Diplomarbeit, 2013
60 Seiten, Note: 2,1
Einleitung
1. Glaubwürdigkeit - einleitender Überblick
1.1 Definitionen der Glaubwürdigkeit
1.2 Inszenierung der Glaubwürdigkeit
1.2.1 Eindrücke der Glaubwürdigkeit
1.2.2 Eindrücke der Glaubwürdigkeit in der unmittelbaren Interaktion
1.3 Eindrücke der Glaubwürdigkeit in der werblichen Kommunikation
1.3.1 Werbung als Rahmen
1.3.2 Werbung und Aufmerksamkeit
1.3.3 Werbung und Glaubwürdigkeit
1.3.4 Dramaturgische Konzepte der Glaubwürdigkeit in der Werbung
2. Ökologische Frage und Öko-Werbung
2.1 Umweltschutz und gesellschaftliche Resonanzen
2.1.1 Die Leitideen der Umweltbewegung in ihrer Entwicklung
2.1.2 Umweltbewegung - von Idee zur Institutionalisierung
2.1.3 Umwelt- und Klimaschutz als eine gesamtgesellschaftliche Problemstellung
2.2 Öko-Werbung - Antwort auf die „ökologische Frage“?
2.3 Glaubwürdigkeit in der Öko-Werbung und mittels Öko-Werbung
3. Toyota - „Nichts ist unmöglich“
3.1 Umweltschutz und Toyota
3.2 „Toyota Prius - Wegweisend“
3.3 „Die Zukunft atmet auf!“
3.4 Untersuchungsgegenstand
4. Methode der Grounded Theory
4.1 Geschichte und Vorgehensweise der Methode
4.2 Kodieren und Memos schreiben
4.3 Vorgehensweise
5. Empirische Ergebnisse
5.1 Gefühle/Werte/Emotionen
5.2 Entwicklung
5.3 Funktionen und Eigenschaften
5.4 Schlüsselkategorien
5.4.1 Moralisierung/Emotionalisierung
5.4.2 Eindruck der Nähe und Autorisierungen
5.4.3 Bewährtheit vs. Innovation
5.4.4 Besonderer Anspruch des Produktes
5.5 Zusammenfassung der Ergebnisse
6 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Mit der so genannten Öko-Werbung wird der Anspruch erhoben einen „glaubwürdigen Dialog“ (vgl. Katz 2002) mit der Öffentlichkeit zu führen. Dieser Anspruch erscheint aufgrund der eigenen Glaubwürdigkeitsvorbehalte der Werbung jedoch etwas paradox. Denn die Werbung hat selbst mit Glaubwürdigkeitsvorbehalten zu kämpfen. Auf der anderen Seite ist Glaubwürdigkeit für die Werbung auch nicht immer erforderlich, denn schließlich gibt es andere essentielle „Güter“, wie Aufmerksamkeit. Somit stellt sich die Frage, worauf sich der Glaubwürdigkeitsanspruch der Öko-Werbung gründet
Die Szenarien der Öko-Werbung beinhalten moralische Appelle an das Publikum. Man will die Konsumenten davon überzeugen, dass die Welt schöner und sauberer wird, wenn man nun endlich handelt und den Slogans der grünen Werbung folgt. Damit beansprucht die Öko-Werbung eine gesamtgesellschaftliche Problemstellung lösen zu können, bzw. dieser entgegen zu wirken. Die Öko-Werbung appelliert an das „grüne Gewissen“ der Verbraucher . Man will die Rezipienten zum „Umdenken“ bewegen und präsentiert sich als eine „sinnstiftende Institution“ (vgl. Reichertz 1997) in Sachen Umweltschutz.
Daraus erwachsen wiederum Ansprüche an die Werbung als Kommunikationsform. Denn diese „moralische Unternehmung“ (vgl. Reichertz 1997) bedarf wiederum einer „glaubwürdigen Inszenierung“ (vgl. Willems/Kautt 2003; Willems 2000; Willems/Jurga 1998). Das Publikum soll einerseits sensibilisiert werden, dass der Umweltschutz die Verantwortung jedes einzelnen ist. Und überzeugt werden, dass das beworbene Produkt das erfüllt, was es verspricht.
Somit soll die Fragestellung dieser Arbeit lauten: wie inszeniert die so genannte Öko-Werbung Glaubwürdigkeit? Und welche Techniken setzt sie ein?
Um dieser Fragestellung auf den Grund zu gehen, wurde im Rahmen dieser Arbeit exemplarisch ein Werbespot des japanischen Automobilherstellers Toyota aus dem Jahr 2009 untersucht. Der Werbespot präsentierte eine „technische Innovation“, den Toyota Prius. Dieser verspricht durch die Kombination eines Benzin- und eines Elektromotors einen besonders schonenden Umgang mit der Natur.
Das Ziel dieser Arbeit soll somit sein, den beschriebenen Werbespot mit Hilfe der qualitativen Methode der Grounded Theory zu analysieren. Es ist jedoch nicht das Ziel der Arbeit, herauszuarbeiten, wie der Werbespot in Bezug auf seine Glaubwürdigkeit auf die Rezipienten wirkt, sondern es geht darum, wie Glaubwürdigkeit von den Werbemachern intendiert, modelliert und inszeniert wird.
Bevor mit der Analyse begonnen wird, wird anhand der soziologisch relevanten Literatur zusammengetragen, wie Glaubwürdigkeit definiert werden kann. Als nächstes wird mithilfe der interaktionistischen Perspektive herausgearbeitet, welche Möglichkeiten Akteure haben, wenn sie glaubwürdig wirken wollen. Dabei soll die Darstellung der Glaubwürdigkeit als eine „kodierte symbolische Inszenierungs- und Deutungspraxis“ (Willems/Kautt 2003: 21) begriffen werden, bei der die Handelnden Symbole und Zeichen verwenden, um dies zum Ausdruck zu bringen. Die wichtigste Voraussetzung hierfür stellt eine Face-to-Face Interaktion dar.
Ausgehend aus diesen Überlegungen werden die Schwierigkeiten und Herausforderungen für die werbliche Kommunikation in Bezug auf ihre Glaubwürdigkeitsinszenierung erläutert. So ist allgemein davon auszugehen, dass die Werbung aufgrund ihrer besonderen Interessenslage keinen generellen Glaubwürdigkeitsvorschuss genießt. Es soll aber auch gezeigt werden, dass Glaubwürdigkeit auch nicht immer das vorderste Ziel der Werbung ist.
Wenn sich die Werbung der Herausforderung stellt, glaubwürdig wirken zu wollen, dann greift diese auf „entsprechende Sinnverständnisse des Publikums zurück“ (Wehner 1996: 34 ff. nach Willems/Kautt 2003: 105). Daher werden abschließend im ersten Kapitel spezifische Inszenierungstechniken der Werbung in Bezug auf die Glaubwürdigkeitsgenerierung erläutert.
Das zweite Kapitel widmet sich der Frage, weshalb Umweltschutz zu einem dramaturgischen Konzept der Werbung geworden ist. Dazu wird einleitend ein kurzer Überblick über die Geschichte der Umweltbewegung gegeben. Im zweiten Abschnitt dieses Kapitel wird der Gegenstand der Öko-Werbung etwas näher erläutert und das Besondere der Öko-Werbung herausgearbeitet. Es geht an dieser Stelle darum, zu diskutieren, worauf sich der spezifischer Glaubwürdigkeitsanspruch der Öko-Werbung gründet. Und welche Bedeutung dem Umweltschutz hierbei zukommt.
Im dritten Kapitel geht es darum, einige Fakten und Daten des zu untersuchenden Gegenstandes zu erläutern. Zu diesem Zweck wird kurz auf die Geschichte des Konzerns Toyota hinsichtlich
seines Umwelthandelns eingegangen. Darüberhinaus stellt die vorliegende Arbeit die Werbekampagne, „die Zukunft atmet auf!“ und den Toyota Prius vor. Abschließend werden die spezifischen Fragen in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand formuliert.
Das vierte Kapitel dieser Arbeit widmet sich der Methode der Grounded Theory. Einleitend wird ein kurzer Überblick über die Entstehungsgeschichte der Methode sowie ihre Vorgehensweise erläutert.
Im Kapitel fünf soll der Analyseprozess etwas plausibilisiert werden. Hierbei werden einleitend die ersten Kategorien vorgestellt, die in den nachfolgenden Schritten weiter aufgeschlüsselt und diskutiert werden.
Dabei ist anzumerken, dass im Rahmen dieser Arbeit keine weiteren empirischen Erhebungen gemacht werden, anders als die Methode der Grounded Theory es vorsieht. Die Untersuchung versteht sich als eine Einzelfallanalyse und beschränkt sich lediglich auf einen Werbespots und beansprucht demnach keine Generalisierung der Ergebnisse. Das Ziel dieser Arbeit soll darin zu sehen sein, Hypothesen in Bezug auf die formulierte Fragestellung zu bilden.
Glaubwürdigkeit hat „alltagssprachlich überwiegend positive Konnotationen“ (Götsch 1994: 19f. nach Hammerschlag 2003: 40). Häufig wird es ergänzend oder synonym zu Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit, Authentizität, Vertrauenswürdigkeit und Vertrauen verwendet. Diese Begriffe sind an die Erwartung geknüpft, dass unsere Mitmenschen in bestimmten Bereichen kompetent sind und es gut mit uns meinen. Diese Annahmen sind im menschlichen Miteinander von hoher Bedeutung, denn erst sie machen Planungen und Handlungen möglich (vgl. Götsch 1994: 15).
Bei der Zuschreibung von Glaubwürdigkeit handelt es sich um eine erstrebenswerte Eigenschaft. Ein als glaubwürdig erscheinender Mensch wird zu einem „akzeptablen Gesellschaftsmitglied“ (Deppermann 2005). Somit ist Glaubwürdigkeit innerhalb einer Gesellschaft ein „hochgeschätztes Gut“, deren Zuschreibung wünschenswert ist, und zwar sowohl für Akteure in einfachen Interaktionssituationen als auch für „global Player“ (vgl. Willems 2000: 211).
Für die vorliegende Arbeit stellt sich die Frage, wie Glaubwürdigkeit inszeniert werden kann. Dabei muss es zwischen der Inszenierung in einfachen Interaktionssystemen und der medial vermittelnden Kommunikation differenziert werden. Während man allgemein davon ausgehen kann, dass Glaubwürdigkeit in den meisten alltäglichen Situationen vorausgesetzt wird, und zwar für beide Seiten, stellt dies für die werbliche Kommunikation jedoch keine Selbstverständlichkeit dar.
In diesem Kapitel wird ein Überblick darüber gegeben, wie man Glaubwürdigkeit definieren kann. Es werden einige Techniken aufgezeigt, die Akteure nutzen können, wenn sie einen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen wollen.
Ebenso wird an dieser Stelle erläutert, ob und in welchen Fällen die Werbung nach Glaubwürdigkeit strebt und weshalb Glaubwürdigkeit für Werbung eigentlich problematisch ist. Hierbei wäre insbesondere auf den Manipulationsverdacht der Werbung einzugehen. Als Abschluss dieses Kapitels soll darstellt werden, wie Werbung versucht ihre „systematische Unglaubwürdigkeit“ (vgl. Willems/Kautt 2003, Willems 2000, Willems/Jurga 1998) zu beheben. In diesem Zusammenhang werden einige spezifische „Inszenierungstechniken“der Werbung erläutert werden (vgl. ebd).
Innerhalb der Glaubwürdigkeitsforschung finden sich zahlreiche Umschreibungen und Bezeichnungen dafür, was unter Glaubwürdigkeit verstanden werden kann. Dabei variiert der Fokus meist in Abhängigkeit von der jeweiligen Disziplin und der Perspektive.
Die ersten wissenschaftlichen Überlegungen zum Thema Glaubwürdigkeit finden sich Mitte der 1930er Jahre in der Arbeit von Charnley (Marr 2009: 9). Darin fungiert Glaubwürdigkeit als Bestandteil der Einstellungs- und Persuasionsforschung. Anknüpfend an diese Forschungstradition wird Glaubwürdigkeit in den 1950er Jahren in den Arbeiten der Yale-Gruppe von Hovland als ein „mehrdimensionales Konstrukt“ (vgl. Jäckel 2008: 149) definiert. In der psychologisch aufgebauten Untersuchung geht es darum, herauszufinden, anhand welcher Faktoren Rezipienten einem Sprecher Glaubwürdigkeit zuschreiben. Und in wie fern sich diese Bewertung auf ihre Einstellungen auswirken kann. Darin wird Glaubwürdigkeit als eine Funktion zweier Dimensionen, der Kompetenz, „ expertness “ und der Vertrauenswürdigkeit, „ trustworthiness “ aufgefasst (Hovland et. al. 1953: 21 nach Jäckel 2008: 149). Die Kompetenz bezieht sich demnach auf die zugeschriebenen Leistungseigenschaften eines Sprechers und die Vertrauenswürdigkeit auf seine Absichten (Jäckel 2008: 149).
Falkenberg (1982) beschreibt Glaubwürdigkeit als eine „zugeschriebene Eigenschaft, von anderen für glaubwürdig gehalten zu werden“ (1982: 95ff, nach Marr 2009: 95). Demnach ist diese Eigenschaft jedoch nicht daran gekoppelt, dass der Sprechende die Wahrheit sagt (absichtlich oder nicht). Denn solange die Lüge nicht als solche wahrgenommen wird, sei die Glaubwürdigkeit nicht gefährdet (Falkenberg 1982: 97).
Köhnken nähert sich dem Begriff Glaubwürdigkeit lediglich aus der Perspektive des Sprechenden (vgl. 1990). Demnach kann man von Glaubwürdigkeit sprechen, „wenn der Kommunikator an einen Rezipienten eine Information übermittelt, von der er glaubt, dass sie zutreffend ist, wenn also der Kommunikator keine Täuschungsabsicht hat“ (Köhnken 1990: 4). Demnach stellt Köhnken die Absichten des Sprechenden in den Vordergrund. Daraus folgt, dass man von Glaubwürdigkeit sprechen kann, wenn sie lediglich intendiert ist. Es ist ausreichend, wenn der Kommunikator nicht absichtlich täuschen will (vgl. Köhnken 1990).
Bei Bentele (1988) findet man eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Phänomen Glaubwürdigkeit. Er bezieht seine Definition nicht nur auf unmittelbare Interaktionssituationen, sondern auch auf massenmediale Produkte. Bentele begreift Glaubwürdigkeit als eine „Eigenschaft, die Menschen, Institutionen oder deren kommunikativen Produkten (mündliche oder schriftliche Texte, audiovisuelle Darstellungen) von jemanden (Rezipienten) in Bezug auf etwas (Ereignisse, Sachverhalte, etc.)“ (Bentele 1988: 408) zugeschrieben wird. Glaubwürdigkeit könne demnach jedoch nicht als eine „inhärente Eigenschaft“ verstanden werden, denn diese würde erst in den Kommunikationsprozessen entstehen (Bentele 1988: 408). Der Kommunikator müsse „durch konsistentes Verhalten und widerspruchsfreie Aussagen“ (Bentele 1988: 408) sein Publikum überzeugen. Demnach ist Glaubwürdigkeit als ein „Prozess“ zu begreifen (ebd).
Diese Definition deutet einerseits auf die Möglichkeit der Einflussnahme auf Glaubwürdikeitsbewertung und andererseits auf das sensible Wesen der Glaubwürdigkeit hin. So können Menschen oder Institutionen glaubwürdig wirken, wenn sie ihre Handlungen und ihre Aussagen aufeinander abgestimmt präsentieren. Auch unabhängig davon, ob diese aufrichtig sind oder nicht. Sobald jedoch eine Unstimmigkeit wahrgenommen wird, kann sich Misstrauen einschleichen und die Glaubwürdigkeit wäre zerstört (vgl. Bentele 1988).
Wie diese kurze Einleitung zeigt, kann Glaubwürdigkeit unter verschiedenen Aspekten betrachtet werden. So wurden innerhalb der psychologischen Forschung Merkmale herausgearbeitet, anhand welcher Rezipienten dem Sprecher Glaubwürdigkeit zuweisen können. Wie in den Untersuchungen von Hovland et al. (1953), worin Glaubwürdigkeit als „Funktion zweier Dimension, der Kompetenz und der Vertrauenswürdigkeit fungiert“ (Nawratil 2006: 48). Dabei ist jedoch anzumerken, dass diese Faktoren durchaus eine Bedeutung für die Glaubwürdigkeitsbewertung haben können, deren Zuweisung jedoch von der jeweiligen individuellen und sozialen Situation der Rezipienten abhängig ist.
Auf der anderen Seite stellt sich hierbei die Frage, wie diese Faktoren kommuniziert werden können. Insbesondere stellt sich die Frage nach den Darstellungsmöglichkeiten der Vertrauenswürdigkeit. Denn diese impliziert die Kommunzierbarkeit der jeweiligen Absichten des Sprechenden. Was jedoch problematisch sein dürfte, denn das „menschliche Bewusstsein“ mit seinen Gedanken und jeweiligen Absichten bleibt in den kommunikativen Prozessen weitgehend verborgen (Luhmann 1984: 16).
Somit können die Rezipienten nicht mit Sicherheit sagen, ob der Sprechende die Wahrheit sagt oder nicht, wodurch auch ein guter oder ein „unwissender“ Lügner als glaubwürdig bewertet werden kann. So wie von Falkenberg (1982) ausgeführt, ist die Glaubwürdigkeit dadurch nicht gefährdet, sondern erst wenn der Lügner vom Publikum als solcher ertappt wird. Bis dahin würde der „Zustand“ der Glaubwürdigkeit bestehen bleiben.
Die ehrlichen und aufrichtigen Absichten, wie nach Köhnken (1990), sind jedoch auch kein Garant dafür, dass man für glaubwürdig gehalten wird. Denn auch eine „aufrichtige Darstellung“ kann vom Publikum als „Farce“ wahrgenommen werden. Aus diesem Grund kann man davon ausgehen, dass die Glaubwürdigkeit in den Kommunikationsprozessen als „völlig kontingent“ fungiert, denn „alles ist so aber auch anders möglich“ (Luhmann 1984: 217 nach Berghaus 2004: 108). Somit kann man sagen, dass es bei der Glaubwürdigkeit um keine feste oder objektive Größe geht. Es handelt sich vielmehr um eine Zuschreibung, die von vielen individuellen, sozialen und kulturellen Faktoren abhängig ist.
Jedoch stellt Willems fest, dass Glaubwürdigkeit zwar nicht „selbstverständlich“ ist, sie kann jedoch durchaus selbstverständlich sein, und sie ist es auch in den meisten Fällen (Willems 2000: 211). Denn Glaubwürdigkeit fungiert als Annahme und somit als Ausgangsprämisse des Erlebens und Handelns des Menschen. Nach Luhmann, liegt in den meisten sozialen Situationen ein Vertrauensvorschuss vor (vgl. Luhmann 1968). Wenn sich dieser Vertrauensvorschuss als berechtigt erweist, ist das Individuum bereit sich auf größere Investitionen einzulassen (Luhmann 1968: 41). Dieser Vorschuss kann jedoch eine „riskante Vorleistung“ (1968: 23) sein, wenn er sich nicht als gerechtfertigt erweist.
Natürlich kann dieser „Vorschuss“ je nach der sozialen Situation unterschiedlich ausfallen. Wenn die Menschen aufgrund eigener Betroffenheit auf die Glaubwürdigkeit bestimmter Menschen angewiesen sind, werden sie grundsätzlich von deren Glaubwürdigkeit ausgehen. Jedoch werden sie auch nach Signalen und Zeichen suchen, die die Glaubwürdigkeitsannahmen entweder bekräftigen oder revidieren. So kann sich ein Kranker in die Hände eines Arztes begeben, weil er einen nicht mehr zu ignorierenden „Leidensdruck“ (vgl. Oevermann 1997 b) verspürt. Seine Ausgangsposition ist einerseits die eigene Hilfslosigkeit und anderseits die Annahme, dass ein Arzt zur Linderung beitragen kann. In diesem Fall ist die Annahme aufgrund der standardisierten
Ausbildung eines Arztes bekräftigt. Jedoch muss der Patient auch darauf vertrauen. Glaubwürdigkeit und Vertrauen fungieren hierbei als ein „sozialer Mechanismus“ (vgl. Luhmann 1968), der soziale Begegnungen und Entscheidungen erleichtert. Er ermöglicht soziales Handeln und zwar auf der Grundlage von Erwartungen an ein zukünftiges Geschehen, auch wenn Unsicherheiten in Bezug auf das Resultat bestehen (vgl. Luzio 2005). Es ist jedoch davon auszugehen, dass Ärzten gegenüber von Anfang an ein größerer Glaubwürdigkeitsvorschuss besteht, weil die Ärzteschaft einen strengen „Ethik-Kodex“ hat (vgl. Preisendörfer 1995). Dennoch kann auch dieser Vorschuss verloren gehen, denn es kann enttäuscht werden.
Auch wenn der Handelnde sich niemals sicher sein kann, dass seine Äußerungen und sein Erscheinungsbild so wahrgenommen werden, wie von ihm intendiert, ist er dennoch darum bemüht, einen guten Eindruck zu vermitteln. Denn der Zwang sich darzustellen, ist für Menschen fundamental (Willems 2000: 209), da es zu einem grundlegenden Baustein der Bildung „des menschlichen Selbst“ gehört.
Ausgehend von der Annahme, dass die Glaubwürdigkeit als eine Vorleistung in den sozialen Situationen vorliegt, erscheint es nun logisch, dass Akteure versuchen werden, diesen „Eindruck“ aufrechtzuerhalten und zu pflegen, insbesondere, wenn sie darauf angewiesen sind. Denn sie wollen die an sie gestellten Erwartungen nicht enttäuschen. Dieser Eindruck kann in den Kommunikationen mittels Symbole und Zeichen, die als generalisiert vorausgesetzt werden, inszeniert werden. Somit meint Inszenierung „unhintergehbare, weil unverzichtbare Formen des menschlichen Ausdrucks“ (Reichertz 2007: 37).
Wenn es nach dem amerikanischen Soziologen Erving Goffman geht, ist der Mensch ständig darum bemüht ein bestimmtes Bild von sich entstehen zu lassen und zwar sobald sie eine Interaktionssituation eingehen. Goffman bedient sich bei seinen Untersuchungen der Metapher des Theaterspiels, wonach Akteure stets eine „Darstellung“ auf einer bestimmten „Bühne“ inszenieren, die hinter den „Kulissen“ vorbereitet wurde.
Bei diesen Darstellungen können nach Goffman zwei Formen des Ausdrucks unterschieden werden: der Ausdruck, den man sich selbst verleiht, und der Eindruck, der bei dem Publikum entsteht. Der Ausdruck umfasst dabei verschiedene Wortsymbole und ihre Bedeutungen, die der „Einzelne dazu verwendet, diejenigen Informationen zu vermitteln, die er und die anderen mit diesen Symbolen verknüpfen“ (Behrens 2010: 30). Der Handelnde will, dass seine Handlung, seine Gesten, sein Sprechen, sein Lächeln usw. in bestimmter Weise verstanden wird (Korte/Schäffers 2002: 39).
Der Eindruck „impliziert einen weiten Bereich von Handlungen, die von den anderen als aufschlussreich für den Handelnden verstanden werden“ (Behrens 2010: 30). Während der Sprechende verbal und non-verbal versuchen wird, nur bestimmte Informationen über sich Preis zu geben, wird der Hörende wiederum bemüht sein, jede Geste und Mimik in einer bestimmten Weise zu interpretieren. Somit ist meistens davon auszugehen, dass der Interagierende mehr kommuniziert als er es vielleicht will. Um den angestrebten Eindruck zu erreichen, wird der Sprechende darum bemüht sein, Strategien und Techniken anzuwenden.
Eine dieser Strategien bezeichnet Goffman als „Idealisierung“ (vgl. Goffman 2003: 35). Hierbei handele es sich um eine „Methode, die durch die eigene Darstellung sozialisiert, das heißt dem Verständnis und den Erwartungen der Gesellschaft, vor der sie stattfindet, angepasst wird“ (Goffman 2003: 35). Solche Strategien implizieren, dass man bestimmte Sachverhalte und Motive verbirgt oder abgeschwächt darstellt, die mit der angestrebten Idealisierung nicht vereinbar sind.
Das beste Beispiel dafür stellt wahrscheinlich ein Vorstellungsgespräch dar. Die Einladung zu diesem zeugt von der Annahme, dass der Bewerber einen „Glaubwürdigkeitsvorschuss“ genießt. Dieser impliziert wiederum Erwartungen und Anforderungen an den Akteur, diesem „Vorschuss“ gerecht zu werden. Aus diesem Grund wird der Bewerber versuchen, diese Annahme in der Interaktionssituation zu bekräftigen, indem er Zeugnisse präsentiert und über seine bisherigen Leistungen berichtet. Er wird versuchen, den Eindruck eines kompetenten und vertrauensvollen Akteurs zu vermitteln. Bei dieser Selbstdarstellung wird der Handelnde sich möglichst positiv darstellen, indem er manche Schwächen nicht erwähnt oder diese in einer „abgeschwächten Version“ präsentiert. Jedoch muss er darauf bedacht sein, dass sein Gegenüber sich dessen durchaus bewusst ist (sein muss) und deswegen versuchen wird ihm durch Fragen aus dem Konzept zu bringen. Die beiden Interagierenden handeln bezogen auf einander und wählen entsprechend ihre Strategie. Dabei ist davon auszugehen, dass sie die Rolle des jeweils anderen akzeptieren.
Eine weitere Strategie ist laut Goffman, „Ausdruckskontrolle“ (Goffman 2003: 48) der Darstellung. Hierbei geht es darum die möglichen „Nebenereignisse“ (ebd.) so zu koordinieren, dass sie mit der jeweiligen Situationsdefinition vereinbar sind. Die Akteure werden hierbei versuchen die als unpassend erscheinenden unwillkürlichen Handlungen (wie das Weinen oder das Zucken) zu vermeiden (vgl. Goffman 2003: 48). Diese Nebenereignisse können von den Akteuren auch eingesetzt werden, um ein „falsches Spiel“ zu spielen.
Somit muss der intendierte Eindruck nicht immer mit der „Realität“ übereinstimmen. Wobei man sich natürlich streiten kann, was man als Realität begreift und wie diese nun tatsächlich aussieht (vgl. Goffman 2003: 19). In diesem Zusammenhang unterscheidet Goffman zwei Arten der Darstellung: eine „aufrichtige“ und eine „zynische“. Nach Goffman ist ein aufrichtiger Darsteller von seiner eigenen Rolle überzeugt und auch davon, dass der „Eindruck von Realität, den er inszeniert, ‚wirkliche‘ Realität sei“ (Goffman 2003: 19). Ein zynischer Darsteller ist hingegen nicht von seiner eigenen Rolle überzeugt. Aufrichtige und zynische Darstellungen stellen zwei Extremfälle dar, „zwischen ihnen liegt eine große Reihe von Kompromissen“ (Münch 2003: 289 nach Seidel 2006: 5). Und so finden sich in der Wirklichkeit zahlreiche Mischformen ihre Anwendung.
Stellt sich für den Einzelnen die Notwendigkeit sich als einen kompetenten und vertrauenswürdigen Akteur darzustellen, muss er sein Verhalten als eine „Präsentation organisieren“ (Willems 2000: 209). Er wird hierbei versuchen „eine bestimmte Strategie im Verhalten zu verfolgen, ein Muster verbaler und nicht verbaler Handlungen, die seine Beurteilung der Situation und dadurch seine Einschätzung der Teilnehmer, besonders seiner selbst ausdrückt“ (Goffman 1971: 10). Der Einsatz spezifischer Zeichen und Repertoires ist dabei von vielen Faktoren abhängig, so zum Beispiel von der jeweiligen Rolle, der Bühne und auch dem Publikum und seinen spezifischen „Sinnimplikationen“ (vgl. Willems/Kautt 2003).
Die entscheidende Voraussetzung für Eindrücke der Glaubwürdigkeit ist eine „Interaktionssituation“ (Hettlage/Lenz 1991: 27 ff), in der Akteure Einfluss aufeinander ausüben können, und zwar sobald sie für einander anwesend sind. Die gemeinsame Anwesenheit ist dann gegeben, wenn die beteiligten Individuen „das Gefühl haben, daß sie einander nahe genug sind, um sich gegenseitig wahrzunehmen bei allem, was sie tun, und nahe genug auch, um wahrgenommen zu werden als solche, die fühlen, daß sie wahrgenommen werden“ (Goffman 1971: 28).
Die gegenseitige Anwesenheit, die von Goffman auch als „Zusammenkunft“ bezeichnet wird, ist bei mindestens zwei aufeinander treffenden Akteuren gegeben. Während einer Interaktionssituation haben die Individuen die Möglichkeit das Verhalten gegenseitig zu deuten, „beide werden für einander zu Informationsquellen“ (Hettlage/Lenz 1991: 34 nach Goffman 1971: 26).
Menschen versuchen bei ihren Begegnungen die jeweilige Situation ein bestimmtes Schema, „Rahmen“ (vgl. Goffman 1977), einzuordnen. Somit sei es nun logisch, dass Personen, die mit demjenigen Individuum zusammentreffen, versuchen werden, „Informationen über ihn zu erhalten oder Informationen, die sich bereits besitzen, ins Spiel zu bringen. Sie werden sich für seinen allgemeinen sozialen und wirtschaftlichen Status, sein Bild von sich selbst, seinen Einstellungen zu ihnen, seine Fähigkeit, seine Glaubwürdigkeit und dergleichen interessieren“ (vgl. Goffman 2003 nach Behrens 2010: 30). Somit werden Situationen in ihrem jeweiligen Rahmen definiert. Diese erhalten vor diesem Hintergrund einen bestimmten „Sinn“. Diese bestimmen und variieren die soziale Wirklichkeit dessen, was in empirischen Wahrnehmungen ist und nicht ist, getan und gelassen wird (Willems 2000: 210).
Diese Rahmen können auch suggerieren, ob der Handelnde als glaubwürdig bewertet werden kann oder nicht. Wenn sich zum Beispiel ein Akteur mehrmals als unzuverlässig und unglaubwürdig erwiesen hat, wird er es schwer haben, einen glaubwürdigen Eindruck beim Publikum zu intendieren. Jedoch gerade deshalb wird dieser umso mehr unter „Zwang“ stehen, seine Glaubwürdigkeit zu demonstrieren um seinen Status wieder herzustellen.
Zusammenfassen lässt sich sagen, dass Glaubwürdigkeit in vielen alltäglichen Situationen als ein genereller Glaubwürdigkeitsvorschuss bzw. eine Annahme fungiert. Diese Vorleistung ist jedoch keineswegs fest verankert, sondern muss stets gepflegt werden. Wenn ein Handelnder daran interessiert ist, seine Images als einen kompetenten und vertrauenswürdigen Akteur zu bekräftigen, greifen sie auf bestimmte Zeichen und Symbole zurück, um dies darzustellen. Diese Inszenierungen ergeben sich meist aus dem „Ineinandergreifen von erlernten und habituell verfügbaren Handlungsroutinen, deren volle Bedeutung meist im Halbschatten des Bewusstseins der Handelnden verborgen ist“ (Reichertz 2007: 37).
In Interaktionen haben die Menschen die Möglichkeit die Situation zu deuten und ihre Verhaltensstrategie jeweils darauf auszurichten. Dabei können Akteure die Glaubwürdigkeit des Gegenübers auf den Prüfstand stellen und ihre eigene Glaubwürdigkeit in Szene setzen. Angesicht zu Angesicht kann einerseits am wahrscheinlichsten erkannt werden, ob der Gesprächspartner willens ist, die Verantwortung und die Bürgschaft für seine Aussagen und sein Handeln zu übernehmen. Persönliche Kommunikation schafft Vertrauen und Glaubwürdigkeit (Reichertz 2002: 18).
Und andererseits haben Akteure durch die gegenseitige Präsenz und überschaubare Rückkopplungsmöglichkeiten eher die Möglichkeit den intendierten Eindruck zu kontrollieren zu steuern und zu korrigieren. „Denn Ego und Alter handeln im Verhältnis zueinander und erleben sich gegenseitig, beobachten sich und sehen sich beobachtet“ (Berghaus 2004: 109).
Für die Werbung sind die Eindrücke der Glaubwürdigkeit aus vielen Gründen nicht selbstverständlich, um nicht zu sagen gar unmöglich. So ergeben sich für die Werbung Probleme im Zusammenhang der fehlenden Rückkopplungsmöglichkeiten. Denn die Werbetreibenden sehen ihr Publikum nicht und sie wissen nicht, ob sie vom Publikum wahrgenommen werden (Zurstiege 2005: 226).
Ebenso hat die Werbung als Kommunikationsform selbst mit starken Glaubwürdigkeitsvorbehalten zu kämpfen. Darüberhinaus ist anzumerken, dass Glaubwürdigkeit für die Werbung nicht das oberste Gut darstellt. Denn meist ist der Werbung das Bemühen um die Aufmerksamkeit des Publikums wichtiger und erstrebenswerter als die Generierung von Glaubwürdigkeit. Glaubwürdigkeit ist in den dramaturgischen Arbeiten der Werbung eher von „fallspezifischer Wichtigkeit“. In solchen Fällen greift die Werbung auf bereits bestehende Sinnverständnisse des Publikums zurück, dies wird in Kapitel 1.3.4 ausführlich dargestellt.
Werbung und Glaubwürdigkeit stehen sich somit unversöhnlich gegenüber. Denn bei dem Intendieren eines glaubwürdigen Eindrucks stößt die Werbung auf ihre system- und rahmenspezifischen Grenzen. Die Werbung ist aufgrund ihrer besonderen Interessenlage selbst „systematisch vorbelastet“ (Willems/Kautt 2003) und hat mit Glaubwürdigkeitsvorbehalten zu kämpfen. Bei der Werbung handelt es sich um eine strategische Kommunikation (vgl. Behrens 2010), mit dem Ziel das Publikum zu beeinflussen. Somit ist davon auszugehen, dass die Werbung über keinen generellen Glaubwürdigkeitsvorschuss verfügt. Werbung wird von den Rezipienten in ihrem spezifischen „Rahmen“ (Willems/Kautt 2003: 82) wahrgenommen, der ihnen suggeriert, dass das ganze kommunikative Geschehen nicht glaubwürdig ist.
Die Verarbeitung von Medienkommunikation ist auf eine objektive mediale Rahmenordnung bezogen, die sich in Zeichen zu erkennen gibt (Willems/Kautt 2003: 16). Medienerzeugnisse, so auch die Werbung, muss als Rahmen definiert und als solcher differenziert werden, der mehr oder weniger verbindlich besagt, „welchen Status das Ganze (kommunikative Geschehen, d. Verf.) eigentlich in der äußeren Welt hat“ (Goffman 1977: 96 nach Willems 2000: 210). Rahmen sind hierbei „kollektiv bewusste Bestimmungen dessen, was im Medium eigentlich vorgeht“ (Willems/Kautt 2003: 16). Die Werbung wird vom Publikum als ein Versuch wahrgenommen, sie zu manipulieren.
Die Unglaubwürdigkeit der Werbung resultiert in der ersten Linie aus ihren ökonomischen Zielen, denn die Werbung spricht die „Sprache des Geldes“. In ihren Bemühungen diese ökonomischen Ziele zu erreichen, bedient sich die Werbung der so genannten „Ausblendungsregel“, wonach alles, „was immer die Überzeugungskraft einer Information oder eines Arguments bzw. die (Oberflächen-) Attraktivität eines Produktes oder einer Person beeinträchtigen könnte ausgeblendet wird“ (Schmidt 2002: 104).
Mit anderen Worten, versucht die Werbung ein idealisiertes Image für die beworbenen Objekte entstehen zu lassen. Daraus resultiert wiederum eine gewisse Resistenz der Wahrheit gegenüber (Zurstiege 1998: 97 nach Willems/Kautt 2003: 102). Luhmann hat dies mit der Aussage, „nach der Wahrheit kommt die Werbung“ (Luhmann 1996: 85) am deutlichsten auf den Punkt gebracht.
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