Masterarbeit, 2012
188 Seiten, Note: 2,0
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Vorgehensweise
2 Paradigmenwechsel zum Lernfeldansatz
2.1 Ursachen für den Paradigmenwechsel vom Fächerprinzip zum Lernfeld-konzept
2.1.1 Entwicklung eines konstruktivistischen Lernverständnisses
2.1.2 Verständnis von Kompetenz und Kompetenzentwicklung
2.1.3 Berufliche Handlungskompetenz als Leitziel der beruflichen Bildung
2.1.3.1 Begriffseinordnung beruflicher Handlungskompetenz
2.1.3.2 Kreisstrukturmodell beruflicher Handlung als Kompetenzmodell
2.1.3.3 Handlungsorientierung als Grundprinzip beruflicher Handlungs- kompetenz
2.2 Von der Fachsystematik zur Handlungssystematik
2.3 Das Lernfeldkonzept als neue Ausrichtung der Rahmenlehrpläne
2.3.1 Merkmale der Lernfeldsystematik
2.3.1 Von Handlungsfeldern über Lernfelder zu Lernsituationen
2.4 Veränderte Lehrerrolle im Lernfeldansatz
2.4.1 Perspektivenwechsel der Lehrkräfte
2.4.2 Unterrichtliche Kompetenzanforderungen aufgrund des Lernfeld- ansatzes
2.4.3 Schulorganisatorische Kompetenzanforderungen aufgrund des Lernfeld- ansatzes
2.4.4 Schwierigkeiten bei der Umsetzung der veränderten Lehrerrolle in der Lernfeldsystematik
3 Leitfadengestützte Experteninterviews zur Überprüfung des Umsetzungs-standes der veränderten Lehrerrolle im Lernfeldansatz
3.1 Beschreibung des Untersuchungsdesigns
3.2 Das leitfadengestützte Experteninterview als Erhebungsinstrument
3.3 Der Interviewleitfaden
3.4 Beschreibung der Stichprobe
3.5 Pretest
3.6 Qualitative Inhaltsanalyse zur Auswertung der Experteninterviews
4 Umsetzungsstand und -schwierigkeiten der veränderten Lehrerrolle in der Lernfeldsystematik innerhalb des berufsschulischen Unterrichts und der Schulorganisation
4.1 Ergebnisse der Experteninterviews
4.1.1 Umsetzungsstand der veränderten Lehrerrolle
4.1.1.1 Lehrerrolle im Unterricht
4.1.1.2 Lehrerrolle in der Schulorganisation
4.1.2 Schwierigkeiten bei der Umsetzung der veränderten Lehrerrolle
4.1.3 Vorhandene Maßnahmen zur Förderung der veränderten Lehrerrolle
4.1.4 Optimierungsvorschläge der interviewten Experten
4.2 Zusammenfassung der Ergebnisse
5 Handlungsempfehlungen für eine verbesserte Umsetzung des Lernfeldkonzepts an Berufsschulen
6 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhangverzeichnis
Anhang
Abbildung 1: Kreisstrukturmodell beruflicher Handlung (Quelle: Rebmann, Tenfelde & Uhe 2005, S. 119) 13
Abbildung 2: Lernfeldkonstruktion (Quelle: eigene Darstellung nach Pätzold 2000, S. 125) 21
Abbildung 3: Zusammenhang zwischen Handlungsfeld, Lernfeld und Lernsituation (Quelle: Sloane 2000, S. 81) 23
Abbildung 4: Untersuchungsdesign (Quelle: eigene Darstellung) 33
Abbildung 5: Ablaufmodell zusammenfassender Inhaltsanalyse (Quelle: eigene Darstellung nach Mayring 2007, S. 60) 47
Tabelle 1: Stichprobenauswahl (Quelle: eigene Darstellung) 41
Die Institution Schule ist einem stetigen Wandel unterworfen. Zum einen sind es kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen, zum anderen sind Ergebnisse in der Schulentwicklungsforschung, die Einfluss auf die Schule und ihre Organisation nehmen. Von den Schulen, und somit auch von den Lehrkräften, wird erwartet, dass sie auf diese Veränderungen innovativ reagieren, was zugleich die Aufgabe von gewohnten Routinen bedeuten kann (vgl. Felten 2011, S. 129). Weitreichende Veränderungen finden seit längerem in den Arbeitsprozessen aller Bereiche der Wirtschaft statt. Ein Beispiel stellt die stetig flexibler werdende Produktion dar, wodurch eine Vernetzung der verschiedenen Abteilungen und Aufgabenbereiche, wie etwa die Entwicklung, Konstruktion, Fertigung, Qualitätssicherung, Verkauf und Verwaltung, die Folge ist (vgl. Hansen 1999). Durch die Tendenzen zur Internationalisierung, Globalisierung und den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien haben sich die Qualifikationsanforderungen an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer1 verändert (vgl. Beckheuer 2001, S. 5). Tayloristische Arbeitsorganisationen lösen sich auf und schaffen Platz für flache Hierarchien, Delegation von Aufgaben und Entscheidungen und die Nutzung von Synergieeffekten durch Teamarbeit (vgl. Muster-Wäbs & Schneider 2001, S. 44). Arbeitgeber fordern nicht mehr nur eine Fachkompetenz, sondern zusätzlich Eigeninitiative, Verantwortungsbewusstsein, Problemlösefähigkeit, Methodenbeherrschung, Flexibilität, sowie Kommunikations- und Teamfähigkeit (vgl. Nöthen 2005, S. 13). Diese Wende in der Arbeitswelt zieht natürlich auch neue Anforderungen an die Berufsausbildung nach sich (vgl. Muster-Wäbs & Schneider 2001, S. 44).
Seit den 1970er Jahren bis 1996 galt ein traditionelles berufliches Curriculum, in dem die Lerngebiete nach einem Qualifikationsprofil der Fach- und Sachbearbeiter ausgerichtet waren und nach einer Fächeraufteilung unterrichtet wurden (vgl. Pätzold 2000, S. 127 f.). Aus dieser Fachsystematik resultieren Schwachstellen, wie z. B. die Vorherrschaft der Vermittlung von Faktenwissen in überwiegend lehrerzentrierten Vermittlungsformen, wodurch lediglich „träges Wissen“ vermittelt wird, das zu wenig mit der Lebens- und Arbeitswelt vernetzt ist und dadurch kaum angewendet werden kann (Pätzold 2003, S. 15 f.). Zusätzlich besteht die Gefahr von unkontrolliertem „Doppeltlernen“, da es Themenbereiche gibt, die Bezug zu mehr als einem Unterrichtsfach haben und der Unterricht jedoch nicht zwischen den einzelnen Lehrkräften koordiniert wird (vgl. Kremer 2003, S. 7; Tenberg 2006, S. 65 f.) Aufgrund starrer Strukturen fehlt der Fachsystematik die Anpassungsfähigkeit an gesellschaftliche Entwicklungen (vgl. Kremer 2003, S. 7). Um den veränderten Anforderungen an die Berufsausbildung gerecht zu werden, darf der Berufsschulunterricht sich nicht nur auf die Vermittlung fachlicher Inhalte beschränken, sondern muss verstärkt Kompetenzen fördern, die unter dem Schlagwort der beruflichen Handlungskompetenz zusammenzufassen sind (vgl. Pätzold 2000, S. 128). Daher wurde im Mai 1996 das Lernfeldkonzept für die duale Ausbildung eingeführt. Anstelle der Fächerstruktur dienen seitdem berufliche Handlungsfelder als Grundlage curricularer Überlegungen. Handlungsfelder sind Aufgabenbereiche mit Relevanz zu beruflichen sowie lebens- und gesellschaftsbedeutsamen Handlungssituationen. Um die Schüler zu deren Bewältigung zu befähigen, werden Handlungssituationen zunächst in Lernfelder transformiert, in denen verschiedene betriebliche Aufgabenstellungen zusammengefasst werden (vgl. Bader 2000, S. 42). Sie werden in den Rahmenlehrplänen als fächerübergreifende Lernfelder dargestellt und bedürfen der weiteren Ausgestaltung (vgl. Reimer 2000, S. 5). Eine Konkretisierung finden sie in Lernsituationen, die den Zusammenhang zwischen fachtheoretischer Inhalte und betrieblicher Anwendung darstellen (vgl. KMK 2007, S. 18). Lernsituationen sollen authentische Problemstellungen und Aufgaben der beruflichen Praxis beinhalten, um die Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz zu fördern (vgl. Reimer 2000, S. 5). Das Lernfeldkonzept bezweckt also einen Perspektivenwechsel von der Fachsystematik zur Handlungssystematik (vgl. Kremer 2003, S. 4).
Die Gestaltung der Lernsituationen und somit die curriculare Präzisierung der Lehrpläne erfolgt durch die Schulen bzw. durch die Lehrkräfte, wodurch für sie größere Handlungsfreiheiten entstehen (vgl. Bader 1998, S. 73). Durch diesen erweiterten Handlungsspielraum für die Lehrkräfte und die verstärkte handlungsorientierte Ausrichtung unterzieht sich auch die Lehrerrolle einem Wandel (vgl. Müller & Heller o. J., S. 3). Dieser macht sich zunächst in unterrichtlichen Tätigkeiten bemerkbar, denn Lehrkräfte treten hier nicht mehr als reine Wissensvermittler auf (vgl. Rebmann & Tenfelde 2008, S. 35). Da durch die verstärkte anwenderorientierte Perspektive der Lerner in den Mittelpunkt des Unterrichts verlagert wird, rückt die gesamte Lernsituation in den Fokus. Aus diesem Grund richten Lehrkräfte ihr Verhalten auf den Lernprozess der Lerner aus (vgl. Backes-Haase 2001, S. 231 f.), wodurch sie zu Lernhelfern und Lernprozessbegleitern werden (vgl. Muster-Wäbs & Schneider 2001, S. 45). Zusätzlich zu ihrer neuen Rolle als unterstützende Berater im Unterricht vollzieht sich auch die Lehrerrolle in der Schulorganisation einem Wandel. So müssen Lehrkräfte gemeinsam in Teams offene Unterrichtskonzepte planen und gestalten (vgl. Müller & Heller o. J., S. 12). Sie befinden sich nicht mehr in der Situation, die im traditionellen Curriculum vorgegebenen Inhalte und Ziele umzusetzen, sondern werden zu Entwicklern und Gestaltern von Lehrplänen (vgl. Sloane 2001, S. 193). Das bedeutet, sie müssen schulorganisatorisch tätig werden und vermehrt in Lehrerkooperationen arbeiten (vgl. Sloane 2004, S. 43). Doch können die Lehrkräfte sich von ihren bisherigen Routinen in der individualisierten Lehrtätigkeit abwenden, um so das Lernfeldkonzept problemlos zu implementieren?
Zum Thema der Lernfeldimplementation gab es bereits mehrere Untersuchungen, u. a. vom Bundesinstitut für Berufsbildung (vgl. Muster-Wäbs & Schneider 2001), vom Kommunikations- und Informationssystem Berufliche Bildung (vgl. Kremer & Tramm 2011) und der Bund-Länder-Kommission (BLK) (vgl. Bader & Sloane 2000). Da die Darstellung aller Untersuchungen den Umfang dieser Arbeit überschreiten würde, werden hier stellvertretend die BLK-Modellversuchsverbünde „Neue Unterrichtsstrukturen und Lernkonzepte durch berufliches Lernen in Lernfeldern“ (NELE) und „Steigerung der Effizienz neuer Lernkonzepte und Unterrichtsmethoden in der dualen Berufsausbildung“ (SELUBA)2 genannt. Zudem sind diese Untersuchungen besonders repräsentativ, weil ihre Ergebnisse bereits zu einer Arbeitshilfe für Rahmenlehrplanausschüsse weiterentwickelt wurden (vgl. Bader & Sloane 2000; Müller & Zöller 2001). Theoretische Analysen und Gestaltungsansätze zum Lernfeldkonzept haben hier ergeben, dass die Umsetzung des Lernfeldkonzepts viele Probleme mit sich bringt (vgl. Bader & Sloane 2000). Bezogen auf das neue Rollenverständnis im Lernfeldansatz sind zunächst die fehlenden Kompetenzen, sowohl bei den Lehrenden als auch bei den Lernenden zu verzeichnen (vgl. Kremer & Sloane 2000, S. 178 f.; Muster-Wäbs & Schneider 2001, S. 49). Ein weiteres Problem ist, dass Absprachen und gemeinsame Planung oft nicht stattfinden können, da sie zu zeitaufwändig wären (vgl. Muster-Wäbs & Schneider 2001, S. 49). Unzureichende Materialien erschweren zusätzlich die Unterrichtsvorbereitung (vgl. Kremer & Sloane 2000, S. 178). Diese Untersuchungen wurden jedoch bereits vor mehr als 10 Jahren abgeschlossen, was bedeutet, dass einige Probleme eventuell gar keine Aktualität besitzen. Nach Steinmann und Gramlinger (2003, S. 13) fand bereits ein gewisser Lernprozess statt. Gleichwohl hat das Thema der Umsetzung des Lernfeldkonzepts immer noch eine aktuelle Bedeutung, denn nach Tenberg (2011, S. 1) haben sich die Erwartungen an das Lernfeldkonzept noch nicht erfüllt. Zwar wurden die Lernfelder planerisch realisiert, didaktisch-methodisch hat sich jedoch wenig verändert.
Diese Arbeit konzentriert sich auf die Umsetzung der Lehrerrolle im Lernfeldansatz, da eine erfolgreiche Implementation schließlich zum großen Teil in den Händen der Lehrkräfte liegt (vgl. Kremer 2003, S. 8). Hierzu gab es bereits Untersuchungen, welche aber zumeist auf eine spezifische Fachrichtung, wie z. B. Politik ausgerichtet waren (vgl. Müller & Zurstrassen 2011). Die vorliegende Untersuchung wird hingegen auf den Bereich Wirtschaft und Verwaltung ausgedehnt. Somit werden nicht nur die allgemeinbildenden, sondern auch berufsspezifische Fachgebiete beachtet, welche einen umfangreicheren Einblick in den Umsetzungsstand und dessen mögliche Probleme liefert. Bisherige Untersuchungen, die den Bereich Wirtschaft und Verwaltung berücksichtigten, legten ihren Schwerpunkt auf die gesamte Umsetzung des Lernfeldkonzepts und nicht auf die veränderte Lehrerrolle (z. B. NELE und SELUBA). Hieraus ergibt sich ein Forschungsbedarf, der für drei Zielgruppen relevant sein könnte. Zum einen könnte es die Studierenden der Berufs- und Wirtschaftspädagogik mit dem Ziel Berufsschullehramt interessieren, denn sie werden voraussichtlich einmal diese neue Lehrerrolle übernehmen. Aber auch die Lehrenden an den Universitäten im Bereich der Berufs- und Wirtschaftspädagogik könnten von diesen Ergebnissen profitieren, weil sie die Ausbildung der Studierenden an der erforderlichen Lehrerrolle ausrichten sollten. Zum anderen könnten die Schulen an der aktuellen Lage der Umsetzung der Lehrerrolle im Lernfeldkonzept interessiert sein, um die Berufsausbildung an ihrer Schule stetig zu verbessern.
Die Forschungsfragen dieser Arbeit lauten demnach wie folgt: Wie wird die Theorie der veränderten Lehrerrolle durch das Lernfeldkonzept in der Praxis im kaufmännisch verwaltenden Bereich umgesetzt? Welche Schwierigkeiten stehen ihrer erfolgreichen Implementation im Unterricht und in der Schulorganisation entgegen? Hierzu wurden sechs Lehrkräfte der Berufsbildenden Schulen (BBS) der Stadt Osnabrück mit dem Schwerpunkt Wirtschaft und Verwaltung befragt. Die genaue Vorgehensweise der theoretischen Ausarbeitung und der empirischen Untersuchung wird im folgenden Abschnitt erläutert.
Die vorliegende Arbeit zur Lehrerrolle im Lernfeldkonzept gliedert sich in sechs Kapitel. Nachdem im ersten Abschnitt des ersten Kapitels die Auswahl des Untersuchungsgegenstandes erläutert wurde, umfasst dieser Abschnitt den Aufbau der Arbeit. Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Paradigmenwechsel zum Lernfeldkonzept. Hierzu werden zunächst im Abschnitt 2.1 die Ursachen für den Paradigmenwechsel erläutert, wobei zuerst auf die Entwicklung eines konstruktivistischen Lernverständnisses eingegangen wird, was bedeutet, dass Wissensaneignung subjektgebunden ist, also durch den Lerner selbst erfolgt. Hieraus ist der Begriff der Kompetenzentwicklung entstanden, welcher zusammen mit der Begrifflichkeit der Kompetenz im darauffolgenden Abschnitt erläutert wird. Über das konstruktivistische Lernverständnis und die Kompetenzentwicklung lässt sich die berufliche Handlungskompetenz definieren, welche zum Leitziel der beruflichen Bildung wurde. Diese Veränderungen in der beruflichen Didaktik machen deutlich, dass durch ein traditionell gestaltetes Curriculum lediglich träges, nicht transferfähiges Wissen vermittelt werden kann. Damit Schüler aber handlungsfähig werden können, müssen die fachlichen Inhalte anhand von handlungssystematischen Strukturen, die zusammenhängend und praxisbezogen sind, vermittelt werden. Hierdurch wird eine veränderte Ausrichtung des Verhältnisses von Fach- und Handlungssys-tematik notwendig, die im Abschnitt 2.2 thematisiert wird. Aus diesem Wandel wiederum entwickelte sich das Lernfeldkonzept, welches im Abschnitt 2.3 näher erläutert wird. Hierbei wird zunächst auf die Merkmale wie den handlungsorientierten und fächerübergreifenden Unterricht eingegangen, um dann die Herleitung von Lernsituationen über Handlungs- und Lernfelder zu erörtern. Abschließend wird erläutert, wie das Lernfeldkonzept auf verschiedenen Ebenen umgesetzt werden kann. Durch das verstärkte Prinzip der Handlungsorientierung und die Entwicklung und Gestaltung von Lehrplänen erfordert das Lernfeldkonzept einen Perspektivenwechsel bei den Lehrkräften. Hierdurch hat sich das Rollenverständnis geändert. Diese veränderte Lehrerrolle wird anhand der neuen Kompetenzanforderungen sowohl im Unterricht, als auch in der Schulorganisation im Abschnitt 2.4 behandelt. Zudem wird hier auch auf bisherige Probleme bei der Umsetzung im Unterricht und in der Schulorganisation eingegangen.
Das dritte Kapitel beinhaltet das empirische Vorgehen dieser Arbeit. Hierbei wird zunächst im ersten Abschnitt das Untersuchungsdesign vorgestellt, um ferner im darauffolgenden Abschnitt den Einsatz des Erhebungsinstruments, das leitfragengestützte Experteninterview, zu erläutern. Im Abschnitt 3.3 wird der Leitfaden anhand der vorangegangenen Theorie begründet. Anschließend wird die Auswahl der Stichprobe im Abschnitt 3.4 näher beleuchtet, um dann im folgenden Abschnitt auf die Durchführung der Stichprobe einzugehen. Die hieraus erworbenen Erkenntnisse dienen zur Verbesserung des Leitfadens, was im selben Abschnitt dargelegt wird. Den Abschluss bildet das Auswertungsinstrument der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring im Abschnitt 3.6.
Das vierte Kapitel ist der Auswertung und Interpretation der Experteninterviews gewidmet. Hierzu wird im ersten Abschnitt zunächst ein Theorie-Praxis-Vergleich der Lehrerrolle im Unterricht und in der Schulorganisation angestellt. Als theoretische Grundlage dienen sowohl fachliterarische Ausführungen, als auch Aussagen der Lehrkräfte. Weiterhin werden die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Lehrerrolle dargestellt, um dann auf bereits bestehende Fördermaßnahmen und weitere Optimierungsvorschläge einzugehen. Der zweite Abschnitt fasst diese Ergebnisse noch einmal zusammen, woraus für das fünfte Kapitel anschließend Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Das Fazit und ein Ausblick im sechsten Kapitel runden diese Arbeit ab.
Eine Ursache für den Paradigmenwechsel vom Fächerprinzip zum Lernfeldkonzept wird in der Entwicklung eines konstruktivistischen Lernverständnisses gefunden. Der verstärkte wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturwandel führte über die letzten 20 Jahre zu einer veränderten Sichtweise des Lernens (vgl. Tenberg 2006, S. 80). Durch zahlreiche technologische Fortschritte im Kommunikationsbereich wird fortwährend eine Flut an Informationen per Mausklick auf der ganzen Welt verfügbar gemacht. Potenzielle Nutzer müssen in der Lage sein, aus dieser Vielfalt eine sinnvolle Auswahl zu treffen, Informationen aus verschiedenen Quellen zu bewerten und zusammenzuführen (vgl. Mietzel 2007, S. 41). Hinzu kommen immer komplexere Probleme unserer Gesellschaft, wie z. B. neue unheilbare Krankheiten, Umweltverschmutzung und Verringerung fossiler Energievorräte, die sich bestenfalls durch kooperative Denkansätze bewältigen lassen (vgl. Mietzel 2007, S. 41). Durch diese Tendenzen zur Internationalisierung, Globalisierung und den Wandel zu einer Wissensgesellschaft haben sich die Anforderungen an die Arbeitnehmer und somit auch an die Lerner verändert (vgl. Beckheuer 2001, S. 5).
„Zu den ‚Basics’, die in einer sich immer schneller veränderten Welt erforderlich sind, gehört nicht mehr einfach nur Lesen, Schreiben und Rechnen, sondern vielmehr die Fähigkeit, kritisch zu denken und über wichtige Inhalte nachzudenken, und darüber hinaus die Fähigkeit und Motivation, das ganze Leben lang selbständig zu lernen“ (Lin et al. 1996, zitiert nach Mietzel 2007, S. 41 f.).
Entscheidende Grundlagen, die diesem Wandel Rechnung tragen, wurden durch die Entwicklung eines konstruktivistischen Lernverständnisses geschaffen (vgl. Mietzel 2007, S. 42). Um dieses näher zu erläutern, muss zunächst auf die Begrifflichkeit Konstruktivismus eingegangen werden. Beim Konstruktivismus handelt es sich um eine Erkenntnistheorie, also um die Theorie der Wissensentstehung über Dinge und Sachverhalte. Sie betont den individuellen aktiven Prozess bei der Generierung von Wissen (vgl. Riedl 2004, S. 44). Der Ausgangspunkt des Konstruktivismus’ ist der Zweifel an der Übereinstimmung von Wissen und Wirklichkeit. Aber es besteht keine einheitliche Definition von Konstruktivismus, denn es gibt viele unterschiedliche Betrachtungen, welche Bezug auf die verschiedensten Bereiche der Wissenschaft nehmen (vgl. Lindemann 2006, S. 13). So entwickelten Foerster und Glaserfeld aus der konstruktiven Psychologie Piagets den radikalen Konstruktivismus. In diesem Ansatz wird die Relativität der subjektiven Erkenntnis und ihrer Wirklichkeitskonstruktion überbetont. Zudem werden die Interaktionen von Subjekten in soziokulturellen Kontexten vernachlässigt (vgl. Reich 2006, S. 85 f.). Einen weiteren Ansatz stellt der methodische Konstruktivismus, auch als Erlanger Schule bekannt, dar. Hier wird der übertriebene Relativismus aus dem radikalen Konstruktivismus negiert, indem eine methodisch stringente Rekonstruktion unserer Lebenswelt angestrebt wird (vgl. Reich 2006, S. 86 f.). Der Anspruch, eine Fundierung sämtlicher Wissenschaften zu ermöglichen, ist jedoch kaum realisierbar (vgl. Thiel 2004, S. 452). Diese Beispiele finden aufgrund der genannten Kritiken in dieser Arbeit keine Anwendung, stattdessen wird im Folgenden der Konstruktivismus aus der didaktischen Perspektive aufgegriffen.
Der Entwicklung eines konstruktivistischen Lernverständnisses gingen unterschiedliche lerntheoretische Standpunkte voraus. Zunächst war die vorherrschende Didaktik vom Objektivismus geprägt (vgl. Riedl 2004, S. 41). Diese geht von der Existenz eines objektiv erfassbaren Wissen aus, welches durch Gegenstände und Inhalte systematisch abgebildet wird (vgl. Tenberg 2006, S. 80). Das bedeutet, dass unsere Welt durch Wissen vollständig, verlässlich und objektiv erfasst werden kann und für jeden Menschen gleich ist (vgl. Riedl 2004, S. 42). Hinzu kommt, dass nach diesem Ansatz unsere Erfahrungen und Wahrnehmungen keinerlei Einfluss auf diese Welt nehmen, welche somit in sich stabil ist (Rebmann & Tenfelde 2008, S. 35). Eine Lerntheorie, die auf dem Objektivismus basiert, ist der Behaviorismus. Der Kerngedanke dieser Sichtweise ist, dass Lernen als eine Reiz-Reaktionsfunktion durch Konditionierung gesteuert werden kann (vgl. Klauser 2010, S. 70). Interne Lernprozesse bleiben unberücksichtigt, denn das Gehirn wird hier als Behälter (sog. „Black Box“) betrachtet, welcher mit Informationen gefüllt werden muss (vgl. Müller 2001, S. 5). Aus Sicht des Behaviorismus gibt es eine optimale Lernumgebung3 für alle Schüler, in der die einzelnen Lernschritte mit zunehmender Komplexität abgebildet werden (vgl. Mietzel 2007, S. 40). Die Lehrkraft steht hierbei als Autorität, Fachspezialist und Wissensvermittler im Fokus des Lerngeschehens (vgl. Riedl 2004, S. 42). Der Lernerfolg wird anhand der Übereinstimmung von Input und Output bestimmt (vgl. Mietzel 2007, S. 40). Der behavioristische Ansatz überbetont körperliche Verhaltensweisen und übersieht die geistigen Prozesse. Lernen ist demnach rein rezeptiv und passiv, wodurch der Schwerpunkt auf der Wiedergabe von Lerninhalten liegt. Diese Lerninhalte werden für Prüfungen auswendig gelernt und anschließend vergessen. Durch fehlende Zusammenhänge und die Passivität der Schüler ist dieses Wissen nicht transferfähig, sondern „träge“ (vgl. Riedl 2004, S. 42). Diese Kritik wurde im Kognitivismus aufgegriffen. Im kognitivistischen Ansatz werden die Denk- und Verstehensprozesse innerhalb des Gehirns zum Hauptthema der Forschung, wobei die im Gehirn stattfindende Informationsverarbeitung mit den Prozessen innerhalb eines Computers verglichen wird (vgl. Müller 2001, S. 6). Im Gegensatz zum Behaviorismus wird hier der Lernende als Individuum angesehen, der äußere Reize aktiv und selbstständig verarbeitet (vgl. Riedl 2004, S. 43). Entscheidend für den Lernprozess sind hierbei die Erwartungen und das Vorwissen des Lernenden und die von ihm angewandten Lernstrategien (vgl. Mietzel 2007, S. 41). Auftauchende Fehler sind auf Störungen in der Kommunikation zurückzuführen. Der Kognitivismus betont das selbstständige und entdeckende Lernen, wodurch die Problemlösefähigkeit der Lernenden gefördert wird. Ein weiteres Ziel ist die Befähigung zur Metakognition, was das Bewusstsein über die eigenen kognitiven Prozesse und deren Bedingungen umfasst (vgl. Riedl 2004, S. 44). Am kognitiven Ansatz wird kritisiert, dass eine zu starke Ausrichtung auf geistige Verarbeitungsprozesse und somit eine Vernachlässigung körperlicher Verhaltensweisen vorliegt. Zudem werden durch objektivistisch geprägte Grundannahmen soziokulturelle Faktoren und situative Merkmale der Lernumgebungen ausgeklammert. Aus der Kritik am Objektivismus heraus wurde der Kognitivismus zum Konstruktivismus weiterentwickelt (vgl. Müller 2001, S. 6).
Wichtige Impulse für das heutige konstruktivistische Verständnis von Lehren und Lernen wurden durch drei Ansätze gegeben: der pragmatische Ansatz von Dewey, der psychologische Ansatz von Piaget und der psychologisch-soziokulturelle Ansatz von Wygotski. Alle drei Ansätze betonen die aktive Seite des Lernprozesses, in dem das Erlangen von Wissen immer mit der Vermittlung von Handlungen verknüpft ist. Zudem verweisen sie auf eine allgemeine Spannung zwischen Subjekt und Umwelt (vgl. Reich 2006, S. 73). Wygotzki und Piaget versuchen dazu Stufen der „lernenden Entwicklung“ zu rekonstruieren. Dewey ergänzt dieses Verständnis mit der Ansicht, dass Lernvorgänge als Handlungsvollzüge zu sehen sind (vgl. Reich 2006, S. 73 f.).
Aus diesen Ansätzen ergibt sich für das konstruktivistische Lernverständnis die Grundannahme, dass wir durch unsere individuelle Wahrnehmung der Realität diese nicht objektiv oder wahrheitsgemäß abbilden können. Jedes Subjekt entwirft lediglich ein eigenes Modell der Wirklichkeit, welches aufgrund interner Kriterien, wie z. B. bisherige Erfahrungen und Wahrnehmungen (vgl. Lindemann 2005, S. 13) und stets in einem sozialen Kontext, konstruiert wird (vgl. Rebmann & Tenfelde 2008, S. 35). Folglich ist der Wissenserwerb durch bloße Reproduktion wie im Behaviorismus nicht möglich (vgl. Konrad & Traub 1999, S. 65). Lernen ist ein aktiver, selbstgesteuerter, wahrnehmungsbedingter und somit individueller Prozess des Wissenserwerbs, welcher nicht von außen gesteuert oder instruiert werden, sondern lediglich durch Lernsituationen angeregt werden kann (vgl. Siebert 2003, S. 20). Demzufolge vermittelt der Lehrende nicht mehr länger das Wissen an die Lernenden, sondern ermöglicht Prozesse des selbstständigen Wissenserwerbs (vgl. Arnold 1993, S. 53). Die Didaktik des beruflichen Lehrens und Lernens wendet sich daher von Konzepten der Wissensvermittlung ab und geht hin zu Ansätzen zur Beförderung des Wissenserwerbs unter Berücksichtung von Gestaltungsprinzipien für Lernsituationen (vgl. Rebmann & Tenfelde 2008, S. 36).
Müller (2001, S. 18 ff.) hat hierzu folgende Empfehlungen zur Unterrichtsgestaltung aus konstruktivistischer Sicht zusammengestellt: Die Lehrkraft tritt im Unterricht eher als Anreger und Unterstützer von Lernprozessen auf, womit der Unterricht lernerorientiert wird. Folglich ändert sich auch die Schülerrolle. Sie sind nicht mehr in einer rezeptiven Position, sondern müssen selbstständig, aktiv und eigenverantwortlich in sozialen Gruppen den Lernstoff entdecken. Um die Motivation zu erhöhen, sollen die Schüler ein Mitspracherecht bei der Lernstoff- und Methodenauswahl haben. „Falsche“ Denkwege der Schüler gehören zum Lernprozess und werden nicht negativ bewertet. Das Vorwissen der einzelnen Schüler und der gesamten Klasse ist Ausgangslage jeden Unterrichts, an das neues Wissen angeknüpft werden kann. Die hierfür notwendigen Lernprozesse müssen innerhalb wesensgemäßer situierter Kontexte stattfinden. Diese sollen komplex, problemhaltig und möglichst realitätsnah sein. Um schließlich die Schüler dafür zu sensibilisieren, dass Wissen nicht objektiv gegeben, sondern von den Erfahrungen und Wahrnehmungen jedes Individuums abhängig ist, soll die interkulturelle Toleranz gefördert werden.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Ziel konstruktivistischer Überlegungen die Generierung von Wissen und, durch dessen Anwendung, die Entwicklung von Kompetenz ist. Im folgenden Abschnitt wird daher auf den Kompetenzbegriff eingegangen und das Verständnis der Kompetenzentwicklung erläutert.
Die Entwicklung eines konstruktivistischen Lernverständnisses hat sich auch auf die Bildungspolitik ausgewirkt, und ein Verständnis von Kompetenzentwicklung hat sich herausgebildet. Um dieses näher zu beleuchten, wird zunächst auf den Begriff der Kompetenz eingegangen. Für eine genauere Betrachtung des Kompetenzbegriffs ist eine Unterscheidung zwischen Kompetenzen und Qualifikationen grundlegend.
Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre wurde der Qualifikationsbegriff im Zusammenhang mit der Curriculumsdiskussion entwickelt (vgl. Edelmann & Trippelt 2007, S. 130; Elsholz 2002, S. 32). Der damalige Bildungsbegriff galt als zu ungenau, um standardisierte betriebliche und schulische Lehrpläne zu erstellen (vgl. Lisop 1998, S. 45). Somit wurde die berufliche Qualifikation um die Fähigkeiten der Flexibilität und der Selbstständigkeit auf breiter Berufsbasis erweitert (vgl. Edelmann & Trippelt 2007, S. 130). Demnach können Qualifikationen als Fertigkeiten, Kenntnisse und Wissensbestände, die im Hinblick auf das private, berufliche und gesellschaftliche Leben verwertbar sind, definiert werden. Sie werden sowohl durch die aktuellen Anforderungen als auch durch die Nachfrageprognosen bestimmt. Durch die Schwierigkeit, an zukünftigen Qualifikationsanforderungen teilzunehmen, resultiert eine zu kurzfristig angelegte Qualifikationspolitik, die eine Berufsorientierung erschwert (vgl. Elsholz 2002, S. 32). Aus dieser Kritik heraus ist der Kompetenzbegriff entstanden. Eine zentrale Definition von Kompetenz stammt von Weinert (1998, S. 23):
„Unter Kompetenzen versteht man die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.“
Im Gegensatz zu Qualifikationen werden Kompetenzen also aus der Perspektive des Subjekts betrachtet (vgl. Elsholz 2002, S. 32). Der Kompetenzbegriff umfasst auch die berufliche Qualifikation, erweitert diese aber um die Disposition (persönliche Voraussetzungen) zur Selbstorganisation, um insbesondere neue, nicht routinemäßige Aufgaben bewältigen zu können. Durch die Subjektbezogenheit ist Kompetenz an die Befähigung zu eigenverantwortlichem Handeln des Individuums in allen Handlungsebenen und Handlungssphären, also die berufliche, sowie die gesellschaftliche und die private, gebunden (vgl. Elsholz 2002, S. 32; Koch 2006, 214). Hierdurch wird der Handlungsbezug deutlich (vgl. Dehnbostel & Meister 2002, S. 11). Kompetenzlernen erfolgt demnach in allen gesellschaftlichen Bereichen, wobei die Resultate auf andere Aufgabenkreise übertragen werden können. Kompetenzen erwirbt der Mensch überall und jederzeit, womit die Idee des lebenslangen Lernens entstanden ist (vgl. Koch 2006, S. 214) und sich der Begriff der Kompetenzentwicklung herausgebildet hat.
Kompetenzentwicklung ist ein aktiver Prozess und erfordert ein hohes Maß an Selbststeuerung, da er nur begrenzt von außen zu beeinflussen ist (vgl. Dehnbostel 2007, S. 32). Er wird von Individuen überwiegend selbst gestaltet und entspricht dem konstruktivistischen Lernverständnis (s. Abschnitt 2.1.1). Im Prozess der Kompetenzentwicklung erweitern die Individuen ihre Kompetenzen durch die Einbettung ihrer bisherigen Erfahrungen in einen Kontext. Kompetenzen werden dadurch erlernt, aber sie sind nicht im klassischen Sinne lehrbar. Der Prozess kann jedoch durch entsprechend gestaltete Rahmenbedingungen unterstützt werden (vgl. Elsholz 2002, S. 35). Hierbei ist eine kontinuierliche Verschränkung von institutionellen und selbstorganisierten Lehr- und Lernphasen die Voraussetzung eines erfolgreichen Kompetenzerwerbs (vgl. Edelmann und Trippelt 2007, S. 133). Nach dem konstruktivistischen Lernverständnis sollten beide Formen des Lernens sowohl aktiv als auch sinnstiftend an vorheriges Wissen und vorhandene Kompetenzen anknüpfen. Zudem sollten die Rahmenbedingungen erkenntnisorientiertes und nutzungsbezogenes Lernen fördern und problembasierte Kontexte beinhalten. Um gleichzeitig Selbstverantwortung zu fördern und die Kontrolle von korrektem Wissen zu gewährleisten, muss Lernen sowohl selbstständig als auch angeleitet organisiert sein. Weiterhin sollte das Lernen nicht nur individuell, sondern auch kooperativ gestaltet sein, damit nicht ausschließlich die Individual- sondern auch die Sozialkompetenz gefördert wird (vgl. Weinert 1998, S. 35 f.). Wird diese Kompetenzentwicklung nun auf die berufliche Bildung übertragen, ist ihr Ziel die Verbesserung der individuellen Handlungsfähigkeit, welche durch die Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz abgebildet wird (vgl. Elsholz 2002, S. 37) und Gegenstand des nächsten Abschnitts ist.
Bereits im Berufsbildungsgesetz (BBiG) ist das Leitziel der beruflichen Bildung verankert, denn sie soll „durch die Vermittlung von Grundlagen für den Erwerb beruflicher Handlungsfähigkeit an eine Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf (heranführen)“ (BBiG, §1 Abs. 2, Fassung vom 23.03.2005). Der Begriff der Handlungsfähigkeit wird häufig mit Handlungskompetenz gleichgesetzt, welche durch die Ständige Konferenz der Kultusminister (KMK) definiert wird „als die Bereitschaft und Befähigung des Einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten“ (KMK 2011, S. 15). Der Bildungsauftrag der Berufsschule ist also die Vermittlung von berufsbezogenen, als auch berufsübergreifenden Handlungskompetenzen. Der Begriff der Handlungskompetenz bezieht sich demnach nicht nur auf die beruflichen Situationen, sondern umfasst zugleich die Dimensionen von Fach-, Human- und Sozialkompetenz, in denen jeweils die Methodenkompetenz, kommunikative Kompetenz und die Lernkompetenz mit eingeschlossen sind (vgl. KMK 2011, S. 15 f.). Diese durch die KMK vorformulierte Definition von Handlungskompetenz ist die Grundlage vieler entstandener Modelle der beruflichen Handlungskompetenz. Häufig werden in diesen Modellen die Kompetenzen in verschiedene Ausprägungsarten unterteilt. Da in der Berufspädagogik eine hohe Komplexität und Vernetzung der einzelnen Kompetenzen vorherrscht, ist eine solche Unterscheidung nicht sinnvoll und ein derartiges Modell nicht anwendbar (vgl. Rützel 2007, S. 2). Im folgenden Kreisstrukturmodell von Rebmann, Tenfelde & Uhe wird die Komplexität der beruflichen Handlungskompetenz erfasst und im weiteren Verlauf der Arbeit verwendet.
Das Kreisstrukturmodell von Rebmann, Tenfelde & Uhe (s. Abbildung 1) umfasst sowohl die berufsbezogenen, als auch die berufsübergreifenden Handlungskompetenzen. Darüber hinaus versteht es die berufliche Handlungskompetenz als sechs aufeinander bezogene Kompetenzen, welche stets im Zusammenhang betrachtet werden müssen.
Die Sach-, Gestaltungs- und Sozialkompetenz bilden hier die Kompetenzen erster Ordnung bzw. Komponenten ab, während die Methoden-, Abstraktions- und moralisch-ethische Kompetenz die Kompetenzen zweiter Ordnung bzw. Relationen darstellen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 : Kreisstrukturmodell beruflicher Handlung
(Quelle: Rebmann, Tenfelde & Uhe 2005, S. 119)
Die Sachkompetenz, auch als Fachkompetenz bekannt, umschreibt zunächst berufsspezifische Kenntnisse und Fähigkeiten, um im Arbeitsfeld sach- und fachgerecht zu handeln (vgl. Rebmann, Tenfelde & Uhe 2005, S. 117). Aber auch fächerübergreifendes Wissen und die Fähigkeit der Verknüpfung vergangener mit aktuellen Erfahrungen ist Teil der Sachkompetenz und bildet eine Kernkompetenz für wirtschaftliches Handeln in Betrieben ab (vgl. Klemisch, Schlömer & Tenfelde 2007, S. 10). Unter Gestaltungskompetenz wird hingegen die Fähigkeit verstanden, eigene Ideen und Konzepte im beruflichen Umfeld sachkompetent und an moralischen und ethischen Leitvorstellungen angelehnt umzusetzen. Diese wird erst durch eingeräumte Freiheitsgrade in der beruflichen Tätigkeit möglich (vgl. Klemisch, Schlömer & Tenfelde 2007, S. 11; Rebmann, Tenfelde & Uhe 2005, S. 117). Die dritte Komponente beruflicher Handlungskompetenz ist die Sozialkompetenz. Sie lässt sich allgemein als Fähigkeit zur situationsangemessenen Interaktion mit anderen Menschen umschreiben. Sie beinhaltet demnach Teamfähigkeit, Kooperationsfähigkeit, die Fähigkeit zum Konfliktmanagement und die fachsprachliche wie auch kommunikative Kompetenz (vgl. Klemisch, Schlömer & Tenfelde 2007, S. 11 f.). Durch sie wird die Entwicklung beruflichen Selbstbewusstseins gefördert (vgl. Rebmann, Tenfelde & Uhe 2005, S. 117).
Durch die Verknüpfung der drei oben genannten Komponenten lassen sich die Kompetenzen zweiter Ordnung identifizieren. Durch die Verknüpfung von Fach- und Gestaltungskompetenz wird die Methodenkompetenz generiert. Sie beschreibt die Fähigkeit, durch die Sachkompetenz die berufliche Praxis darstellen und erläutern zu können (vgl. Rebmann, Tenfelde & Uhe 2005, S. 116) und mittels der Gestaltungskompetenz diese Erfahrungs- und Wissensbasis zur Problemlösefähigkeit im beruflichen Alltag weiterzuentwickeln und anzuwenden (vgl. Klemisch, Schlömer & Tenfelde 2007, S. 12). Die zweite Relation, die moralisch-ethische Kompetenz, entsteht durch die Verbindung von der Gestaltungs- mit der Sozialkompetenz. Durch Gestaltungsaufgaben, die zugleich auch Gemeinschaftsaufgaben sind, können oft soziale Konflikte entstehen. Diese fordern einvernehmliche Lösungen, welche durch gemeinsam entwickelte Werte und Normen hervorgebracht werden (vgl. Klemisch, Schlömer & Tenfelde 2007, S. 13). Sie bezieht sich daher auf das Handeln, das sich an ethischen und moralischen Grundsätzen orientiert, z. B. Solidarität mit Schwächeren und Kritik an denen, die andere gesellschaftlich ausgrenzen, und befördert damit sowohl die Entfaltung eigener Wertvorstellungen, als auch die Ausrichtung beruflichen Handelns und Gestaltens an gemeinsamen Wertvorstellungen (vgl. Rebmann, Tenfelde & Uhe 2005, S. 117). Durch die Verknüpfung von Sozial- und Fachkompetenz entsteht die Abstraktionsfähigkeit. Sie umfasst die Fähigkeit zur sprachlichen Verallgemeinerung und zur sprachlichen Verständigung mit anderen (vgl. Rebmann, Tenfelde & Uhe 2005, S. 117). Die Abstraktionsfähigkeit macht es möglich, das Wissen anderer mit den eigenen Kenntnissen zu verbinden. Dadurch entsteht neues Wissen, welches zunehmend mit anderen geteilt werden kann (vgl. Klemisch, Schlömer & Tenfelde 2007, S. 14).
Die Abbildung 1 verdeutlicht, dass es sich bei der beruflichen Handlungskompetenz um ein kreisstrukturelles, geschlossenes Modell handelt. Das bedeutet, dass beim Verständnis von Handlungskompetenz sich die einzelnen Kompetenzen aufeinander beziehen und immer im Zusammenhang stehen müssen. Außenstehende, wie Lehrkräfte und Ausbilder, haben keine Möglichkeit, in den Prozess der Förderung der beruflichen Handlungsfähigkeit einzugreifen, um so berufliche Handlungskompetenz zu vermitteln. Dies ist darin begründet, dass es in kreisstrukturell geschlossenen Prozessen keinen Anfang und kein Ende und keine unabhängigen oder abhängigen Variablen gibt, die einer Beeinflussung unterlägen. Demzufolge ist es nur möglich, dieses kreisstrukturelle Gefüge als Ganzes, durch die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen, von außen anzuregen. Das Erlangen beruflicher Handlungskompetenz kann daher nur ermöglicht werden, wobei der eigentliche Erwerb vom Lerner selbst abhängt (vgl. Rebmann, Tenfelde & Uhe 2005, S. 118). An dieser Stelle wird die Verbindung zum Konstruktivismus deutlich, in dem auch der aktive selbstgesteuerte Lernprozess im Fokus steht (s. Abschnitt 2.1.1). Um diese Art des Lernprozesses zu ermöglichen, dient die Handlungsorientierung als Grundprinzip beruflicher Handlungskompetenz und wird im Folgenden näher beleuchtet.
Das Konzept der Handlungsorientierung ist eine Reaktion auf die verstärkte Forderung nach beruflicher Handlungskompetenz. Ein einheitliches Begriffverständnis von Handlungsorientierung besteht nicht, da aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Ansätzen verschiedene Konzepte entstanden sind. Eine grundlegende Theorie, auf die sich die Handlungsorientierung stützt, basiert auf der kognitiven Handlungstheorie (vgl. Berchtold & Stock 2006, S. 1). Hierzu hat Aebli „ein Konzept unter den Prämissen entwikkelt, dass Denken, Wissen und Können aus dem praktischen Handeln und Wahrnehmen entstehen und sich im Handeln wieder zu bewähren haben“ (Berchtold & Stock 2006, S. 2). In diesem Zusammenhang beruft er sich auf den konstruktivistischen Ansatz von Piaget. Dieser führt das Denken strukturell auf das Handeln zurück und sieht es zugleich als dessen Regulativ. Lernprozesse setzen demnach laut Aebli immer mit der Handlung ein, wodurch eine neue Handlung entsteht. Infolgedessen ergibt sich ein umfassendes Lernkonzept mit dem Rhythmus Handeln – Lernen – Handeln (vgl. Reetz & Seyd 2006, S. 238). Eine weitere grundlegende Theorie basiert auf der östlichen Tätigkeitspsychologie, wozu Hacker das Modell der vollständigen Handlung entwickelt hat (vgl. Bertold & Stock 2006, S. 2). Dieses Modell stellt die Handlung als zielgerichtete Informationsverarbeitung dar. Lernende müssen idealtypischerweise alle sechs Phasen der vollständigen Handlung durchlaufen, damit handlungsorientiertes Lernen möglich ist. Die sechs Phasen sind Informieren (Was soll getan werden?), Planen (Wie geht man vor?), Entscheiden (Welche Betriebsmittel oder Daten werden benötigt?), Ausführen (praktisches Durchführen oder gedankliches Nachvollziehen), Kontrollieren (Soll-Ist-Vergleich) und Bewertung (Reflexion) (vgl. Bader 2004, S. 63 f.). Hierbei ist die letzte Phase die entscheidende, denn ist das Resultat am Ende der Auswertung nicht befriedigend, muss der Lernende sich die Frage nach den Gründen seines Scheiterns stellen und nach Ursachen und Verbesserungsmöglichkeiten suchen. Der Prozess der vollständigen Handlung beginnt daraufhin erneut, jedoch auf einem anderen Niveau (vgl. Rebmann, Tenfelde & Uhe 2005, S. 183).
Allgemein anerkannte Merkmale handlungsorientierten Unterrichts liefern Kremer & Sloane (2001, S. 76). Zunächst bedeutet handlungsorientiertes Lernen ganzheitliches Lernen. Damit ist das Lernen in komplexen Handlungsvollzügen, also selbstständiges „Planen, Durchführen und Beurteilen von Arbeitsaufgaben“ (KMK 2011, S. 17) gemeint. Aber auch ein engerer Theorie-Praxis-Bezug und ein fächerübergreifender Unterricht ist Teil der Ganzheitlichkeit. Da handlungsorientierte Lehr-/Lernprozesse auf Problemlösungs- und Transferkompetenzen abzielen, dürfen sie sich nicht nur auf selbstständig entdeckendes Lernen beziehen, sondern müssen auch ein interaktions- und kooperationsbetontes Lernen beinhalten. Ein weiteres Merkmal ist die Lernerorientierung (vgl. Kremer & Sloane 2001, S. 76). Ein handlungsorientierter Unterricht verlangt, dass Schüler mit ihren konkreten Handlungen in den Vordergrund didaktischer Überlegungen rücken (vgl. Rebmann, Tenfelde & Uhe, S. 185). Hieraus resultiert ein hohes Maß an Binnendifferenzierung, wobei den Schülern die Fähigkeit zur Selbstorganisation und Selbstständigkeit abverlangt wird. Das letzte Merkmal ist die Metakommunikation, in der Schüler dazu befähigt werden sollen, ihr eigenes Denken und Handeln nachvollziehen zu können. (vgl. Kremer & Sloane 2001, S. 76).
Der bisherige Ansatz des Dualismus, in dem Denken und Handeln getrennt voneinander betrachtet wurden, findet hier keine Anwendung mehr. Zudem wird die in der traditionellen Didaktik vorherrschende Lehrerdominanz nun von der Schüleraktivierung abgelöst (vgl. Rebmann, Tenfelde & Uhe, S. 184 f.). Somit ist das Leitziel der beruflichen Bildung bzw. die berufliche Handlungskompetenz eine weitere Ursache für den Paradigmenwechsel zum Lernfeldkonzept.
Diese dargestellten Veränderungen in der beruflichen Didaktik machen deutlich, dass durch ein traditionell gestaltetes Curriculum lediglich träges Wissen vermittelt werden kann (vgl. Sloane 2000, S. 79). Damit Schüler dennoch handlungsfähig werden können, müssen die fachlichen Inhalte anhand von handlungssystematischen Strukturen, die zusammenhängend und praxisbezogen sind, vermittelt werden (vgl. Clement 2003a, S. 1). Auf diese Weise wird eine neue Ausrichtung des Verhältnisses von Fach- und Handlungssystematik erforderlich (vgl. Kremer 2003, S. 1), die im nächsten Abschnitt thematisiert wird.
Der traditionelle Grundgedanke der dualen Ausbildung ist, dass der Lernort Schule den theoretischen Wissensbestand vermittelt, welcher dann im Lernort Betrieb durch systematische praktische Arbeit erkundet und vertieft wird (vgl. Sloane 2000, S. 79). Bisher wurde im traditionellen Curriculum eine Trennung zwischen praktischem Handeln und theoretischer Orientierung vorgenommen, indem Lerninhalte und -ziele vorgegeben wurden (vgl. Sloane 2000, S. 82). Die vorherrschende Grundfrage lautet: Was soll gelernt werden? Sie drückt die Verbindlichkeit der Fachinhalte aus und ist gleichzeitig Ausgangspunkt der Fachsystematik (vgl. Tenberg 2006, S. 205; Sloane 2000, S. 82). Hierzu wird festgelegt, welche nach Schulfächern geordneten Lehrinhalte in der beruflichen Erstausbildung zu vermitteln sind (vgl. Clement 2003a, S. 1). Sie werden durch die Fachkompetenz der unterrichtenden Lehrkraft abgebildet, die ihr Wissen an die Schüler weitergibt. Da eine Vermittlung ihres gesamten Wissens zu dem Lerngegenstand unmöglich ist, muss eine didaktische Reduktion hinsichtlich der relevanten Inhalte und der Fähigkeiten der Schüler vorgenommen werden (vgl. Tenberg 2006, S. 202). Dazu ist die Sequenzierung und Vermittlung der Inhalte an der Fachsystematik ausgerichtet, denn sie werden i. d. R. vom Einzelnen zum Komplexen angeordnet (vgl. Clement 2003a, S. 2). Die Ausrichtung des Berufsschulunterrichts nach Fächern ist auch als Organisations- und Strukturprinzip relevant. So haben Schulfächer wesentlichen Einfluss auf die Lehrerausbildung, Stundentafeln, Raumverteilungspläne und Lehrmittelproduktion. Schulfächer werden zudem als anerkanntes transparentes Ordnungsmuster angesehen, um bereits erbrachte Leistungen in anderen Bildungsgängen anzurechnen bzw. den Übergang in einen solchen zu erleichtern (vgl. Clement 2003b, S. 11).
Als problematisch wird jedoch die Durchlässigkeit der Fachgrenzen angesehen. Eine Trennlinie zwischen fachtheoretischem und fachpraktischem sowie fachtheoretischem und allgemeinbildendem Unterricht ist nur schwierig zu ziehen. Obwohl „die theoretischen Fächer der Berufsschule inhaltlich unscharfe, häufig bewusst und künstlich gesetzte Grenzen zu ihren Nachbarfächern aufweisen“ (Clement 2003a, S. 3 f.), wurde der berufsschulische Unterricht in Form von Fächern geordnet. Dies ist zum einen auf die traditionelle Form der Schule, die schon seit jeher eine Fächerstruktur aufweist, zurückzuführen. Damit die beruflichen Schulen im Bildungswesen anerkannt wurden, war eine Fächeraufteilung der Inhalte unerlässlich. Zum anderen waren die ersten Lehrer an Berufsschulen Volksschullehrer, deren Ausbildung und Selbstverständnis sich an Fächern orientierte (vgl. Clement 2003a, S. 4). Eine fachsystematische Unterrichtsweise an Berufsschulen richtet sich also stark an den Wissenschaftsdisziplinen aus und vernachlässigt den Bezug zum späteren Berufsleben der Schüler (vgl. Sloane 2000, S. 79). Folglich haben Schüler oft Probleme sich zu motivieren, denn sie sehen keinen Sinn darin, sich Wissen anzueignen, das für sie in keiner Verbindung zu ihrem Berufsfeld steht. Um die Distanz zwischen Fach und Lebens- bzw. Berufsbezug zu überwinden, erfordert es eine gewisse Abstraktionsleistung. Diese ist den Schülern oft nicht möglich, wodurch ihre Motivation weiter sinkt (vgl. Bruchhäuser 2001, S. 329 f.). Hiermit verbunden ist auch die Problematik der fehlenden Transferfähigkeit. Die Folge einer fachorientierten Unterrichtsweise ist die Aneignung trägen Fachwissens, welches nicht auf betriebliche Anwendungssituationen übertragen werden kann. Schüler erwerben lediglich nicht zwingend handlungsrelevantes explizites Wissen, das nur auf Prüfungen abzielt, wobei Arbeitsprozesswissen in keiner Weise vermittelt wird (vgl. Sloane 2000, S. 79). Mit anderen Worten bedeutet dies, dass mit einem fachsystematischen Curriculum keine berufliche Handlungskompetenz befördert werden kann. Hieraus wurde die Forderung nach einem schülerorientierten und fächerübergreifenden Unterricht laut, welcher dem Prinzip der Handlungsorientierung folgt (vgl. Sloane 2000, S. 80) und durch eine Handlungssystematik geschaffen werden kann.
Ein handlungssystematisch ausgerichtetes Curriculum zeichnet sich dadurch aus, dass es auf Handlungssituationen aus der voraussichtlichen Berufspraxis der Schüler ausgerichtet ist (vgl. Clemens 2003b, S. 13). Die Ausgangsfrage lautet: Was muss getan werden, um etwas Bestimmtes zu lernen? Im Gegensatz zur Fachsystematik, in der einzelne Themen aufgegriffen und entsprechend bestimmter Bezugspunkte systematisiert werden, werden hier berufliche Handlungen bzw. Prozesse übernommen und aufbereitet (vgl. Tenberg 2006, S. 205). Aus einer Analyse des späteren Tätigkeitsfeldes werden Lehrinhalte abgeleitet und in eine logische Handlungsfolge geordnet. Wissen wird nicht mehr schrittweise systematisch vermittelt, sondern in berufstypischen, komplex angelegten Situationen befördert (vgl. Clement 2003b, S. 13). Sie ermöglicht den Lernenden sich Wissen induktiv in einem Entdeckungs- und Erkundungsprozess anzueignen, was sich wiederum mit dem Prinzip des handlungsorientierten Lernens deckt (vgl. Sloane 2000, S. 79 f.). Da berufliche Handlungsprozesse zuweilen sehr umfangreich sein können, besteht die Möglichkeit, sie in einzelne Handlungssequenzen zu unterteilen. Wenn die Schüler die verschiedenen Handlungssequenzen durchlaufen haben, können sie wieder als Gesamtprozess zusammengefügt werden (vgl. Tenberg 2006, S. 206). Aber die Handlungssystematik wird nicht nur zum Relevanz-, sondern auch zum Ordnungsprinzip des Lehrplans. Durch einen nach Handlungssituationen ausgerichteten Lehrplan gerät die gesamte Schulorganisation in Bewegung (vgl. Clemens 2003b, S. 13). Dies betrifft neben der Konstruktion von Stundentafeln, den Raumverteilungsplänen und der Lehrmittelproduktion auch die Lehreraus- und -fortbildung und ihre Rolle innerhalb des Unterrichts und der Schulorganisation (s. Abschnitt 2.4).
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass im Wandel von der Fach- zur Handlungssystematik die Fächerstruktur, die von angestrebten Lernzielen und -inhalten ausgeht, zugunsten einer Gliederung nach Handlungssituationen aufgelöst wird, in der die Lernziele und -inhalte erst nach ihrer Analyse festgelegt werden (vgl. Clement 2003b, S. 13; Tenberg 2006, S. 209). Der Unterschied dieser beiden Lernsysteme liegt in der Anordnung des Wissens und dessen Vermittlung (vgl. Clement 2003a, S. 9). Daneben kann die Handlungssystematik nicht als die alleinige Lernsystematik bestehen. Es soll zwar auf eine fachsystematische Vollständigkeit verzichtet werden, „nicht jedoch auf die Vermittlung von Überblick und Systematik“ (Pätzold 2000, S. 124). Somit muss das handlungssystematisch erworbene Wissen anschließend anhand fachwissenschaftlicher Merkmale gegliedert und systematisiert werden. Beide Systematiken sind wichtig, lediglich die Ausrichtung ihres Verhältnisses hat sich verändert (vgl. Tenberg 2006, S. 209 f.). Ein weiterer Aspekt der Handlungssystematik ist, dass davon ausgegangen wird, dass die Inhalte der beiden Lernorte Schule und Betrieb unmittelbar mit konkreten betrieblichen Handlungsfeldern verbunden werden können (vgl. Rebmann, Tenfelde & Uhe 2005, S. 191). Dieser Zusammenhang wird durch das Lernfeldkonzept abgebildet, welches im nächsten Abschnitt erläutert wird.
Die oben dargestellten konstruktivistischen Vorstellungen über den Wissenserwerb „korrespondieren sehr eng mit dem Grundgedanken des Lernfeldkonzepts, SchülerInnen Theoriewissen im Zusammenhang mit beruflichen Handlungen bzw. Prozessen erschließen zu lassen“ (Tenberg 2006, S. 79). Aufgrund der Kritik mangelnder Verzahnung der Unterrichtsinhalte mit den konkreten betrieblichen Anforderungen und der daraus resultierenden fehlenden Handlungsorientierung (vgl. Abschnitt 2.2), hat die KMK 1996 das Lernfeldkonzept entwickelt, nach dem sich die Rahmenlehrpläne4 ausrichten (vgl. Rebmann, Tenfelde & Uhe 2005, S. 191). Der Dualismus wurde aufgehoben (vgl. Steinemann & Gramlinger 2003), und an die Stelle einer traditionellen Fächerorganisation tritt hier eine handlungslogische Vorstrukturierung durch Lernfelder. Sie ist als didaktische Aufbereitung beruflicher Handlungsfelder zu verstehen (vgl. Bader 2000, S. 42), wodurch ein fächerübergreifender Lehrplan entsteht (vgl. Beckheuer 2001, S. 7). Dieser ist durch eine stärkere Offenheit geprägt, um auf Entwicklungen in der Wirtschaft, der Branche oder der Region schneller reagieren zu können (vgl. Beckheuer 2001, S. 9).
Die Struktur der Lernfelder hat sich mit der neuen Handreichung im September 2011 geändert. Alle Inhalte und Ziele sind in einem Volltext mit Absätzen und unter Berücksichtigung der Phasen der vollständigen Handlung und der Teilkompetenzen der beruflichen Handlungskompetenz dargestellt. Da aber bisher noch kein Ausbildungsberuf auf diese neue Struktur umgestellt werden konnte, liegt dieser Arbeit die Lernfeldstruktur aus der Handreichung aus September 2007 (vgl. KMK 2007) zugrunde. Lernfelder sind hier durch Zielformulierungen im Sinne von beruflicher Handlungskompetenz und ihnen zugeordneten Inhaltsangaben angelegt. In den Zielformulierungen wird angegeben, welche Qualifikationen und Kompetenzen die Schüler am Ende des Lernfeldes beherrschen sollen (vgl. Middendorf 1998, S. 8). Die Inhaltsangaben ersetzen die bisher teilweise sehr detaillierten Inhaltskataloge der Rahmenlehrpläne mit einer exemplarischen, weiter gefassten und vielmehr übergreifenden Ausrichtung auf einem höheren Abstraktionsniveau (vgl. Riedl & Schelten 2006, S. 3). Für jedes Lernfeld sind Zeitrichtwerte von i. d. R. 40, 60 oder 80 Unterrichtsstunden festgesetzt (vgl. KMK 2007, S. 20). Die im Präsens geschriebenen und kompetenzbasierenden Zielformulierungen mit ihren Zeitrichtwerten und der inhaltlichen Unterfütterung stellen eine outcome-Perspektive dar, wo vorher traditionelle Lehrpläne input-orientiert waren (vgl. Sloane 2004, S. 31).
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Abbildung 2 : Lernfeldkonstruktion
(Quelle: eigene Darstellenung nach Pätzold 2000, S. 125)
Einen Gesamtüberblick über den Zusammenhang von der beruflichen Handlungskompetenz bis hin zur Lernsituation im Unterricht bietet die Abbildung 2. Hier wird deutlich, dass aus dem Leitziel der beruflichen Handlungskompetenz, in Verbindung mit der Handlungsorientierung (s. Abschnitt 2.1.3), berufliche Handlungsfelder abgeleitet werden. Um hieraus Lernfelder zu formen, dürfen aber nicht nur berufliche Handlungsfelder im engeren Sinne berücksichtigt werden, sondern es müssen auch die Handlungsfelder aus der individuellen und gesellschaftlichen Lebensumwelt mit einbezogen werden (vgl. Riedl & Schelten 2006, S. 4). Schließlich findet eine Konkretisierung der Lernfelder durch Bildungsgangkonferenzen5 statt. In diese werden, unter vorrangiger Berücksichtigung der Handlungssystematik, konkrete Lernsituationen für den Unterricht formuliert (vgl. Pätzold 2000, S. 125). Einen genaueren Einblick in diese Abläufe bietet der folgende Abschnitt.
Der Weg vom Leitziel der beruflichen Bildung, das Erlangen von beruflicher Handlungskompetenz, hin zur Gestaltung von konkreten Lernsituationen, ist ein langer und komplexer. Grundlage für die Umgestaltung des fachorientierten Curriculums zu einem handlungsorientierten ist die Bestimmung und Abgrenzung von Handlungsfeldern, die zur Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz der Schüler beitragen (vgl. Kremer & Sloane 2000, S. 171). Als mögliches Vorgehen für die Auswahl von beruflichen Handlungsfeldern kann die Arbeits- und Geschäftsprozessorientierung dienen (vgl. Riedl & Schelten 2006, S. 5; Sloane 2000, S. 81). Zusätzlich zur Orientierung an den betrieblichen Anwendungsfeldern müssen sich die zu bestimmenden Handlungsfelder auch am individuellen und gesellschaftlichen Lebensraum der Schüler ausrichten (vgl. Kremer & Sloane 2000, S. 171). Handlungsfelder können hier also definiert werden als untrennbare Aufgabenkomplexe, in denen berufliche sowie lebens- und gesellschaftsbedeutsame Handlungssituationen verknüpft sind (vgl. Bader 2000, S. 42) und die problemorientiert formuliert werden sollten (vgl. Sloane 2001, S. 198). Durch eine didaktische Reflexion und Aufbereitung dieser Handlungsfelder werden Lernfelder abgeleitet (vgl. Kremer & Sloane 2000, S. 171), in denen verschiedene betriebliche Aufgabenstellungen zusammengefasst werden (vgl. Bader 2000, S. 42). In welcher Weise die Handlungsfelder in Lernfelder transformiert werden, bestimmen deren Bedeutung für die Gegenwart und die Zukunft, deren exemplarische Bedeutung und die thematische Struktur (vgl. Riedl & Schelten 2006, S. 6). Um die Lernfelder endgültig in den Rahmenlehrplan aufzunehmen, muss noch eine Rückkopplung zum Handlungsfeld stattfinden, indem geprüft wird, inwiefern dieses Lernfeld dazu beiträgt berufliche Handlungskompetenz zu fördern (vgl. Riedl & Schelten 2006, S. 6). Diese zweiseitige Abhängigkeit wird in der Abbildung 3 deutlich.
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Abbildung 3 : Zusammenhang zwischen Handlungsfeld, Lernfeld und Lernsituation
(Quelle: Sloane 2000, S. 81)
Da die Formulierung der Lernfelder sehr abstrakt ist (s. Abschnitt 2.3.1), bedürfen sie der weiteren Ausgestaltung durch Bildungsgangteams. Diese Konkretisierung findet in Form von didaktisch konstruierten Lernsituationen statt (vgl. Muster-Wäbs & Schneider 2001, S. 45). Hierzu werden handlungsorientierte Lehr-/Lernarrangements entwickelt (s. Abbildung 3), um fachtheoretische Inhalte in einen exemplarischen Anwendungszu-sammenhang zu bringen (vgl. Riedl & Schelten 2006, S. 7). Somit wird eine Beziehung zwischen fachtheoretischen Inhalten und betrieblicher Anwendung hergestellt (vgl. KMK 2007, S. 18). Grundsätzlich findet sich in diesem Konzept die Verschiebung von der Fachsystematik zur Handlungssystematik wieder, dennoch ist die situierte Vermittlung von Fachtheorien in den Lernsituationen unverzichtbar (vgl. Sloane 2000, S. 81). Hierbei wird auch in der Abbildung 3 deutlich, dass das Lernfeldkonzept keinesfalls „fachtheorielos“ ist, sondern lediglich eine Reorganisation des Fachwissens stattfindet (vgl. Kremer & Sloane 2000, S. 173). Bei der Konkretisierung durch Lernsituationen muss mindestens eine Zielformulierung des Lernfelds aufgegriffen werden. Idealerweise sollten die Lernsituationen thematisch miteinander verbunden sein, damit übergreifend von einem Lernfeld gesprochen werden kann (Buschfeld 2003, S. 9). Auch hier findet wieder eine Rückkopplung von der Lernsituation zum Handlungsfeld statt, denn das Ziel ist die Förderung transferfähigen Wissens. Es muss also überprüft werden, ob die Lernsituation die Schüler dazu befähigt, potenzielle berufliche, wie auch lebens- und gesellschaftsbedeutsame Problemsituationen zu bewältigen (vgl. Riedl & Schelten 2006, S. 7). Nach Döring und Waibel (2001, S. 13) gibt es einige Kriterien, die eine Lernsituation erfüllen sollte. Muss-Kriterien sind hierbei die Wissensbasierung, die Lernziel-, Prozess-, Kontext- und Relevanzorientierung sowie die Authentizität. Darüber hinaus sollten sie sozial orientiert sein, selbstgesteuertes oder kooperatives Lernen begünstigen und Formen der Selbstevaluationen fördern.
In Bezug auf die Aufgaben der Lehrkräfte lässt sich der Wandel zum Lernfeldkonzept wie folgt zusammenfassend darstellen: Im traditionellen Curriculum gibt es eine Verbindlichkeit der Fachinhalte, Inhalte und Ziele sind also vorgegeben. Die Lehrenden haben die Aufgabe der didaktischen Ausgestaltung des Lehr-/Lernarrangements. Im Gegensatz dazu werden im lernfeldstrukturierten Curriculum zum Teil verbindliche Standards vorgegeben, die den Unterricht organisieren (vgl. Sloane 2000, S. 82). Die Lehrenden haben hier die Freiheit, über die relevanten Inhalte zur Förderung beruflicher Handlungskompetenz und der konkreten didaktischen Ausgestaltung zu entscheiden (vgl. Sloane 2000, S. 82; Bader 1998, S. 73). Das bedeutet, dass die curriculare Präzisierung der Lehrpläne an die Schule verlagert wird (vgl. Bader 1998, S. 73). Durch diese Wende in der beruflichen Bildung wird klar, dass sich auch die Lehrerrolle einem Wandel unterziehen muss. Welche Faktoren dabei ins Gewicht fallen und welche Probleme auftauchen können, wird im Folgenden erörtert.
Die oben dargestellte Offenheit lernfeldorientierter Curricula verlangt einen Perspektivenwechsel von Schulen und somit auch von den Lehrenden. Lehrkräfte befinden sich nicht mehr in der Situation, die im traditionellen Curriculum vorgegebenen Inhalte und Ziele umzusetzen, sondern sie werden selbst zu Entwicklern und Gestaltern von Lehrplänen (vgl. Sloane 2001, S. 193). Das bedeutet, sie müssen schulorganisatorisch tätig werden und vermehrt in Lehrerkooperationen arbeiten (vgl. Sloane 2004, S. 43), um gemeinsam in Teams offene Unterrichtskonzepte zu planen und zu gestalten (vgl. Müller & Heller o. J., S. 12). Weiterhin müssen diese curricularen Produkte evaluiert werden, um somit eine stetige Verbesserung zu gewährleisten (vgl. Sloane 2000, S. 83). Zusätzlich hat sich die Lehrerrolle durch die konstruktivistische und handlungssystematische Ausrichtung der berufsschulischen Didaktik von einem reinen Wissensvermittler abgewandt (Rebmann & Tenfelde 2008, S. 35). Da durch die verstärkte anwenderorientierte Perspektive der Lerner in den Mittelpunkt des Unterrichts verlagert wird, rückt die gesamte Lernsituation in den Fokus. Lehrkräfte werden nun zu Gestaltern von Lernumgebungen und arrangieren Situationen, die den Erwerb von beruflicher Handlungskompetenz durch individuelle Aktivitäten und kooperative Formen ermöglicht (vgl Isler 2011, S. 44). Folglich verzichtet die Lehrkraft auf eine starke Steuerung des Unterrichts (vgl. Konrad & Traub 1999, S. 45). Sie richtet ihr Verhalten vielmehr auf den Lernprozess der Lernenden und nimmt somit die Rolle des Beraters oder Orientierungsgebers ein, indem sie die Lernenden immer wieder mit neuen Perspektiven und Problemen konfrontiert und sie so zur Rekonstruktion und folglich zum Aufbau ihres Wissens anregt (vgl. Lang & Pätzold 2009, S. 2; Rebmann & Tenfelde 2008, S. 35).
Lehrkräfte nehmen nun mindestens eine Doppelrolle ein: Einerseits agieren sie als Experten in ihren Fachgebieten und andererseits als „lernerorientierte Moderatoren der Wissens- und Handlungskonstruktion“ (Reich 2006, S. 26). Da die Lehrkraft sich zugleich zurückhaltend und abwartend, als auch helfend und initiierend verhalten soll, verlangt das neue Rollenverständnis ein hohes Maß an Kompetenz (vgl. Konrad & Traub 1999, S. 45) sowohl auf dem fachlichen, als auch auf dem pädagogischen Gebiet (vgl. Klauser 1999, S. 322). Diese Kompetenzanforderungen können daher zum einen im Unterricht, zum anderen in der Schulorganisation gefordert sein. In den beiden folgenden Abschnitten werden die veränderten unterrichtlichen und auch schulorganisatorischen Anforderungen an die Lehrkräfte erörtert. Da die Lehrerkompetenz auch eine berufliche Handlungskompetenz ist (vgl. Sloane 2004, S. 38), wird bei den folgenden Ausführungen auf die Teilkompetenzen beruflicher Handlung6 (s. Abschnitt 2.1.3.2) eingegangen.
Im Zuge der handlungsorientierten Ausrichtung des Unterrichts haben Lehrkräfte die Aufgabe, Lernumgebungen zu schaffen, womit ihrer Gestaltungskompetenz einen hohen Stellenwert zugeschrieben wird. Im Lernfeldansatz stehen die Schüler mit ihren Lernprozessen in diesen gestalteten Lernumgebungen im Mittelpunkt, wodurch der Unterricht nicht mehr genau inhaltlich und zeitlich planbar ist. Durch den erhöhten Handlungsspielraum der Schüler können im Unterricht unvorhersehbare Situationen und Probleme entstehen oder detaillierte Fragen gestellt werden, worauf die Lehrkraft angemessen reagieren muss. Diese Flexibilität im Unterricht erfordert eine erhöhte Fachkompetenz der Lehrkräfte (vgl. Riedl & Schelten 2006, S. 21). Zusätzlich erfordern diese spontanen Interaktionen eine hohe Abstraktionsfähigkeit, um Fachwissen, das zu Beginn der Unterrichtsstunde nicht behandelt werden sollte, aber durch die Lernenden dennoch gefordert wird, sinnvoll sprachlich verallgemeinern zu können.
Die Erkenntnis, dass Wissensaneignung subjektbezogen ist (s. Abschnitt 2.1.1), macht es notwendig, im Unterricht eine Binnendifferenzierung vorzunehmen. Das bedeutet, dass alle Schüler zum Lernen angeleitet werden, die Leistungsstarken gleichermaßen wie die Leistungsschwachen. Hier spielt die individualdiagnostische Kompetenz der Lehrkraft eine große Rolle (vgl. Gudjons 2006, S. 49). Sie muss die unterschiedlichen Lerngeschwindigkeiten und -stile der Schüler berücksichtigen (vgl. Riedl & Schelten 2006, S. 20), wobei eine hohe Gestaltungskompetenz seitens der Lehrkräfte gefordert ist. Weiterhin drückt sich die Heterogenität der Lerner nicht nur in der Art und Weise des Lernens aus, sondern auch durch eine Vielfalt der Kulturen und Interessen (vgl. Schratz & Schrittesser 2011, S. 193). Dadurch, dass im Lernfeldkonzept eine Interaktion zwischen den Schülern, aber auch zwischen den Schülern und der Lehrkraft stattfindet, müssen diese Unterschiede berücksichtigt werden, wodurch die moralisch-ethische Kompetenz der Lehrkraft gefragt ist. Sie fungiert als Gestalter einer emotionalen Lernatmosphäre (vgl. Gudjons 2006, S. 48). Sie bringt den Schülern Akzeptanz, Empathie und Toleranz entgegen (vgl. Konrad & Traub 1999, S. 45) und baut so ein weitestgehend partnerschaftliches Verhältnis zu den Schülern auf, wobei zusätzlich zur moralisch-ethischen Kompetenz auch die Sozialkompetenz notwendig ist. Aber auch das notwendige erzieherische Engagement spiegelt sich in der Sozialkompetenz wider (vgl. Riedl & Schelten 2006, S. 41). Ein weiterer Aspekt, welcher die Lernatmosphäre beeinflusst, ist die Feedback-Bereitschaft der Lehrkraft. Sie wird der neuen Rolle als Lernprozessberater gerecht, indem sie ständig ihr Beratungsverhalten verbessert und den Schülern gegenüber kritikfähig ist (vgl. Gudjons 2006, S. 48 f.), was sich wieder in der moralisch-ethischen Kompetenz widerspiegelt.
Zur Sozialkompetenz gehört auch die Fähigkeit zum Konfliktmanagement. Da im Lernfeldkonzept die Schüler verstärkt in sozialen Situationen agieren sollen (vgl. Riedl & Schelten 2006, S. 20), sind Konflikte vorprogrammiert. Hierbei ist ein Konfliktmanagement und somit eine ausgeprägte Sozialkompetenz unabkömmlich. Die Methodenkompetenz hat ebenfalls an Wichtigkeit gewonnen, denn im Lernfeldansatz sind bestimmte Standards vorgegeben, z. B. die Handlungsorientierung. Infolgedessen wird die Lehrkraft dazu angehalten, Methoden im Unterricht einzusetzen, die berufliche Handlungskompetenz fördern (vgl. Gudjons 2006, S. 46). Damit ist aber kein einseitiger Einsatz von kooperativen und selbstgesteuerten Formen gemeint. Die Lehrkraft muss situationsgerecht auch gesteuerte Verfahren einsetzen, z. B. wenn alle Schüler in der gleichen Situation Probleme aufweisen (vgl. Dubs 2001, S. 62). Hierbei wird die Verbindung zwischen Methoden- und Gestaltungskompetenz deutlich.
Diese Kompetenzanforderungen waren natürlich schon vor der Lernfeldentwicklung vorhanden, wurden jedoch durch den Perspektivenwechsel im Unterricht noch einmal verstärkt. Dieser erhöhte Anspruch an die berufliche Handlungskompetenz setzt sich auch in der Schulorganisation fort, was im Folgenden erläutert wird.
Die Sachkompetenz war schon immer ein wichtiger Bestandteil der Lehrerkompetenz, zumal zunächst die Fachsystematik im Vordergrund stand. Durch den Wandel zur Handlungssystematik und hin zum Lernfeldkonzept tritt die Sachkompetenz keinesfalls in den Hintergrund. Das Gegenteil ist der Fall: Durch neue Handlungsspielräume können die Lehrkräfte selbst über relevante Inhalte entscheiden (s. Abschnitt 2.3.2), was ein breites Spektrum an Fachwissen voraussetzt. Das bedeutet, dass Lehrkräfte in ihrer Rolle als Curriculumentwickler in der Lage sein müssen, „das Berufsfeld aus einer wissenschaftlichen Perspektive zu durchdringen und Entwicklungen in der Praxis und der Wissenschaft zu verfolgen und zu beurteilen“ (Steinmann & Gramlinger 2003, S. 5). Die Lehrkräfte müssen sich also stärker über aktuelle Veränderungen in ihrem Berufsfeld informieren (vgl. Sloane 2004, S. 39), wodurch die Fachkompetenz enorm an Bedeutung gewonnen hat (vgl. Kremer & Sloane 2001, S. 26). Hierzu ist neben der Fachkompetenz zunächst die eigene Methodenkompetenz gefragt, um effektives Wissen zu erzeugen. Weiterhin ist auch die Abstraktionskompetenz gefordert, um das neue Wissen aus Praxis und Wissenschaft mit dem eigenen Wissen zu verknüpfen. Anschließend wird dieses im Dialog mit den Kollegen präzisiert und eine differenzierte Fachsprache entwickelt, welche bedeutend für die Diskursfähigkeit mit Kollegen und Schülern ist (vgl. Schratz & Schrittesser 2011, S. 192).
Durch die Einführung des Lernfeldkonzepts findet eine Verschiebung des Fachlehrerprinzips statt, wodurch die einzelne Lehrkraft nicht mehr Experte für ein spezielles Fach ist, sondern in Kooperation mit anderen Lehrkräften bestimmte Lernfelder abdeckt. Eine gute Abstimmung ist dabei zwingend notwendig (vgl. Riedl & Schelten 2006, S. 8). Durch die Verlagerung der Präzisierung der Lehrpläne auf die Schulen müssen Arbeitsgruppen bzw. Bildungsgangteams gebildet werden, die in Teamarbeit die jeweiligen Lehrpläne und Lernsituationen ausarbeiten (vgl. Sloane 2001, S. 192). Um eine erfolgreiche didaktische Angleichung des offenen Curriculums an die spezifischen Bedingungen der Region zu erreichen, muss eine ausreichende Fachkompetenz vorliegen, um dann mithilfe der Gestaltungskompetenz konkrete Lernsituationen zu formulieren. Da die Lehrkräfte hier aber nicht mehr als „Einzelkämpfer“ agieren, sondern ein Prozess der Abstimmung stattfindet, wird eine hohe Sozialkompetenz gefordert (vgl. Sloane 2004, S. 194). Diese Sozialkompetenz drückt sich sowohl in der Fähigkeit zur Teamarbeit und Kooperation aus, als auch in der Konfliktfähigkeit, denn in teamorientierten Arbeiten sind Konfliktsituationen unvermeidbar. Für eine optimierte Zusammenarbeit ist aber auch eine offene Kommunikation mit einer tragfähigen Vertrauensbasis erforderlich (vgl. Pätzold 2003, S. 47). Hierzu müssen Lehrkräfte ihre eigenen Auffassungen mit denen der anderen zu einer in den Kernaspekten konsensfähigen gemeinsamen Vorstellung über die Lehrplanarbeit und zu einem gemeinsamen Menschenbild fassen (vgl. Drees & Pätzold 2002, S. 89; Sloane 2004, S. 47). Dies erfordert eine Bereitschaft zur Selbstkritik und die Fähigkeit zur Selbstreflexion (vgl. Pätzold 2003, S. 47). Die Aspekte, die die Gestaltung gemeinsamer Wertvorstellungen und die Kritikfähigkeit betreffen, werden durch die moralisch-ethische Kompetenz abgebildet, wohingegen die Selbstreflexionsfähigkeit durch die Methodenkompetenz abgebildet wird. Die Lehrkräfte sind hierbei forschende Experten mit einer kritischen Distanz zum eigenen Handeln (vgl. Schratz & Schrittesser 2011, S. 192; Sloane 2004, S. 45), „die ihren Alltag untersuchen; sie erproben neue Verfahren, überprüfen diese kritisch und verbessern so stetig ihre eigene Arbeitssituation“ (Sloane 2004, S. 45). Sie entwickeln hierdurch ein berufliches Selbstbewusstsein und erweitern gleichzeitig ihre Sozialkompetenz (vgl. Rebmann, Tenfelde & Uhe 2005, S. 117; Schratz & Schrittesser 2011, S. 193).
Diese erhöhten Anforderungen an die Lehrkräfte gehen nicht ohne Umsetzungsschwierigkeiten einher. Daher wird im folgenden Abschnitt dargelegt, welche bisher bekannten Hindernisse bei der Umsetzung des Lernfeldkonzepts aufgetreten sind.
Bei der Implementierung des Lernfeldansatzes traten bisher verschiedene Probleme auf, die die Umsetzung der veränderten Lehrerrolle erschwerten. Da bestimmte Aspekte oftmals sowohl Schwierigkeiten bei der unterrichtlichen, als auch bei der schulorganisatorischen Realisierung der neuen Lehrerrolle hervorrufen, wird an dieser Stelle auf eine strikte Unterteilung in diese beiden Bereiche verzichtet.
Der entscheidende Faktor für das Gelingen oder Misslingen von Innovationen im Schulalltag ist die Lehrkraft selbst. Das veränderte Curriculum in der beruflichen Bildung und der damit verbundene Perspektivenwechsel ruft Unsicherheiten und somit Widerwillen und Umsetzungsschwierigkeiten bei den Lehrkräften hervor. Über Jahrzehnte wurden sie zu einer sehr engen fachlichen Umsetzung des Lehrplans gedrängt, wodurch das neue Curriculum als nicht verbindlich genug angesehen wird (vgl. Sloane 2004, S. 34 f.). Hierdurch hat sich ein Selbstverständnis der Lehrkräfte entwickelt, welches die Umsetzung der neuen Lehrerrolle erheblich erschwert, denn sie definieren sich häufig über ihre Fachkompetenz und setzen dieses mit dem Expertentum gleich. Das bedeutet, dass sie sich in einem fachsystematisch vorgegebenen Curriculum auf bestimmte Fächer oder Nischen spezialisiert und den Gesamtzusammenhang aus den Augen verloren haben (vgl. Kremer & Sloane 2001, S. 26). Durch die Lernfeldstruktur und die damit verbundene Fächerintegration müssen sich die Lehrkräfte auch mit anderen fachlichen Gebieten auseinandersetzen, um die Lerninhalte zu präzisieren. Dieser Prozess ist bei den Lehrkräften oft mit Angst verbunden (vgl. Sloane 2001, S. 193 f.). Gleichzeitig bedeutet diese zusätzliche Wissensaneignung auch eine erhöhte Belastung für die Lehrenden, wodurch wiederum die Qualität des Unterrichts leiden kann (vgl. Kremer 2003, S. 9). Hinzu kommt, dass das Wissen aus den Büchern nicht ausreicht, um den Übergang zum interdisziplinären Unterricht in Lernfeldern zu sichern (vgl. Dubs 2000, S. 23). Den Lehrkräften fehlt die nötige Praxiserfahrung, um für die Schüler einen Handlungszusammenhang herzustellen (vgl. Beckheuer 2001, S. 17).
Ein weiterer Punkt, der die Fächerintegration betrifft, ist, dass Absprachen und gemeinsame Planung oft nicht stattfinden, da sie zum einen zu zeitaufwändig sind (vgl. Muster-Wäbs & Schneider 2001, S. 49) und zum anderen von vielen Lehrkräften als nicht-zielführend erachtet werden. Durch die individualisierte Lehrtätigkeit wird Lehrerkooperation nur dann als notwendig angesehen, wenn der eigene Unterricht einen Bedarf erkennen lässt (vgl. Sloane 2004, S. 43). Diese Individualisierung wird durch das immer noch bestehende Bild der Lehrkraft als „Einzelkämpfer“ bestärkt (vgl. Kremer 2003, S. 9). Lehrkräfte sind es nicht gewohnt, dass Kollegen ihren Unterricht besuchen und anschließend ein Feedback geben (vgl. Sloane 2004, S. 44). Sie sind es auch nicht damit vertraut, ihr pädagogisches Selbstverständnis mit anderen zu teilen, z. B. wenn Lehrziele, didaktische Reduktion oder Methodeneinsatz das Thema sind. Daher ist eine enge Zusammenarbeit mit Kollegen für einige Lehrkräfte angstbesetzt (vgl. Muster-Wäbs & Schneider 2001, S. 49). Somit wird die gemeinsame Arbeit weitestgehend auf die flüchtigen Begegnungen zwischen den Unterrichtsstunden beschränkt (vgl. Sloane 2004, S. 44). Aber auch für die Lehrkräfte, die Lehrerkooperation befürworten, ist es schwierig, regelmäßig mit ihrem Team zusammenzukommen. Auf der einen Seite gibt es kaum geeignete und ausreichende Räumlichkeiten in der Schule und auf der anderen Seite gibt es kein zufriedenstellendes Arbeitszeitmodell, in dem die außerunterrichtlichen Arbeitsstunden angerechnet werden (vgl. Sloane 2004, S. 44 f.).
Darüber hinaus wird eine erfolgreiche Implementierung der neuen Lehrerrolle durch Schwierigkeiten bei der Umsetzung handlungsorientierten Unterrichts gehemmt (Muster-Wäbs & Schneider 2001, S. 49). Die Lehrerausbildung vieler älterer Lehrkräfte war sehr stark disziplinorientiert (vgl. Dubs 2000, S. 23), und durch die unzureichenden Lehrerfortbildungen fehlen ihnen nun die entsprechenden Kompetenzen, um handlungsorientierten Unterricht zu führen (vgl. Gerdsmeier 1999, S. 243). Als Konsequenz sind viele ältere Lehrkräfte nicht offen und motiviert, das Lernfeldkonzept umzusetzen (vgl. Kremer & Sloane 2000, S. 178). Für die Lehrkräfte, die seit Jahren nach dem Fächerprinzip unterrichtet haben, bedeutet es einen hohen Zeit- und Energieaufwand, sich mit der Handlungstheorie und neuen Methoden auseinanderzusetzen. Da sie dies zumeist noch in ihrer Freizeit bewältigen müssen, erklärt es die ablehnende Haltung mancher Lehrkräfte gegenüber dem Lernfeldkonzept (vgl. Muster-Wäbs & Schneider 2001, S. 47). Und haben sie sich einmal die entsprechenden Kompetenzen angeeignet, kann der größere Schülerbezug sie verunsichern, weil der einzelne Unterricht nicht mehr präzise geplant werden kann und sie ein Stück weit ihre Kontrolle abgeben müssen. Einige Lehrende können diesen Kontrollverlust nicht ertragen und gestalten ihren Unterricht wieder traditionell (vgl. Muster-Wäbst & Schneider 2001, S 47 ff.) Hinzu kommen Probleme bei den Lernenden. Sie zeigen oft keine Motivation oder Bereitschaft zum selbstständigen handlungsorientierten Arbeiten, oder es fehlen ihnen entsprechende Kompetenzen, was den Einsatz von handlungsorientierten Methoden erschwert (vgl. Kremer & Sloane 2000, S. 178 f.; Muster-Wäbs & Schneider 2001, S. 49). Zudem sind nicht alle Lernfelder gleichermaßen für einen handlungsorientierten Unterricht geeignet, wodurch ein Einsatz traditioneller Unterrichtsmethoden notwendig wird (vgl. Müller & Heller 2006, S. 4). Abschließend kann zum handlungsorientierten Unterricht festgehalten werden, dass er einen erhöhten Zeitaufwand sowohl in der Durchführung, als auch in der Vorbereitung in sich birgt. Dies kann im Hinblick auf die erforderlichen Inhalte für die Abschlussprüfung problematisch sein (vgl. Dubs 2000, S. 23; Muster-Wäbs & Schneider 2001, S. 47), aber auch zu einer Überlastung der Lehrkräfte führen (vgl. Kremer 2003, S. 9).
Ein weiterer Problembereich ist der Mangel an Umsetzungshilfen und Materialien für die Unterrichtsarbeit, da Lehrbücher zum Teil noch nicht oder nur ungenügend an das Lernfeldkonzept angepasst sind (vgl. Beckheuer 2001, S. 13; Kremer & Sloane 2000, S. 178). Besonders in nicht berufsspezifischen Fachgebieten, wie z. B. der Politikwissenschaft, stellt dies eine besondere und kaum lösbare Herausforderung dar. Diese Lehrkräfte fühlen sich weder zeitlich noch fachlich dazu in der Lage, sich in jede bildungsgangabhängige Lernsituationen einzuarbeiten, geschweige denn für bis zu 15 verschiedene Klassen berufsspezifische Unterrichtsmaterialien zu entwickeln (vgl. Müller & Zurstrassen 2011, S. 49). Aber auch die inhaltlichen und organisatorischen Prüfungsstrukturen, die in vielen Berufen immer noch auf reines Abprüfen von Fachwissen ausgerichtet sind, erschweren die Implementation der neuen Lehrerrolle und machen einen Rückgriff auf traditionelle Unterrichtsgestaltung unverzichtbar (vgl. Clement 2003, S. 9; Kremer & Sloane 2001, S. 27).
Zusammenfassend lassen sich folgende Problembereiche bei der Umsetzung der veränderten Lehrerrolle durch die Einführung des Lernfeldansatzes festhalten: Zunächst sind es die fehlenden Kompetenzen sowohl bei den Lehrenden, als auch bei den Lernenden. Weiterhin fordert dieser Ansatz einen erheblich höheren Zeitaufwand, der eine erhöhte Belastung der Lehrkräfte nach sich zieht. Unzureichende Materialien erschweren zusätzlich die Unterrichtsvorbereitung, und auch durch die veralteten Prüfungsformen kann das Lernfeldkonzept nicht vollständig umgesetzt werden. Eine Lehrerkooperation ist nur unter erschwerten Bedingungen möglich, denn es fehlt an geeigneten Räumlichkeiten und Arbeitszeitmodellen.
Da diese Ergebnisse auf zum Teil veralteten Daten beruhen, oder sich nur auf bestimmte Bundesländer und Fachgebiete beziehen, ist eine aktuelle Bestandsaufnahme der Umsetzung des Lernfeldansatzes in der Praxis nötig. Die Vorgehensweise zu diesem Vergleich des theoretischen Konzepts mit der praktischen Umsetzung wird im folgenden Kapitel 3 beschrieben.
Die eingangs beschriebenen Forschungsfragen lauten: Wie wird die Theorie der veränderten Lehrerrolle durch das Lernfeldkonzept in der Praxis im kaufmännisch verwaltenden Bereich umgesetzt? Welche Schwierigkeiten stehen ihrer erfolgreichen Implementation im Unterricht und in der Schulorganisation entgegen? Um diesen Fragen nachzugehen, wird in dieser Untersuchung ein Vergleich zwischen dem theoretischen Konzept des neuen Verständnisses der Lehrerrolle im Lernfeld-Ansatz mit dessen praktischer Umsetzung im Unterricht und der Schulorganisation angestellt. Zu dieser Thematik stehen derzeitig keine aktuellen Daten oder nur Ausschnitte aus der beruflichen Bildung zur Verfügung. Hindernisse zur Lernfeldumsetzung, die vor 10 Jahren aktuell waren, müssen heute nicht zwangsweise immer noch bestehen und es können neue hinzugekommen sein. Daher wurde die induktive Verfahrensweise gewählt, die vom Einzelnen auf das Ganze schließt, um somit zu neuen Erkenntnissen zu gelangen (vgl. Bortz & Döring, 2006, S. 300).
Eine Übersicht über das gesamte Untersuchungsdesign bietet die Abbildung 4. Hieraus geht hervor, dass der Ausgangspunkt die theoretische Ausarbeitung über das Lernfeldkonzept ist. Aus diesem wurde die veränderte Lehrerrolle mit ihren Kompetenzanforderungen abgeleitet. Auf dieser Grundlage wurde eine qualitative empirische Untersuchung entwickelt. Im Gegensatz zur quantitativen Sozialforschung, deren Vorbild der naturwissenschaftliche Ansatz ist, ist ein qualitatives Vorgehen ein typisch geisteswissenschaftlicher Ansatz (vgl. Häder 2006, S. 69). Während in der quantitativen Forschung deduktiv vorgegangen wird, indem über standardisierte Methoden möglichst große Fallzahlen untersucht werden, um aufgestellte Hypothesen zu prüfen und Sachverhalte zu erklären, was lediglich als wahrheitsbewahrend gilt, bedient sich die quantitative Forschung der induktiven Vorgehensweise, welche als wahrheitserweiternd gesehen wird. Hier geht es um Entdeckungen nach dem Prinzip der Offenheit und um das Verstehen von Sachverhalten. Dazu wird eine bewusste Auswahl von Einzelfällen mithilfe kaum standardisierter Methoden analysiert (vgl. Häder 2006, S. 69; Kelle 2006, S. 120 ff.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4 : Untersuchungsdesign (Quelle: eigene Darstellung)
Da in dieser Forschung also durchaus existierende Sachverhalte erst einmal entdeckt werden müssen, bedarf es qualitativer Verfahren. Ein anerkanntes qualitatives Erhebungsinstrument ist das Interview, wobei hier die spezielle Form des leitfadengestützten Experteninterviews zur Anwendung kommt. Interviews ermöglichen eine Erhebung reichhaltiger und detaillierter Daten. Um die daraus resultierende inhaltliche Fülle der individuellen Antworten zu analysieren, sollten interpretative Verfahren angewandt werden (vgl. Bortz & Döring 2006, S. 297). In diesem Fall wird die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring durchgeführt, um den derzeitigen Umsetzungsstand der neuen Lehrerrolle sowohl im Unterricht, als auch in der Schulorganisation und die damit verbundenen Umsetzungsschwierigkeiten herauszuarbeiten. Durch einen Rückgriff auf die Theorie wird festgestellt, ob in den letzten Jahren eine Entwicklung stattgefunden hat, um anschließend daraus Handlungsempfehlungen für die Zukunft zu formulieren. Eine genaue Beschreibung und Begründung der genannten Instrumente und der Vorgehensweise wird in den folgenden Abschnitten dargelegt.
In dieser Forschungsarbeit geht es zunächst darum, neue aktuelle Daten zu beschaffen, die dann aufbereitet und erschlossen werden können, woraus sich die Auswahl einer qualitativen Methodik begründet. Typisch für eine qualitative Vorgehensweise sind qualitative Befragungen, da hier dem Befragten viel Spielraum bei der Beantwortung gegeben wird, wodurch vorher unersichtliche Sachzusammenhänge erkennbar werden können (vgl. Bortz & Döring 2006, S. 309; Mieg & Näf 2005, S. 9). Eine besondere Form stellen Experteninterviews dar, welche wiederum in verschiedene Typen unterteilt werden können. In dieser Untersuchung kommen systematisierende Experteninterviews zum Einsatz, deren Ziel eine systematische und möglichst vollständige Informationsgewinnung ist. Das bedeutet, dass die Hauptfunktion des Experteninterviews die Aufklärung der Forschungsfragestellung ist (vgl. Bogner & Menz 2009, S. 64 f.). Voraussetzung zur Anwendung leitfadengestützter Experteninterviews ist jedoch, dass der Untersuchung bereits eine Forschungsfrage zugrunde liegt, denn: „Nur wer weiß, was er herausbekommen möchte, kann auch danach fragen“ (Gläser & Laudel 2010, S. 63). Fundierte theoretische oder empirische Kenntnisse bilden also die Grundlage, auf der sich der Leitfaden für das Experteninterview aufbaut (vgl. Meuser & Nagel 2009, S. 52).
Dabei sind nicht die Experten selbst mit ihren individuellen Einstellungen und Orientierungen, Gegenstand der Untersuchung, sie treten vielmehr als Informanten für die wesentlichen Forschungsobjekte auf und repräsentieren dabei die gesamte Gruppe von Experten (vgl. Gläser & Laudel 2010, S. 10). Der Zusammenhang von Experten und Experteninterviews wird von Gläser und Laudel (2010, S. 10) folgendermaßen verdeutlicht: „Experten sind Menschen, die ein besonderes Wissen über soziale Sachverhalte besitzen, und Experteninterviews sind eine Methode, dieses Wissen zu erschließen.“ Weiterhin ist die Verwendung des Expertenbegriffs auch für den Verlauf des Interviews günstig, denn wird jemand als Experte bezeichnet und für ein Interview angefragt, weiß diese Person, dass sie nicht über ihre persönlichen Angelegenheiten befragt wird, sondern über ihr spezielles fachliches „Sonderwissen“ und stellt sich auf ein dementsprechend knappes und zeitökonomisches Fachgespräch ein (vgl. Hefferich 2011, S. 162 f.). Eine klare Definition, wer als Experte gilt, gibt es in der Literatur nicht (vgl. Hefferich 2011, S. 163). Grundsätzlich gilt jedoch jemand als Experte, „der/die aufgrund langjähriger Erfahrung über bereichsspezifisches Wissen/Können verfügt“ (Mieg & Näf 2005, S. 7). Eine weitere allgemein anerkannte Definition stammt von Bogner und Menz (2009, S. 73): „Der Experte verfügt über technisches, Prozess- und Deutungswissen, das sich auf ein spezifisches Handlungsfeld bezieht, in dem er in relevanter Weise agiert (...).“ Für diese Forschungsarbeit werden somit alle Lehrkräfte als Experten definiert, die in der Berufsschule mit dem Schwerpunkt Wirtschaft und Verwaltung seit mehreren Jahren tätig sind.
Experten stehen häufig unter Zeitdruck, wenn es um Interviews geht, weshalb Experteninterviews i. d. R. leitfadengestützt geführt werden (vgl. Flick 2009, S. 215). Der Leitfaden ist eine Liste vorbereiteter Fragen und dient nicht nur als Hilfestellung für den Interviewer (vgl. Mieg & Näf 2005, S. 14), sondern sorgt auch für den Ausschluss irrelevanter Themen bzw. das Einbezieher aller notwendigen Fragen (vgl. Flick 2009, S. 216). Darüber hinaus ermöglicht dieses Gerüst, welches stärker strukturiert ist als bei anderen Interviewarten, eine annähernde Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Interviewergebnisse (vgl. Bortz & Döring 2006, S. 314; Hefferich 2011, S. 162). Aber auch dem Interviewer selbst kommt eine besondere Funktion zu. Dieser muss von dem Experten als annähernd gleichwertig kompetenter Gesprächspartner angesehen werden, damit er die erforderlichen Informationen hinsichtlich der Forschungsfrage erhält und keine Lehrstunde, in der lediglich Grundbegriffe geklärt werden (vgl. Mieg & Näf 2005, S. 6). Daher ist eine intensive Vorbereitung auf das Interview unverzichtbar, welche bereits durch die Entwicklung des Interviewleitfadens gesichert werden kann (vgl. Meuser & Nagel 2009, S. 52). Zudem kann der Interviewer während des Interviews wahrgenommene Eindrücke und Deutungen als weitere Informationsquelle nutzen (vgl. Bortz & Döring 2006, S. 309).
[...]
1 Im Folgenden wird aufgrund der Lesbarkeit für Personen und Berufsbezeichnungen nunmehr die männliche Form verwendet, welche die weibliche mit einschließt.
2 NELE: Verbund der Länder Bayern und Hessen mit wissenschaftlicher Begleitung durch das Institut für Wirtschaftspädagogik der Ludwig-Maximilians-Universität in München. SELUBA: Verbund der Länder Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen mit wissenschaftlicher Begleitung durch das Institut für Berufs- und Betriebspädagogik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Beide Modellversuchsverbünde reagieren auf die neue Struktur der Rahmenlehrpläne und die sichtbar gewordenen Fragestellungen (vgl. Müller & Zöller 2001, S. 3).
3 „Der Begriff Lernumgebung bezeichnet alles, was räumlich, personell und instrumentell für Lernprozesse zur Verfügung steht und womit Lerner in einer Wechselbeziehung stehen. Die konventionell bekannteste Lernumgebung ist das Klassenzimmer mit seinem Inventar an Medien, Geräten und mit dem bekannten Personal (Lehrer, Mitlernende)“ (Müller 1996, S. 81).
4 Rahmenlehrpläne bilden zusammen mit den Ausbildungsordnungen die strukturelle und inhaltliche Basis für die duale Berufsausbildung. Die KMK beschließt i. d. R. für jeden anerkannten Ausbildungsberuf einen Rahmenlehrplan für den berufsbezogenen Unterricht in der Berufsschule. Dieser kann von den Ländern direkt übernommen oder in einen eigenen Lehrplan abgewandelt werden. Im letzteren Fall muss sicher gestellt sein, dass die fachliche und zeitliche Abstimmung des ursprünglichen Rahmenlehrplans mit der jeweiligen Ausbildungsordnung erhalten bleibt (vgl. KMK 2011, S. 33).
5 Bildungsgangkonferenzen werden in Bildungsganggruppen bzw. -teams gehalten. Sie sind u. a. verantwortlich für die curriculare Planung der Bildungsgänge (z. B. über die didaktische Jahresplanung) und für die Qualitätssicherung und -entwicklung des Unterrichts (vgl. Roggenbrodt 2011, S. 84).
6 Da die berufliche Handlungskompetenz ein kreisstrukturelles Gefüge ist, kann den Lehreranforderungen nicht eindeutig eine Teilkompetenz zugewiesen werden. Die hergestellten Verbindungen zwischen den Anforderungen und den Kompetenzen stellen also lediglich eine Tendenz dar und schließen keinesfalls die anderen Teilkompetenzen aus.
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