung von Fertigungsaufträgen
2.1 Nach HGB
2.1.1 Completed-Contract-Methode (CCM)
2.1.1.1 Rechtliche Einordnung
2.1.1.2 Selbstkostenansatz
2.1.1.3 Verlustantizipation
2.1.1.4 Exkurs: Möglichkeit der Teilgewinnrealisierung nach HGB
2.1.1.5 Zusammenfassung
2.2 Nach IFRS
2.2.1 Percentage-of-Completion-Methode (PoCM)
2.2.1.1 Definition
2.2.1.2 Anwendungsvoraussetzungen
2.2.1.3 Bestimmung der zu berücksichtigenden Auftragserlöse
2.2.1.3.1 Exkurs: fair value und Wahrscheinlichkeitsbegriff
2.2.1.4 Bestimmung der geplanten und angefallenen Auftragskosten
2.2.1.5 Ermittlung des Fertigstellungsgrades
2.2.1.5.1 Inputorientierte Verfahren
2.2.1.5.2 Outputorientierte Verfahren
2.2.1.6 Teilgewinnrealisierung und Verlustantizipation bei cost-to-cost Methode
2.2.1.7 Segmentierung und Zusammenfassung von Verträgen
2.2.1.8 Exkurs: Beispielrechnung und Darstellung in der Bilanz
2.2.2 Zero-Profit-Margin -Methode
2.3 Ausblick und zukünftige Entwicklungen
2.4 Abgrenzung der IFRS zu den US-GAAP
2.4.1 Gemeinsamkeiten zwischen IFRS und US-GAAP
2.4.1.1 Bilanzierung nach der PoCM
2.4.2 Unterschiede zwischen IFRS und US-GAAP
2.4.2.1 Erlaubte Anwendung der CCM
2.4.2.2 Bilanzierung von Joint Ventures / Shared Contracts
2.4.2.3 Bilanzierung von Vertragsänderungen
2.4.2.4 Bilanzierung von Vertragsoptionen
2.4.2.5 Bilanzierung von Claims
2.4.3 Vergleich und kritische Würdigung
2.5 Vergleich von HGB und IFRS
2.5.1 Definition von Fertigungsaufträgen
2.5.2 Berücksichtigung erwarteter Verluste
2.5.3 Gewinnrealisierung
3 Umsatzrealisierung eines Beispielauftrages
3.1 Ertragsrealisierung nach IFRS
3.2 Nach HGB
4 Kritische Würdigung und Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildung 1: Auslegungsfolge der IFRS
Abbildung 2: Methode zur Bestimmung des Fertigstellungsgrades
Abbildung 3: Grafische Darstellung der realisierten Erträge des Beispielauftrages nach PoCM
Abbildung 4: Vergleichende Darstellung des Nettoerfolges nach CCM und des Bilanzergebnisses nach PoCM
Tabelle 1: Die Bilanzierung periodenübergreifender Fertigungsaufträge nach der CCM
Tabelle 2: Die Bilanzierung periodenübergreifender Fertigungsaufträge nach der CCM mit Herstellungskostenobergrenze
Tabelle 3: Die Bilanzierung periodenübergreifender Fertigungsaufträge nach der CCM mit Selbstkostenansatz
Tabelle 4: Struktur des IAS 11
Tabelle 5: Beispielrechnung der PoCM
Tabelle 6: Berechnungslogik für aktivischen oder passivistischen Saldo gegenüber dem Auftraggeber
Tabelle 7: Anwendung der Methoden in IAS und US-GAAP
Tabelle 8: Darstellung der Bilanzierung des Beispielauftrages nach CCM
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Aufgrund der immer weitergehenden Globalisierung des Warenverkehrs und der Finanzmärkte werden internationale Standards für die Erstellung von Jahresabschlüssen eines Unternehmens zum einen für die Anfertigenden, zum anderen aber auch für die Adressaten andererseits immer wichtiger.
Das Ziel der International Accounting Standards (IAS) und der International Financial Reporting Standards (IFRS) ist deshalb eine globale Standardisierung der Rechnungslegungsvorschriften, um eine internationale Vergleichbarkeit von Jahresabschlüssen zu gewährleisten und somit den Unternehmen gleichzeitig einen besseren Zugang zu ausländischen Kapitalmärkten zu ermöglichen. Eine Standardisierung der Rechnungslegung bietet den anfertigenden Unternehmen somit eine enorme Zeit- und Kostenersparnis bei der Erstellung und dem Vergleich internationaler Jahresabschlüsse.[1]
Diese Ausarbeitung befasst sich mit der Bilanzierung von Fertigungsaufträgen, einem besonderen Anwendungsgebiet der IFRS. Zuerst wird eine historische und politische Einordnung der Entwicklung internationaler Rechnungslegungsstandards vorgenommen. Im weiteren Verlauf werden dann die Bilanzierungsregeln für Fertigungsaufträge nach dem deutschen Handelsgesetzbuch (HGB) und nach IFRS aufgezeigt, während letztere mit den US-Amerikanischen Rechnungslegungsvorschriften US-GAAP verglichen und Unterschiede abgegrenzt werden.
Abschließend werden anhand eines Fertigungsauftrages die Bilanzierungsregeln von HGB und IFRS angewendet, verglichen und letztendlich kritisch gewürdigt.
Das International Accounting Standards Committee (IASC) wurde am 29. Juni 1973 mit Sitz in London als privatrechtliche Organisation gegründet. Gründungsländer waren Australien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan, Kanada, Mexiko, Niederlande und die USA. Aufgrund dieser Zusammensetzung und einer Mehrheit von angelsächsisch geprägten Ländern, orientierte sich die Umsetzung der IFRS am Rechtssystem des sog. case law [2] gefolgt, weshalb einzelfallorientierte Vorschriften die Verlautbarungen des IASC prägen.[3] Das IASC verfolgt zwei zentrale Ziele: Die internationale Harmonisierung der Rechnungslegung und die Entwicklung von Rechnungslegungsstandards.[4] In der Zeit zwischen Gründung und folgender Umstrukturierung im Jahr 2001 wurden vom IASC insgesamt 41 IAS verabschiedet, von denen einige im Laufe der Zeit ersetzt wurden und heute noch 29 IAS Anwendung finden.[5]
Als Dach einer neuen Organisationsstruktur wurde am 06. Februar 2001 die International Accounting Standards Committee Foundation (IASCF) mit Sitz in Delaware, USA gegründet. Die Aufgaben des IASC wurden mit der Neugründung des International Accounting Standards Board (IASB) am 1. April 2001 an dieses übertragen.[6] Inzwischen sind über 150 Organisationen aus 120 Ländern im IASB vertreten, während die Mitgliederzahl im eigentlichen Board sechszehn hauptamtliche Mitglieder umfasst. Zur Verabschiedung von Standards müssen mindestens zehn Mitglieder zustimmen.[7]
Die IFRS werden vom IASB gemeinhin auch als das Gesamtwerk bestehend aus den vom IASC neu verabschiedeten IFRS im engeren Sinne sowie den vom IASB verabschiedeten IAS als Standards der internationalen Buchführung und Rechnungslegung bezeichnet. Innerhalb der IAS 1.7 werden die IAS explizit als Bestandteil der IFRS genannt und diesen unterstellt, bis die jeweiligen IAS überarbeitet und in IFRS umbenannt wurden.[8] Weiterer Bestandteil der IFRS sind die vom International Financial Reporting Interpretation Committee (IFRIC) und ihrer Vorgängerinstitution Standing Interpretations Committee (SIC) bis 2002 herausgegebenen Interpretationen der IFRS.[9] In Europa sind derzeit 41 IAS, 11 IFRS, 19 IFRIC und 11 SIC gültig und anwendbar.[10]
Inzwischen finden die IFRS einen nahezu weltweiten Konsens und fast alle wichtigen Finanzplätze der Welt erkennen IFRS-Abschlüsse bei grenzüberschreitenden Börsenzulassungen an.[11]
Mit der Verordnung (EG) Nr. 1606 / 2002 vom 19. Juli 2002 wurde in Artikel 1 die Übernahme und Anwendung der IFRS für alle Mitgliedstaaten erlassen. Von dieser Richtlinie sind nach Artikel 4 und 5 sämtliche Gesellschaften betroffen, die in dem Geschäftsjahr, welches am 01. Januar 2005 oder später beginnt, „am jeweiligen Bilanzstichtag ihre Wertpapiere in einem beliebigen Mitgliedstaat zum Handel in einem geregelten Markt im Sinne des Artikels 1 Abs. 13 der Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10. Mai 1993 über Wertpapierdienstleistungen zugelassen sind.“ [12]
Zur Wahrung europäischer Interessen gegenüber der IASB und zur Koordination der Arbeit der europäischen Rechnungslegungsgremien wurde am 31. März 2001 die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) eingesetzt. Zusätzlich werden die einzelnen Mitgliedsstaaten durch das Accounting Regulatory Committee (ARC) repräsentiert. Gemeinsam wirken diese beiden Gruppen im von der EU gewählten Komitologieverfahren[13] gemeinsam bei der Umsetzung jeder einzelnen IASB-Norm mit, wobei es hierbei nicht darum geht, die Standards neu zu formulieren oder zu ersetzen, sondern der EU-Kommission ein Werkzeug an die Hand zu geben, mit der sie schwerwiegende Bedenken geltend machen kann.[14]
Die Verpflichtung zur Umsetzung der oben genannten Verordnung gilt gemäß Artikel 249 Abs. 2 EGV in verbindlicher Weise unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat: „Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel.“
Auf nationaler Ebene wurde das Deutsche Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC) am 17. März 1998 gegründet. Eine der Zielsetzungen war die Zusammenarbeit mit dem IASB und anderen Standardisierungsgremien, einschließlich der Vertretung der gebündelten Rechnungslegungsinteressen gegenüber der IASFC und anderen Standardsetzern.[15]
Die Umsetzung im deutschen Rechtssystem erfolgt über die §§ 290 ff. HGB in Verbindung mit § 315a HGB.
Fertigungsaufträge sind eine Sonderform des Anlagenbaus. „ Der Anlagenbau ist eine spezielle Erscheinungsform der Einzelproduktion. Die Produkte als Sachziele im Anlagengeschäft sind Anlagensysteme, bei denen es sich um Anlagen-Dienstleistungsbündel zur Befriedigung eines komplexen Bedarfs handelt. Diese Großanlagen werden von einem oder mehreren Anbietern in einem geschlossenen Angebot erstellt. Beispiele hierfür sind Kohle- und Atomkraftwerke, Chemieanlagen, Hüttenwerke, Flughäfen oder Müllverbrennungsanlagen. “[16]
Ein Fertigungsauftrag oder auch die Auftragsfertigung ist gekennzeichnet durch kurzfristige und langfristige Einzelfertigung, bei der es um die Produktion nur eines Stückes oder einer bestimmten Leistung für einen Kunden geht. Die Besonderheit liegt hierbei im Vergleich zu einer Fertigung auf Lager darin, dass jeder Fertigungstätigkeit die Erteilung eines Auftrages durch den Abnehmer vorausgeht.[17] Weitere Merkmale hierfür sind Komplexität, kundenspezifische, langfristige Einzelerstellung und individuelle Preisgestaltung, hohe Wertigkeit als Investitionsgut, Diskontinuität der Auftragseingänge, besondere Finanzierungsanforderungen und hohe Risiken.[18]
Die Besonderheit der Auftragsfertigung liegt in Abgrenzung zu einer Fertigung auf Lager bzw. einer Serienproduktion darin, dass der Fertigungstätigkeit die Erteilung eines Auftrages durch den Auftraggeber vorausgeht, die der Auftragnehmer nach wirksamem Inkrafttreten des Vertrages dann „abarbeitet“. Ein Fertigungsauftrag ist somit ein Vertrag über die kundenspezifische Fertigung einzelner Gegenstände oder einer Anzahl von Gegenständen, die hinsichtlich Design, Technologie und Funktion oder hinsichtlich ihrer endgültigen Verwendung aufeinander abgestimmt oder voneinander abhängig sind.[19]
Nach deutschem Recht beruhen die Fertigungsaufträge auf dem Recht der Werkverträge gemäß § 631 BGB oder dem Recht der Werklieferverträge gemäß § 651 BGB. In beiden Fällen wird der Auftragnehmer nach § 631 I BGB zur Herstellung des versprochenen Werkes und der Auftraggeber zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung verpflichtet, wobei beide Vertragsarten mit einer Erfolgsgarantie versehen sind.[20] Hhhh
Wesentliche Problemstellung ist, wie oben bereits angesprochen, bei der Bilanzierung von Fertigungsaufträgen die Bestimmung des Zeitpunktes der Realisierung von Erträgen (und Gewinnen). Angesichts der Langfristigkeit derartiger Projekte (Die Dauer der Fertigung muss sich über mindestens einen Bilanzstichtag erstrecken, wodurch die Fertigstellung des Projektes in eine andere Periode als der Vertragsabschluss fällt[21] ) wird allgemein die Auffassung vertreten, dass eine Verzögerung der Ertragserfassung bis zur Fertigstellung häufig nicht den Stand der Tätigkeit des berichterstattenden Unternehmens während einer Periode zutreffend im Jahresabschluss wiedergibt.[22]
Somit steht bei der Umsatzrealisierung von Fertigungsaufträgen regelmäßig die Frage nach einer geeigneten Periodenabgrenzung (sog. accrual basis) im Raum: „ Die primäre Fragestellung … besteht daher in der Verteilung der Auftragserlöse und der Auftragskosten auf Berichtsperioden, in denen die Fertigungsleistung erbracht wird “.[23] Ist es somit sinnvoll, die Umsätze und Gewinne aus einem Fertigungsauftrag erst bei Erstellung der Gesamtleistung oder bereits sukzessive bei Fertigstellung einzelner Teilschritte zu realisieren (sog. Teilgewinnrealisierung)? Daraus ergibt sich somit die weiterführende Fragestellung, welche Aufwendungen den jeweiligen Umsätzen zuzurechnen sind.[24]
Bei der Teilgewinnrealisierung kommt es grundsätzlich auf den Fertigstellungsgrad des Auftrages an. Dieser wird definiert als das „ Verhältnis der zu einem Stichtag erbrachten Leistung (Fertigstellungswert oder earned value) zur Gesamtleistung (Planwert oder planned value), zum Beispiel eines Arbeitspaketes oder eines Projekts “. Das Earned-Value -Management basiert auf dem Wert der abgeschlossenen Arbeit, also auch auf den noch zu erwartenden Kosten.[25]
Diese Ausarbeitung befasst sich mit dem Bewertungsproblem mehrperiodischer Fertigungsaufträge zum Bilanzstichtag als Sonderproblem der Vorratsbewertung.
Unter Umständen erbringt ein Unternehmen über Jahre hinweg eine Leistung, für die aber erst grundsätzlich mit Fertigstellung der geschuldeten Leistung mit der Abschlussrechnung der Kaufpreis dem Kunden in Rechnung gestellt werden kann. Die Rechnungstellung ist für die Bewertung maßgeblich, da sie zur Umsatzrealisierung führt und somit für den Gewinnausweis in der Bilanz ausschlaggebend ist. Der Gewinnausweis eines Unternehmens unterliegt damit erheblichen Schwankungen durch laufende Aufwendungen, denen ein nur einmalig auftretender Umsatzausweis gegenübersteht.[26]
Während die langfristige Auftragsfertigung durch die Erstreckung über mehrere Perioden charakterisiert ist, sind externe Rechnungslegung und Controlling eine Periodenrechnung.[27]
Fraglich ist somit, wie das teilweise erstellte Werk und die bis zum Bilanzstichtag geleisteten Zahlungen zu verbuchen und bewerten sind.[28]
Im Unterschied zu einem Jahresabschluss nach IFRS lässt sich in den Vorschriften des HGB keine allgemeingültige Dominanz der Darstellung der Ertragslage als Zielsetzung erkennen.[29] Im deutschen Jahresabschluss wird in den §§ 243 I, II und 264 II1 HGB vielmehr dem Gläubigerschutz durch den Grundsatz der ordnungsmäßigen Buchführung Rechnung getragen und soll so ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage des Unternehmens vermitteln. Dies mag auch der Funktion des deutschen Jahresabschlusses als Grundlage für die Ermittlung des ausschüttungsfähigen Gewinns und als Basis der steuerlichen Gewinnermittlung geschuldet sein, welcher somit nicht als reine Informationsquelle des Adressaten sondern vielmehr maßgeblich für die Gewinnbesteuerung ist (Maßgeblichkeitsprinzip).[30]
Während der IAS-Abschluss also die Informationsansprüche der Eigenkapitelgeber dominant berücksichtigt, zielt der Jahresabschluss nach dem deutschen HGB auf eine allgemeine Informationsbereitstellung sowie einer speziellen Informationsvermittlung in Hinblick auf die steuerliche Gewinnermittlung ab.[31]
Grundsätzlich sieht das HGB aufgrund seines Zuschnittes auf kurzfristige Prozesse nur eine Umsatzrealisierung vor, wenn diese innerhalb des Berichtszeitraumes zum Bilanzstichtag gemäß § 252 I Nr. 4 HGB realisiert wurden (sog. Realisationsprizip).[32] Zur Gewichtung der Erlöse dient die Berücksichtigung des sog. fair values, soweit diese erlöst oder erlösbar sind. Dementsprechend werden unfertige Aufträge nur mit den Herstellungskosten angesetzt.
Eine Begründung hierfür findet sich in der Interpretation des § 644 I1 BGB, welcher die Gefahr des zufälligen Untergangs der Sache bis zur Abnahme des Werkes dem Hersteller zurechnet (Gefahrübergang). Bis zur Abnahme ist der Hersteller in Besitz sämtlicher Rechte und somit wirtschaftlicher Eigentümer der Sache. Der § 252 I Nr. 4, 2. HS HGB sieht nämlich den Zeitpunkt der Gewinnrealisierung grundsätzlich im Kriterium des Übergangs der Preisgefahr auf den Käufer. Demnach widerspricht eine Teilgewinnrealisierung dem oben erwähnten Realisationsprinzip des HGB.[33]
Nachteil dieser Regelung ist aber, dass der nach vollständiger Vertragsabwicklung zu zeigende positive Ergebnisbeitrag nicht nur auf die im aktuellen Geschäftsjahr erbrachten Leistungen, sondern zu großen Teilen auch auf Leistungen der Vorjahre beruht. Dieser unstetige Ergebnisausweis erschwert die innerbetriebliche und zwischenbetriebliche Vergleichbarkeit von Jahresabschlüssen und steht möglicherweise auch einer aus Unternehmenssicht beabsichtigten konstanten Gewinnausschüttung entgegen. Der Erfolg des Unternehmens unterliegt also Schwankungen, die nicht durch Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens verursacht sind, sondern durch die vom HGB vorgeschriebenen bzw. erlaubten Rechnungslegungsmodalitäten. Dieser verzerrt dargestellten - in diesem Fall negativen - Ertragslage des Unternehmens, muss durch eine Pflichtangabe im Anhang des Jahresabschlusses gemäß § 264 II2 HGB begegnet werden.[34] Diese Angaben müssen dann bei periodenübergreifenden Fertigungsaufträgen den Umfang des gegenwärtig abzuwickelnden stichtagsübergreifenden Auftragsvolumens, die Höhe der Zwischenverluste bei noch nicht abgerechneten Leistungen und die voraussichtlich noch zu realisierenden Teilgewinne enthalten.[35]
So bekommt beispielsweise ein Unternehmen den Auftrag zum Bau einer Spezialanlage, der Verkaufswert beträgt T€ 4.500, die Fertigungsdauer drei Jahre. Im Rahmen der Auftragskalkulation für die Spezialanlage wurden folgende jährliche Kosten ermittelt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Daraus ergibt sich bei Bilanzierung nach der Herstellungskostenuntergrenze folgendes Bild[36]:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Die Bilanzierung periodenübergreifender Fertigungsaufträge nach der CCM[37]
Es zeigt sich also in den ersten beiden Jahren jeweils ein Ausweis von einem Auftragsverlust in Höhe von T€ 200, während im dritten Jahr und nach Fertigstellung der Spezialanlage ein Auftragsgewinn von T€ 1.900 ausgewiesen wird.
Fraglich ist, ob es sich bei den langfristigen Fertigungsaufträgen, unter bestimmten Voraussetzungen, um einen begründeten Ausnahmefall im Sinne von § 252 II HGB handelt, welcher das Abweichen von den allgemeinen Bewertungsgrundsätzen nach § 252 I HGB ermöglicht. Ein solcher Ausnahmefall liegt immer dann vor, wenn das Ziel des Jahresabschlusses, ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage darzustellen, durch die Anwendung der allgemeinen Bewertungsgrundsätze beeinträchtigt ist. Diese erwähnten, begründeten Voraussetzungen können nach Coenenberg/Haller/Schultze dann gegeben sein, wenn ein wesentlicher Teil der Tätigkeit des Unternehmens langfristige Fertigungsaufträge sind und es im Falle einer Umsatzrealisierung mit der CCM zu einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung des Einblicks in die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage kommt. Nach der von Baetge/Kirsch/Thiele vertretenen und zu folgenden Ansicht, sind zumindest von einer Aktiengesellschaft die bestehenden Aktivierungsverbote bestimmter Aufwandselemente uneingeschränkt zu beachten, um eine mögliche Nichtigkeit des Jahresabschlusses zu vermeiden.[38]
Die erwähnte Verzerrung der Ertragslage kann aber durch zwei Effekte verringert werden. Einerseits kann der Umfang der aktivierten Herstellungskosten so gewählt werden, dass Auftragszwischenverluste[39] vermieden werden können.
Andererseits wird die oben genannte Verzerrung dadurch vermindert, dass bei periodenübergreifenden Fertigungsaufträgen diejenigen Aufwandselemente, die bei der üblichen Lagerproduktion mit erst anschließendem Absatz als Vertriebskosten zu quantifizieren sind und daher gemäß § 255 II4 HGB nicht aktiviert werden dürfen, bei der Auftragsproduktion nach Erhalt des Auftrages dagegen als Sonderkosten der Fertigung gemäß § 255 II2 HGB in den Wertansatz einbezogen werden.[40] Allerdings kann bei der Auftragsfertigung davon ausgegangen werden, dass die Vertriebskosten in Form von Kosten der Auftragserlangung und -vorbereitung der Fertigung zeitlich vorgelagert sind. Eine Zurechnung als Sondereinzelkosten der Fertigung ist gegeben, wenn:
- die Ausgaben für die Auftragserlangung, die durch die Anfertigung und Abgabe eines detaillierten Angebotes entstehen, der Fertigungsvorbereitung dienen und
- das Angebot zu einem Auftrag geführt hat, also am Bilanzstichtag der entsprechende Werkvertrag vorliegt.
Da die Vertriebseinzelkosten gerade im Anlagenbau einen beträchtlichen Teil des Auftragsvolumens ausmachen, vermindert eine solche Umwidmung von Vertriebseinzelkosten in Fertigungseinzelkosten die Auftragszwischenverluste deutlich.[41] Eine Bilanzierung nach der Herstellungskostenobergrenze würde somit folgendes Bild ergeben:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2: Die Bilanzierung periodenübergreifender Fertigungsaufträge nach der CCM mit Herstellungskostenobergrenze[42]
[...]
[1] Buchholz, S. 1.
[2] Bei dem case law handelt es sich um einzelfallbezogene Regelungen, die für spezielle Fälle gelten. Der Vorteil besteht in der genauen Regelung einzelner Sachverhalte, was andererseits auch zu Wiederholungen und einem großen Umfang dieser Vorschriften führt. (Buchholz, S. 7)
[3] Buchholz, S. 4 f.
[4] Kirsch, S. 1.
[5] Eine aktuelle Übersicht findet sich auf dem von der Deloitte & Touche GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bereitgestellten Portal IASPlus unter: http://www.iasplus.com/de/standards
[6] Pellens/Fülbier/Gassen/Sellhorn, S. 84.
[7] Buchholz, S. 5.
[8] Gräfer/Scheld, S. 31.
[9] Wiley IFRS, S 4.
[10] Stand: 01.08.2013; Eine jeweils aktuelle Übersicht der EFRAG findet sich unter: http://www.drsc.de/docs/standendorsement.pdf
[11] Gräfer/Scheld, S. 33.
[12] Verordnung (EG) Nr. 1606 / 2002, Artikel 4.
[13] System von Verwaltungs- und Expertenausschüssen innerhalb der Europäischen Union für den Erlass von Durchführungsbestimmungen von EU-Rechtsakten, vornehmlich EU-Richtlinien, gemäß des sogenannten Komitologie-Beschlusses (1999/468/EG). (Quelle: http://europa.eu/legislation_summaries/glossary/comitology_de.htm) (01.08.2013)
[14] Gräfer/Scheld, S. 32.
[15] Weitere Informationen unter: http://www.drsc.de/
[16] http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/57537/anlagengeschaeft-v6.html, (01.08.2013)
[17] Selchert/Erhardt, S. 210.
[18] Vgl. Schmidl, S. 7f.
[19] Vgl. Ruhnke, S. 588.
[20] Vgl. Kümpel, S. 116; Weitere Ausführungen zu den Auswirkungen einer Kategorisierung als Werk(lieferungs)vertrages siehe auch Punkt 3.1.1 dieser Ausarbeitung.
[21] Achleitner/Behr, S. 173; IAS 11.objective.
[22] Ballwieser/Beine/Hayn/Peemöller, S. 308.
[23] IAS 11.objective.
[24] Vgl. Ruhnke, S. 589.
[25] PMBOK, S. 182.
[26] Vgl. hierzu Pellens/Fülbier/Gassen/Sellhorn, S. 404.
[27] Buch, S. 108 f.
[28] Achleitner/Behr, S. 176.
[29] Zur Zielsetzung der IFRS 3.5.3.
[30] Gräfer/Scheld, S. 20.
[31] Selchert/Lorchheim, S. 90 f.
[32] Vgl. Kümpel, S. 119.
[33] Vgl. Ruhnke, S. 603; Kümpel, S. 119.
[34] Vgl. hierzu: Baumbach/Hopt, § 264 Rn. 21; Coenenberg/Haller/Schultze, S. 227; Ruhnke, S. 603; Baetge/Kirsch/Thiele, S. 363.
[35] Krawitz, S. 889.
[36] Beispiel nach Baetge/Kirsch/Thiele, S. 362.
[37] Baetge/Kirsch/Thiele, S. 362.
[38] Coenenberg/Haller/Schultze, S. 231 f.; Baetge/Kirsch/Thiele, S. 366; Ausführlich zur Nichtigkeit des Jahresabschlusses: Jung, S. 64.
[39] Siehe hierzu Punkt 3.1.1.3.
[40] Baetge/Kirsch/Thiele, S. 364.
[41] Baetge/Kirsch/Thiele, S. 363 f.; Beck’scher Bilanzkommentar- Grottel/Pastor, § 255, Rn. 458.
[42] nach Baetge/Kirsch/Thiele, S. 364