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Bachelorarbeit, 2014
54 Seiten, Note: 1,0
1. Einleitung
2. Situation in Deutschland 1918 - 1945
2.1 Ereignisse in der Politik
2.2 Alltag und Lebensstandard während der Zeit des NS-Regimes
2.3 Widerstand gegen die NS-Diktatur
3. Widerstandsgruppe Weiße Rose
3.1 Mitglieder der Gruppe und deren ursprüngliche Motivation für den Widerstand
3.2 Spätere Motivation für den Widerstand
3.3 Tätigkeit der Gruppe „Weiße Rose“
4. Die Weiße-Rose-Prozesse und ihre Folgen
4.1 Gerichtsverhandlungen gegen Mitglieder und Unterstützer der Weißen Rose
4.2 Reaktionen auf die Prozesse
5. Nachlass der Weißen Rose im heutigen Deutschland
5.1 Institutionen
5.2 Gedenkfeier
5.3 Weiße Rose im Internet
5.4 Geschwister-Scholl-Preis
6. Zusammenfassung
7. Resumé
Literaturverzeichnis
Zeitschriftartikelverzeichnis
Internetquellenverzeichnis
Artikeln aus Wikipedia
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Widerstandsbewegung während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland. Um zu verstehen, wie damals der Widerstand entstand, müssen zuerst die historischen Zusammenhänge erklärt werden. Fakten über die Geschichte Deutschlands von der Weimarer Republik bis zum Dritten Reich werden mit einer Charakteristik der nationalsozialistischen Propaganda ergänzt. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Widerstandsgruppe Weiße Rose. Ihre Geschichte wird von der inoffiziellen Entstehung bis zur Vernichtung im Jahr 1943 ausführlich beschrieben. Den Kern der Gruppe bildeten Studenten der Münchner Universität mit einem ihrer Professoren. Es wird untersucht, was sie dazu motivierte, sich in einem so frühen Alter dem Widerstand anzuschließen und wofür sie ihre Leben aufs Spiel setzten.
Die Verhaftungen der Mitglieder der Weißen Rose begannen im Februar 1943. Zuerst wurden Hans und Sophie Scholl mit Christoph Probst verhaftet, verurteilt und hingerichtet, später folgten auch Willi Graf, Kurt Huber und Alexander Schmorell. Weiterhin wird analysiert, wie die Gerichtsverhandlungen verliefen und wie sich die einzelnen Prozesse unterschieden.
Heutzutage werden Nachrichten in Sekundenschnelle durch das Internet vermittelt und man kann einen kompletten Überblick über das Geschehen in der Welt haben. Aber wie funktionierte das im Dritten Reich? Wie reagierte die damalige Öffentlichkeit auf die Prozesse? Die Reaktionen der Personen des öffentlichen Lebens werden im Kapitel „Nachlass der Gruppe im heutigen Deutschland“ erarbeitet. Es stellt sich die Frage, wie aktuell das Thema ist, wenn die Akteure schon tot sind und wenn es immer weniger Zeitzeugen gibt, die davon erzählen könnten. Weiterhin wird aufgezeigt, ob das Thema im Internet diskutiert wird, wie das bewegte Schicksal der Weiße Rose lebendig erhalten wird und wie es sich in Deutschland widerspiegelt?
Viele Menschen verbinden sich mit dem Begriff „Die Weiße Rose“ nur die Geschwister Scholl und ihre Geschichte vor. Ziel dieser Arbeit ist die Präsentation der Widerstandsgruppe als Ganzes. Noch immer gibt es viele Wissenschaftler, Journalisten und Studierende, die sich mit diesem Thema sehr intensiv beschäftigen. Diese Arbeit fasst nicht nur die interessantesten Ergebnisse ihrer Forschung zusammen, sondern bringt vor allem den tschechischen Rezipienten einen Teil des deutschen Widerstandes während des Dritten Reiches näher.
Um eine objektive und vollständige Einsicht in die Geschichte des NS-Regimes in Deutschland zu erhalten, muss man nicht nur bestimmte historische Daten und Fakten kennen. Die Tätigkeit und die Entschlüsse von Politikern, Bürgern und Widerstandskämpfern wurden durch mehrere Faktoren beeinflusst. Deshalb beinhaltet dieses Kapitel auch die wichtigsten Informationen über die politische, kulturelle und soziale Situation der Menschen in dieser Zeit.
Im Folgenden wird das politische Geschehen zusammenfassend beschrieben. Erwähnt werden ausgewählte Ereignisse und Tatsachen, die einen entscheidenden Einfluss auf die Entstehung des Widerstandes haben konnten und die bestmöglich zur Darstellung der damaligen Zeit dienen. Auf dem Weg zum Nationalsozialismus und während der Zeit des NS- Regimes geschah in Deutschland vieles mehr, was in einer Diplomarbeit erweitert und nähergebracht werden könnte.
Gründung und Scheitern der Weimarer Republik
Unter dem Einfluss der Novemberrevolution und nach dem Vorbild der anderen europäischen Länder wurde Deutschland Republik. ÄWilhelm II. musste als Repräsentant des alten Regimes abdanken, damit ein demokratisiertes Deutschland einen Frieden zwischen gleichberechtigten Völkern würde schließen können.“1 Die erste Regierung bildeten die Parteien MSPD und USPD im November 1918. Als Ziele setzten sie die parlamentarische Demokratie, das Verhältnis- und Frauenwahlrecht, die Verbesserung der Arbeitsverhältnisse und den Ausbau des Sozialstaats fest.
Die Wirtschaft wurde mit Reparationen belastet und der Waffenstillstand diktierte die forcierte Demobilisierung. Die Inflation lässt sich als eine natürliche Konsequenz der damaligen Situation bezeichnen. Erst nach fünf Jahren ist der wirtschaftliche Aufschwung zu beobachten. Im Jahr 1926 folgte die Verbesserung der internationalen Beziehungen (vor allem mit Frankreich) mit der Bestätigung der Mitgliedschaft im Völkerbund als Höhepunkt2. Die Verdienste gehören dem damaligen Reichskanzler und Außenminister Gustav Stresemann, der für seine diplomatische Tätigkeit mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
Leider brachte die wirtschaftliche Konjunktur der 20er Jahre auch die unvermeidbare Folge - die Weltwirtschaftskrise. Die Anzahl der Arbeitslosen stieg stetig. Trotz den sozialen Maßnahmen, die Hilfe bei der Erwerbslosigkeit und ein Lebensminimum garantierten, entstanden zahlreiche Unruhen, die schließlich zu zielbewussten Klassenkämpfen wurden.
ÄEuropaweit erlangten antidemokratische Strömungen Aufwind. In Deutschland wuchs mit dem Nationalsozialismus eine Massenbewegung, die vielen Bürgerinnen und Bürgern ein Ende des politischen Chaos versprach.“3
Damit begann der Untergang der Weimarer Republik, die auf dem Prinzip der Toleranz, dem Kompromiss und dem Klassenfrieden stand.
Antritt der Nationalsozialisten zur Macht
Seit dem Jahr 1923 waren die Nationalsozialisten in Bayern tätig, ein Jahr später hatten sie im Reichstag zweiunddreißig Abgeordnete. Da im Jahr 1928 nur zwölf NS- Abgeordnete im Reichstag saßen, ahnte niemand die Bedrohung. Diese Leute wurden als die Karikaturen und verrückte Wesen der politischen Szene wahrgenommen. Dieser Zustand hätte auch andauern können, leider kam jedoch die Wirtschaftskrise und die enttäuschten, arbeitslosen Massen ließen sich von den Nationalsozialisten auf ihr starkes, zielbewusstes Programm anlocken.
Zu diesem Zeitpunkt waren die demokratischen Politiker nicht mehr fähig, sich auf ein gemeinsames Regierungsprogramm zu einigen. Hitler kam dagegen mit klar gegebenen Maßnahmen; sie sollten zur Stabilisierung der Regierung dienen und das deutsche Volk aus der Krise ausführen. Der Reichstag wurde vom Reichspräsidenten Hindenburg nach geltenden Gesetzen aufgelöst und Neuwahlen wurden ausgeschrieben. Als Partei des Protests bewies sich die NSDAP als die zweitstärkste Fraktion der Regierung. So entstand die Möglichkeit, den Reichstag zu einer antidemokratischen Agitation zu missbrauchen. Leider war die Stabilisierung der parlamentarischen Regierung durch Neuwahlen nicht mehr möglich.
ÄAus der zweimaligen Auflösung des Reichstages und den Neuwahlen (…) resultierte lediglich die Änegative“ absolute Reichstagsmehrheit der verfassungsfeindlichen Parteien: Die NSDAP avancierte zur stärksten Partei mit 37,4% (...) während die KPD ihren Stimmenanteil auf 14,5%( ...) erhöhen konnte.“4
Schließlich wurde Adolf Hitler vom Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zum Amt des Reichskanzlers berufen.
Die nationalsozialistische Diktatur in Deutschland
Schon in den ersten Monaten von Hitlers Regierung war sichtbar, dass er die Macht über den ganzen Staat in seinen Händen konzentrieren will. Zur Eroberung der wichtigsten Mittel der Macht - der Reichswehr und der preußischen Polizei genügte es, zwei Minister zu manipulieren: den Innenminister Wilhelm Frick und den Reichskommissar für Preußen Hermann Göring. In den nächsten Reichstagswahlen war der Stimmenanteil 43,9% für Hitler eine Enttäuschung. Trotzdem schaffte er es, die kommunistische Opposition in ein paar Wochen skrupellos einzuschüchtern und zu verhaften. Mit der „Zustimmung“ seiner Opponenten könnte sich Hitler vom Reichspräsidenten unabhängig machen. ÄSo jedoch hatten die Nationalsozialisten alle Instrumente in der Hand, um ihre Macht aus dem Staatsapparat heraus zu befestigen.“5 Der Rechtsstaat wurde zerstört und der neuerschaffene Herrschaftsapparat funktionierte als ein Staat im Staate. Zu den Machtinstrumenten gehörte vor allem die geheime Staatspolizei (Gestapo). Ihre Aufgabe war, politische Gegner zu identifizieren, zu beobachten und schließlich zu vernichten. Wichtig waren auch die Organisation Schutzstaffel (SS) und das System der Konzentrationslager, wo hunderttausende „Feinde des Reiches“ verschwanden.
Schon im Jahr 1925 schrieb Hitler in seinem Buch Mein Kampf, dass man ums Leben kämpfen muss und dass diesen Kampf nur die stärkste Rasse gewinnen kann. Eine solche Rasse habe dann das Recht auf einen eigenen Lebensraum und sie könne dieses Recht mit allen Mitteln durchsetzen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden die „Minderwertigen“ (Juden, Schwerbehinderte, Schwulen, Roma) vernichtet, um einen erträumten Lebensraum zu gewinnen und ganze Europa ihren Regeln unterzuordnen.
Aufbruch des zweiten Weltkriegs und seine Folgen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bild 1: Verträge und Vertragsbrüche in der NS-Außenpolitik 1933-1939, © Bergmoser + Heller Verlag AG, Zahlenbild 52 028
Alle abgeschlossenen Verträge, wie auf dem Bild 1 steht, wurden gebrochen und als erste fiel mit der Unterstützung der allgegenwärtigen Propaganda Österreich zum Opfer. Der Anschluss des Landes ohne Kampf motivierte Hitler zu weiteren Angriffen und das deutsche Volk bejubelte ihn. Als nächstes an der Reihe war die Tschechoslowakei; die Westmächte Großbritannien und Frankreich gaben im Münchner Abkommen das „Sudetenland“ im Tausch gegen den versprochenen Frieden in Europa. Mit Besetzung der Tschechoslowakei am 15. März 1939 wurde auch dieses Abkommen gebrochen. Zum Ausbruch des Krieges trug auch der Überfall auf Polen am 1. September 1939 bei. Es kam schon zum zweiten großräumigen Militärkonflikt im Zeitraum von fünfzig Jahren.
Für die Deutschen änderte sich mit dem Kriegsaufbruch erstaunlich wenig. Dank dem Erfolg in den ersten Kriegsjahren war die Atmosphäre im Land fast ruhig. Natürlich gab es Ausnahmen, aber trotzdem kann man sagen, dass die Mehrheit der Deutschen froh war, dass an der Spitze des Staates eine starke Persönlichkeit steht. Für die einfachen Leute war es gut, dass der Führer die Versprechungen über Senkung der Arbeitslosigkeit und die soziale Situation erfüllt. Die Leute wussten es nicht oder wollten eher nicht wissen, was für ein Grauen „dort draußen“ geschieht. Die grundsätzliche Wende kam mit der militärischen Niederlage bei Stalingrad. Die Zahl der Kriegstoten nahm wesentlich zu und das ganze Land begann unter Bombenangriffen zu leiden. Erst von diesem Moment an bewiesen sich die drastischen Auswirkungen des Krieges, was zu Passivität und Hoffnungslosigkeit führte. Alle Versuche, gegen das Regime und seine Tätigkeit zu kämpfen, waren durch Bespitzelung und Denunziation zerstört.
ÄNach zwölf Jahren war die Herrschaft der NSDAP durch die militärische Niederlage des Deutschen Reiches beendet. Europa lag in Trümmern, Millionen Tote waren zu beklagen, auf den Schlachtfeldern, unter der Zivilbevölkerung und als Opfer der Verbrechen und Mordaktionen des nationalsozialistischen Regimes: sechs Millionen Juden, Hunderttausende Sinti und Roma, die dem Rassenwahn geopfert wurden, Oppositionelle, sowjetische Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter aus vielen Nationen, Behinderte, Angehörige unerwünschter Minderheiten, als ÄAsoziale“ denunzierte Menschen, Homosexuelle.“6
Das Leben im Dritten Reich wurde von der Reichsleitung bis ins Letzte geplant und gut organisiert. Die nationalsozialistische Propaganda sollte die deutschen Staatsbürger motivieren, alles ihnen Mögliche im Interesse des Reiches zu tun. Die absolute Loyalität wurde in den Menschen schon von Kindheit an aufgebaut. Jeder ordentliche Bürger hatte die Pflicht, sich für das Reich in offiziell erlaubten Verbänden (Hitlerjugend, NS-Frauenschaft, Deutsche Arbeitsfront) zu engagieren. Für das Verstehen des Themas Jugendopposition und studentischer Widerstand sind diese Tatsachen von entscheidender Bedeutung.
Erziehung der Jugend
Ä1. Die Aufgabe der deutschen Schule ist es, gemeinsam mit den anderen nationalsozialistischen Erziehungsmächten, aber mit den ihr gemäßen Mitteln die Jugend unseres Volkes zu körperlich, seelisch und geistig gesunden und starken deutschen Männern und Frauen zu erziehen, die, in Heimat und Volkstum fest verwurzelt, ein jeder an seiner Stelle zum vollen Einsatz für Führer und Volk bereit sind...“7
Die größte Sorgfalt wurde der Erziehung der Kinder und der Jugend gewidmet, weil sie für die „Zukunft des Reiches“ gehalten wurden. Sie wurden nicht nur in den klassischen Schulen, sondern auch in den speziellen Reichsanstalten erzogen. Nachdruck wurde eher auf Loyalität als auf Kenntnisse gelegt, die Hauptbedingung für die Aufnahme in die Reichserziehungsanstalt war die Rassenreinheit. Um sich an der politischen Reichsakademie weiterzubilden, musste man sogar bis in das Jahr 1800 zurück die Rassenreinheit nachweisen. Als Nachweis diente der „Große Ariernachweis“.8
Anfang des 20. Jahrhunderts waren viele Jugendvereine in Deutschland tätig. Wegen der Machtfestigung der Diktatur wurden viele ideologisch widersprechende Organisationen aufgelöst. Am 1. Dezember 1936 wurde die gesamte deutsche Jugend durch das Gesetz über die Hitlerjugend in eine einzige Reichsorganisation zusammengefasst. Unter Baldur von Schirachs Leitung sollte sich die Jugend für ihre künftigen Pflichten vorbereiten.9 Die Mitgliedschaft wurde später obligatorisch und so wurden alle Jungen verpflichtet, unbedingt dem Führer treu zu sein. Am Ende des Krieges wurden diese Eide ausgenutzt, um die Jungen in die Wehrmacht oder in die Waffen-SS zu rekrutieren.10
Die nationalsozialistische Diktatur in Deutschland wurde nicht über Nacht geboren. Die NSDAP hatte ziemlich viel Zeit, alle Machtinstrumente zu entwickeln und den Rechtsstaat abzuschaffen. Natürlich gab es die Opposition, die Regimegegner, die NS- Kritiker. Aber stets fehlte die Einheitliche Idee des Widerstands, die man folgen konnte und für die man kämpfen sollte. Zu dem Zweispalt trägt auch die Tatsache bei, dass auch manche solche Gegner den bestimmten Punkten des NS-Programms zustimmten und das sowieso bedrohte Vaterland mit ihrer Initiative nicht noch mehr in Gefahr bringen wollten. Der entscheidende Mut, etwas zu ändern, wurde von dem Gefühl der Loyalität zur Heimat und dem Respekt zu den Autoritäten überwältigt. Deswegen vertraten damals auch viele Bürger unheimlich lang die Meinung, es solle möglich und sogar besser sein, das Regime von innen aus zu reformieren.
Man kann nicht bestreiten, dass Antisemitismus und Rassismus schon von Anfang an ein Teil von Hitlers Ideologie waren. Das deutsche Volk wurde vielleicht mit den angebotenen sozialen Sicherheiten geblendet und war aus der Zeit des Ersten Weltkriegs und aus der Nachkriegszeit noch immer zu erschöpft, um Antisemitismus und Rassismus folgerichtig und in ausreichendem Maße zu verhindern. Außerdem können wir aus der heutigen Sicht nicht mehr bestimmen, ob das möglich gewesen wäre.
Als erstes fielen dem Regime viele Deutsche zum Opfer. Schon im Jahr 1933 erlebte die Opposition die NS-Praktiken und zahlreiche Persönlichkeiten des wissenschaftlichen und kulturellen Lebens bezahlten für ihre Meinungen mit dem Leben oder mit ihrer Karriere. Andererseits gab es immer Freiwillige, die ein kompliziertes Informantennetz bildeten und damit zum Terror beitrugen. Laut den Historikern Klaus-Michael Mallmann und Gerhard Paul wäre es ohne Kollaborateure kaum möglich gewesen, solche Macht und absoluten Überblick über die Tätigkeit der Regimegegner zu haben.11 Trotzdem sollte man das Problem nicht nur als schwarz-weiß beurteilen.
Motive zum Widerstand
In Deutschland waren viele Widerstandsgruppen und Bewegungen tätig, die sich aus unterschiedlichsten Gründen dem Regime verweigerten. Es musste sich nicht unbedingt nur um berühmte Widerstandskämpfer und politische Gegner handeln. Die stellen nur die Spitze des Eisbergs dar. Tatsächlich gab es viele andere Leute, die ihr soziales Empfinden nicht verloren und sich im Gegenteil das Mitgefühl für die diskriminierten Gruppen völlig erhielten. Diese Leute hatten oft fast keine Möglichkeit, eine oppositionelle politische Haltung durch größere Taten zu beweisen. Trotzdem existierten viele Formen des individuellen Protests, die immer mit dem Risiko der Verfolgung, der Verhaftung, sogar des Todes verbunden waren.
Die schrecklichen Erlebnisse aus dem Kriegsalltag motivierten die Bürger oft zur Verweigerung der neu aufgestellten Ordnungen durch Verstecken von Juden und anderen Verfolgten, durch Einkaufen in jüdischen Läden oder durch materielle Unterstützung von Widerstandsgruppen. Es war das breite und gut organisierte Netz, das den Widerstand bewegte, nicht die Einzelheiten oder individuelle Aktionen. Die gleiche Aufmerksamkeit verdienen auch die Künstler - Schriftsteller, Grafiker oder auch Journalisten, die ihre Möglichkeiten und ihren Einfluss auf die Massen dazu ausnutzten, auf die Gefahr der NS- Politik durch Artikel, Essays oder Grafiken aufmerksam zu machen und die wichtigsten Ereignisse aus Deutschland ins Ausland zu vermitteln.
Die wichtigsten Widerstandsgruppen und Bewegungen
Als erste gerieten die politischen Opponenten mit den Nationalsozialisten in Konflikt. Manche politischen Parteien wurden schon vor der Reichstagswahl gewalttätig aufgelöst, wie zum Beispiel die Kommunistische Partei Deutschlands. Am Anfang war die KPD bereit, mit der SPD und mit den Arbeitern ohne Parteiangehörigkeit im gemeinsamen Widerstandsprojekt „Aktionseinheit“ zu kooperieren. Die Meinungen und Motivationen der Mitglieder waren leider zu unterschiedlich und die Zusammenarbeit wurde schließlich beendet. Aus diesem politischen Hintergrund stammte auch die christlich-sozialistische Gruppe „Antinazistische Deutsche Volksfront“. Die Tätigkeiten der Gruppen wurden durch das Verbot von oppositionellen politischen Parteien beendet.
Eine Gefahr für das NS-Regime stellte auch die Kirche dar, weil sie über einen großen Einfluss auf die Massen verfügte und viele Anhänger hatte. Im Kirchenkampf waren zwei große Gruppen tätig: die katholische Kirche und die evangelische, die sogenannte Bekennende Kirche. Beide kämpften zusammen gegen die Verletzung der Menschenrechte, die Massenmorde und gegen die Deutschen Christen, die Organisation, die die christlichen Werte im Interesse der Propaganda ausnutzte. In der Nachkriegszeit kritisierte die katholische Kirche auch die britische Besatzungspolitik und das Prinzip der kollektiven Schuld aller Deutschen.
In der Zeit der NS-Diktatur war die Existenz von Verbänden mit dem Potenzial politischer Macht nicht zulässig. Deswegen wurden auch die Gewerkschaften systematisch überwacht. Sie haben viele Gelegenheiten, inländische sowie ausländische Kontakte anzuknüpfen und Informationen auszutauschen; vor allem im Verkehr und auf der Eisenbahn. Trotz der Förderung der internationalen gewerkschaftlichen Organisationen wurden die Initiativen der Mitarbeiter oft von der Gestapo gestört.
Auch unter den Jugendlichen waren antinazistische Strömungen sichtbar. Aufgrund des Reichstagsgesetzes wurden viele Jugendverbände aufgelöst oder in die Hitlerjugend integriert. Manche ihrer Mitglieder vergaßen ihre ursprünglichen Ideale und Werte nicht und begannen andere Kameraden zu beeinflussen. Schon als Jugendliche wurden diese Widerstandskämpfer von Gestapo verfolgt und in Jugend-KZ interniert. Unter den jungen Erwachsenen waren vor allem die Herbert-Baum-Gruppe, die Weiße Rose und die Edelweißpiraten bekannt.
Viele Widerstandsgruppen stammten aus traditionellen intellektuellen Kreisen, die sich immer um eine oder zwei besondere Persönlichkeiten sammelten, wie im Fall des Kreisauer-, Goerdeler-, Solf- und Freiburger Kreises oder ähnlich wie in der StrassmannGruppe. Aber auch Menschen aus verschieden sozialen, nationalen und politischen Gruppen waren fähig, eine funktionierende Widerstandsbewegung zu organisieren. Als Beispiel dafür dient die Gruppe Rote Kapelle mit mehr als 150 Angehörigen.
In militärischen Kreisen kam es oft dazu, dass die Kommandanten die Befehle nicht respektierten und nach eigenem Gewissen handelten, damit sie die Leben der Soldaten retten konnten. Dabei muss man erwähnen, dass die NS-Propaganda von den Soldaten absolute Loyalität forderte und jeder bereit sein musste, nicht nur die Leben der anderen, sondern sogar sein eigenes Leben im Interesse des Reiches zu opfern.
Obwohl die Angestellten der Konzentrationslager zur Bedienung der Gaskammern gezwungen wurden, mussten sie nicht unbedingt diesem Prozess zustimmen. Sie waren oft aus den Reihen der Gefangenen rekrutiert und trotz der ständigen Überwachung waren sie fähig, ein eigenes Netz aufzubauen. Dank der Verbindungen in alle Abteilungen des Lagers war es möglich, eine Aktion zur Zerstörung der Gaskammern mithilfe geschmuggelten Sprengstoffs zu organisieren.
Auch wenn Hitler am Ende des Krieges den „Kampf bis zur letzte Patrone“ forcierte, strebten viele Bürger eine gewaltlose Kapitulation an. Als Beispiel kann man die Widerstandsbewegung Freiheitsaktion Bayern12 nennen, die weiteres Blutvergießen der bayerischen Bewohner vermeiden wollte. Wenn diese Widerstandskämpfer entdeckt wurden, wurden sie nach dem Standrecht ohne juristischen Prozess sofort getötet, oft nur wenige Stunden vor der Befreiung und dem offiziellen Ende des Krieges. Viele engagierten sich im politischen Leben weiter, auch in der Nachkriegszeit.13
Das folgende Kapitel fokussiert sich vor allem auf den Kern der Widerstandsgruppe. Angeblich gab es ungefähr hundert Personen, die über ihre Tätigkeit wussten oder mit der Gruppe zusammenarbeiteten.14 Im Allgemeinen ist schwer zu sagen, wer genau der Gruppe angehörte und wer nicht; der Widerstandskreis wurde von mehreren Personen materiell und finanziell unterstützt. Manche von ihnen bildeten weitere Zweige eines breiten Widerstandsnetzes und engagierten sich weiter für die Ideen der später hingerichteten Mitstreiter. Im Kern der Gruppe waren sicherlich alle Mitglieder im gleichen Maß wichtig, gesprochen wird aber am meisten von den Geschwistern Scholl. Der Grund dafür ist, dass ihre jüngere Schwester Inge den Krieg überlebte und darüber in mehreren Büchern berichtete. Außerdem war es Hans Scholl, der als erster mit der Idee der Widerstandsgruppe kam. Bücher oder andere Materialien von Familienmitgliedern der anderen Weiße-Rose-Angehörigen, die die Ereignisse so ausführlich beschreiben würden, sind mir bisher nicht bekannt.
Wie waren die Mitglieder der Weißen Rose? Warum entschlossen sie sich schon so jung, aktiven Widerstand zu leisten? Die ursprüngliche Motivation wurde in jedem von ihnen schon von Kindheit an tief eingewurzelt. Sie stammten aus unterschiedlichen Familien; christlichen, humanistischen, künstlerischen. Das eine aber hatten sie gemeinsam: Die Elternhäuser trugen in großem Maße dazu bei, dass diese Widerstandskämpfer ihre weltanschaulichen Ideale und Meinungen bis zum letzten Atem verteidigten, und Engagement war ihnen nicht fremd.
Hans Scholl
Die Initiative für die Entstehung der Gruppe kam von Hans Scholl. Er wurde von den Eltern zu Liebe zum Vaterland und zur Natur, Toleranz, Mut und Respekt geführt. Es ist kein Wunder, dass ihn die Hitlerjugend zur Mitgliedschaft anlockte. Die Gemeinschaft gab jedem Jungen die Möglichkeit, am allgemeinen Wohl mitzuwirken und ein Teil der kompakten Kolone zu sein, bei Trommelschlag und Gesang und unter stolzen Fahnen. Damals ahnte er noch nicht, was alles sich hinter den nationalsozialistischen Ideen versteckt. Auf den ersten Blick war alles im Einklang mit Hans’ Philosophie und er freute sich darüber, dass er an einem Prozess beteiligt war, der aus der Masse Volk schuf.15 Umso größer war dann sein Staunen, dass sein Vater die Nachricht über die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend kaum begeistert aufnahm.
[...]
1 WIRSCHING, ANDREAS, Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert. Nördlingen: C. H. Beck, 2011, S. 35.
2 Vgl. Lange, Thomas: „Deutsche Geschichte IV: 1919 - 1991“. In: Der Weg: Portal für Deutschlernende (2012), URL: http://www.derweg.org/deutschland/geschichte/deutschland1919-1991.html. Letzter Zugriff: 26.11.2013.
3 Jung, Matthias: „Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg“. In: Bundeszentrale für die politische Bildung (2011), URL: http://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/nationalsozialismus/39530/untergang-der- republik. Letzter Zugriff: 01.02.2014.
4 WIRSCHING, ANDREAS, Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert. Nördlingen: C. H. Beck, 2011, S. 52-53.
5 Ebd., S. 59.
6 Benz, Wolfgang: „Zustimmung und Widerstand im Nationalsozialismus“. In: Informationen zur politischen Bildung, 1994, H. 2, S 3-4.
7 SCHEIBE, WOLFGANG, Zur Geschichte der Volksschule: 19. und 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt Verlag, 1974, S. 82.
8 Vgl. „Ariernachweis“ In: Wikipedia: the free encyclopedia (2001), URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Ariernachweis#Kleiner_Ariernachweis. Letzter Zugriff: 01.02.2014.
9 Vgl. „Deutschland. Reichsgesetzblatt 1936 I“ In: Wikimedia Commons (2001), URL: http://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Reichsgesetzblatt_1936. Letzter Zugriff: 01.02.2014.
10 Vgl. CONZE, WERNER, Der Nationalsozialismus 1934-1945: Totaler Führerstaat und nationalsozialistische Eroberungspolitik. Stuttgart: Ernst Klett Schulbuchverlag, 1984, S, 25.
11 Vgl. MALLMANN, KLAUS-MICHAEL, PAUL, GERHARD, Herrschaft und Alltag: Ein Industrierevier im Dritten Reich. Widerstand und Verweigerung im Saarland 1935-1945. Bonn: Verlag Dietz, 1991.
12 Vgl. SANDER, ULRICH, Mörderisches Finale: Naziverbrechen bei Kriegsende. Köln: PapyRossa, 2008.
13 Vgl. STEINBACH, PETER (Hrsg.), Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur 1933-1945. Berlin: Lukas Verlag, 2004.
14 Vgl. SCHOLL, INGE, Die Weiße Rose. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1992.
15 Vgl. SCHOLL, INGE, Die Weiße Rose. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1992, S. 16.