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Bachelorarbeit, 2013
41 Seiten, Note: 1,0
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die theoretischen Grundlagen der Finanzmarktinstabilitätshypothese
2.1 Minskys Interpretation von Keynes
2.1.1 Das „Wall Street Paradigma“
2.1.2 Die Rolle der fundamentalen Unsicherheit
2.1.3 Portfoliowahl und Liquiditätspräferenz
2.1.4 Die Theorie der Investition
2.2 Die Finanzierungsstruktur ökonomischer Akteure
2.3 Die Rolle von Finanzinstitutionen
2.3.1 Schumpeters Theorie wirtschaftlicher Entwicklung
2.3.2 Die Theorie des endogenen Geldangebots
2.3.3 Finanzinnovationen und Money Manager -Kapitalismus
3. Die Hypothese finanzieller Instabilität
3.1 Expansionsphase
3.2 Kontraktion
3.3 Implikationen für die Wirtschaftspolitik
3.3.1 Big Government
3.3.2 Big Bank und Finanzmarktregulierung
3.4 Grenzen der Wirtschaftspolitik
4. Die Anwendung auf die Finanzkrise von 2007
4.1 Das Wirtschaftsmodell bis in die 1970er Jahre
4.2 Die Entfaltung des Money Manager -Kapitalismus
4.3 Die US-Finanzkrise aus Sicht von Minsky
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildung 1: Bestimmung des Investitionsvolumens.
Abbildung 2: Schematischer Minsky-Zyklus.
Abbildung 3: Gewichteter Anteil (in %) der Länder mit einer Finanzkrise im Zeitraum von 1900-2008
Abbildung 4: Lohnquote (linke Achse), Gini-Koeffizient (rechte Achse)
Abbildung 5: Entwicklung von Sozialprodukt und Finanzvermögen weltweit, in Billionen USD, 1980-2008.
Abbildung 6: Anteil (in %) der Gewinne im Finanzsektor von allen Gewinnen des Unternehmenssektor
Abbildung 7: Verschuldung nach Sektoren im Verhältnis zum preisbereinigten Bruttoinlandsprodukt
Abbildung 8: S&P Case-Shiller Immobilienpreisindex.
Abbildung 9: Wertanteil der Kredite geringer Bonität (Alt-A, Subprime) am Gesamtwert der vergebenen Hypothekenkredite (2001-2007)
Abbildung 10: Überschuss der Hypothekenkreditaufnahme über Wohnungsbauinvestitionen (prozentual)
Abbildung 11: Verhältnis von Kreditverbindlichkeiten (alle Sektoren) zur Bruttoersparnis.
Abbildung 12: Der Preisverfall der CDO’s (ABX AAA**/BBB**) im Vergleich zu S&P Aktienindizes
Abbildung 13: USA - Finanzmarktstressindikator (rot = Stressepisoden)
Abbildung 14: Kreditimpuls in Prozent vom Bruttoinlandsprodukt
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Am 5. November 2008 fragte Queen Elizabeth II aufgrund der Finanzkrise in einer Ansprache an die Nation: „Why did nobody see it coming?“ (zit. in Greenhill 2008). Zeitgleich sprachen Praktiker, Journalisten und Ökonomen weltweit von einem Minsky-Moment (vgl. Vercelli 2009, S. 2f.). Nicht ohne Grund entfachten Diskussionen über Hyman P. Minskys Theorie (1919 – 1996). Dieser veröffentlichte bereits 1982, in Anlehnung an die Große Depression von 1929, eine Aufsatzsammlung mit dem Titel „Can ‚It‘ happen again?“. In dieser entwickelt er die Finanzmarktinstabilitätshypothese (FIH), welche besagt, dass dem Kapitalismus gerade in prosperierenden Zeiten eine Tendenz zur Instabilität innewohnt und es somit wieder zu einer großen Finanzkrise und infolgedessen zu einer Wirtschaftskrise kommen könne. In Minskys Worten ausgedrückt gilt: „Stability is destabilizing“ (1982a, S. 26). Es ist also kein Wunder, dass seine Werke zu Beginn der Finanzkrise zeitweise für 2000 Dollar gehandelt wurden (vgl. Braunberger 2007).
Wenngleich die Geschichte des Kapitalismus von zahlreichen Finanzkrisen begleitet wurde[1], dürften diese im Analyserahmen der Neoklassik nur bei exogenen Schocks, z.B. durch Politikversagen, Kriege oder Naturkatastrophen, auftreten, da unregulierte Märkte sich ansonsten selbst-korrigierend im Gleichgewicht befinden (vgl. Minsky 1986, S. 280). Krisen auf dem Finanzmarkt sind im Rahmen der Effizienzmarkthypothese (EMH) theoretisch nicht vorgesehen. Im Gegensatz zur gleichgewichtsorientierten Neoklassik, in der Kreditgeld und Finanzinstitutionen keine bedeutsame Rolle spielen, entwickelt Minsky ein zyklisches Modell, das Kreditbeziehungen, Finanzinstitutionen, Innovationen und Unsicherheit in die Analyse des modernen Kapitalismus zu integrieren versucht (vgl. Keen 2007, S. 327). Eine Betonung liegt dabei auf den unterschiedlichen Finanzierungsstrukturen der Wirtschaftsakteure sowie der Rolle von Finanzmärkten, welche einen Einfluss auf die Realwirtschaft haben. Damit befindet sich Minsky in Tradition klassischer Ökonomen wie Adam Smith, John Stuart Mill oder Alfred Marshall, die Wirtschaftskrisen auf Finanzmarktprobleme und vor allem Kreditzyklen zurückführten (vgl. Cassidy 2009, S. 36).
Zwar wird der Finanzmarkt zunehmend im Rahmen der Financial Accelerator Hypothese, welche die Interdependenz von Finanz- und Realwirtschaft in Krisenzeiten beschreibt, in makroökonomische Modelle integriert[2], Minskys Theorie geht jedoch darüber hinaus. Sie umfasst den ganzen Wirtschaftszyklus und erklärt, wie es überhaupt zu Finanzkrisen kommt (vgl. Assenza et al. 2010, S. 183). Dies alles bietet genügend Anlass, sich intensiv mit Minsky auseinanderzusetzen. Dazu trägt bei, dass Charles P. Kindleberger Minskys Theorie in Anwendung auf Krisen der Vergangenheit als bestätigt ansieht (vgl. 1978, S. 14ff.) und die vergangenen Finanzkrisen sich in ihren Merkmalen und Abläufen stets stark ähnelten (vgl. Roubini 2011, S. 27).
Die vorliegende Arbeit wendet Minskys Hypothese auf die Finanzkrise von 2007 an. Zwar wurden viele wichtige Krisenursachen diskutiert: Deregulierung, Gier, Irrationalität, eine Liquiditätsschwemme, Leistungsbilanzungleichgewichte sowie eine lockere Geldpolitik. Sie weisen aber, im Gegensatz zu Minskys Theorie, nicht auf einen systemischen Charakter der Krise hin (vgl. Wray 2013, S. 61). Die Analyse der Finanzkrise wird sich dabei auf die Entwicklungen in den USA, wo sie ihren Anfang nahm, konzentrieren. Die These der vorliegenden Arbeit ist, dass Minskys Theorie in leichter Abwandlung die Finanzkrise erklären und zu einem tieferen Verständnis verhelfen kann.
Den Kern der Finanzmarktinstabilitätshypothese stellte Minsky bereits 1975 im Werk „John Maynard Keynes“ dar. Aufbauend darauf spielt neben „Can ‚It‘ Happen Again?“ auch das 1986 erschienene Werk „Stabilizing an Unstable Economy“ eine wichtige Rolle. In beiden Werken finden theoretische Ergänzungen zum Werk von 1975 statt, vor allem durch die ausführliche Beschäftigung mit der Rolle der Wirtschaftspolitik. Ergänzend werden Zeitschriftenartikel sowie eine breite Auswahl an Sekundärliteratur für ein umfassendes, über die Mediendiskussionen hinausgehendes Verständnis, herangezogen.
Die Arbeit beginnt mit den theoretischen Grundlagen von Minskys Theorie. Da Minskys Interpretation von Keynes eine wichtige Rolle einnimmt, wird diese zunächst in den relevanten Punkten dargestellt. Entscheidend sind das Wall-Street-Paradigma sowie die Rolle von Unsicherheit. Beide Punkte werden im Rahmen der auf Keynes aufbauenden neoklassischen Synthese (IS-LM-Modell) ausgeklammert (vgl. Minsky 1975, S. 57). Daraufhin kann die Portfoliowahl von Wirtschaftsakteuren beschrieben und in einem nächsten Schritt mithilfe der Investitionstheorie das Investitionsverhalten ökonomischer Akteure bestimmt werden. Anschließend wird Minskys Klassifikation von Finanzierungsstrukturen, ebenso wie die Bedeutung von Finanzinstitutionen im Hinblick auf Finanzinnovationen sowie Geldschöpfung, dargelegt. Ausgestattet mit diesen Einblicken werden die FIH sowie die sich daraus ergebenden Implikationen für die Rolle der Wirtschaftspolitik dargestellt. Schließlich wird der Analyserahmen auf die US-Finanzkrise angewendet und infolgedessen die Validität der zu untersuchenden These festgestellt.
Um ein Verständnis von Minsky zu erlangen, ist es notwendig, sich mit seiner Interpretation von Keynes auseinanderzusetzen, denn „ Minsky regards his own work, above all else, as an interpretation and extension of Keynes” (Dymski und Pollin 1992, S. 29).
Minskys Theorie basiert dabei im Wesentlichen auf Keynes‘ Kritik des neoklassischen Tauschparadigmas, aus dem er sein Wall Street Paradigma ableitet.
Die Neoklassik, in Tradition des walrasianischen Allgemeinen Gleichgewichtsmodells, geht vom Paradigma der Tauschwirtschaft aus (vgl. Heine und Herr 2003, S. 14, 162). Die Wirtschaftsakteure besitzen eine Anfangsausstattung und haben die Möglichkeit, ihre Situation durch Tauschgeschäfte zu verbessern. Modelltheoretisch wird zunächst von Geld abstrahiert, das zwar zur Erleichterung des Tausches eingeführt werden kann, aber substantiell keinen Einfluss auf die Ergebnisse der Tauschakte hat. In diesem Paradigma sind die Finanzierungsstrukturen der Akteure ebenso wie Finanzinstitutionen irrelevant (vgl. Tymoigne 2010, S. 48). Sobald alle möglichen gegenwärtigen und zukünftigen Gewinne und Verluste durch Tauschakte identifiziert wurden, werden diese ausgeführt und es wird ein Zustand des Gleichgewichts erreicht, solange keine exogenen Schocks destabilisierend auf das System wirken. Offensichtlich muss die Annahme vollständiger Informationen getroffen werden und die Akteure müssen zukünftige Ereignisse bepreisen können, um sie in gegenwärtigen Entscheidungen zu berücksichtigen (vgl. Tymoigne 2010, S. 48).
Keynes kritisiert das Tauschparadigma, da die monetäre Produktionswirtschaft nicht adäquat beschrieben wird (vgl. Tymoigne 2010, S. 48)[3]. Im Kapitalismus wird vor dem Tausch produziert, wobei Absatzerwartungen und damit Nachfrageerwartungen eine wichtige Rolle spielen. Die Produktion muss vorfinanziert werden und häufig müssen zunächst Anlageinvestitionen getätigt werden. Dies geschieht in einer Situation der ständigen Konkurrenz. Zusammengenommen impliziert dies, dass Erwartungen über eine ungewisse Zukunft, Finanzierungsstrukturen sowie eine hohe Dynamik durch Prozesse der Konkurrenz eigenständig in die Analyse einbezogen werden müssen (vgl. Tymoigne 2010, S. 49).
Basierend auf dieser Kritik entwickelt Minsky das Wall Street Paradigma, in dem interdependente Finanzstrukturen dem Produktions- und Distributionsmechanismus analytisch vorausgehen (vgl. Minsky 1977, S. 141). Neben produzierenden Unternehmen, die Einzahlungen mit dem Verkauf von Gütern und Dienstleistungen generieren, gibt es Finanzinstitutionen, die ihr Einkommen über die Vergabe von Schuldtiteln und anderen Finanzinstrumenten erzeugen (vgl. Minsky 1982a, S. 19). Finanzinstitutionen spielen eine entscheidende Rolle bei der Beschaffung von Geldmitteln für den Kauf von Vermögensgütern; weshalb sie besonderer Beachtung verdienen (vgl. Minsky 1975, S. 57). Der Begriff Vermögensgüter umfasst dabei Positionen der Aktivseite, z.B. Sachgüter, Finanzaktiva sowie liquide Mittel (vgl. Wray und Tymoigne 2008, S. 9). Das Finanzsystem ist die Basis für die inhärente Instabilität, womit Minskys Arbeit der neoklassischen Theorie in Bezug auf die Neutralität des Geldes entgegensteht (vgl. Dymski und Pollin 1992, S. 29).
Die Wirtschaft aus Perspektive des Wall-Street-Paradigmas erscheint als Geflecht aus vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Cashflows, d.h. Zu- und Abflüssen liquider Mittel (vgl. Minsky 1986, S. 195). Aktuelle Cashflows beruhen auf früheren Auszahlungen. Heutige Auszahlungen sollen zukünftig Cashflows generieren. Die mit Auszahlungen durchgeführten Investitionen bestimmen die wirtschaftliche Entwicklung, da sie volatiler als die restlichen Komponenten der aggregierten Nachfrage sind (vgl. Minsky 1986, S. 133). Die Volatilität ist darauf zurückzuführen, dass Investitionen von subjektiven Erwartungen über die Zukunft und den damit verbundenen Cashflows abhängen (vgl. Keen 2011, S. 226). Für die Erwartungsbildung ist die Unsicherheit der Zukunft bedeutend.
Minsky zufolge ist die Einführung der Unsicherheit in die makroökonomische Theoriebildung eine der wichtigsten Leistungen von Keynes, so dass er zu folgendem Schluss kommt: „Keynes without uncertainty is something like Hamlet without the Prince“ (1975, S. 57). In der neoklassischen Theorie ist die Entscheidungsfindung ein rein formaler Prozess, in dem sämtliche Alternativen herangezogen und deren Barwerte unter Beachtung der jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeiten bewertet werden können (vgl. Akerlof und Shiller 2009, S. 32). Keynes postuliert hingegen, dass Investoren keine wahrscheinlichkeitsbasierten Aussagen über die Profitabilität eines geplanten Investitionsprojekts treffen können. Stattdessen handeln Investoren unter fundamentaler Unsicherheit. Die Resultate hängen häufig von nicht vorhersehbaren Umständen in relativ ferner Zukunft ab (vgl. Keen 2011, S. 226). Keynes beschreibt Unsicherheit wie folgt:
„By uncertain knowledge … I do not mean merely to distinguish what is known for certain from what is only probable. The game of roulette is not subject, in this sense, to uncertainty. … [T]he expectation of life is only slightly uncertain. … The sense in which I am using the term is that in which the prospect of a European war is uncertain, or the price of copper and the rate of interest twenty years hence, or the obsolescence of a new innovation. About these matters there is no scientific basis on which to form any calculable probability whatever. We simply do not know.” (1937, S. 213f.)
Unsicherheit spielt bei (a) den Finanzierungstrukturen der Wirtschaftsakteure sowie (b) auf Finanzmärkten eine hervorzuhebende Rolle (vgl. Minsky 1975, S. 67).
(a) Die Finanz- oder Bilanzstruktur von Wirtschaftsakteuren ergibt sich aus dem Zusammenspiel der Aktiva und Passiva. Diese werden von Minsky in der Terminologie von Keynes als Annuitäten betrachtet, da sie Zahlungen über eine fixe oder variable Periode begründen (vgl. Minsky 1986, S. 194). Eine zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehende Bilanzstruktur beinhaltet die Verbindlichkeiten aus vergangenen Investitionsentscheidungen, während aktuelle Investitionsentscheidungen die Verbindlichkeitsstruktur der Zukunft determinieren (vgl. Minsky 1982a, S. 19). Aktiva und Passiva unterscheiden sich oft in ihrer Fristigkeitsstruktur. So werden Investitionen häufig mit kurzfristigem Fremdkapital finanziert, welches Zahlungsansprüche auf das langfristige Anlagevermögen besitzt (vgl. Dymski und Pollin 1992, S. 30). Zukünftige Cashflows aus den Aktiva sind dabei von Einschätzungen über die Zukunft abhängig und folglich unsicher. Vertraglich vereinbarte Zahlungsansprüche bestehen hingegen auch für den Fall, dass ein Investitionsprojekt fehlschlägt (vgl. Minsky 1986, S. 219). Investitionen beeinflussen also die heutige und zukünftige Finanzierungsstruktur und erhöhen über die damit verbundene Unsicherheit die Risiken des Unternehmens (Insolvenzrisiko) als auch des Kapitalgebers (Ausfallrisiko) (vgl. Dymski und Pollin 1992, S. 30).
(b) Unternehmen können neben der Diversifikation von Aktivitäten auch Finanzmärkte nutzen, um sich gegen Risiken aus Investitionsprojekten abzusichern, bspw. durch Ausgabe von Eigenkapitalanteilen oder Absicherungsgeschäfte. Auf dem Sekundärmarkt können Wirtschaftsakteure zudem mit Finanzprodukten handeln und damit ein dem eigenen Risiko-/Renditeprofil entsprechendes Portfolio konstruieren. Unsicherheit besteht aber weiterhin: Erstens besteht ein Ausfallrisiko auf die Residualansprüche von Anteilseignern. Im Falle einer negativen wirtschaftlichen Entwicklung kann es zu Zahlungsausfällen kommen, was bei hohen und / oder breit gestreuten Ausfällen eine Kettenreaktion über die Interdependenz der Bilanzstrukturen, z.B. von Finanzinstitutionen, auslösen kann. Damit stellen Finanzmärkte den Kanal dar, durch den ex ante gefasste Erwartungen und darauffolgende Cashflows Einzelner ex post auf das Finanzsystem als Ganzes wirken können (vgl. Dymski und Pollin 1992, S. 31). Dennoch kann Diversifizierung insgesamt zu mehr Sicherheit verhelfen und dazu beitragen, Unsicherheit abzubauen. Zweitens besteht aber zusätzlich, durch die mögliche Schwankung der Vermögenspreise, ein Marktrisiko. Eine Absicherung hiergegen ist schwierig, da der Preis von der Stimmung des Marktes abhängt (siehe Kapitel 3.1).
Insgesamt werden die Risiken durch Finanzmärkte nicht wesentlich geringer. Zwar verringert sich das Ausfallrisiko, dieser Rückgang wird jedoch durch das Marktrisiko kompensiert (vgl. Dymski und Pollin 1992, S. 31). Die sich ergebende Unsicherheit sowie die miteinander verwobenen Finanzierungsstrukturen führen Minsky zufolge dazu, dass das systemische Risiko ansteigt, wodurch Finanzmärkte und damit Finanzstrukturen instabil werden können (vgl. Dymski und Pollin 1992, S. 31).
Trotz aller Unsicherheit werden Investitionen getätigt. Die Erwartungsbildung von Investoren geschieht mithilfe von Heuristiken (vgl. Keynes 1937, S. 214). Wirtschaftsakteure orientieren sich erstens am status quo; die Gegenwart wird als Leitfaden für die Zukunft herangezogen. Zweitens nehmen sie an, dass die aktuelle Bepreisung von Vermögensgütern auf einer korrekten Einschätzung zukünftiger Cashflows beruht. Drittens orientieren sie sich an den Einschätzungen und dem Verhalten der Masse (Herdentrieb), da sie selbst in der Regel keinen Informationsvorsprung besitzen. Weiterhin müssen Gefühle bei Investitionsentscheidungen – die „animal spirits“ (Keynes 1936, S. 137) – berücksichtigt werden. Zusammengenommen bedeutet dies, dass Erwartungen Schwankungen unterliegen, womit rasche Vermögenspreisänderungen möglich sind (vgl. Minsky 1975, S. 68). Die Unsicherheit hat einen Einfluss auf die Portfoliowahl der Wirtschaftsakteure.
Das Portfolio sollte im Allgemeinen so gewählt werden, dass die künftigen Annuitäten der Aktiva die künftig anfallenden Verbindlichkeiten decken, so dass das finanzielle Gleichgewicht gewahrt wird (vgl. Tebroke und Laurer 2005, S. 18). Ein positiver Cashflow wird durch das operative Geschäft, Finanzaktiva, Verschuldung oder die Liquidation von bestehenden Aktiva erzielt (vgl. Minsky 1982a, S. 126).
Die im vorangegangenen Abschnitt geschilderten Unwägbarkeiten sind den Wirtschaftsakteuren bekannt, weshalb sie versuchen, sich gegen mögliche Zahlungsschwierigkeiten zu wappnen (vgl. Minsky 1986, S. 133). Dabei besitzt Bargeld eine hervorgehobene Rolle. Dessen Wert besteht darin, Zahlungsverpflichtungen begleichen zu können (vgl. Minsky 1975, S. 72). Dies differenziert es von anderen Aktiva, da diese zunächst veräußert werden müssen und somit auf einen liquiden Markt angewiesen sind (vgl. Minsky 1975, S. 71). Dies kann in Zeiten von Krisen schwierig sein und im Falle von Notverkäufen hohe Abschläge bedeuten. Der Nachteil der Bargeldhaltung ist, dass es selbst keinen Cashflow erwirtschaftet (vgl. Minsky 1986, S. 202). Dennoch wirkt der Besitz von Geld und anderen geldnahen (liquiden) Mitteln als Versicherung gegen eine schlechte Wirtschaftsentwicklung. Für den Fall, dass der Cashflow aus der operativen Tätigkeit zu niedrig ist und / oder keine Refinanzierungsmöglichkeiten bestehen, kann mithilfe des Liquiditätspolsters (Bargeld und liquide Mittel) das Geschäft aufrechterhalten werden (vgl. Minsky 1975, S. 77). Das Bemühen, ein Liquiditätspolster aufrechtzuerhalten, zählt Minsky zu einem wichtigen Motiv der Liquiditätspräferenz von Keynes. Die Höhe der Bargeldhaltung dient als „barometer of the degree of our distrust of our own calculations and conventions concerning the future“ (Keynes 1937, S. 216).
Wie erläutert, besteht ein intertemporales Netzwerk unsicherer Cashflows in den Bilanzen der Wirtschaftsakteure. Die Bedeutung dieser Perspektive wird in Bezug auf die Bestimmung der Nachfrage und die Produktion neuer Vermögensgüter deutlich, da das Investitionsvolumen mit den Konditionen auf dem Finanzmarkt verbunden wird.
Investitionen, deren Motiv in der Erzielung künftiger Gewinne liegt, treiben die wirtschaftliche Entwicklung an. In Minskys Investitionstheorie wird das Investitionsvolumen durch den Nachfrage- und Angebotspreis für Vermögensgüter sowie, damit einhergehend, durch die Konditionen auf dem Finanzmarkt bestimmt (vgl. 1986, S. 254).
Der Preis der laufend produzierten Investitionsgüter, Waren und Dienstleistungen bestimmt sich über die Stückkosten plus Gewinnaufschlag (mark-up) (vgl. Minsky 1986, S. 177). Letzterer hängt vom Ausmaß der Marktmacht eines Unternehmens ab. Minsky ergänzt, dass sich im Falle von Investitionsgütern derjenige Angebotspreis (PI) bildet, der einen Produzenten gerade noch dazu veranlassen würde, eine weitere Einheit herzustellen. Dies gilt, solange der Käufer den Erwerb aus internen Mitteln finanzieren kann. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, den Kauf von Investitionsgütern aus Mitteln der externen oder internen Finanzierung zu bezahlen (vgl. Minsky 1986, S. 192). Interne Finanzierungsmittel bezeichnen Einnahmeüberschüsse vergangener Perioden, ebenso wie Erlöse aus dem Verkauf vorhandener Aktiva (vgl. Emunds 2001, S. 249). Je höher die Liquiditätspräferenz ist, desto geringer sind die zur Verfügung stehenden internen Finanzierungsmittel. Wenn zusätzlich externe Finanzierungsmittel (Kredite, Anleihen etc.) herangezogen werden, enthält der Angebotspreis zusätzlich die Finanzierungskosten (PIs). Diese werden anhand von Kriterien wie Kreditsicherheiten, Verschuldungsgrad etc. bestimmt. Die Bestimmung wird durch Informationsasymmetrien erschwert, so dass, entgegen dem Modigliani-Miller-Theorem, die externe Finanzierung kostspieliger als die interne ist (vgl. Assenza et al. 2010, S. 186). Da angenommen wird, dass das Gläubigerrisiko und damit die Fremdkapitalkosten mit steigendem Verschuldungsgrad zunehmen, verläuft die Angebotspreiskurve bei gegebenen Erwartungen steigend, sobald Fremdkapital benötigt wird. In Abbildung 1 (Abb. 1) werden bis OIF interne, von da an externe Finanzierungsmittel verwendet. Die Steigung ändert sich mit einer Anpassung der Erwartungen und damit der Einschätzung des Gläubigerrisikos. Dies kann u.a. auf Veränderungen der Konditionen auf dem Finanzmarkt, der wirtschaftlichen Entwicklung oder auf einer Veränderung der Liquiditätspräferenz beruhen (vgl. Bellofiore und Ferri 2001, S. 9).
Abbildung 1: Bestimmung des Investitionsvolumens
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Wray und Tymoigne 2008, S. 8.
In Anlehnung an Keynes entwickelt Minsky einen weiteren Preis, den Nachfragepreis für Vermögensgüter. Während der beschriebene Angebotspreis für die laufend produzierten Waren, Investitionsgüter und Dienstleistungen gilt, bezieht sich der Nachfragepreis auf das in der Marktperiode fixe Angebot an Vermögensgütern (vgl. Emunds 2001, S. 255). Vermögensgüter zeichnen sich bis auf Bargeld dadurch aus, Cashflows zu erwirtschaften. Sie können einerseits durch das operative Geschäft, andererseits aber auch aufgrund von Liquidationen erzielt werden (vgl. Minsky 1986, S. 202). Werden die erwarten Cashflows diskontiert oder der Marktpreis für bestehende Vermögensgüter (PK) als Referenzpunkt genommen, kann der Nachfragepreis (PId) abgeleitet werden (vgl. Wray und Tymoigne 2008, S. 9). Wichtig ist, dass die Cashflows unsicher sind und daher auf subjektive Einschätzungen beruhen. Im Falle einer Krise wird der Nachfragepreis aufgrund schlechter Erwartungen gering sein, in Zeiten eines Booms hingegen hoch. Er kann also breit um den Angebotspreis schwanken. Wiederum muss der Fall der externen Finanzierung ergänzt werden. Je höher die notwendige Kreditaufnahme ist, desto größer ist das Schuldnerrisiko, weshalb ein Preisabschlag vorgenommen wird. Dieser kann als Sicherheitsmarge interpretiert werden, womit sich der Schuldner gegen eine ungünstige Entwicklung und eine damit möglicherweise verbundene Zahlungsunfähigkeit absichern möchte (vgl. Wray und Tymoigne 2008, S. 9). Sobald externe Finanzierungsmittel genutzt werden, verläuft die Nachfragepreiskurve daher fallend (vgl. Abb. 1). Das Schuldnerrisiko ist subjektiv, es gibt nicht einmal Kategorien für seine Bestimmung (vgl. Dymski und Pollin 1992, S. 37). Der Nachfragepreis steigt mit wachsendem Optimismus, einer sinkenden Liquiditätspräferenz oder bei einem Anstieg der Geldmenge und damit der verfügbaren Liquidität (vgl. Wray 1992, S. 167).
Investitionen finden solange statt, wie der Nachfrage- über dem Angebotspreis liegt (bis zum Schnittpunkt von PId und PIs, vgl. Minsky 1986, S. 214). Die Volatilität des Investitionsvolumens bestimmt sich durch Veränderungen im Angebots- sowie im Nachfragepreis und beruht damit auf den Erwartungen (vgl. Minsky 1975, S. 95). Solange sich diese bestätigen, werden Investitionen über gesunkene Risikoprämien sowie eine damit verbundene niedrigere Liquiditätspräferenz befördert (vgl. Bellofiore und Ferri 2001, S. 11). Basierend auf dem aus den Investitionsentscheidungen resultierenden Verhältnis zwischen Einzahlungen und Zahlungsverpflichtungen, entwickelt Minsky eine Klassifizierung ökonomischer Akteure.
Minsky unterscheidet drei Finanzierungsstrukturen (vgl. 1986, S. 230ff.). Die Aktivitäten der Wirtschaftsakteure können als „Bündel von Investitionsprojekten“ (Dymski und Pollin 1992, S. 38) verstanden werden. Der Wert der Unternehmung ergibt sich als diskontierter Wert zukünftiger Cashflows der Aktiva minus Verbindlichkeiten der Passiva.
Abgesichert finanzierende Akteure sind dadurch charakterisiert, dass ihre erwarteten Einzahlungen in jeder Periode die fälligen Zahlungsverpflichtungen (Zins und Tilgung) übersteigen (vgl. Minsky 1986, S. 230ff.). Bei spekulativ finanzierenden Akteuren übersteigen die Zahlungsverpflichtungen hingegen in der Anfangsphase die erwarteten Einzahlungen, sodass zwar Zinszahlungen aus den Nettogewinnen geleistet werden können, Tilgungsleistungen aber nicht möglich sind. Ein Beispiel für diese Finanzierungsstruktur sind Finanzinstitutionen, die zumeist langfristige Kredite durch kurzfristige Einlagen finanzieren (Fristentransformationsfunktion), aber auch produzierende Unternehmen mit kapitalintensiven Investitionen (vgl. Minsky 1986, S. 231). In Anlehnung an Charles Ponzi, einen Betrüger aus den 1920er Jahren, sind als drittes Ponzi-Akteur e solche, bei denen die Nettogewinne zunächst nicht einmal für den Zinsdienst ausreichen. Die Schuldenlast steigt bis zum Periodenende, an dem ein hoher Zufluss erwartet wird. Nach Minsky ist diese Finanzierungsform typisch für sehr langfristige Investitionsprojekte, sie ist aber auch bei Investmentfonds zu finden (Minsky 1982a, S. 37).
[...]
[1] Für einen Überblick siehe Shleifer 2000, S. 171ff.
[2] Siehe z.B.: Bernanke und Gertler (1989, 1990), Greenwald und Stiglitz (1988, 1990, 2003) sowie Kiyotaki und Moore (1997).
[3] Das Konzept der Tauschwirtschaft ist zudem ahistorisch, vielmehr begann der Handel mit einfachen Formen des Kreditgeldes, zu Tauschwirtschaften kam es in Krisensituationen (vgl. Graeber 2011, Kap. 2-4).