Diplomarbeit, 2003
85 Seiten, Note: 1,85
1 Problemstellung, Zielsetzung und Gang der Untersuchung
2 Charakter und Bilanzierungsgrundsätze von Rückstellungen
2.1 Wesen, Bedeutung und Wirkung von Rückstellungen
2.1.1 Charakter, Abgrenzung und Arten von Rückstellungen
2.1.2 Ertrags- und Finanzierungswirkung von Rückstellungen
2.2 Grundsätze zur Bilanzierung von Rückstellungen
2.2.1 Prinzip der Maßgeblichkeit handelsrechtlicher GoB für die steuerliche Gewinnermittlung und Bilanzierungsvorbehalte des Steuerrechts
2.2.2 Ansatzvoraussetzungen für Rückstellungen in Handels- und Steuerbilanz
2.2.3 Auflösung und Nachholung von Rückstellungen
2.2.4 Bewertung von Rückstellungen in Handels- und Steuerbilanz
3 Ansatz und Bewertung zentraler Rückstellungsarten in der Steuerbilanz
3.1 Rückstellungen für Prozesskosten
3.2 Rückstellungen für Schadensersatz wegen Verletzung fremder Schutzrechte
3.3 Rückstellungen für Garantieverpflichtungen
3.4 Rückstellungen für Zuwendungen aufgrund von Dienstjubiläen
3.5 Rückstellungen für Umweltschutzmaßnahmen
3.6 Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften
3.7 Aufwandsrückstellungen
3.8 Pensionsrückstellungen
3.8.1 Betriebliche Altersvorsorge in der steuerlichen Gewinnermittlung
3.8.2 Wesen und Problemfelder von Direktzusagen im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge
3.8.3 Voraussetzungen für die Bildung von Pensionsrückstellungen
3.8.4 Zeitpunkt der Bildung
3.8.5 Besonderheiten für Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH
3.8.6 Bewertung von Pensionsrückstellungen
3.8.7 Vergleich der Bewertung nach Handels- und Steuerrecht
4 Zusammenfassung
Anhang: Vergleich der Teilwertermittlung mit 3 und 6 % 67
Literaturverzeichnis
Rechtsprechungsverzeichnis
Erklärung
Bis die Europäische Gemeinschaft durch die 4. EG-Richtlinie zur Harmonisierung der Rechnungslegung in deren Mitgliedstaaten auch Einfluss auf die deutsche Gesetzgebung nahm, war die Bilanzierung ausschließlich durch die kaufmännischen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) geprägt. Diese waren nur unzureichend oder gar nicht im Handelsgesetzbuch (HGB) verankert. Die Bilanzposition Rückstellungen war allein in § 152 VII AktG kodiert. Die Voraussetzungen, unter denen sie gebildet werden durften, waren in Artikel 20 der 4. EG-Richtlinie weiter gefasst als in der bisher geltenden deutschen Vorschrift, wurden jedoch vom Gesetzgeber im Rahmen des Bilanzrichtliniengesetzes[1] durch Einführung des § 249 HGB weitgehend übernommen.[2]
Schon damals waren zumindest Teile dieser Regelung umstritten, insbesondere die Zulässigkeit von Aufwandsrückstellungen. Dies ist nur eine von vielen Kontroversen um die Rückstellungsbilanzierung, an denen sich bis heute Literatur, Rechtsprechung und Finanzverwaltung mit Wonne beteiligen. Es sei an dieser Stelle nur auf die fortwährende Diskussion um den Maßgeblichkeitsgrundsatz hingewiesen, der sich die Fachwelt mit Inbrunst, gar unter Mitwirkung von „Gunst und Hass“[3] annimmt. Die handelsrechtlichen GoB und somit auch der § 249 HGB sind über dieses Prinzip des § 5 I 1, 2 EStG Grundlage der steuerlichen Gewinnermittlung. Fokussiert hat sich der Streit mittlerweile auf die Frage, ob die Funktion der handelsrechtlichen Rechnungslegung mit den Zielen des Besteuerungsverfahrens inkompatibel sind.[4] Die Handelsbilanz verfolgt den Gläubigerschutz und will das Unternehmen vor überzogenen Ausschüttungsbegehrlichkeiten bewahren. Steuerbilanzen dienen dagegen der gleichmäßigen Belastung aller Steuerpflichtigen, ausgerichtet am Postulat der steuerlichen Leistungsfähigkeit.
Neue Nahrung erhielt diese an den Grundfesten des deutschen Bilanzverständnisses rüttelnde Debatte durch das Verbot der sog. Drohverlustrückstellungen in der Steuerbilanz. Dasselbe gilt für das Verbot und die eingeschränkte Wiederzulassung von Jubiläumsrückstellungen. Die u.U. signifikante Ertrags- und Finanzierungswirkung, die eine passivierte Rückstellung auslösen kann, lassen vor dem Hintergrund handelsrechtlicher Wahlrechte und Ermessenspielräume nicht nur das Maßgeblichkeitsprinzip im Zwielicht erscheinen. Es macht auch den Problembereich deutlich, in dem sich die Rückstellungsthematik bewegt. Die Frage, in welche Richtung die Entwicklung geht, ist nicht entgültig beantwortet, auch wenn manche das zugunsten eines eigenständigen Steuerbilanzrechts gern so sähen. Auch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002[5], das diverse Bilanzierungs-/ und Bewertungsvorbehalte des Steuerrechts, bspw. § 5 IVb EStG hinzugefügte, hat hieran nichts Elementares geändert.
All dies deutet bereits an, dass Rückstellungen auf Forschung und Lehre, Literatur und Rechtsprechung eine besondere „Faszination“ ausüben. Hier „bündeln sich bilanztheoretische, betriebswirtschaftliche und bilanzsteuerrechtliche Postulate wie in einem Brennglas“.[6] Dieser Bilanzierungskomplex erhitzt wie kein zweiter die Gemüter und erzwingt geradezu neue Fachbeiträge, Urteile sowie Verwaltungsanweisungen.
Diese Arbeit setzt sich vor dem Hintergrund der zuvor angerissenen Problematik mit der Bilanzierung von Rückstellungen im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung auseinander. Ziel ist, die steuerökonomischen Auswirkungen ihres Ansatzes im Kontrast zur handelsrechtlichen Passivierung aufzuzeigen und zu systematisieren.
Nachdem Rückstellungen ausführlich definiert wurden, folgt die Analyse ihrer Ertrags- und betriebswirtschaftlichen Finanzierungswirkung im Zusammenhang mit bilanzpolitischen Maßnahmen. Im Anschluss daran wird der Fokus auf die Debatte um die Maßgeblichkeit gelegt. Dies soll danach mit den Prinzipien des Ansatzes und der Bewertung von Rückstellungen sowie dem Bilanzierungsvorbehalt des Steuerrechts verknüpft werden. In dem darauf folgenden Abschnitt werden dann die wichtigsten Rückstellungsarten steuerökonomisch analysiert, wobei das Hauptaugenmerk auf das komplexe Teilgebiet der Pensionsrückstellungen liegt. Dies schließt insbesondere die Problematik der Direktzusagen an Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH ein und endet mit einer ausführlichen Analyse des Teilwertverfahrens.
Rückstellungen sind passive, negative Wirtschaftsgüter, die im Falle ihres Ansatzes als eigenständiger Posten gem. § 266 III HGB in der Handelsbilanz unter dem Eigenkapital und vor den Verbindlichkeiten auszuweisen sind. Sie beinhalten Verbindlichkeiten, Risiken, Verluste oder Aufwendungen, die im abgelaufen Geschäftsjahr oder denen davor wirtschaftlich verursacht wurden, jedoch erst nach dem Bilanzstichtag zu Ausgaben, d.h. zu Zahlungsmittelabfluss führen.[7] Im Gegensatz zu Verbindlichkeiten, denen grundsätzlich ein sicherer, durchsetzbarer Anspruch eines Dritten zugrunde liegt,[8] ist eine rückstellungspflichtige Verbindlichkeit hinsichtlich ihres Bestehens, ihrer Höhe und / oder des Zeitpunkts ihrer Fälligkeit ungewiss,[9] jedoch zu mehr als 50 % wahrscheinlich.
Sie besteht entweder gegenüber Dritten als sog. Außenverpflichtung, oder sie hat sich bis zum Bilanzierungstag noch nicht als eine gegenüber unternehmensexterne Personen hinreichend konkretisiert. In diesem Fall hat das Unternehmen in gewisser Weise noch eine Innenverpflichtung gegenüber sich selbst.[10] Nach Coenenberg folgt die Rückstellungspassivierung von Außenverpflichtungen dem Grundsatz der Vollständigkeit. Sie dient somit dem korrekten Ausweis des betrieblichen Reinvermögens. Rückstellungen für Innenverpflichtungen, vor allem Aufwandsrückstellungen, dienen dagegen der periodengerechten Erfolgsermittlung.[11] Die Begründung, mit welcher fragliche Sachverhalte überhaupt ansatzfähig werden, beruht auf dem Vorsichtsprinzip, sowie den daraus abgeleiteten Grundsätzen der Realisation und Imparität.[12] Diese wiederum entstammen den handelsrechtlichen GoB und gewährleisten die Funktionen der Handelsbilanz: Die Ermittlung des entziehbaren Gewinns und den Gläubigerschutz u.a. für Investoren, Banken und Anteilseigner.[13]
Rückstellungen werden je nach Bilanzauffassung unterschiedlich umfangreich definiert: Anhänger der statischen Bilanz berufen sich auf das Vollständigkeitsgebot des § 246 I 1 HGB sowie auf die stichtagbezogene, zutreffende Darstellung der Vermögenslage. Sie stellen den Schuldcharakter von Rückstellungen in den Vordergrund, während Befürworter der dynamischen Bilanz dem Verursachungsprinzip und damit der korrekten Erfolgsermittlung Vorrang einräumen. Für Letztere hat die wirtschaftliche Zurechnung zum abgelaufenen Geschäftsjahr Priorität, und somit stimmen sie grundsätzlich auch dem Ansatz von Aufwandsrückstellungen zu.[14] Die Beantwortung der Frage, welchem Paradigma die Steuerbilanz und hierfür stellvertretend die Rechtsprechung des BFH folgt, führt aufgrund der in dieser Frage uneinheitlichen Entscheidungen zu dem ebenso unscharfen wie unbefriedigenden Ergebnis „statisch-dynamisch“ und „dualistisch“[15].
Rückstellungen mindern durch ihren Fremdkapitalcharakter das Reinvermögen sowie durch ihre erfolgswirksame Bildung (Zuführungsaufwand, Betriebsausgaben) den aus-
schüttbaren bzw. ertragssteuerlichen Gewinn der Handels- und Steuerbilanz.[16]
Da die Begriffe Verbindlichkeit, Verpflichtung, Aufwand, Verlust und Risiko auf mehrere Bilanzpositionen anwendbar sind, ist eine klare Abgrenzung von Rückstellungen zu anderen Posten der Passivseite vorzunehmen. Rücklagen sind entweder das Ergebnis der Innenfinanzierung (Gewinnrücklage aus -thesaurierung) oder der Außenfinanzierung (Kapitalrücklage) und somit Bestandteil des Eigenkapitals.[17] Der Sonderposten mit Rücklageanteil ist ein Mischposten aus Eigen- und Fremdkapital.[18] Er kann steuerliche Positionen wie die Rücklage für Ersatzbeschaffung gem. R 35 EStR oder die Reinvestitionsrücklage nach § 6b EStG enthalten, wenn das Steuerrecht zur Bedingung für deren Berücksichtigung macht, dass der Posten auch in der Handelsbilanz gebildet wird.[19]
Im Gegensatz zu Rückstellungen sind passive Rechnungsabgrenzungsposten dem Grunde, der Höhe und Fälligkeit nach sicher. Das Ziel ihres Ansatzes ist die periodengerechte Abgrenzung von Einnahmen vor dem Bilanzstichtag, die jedoch wirtschaftlich als Ertrag dem Folgejahr zuzurechnen sind und somit erst dann erfolgswirksam werden sollen (§ 250 II HGB). Haftungsverhältnisse sind Risiken, deren Eintrittswahrscheinlichkeit auf weniger als 50 % eingeschätzt wird. Sie sind unter der Bilanz oder im Anhang anzugeben.[20] Kapitalgesellschaften müssen des weiteren sog. finanzielle Verpflichtungen offen legen. Diese resultieren aus am Bilanzstichtag noch schwebenden Geschäften, wenn die daraus vorhersehbar noch zu erbringenden Verpflichtungen und die daraus voraussichtlich noch zustehenden Ansprüche in etwa gleichhoch sind.
Drohverlustrückstellungen werden aufgrund eines am Bilanzierungstag noch schweben-
den Geschäfts passiviert, wenn die künftigen Ansprüche daraus voraussichtlich nicht ausreichen, um die künftig daraus erwarteten Verpflichtungen zu decken. Dieser näherungsweise bestimmte Differenzbetrag entspricht dann dem drohenden Verlust.
Über das System der Rückstellungsarten soll folgende Abbildung Aufschluss geben:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: System der Rückstellungsarten[21]
In der steuerlichen Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich und Aufstellung einer Steuerbilanz sind Rückstellungen seit langem ein probates Mittel zur Gestaltung des ertragsteuerlichen Ergebnisses. Ihre aufwandswirksamen Zuführungen zur Bildung sind vorbehaltlich der steuerrechtlichen Bilanzierungsvorbehalte als Betriebsausgaben abzugsfähig und mindern als solche den einkommen- bzw. körperschaftssteuerlichen Gewinn. Der Bilanzierende muss Rückstellungen erst später wieder ganz oder teilweise gewinnsteigernd auflösen, wenn er aus der zurückgestellten Verpflichtung nicht oder nur zum Teil in Anspruch genommen wurde, d.h. wenn und soweit die Gründe für die Rückstellung entfallen sind (§ 249 III 2 HGB). Der Steuerpflichtige kann also Gewinn in die Zukunft verlagern und so seine aktuelle Steuerschuld senken.[22]
Die Steuerersparnis entspricht dem Produkt aus dem ansonsten für den Ertragsbestandteil zu zahlenden Steuersatz und dem Zuführungsbetrag. Diese kann dann ins Unternehmen investiert oder auf den Kapitalmärkten angelegt werden. Die nicht an den Fiskus abgeführte Liquidität erwirtschaft somit entweder den internen ROI[23] oder die von Finanzdienstleistern, Aktien-, Renten- und anderen Kapitalmärkten offerierten Zinsen / Renditen. Man spricht hier von dem sog. Zinseffekt. Zudem profitiert der Steuerpflichtige vom vorgezogenen Aufwand und aufgeschobenen Ertrag insbesondere in Zeiten sinkender Steuersätze. Der Gewinnbestandteil, der ohne Passivierung bereits besteuert worden wäre, unterliegt in diesem Fall nach erfolgswirksamer Auflösung einem niedrigeren Steuersatz als im Zeitpunkt der Bildung. Die hieraus zusätzlich resultierende Steuerersparnis entspricht dem Produkt aus Steuersatzdifferenz und Auflösungsbetrag. Diese Wirkung wird als Progressionseffekt bezeichnet.
Diese Steuerstundungseffekte [24] müssen jedoch nicht zwingend gemeinsam auftreten. Bei körperschaftssteuerpflichtigen Personen ist der Progressionseffekt aufgrund des proportionalen Tarifs ebenso irrelevant wie bei solchen, deren Einkommen sich in der proportionalen Phase des Einkommensteuertarifs befindet und die auch durch den Rückstellungsaufwand nicht die Progressionsphase zurückfallen. Der Zinsvorteil ist ein Quasi-Kredit des Fiskus und somit der Allgemeinheit, die auf Steuermittel zugunsten des Steuerpflichtigen verzichten. Solange sich dessen zurückgestellte Verpflichtung nicht realisiert hat oder entfallen ist, genießt er einen „zinslosen Staatskredit“[25]. Dieser Umstand wurde auch durch das vom Gesetzgeber im Rahmen des Steuerentlastungsgesetzes eingeführte Abzinsungsgebot für Rückstellungen und Verbindlichkeiten mit einer Laufzeit von mehr als 12 Monaten[26] nur unwesentlich beschränkt.[27]
Nach Ansicht von Doralt zeigen gerade die aktuell bei Energieversorgern passivierten,
immens hohen und noch auf Jahrzehnte hinaus bestehenden Rückstellungen für den Kernkraftwerkrückbau deutlich, „dass Rückstellungen aus steuerpolitischer Sicht grundsätzlich zu einer Ungleichbehandlung der Steuerpflichtigen führen“.[28] Da vom Handels-recht zugelassene Einschätzungsspielräume über die Maßgeblichkeit (unter Einschrän-kungen) auch bis in die Steuerbilanz einwirken, mag man den Stellenwert der Steuer-bilanzpolitik im Lichte der beschriebenen Effekte insgesamt hoch einschätzen. Ein Blick in die Praxis zeigt jedoch, dass diese Strategie neben der steuerlichen Sachver-haltsgestaltung kaum verfolgt wird.[29]
Die steuerliche Gewinnermittlung erfolgt über den Betriebsvermögensvergleich bei Steuerpflichtigen, die nach den gesetzlichen Regelungen[30] buchführungspflichtig sind, oder die ohne diese Verpflichtung zur Bilanzierung optiert haben. Während § 4 I 1 EStG den Gewinnbegriff definiert, fordert § 5 I 1 EStG darüber hinaus, dass dieser dem nach handelsrechtlichen GoB auszuweisenden Ergebnis zu entsprechen hat. Man spricht deshalb von der materiellen Maßgeblichkeit der Handels- für die Steuerbilanz.
Andererseits macht das Steuerrecht in § 5 I 2 EStG die Zulässigkeit bestimmter Wahlrechte davon abhängig, dass ihr Ansatz in der gewählten Form auch in der Handelsbilanz erfolgt (sog. umgekehrte, formelle Maßgeblichkeit). Die formalrechtliche Grundlage im Handelsrecht schaffen hierfür Öffnungsklauseln [31] wie der Sonderposten mit Rücklageanteil gem. § 273 I 1 HGB und die Zulassung steuerlicher Abschreibung durch § 254 1 i.V.m. § 279 II HGB. Tipke/Lang sehen den Zweck der formellen Maßgeblichkeit darin, „dem Verzicht des Staates auf Steuern ein Ausschüttungsverzicht des Unternehmens an die Seite zu stellen“[32]. Hiermit setzte sich der Gesetzgeber im Rahmen des Bilanzrichtliniengesetzes über ein Urteil des BFH[33] hinweg, in dem dieser noch eine umgekehrte Maßgeblichkeit ausgeschlossen hatte.
Die Maßgeblichkeit wirkt bis ins Körperschaftssteuerrecht, in die Überschusseinkunfts-
arten, ins Gewerbesteuer-, Bewertungs- und Erbschaftssteuerrecht hinein.[34] Der Ansatz von Wirtschaftsgütern in der Steuerbilanz wird ausschließlich vom HGB bestimmt, mit Ausnahme von § 5 II EStG, der die Bilanzierung entgeltlich erworbener, immaterieller Güter regelt. Dagegen ist der Maßgeblichkeitsgrundsatz in Bewertungsfragen stark durch steuerrechtliche Vorbehalte[35] eingeschränkt, die Vorrang vor Handelsrecht genießen. Darüber hinaus hat der BFH[36] schon 1969 die Gültigkeit handelsrechtlicher Wahlrechte für die Steuerbilanz eingeschränkt. Was in der Handelsbilanz aktiviert werden darf, ist in der Steuerbilanz ansatzpflichtig. Was in der Handelsbilanz passiviert werden darf, dessen Passivierung ist in der Steuerbilanz unzulässig, es sei denn, ein steuerrechtlicher Vorbehalt lässt dies ausdrücklich zu.
Die Vorschrift des § 5 I EStG geht zurück auf das Jahr 1934. Die Maßgeblichkeit des Handelsrechts existiert indes schon seit 1874, als sie in Sachsen und Bremen, später dann in Hamburg (1881) und Preußen (1891) eingeführt wurde, also noch in Zeiten der deutschen Vielstaaterei. Initialzündung war die erstmalige Kodifizierung eines Handelsgesetzes, dem allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuch von 1861. Es schien vorteilhaft, hierauf auch die steuerliche Gewinnermittlung fußen zu lassen. Zwar bestimmte im Folgenden die Aufstellung einer Einheitsbilanz den handels- wie steuerrechtlichen Gewinn, jedoch hatten auch schon damals steuerrechtliche Einzelvorschriften Vorrang vor denen des ADHGB. Ab 1920 galt diese gesetzliche Grundlage dann über den § 33 II REStG im gesamten deutschen Reich,[37] der 1934 durch § 5 I EStG ersetzt wurde. Die Maßgeblichkeit war also stets eine Vereinfachungszwecknorm und nicht am Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit orientiert.[38] Dessen Geburtsstunde lag in Zeiten, als die Steuersätze geradezu paradiesisch niedrig waren und ist lt. Weber-Grellet „ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert“.[39]
Der Maßgeblichkeitsgrundsatz stand stets in der Schusslinie, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität. 1997 sah sich Moxter schließlich dazu veranlasst, in einem Appell die Versachlichung der Debatte zu fordern.[40] Genützt hat es freilich nicht viel: Durch das StEntlG im Jahr 1999 wurden neue Ansatz- und Bewertungsvorbehalte für Rückstellungen und Teilwertabschreibungen eingeführt,[41] die für neuen Zündstoff sorgten. Die Verfechter, insbesondere Moxter, beklagen die Aushöhlung eines schützenswerten Prinzips,[42] während die Gruppe der Bekämpfer, in erster Linie Weber-Grellet, bereits Nachrufe verfasst[43] und mit nicht minder ausgeprägtem Eifer einen klaren Schnitt und ein vom Handelsrecht unabhängiges Bilanzsteuerrecht fordert.[44]
Selbst die Frage, auf welche GoB der § 5 I 1 EStG verweist, ist umstritten. Weber-Grellet besteht darauf, dass nur die oberen Grundsätze relevant sind, nicht die einzelnen handelsrechtlichen Normen und schon gar nicht die Handelsbilanz.[45] Vor allem, weil diese Unterbewertungen und damit stille Reserven zulassen. Wiederrum Moxter hält dem entgegen, das Maßgeblichkeitsprinzip verweise nicht auf die „Gewinnermittlungs-GoB“, sondern lediglich auf die „Gewinnanspruchs-GoB“ und diese würden Unterbewertungsspielräume begrenzen.[46] Hennrichs unterstützt dies unter Verweis auf die historische Entwicklung des § 5 I EStG und den § 141 AO. Er kommt zu dem Ergebnis, Weber-Grellet sei hier bei seinem Anliegen wohl „über das Ziel hinausgeschossen“.[47]
Zentrale Streitpunkte sind jedoch andere. Handels- und Steuerbilanz seien inkompatibel, funktionsdivergent und würden sich über die materielle und formelle Maßgeblichkeit gegenseitig deformieren. Die steuerliche Gewinnermittlung verlange nach dem vollen Gewinn, nicht dem entziehbaren Gewinn. Aus Gründen der Vereinfachung müsse nicht am Maßgeblichkeitsgrundsatz festgehalten werden. Vielmehr sei ein eigenständiges steuerliches Gewinnermittlungssystem mittels Überschussrechnung zu favorisieren und nicht aufwendiger als die das jetzige.[48] Dem Vorwurf der Inkompatibilität widerspricht hingegen Hennrichs [49]: Ein eigenständiges Steuerbilanzrecht müsse schließlich auch an den Prinzipien der Realisation, des Bilanzzusammenhangs, der Einzelbewertung und Stetigkeit orientiert sein.
Die Überschussrechnung sei überlegenswert, das Maßgeblichkeitsprinzip solle aber nicht „vorschnell als Opfergabe dargereicht werden“, so Dziadkowski.[50] Andere plädieren für die Cash-Flow-Rechnung statt der Überschussrechnung.[51] Von Verfechtern wird meist noch entgegengehalten, an der Maßgeblichkeit müsse nicht zuletzt deshalb festgehalten werden, um übertriebenen, fiskalpolitisch motivierten Eingriffen des Gesetzgebers Einhalt zu gebieten. Eine solche Schutzschildfunktion ist nach Ansicht von Schneider [52] aufgrund vieler anderer gesetzgeberischer Möglichkeiten schlicht eine Illusion. Hildesheim [53] gibt wohl nicht zu Unrecht einen weiteren Aspekt zu bedenken: Zwar kommt das Vorsichts- und Imparitätsprinzip dem Zweck der Ermittlung des vollen Gewinns nicht immer entgegen, andererseits aber beteiligt sich der Fiskus auch nicht immer am vollen Verlust eines Steuerpflichtigen. So wird bspw. im Rahmen der Mindestbesteuerung u.U. nur ein Teil davon anerkannt.
Oft wird das Maßgeblichkeitsprinzip auch unter Hinweis auf die Europäisierung und Internationalisierung der Rechnungslegung totgesagt. Es wird hierdurch „entgültig begraben“, prognostiziert Weber-Grellet. [54] Aber auch die gegenteilige Auffassung wird vertreten.[55] Zunächst muss jedoch einerseits darauf hingewiesen werden, dass durch § 292a HGB bisher IAS und US-GAAP lediglich für den Konzernabschluss anwendbar sind und keinesfalls sicher ist, dass auch die Einzelabschlüsse bald diesen Standards geöffnet werden.[56] Außerdem ist die Maßgeblichkeit keine deutsche Besonderheit, sondern in vielen internationalen Steuersystemen wie denen der USA, Frankreichs, Großbritanniens, Japans, Italiens und anderen zu finden.[57] Wird allerdings von der Bundesregierung zukünftig vorgeschrieben oder den Unternehmen freigestellt, auch in Einzelabschlüssen statt nach HGB nach den IAS zu bilanzieren, dann bedarf es zumindest einer Überprüfung des § 5 I 1, 2 EStG. Wie das BMF[58] aber festgestellt hat, ist ein Festhalten an der Maßgeblichkeit eines IAS-Abschlusses für die steuerliche Gewinnermittlung nicht nur bedenkenswert, sondern „unter (Steuer-) Wettbewerbsaspekten [...] sogar vorteilhaft“. Andere hingegen sähen dessen Schicksal dann schlussendlich besiegelt.[59]
Handelsrechtliche Passivierungsnorm für Rückstellungen ist § 249 HGB. Sie gilt prinzipiell auch für die Steuerbilanz, sofern die Maßgeblichkeit nicht von Vorschriften des EStG beschränkt wird. Rückstellungen sind lt. § 249 I 1, 2 Nr.2 HGB zwingend zu bilden für ungewisse Verbindlichkeiten, drohende Verluste aus schwebenden Geschäften, sowie für Gewährleistungen ohne rechtliche Verpflichtung, d.h. für Leistungen aus Kulanz und wirtschaftlicher Verpflichtung. Im abgelaufenen Wirtschaftsjahr unterlassener Instandhaltungsaufwand, der innerhalb der ersten 3 Monate des darauffolgenden Jahres nachgeholt wird, sowie unterlassene Abraumbeseitigung, die innerhalb des gesamten darauffolgenden Jahres nachgeholt wird, ist gem. § 249 I 2 Nr.1 HGB ebenso ansatzpflichtig. Kapitalgesellschaften haben zudem Rückstellungen für latente Steuern zu bilden.[60] Diese Passivierungspflichten des Handelsrechts gelten prinzipiell auch für die Steuerbilanz. Ausnahme ist der Ansatzvorbehalt des § 5 IVa EStG, der das Maßgeblichkeitsprinzip an einer Stelle nicht nur beschränkt, sondern aufhebt: Für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften dürfen in der Steuerbilanz unter keinen Umständen Rückstellungen gebildet werden. Dasselbe gilt für Steuerlatenzen.[61]
Ein Wahlrecht besteht nach § 249 I 3 HGB für Aufwendungen für Instandhaltungen, die innerhalb des gesamten darauf folgenden Jahres nachgeholt werden. Des weiteren gem. § 249 II HGB für eindeutig bestimmte Aufwendungen, deren Zweck und Inhalt genau feststehen muss[62] und die im abgelaufenen oder einem früheren Geschäftsjahr wirtschaftlich verursacht wurden. Dies sind insbesondere vor dem Bilanzstichtag wirtschaftlich erforderlich gewordene Großreparaturen, die in Zukunft vorgenommen werden müssen, bspw. Renovierungen von Gebäuden oder Generalüberholungen von Maschinenparks. Darüber hinaus können Rückstellungen in der Handelsbilanz für mittelbare Pensionsverpflichtungen und unmittel- oder mittelbare ähnliche Verpflichtungen gebildet werden.[63] Für die Steuerbilanz gilt dies nicht,[64] vor allem nicht für Aufwandsrückstellungen, für die nach Handelsrecht ein Wahlrecht besteht.[65]
Die Rückstellungsvorschriften der §§ 249 I, II sowie 274 I HGB sind für die Handelsbilanz abschließend, so dass für andere Verpflichtungen als die obigen keine Passivierung möglich ist.[66] Dies gilt auch für die Steuerbilanz.[67] Außerdem verbietet § 5 IVb EStG die Bildung von Rückstellungen für Aufwendungen, die nicht als Betriebsausgaben abzugsfähig, sondern als Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu aktivieren wären.[68] Müssen diese aufgrund einer handelsrechtlichen Pflicht auch in der Steuerbilanz passiviert werden, ist dies außerhalb der Bilanz durch Gewinnhinzurechung zu korrigieren.[69]
Abweichend vom Maßgeblichkeitsgrundsatz sind steuerrechtliche Spezialvorschriften
vorrangig zu beachten. Neben dem § 5 IVb EStG sind dies § 5 III EStG für die Verletzung fremder Schutzrechte, § 5 IV für Verpflichtungen aus Dienstjubiläen, § 5 IVa als Verbot des Ansatzes von Drohverlustrückstellungen und § 6a EStG für Pensionsrückstellungen. Zulässig für die Steuerbilanz sind somit im Bereich der Außenverpflichtungen nur diejenigen, die nicht nur wirtschaftlich in der Vergangenheit verursacht wurden, sondern auch im Zusammenhang mit in der Vergangenheit realisierten Erträgen stehen.[70] Dieses sind Rückstellungen für bürgerlich-rechtliche, öffentlich-rechtliche oder faktische / wirtschaftliche (Kulanz-) Verpflichtungen.
Die Kriterien zur Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten i.e.S. sind unscharf, so dass der BFH hierzu bisher zahlreiche Entscheidungen fällen musste,[71] und die Finanzverwaltung in R 31c EStR umfassende Anweisungen erließ. Notwendig ist eine Außenverpflichtung, die vor dem Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht wurde. Sie muss betrieblich veranlasst und im Falle ihrer Erfüllung als Betriebsausgabe abzugsfähig sein. Hinsichtlich ihres Bestehens, dem Grunde und / oder der Höhe und / oder dem Zeitpunkt der Fälligkeit nach sind sie ungewiss. Das Be- oder Entstehen der Verpflichtung muss jedoch ebenso wahrscheinlich sein wie die Inanspruchnahme daraus. Das EStG darf die Rückstellungsbildung nicht verbieten.[72] Probleme bereiten hierbei insbesondere die wirtschaftliche Verursachung, deren Konkretisierung oft nicht eindeutig bestimmt werden kann, sowie die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme.[73]
Die zu passivierende Verpflichtung muss wirtschaftlich vor dem Bilanzstichtag verursacht worden sein. Dafür ist gem. R 31c IV 2, 3 EStR notwendig, dass ihre Bedingung im wesentlichen verwirklicht ist, und dass die Verpflichtung nicht nur an Vergangenes anknüpft, sondern auch Vergangenes abgilt. Der BFH hat festgestellt, dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale erfüllt sein müssen, so dass das Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von unwesentlichen Merkmalen abhängt.[74] Bereits realisierte Aufwendungen, die in der abgelaufenen Periode als Ausgaben wirksam wurden, sind wirtschaftlich verursacht und in dieser Periode abzugsfähige Betriebsausgaben. Dies gilt selbst dann, wenn sie zukünftige Erträge alimentieren / begründen, bspw. Kosten für Forschung und Entwicklung. Irrelevant ist, ob sie bereits rechtlich verursacht sind.[75] In Bewegung geraten ist die Diskussion um die rechtliche und wirtschaftliche Verursachung durch die neueste BFH-Rechtsprechung zu öffentlich-rechtlichen Anpassungsverpflichtungen (Vgl. ausführlich dazu Kap. 3.5, S. 32).
Künftig zu leistender Aufwand, der künftige Erträge alimentiert, ist nicht wirtschaftlich verursacht.[76] Künftige Ausgaben müssen mit bereits realisierten Erträgen oder dem betrieblichen Geschehen in der Vergangenheit zusammenhängen, d.h. Vergangenes abgelten. Dies ist Ausdruck des Nettorealisationsprinzips, das der Rückstellungsbildung zugrunde liegt. Es soll garantieren, dass der aktuelle Gewinn netto, d.h. zwar unter Einbezug der realisierten Erträge aber auch abzüglich der künftigen Aufwendungen ausgewiesen wird.[77] Würden Letztere nicht antizipiert werden, wäre der Gewinn verfälscht und unvorsichtig hoch ausgewiesen.
Diese Voraussetzung ist auch dann nicht erfüllt, wenn „der der Verpflichtung des Unternehmers entsprechende Anspruch des aus dem Vertrage Berechtigten von weiteren, in der Zukunft liegenden Vorbedingungen entscheidend abhängt“[78]. Außerdem reicht eine rein rechtlich verursachte Verpflichtung nicht aus. Die wirtschaftliche Entstehung einer Verbindlichkeit „als Vorstufe ihrer rechtlichen Vollverwirklichung“ ist entscheidend.[79] Eine Ausnahme hat der BFH für Anpassungsverpflichtungen zugelassen, für die auch eine Rückstellung unabhängig von wirtschaftlicher Verursachung auch dann gebildet werden kann, wenn sie bis zum Bilanzierungstag rechtlich begründet ist.[80]
Über die betriebliche Veranlassung der Verpflichtung, die passiviert werden soll, darf keine Unsicherheit bestehen.[81] Der Aufwand muss im Fall ihrer Erfüllung demnach zweifelsfrei sofort abzugsfähig sein. Betrieblich veranlasst sind bspw. auch Verpflichtungen aufgrund von Straftaten, die vom Steuerpflichtigen begangen wurden, allerdings muss die Tat bis zum Stichtag aufgedeckt worden sein.[82]
Die Ungewissheit einer Verpflichtung kann entweder dahingehend bestehen, dass es möglich ist, das eine am Bilanzstichtag noch nicht bestehende Verpflichtung danach entstehen wird oder dass derjenige, gegen den eine Verpflichtung bereits besteht, die Auswahl zwischen mehreren Ansprüchen hat.[83] Möglich ist ferner, dass eine sicher bestehende Verbindlichkeit der Höhe oder Fälligkeit nach noch nicht feststeht, oder dass die Bedingung einer Verpflichtung noch nicht eingetreten ist, und es zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht sicher ist, das sie noch eintreten wird.
Die Inanspruchnahme aus einer Verpflichtung ist wahrscheinlich, wenn aus der Sicht eines sorgfältigen, gewissenhaften Kaufmanns spätestens am Tag der Bilanzerstellung[84] aus den erkennbaren Tatsachen geschlossen werden kann, dass mehr Gründe dafür als dagegen sprechen.[85] Mehr als 50 % aller Argumente müssen demnach auf eine drohende Inanspruchnahme schließen lassen. Bei Schadensersatzpflichten muss die eigene Tat aufgedeckt worden sein. Nur so konkretisiert sich diese zu einer wirtschaftlichen Last.[86] Ist das Be- oder Entstehen bereits sicher, muss zu mehr als 50 % wahrscheinlich sein, dass der Gläubiger von seinen Rechten Gebrauch machen wird.[87] Bürgerlich-rechtliche und öffentlich-rechtliche Verpflichtungen stellen unterschiedliche Anforderungen sowohl an die Wahrscheinlichkeiten als auch an den Außenverpflichtungscharakter.
Wirtschaftliche Verpflichtungen sind Grundlage der Rückstellungen für Gewährleistungen ohne rechtliche Verpflichtung gem. § 249 I 2 Nr.2 HGB. Diese sog. Kulanzrück-stellungen sind gem. R 31c XII EStR zwingend auch in der Steuerbilanz zu bilden, wenn sich der Kaufmann diesen Gewährleistungen zwar rechtlich entziehen kann,[88] nicht jedoch aus wirtschaftlichen Erwägungen.[89] Deshalb bezeichnet man den wirtschaftlichen auch als faktischen oder tatsächlichen Verpflichtungscharakter.
Der Berechtigte, gegen den eine zivilrechtliche Außenverpflichtung besteht, muss seinen Anspruch nicht kennen und ihn nicht geltend gemacht haben. Der Anspruch muss weder fällig noch einklagbar sein.[90] Der Berechtigte muss dem Bilanzierenden nicht als konkrete Person bekannt sein und es ist unerheblich, ob das der Verpflichtung zugrundeliegende Rechtsgeschäft anfechtbar oder nichtig ist.[91] Wenn es dem Grundsatz der Wesentlichkeit[92] nicht entgegensteht, können auch Nebenpflichten und sittliche Pflichten relevant sein. Nicht die Bedeutung für das einzelne Rechtsgeschäft, sondern die für das Unternehmen entscheidet über die Wesentlichkeit einer Nebenpflicht.[93] Eine privatrechtliche Außenverpflichtung besteht gegenüber natürlichen oder juristischen Personen des Zivilrechts und in einer zu erbringenden Geld-, Sach-, Dienst- oder Werkleistung.
[...]
[1] Vgl. BiRiLiG v. 19.12.1985; BGBl. I, S. 2355.
[2] Vgl. Küting/Weber: (Rechnungslegung), 1995, § 249 Rz 5.
[3] Vgl. Moxter: (Missverständnisse), 2000, S. 257.
[4] Vgl. Weber-Grellet: (Maßgeblichkeitsgrundsatz), 1999, S. 2659.
[5] Vgl. StEntlG 1999/2000/2002 v. 24.03.1999; BGBl. I, S. 402.
[6] Vgl. Beck/Oser/Pfitzer/Wollmert: (Aktuelle), 1994, S. 2568.
[7] Vgl. Knobbe-Keuk: (Bilanzsteuerrecht), 1993, § 4 V 5 a.
[8] Vgl. Crezelius: (Besonderes), 1991, § 8 Rz 35.
[9] Vgl. Blödtner/Bilke/Weiss: (Buchführung), 2001, S. 239.
[10] Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele: (Bilanzen), 2001, S. 359.
[11] Vgl. Coenenberg: (Jahresabschluss), 1997, S. 237.
[12] Vgl. Weber-Grellet: (Steuerbilanzrecht), 1996, § 11 Rz 1.
[13] Vgl. zu externen Adressaten und deren Anforderungen Küting/Weber: (Bilanzanalyse), 2001, S. 11.
[14] Vgl. Ritzrow: (Bilanzauffassungen), 2000, S. 526 f.
[15] Derselbe: S. 530.
[16] Vgl. Grote: (Arbeiten), 2000, S. 422.
[17] Vgl. Schierenbeck: (Betriebswirtschaftslehre) 1998, S. 533.
[18] Dieses verdeutlicht der Ausweis zwischen dem Eigen- und dem Fremdkapital gem. § 273 I 2 HGB.
[19] Vgl. § 273 I 1 HGB i.V.m. § 5 I 2 EStG als ein Beispiel für die umgekehrte Maßgeblichkeit.
[20] Vgl. Küting/Weber: (Rechnungslegung), 1995, § 249 Rz 22.
[21] In Anlehnung an: Baetge/Kirsch/Thiele: (Bilanzen), 2001, S. 360.
[22] Vgl. Ziemba: (Gestaltungshinweise), 2001, S. 304.
[23] „Return on Investment“= Die Verzinsung / Rendite einer Investition ins eigene Unternehmen.
[24] Vgl. Breithecker/Klapdor/Passe: (Steuerbilanzpolitik), 2002, S. 37.
[25] Vgl. Doralt: (Steuerpolitisch), 1998, S. 1357.
[26] Vgl. § 6 I Nr.3a Buchst. e EStG. Vgl. StEntlG 1999/2000/2002 v. 24.03.1999; BGBl. I, S. 402.
[27] Vgl. Nguyen/Rose: (Eigenkapitalsicherung), 1999, S. 2551.
[28] Vgl. Doralt: (Steuerpolitisch), 1998, S. 1357.
[29] Vgl. Breithecker/Klapdor/Passe: (Steuerbilanzpolitik), 2002, S. 44.
[30] Vgl. §§ 140 AO, 238 HGB. Vgl. ebenso § 141 AO (originäre Buchführungspflicht nach Steuerrecht).
[31] Vgl. Bippens: (Bilanzierungsphilosophien), 1998, S. 643.
[32] Vgl. Tipke/Lang: (Steuerrecht), 2002, § 9 Rz 330.
[33] Vgl. BFH v. 24.04.1985, I R 65/80; BStBl. II 1986, S. 324.
[34] Sog. „Verlängerte Maßgeblichkeit“: Vgl. Hennrichs: (Maßgeblichkeitsgrundsatz), 1999, S. 139.
[35] Vgl. § 6 EStG, § 6a III-V EStG, § 7 EStG, §§ 7a-7g EStG.
[36] Vgl. GrS v. 03.02.1969, GrS 2/68; BStBl. II 1969, S. 291.
[37] Vgl. Hildesheim: (Grundsatz), 2001, S. 1.
[38] Vgl. Tipke/Lang: (Steuerrecht), 2002, § 9 Rz 309.
[39] Vgl. Schmidt/Weber-Grellet: (Einkommensteuergesetz), 2002, § 5 Rz 27.
[40] Vgl. Moxter: (Verhältnis), 1997, S. 195.
[41] Vgl. § 5 IV EStG, § 6 I Nr. 1-3a, III-VI EStG, § 7 I 4, 6 EStG.
[42] Vgl. Weilbach: (Bollwerk), 2002, S. 290.
[43] Vgl. Groh: (Thesen), 1998, Heft 47, S. I, der das StEntlG allerdings scharf kritisiert.
[44] Vgl. Weber-Grellet: (Steuerentlastungsgesetzes), 2000, S. 169.
[45] Vgl. Weber-Grellet: (Gefahr), 1997, S. 385.
[46] Vgl. Moxter: (Missverständnisse), 2000, S. 161.
[47] Vgl. Hennrichs: (Maßgeblichkeitsgrundsatz), 1999, S. 140.
[48] Vgl. Weber-Grellet: (Maßgeblichkeitsgrundsatz), 1999, S. 2661
[49] Vgl. Hennrichs: (Maßgeblichkeitsgrundsatz), 1999, S. 146.
[50] Vgl. Dziadkowski: (Diskussion), 2001, S. 15.
[51] Vgl. Kussmaul/Klein: (Überlegungen), 2001, S. 550.
[52] Vgl. Schneider: (Bilanzierungsproblem), 2000, S. 1244.
[53] Vgl. Hildesheim: (Grundsatz), 2001, S. 6.
[54] Vgl. Schmidt/Weber-Grellet: (Einkommensteuergesetz), 2002, § 5 Rz 27.
[55] Vgl. Hoffmann: (Bilanzsteuerrecht), 2001, S. 453.
[56] Die EU-Kommission hat dies zwar im Jahr 2000 empfohlen, der deutsche Gesetzgeber hat sich diesbezüglich jedoch noch nicht entschieden.
[57] Vgl. Hildesheim: (Grundsatz), 2001, S. 2.
[58] Vgl. BMF: (Internationalisierung), 2002, S. 70.
[59] Vgl. Kahle: (Einflüsse), 2001, S. 136.
[60] Vgl. § 274 I HGB.
[61] Vgl. Seigel: (Bilanzsteuerrecht), 2002, S. 17 f.
[62] Vgl. Endriss/Haas/Küpper: (Steuerkompendium), 1998, S. 88.
[63] Vgl. Art. 28 I, II EGHGB.
[64] Vgl. GrS v. 03.02.1969, Grs 2/68; BStBl. II 1969, S. 291.
[65] Vgl. BFH v. 08.10.1987, IV R 18/86; BStBl. II 1988, S. 57.
[66] Vgl. § 249 III 1 HGB.
[67] Vgl. BFH v. 16.12.1987, I R 68/87; BStBl. II 1988, S. 338.
[68] Vgl. auch BFH v. 01.04.1981, I R 27/79; DB 1982, S. 520.
[69] Vgl. BFH v. 09.06.1999, I R 64/97; BStBl. II 1999, S. 656.
[70] Vgl. Abb. 1, S. 5.
[71] Vgl. bspw. BFH v. 28.6.1989, I R 86/85; BStBl. II 1990, S. 550.
[72] Vgl. § 5 IVa, IVb EStG.
[73] Vgl. Arndt/Piltz: (Besonderen), 1996, S. 361.
[74] Vgl. BFH v. 19.05.1987, VIII R 327/83; BStBl. II 1987, S. 848.
[75] Vgl. Weber-Grellet: (Realisationsprinzip), 1996, S. 903.
[76] Vgl. Schmidt/Weber-Grellet: (Einkommenssteuerrecht), 2002, § 5 Rz 383.
[77] Vgl. Weber-Grellet: (Realisationsprinzip), 1996, S. 903.
[78] Vgl. BFH v. 20.01.1983, IV R 168/81; BStBl. II 1983, S. 375.
[79] Vgl. Kessler: (Anpassungspflichten), 2001, S. 1912.
[80] Vgl. BFH v. 27.06.2001, I R 45/97; BFH/NV 2001, S. 1334. Vgl. Kap. 3.5, S. 31 f.
[81] Vgl. BFH v. 22.05.1987, III R 220/83; BStBl. II 1987, S. 711.
[82] Vgl. BFH v. 02.10.1992, III R 54/91; BStBl. II 1993, S. 153.
[83] Vgl. BFH v. 12.12.1990, I R 153/86; BStBl. II 1991, S. 479.
[84] Vgl. § 252 IV HGB. Vgl. außerdem Moxter: (Bilanzrechtsprechung), 1996, S. 245 f.
[85] Vgl. BFH v. 01.08.1984, I R 88/80; BStBl. II 1985, S. 44. Vgl. auch R 31c V EStR.
[86] Vgl. BFH v. 02.10.1992, III R 54/91; BStBl. II 1993, S. 153.
[87] Vgl. BFH v. 17.11.1987, VIII R 348/82; BStBl. II 1988, S. 430.
[88] Vgl. BGH v. 28.01.1991, II ZR 20/90; BB 1991, S. 507.
[89] Vgl. Seigel: (Bilanzsteuerrecht), 2002, S. 112.
[90] Vgl. BFH v. 17.08.1967, IV 285/65; BStBl. II 1968, S. 80.
[91] Vgl. Knobbe-Keuk: (Bilanzsteuerrecht), 1993, § 4 V 5 c.
[92] Vgl. kritisch zum Wesentlichkeitsgrundsatz im Steuerrecht vgl. Hoffmann: (Grundsatz), 1995, S. 1688.
[93] Vgl. BFH v. 18.01.1995, I R 44/94; BStBl. II 1995, S. 742.
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