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Masterarbeit, 2014
53 Seiten, Note: 1,0
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
TABELLENVERZEICHNIS
EINLEITUNG
1. TENDENZEN DES WANDELS VON ARBEIT
1.1 SUBJEKTIVIERUNGSTENDENZEN IN DER INDUSTRIEARBEIT
1.2. WANDEL DER ARBEIT DURCH TERTIARISIERUNG
1.3. DER ARBEITSKRAFTUNTERNEHMER, SUBJEKTIVIERTER TYPUS DER ARBEITSKRAFT
2. GRUNDZÜGE DES LERNENS IN DER BERUFLICHEN ERSTAUSBILDUNG IN DEUTSCHLAND
2.1. DAS DUALE BERUFSBILDUNGSSYSTEM IN DEUTSCHLAND
2.2. SUBJEKTIVIERUNGSTENDENZEN DER BERUFSBILDUNG
2.3. KOMPETENZORIENTIERTE BERUFSBILDUNG
2.3.1. Der Kompetenzbegriff
2.3.2. Operationalisierbarkeit des Kompetenzansatzes
3. DIE NOTWENDIGKEIT NEUER LERNFORMEN IN DER BERUFLICHEN AUSBILDUNG
3.1. PÄDAGOGISCHES HANDELN IM DUALEN AUSBILDUNGSSYSTEM
3.2. BEGRIFFSKLÄRUNG LERNFORMEN
3.3. GRUNDLAGEN EINER SYSTEMISCH-KONSTRUKTIVISTISCHEN DIDAKTIK
4. LERNPROZESSE DURCH REFLEXION IN DER BETRIEBLICHEN ERSTAUSBILDUNG
4.1. BEDEUTUNG UND DEFINITION VON REFLEXION IM KONTEXT VON LERNPROZESSEN
4.1.1. John Dewey: forschendes Lernen und reflektierendes Nachdenken
4.1.2. Modell von Donald A. Schön: „der reflexive Praktiker“
4.1.3. David A. Kolb: Theorie des Erfahrungslernens „experiential learning“
4.1.4. Horst Siebert: Selbstreflexion als Reflexion zweiter Ordnung
4.1.5. Zusammenfassende Arbeitsdefinition
4.2 REFLEXIVE HANDLUNGSFÄHIGKEIT ALS ZIEL IN DER BERUFLICHEN ERSTAUSBILDUNG
4.2.1 Ziel im Sinne von Handlungskompetenz der Auszubildenden
4.2.2 Ziel im Sinne von Lernklima
FAZIT
LITERATURVERZEICHNIS
Abbildung 1: Anteil der Wirtschaftszweige am Bruttounlansprodukt
Quelle: Statistisches Bundesamt, Bruttoinlandsprodukt 2012, S.10
Abbildung 2: Betriebliche Lern- und Wissensarten
Quelle: (Dehnbostel, et al., 2004)
Abbildung 3: Blick auf den Verlauf des Kompetenzerwerbes
Quelle: eigene Darstellung, in Anlehnung an (Erpenbeck, et al., 1999,S.22)
Abbildung 4: Reflexionskreislauf beim Erfahrungslernen
Quelle: eigene Darstellung
Abbildung 5: Reflexionskreislauf beim Lernkompetenzwachstum
Quelle: eigene Darstellung
Abbildung 6: Anteil der Lehrer die 50 Jahre und älter sind nach Bundesländern
Quelle: Statistisches Bundesamt,
Abbildung 7: Lernkultur als Ermöglichungsrahmen organisationalen Lernens
Quelle: (Schüssler, et al., 2001.S.267)
Tabelle 1: Merkmale des Typus Arbeitskraftunternehmer Quelle: (Pongratz, et al., 2004) S. 24
Tabelle 2: Dimensionen von Subjektivierung von Arbeit und von Bildung Quelle: eigene Zusammenfassung in Anlehnung an (Egbringhoff, Kleemann, Matuschek, & Voß, 2003)
Tabelle3: Selbstorganisierte Handlungen Quelle: (Erpenbeck & Heyse, 1999, S.157)
Tabelle 4: Fünf Kompetenzbereiche nach Erpenbeck/Heyse Quelle: (Erpenbeck & Heyse, 1999, S.157)
Das Duale System der Berufsausbildung in Deutschland kann als Erfolgsmodell ange- sehen werden. Es liefert der Wirtschaft dringend benötigte Fachkräfte, sichert, und das zeigt sich aktuell in der differenzierten Arbeitsmarktsituation in Europa, den Menschen die Arbeit. Arbeit sichert den Menschen die Existenz, die personale und soziale Identi- tät sowie gesellschaftliche Anerkennung. Arbeitslosigkeit ist verbunden mit psychoso- zialen, ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen (Arnold et al., 2010, S. 21). In modernen Gesellschaften ist Arbeit nicht durch eine Konstanz gekennzeichnet, son- dern unterliegt starken Wandlungsprozessen, von denen die Akteure im Dualen Sys- tem der Berufsausbildung nicht unbeeindruckt bleiben können. Kompetent handeln sol- len die Menschen können, wenn sie in das Berufsleben entlassen werden. In der kom- petenzorientierten Berufs- und Betriebspädagogik wird der Einsatz „neuer“ Lernformen diskutiert und nach deren Wirkungen gesucht. Im Besonderen mit der zunehmenden Bedeutung des informellen Lernens gerät die Reflexion als Lernform in den Fokus di- daktischer Überlegungen.In der folgenden Arbeit soll nach Begründungen gesucht werden, um die Reflexion als Lernform in der beruflichen Erstausbildung zu etablieren. Die Arbeit sucht nach der Relevanz und nicht nach methodischen Anregungen oder gar Rezepten. Erst wenn für die didaktisch Handelnden diese Relevanz geklärt ist, kann die Frage: „Reflektierst du schon oder lehrst du noch?“ zu einer handlungsleiten- den Fragestellung für Lehrende und Organisationen werden. Oder sollte besser aus der Perspektive der Lernenden gefragt werden: „Reflektierst du schon und handelst kompetent? Berufsausbildung bereitet auf die Arbeitswelt vor. In dieser müssen reflexi- ve Handlungsfähigkeiten einen Sinn ergeben, wenn sie zu einem Lerngegenstand und Lernziel in der Berufsausbildung werden sollen. Zur Aufdeckung dieser Relevanz wer- den im ersten Kapitel die Anforderungen an Berufstätige aus einer entgrenzten Arbeitswelt beschrieben. Als besonderes Merkmal des Wandels werden die Subjekti- vierungstendenzen in der Industriearbeit und der Arbeitskraftunternehmer als neuer Typus von Arbeit charakterisiert. Benötigen moderne Arbeitskräfte reflexive Handlungs- fähigkeiten, müssen diese im dualen Berufsbildungssystem etabliert werden. Im zwei- ten Kapitel werden die Grundzüge und Strukturen des Lernens in der kompetenzorien- tierten beruflichen Erstausbildung skizziert. Die Relevanz allein in der Verwendbarkeit des reflexiven Handelns im beruflichen Alltag zu sehen, ist dennoch zu kurz gedacht. Für die didaktisch Handelnden muss klar werden, welche Bedeutung Reflexion für den Lernprozess hat. Dieser Prozess ist nur modellhaft erklärbar. Im dritten Kapitel wird nach Begründungen für reflexive Lernformen in der systemisch-konstruktivistischen Di- daktik gesucht. Im vierten Kapitel werden anhand der Modelle von John Dewey (for- schendes Lernen und reflektierendes Nachdenken), von Donald A. Schön (der reflexi- ve Praktiker), David A. Kolb (Theorie des Erfahrungslernens „experiential learning“) und Horst Siebert (Selbstreflexion als Reflexion zweiter Ordnung) Lernprozesse durch Reflexion beleuchtet, eine Arbeitsdefinition gefunden und die reflexive Handlungsfähig- keit als Ziel der beruflichen Erstausbildung herausgearbeitet. Im Fazit werden wichtige Aspekte zusammengefasst und auf weiterführende Fragestellungen hingewiesen.
Die Arbeit als solche ist fester Bestandteil der menschlichen Gesellschaft und unter- liegt, wie die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen an sich, auch einem steten Wan- del. Besonders zu nennen sind die Verfügbarkeit von Arbeit, die Arbeitsinhalte, die Arbeitsbedingungen und Arbeitsstrukturen (vgl. Arnold, et al., 2010,S. 22). Nach Gün- ter Voß zeigen sich die Entgrenzungserscheinungen in den sozialen Dimensionen: Zeit, Raum, Arbeitsmittel/Technik, Sozialorganisation, Arbeitsinhalt/Qualifikation und Sinn/Motivation (vgl. Voß, 31.Jg./ 3/1998). Die Gründe für den Wandel von Arbeit sind ökonomischer Natur. Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung des Deutschen Bundestages sieht in den Marktanforderungen, der Arbeitsorganisation und den neue Technologien Trends für die Entgrenzungserscheinungen von Arbeit. Die Anzahl und Struktur der Marktteilnehmer hat sich im Zuge der Globalisierung gewandelt. Der inter- nationale Markt ist von starkem Wettbewerb gekennzeichnet und wandelte sich von einem Verkäufermarkt zu einem vom Kunden bestimmten Käufermarkt. Hiervon sind nahezu alle Wirtschaftsbereiche betroffen, in Deutschland insbesondere und traditionell der Bereich der Industrieproduktion. Im Jahr 2011 wurden ca. 26% des Bruttoinlands- produktes und der größte Teil des Exportüberschusses durch das verarbeitende Gewerbe erwirtschaftet. Mit 69% den größten Anteil am Bruttoinlandsprodukt erwirt- schaftete 2011 der Dienstleistungsbereich. Günter Voß geht davon aus, dass derzeit eine tiefgreifende Entgrenzung von Arbeitsverhältnissen in vielen Wirtschafts- bereichen stattfindet, Ausnahmen und Gegentendenzen aber durchaus nicht zu übersehen sind (vgl. Voß, 31.Jg/ 3/1998, S. 475). Der Wandel in der Arbeitswelt soll an dem strukturbestimmenden Bereich der Industriearbeit und des Dienstleistungs- bereiches weiter beleuchtet werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1:
Anteil der Wirtschaftszweige am Bruttoinlandsprodukt 2011
Quelle: Statistisches Bundesamt, Bruttoinlandsprodukt 2012, S.10
Industrieunternehmen müssen zunehmend flexibel auf Marktveränderungen reagieren können. Auf Kunden zugeschnittene, individuelle Produkte lassen die Groß- und Serienfertigung immer stärker in den Hintergrund und kundenindividuelle Problemlö- sungen in den Vordergrund der unternehmerischen Aufgabenfelder rücken. Produk- tionsunternehmen bieten neben den Herstellungsprozessen auch direkt mit dem Produkt verbundene Dienstleistungen an. „… Den Sektor der produktbegleitenden Dienstleistungen bauen Industriebetriebe derzeit systematisch aus, um sich vom reinen Sachguthersteller zum kompetenten Problemlöser ihrer Kunden zu entwickeln und sich so besser vom Kostenwettbewerb differenzieren zu können “ (Kinkel, 2008). Auf diese Dynamik reagieren Unternehmen mit Änderungen der Unternehmens- und Arbeitsor- ganisation. Markt- oder kundenorienierte Unternehmensstrukturen reagieren flexibler und schneller auf kundenspezifische Leistungsnachfragen. Das erfordert eine starke Flexibilisierung der gesamten Unternehmensorganisation. Unter dem Stichwort „Lean- Produktion“ werden schlankere Unternehmensstrukturen diskutiert, welche auf mehr Beteiligungs- und Entscheidungsmöglichkeiten in allen Unternehmensbereichen abzie- len und nicht mehr auf Befehl und Gehorsam beruhen. Bezogen auf die Arbeitsorgani- sation ist seit den 1980- er Jahren eine breite Abkehr von tayloristisch- fordistischer Arbeitsorganisation zu verzeichnen. Die Abkehr von rigider Detailsteuerung des Arbeitshandelnden zu mehr Flexibilisierung und Dezentralisierung sowie der Nutzung marktförmiger Steuerungsmechanismen (vgl. Pongratz, et al., 2004, S. 22) erfordert auf der Seite der Arbeitnehmer ebenfals einen Wandel. Der Zunahme der Komplexität der Aufgaben und der nicht mehr ausschließlich extrinsischen Motivation der Beschäftigten steht ein breiterer Zugriff auf das gesamte Leistungsvermögen der Mitarbeiter entgegen. Dieser Wandel beinhaltet die zentrale Komponente Selbstor- ganisation. Die gesamten Potentiale eines Mitarbeiters geraten in den unternehme- rischen Verwertungsfokus. Die Arbeitskraft als solche wird subjektiviert. Neben dem traditionellen Typus des Herstellungsarbeiters nehmen die neuen Typen des Problem- lösers und des Systemregulierers an Bedeutung zu (vgl.Kupka, 2000, S.15). Formen der Steuerung von Arbeit mit erweiterter Selbstorganisation der Beschäftigen sind:
- Gruppenarbeit, Projektarbeit
- Führung durch Zielvereinbarung
- Intrapreneur-Modelle, Profit-Center
- Hoch flexibilisierte Arbeitszeiten
- Neue Formen computervermittelter Heim- und Mobilarbeit
- Kooperation mit Selbstständigen, Freiberuflern, Kleinstbetrieben
- Auslagerung auf Scheinselbständige und arbeitnehmerähnlich Beschäftigte
- Virtuelle Betriebe (Pongratz, et al., 2004, S.22).
Zusammengefasst lassen sich folgende Wandlungstentenzen der Industriearbeit feststellen:
1.Delegation von Verantwortung
Planenden, steuernde und ausführende Tätigkeiten sind nicht mehr strikt getrennt. Die Beschäftigten erhallten mehr Ergebnisverantwortlichkeit. Die geringere Ausdifferenzie- rung zwischen Planungs,- Durchführungs- und Kontrollaufgaben verlangt einen neue Qualität der Abstimmungs,- Kommunikations- und Kooperationsformen (vgl. Heindenreich, 1996)
2.Dezentralisierung und Selbstregulierung
Permanente Selbstoptimierung und kontinuierliche Abstimmungsprozesse ersetzen die hirarchischen Koordinierungs- und Steuerungsfunktionen. Die Mitglieder kleinerer Einheiten sind den vorgegebenen Zielen verpflichtet und gefordert, in einem Milieu der Selbstverantwortung und Selbstorganisation ihre innovativen Fähigkeiten zu entfalten (vgl. Heindenreich, 1996).
3.Subjektzentrierte Arbeits- und Integrationsmuster
Die gegenüber tayloristisch organisierten Arbeitsformen höhere Ergebnisverant- wortlichkeit und die erweiterten Arbeitsinhalte greifen breiter auf die Eigeninitiative, die Kreativität und die subjektiven Potentiale der Mitarbeiter zu. Daraus folgen veränderte Arbeitsanforderungen, die eine Selbstverwirklichung durch die Arbeit induziert. Im Zentrum steht eine neue Arbeitsmoral, welche nicht durch das Befolgen von Befehlen bestimmt ist, sondern durch die intrinsisch motivierte Fähigkeit und Bereitschaft zur eigenständigen Problemlösung. Von den Beschäftigten verlangt das eine neue Qualität der personalen Identität, welche ein höheres Maß an Reflexivität, Komminikations- und Kooperationsfähigkeit und emotionaler Kompetenz erfordert (vgl. Heindenreich, 1996).
„ Verlangt wird ein differenziertes, zur Selbststeuerung bef ä higtes Individuum, das „ natürlich “ , „ informell “ , „ spontan “ und „ authentisch “ auf sein Gegenüber und dessen Vorstellungen reagieren kann “ (Hochschild, 1990).
4.Neue Institutionalisierungsformen von Arbeit
Die neuen Konzepte von Arbeit verändern auch die Institutionen, durch welche die betrieblichen Organisationsformen regulíert werden. Entgrenzungen in der Ausdifferenzierung von Angestellten und Arbeitern, Verwaltung und Fertigung, Vorgesetzten und Untergebenen, in den Lohnsystemen und kollektiven Interessenvertretungen sind zu beobachten. Die industriegesellschaftlichen Regulationsstrukturen sind jedoch relativ starr und traditionell geprägt. Eine Neuausrichtung kommt nur schleppend voran und steht den real vorzufindenden, subjektiven Modernisierungserscheinungen der Industriearbeit oft konträr entgegen (vgl. Heindenreich, 1996).
Tertiarisierung beschreibt den in den 1970- er Jahren eingeleiteten Wandel von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft. Durch die gestiegene Produk- tivität und der Produktionsverlagerung ins Ausland wurden Arbeitskräfte frei, welche im Dienstleistungssektor neue Arbeitsaufgaben fanden (vgl.Gartner, et al.,1978). Die Subjektivierung der Arbeit wird vom Dienstleistungssektor weit mehr beeinflusst als von der Industriearbeit. Die Bedeutung planender, organsierender, informierender und verwaltender Tätigkeiten nimmt stetig an Bedeutung zu. Unter dem Anforderungsdruck des Marktes steigt der Zugriff auf alle subjektiven Potentiale der Beschäftigten, welche sich mit der Erbringung von Dienstleistungen der verschiedensten Art beschäftigen. Die Selbststeuerungskompetenz und die Fähigkeit zum aktiven, selbstständigen Pro- blemlösen sind im Dienstleistungssektor entscheidende Merkmale der Arbeit und weit mehr für die Arbeit prägend als im Industriesektor. In vielen Bereichen ist die Vorstruk- turierung der Arbeit komplett aufgehoben. Der vollständige Auftragszyklus von der Auftragsanalyse, Planung, Durchführung bis zur Kontrolle obliegt den Beschäftigten. Insbesondere die sozialen Komponenten Zeit und Raum der Arbeit sind von einem großen Wandel geprägt, wodurch die Balance zwischen Arbeit, Freizeit, Familie und Privatleben neu gefunden werden muss.
Die Veränderung der Aufgaben und Arbeitsinhalte führen zu einer neuen Beruflichkeit. Der traditionelle Beruf verliert zugunsten einer Berufsbiografie an Bedeutung. Der Aus- gestaltung der individuellen Berufsbiografie kommt somit eine zentrale Rolle in der dienstleistungsorienterten Arbeitswelt zu (vgl. Heindenreich, 1996). Der beschriebene Wandel der Rahmenbedingungen für die Arbeit wird eine generelle Veränderung der Verfassung von Arbeitsvermögen nach sich ziehen (vgl. Pongratz, et al., 2004, S.23).
. „… Die Ware Arbeitskraft wird sich strukturell ver ä ndern und durch einen weitgehend neuen Typus erg ä nzt “ (Pongratz, et al., 2004). Aus einem eher reaktiv handelnden Arbeitnehmer wird ein aktiver Typus von Arbeitskraft, der sich auf dem Arbeitsmarkt und innerbetrieblich kontinuierlich zur Leistung anbieten muss und sich im Arbeits- prozess gezielt selbst organisiert. Ponkratz und Voß bezeichnen diesen neuen Typus als Arbeitskraftunternehmer.
Im Kern geht es um die umfangreichere Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Arbeitskraft zur Umsetzung der unternehmerischen Ziele. Die Ware Arbeitskraft ist neben der Perfektionierung und Automatisierung von Fertigung und Produktion wieder mehr zu einem zentralen Aspekt des Unternehmenserfolges geworden. Aus dem passiv agierenden Arbeitnehmer wird ein strategisch handelnder Akteur, was zur um- fassenden Ausnutzung der menschlichen Potentiale für betriebliche Zwecke führt. Dieser neue Typ der Arbeitskraft wird von Günter Voß als verbetrieblichter Arbeitskraft- unternehmer beschrieben. „Was sich abzeichnet, ist vielmehr derübergang zu einer flexibilisierten Hyperarbeitsgesellschaft, die mehr denn je in allen Bereichen von Er- werbsarbeit gepr ä gt sein wird “ (Pongratz, et al., 2004). Dennoch sind die Entwick- lungen und Ausprägungen in den Wirtschaftsbereichen differenziert. Pongratz und Voß gehen von einer dialektischen Entwicklung der Arbeitskrafttypen aus und sehen keine direkte Abfolge vom proletarisierten Lohnarbeiter über den verberuflichten Arbeit- nehmer zum verbetrieblichten Arbeitskraftunternehmer (Pongratz, et al., 2004). Dennoch ist sowohl im Dienstleistungsbereich als auch in der Industriearbeit eine Entwicklungstendenz vom „Verberuflichten Arbeitnehmer“, der sich kennzeichnet durch:
- Standardisierte Qualifikationen, rudimentäre Arbeitstugenden
- Verwissenschaftlichte, strukturelle Kontrolle von Arbeit
- Gedämpfte Ausbeutung, hoher staatlicher Schutz
zum „Verbetrieblichten Arbeitskraftunternehmer“, der sich kennzeichnet durch:
- Individualisierte Qualifikation
- Systematische Selbst-Kontrolle der Arbeit
- Selbstausbeutung, unklarer sozialer Schutz deutlich und mit zunehmender Dynamik zu beobachten (vgl. Pongratz, et al., 2004,S.26).
In der Tabelle 1 werden Merkmale des Arbeitskraftunternehmers zusammengefasst.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Merkmale des Typus Arbeitskraftunternehmer Quelle: (Pongratz, et al., 2004 S. 24)
Der Zugriff auf die subjektiven Potentiale der Mitarbeiter hat aktuell eine neue Platt- form gefunden. Die Verschiedenheit der Mitarbeiter nutzbar zu machen ist das Ziel von Diversity Management. Hier werden national unterschiedliche Lebenskonzepte, Le- benssituationen zum Beispiel von „jungen“ und „alten“ Mitarbeitern, verschiedene Persönlichkeitsmerkmale und einiges mehr aufgegriffen. Der gesamte Lebensrahmen wird auf die Erwerbsarbeit ausgerichtet und einer Rationalisierung in neuer Qualität ausgesetzt (vgl.Kuda, et al., 2002). Durch die ständige Notwendigkeit der erneuten An- passung an geänderte Arbeits- und Lebenssituationen entstehen diskontinuierliche Be- rufsverläufe. Diese divergenten und individuellen Anforderungen können durch die tra- ditionelle Konstruktion „Beruf“ nicht mehr abgebildet werden. An die Stelle des tra- ditionellen Berufs tritt eine neue berufliche Form, „.. jetzt aber eine von den einzelnen Personen aktiv strukturierte und auf kontinuierliche Selbstvermarktung hin angelegte, sehr persönliche Formung der Arbeitsf ä higkeiten, eine Art individueller Beruf “ (Kuda, et al., 2002 S.22). Die Vorstellung vom Erreichen eines beruflichen Lebenszieles wird abgelöst von biografischer Offenheit (vgl. Egbringhoff, et al., Nr. 233/Mai 2003,S. 37). Diese, aus individuellen Lebenslagen heraus entwickelte, subjektive Beruflichkeit basiert auf einer reflexiven Gestaltung der eigenen Arbeitskraft, deren Grundlage immer wieder neue Lernleistungen sind. Aufgabe einer modernen Berufsausbildung ist es demzufolge, die heranwachsenden Arbeitskräfte auf diesen Prozess, der durchaus mit Chancen und Risiken verbunden ist, vorzubereiten. Die Chancen nutzbar zu machen und den Risiken nicht ohne Strategie ausgeliefert zu sein, sind Ziele einer modernen beruflichen Bildung, im Sinne von Entwicklung der Potentiale der Menschen und nicht „nur“ im Sinne von Qualifikation sondern auch von Persönlich- keitsentwicklung. Die Konstruktion des lebenslangen Lernens bildet die Grundlage für internationale, europäische und nationale Bildungsinitiativen. Deren Grundlage ist, und das zeigt sich bei der derzeitig in Europa sehr differenzierten wirtschaftlichen Situation deutlich, das nachhaltige Lernen in der Berufsausbildung. Im Folgenden Kapitel werden die Grundzüge des Lernens in der berufichen Erstausbildung in Deutschland dargestellt.
In Deutschland ist das Duale Berufsbildungssystem etabliert. Die Dualität ist auf mehrere Aspekte zu beziehen, wie Lernorte, Lerninhalte und auch die Verantwort- lichkeit für die berufliche Ausbildung. Die berufspraktische Ausbildung findet im Unter- nehmen und die berufstheoretische Ausbildung in der Berufsschule statt. Verantwort- lich zeichnen sowohl die Unternehmen/Wirtschaft mit der Definitionslogik des Marktes und der Staat als Gesetzgeber mit seiner ordnungs- und strukturpolitischen Aufgabe. Deutschland grenzt sich mit diesem System von anderen europäischen Ländern ab, in denen die berufliche Ausbildung schulisch geprägt und oft weniger systematisch, fach- lich fundiert und an den tatsächlichen Bedürfnissen der Industrie ausgerichtet ist. Es sind genau diese Bedürfnisse der aufstrebenden Industrie, welche zum Ende des 19. Jahrhunderts zur Gründung des dualen Ausbildungssystems in Deutschland führten. Die traditionelle handwerkliche Ausbildung, die durch das Verhältnis von Meister und Gesellen geprägt war, zeigte sich zunehmend untauglich für die Bedürfnisse der Indus- trieproduktion. Im Jahr 1926 wurden vom Arbeitsauschuss für Berufsausbildung (AfB) die ersten Berufsbilder und Berufsbezeichnungen mit einheitlichen inhaltlichen Fest- legungen und Ausbildungszeiten definiert (vgl. Greinert, 1998, 3. Auflage, S. 62ff.). Die industrietypische Lehrlingsausbildung war in dieser Phase des starken Wachstums der industriellen Produktion durch das Modell „Lehrwerkstatt“ geprägt und grenzte sich von der traditionell handwerklichen Ausbildung in drei Dimensionen ab, der institutionellen, mit Lehrwerkstatt und Werkschule, der methodischen mit psychotechnischen Auswahlverfahren, standardisierten Lehrgängen und Lehrmitteln und der berufssystematischen mit den Ordnungsmitteln Berufsbild, Ausbildungsplan und Prü- fungsanforderungen (vgl. Greinert, 1998, 3. Auflage, S. 65). Die rasch zunehmende Nachfrage nach Industriegütern zwang die Unternehmen, neue Produktionsmethoden einzuführen. Aus den USA importiert wurde die wissenschaftliche Betriebsführung. Die fordistisch- tayloristische Betriebsorganisation setzte auf Spezialisierung, Kontrolle, Normierung und Vorgabe von präzisen Arbeitsanweisungen. Anonyme Massenpro- duktion ersetzte individuelle Handarbeit. Die geforderten Qualifikationsanforderungen waren nunmehr eher durch restriktive Arbeitsbedingungen geprägt. Carl Siemens formulierte: „.. sich von den Mechanikerkünstlern unabh ä ngig zu machen und an deren Stelle Hausknechte zu setzen “ (Greinert, 1998, 3. Auflage, S. 66). Das fachlich fundierte Handeln, jedoch unter Ausschaltung des subjektiven Willens und der sub- jektiven Bewertung des Vorgesetzten kennzeichnen die Qualifikationsanforderungen an den industriellen Arbeiter bis in die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg. Methodisches Merkmal der Lehrwerkstättenausbildung ist der Lehrgang. In diesem werden ganz- heitliche Arbeitsvollzüge in Einzeloperationen zerlegt und nach steigendem Schwierig- keitsgrad wieder zusammengefügt. Vor allem in den Metallberufen bilden die Lehr- gänge eine durchgängige Tradition in der Ausbildungspraxis und stellen ein Ausbil- dungsmittel mit universellem Erfolg der Berufsbildungspraxis dar (vgl. Greinert, 1998, 3. Auflage, S. 67). Die Werkberufsschulen konnten sich jedoch nicht durchsetzen. Einerseits wollte die Industrie die Kontrolle über die gesamte Lehrlingsausbildung haben, scheute aber die hohen Kosten. Im Jahr 1932 akzeptierte der Deutsche Industrie- und Handelstag die öffentlichen Schulen als zweiten Lernort außerhalb der betrieblichen Verfügungsmacht. Die Besonderheit der Dualität des deutschen Berufs- bildungssystems besteht in der gemeinsamen Verantwortung der Industrie/Wirtschaft und des Staates für die Ausbildung. Die berufliche Ausbildung ist Teil des nationalen Erziehungssystems geworden. Mit der Verabschiedung des Berufsbildungsgesetzes 1969, als Ergebnis eines komplizierten politischen Vermittlungsprozesses, sind drei Interessenssphären gesetzlich geregelt, das Interesse des Staates als Gesetzgeber, das Interesse der Qualifikationsanbieter (die Arbeitnehmer) und das Interesse der Qualifikationsabnehmer (die Arbeitgeber). In den 1970- er und folgenden Jahren entwickelte sich die duale Berufsbildung zum dualen Berufsbildungssystem in Deutschland, welches durch folgende Strukturelemente gekennzeichnet ist:
1. Praxisnahe und theoretische Ausbildung
2. Bundeseinheitliche Ausbildungsinhalte und Prüfungen
3. Ständige Aktualisierung der Ausbildung in Bezug auf den technischen und wirtschaftlichen Fortschritt
4. Gemeinsames Handeln von Arbeitgebern und Arbeitnehmern (Gewerkschaften)
5. Abstimmung zwischen betrieblichen und schulischem Lehrplan
6. Überbetriebliche Lehrlingsunterweisung als Ergänzung für spezialisierte Unternehmen
7. Qualifizierung des Ausbildungspersonals
8. Sicherung der Ausbildungsfähigkeit der Unternehmen durch die Kammern
9. Ausbildung ist eine lohnende Investition für Unternehmen (vgl. Greinert, 1998, 3. Auflage)
Für die Wirtschaft können folgende Vorteile zusammengetragen werden:
- Sicherung des Fachkräftebedarfs
- Reduzierung der Einarbeitungskosten bei Neueiunstellungen
- Erhöhung von Motivation und Betriebstreue
- Passgenaue Qualifikation
- Produktive Leistungen der Auszubildenden
Für die Jugendlichen können folgende Vorteile zusammengefasst werden:
- Gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt
- Anerkanntes Zertifikat
- Praxisnähe
- Ausbildungsvergütung
- Beruffliche Karrieremöglichkeiten
- Frühzeitige Integration in den Betrieb
Der Subjektivierung der Arbeitskraft folgt in logischem Schluß eine Veränderung der Berufsausbildung, welche im folgenden Kapitel thematisiert wird.
Legen wir die Brille beiseite, mit der wir traditionell auf die berufliche Ausbildung blicken, erkennen wir, das die duale berufliche Ausbildung nicht mehr das sein kann, was sie uns über eine so lange Periode versprach. Nach einer Studie des BMBF 2007 üben 40% der Beschäftigten eine Tätigkeit aus, die mit dem ursprünglich gelerneten Beruf nichts zu tun hat (BMBF-Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2007). Das duale Berufsbildungsystem ist auch nicht mehr die dominierende Wahl der Jugen- dlichen nach dem allgemeinbildenden Schulabschluß. Der Zugang zum dualen System sank von 77% im Jahr 1992 auf 52% der Schulabgänger im Jahr 2004 (vgl.Gelder- mann, et al., 2009, S. 64). Zunehmend werden andere Bildungsangebote gewählt wie beispielsweise Fach- und Hochschulausbildung. Die Vorstellung eines Lebensberufes hat kaum noch etwas mit den Arbeitsmärkten und Arbeitssituationen zu tun. Die beruflichen Laufbahnen sind, bedingt durch den oben beschriebenen Wandel der Arbeit, brüchig und diskontinuierlich. Der traditionelle Beruf definiert sich durch eine Ansammlung von genormten Wissen und fachspezifischen Fähigkeiten, die zielge- richtet auf die Abarbeitung von Aufgaben ausgerichtet sind. Diese lineare Ausrichtung wird den neuen Anforderungen nicht mehr gerecht (vgl.Kuda, et al., 2002 S.22). Die Tendenzen zur Subjektivierung der Arbeit haben Tendenzen zur Subjektivierung der Berufsbildung zur Folge. „ Es ist nicht mehr die lebenslange Bindung an eine einmal getroffene Entscheidung, die das moderne Leben charakterisiert, sondern eine Art „ Kompetenzkarriere “ (Erpenbeck), auf die sich die Jugendlichen mit dem Beginn ihrer schulischen und beruflichen Ausbildung einlassen “ (Arnold, 2010,S. 3). Aus diesen Erscheinungen lassen sich unmittelbar die aktuellen Aufgaben des dualen Berufsbil- dungssystems ableiten. Die Subjektivierung der Bildung liegt im Interesse der Arbeit- nehmer, im Sinne von befähigt werden, den divergenten Anforderungen der subjek- tivierten Arbeit gerecht zu werden, im Interesse der Arbeitgeber (Unternehmen/ Wirtschaft), auf Arbeitskräfte zurückgreifen zu können, die den flexibilisierten, ökono- misierten und verschlankten Arbeitserscheinungen gewachsen sind und auch im Interesse des Staates/der Gesellschaft, im Sinne von sozialem Frieden und geringen arbeitsmarktpolitischenTransferleistungen.
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