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Masterarbeit, 2014
221 Seiten, Note: 1,3
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Problemstellung
3 Inklusion
3.1 Geschichtliche Entwicklung
3.2 Definitionsansätze
3.2.1 Inklusion
3.2.2 Teilhabe
3.2.3 Gleichheit und Verschiedenheit
3.3 Rechtliche Grundlagen
3.4 Systematisierung von Behinderungen
3.5 Inklusion international
3.6 Stand der Inklusion in Deutschland
4 Inklusion in Schulen
4.1 Unterschied in der Schulpraxis zwischen Integration und Inklusion
4.2 Inklusive Schulen
4.2.1 Merkmale inklusiver Schulen
4.2.2 Aktuelle Entwicklungen im deutschen inklusiven Bildungssystem
4.2.3 Der Index für Inklusion als Entwicklungsprojekt von Schulentwicklung
4.2.4 Merkmale inklusiven Unterrichts
5 Inklusion im Sportunterricht
5.1 Curriculare Vorgaben im Schulsport mit körperbehinderten Schülerinnen und Schülern
5.1.1 Doppelauftrag des Sports
5.1.2 Fachdidaktische Konzepte im Sport
5.1.3 Didaktische Konzepte für einen Sportunterricht mit körperbehinderten Schülerinnen und Schülern
5.1.4 Kriterien eines guten Sportunterrichts
5.2 Grundlagen inklusiven Sportunterrichts
5.3 Die Herausforderung eines gemeinsamen Schulsports, Chancen und Risiken
5.4 Der Umgang mit Heterogenität im Sportunterricht
6 Grundlagen des Schwimmunterrichts
6.1 Schwimmen als unverzichtbares Element des Lehrplans
6.2 Lehrplanbezug des Schwimmunterrichts
6.3 Schwimmen mit beeinträchtigten Menschen
6.4 Kraulschwimmen als erste Schwimmart
7 Empirische Untersuchung
7.1 Forschungsfragen
7.2 Methodenwahl
7.2.1 Quantitative vs. Qualitative Methoden
7.2.2 Methoden der Triangulation
7.2.3 Konzeption der Datenerhebung
7.2.4 Modellierung, Erfassung und Aufbereitung der Daten
7.2.5 Gütekriterien qualitativer Forschung
7.2.6 Methodenkritik
7.3 Vorstellung der Schule und der Probanden
7.4 Setting und Rahmenbedingungen
7.5 Erhebungsmaterial
7.6 Anwendung des Erhebungsmaterials
7.7 Kritik am Erhebungsmaterial
7.8 Durchführung
7.8.1 Einschätzung des Leistungsstands der Versuchsgruppe
7.8.2 Schematischer Stundenverlauf
7.8.3 Übersichtsplan zur Unterrichtsreihe
7.8.4 Erläuterungen zum Unterrichtskonzept beim Erlernen des Kraulschwimmens
7.8.5 Auffälligkeiten und besondere Vorkommnisse während der Untersuchung
8 Ergebnisse
8.1 Ergebnisdarstellung
8.1.1 Schülerinnen und Schüler ohne sonderpädagogischen Förderbedarf
8.1.2 Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf
8.1.3 Auffällige Ergebnisse
8.1.4 Interpretation der Ergebnisse
8.1.5 Schlussfolgerung
8.2 Beantwortung der Forschungsfragen
8.2.1 Ist eine gleichberechtigte Teilhabe im Schwimmunterricht gelungen?
8.2.2 Können alle Kinder in einem gemeinsamen Unterricht individuelle Fortschritte erzielen?
8.2.3 Eignet sich der Kriterienkatalog als Indikator der Leistungsmessung
8.2.4 Kann der Aufwand von einer Lehrkraft bewerkstelligt werden?
8.2.5 Brauchen Lehrkräfte besondere Qualifikationen?
8.3 Zusammenfassung der Ergebnisse
9 Zusammenfassung und Fazit
10 Ausblick und Ableitungen für künftige Studien
Literatur
Anhang
Abb. 1. Von der Homogenität zur Diversität
Abb. 2. Systemübersicht inklusive Bildung in Brandenburg
Abb. 3. Jährliche Ausgaben für öffentliche Bildungseinrichtungen
Abb. 4. Summe der öffentlichen Ausgaben für Bildung
Abb. 5. Inklusionsanteile im Ländervergleich - 2008/09 und 2011/12
Abb. 6. Inklusionsanteile im Ländervergleich im Schuljahr 2012/13 (Bertelsmann Stiftung, 2014b)
Abb. 7. Die Aufgabe ist für alle gleich.
Abb. 8. Die Effektivität des Lernens (aus Hüholdt, 1993, S. 248)
Abb. 9. Der fachdidaktische Würfel (nach Balz, 2009, S. 30)
Abb. 10. Motorische Grundlagen zum Schwimmen, Bereich Sachkompetenz
Abb. 11. Stoffverteilungsplan Schwimmen, sechste Klasse (May, 2012, S. 3)
Abb. 12. Dreidimensionaler Datenwürfel
Abb. 13. Zweidimensionale Datenmatrix
Abb. 14. Variablenansicht im SPSS
Abb. 15. Kriterienkatalog Kraulschwimmen
Abb. 16. Schematischer Unterrichtsverlauf in groben Zeitabschnitten
Abb. 17. Kriterien Teil I zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Carl
Abb. 18. Kriterien Teil II zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Carl
Abb. 19. Kriterien Teil III zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Carl
Abb. 20. Kriterien Teil I zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Nils
Abb. 21. Kriterien Teil II zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Nils
Abb. 22. Kriterien Teil III zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Nils
Abb. 23. Kriterien Teil I zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Marie
Abb. 24. Kriterien Teil II zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Marie
Abb. 25. Kriterien Teil III zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Marie
Abb. 26. Kriterien Teil I zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Anna
Abb. 27. Kriterien Teil II zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Anna
Abb. 28. Kriterien Teil III zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Anna
Abb. 29. Kriterien Teil I zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Lea
Abb. 30. Kriterien Teil II zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Lea
Abb. 31. Kriterien Teil III zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Lea
Abb. 32. Kriterien Teil I zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Lara
Abb. 33. Kriterien Teil II zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Lara
Abb. 34. Kriterien Teil III zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Lara
Abb. 35. Kriterien Teil I zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Til
Abb. 36. Kriterien Teil II zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Til
Abb. 37. Kriterien Teil III zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Til
Abb. 38. Kriterien Teil I zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Lars
Abb. 39. Kriterien Teil II zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Lars
Abb. 40. Kriterien Teil III zur Entwicklung der Kraulschwimmtechnik von Lars
Tab. 1. Ländercodes nach ISO 3166 (ISO, 2014)
Tab. 2. Darstellung der Begriffe Exklusion, Separation, Integration und Inklusion
Tab. 3. Sonderpädagogische Kategorien und Förderschwerpunkte (Biewer, 2010, S. 46)
Tab. 4. Länderübergreifende Kategorien der OECD (nach Biewer, 2010, S. 60)
Tab. 5. Ausgaben für öffentliche Schulen im Haushaltsjahr 2011 nach Ländern (verändert nach Statistisches Bundesamt, 2014)
Tab. 6. Gegenüberstellung der Praxis der Integration und Inklusion (vgl. Hinz, 2002).
Tab. 7. Fachdidaktische Konzepte des Sports und deren Hauptvertreter (nach Größing, 2007)
Tab. 8. Kurzzusammenfassung der Konzepte nach Balz (2009)
Tab. 9. Inhaltsbereiche und pädagogische Perspektiven für den Schulsport
Tab. 10. Stufen der Bewegungsbeziehung (nach Weichert, 2000)
Tab. 11. Aufgaben der Wassergewöhnung und Wasserbewältigung (vgl. Strohkendl, 2010)
Tab. 12. Vorteile der Schwimmarten Brust- und Kraulschwimmen (nach Rheker 1999, S. 88)
Tab. 13. Kernkriterien für die qualitative Forschung mit Kapitelnachweis (nach Flick et al., 2007)
Tab. 14. Übersichtsplan der Unterrichtseinheiten
Tab. 15. Didaktische Grundfragen von Klafki (nach Klafki, 2007)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1. Ländercodes nach ISO 3166 (ISO, 2014)
„Bildung ist die einzige Lösung. Bildung geht vor“ (Malalas Rede vor den Vereinten Nationen im Juli 2013 in Yousafzai & Lamb, 2013, S. 384). Am 9. Oktober 2012 änderte sich alles. Shazia erinnert sich an den Tag, als der Schulbus von maskierten Männern angehalten wurde. „Die maskierten Männer richteten ihre Waffen auf uns und einer schrie ‚Wo ist Malala‘? Nun sagt schon, sonst knalle ich alle ab“ (BILD GmbH & Co. KG, 2013). So wird der feige Anschlag der Taliban auf einen ihrer größten Widersacher von Shazia, Malalas Freundin, beschrieben. Der Feind ist ein damals vierzehnjähriges Mädchen, welches sich seit ihrem elften Lebensjahr öffentlich für das Recht auf Bildung von Mädchen und Bildung für alle einsetzt. Als Bloggerin berichtete sie 2009 für die British Broadcasting Corporation (BBC) über das gewaltsame Vorgehen radikal-islamistischer Taliban in ihrer Heimat, dem Swat-Tal in Pakistan. Die Attentäter seien der Meinung, Malala wende sich gegen die Soldaten Allahs, die Taliban, und dafür müsse sie bestraft werden, so berichtet Shazia in einem Interview. Die zu verhängende Strafe der Taliban soll der Tod sein. Die vierzehnjährige Malala Yousafzai wurde von den Kugeln in den Kopf und den Hals getroffen, überlebte jedoch wie durch ein Wunder den Angriff. Nur fünf Monate nach dem Anschlag ging Malala wieder zur Schule und wurde weit über die pakistanischen Grenzen hinaus zum Symbol des Widerstandes. Heute ist Malala sechzehn Jahre alt. Sie wurde aufgrund ihres überaus hohen Engagements und Mutes für den Friedensnobelpreis in Oslo nominiert und erhielt 2013 von der Organisation „KidsRights” den Friedenspreis für Kinder (BILD GmbH & Co. KG, 2013).
Malala Yousafzai kämpft für alle, die ihre Stimmen nicht erheben können und fordert das Recht auf Bildung für jedes einzelne Kind ein, unabhängig vom Geschlecht, sozialer Herkunft, ethnischer Herkunft, Religionszugehörigkeit, Gesundheitszustand oder Beeinträchtigung. In Deutschland sichert die allgemeine Schulpflicht seit 1919 glücklicherweise das Grundrecht auf Bildung (Stiftung Deutsches Historisches Museum, 2000). Eine Inklusion[1] im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention fordert, dass allen Menschen eine gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe an allen gesellschaftlichen Bereichen ermöglicht wird (KMK, 2010). Dieses Zugeständnis beinhaltet auch, dass Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Regelschulen unterrichtet werden dürfen. Seit dem 26. März 2009 (Deutsches Institut für Menschenrechte e. V., 2010) wird dieses Recht den Menschen in Deutschland mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention zugesichert. Seither werden in Deutschland immer mehr Schwerpunktschulen, wie sie in Rheinland-Pfalz genannt werden, eingeführt. Eine Inklusion förderbedürftiger Schülerinnen und Schüler birgt unter anderem für die Unterrichtsgestaltung einige Herausforderungen. Die inklusive Unterrichtform fordert von allen Akteuren eine Wertschätzung der Individualität und somit ein hohes Maß an Akzeptanz, Toleranz, Respekt und Disziplin.
Der Sportunterricht stellt eine Besonderheit dar, weil Abweichungen von einer gewissen Norm für die gesamte Gruppe spürbar werden können. Kognitive Prozesse spielen z. B. bei Spielsportarten eine besonders wichtige Rolle, da Spielsituationen antizipiert werden müssen und eine adäquate Einstellung an die sich stetig ändernde Situationen erfolgen muss. Zudem wird der Phänotyp in Sportkleidung sichtbar, welches die Individualität betont. Körperlich Beeinträchtigte weisen unter Umständen starke Abweichungen von einer Norm auf. Ein Rollstuhl deutet beispielsweise sofort auf eine Normabweichung hin, aber auch fehlende Gliedmaßen, Narben und Deformationen von Körperteilen können durch Sportbekleidung gut sichtbar werden. In einem Unterricht für alle werden die Schülerinnen und Schüler im hohen Ausmaß mit Verschiedenheit konfrontiert. Respekt voreinander, gegenseitige Akzeptanz oder eine Wertschätzung der Individualität sind nicht angeboren, sondern müssen im Umgang miteinander erlernt werden. Der Sportunterricht bietet besondere Möglichkeiten, Erfahrungen in sozialen Interaktionen zu sammeln und damit Berührungsängste zu vermeiden.
Eine Schule für alle und ein Unterricht für alle, so wird es gefordert und so ist es gesetzlich beschlossen. Die Umsetzung der Forderungen und das Gelingen einer Inklusion stellen für Lehrerinnen und Lehrer eine große Verantwortung und eine besondere Herausforderung dar. Aus dieser Verantwortung heraus setzt sich die vorliegende Arbeit mit der Thematik Inklusion im Schulsport auseinander und hat den Anspruch, einen Beitrag zu einem gelungenen, inklusiven Sportunterricht zu leisten. Wie das Zitat zu Beginn ausdrücken soll, ist Bildung für unser Zusammenleben essentiell und ein wichtiges Gut. Bildung betrifft uns alle und gehört zu den Menschenrechten (DUK, 2014). Der 35. Präsident der Vereinigten Staaten, John F. Kennedy, stellte fest: „Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung, keine Bildung“ (Köhler, 2008, S. 31). Inklusion ist heute leider noch nicht die Regel (Speck, 2010), dabei sollte das Beispiel von Malala uns zeigen, wie wichtig ein gleichberechtigter und selbstbestimmter Umgang miteinander ist. Malala betont in ihrer Rede vor den Vereinten Nationen: „Ein Kind, ein Lehrer, ein Buch und ein Stift können die Welt verändern“ (Yousafzai & Lamb, 2013, S. 384).
Für Inklusion gibt es keine uniforme Begriffsdefinition, sie wird in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen verschieden ausgelegt (Hinz, Körner & Niehoff, 2012; Speck, 2010; Amrhein, 2011). Grundlegend soll in diesem Werk Klarheit über den Inklusionsbegriff, besonders in schulpädagogischer Hinsicht, geschaffen werden. Der Inklusionsdiskurs im Bildungssektor unterliegt Reformen, welche verschiedene Konsequenzen mit sich bringen (Werning, Balgo, Palmowski & Sassenroth, 2012). Die Auswirkungen neuer Strukturen im Bildungswesen sollen unter ausgewählten Aspekten näher beleuchtet werden, um sich einem differenzierten Begriffsverständnis zu nähern. Ein vertiefender Einblick gilt dem gemeinsamen Sportunterricht im Sinne der Inklusion. Unter Berücksichtigung der theoretischen Grundlagen wird ein Praxisversuch im Schwimmunterricht vorgenommen.
Ein besonderer Anspruch dieser Arbeit liegt in der Überprüfung der zentralen Fragestellung, ob es gelingt, einen inklusiven Sportunterricht, der eine selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht, zu leisten, wie es von der UN-Konvention gefordert wird (Deutsches Institut für Menschenrechte e. V., 2006). Die empirische Forschung soll zeigen, wie inklusiver Unterricht für Lehrkräfte umsetzbar ist und welche Probleme dabei auftreten können. Die Eindrücke, die im Praxisversuch gesammelt werden, sollen der Konstruktion einer reflektierten Ergebnisdarstellung und eines Fazits dienen. Für den Sportunterricht muss die Frage beantwortet werden, wie weit ein gemeinsames Sporttreiben aller Schülerinnen und Schüler mit den unterschiedlichen persönlichen Voraussetzungen realisiert werden kann.
Das ist eine große Herausforderung für Lehrkräfte (Weichert, 2003), denn bislang war das Schulsystem durchdrungen vom Gedanken der Homogenisierung (Werning & Lütje-Klose, 2012; Esslinger-Hinz & Sliwka, 2011). Mit dieser Grundfrage wird eine Unterrichtsreihe im Schwimmen geplant und durchgeführt. Mittels eines entworfenen Kriterienbogens soll zu jeder Unterrichtseinheit der Leistungsstand von Schülerinnen und Schülern erhoben werden, um neben den Beobachtungen ein Instrument zur Ermittlung der Fragestellungen heranziehen zu können. Ermöglicht der Unterricht, dass alle Schülerinnen und Schüler ihre Leistungen gemeinsam steigern? Es werden Daten von insgesamt acht Kindern erhoben, unter denen sich drei so genannte „Integrations-Kinder“, die einen sonderpädagogischen Förderbedarf aufweisen, ein motorisch sehr auffälliges Kind und vier weitere Kinder ohne sonderpädagogischen Förderbedarf befinden. Mit der Auswertung der erhobenen Daten soll der Leistungsstand ermittelt und graphisch dargestellt werden. Es stehen neun Unterrichtstermine zur Verfügung, an sechs aufeinanderfolgenden Terminen ist die Datenerhebung vorgesehen. Durch die sechs Beobachtungszeitpunkte wird eine Interpretation über die Leistungsentwicklung der Kinder festgelegter Kriterien angestrebt. Mit der Anwendung des Kriterienkataloges soll gleichzeitig nach einer angemessenen Bewertungsmöglichkeit gesucht werden, die sich mit einem inklusiven Unterricht vereinbaren lässt. Das Forschungsvorhaben möchte danach fragen:
Bedeutet inklusiver Sportunterricht für die Lehrerinnen und Lehrer einen hohen Mehraufwand bei der Unterrichtsvorbereitung? Kann der Aufwand von einer einzelnen Lehrperson bewerkstelligt werden? Die Homogenisierung von Lerngruppen unterliegt einem Paradigmenwechsel, welcher auch von den Lehrkräften eine Umstellung erfordert, die sich an einer natürlichen Vielfalt und Heterogenität von Lerngruppen orientieren muss. Eine Umstellung der bisher gelebten Praxis bedingt ein gewisses Know-how sowie ein Verständnis von dem, was „neu“ ist, um den neuen Anforderungen gerecht werden zu können. Darum wird die folgend aufgeführte Frage angeschlossen: Brauchen Lehrkräfte besondere Qualifikationen, um einer inklusiv beschulten Klasse gerecht werden zu können? Der Schwimmunterricht steht in der vorliegenden Arbeit exemplarisch für Möglichkeiten und Ideen zur Umsetzung eines inklusiven Sportunterrichts. Heterogenität in Schulklassen, besonders im Sportunterricht, wird von vielen Lehrern und Autoren als große Herausforderung gesehen, wie es beispielsweise in Weichert (2003) zu lesen ist:
„Wie kann man das Kind so in den Unterricht integrieren, dass ‚zwangsläufig‘ oder ‚natürlich‘ Bewegungs- und Spielaktivitäten entstehen, in denen das ‚Problemkind‘ in Bewegungsdialoge mit anderen Kindern eingebunden ist?“ (Weichert, 2003, S. 4).
Oftmals wird in der empirischen Pädagogik bemängelt, dass theoretische Modelle erstellt werden, die in der Praxis nicht umsetzbar sind (Rödler, 2012). Mit den im praktischen Teil gesammelten Eindrücken werden Erfahrungen im Umgang mit inklusiv beschulten Kindern und Jugendlichen zugelassen. Eine Herausstellung inklusiver Unterrichtsansprüche mit Risiken oder Schwierigkeiten soll damit geboten sein. Vorschläge zur Umsetzung inklusiver Arrangements werden somit nicht nur in der Theorie angesprochen, sondern mit reellen, an die Versuchsgruppe abgestimmten Bedingungen in der Praxis erprobt und unter der eigenen, Wahrnehmung bewertet. Schwierigkeiten oder Probleme, die auftreten, sollen herausgestellt werden und wenn möglich Vorschläge, die an die Erfahrungen knüpfen, dargeboten werden, um in Zukunft einen gemeinsamen Schulsport im Sinne einer selbstbestimmten und gleichberechtigten Teilhabe tatsächlich leisten zu können. Einen Königsweg für einen gelungen Unterricht gibt es nicht, weil sich jede Unterrichtsstunde aus einer Vielzahl von Faktoren zusammensetzt, die selbst bei gewissenhafter Unterrichtsplanung nicht antizipiert werden können. Diese Arbeit soll einen Beitrag dazu leisten, Inklusion in der Praxis besser zu verstehen und im Bereich des Schulsystems Chancen des heterogenen Reichtums aufzuzeigen, damit Inklusion an der Schule gelebt wird.
„Wenn Inklusion nicht anhand von intensiver Organisationsentwicklung und Fortbildung sorgfältig implementiert wird, kann sie in der Fläche nicht qualifiziert umgesetzt werden, weil es zu viele Menschen in Bildungsforschung, -verwaltung und -praxis gibt, die die Essentials nicht verstanden haben“ (Seitz, Finnern, Korff & Scheidt, 2012, S. 27).
Theoretischer Teil
Die vorliegende Arbeit ist in einen theoretischen und einen praktischen Teil gegliedert. Im theoretischen Teil stellt der Aspekt des Inklusionsverständnisses den Schwerpunkt dar. Der Fokus des praktischen Anteils liegt auf der Durchführung der selbst konzipierten Unterrichtsreihe mit der Erhebung, Darstellung, Auswertung und Interpretation von Daten, die einer Einschätzung der Leistungsentwicklung von Kindern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf dienen. Ein Messinstrument des Anteils einer selbstbestimmten und gleichberechtigten Teilhabe liegt nicht vor, darum wird auf die Beobachtungen sowie die Erhebung zurückgegriffen, um die zentrale Fragestellung und die Fragen, in der Problemstellung formuliert, zu berücksichtigen.
„Hier bin ich Mensch, hier darf ich‘s sein!“ (Goethe, 2010, S. 36).
In diesem Kapitel soll zu Beginn Klarheit über die Verwendung der Begriffe „Inklusion“ und „Integration“ geschaffen werden, hierzu wird der geschichtliche Hintergrund der Begrifflichkeiten beleuchtet, und es werden verschiedene Definitionen von Inklusion in Augenschein genommen. Von besonderer Bedeutung ist im Zusammenhang mit dieser Arbeit, die pädagogische Perspektive des Inklusionsbegriffs, welche somit in den Vordergrund gestellt wird. Eng verwoben mit der Begriffsinterpretation ist eine gesetzliche Grundlage, welche vor allem in Bezug auf Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention thematisiert wird. Folgend wird ein Systematisierungsversuch von Behinderung vorgenommen, bevor abschließend der Stand der Inklusion international, national und regional aufgezeigt wird.
Zunächst soll die Herkunft des Inklusionsbegriffes[2] geklärt werden, dazu wird das Konzept von „Empowerment“ vorgestellt, das als Wegweiser für Entwicklungen in der Sonderpädagogik genannt werden muss. Es wird ein Überblick zur deutschen Schulkultur mit einer traditionell geprägten Fokussierung auf die Homogenität von Lerngruppen und eines Paradigmenwechsels in drei Etappen nach Esslinger-Hinz und Sliwka (2011) beschrieben. Anschließend wird ein Modell nach Sander vorgestellt, welches die Entwicklung des aktuellen Leitbegriffs der Inklusion in fünf, sich teilweise überlappenden Etappen, definiert. In Kapitel 3.3 wird ein Überblick zur rechtlichen Grundlage geboten. Die politischen und rechtlichen Beschlüsse sind Ergebnisse historischer Entwicklungen, die in diesem Kapitel angesprochen werden, sie sollten darum nicht absolut getrennt voneinander betrachtet werden.
„Jenny: ‚Kann es sein, dass du dumm bist oder so was?‘; Forrest: ‚Mama sagt, dumm ist der, der Dummes tut.‘“ (aus dem Film „Forrest Gump“, Zemeckis, 1994)[3]. Einleitend soll ein kleiner Exkurs, zum US-amerikanischen Film „Forrest Gump“, Platz finden. Der Film handelt vom „Langsamlerner“ Forrest Gump, der in den 1960er Jahren aufwächst. Dank seiner engagierten Mutter wird Forrest, bei dem ein Intelligenzquotient (IQ) von 75 festgestellt wird, auf einer normalen amerikanischen High School eingeschult. Im jungen Erwachsenenalter erlebt er den Vietnamkrieg und erhält einen Einblick in politische Machtkämpfe. Aus seiner Naivität resultiert sein einfacher Blick auf das Wesentliche und lässt ihn „Einsichten in die ‚Verrücktheiten‘ des vermeintlich Normalen“ (Fediuk, 2008, S. 20) erleben, ohne dabei zu resignieren. Sportlich ist Forrest auf wundersame Weise sehr erfolgreich, er durchquert die USA von der Ost- zur Westküste und wieder zurück. Im respektvollen Abstand begleiten ihn immer mehr Anhänger, die in ihm einen „Lauf-Guru“ sehen. Forrest sieht eines Tages keinen Sinn mehr im Laufen und bleibt stehen. Seine Anhänger lässt er verwirrt und ratlos zurück, sie müssen sich ab sofort völlig neu orientieren. Fediuk und Hölter (2003) äußern sich zu der Filmpassage und vergleichen dabei die Szene der verwirrten Lauf-Anhänger mit der menschlichen Vielfalt, die ebenfalls verstörende Züge annehmen kann. Auf die Schule bezogen wird erklärt, dass die „Verstörung“ als „konstruktive Zwischenstufe auf dem Weg zu einer humanen Schule - für alle Kinder“ bewertet werden sollte (Fediuk & Hölter, 2003, S. 25). Kernbotschaft des Films sind die Ideale einer modernen Sonderpädagogik, welche sich auf Schlagworte wie „Normalisierung“, „Teilhabe“, „selbstbestimmt Leben“, „Inklusion“ und „Empowerment“[4] verdichten lassen. Mit dem Ausflug des vorgestellten Filmes soll verdeutlicht werden, dass ein Paradigmenwechsel im Umgang mit dem vermeintlich Andersartigen stattfand und noch anhält, unter anderem auch durch die mediale Thematisierung, wie mit dem Film Forrest Gump. Der Perspektivenwechsel verbirgt sich auch hinter den eben aufgeführten Schlagworten der modernen Sonderpädagogik (Fediuk, 2008). Theunissen (2002) betitelt den Umgang mit „Abnormen“ als paternalistisches (gegen den Willen, aber auf das Wohl eines anderen gerichtetes) Servicemodell, das lange Zeit vorherrschte. Für kranke und „abnormal“ gehaltene Gesellschaftsmitglieder wurde ein ausdifferenziertes Fördersystem geschaffen, welches in Deutschland z. B. zehn verschiedene Sonderschultypen hervorbrachte. Seit den 1940er Jahren wurden Kinder entsprechend ihres Unterstützungsbedarfs und dem Umfang der „Abnorm“ einer speziellen Integrationsstufe zugewiesen (Hinz et al., 2012). Kritik an der Form der Segregation kam aus verschiedenen Richtungen wie der Soziologie, Psychologie, der allgemeinen Sonderpädagogik, aber vor allem von betroffenen Menschen selbst. Personen mit schweren Behinderungen wurden nach dem Modell überwiegend ausgeschlossen, weniger integriert. In den USA ergab sich, nach heftiger Kritik an dem Modell, die Auseinandersetzung um die Inklusion.
Die Entstehung des Inklusionsbegriffs führen Hinz[5] (2012) und Biewer (2010) auf die 1980er Jahre in den USA zurück. Biewer (2010) schreibt, dass Inklusion als Terminus in der Soziologie in den 1990er Jahren als Gegenbegriff zur Exklusion von Niklas Luhmann verwendet wurde. Im Kontext der Bildungswissenschaft wird dem Begriffsgebrauch jedoch eine andere Bedeutung zugesprochen, als in der Systemtheorie von Luhmann[6]. In den USA lautete die übliche Bezeichnung für die Gemeinsamkeit von Kindern mit und ohne Behinderung „mainstreaming“ und schloss eine Hinzunahme einer Minderheit in die Gesellschaft und damit auch die Aufnahme in eine reguläre Schule ein. „Die Substituierung von ‚mainstreaming‘ und ‚integration‘ durch ‚inclusion‘ erfolgte in wenigen Jahren zwischen etwa 1990 und 1995“ (Biewer, 2010, S. 125). Für eine weltweite Verbreitung des Begriffs, hebt Biewer (2009) eine Gruppe britischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und deren Einbindungen in Aktivitäten der UNESCO hervor. Aufgrund politischer Bewegungen von Menschen mit Sinnes- und Körperbehinderung gegen Diskriminierungen, Fremdbestimmung und Benachteiligung, fand 1982 eine Fachtagung in München statt, an der Vertreter aus den USA, den Niederlanden und aus skandinavischen Ländern über Programme eines gemeindeintegrierten Lebens (schwerst-)behinderter Menschen berieten. In der Folgezeit waren, auch in Deutschland, Menschen ermutigt, verstärkt Selbstbestimmungs- und Selbsthilfegruppen nach dem Vorbild der US-amerikanischen Institution „Independent Living Movement“ zu organisieren (Fediuk, 2008). Heute existiert in den USA ein dichtes Netz an Independent Living Centers, in denen vornehmlich körper-, sinnes- und psychisch behinderte Menschen ihre Angelegenheiten in Eigenregie organisieren und sich gegenseitig beraten. Leitgedanke ist, dass die Betroffenen selbst am besten um ihre Bedürfnisse wissen, wie mit ihnen umzugehen ist und welche Programme oder Angebote benötigt werden, um in ihre Gemeinde integriert zu werden (Theunissen, 2009). Die Behindertenarbeit befindet sich in einem dynamischen Umbruch, bei dem heute die Rede von Empowerment, Selbstbestimmung und Inklusion ist. Empowerment vertritt die Stimmen von Betroffenen, die als Experten ihrer „Sache“ ernstgenommen werden. Die „Selbstermächtigungs-Bewegung“ ist weltweit zu beobachten und brachte so manche Fortschritte in der Behindertenarbeit mit sich. Für einen gelungenen Inklusionsprozess zählen Gesetze zu einer Grundvoraussetzung, die in Kapitel 3.3 erläutert werden.
In der US-amerikanischen Behindertenarbeit ist schon seit ungefähr 20 Jahren die Rede von Inklusion, besonders in Verbindung mit Empowerment (Theunissen, Kulig & Schirbort, 2013). In den 1960er Jahren wurde der Begriff erstmals in der Bürgerrechtsbewegung von der afro-amerikanischen Bevölkerung verwendet. Empowerment war von Anbeginn mit politischen Zielsetzungen verbunden und wurde zunehmend zur Bezeichnung eines Prozesses, in dem benachteiligte Bevölkerungsgruppen sich für ihre Interessen einsetzten. Die Herstellung von Kontrolle über die eigenen Lebensumstände ist eines der wichtigsten Ziele (Biewer, 2010). Empowerment übersetzt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) mit „Selbstermächtigung“ und „Selbstkompetenz“. Dem BMZ zufolge stammt der Begriff Empowerment aus dem Bereich der Sozialpädagogik und Psychologie. Nach Biewer (2010) reichen die ideengeschichtlichen Wurzeln bis in das 19. Jahrhundert der amerikanischen Sozialgeschichte zurück. Das BMZ erklärt, unter Empowerment sind Strategien zu verstehen, die Menschen unterstützen sollen, ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben zu führen. Empowerment ist ein Prozess, der Menschen in gesellschaftlich marginaler Position in die Lage versetzen soll, die eigenen Interessen zu artikulieren und sich an politischen Prozessen zu beteiligen. Diese Ziele können nur erreicht werden, wenn Reformen in sozialen, ökonomischen, rechtlichen und politischen Institutionen innerhalb der Gesellschaft greifen (BMZ, 2011). Theunissen et al. (2013) erklären, dass das eben beschriebene Leitkonzept weiterentwickelt wurde und als Wegweiser moderner Behindertenarbeit gilt. In der Einleitung dieser Arbeit wurde schon erwähnt, dass Malala Yousafzai (vgl. Kapitel 1) sich für die Rechte derer einsetzt, die ihre Stimmen nicht erheben können. Theunissen (2009) beschreibt Empowerment mit selbigem Gedanken:
„Wenn Einzelnen oder Gruppen die Macht fehlt, in Bereichen ihren Einfluss geltend zu machen, in denen Entscheidungen gefällt und Ressourcen zugewiesen werden, dann treffen andere die Entscheidungen ohne sie. Wenn Einzelne oder Gruppen zur Selbstvertretung und -bevollmächtigung befähigt werden (become empowered), dann werden sie zu aktiven und effektiven Gestaltern ihres Lebens, indem sie Regie über ihre eigenen Bedürfnisse und Lebenspläne führen“ (Theunissen, 2009, S. 57–58).
Wie gestaltete sich die Entwicklung von Inklusion im Bildungssektor? In der Soziologie wurden nach Hinz et al. (2012) die ersten Versuche unternommen, das Begriffspaar „Inklusion“ und „Exklusion“ wissenschaftlich differenziert zu beschreiben. Der Soziologe Talcott Parsons[7] gebrauchte schon 1971 den Begriff Inklusion in einem umfassenden Sinn, wie es dem Begriffsverständnis von Integration entspricht. Niklas Luhmann orientierte sich an Talcott Parsons und bezog den Begriff auf die unterschiedlichen Partizipationsmöglichkeiten und Teilhabeschwierigkeiten des Individuums in der zeitgemäßen, funktional differenzierten Gesellschaft. Mit der Gegenüberstellung von Inklusion und Exklusion führte Luhmann das Begriffspaar in wissenschaftliche Diskussionen ein. In den 1970er Jahren wurde die Exklusion in der sozialpolitischen Debatte auf von der Gesellschaft ausgeschlossenen Personen bezogen. Die Bedeutsamkeit beider Begriffe wuchs aufgrund der zunehmenden Differenzierung der modernen Gesellschaft in funktionale Teilsysteme anstelle der ehemaligen Ständeordnung. Eine Aufhebung der Stände und die damit verbundene Emanzipation hatten für das einzelne Individuum einen Verlust der bisherigen Sicherheit und Versorgung zur Folge, welche zuvor die ungeschriebene sittliche Verpflichtung des jeweiligen Standes war (Hinz et al., 2012). Als problematisch wurde und wird die komplizierte Orientierung und ein damit verbundener erschwerter Zugang zu Lebensgütern bezeichnet. Gemeint ist damit die Frage nach dem passenden System für das Individuum und wie es am System partizipieren kann. Grundsätzlich besteht nach Hinz et al. (2012) für den Einzelnen ein Spannungsverhältnis zwischen partieller Inklusion und partieller Exklusion, denn es ist trivial in einem Teilsystem inkludiert zu sein und damit gleichzeitig aus anderen Systemen ausgeschlossen zu sein. Auch innerhalb der Systeme kann ein Spannungsverhältnis zwischen Inklusion und Exklusion auftreten, nämlich wenn die Teilnahme an einem sozialen System einen aktiven Einsatz von den einzelnen Individuen erfordert. Mit den individuell erbrachten Beiträgen kommt es zu Komparation und Differenzierungen und demnach zur Ungleichheit und einer Abgrenzung zu anderen Individuen der sozialen Gruppe. Individuelle und situative Ungleichheit sind Realität und das bedeutet, Inklusion ist ein relationaler Begriff. Nicht für jedes Individuum ist Inklusion an jeder Stelle und in gleicher Weise möglich oder sinnvoll. Ob im Einzelfall eine Inklusion gegeben ist, kann nicht objektiv von außen bestimmt werden. Subjektive Gegebenheiten, wie z. B. persönliche Vorlieben und eine damit bedingte Selbstbestimmung, spielen dabei auch eine weitreichende Rolle. Es wäre ein Eingriff in die Freiheit und Selbstbestimmung des Individuums, wenn die Allgemeinheit sich das Recht anmaßen würde, Art und Tragweite der Inklusion für den Einzelnen zu bestimmen (Hinz et al., 2012). Zusammenfassend muss bemerkt werden, dass Probleme des menschlichen Zusammenlebens sich nicht nach einem „Schwarz-Weiß-Schema“ von Inklusion und Exklusion lösen lassen. Die Qualität und das Ausmaß der sozialen Teilhabe werden von der sozietären Realität einerseits und vom einzelnen Subjekt andererseits gestaltet und bestimmt. Es bleibt immer die Aufgabe der funktional differenzierten Gesellschaft, dafür zu sorgen, Menschen, die tendenziell in einem höheren Maß von Exklusion bedroht sind, mehr Teilhabe zu ermöglichen (Hinz et al., 2012). Die Inklusionssicherung und Inklusionsvermittlung sind nicht ausschließlich soziologisch zu klären. Strukturelle Veränderungen bedingen oftmals ein politisches Wirken.
Wurde zu Beginn der „deutschen Pädagogik“ noch die These gestützt, Homogenität sei in Lerngruppen am effektivsten für die Lernentwicklung, weiß man heute, unter anderem auch dank Studien wie PISA[8], dass in Wahrheit eine Orientierung am „Durchschnittsschüler“ nicht funktionieren kann (Esslinger-Hinz & Sliwka, 2011). Das deutsche Bildungssystem ist durch eine Kultur der Homogenität von Lerngruppen, sowie durch die Separierung von Kindern im Alter von zehn bis zwölf Jahren in unterschiedliche Schulformen traditionell geprägt. Dem gegliederten Schulsystem ist es geschuldet, dass das Paradigma der „homogenen Lerngruppe“ lange Zeit aufrechterhalten wurde. Der erste deutsche Pädagogikprofessor Ernst Christian Trapp (1745–1818) plädierte deshalb dafür, den Unterricht nach einem „Durchschnittskopf“ zu kalkulieren. Für die verschiedenen Leistungspotenziale etablierten sich unterschiedliche Schulen, die durch ein fiktives mittleres Niveau den Lernenden am besten entgegen kommen sollten (Esslinger-Hinz & Sliwka, 2011). Relikte aus dem 19. Jahrhundert etwa, gleiche Lernziele, übereinstimmende Lerninhalte, gleiche Lernzeit und gleichförmige Lernschritte für alle Schülerinnen und Schüler einer Klasse, sind trotz einiger Veränderungen noch immer im deutschen Schulsystem wirksam (Esslinger-Hinz & Sliwka, 2011).
Auch heute noch dienen Überweisungen an „niedere Schularten“, beispielsweise vom Gymnasium auf die Realschule oder das Sitzenbleiben als Maßnahmen zur Schaffung homogener Lerngruppen. Mittlerweile weiß man, dass Lernwege individuell sind, und Lernmotivation aus einem komplexen Zusammenspiel von Komponenten wie Lernausgangsbedingungen, Vorwissen, Interesse, Begabung, individueller Förderung und einigem mehr besteht. Eine Orientierung am „Durchschnittsschüler“ ist nicht möglich, wenn man kulturelle, sozioökonomische und sprachliche Grundlagen in den Klassen berücksichtigt. Beispielsweise bleibt es einem mathematisch sehr begabten Schüler einer immigrierten Familie aufgrund mangelnder sprachlicher Kenntnisse sehr wahrscheinlich verwehrt, das Gymnasium zu besuchen. Langsam steigt aber das Bewusstsein dafür, dass die Vielfalt der Individuen ein Bildungszuwachs bedeutet. Zurzeit wird in Deutschland Heterogenität jedoch als Herausforderung angesehen, welcher es sich zu stellen gilt. Beliebte Leitworte wie „individuelle Förderung“, „Binnendifferenzierung“ oder „zieldifferenzierter Unterricht“ bestätigen dies. Deutschland ist auf dem Weg vom Leitgedanken der Homogenität hin zur Auseinandersetzung mit Heterogenität. In einigen Ländern befindet sich das Leitbild der Heterogenität schon im Ablöseprozess hin zu einer Diversität. Bei einer Wertschätzung der Diversität wird die Unterschiedlichkeit der Individuen nicht mehr als Herausforderung angesehen, sondern hinsichtlich der herkunftsbedingten Sozialisation, ethnischer oder religiöser Wurzeln, ihrer Begabungsprofile sowie ihrer Interessen als Bildungsgewinn gewürdigt. Durch diese Perspektive können Lernressourcen geschöpft werden, die dem Paradigma der Diversität im Schulsystem Raum bieten. Erforderlich werden folglich Änderungen in der Organisation des Lernfeldes, die Esslinger-Hinz und Sliwka (2011, S. 143) als „Maßnahmen einer Pädagogik der Diversität“ auflisten. Die Maßnahmen umfassen eine erhöhte Individualisierung von Lernprozessen, Rückmeldungen der individuellen Fortschritte anhand einer kriterialen Bezugsnorm, eine Förderung wechselseitiger Unterstützung der Schüler durch Peer Learning[9] und eine zunehmende Wahlmöglichkeit im Curriculum (Esslinger-Hinz & Sliwka, 2011). Sie betonen weiterhin die Wichtigkeit einer öffentlichen Anerkennung von Diversität, verknüpft mit einem pluralistischeren Leistungsbegriff. Das Interesse am und die Motivation zu Lernen hängen maßgeblich davon ab, ob es den Lehrkräften gelingt die Schülerinnen und Schüler in ihrer Unterschiedlichkeit wahrzunehmen und ihnen individuelle Lernwege anzubieten. Um nur ein einige Beispiele zu nennen: die Schülerinnen und Schüler unterscheiden sich hinsichtlich ihrer sozialen Herkunft, ihres kulturellen und ethnischen Hintergrundes, ihrer Interessen und ihres Geschlechts. Exemplarisch für einen positiven Umgang mit Diversität sei die Entwicklung im Bereich des geschlechtersensiblen Unterrichts genannt. Bis weit ins 20. Jahrhundert gab es noch viele reine Mädchen bzw. Jungenschulen, die ab dem Ende der 1960er Jahre in Deutschland von der sogenannten Koedukation, der gemeinsamen Beschulung von Mädchen und Jungen, abgelöst wurde. Ein Ziel des koedukativen Unterrichts war, eine Chancengleichheit in der Bildung von Mädchen und Jungen zu erreichen. Im Laufe der Zeit stellte man fest, dass die Schülerinnen und Schüler besser gefördert werden, wenn geschlechtsbezogene Erwartungen und Unterschiede wahrgenommen und reflektiert werden, dies nennt man „reflexive Koedukation“. Unterschiede, die z. B. im sprachlichen oder naturwissenschaftlichen Bereich erkannt wurden, führt man heute vor allem auf soziale Rollenvorbilder zurück. Der Geschlechtergerechtigkeit versucht man mittlerweile damit gerecht zu werden, indem man Jungen und Mädchen für bestimmte Unterrichtssequenzen trennt oder den „Girls Day“ bzw. „Boys Day“ anbietet. Das wechselseitige Hineinschnuppern in Berufe die „typisch weiblich“ bzw. „typisch männlich“ sind, sollen das Interesse auf die Berufe wecken und Stereotypen aufbrechen.
An deutschen Schulen ist traditionell ein hierarchischer Leistungsbegriff verbreitet, der fast nur auf dem kognitiven Leistungspotenzial basiert. Fähigkeiten und Fertigkeiten, die weder mess- noch trainierbar sind, werden oft voreilig als Randphänomen abgetan. Der Leistungs- und Begabungsbegriff muss um die Vielseitigkeit von Menschen erweitert werden. Zu berücksichtigen sind dabei nach Esslinger-Hinz und Sliwka (2011) soziale, ästhetische, musische und moralische Dimensionen. Das Spektrum von Eigenschaften, Erlebnissen, Erfahrungen und Fähigkeiten der Individuen sind Ausgangspunkt für die Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts und einer persönlichen sowie beruflichen Identität (Esslinger-Hinz & Sliwka, 2011). Eine Kultur der Diversität ist an Schulen nur zu erreichen, wenn sich eine professionelle Zusammenarbeit etabliert. Lehrkräfte einer Schule befinden sich in professionellen Lerngemeinschaften und entwickeln ein gemeinsames Porträt, basierend auf einer Vision, die als zukunftsweisend gelten soll. Die Bereitschaft, regelmäßig und nachhaltig gemeinsam konzeptionell an der Entwicklung der Schule zu arbeiten, bedeutet für Esslinger-Hinz und Sliwka (2011) Professionalität. Selbstverständlich gilt das Diversitätsprinzip auch für die Lehrerinnen und Lehrer, die unterschiedliche Stärken und Schwächen, Eigenheiten und Charakteristika aufweisen. Es kommt jedes Mal aus Neue darauf an, in der von Anerkennung und Respekt getragenen Atmosphäre jede einzelne Schule zu entwickeln (Esslinger-Hinz & Sliwka, 2011). Wie bereits beschrieben, ist man in Deutschland gerade auf dem Weg, Heterogenität als Herausforderung zu erkennen. Esslinger-Hinz und Sliwka (2011) beschreiben Ganztagsschulen (GTS) als Vorreiter auf dem Weg zur Diversität. Voraussetzung dafür, dass GTS als Orte der Diversität gelten, ist die Annahme, dass diese durch die Erweiterung des kognitiven Lernbegriffs mehr Zeit und Raum für die individuelle Förderung bieten. Erweitert wird der Lernbegriff an dieser Stelle um die Dimensionen des sozialen Lernens, den Platz für individuelle Förderung und ein Angebot musischer sowie sportlicher Aktivitäten (Esslinger-Hinz & Sliwka, 2011). Eine Erweiterung für künstlerisch Begabte oder Interessierte wird sonderbarerweise nicht genannt, sie gehört allerdings ebenso zu einer individuellen Dimension, die gefördert werden könnte.
In der Abb. 1 ist ein Modell nach Sliwka (2010) dargestellt, welches den Prozess von der Homogenität über die Heterogenität hin zur Diversität schematisch darstellt. Die einzelnen Etappen folgen zwar aufeinander, überlappen sich jedoch und können unterschiedlich lange andauern.
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Abb. 1. Von der Homogenität zur Diversität
(nach Sliwka, 2010)
Sander (2003) hingegen definiert die geschichtliche Entwicklung zum aktuellen Leitbegriff der Inklusion in fünf aufeinanderfolgenden Etappen: Exklusion, Segregation, Integration, Inklusion und allgemeine Pädagogik für alle (Speck, 2010). Die Phasen Exklusion, Separation, Integration und Inklusion überlappen sich in der Realität. Hinz (2006) dehnte die stufenförmigen Phasen auf das Bildungs- und Erziehungssystem aus und beschreibt das Modell als „ein mit Widersprüchen und gleichzeitig verschiedenen Realitäten gedachtes“ (Hinz, 2006, S. 12). Die Darstellung in Tab. 2, Kapitel 3.2 verdeutlicht die verschiedenen Phasen von der Exklusion bis hin zur Inklusion. In der Phase der Exklusion wird beeinträchtigten Menschen der Zugang zu Erziehungs- und Bildungsangeboten verwehrt. Ab den 1960er Jahren des vergangenen Jahrhunderts beginnt die Phase der Segregation, diese ist vor allem bis in die 1980er Jahre, aber auch heute noch relevant. Kinder werden in dieser Phase nach bestimmten Kriterien verschiedenen Lokalisierungen des Bildungssystems zugeordnet. Das deutsche mehrgliedrige Schulsystem beispielsweise weist Kindern nach ausgewählten Leistungskriterien eine Schulform zu. Als Maß werden vor allem die Leistungen im Schreiben, Lesen und Rechnen herangezogen, negative Abweichungen führen Kinder oft in Sonder-Institutionen. Eine weitere Entwicklungsphase begann etwa Ende der 1970er mit der Integrationsbewegung. Die ausgewiesenen Lern- und Lebensorte werden in Frage gestellt, und das aus Dänemark stammende „Normalisierungsprinzip“ findet in Deutschland Anerkennung. Bei dem Normalisierungsprinzip geht es um die Ermöglichung von Lebensrhythmen und Lebensstandards, die für jeden Menschen erstrebenswert sind, wie z. B. die räumliche Trennung von Arbeitsplatz und Wohnraum. Die Integrationsbewegung wurde besonders von engagierten Eltern behinderter Kinder sowie Fachleuten initiiert. Im Laufe der Zeit entstanden Wahlmöglichkeiten zwischen unterschiedlichen Lern- und Lebensorten für Menschen mit geistiger Behinderung. Wenig später wurden Forderungen von Menschen laut, bei Entscheidungen, die sie persönlich betreffen, einbezogen zu werden und es entwickelte sich ein weiteres Leitbild, dessen Grundsatz lautet „Nichts über uns ohne uns!“ (ABS - Zentrum selbstbestimmt Leben e.V., 2013, S. 5). Hierzulande ist Inklusion erst mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Bundesregierung zu einem zentralen Leitprinzip geworden. Die damit gemeinte Nicht-Aussonderung gilt für alle gesellschaftlichen Lebensbereiche und betrifft alle Bürger eines Sozialraumes. Im gesellschaftlichen Lebensbereich sind etwa Wohnen, Leben, Arbeiten, der vorschulische und der schulische Bereich eingeschlossen. Der Sozialraum umfasst beispielsweise Familien, Stadtbezirke, Wohnsiedlungen, Arbeitsstätten, in dem alle Individuen willkommen sind und die so ausgestattet sind, dass sich jeder darin zurechtfinden, kommunizieren, interagieren und wohlfühlen kann. Diese visionär anmutende Vorstellung basiert auf einer rechtlichen Verankerung von gesellschaftlichen Teilhabeansprüchen und entspricht der Idee der „inklusiven Bürgerschaft“. Die Sensibilisierung der Gesellschaft muss in diesem Bereich so vorangetrieben werden, dass Ausgrenzungsprozesse verhindert werden (Theunissen et al., 2013).
Im Kapitel 3.2.1 wird auf den Gebrauch des heutigen Inklusionsbegriffs vor allem im Bildungssektor näher eingegangen.
Im Folgenden werden verschiedene Auffassungen von Inklusion, wie sie in der Literatur zu finden sind, beschrieben. Wichtige Elemente der Inklusion sind Gleichheit bzw. Verschiedenheit und Teilhabe. Diese Begriffe werden ebenfalls definiert, um Klarheit über deren Wortgebrauch zu schaffen.
Der Begriff Inklusion geht etymologisch auf das lateinische Wort „includere“ zurück und bedeutet „einschließen“ (Theunissen, 2009; Hinz et al., 2012). Hinz et al. (2012) erklären, dass Inklusion als ein soziales „Eingeschlossensein“ in eine Gemeinschaft oder als das „Einbezogensein“ in lebensrelevante Kommunikationszusammenhänge verstanden werden kann. Verwirrend ist zunächst, dass die Begriffe Integration[10] und Inklusion in den letzten Jahren bedeutend oft in Gebrauch sind, ohne dass sie in ihrer inhaltlichen Aussage klar voneinander getrennt werden. In der Literatur werden beide Begriffe synonym verwendet, als sei ihre inhaltliche Bedeutung identisch (Speck, 2010). Amrhein (2011) stellt fest, dass weder in der nationalen, noch internationalen Literatur eine uniforme Begriffsdefinition existiert. Auch in pädagogischen Kreisen herrscht Amrhein (2011) zufolge Unsicherheit über den Inhalt beider Begriffe. Nach Hinz et al. (2012) erklärt sich das Begriffsverständnis am ehesten aus den sozialpolitischen Diskussionen in den 1970er Jahren. Damals stand zunächst der Terminus „Exklusion“ im Zentrum. Exklusiv bedeutet als Gegenstück zu inklusiv „ausgegrenzt“ oder „nicht für jedermann bestimmt“ (Hinz et al., 2012). Soziologisch betrachtet, benötigte man einen Gegenbegriff als sozialen Zielbegriff. Damit schob sich das sprachliche Gegenstück „Inklusion“ neben den Begriff der Integration (Hinz et al., 2012). Etymologisch leitet sich der Begriff Integration vom lateinischen „integrare“ ab, was mit „ein Ganzes herstellen“ übersetzt werden kann. Verschiedene, manchmal gegensätzliche Begriffsinhalte von Inklusion weisen auf kontextabhängige Interpretationsspielräume hin. Eine Metapher, also ein Ausdruck, der übertragbar ist, erhält erst in einem bestimmten Bezugssystem oder durch den speziellen Wortgebrauch von „Inklusion“ und „Exklusion“ seine inhaltliche Wertung (Hinz et al., 2012). Diese kontextabhängigen Interpretationen führen auch in der Bevölkerung zur Konfusion und zu Diskussionen. Eine einheitliche Definition des Inklusionsbegriffs ist folglich nicht auszumachen.
Sander (2004) erklärt, dass Protagonisten des Begriffswechsels Inklusion als verbesserte und umfangreichere Integration verstehen. Sander (2004) sieht in der Integration hauptsächlich die Unterrichtung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung in einer Allgemeinen Schule, eine sonderpädagogische Unterstützung wird zum Schulbesuch benötigt. Die Inklusion erlaubt allen Kindern den Schulbesuch, wobei die Schule die Heterogenität schätzt. Eine Akzeptanz von Unterschieden soll in der Schule betont werden, damit neben Behinderten auch in anderer Weise Benachteiligte in den Fokus rücken. Über die Schule hinaus werden auch weitere gesellschaftliche Bereiche wie das gemeinsame, solidarische Leben thematisiert. Der Gedanke, dass auch weitere Gesellschaftssysteme berührt werden, ist nach Reiser (2003) schon in theoretischen Grundlagen der Integration bedacht worden. Bemängelt wird von Hinz (2002), dass die Integration während der Praxisentwicklung eine „Verwässerung“ erfahren hat und kritisiert die Fixierung auf die administrative Ebene.
Sehr kurz drücken Schuster und Schuster (2013) den Unterschied von Inklusion und Integration aus. Integration ist die Anpassung von Menschen mit Behinderung an die Gesellschaft, im Gegensatz dazu ist die Inklusion die Anpassung der Gesellschaft an die Bedürfnisse und Besonderheiten der Menschen mit Behinderung. Eine Adaptation der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und des öffentlichen Lebens an die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung ist damit eingeschlossen und betrifft folglich auch den Lebensraum der Schule.
Nach Speck (2010) bezieht sich Inklusion auf alle Aspekte von Verschiedenheit, dabei sind gesellschaftliche Marginalisierungen gemeint, wovon Menschen mit Behinderung nur einen Subaspekt darstellen. Leitgedanke der Inklusion ist, dass Heterogenität einen Normalzustand meint, bei dem alle Dimensionen von Verschiedenheit gemeinsam betrachtet werden. Sind dagegen nur Menschen mit Behinderung gemeint, ist der Begriff Integration treffender (Speck, 2010).
Das in der Tab. 2 beschriebene Modell nach Hinz (2006) wurde insbesondere aufgrund einer zu starken Vereinfachung der historisch begründeten Entwicklungsphasen und einer uneinheitlichen Verwendung der Begriffe Inklusion und Integration kritisiert. Die schematische Darstellungsweise lässt aber trotzdem einen anschaulichen Überblick der Theorie von Hinz zu. Vor allem kann das Modell auf das deutsche Schulsystem übertragen werden, woraus sich ein differenzierteres Bild von Inklusion im pädagogischen Sinn ergibt.
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Tab. 2. Darstellung der Begriffe Exklusion, Separation, Integration und Inklusion
Inklusive Beschulung bedeutet eine Teilhabe aller Schülerinnen und Schüler am allgemeinbildenden Regelschulwesen. Der Integrationsbegriff impliziert ein hierarchisches Denken und geht von zwei Gruppen aus, wovon die förderbedürftige die zu integrierende ist. Inklusion setzt eine einzige Gruppe voraus, die in sich heterogen ist. Alle Mitglieder werden entsprechend ihres Potentials gefördert (Kleindienst-Cachay, 2013).
Für eine erfolgreiche Umsetzung der Inklusion werden Unterstützungssysteme benötigt, die drei wesentliche Qualitätsmerkmale erfüllen müssen (Speck, 2010, S. 42–43):
- Sie müssen nonkategorial organisiert sein, das bedeutet, dass die Einzigartigkeit jedes Menschen in den Vordergrund rückt.
- Sie müssen entspezialisiert arbeiten, worunter eine Offenheit für Problemstellungen verstanden wird, ohne sich selbst als omnipotent für diese Herausforderungen zu bezeichnen.
- Sie müssen systemisch angelegt sein, das heißt, das Problem wird nicht in einer bestimmten Person gesehen, sondern das Umfeld und dessen Barrieren werden als Herausforderung erkannt und in die Betrachtung einbezogen.
Die Unterstützungssysteme für Schülerinnen und Schüler und deren Eltern in einer „Schule für alle“ sind äußerst vielfältig. Sie reichen vom unmittelbaren Umfeld in der Schule und am Wohnort über Beratungsstellen, das örtliche Jugend- oder Sozialamt, Krankenkassen sowie Unfall- und Rententräger bis hin zu Verbänden und Institutionen auf Landesebene. Die Abb. 2 zeigt die Unterstützungsmöglichkeiten beispielsweise im Land Brandenburg.
Festzuhalten ist, dass Integration und Inklusion oft uniform verwendet werden. Es gibt viele unterschiedliche und kontextabhängige Definitionsansätze im Inklusionsdiskurs. Zu einem besseren Begriffsverständnis sollen die bislang angeführten Erläuterungen des Inklusionsansatzes genügen. In der vorliegenden Arbeit bedeutet Inklusion eine Wertschätzung der vielfältigen Facetten der Menschen und lehnt sich gegen jegliche Diskriminierungen z. B. durch Kategorisierungen oder Marginalisierungen (vgl. Speck, 2010; Hinz 2004, 2006; Schuster und Schuster 2013). Im Zusammenhang des schulischen Kontextes wird dennoch ein Schwerpunkt auf das Aufheben von Barrieren beeinträchtigter Schülerinnen und Schüler gelegt, da diese entsprechend der Problemstellung für die empirische Untersuchung ausgewählt wurden.
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Abb. 2. Systemübersicht inklusive Bildung in Brandenburg
(aus MBJS, 2013, S. 1)
Ein zentraler und in dieser Arbeit mehrfach genannter Begriff ist die Teilhabe. Was genau wird unter Teilhabe verstanden? Mit Teilhabe ist in diesem Zusammenhang, wie es Lütgeharm (2013) ausführt, eine chancengleiche und gleichberechtigte Teilnahme, ein Zusammenwirken und Zusammensein mit anderen, gemeint. Ein aktives Miteinander, die Beteiligung an Entscheidungen sowie die Anerkennung und Wertschätzung der Vielfalt von Identitäten werden zur Notwendigkeit (Speck, 2010). Bei einem inklusiven Sportunterricht steht die gleichberechtigte Teilhabe aller Schülerinnen und Schüler im Zentrum. Die Ausübung bestimmter Sportarten, eine Vermittlung spezifischer Techniken oder Kompetenzen rücken damit in den Hintergrund (Lütgeharm, 2013). Eine Teilhabe meint mehr als ein Teilnehmen, denn Teilhabe bringt die Gestaltung von Lebenssituationen mit sich. Eine Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe werden als grundlegende Ziele im Zusammenleben mit beeinträchtigten Menschen gesehen. Grundsätzlich wird Menschen mit Behinderung vom Gesetzgeber der Status von Gleichberechtigung eingeräumt, solange das Recht auf die Nutzung gesellschaftlicher Regelstrukturen betont wird. Eine absolute gesellschaftliche Teilhabe ist eine Teilmenge der Inklusion und beinhaltet die Möglichkeit, ein Leben mit individueller Beeinträchtigung zu leben, welches dem eines nicht behinderten Bürgers entspricht. Inklusion ist dort realisiert, wo Menschen mit Beeinträchtigung jegliche gesellschaftlichen Systeme nutzen können, ohne auf „Sonderinstitutionen“ angewiesen zu sein (Theunissen et al., 2013). Eine gleichberechtigte Teilhabe wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als ein „Einbezogensein in eine Lebenssituation“ bezeichnet, bei der keine Nachteile aufgrund personeller Voraussetzungen entstehen (DIMDI, 2005, S. 16). Im Hinblick auf Menschen mit geistiger Beeinträchtigung geht es darum, partizipative Prozesse sicherzustellen, die sie in Entscheidungsprozesse einbeziehen, von denen sie selbst betroffen sind. Aktivisten der selbstbestimmt Leben Bewegung formulierten:
„Nicht die Behinderung oder Beeinträchtigung ist unser Problem, sondern es sind Respektlosigkeit, Diskriminierung, Unbeeinflussbarkeit von Lebensbedingungen und eine Gesellschaft, die uns ausgrenzt“ (Theunissen et al., 2013, S. 249).
„Wenn Gott gewollt hätte, dass alle Menschen gleich sind, würden wir heute alle Beinschienen tragen“ („Forrest Gump“, Zemeckis, 1994)[11]. Das Zitat verdeutlicht, dass Unterschiedlichkeit menschlich ist, dass wir alle nur in unserer Unterschiedlichkeit eine Gemeinschaft darstellen. Dass jeder anders ist, ist die Gemeinsamkeit. Speck (2010) bewertet Gleichheit als elementaren Baustein von Inklusion. Einfach ausgedrückt ist jedes Leben und jeder Tod gleichviel wert. Werte wiederum sind strittig und können miteinander in Konflikt stehen. Zudem unterscheiden sich Menschen in ihrer Toleranz gegenüber Ungleichheit (Speck, 2010). Gleichheit fordert eine Aufhebung von Ungleichheit in der Bildung. Ungeachtet des persönlichen Hintergrundes oder individueller Eigenschaften sollte jeder Mensch den gleichen Anteil an Ressourcen erhalten (Speck, 2010). Aufgrund der Semantik der Begriffe Gleichheit und Verschiedenheit kann es zu Widersprüchen kommen. Im Folgenden soll die Semantik beider Begriffe erläutert werden.
„Gleichheit ist ein Verhältnis worin Verschiedenes zueinander steht“ (Windelband, 2001, Abs. II). Anhand der Aussage wird deutlich, dass der eine Begriff nicht ohne den anderen definiert werden kann, denn die Begriffe sind in einem Abhängigkeitsverhältnis aufeinander bezogen (Prengel, 2006). Eine Voraussetzung für das Erkennen von Gleichheit ist die Existenz von Verschiedenheit. „Gleichheit ist immer nur Abstraktion von gegebener Ungleichheit“ (Radbruch & Dreyer, 2003, S. 37). Eine Aussage über Gleichheit besitzt nur in einer bestimmten Hinsicht ihre Gültigkeit, wobei die verglichenen Dinge nur in manchen Merkmalen gleich sind in anderen wiederum verschieden. Eine absolute Gleichheit würde Identität bedeuten, folglich kann es keine absolute Gleichheit geben, sie wäre schließlich immer eine Gleichheit von Verschiedenen. Folgernd bezeichnet Gleichheit ein Muster der Übereinstimmung zwischen Verschiedenen und sie steht in Bezug zu anderen Mustern der Übereinstimmung, wie z. B. Identität und Ähnlichkeit.
Gleichheit und Verschiedenheit weisen auf den ersten Blick konträre Tendenzen aus: „Abgrenzung, Differenz und Autonomie auf der einen, Verbundenheit, Annäherung und Begegnung auf der anderen Seite“ (Fediuk & Hölter, 2003, S. 24). In der Praxis muss die Aufgabe gelöst werden, eine dynamische Balance von Differenz und Gleichheit in den jeweiligen Situationen herzustellen (Reiser, 1991). In der Darstellung Abb. 7 in Kapitel 4.2 wird verdeutlicht, wie wichtig eine an die individuellen Voraussetzungen angepasste Anforderung ist, um eine Chancengleichheit herzustellen. Ungleichheit nimmt auch in der Bildungskonzeption von Schleiermacher einen großen Platz ein. Schleiermacher unterscheidet zwischen einer „angestammten“, das bedeutet gesellschaftlich bedingten, und einer „angeborenen“ Ungleichheit. Hieraus schlussfolgert Klafki, dass die „Erziehung nicht dazu beitragen darf, gesellschaftlich bedingte Ungleichheit zu verfestigen“ (nach Klafki 2007, S. 38). Diese Betrachtung der Beseitigung von Ungleichheit ist interessant, weil auch heute noch aus Diskussionen um PISA hervorgeht, dass das deutsche Schulwesen sozial- und schichtbezogen ist. Behinderung ist im deutschen Schulwesen institutionalisiert, größtenteils gesellschaftlich produziert und mit Schleiermachers Wortwahl „angestammt“. Einer Inklusion nachzukommen, müssen tiefgreifende Maßnahmen in das Gesellschafts- und Schulsystem eingreifen, die weit über einen Rampenbau für Rollstuhlfahrer hinausgehen (Fediuk & Hölter, 2003).
„Die Behindertenrechtskonvention ist für alle Träger öffentlicher Gewalt und damit für den Bund, die Länder und die Kommunen völkerrechtlich verbindlich.“ (Kultusministerkonferenz, 2010, S. 2).
Das gesetzliche Fundament für eine gelungene Inklusion stellt die UN-Behindertenrechtskonvention dar. Die Konvention umfasst 50 Artikel, die im Zusammenhang mit den Rechten und Belangen behinderter Menschen bedeutsam sind. Mit Blick auf den Rahmen dieser Arbeit und einen vornehmlich pädagogischen Fokus wird auf einen umfassenden Blick in die Gesetzeslandschaft verzichtet.
Im Jahr 2006 verabschiedete die UN-Generalversammlung in New York einen völkerrechtlichen Vertrag, in dem Rechte von Menschen mit Behinderung festgehalten sind. Artikel 3 des Übereinkommens zufolge haben Menschen mit Behinderung das Recht auf „volle wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft“ (Deutsches Institut für Menschenrechte e. V., 2006, S. 4). Die unterzeichnenden Vertragsstaaten verpflichten sich in Artikel 3, Absatz d, die Verschiedenheit von Menschen mit Behinderung zu achten und sie als Teil der Gesellschaft zu akzeptieren. In der UN-Konvention wird klargestellt, dass es keine Norm des gesellschaftlichen Seins gibt. Schlussfolgernd darf niemand wegen seiner Andersartigkeit aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen oder diskriminiert werden (Deutsches Institut für Menschenrechte e. V., 2006). Natürlich gilt das Gesetz auch im Bereich der Bildung.
Hier sei besonders auf zwei zentrale bildungspolitische Ereignisse im Inklusionsdiskurs verwiesen. Zum einen auf die UNESCO World Conference on Special Needs Education und die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung. Die UNESCO Konferenz fand im Juni 1994 in der spanischen Provinz Salamanca statt. Das sog. Salamanca-Statement[12] kann als Ergebnis der Konferenz hervorgehoben werden. Dem Salamanca-Statement wird ein zentraler Verdienst für die Verbreitung einer inklusiven Denkweise zugesprochen. In der Abschlusserklärung wird der Inklusionsbegriff ausdrücklich verwendet und alle EU-Länder wurden dazu aufgefordert, das Bildungskonzept der Inklusionspädagogik umzusetzen (DUK, 2007). Am 13. Dezember 2006 wurde die UN-Konvention und das dazugehörige Fakultativprotokoll von der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Ratifizierung freigegeben. Deutschland hinterlegte die Ratifizierungsurkunde bei den Vereinten Nationen am 24. Februar 2009, womit die Konvention und das Zusatzprotokoll seit dem 26. März 2009 rechtsverbindlich Gültigkeit besitzen. Die Grundlage bildet die zwischen der Schweiz, Österreich, Lichtenstein und Deutschland abgestimmte Übersetzung: „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ (Deutsches Institut für Menschenrechte e. V., 2006, S. 1). Die inhaltliche Schnittstelle zwischen beiden Erklärungen liegt im Bemühen, die Autonomie von Menschen mit besonderen Bedürfnissen zu fördern und die Verschiedenheit aller Individuen anzuerkennen (Giese und Weigelt, 2013).
Der Artikel 24 hält im Speziellen Rechte für den Bildungssektor fest. Mit der Zustimmung des UN-Gesetzes durch den Bundestag gewährleistet die Bundesrepublik Deutschland als Vertragsstaat für Menschen mit Behinderungen
„ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen mit dem Ziel, […] ihre Begabungen und ihre Kreativität sowie ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten voll zur Entfaltung zu bringen“ (Deutsches Institut für Menschenrechte e. V., 2006, S. 15).
Sie stellt u. a. sicher, dass Menschen mit Behinderung
- Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben,
- angemessene Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Einzelnen erhalten,
- wirksame, individuell angepasste Unterstützungsmaßnahmen angeboten bekommen,
- die notwendige Unterstützung bekommen zur Erleichterung der erfolgreichen Bildung.
Die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sich durch die Anerkennung der UN-Konvention, dass
- geeignete Maßnahmen zur vollen und gleichberechtigten Teilhabe behinderter Menschen ergriffen werden, unter anderem sind das Erlernen der Brailleschrift oder alternativer Schrift, Mittel und Formate der Kommunikation, der Erwerb von Orientierungs- und Mobilitätsfertigkeiten sowie die Unterstützung durch andere Menschen mit Behinderungen und das Mentoring inbegriffen,
- geeignete Maßnahmen zur Einstellung von Lehrkräften getroffen werden und
- Schulungen von Fachkräften durchgeführt werden, die der „Schärfung des Bewusstseins für Behinderungen und die Verwendung geeigneter ergänzender und alternativer Formen, Mittel und Formate der Kommunikation sowie pädagogische Verfahren und Materialien zur Unterstützung von Menschen mit Behinderung“ dienen (Deutsches Institut für Menschenrechte e. V., 2006, S. 16).
Auf Besonderheiten des Sportunterrichts wird nicht eingegangen (Schmitz, 2013).
Nach dem Artikel 24, Absatz 2 der UN-Konvention haben Menschen mit Behinderung das Recht auf einen barrierefreien Zugang zum allgemeinen Bildungssystem. Für Deutschland bedeutet dies eine Umstrukturierung. Regelschulen müssen Menschen mit Beeinträchtigung die notwendigen Unterstützungsmaßnahmen anbieten, damit eine erfolgreiche Teilnahme an Bildungsangeboten besteht. Folgerichtig muss jede Art der Diskriminierung oder Separation abgelehnt werden (Ahrbeck, 2012).
Im Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention heißt es u. a.:
„Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderung auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen […] und dass Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden“ (Deutsches Institut für Menschenrechte e. V., 2006, S. 15).
Diese Aspekte sind jenen Punkten beim weltweiten Kampf für mehr Teilhabe von Mädchen an Bildung sehr ähnlich. Auf dem Weltforum „Bildung für Alle“ in Dakar im Jahr 2000 war die Überwindung bildungsbezogener Diskriminierung gegenüber Mädchen und zum Teil von Kindern ethnischer Marginalisierungen der thematische Schwerpunkt (Speck, 2010). Ein Ziel lautet wie folgt:
„Bis 2015 sollen alle Kinder - insbesondere Mädchen, Kinder in schwierigen Lebensumständen und Kinder, die zu ethnischen Minderheiten gehören - Zugang zu einer unentgeltlichen, obligatorischen und qualitativ hochwertigen Grundausbildung erhalten und diese auch abschließen“ (DUK, 2000).
Eine Frage, die sich ableiten lässt, bezieht sich auf das Hervorheben von Mädchen. Es ist zweifellos wichtig, für die Rechte von Mädchen und Frauen einzutreten, doch Diskriminierungen von Frauen oder homosexuellen Menschen, gleichwohl welchen Geschlechts, zu überwinden, setzt eine Änderung des Männer- und Frauenbildes voraus (Speck, 2010). Das Hervorheben bestimmter Gruppen, hier den Mädchen und Frauen, führt aber zugleich zur Exklusion jener, die nicht erwähnt werden, z. B. den Jungen. Inklusion sollte jedoch niemanden ausschließen, warum wird dann nicht herausgestellt, dass keiner ausgelassen wird? Auch Speck (2010) kommt zu dem Schluss, diese Frage zu stellen.
Den Übersetzern der UN-Behindertenrechtskonvention, vom englischen in das Deutsche wirft er vor, Formulierungskünste einzusetzen, um die Reichweite der UN-Konvention zu begrenzen (Speck, 2010). Ebenso kritisiert Speck auch jene, die diese Übersetzung in dem ungenauen Wortlaut akzeptieren, um kostspieligen, aufwändigen und strukturellen, gesellschaftlichen Änderungen aus dem Wege gehen zu können (Speck, 2010). Bezogen auf die bildungspolitische Ebene ist Speck der Meinung, dass Inklusion einen weitreichenden Änderungsbedarf an das Schulsystem fordern würde, während Integration nur eine Kooperation von Sonderschulen mit ausgewählten allgemeinen Schulen erfordere (Speck, 2010). Letztendlich räumt Speck ein, dass eine Übertragung von Integration und Inklusion in einige Sprachen besser funktioniert als in andere (Speck, 2012). Hinz et al. (2012) stellen klar, dass erst die Übersetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in die deutsche Sprache eine Abgrenzung der Begriffe „Inklusion“ und „Integration“ relevant werden ließ. Der Vorwurf der absichtlich „unscharfen Formulierungen“ der Konvention wird zurückgewiesen. Nicht die deutsche Übersetzung, sondern der Inhalt der Konvention ist verbindlich. Der Inhalt des Abkommens wird in sechs authentischen Sprachfassungen repräsentiert (Hinz et al., 2012). Aus der englischsprachigen Literatur leiten Hinz et al. (2012, S. 64–65) vier Eckpunkte des Inklusionsverständnisses ab:
- Inklusion wendet sich der Heterogenität der Menschen positiv zu und versucht sie pädagogisch produktiv zu nutzen.
- Inklusion wendet sich gegen die Konstruktionen zweier Kategorien z. B. Männer und Frauen. Diese Konstruktionen sind auch als „Zwei-Gruppen-Theorien“ bekannt. Dabei soll die Gruppe als unteilbares Spektrum von Individuen begriffen werden, wobei die Einmaligkeit der Personen anerkannt wird.
- Die Bürgerrechtsbewegung (vgl. Kapitel 3.1) ist der Orientierungspunkt für Inklusion, sie wendet sich gegen alle gesellschaftlichen Tendenzen, Menschen an den Rand zu drängen.
- Inklusion vertritt die Vision, Diskriminierung und Marginalisierung gänzlich abzubauen.
Inklusion ist mehr als ein neues Leitbild der Behindertenhilfe. Sie stellt den Grundbegriff eines gesellschaftspolitischen Paradigmas dar, in dem Vielfalt wertgeschätzt wird und in der es ohne Angst möglich ist, verschieden zu sein. Inklusion verlangt eine tiefgreifende Veränderung in der Gesellschaft, welche nie ganz erreicht sein wird (Liedke, 2013).
„Es ist normal, verschieden zu sein“ formulierte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker bei seiner Ansprache auf der Eröffnungsveranstaltung der Tagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte (von Weizsäcker, 1993). Die Verschiedenheit als Normalzustand kann auch als Aufforderung zur Abschaffung von Kategorisierungen verstanden werden. Inklusion wendet sich gegen Kategorisierungen, und somit ist es durchaus berechtigt zu fragen, warum überhaupt eine Definition und Systematisierung von Behinderung hier vorgenommen wird, wo doch der Ansatz der Inklusion als Themengebiet in dieser Arbeit gewählt wurde. Inklusion fordert eine gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen und will Rechte von marginalisierten Menschen schützen, Ressourcen bereitstellen und Maßnahmen anbieten, die eine aktive Teilhabe an allen gesellschaftlichen Bereichen erlauben. Aus der Perspektive von Minderheiten ist es somit wichtig, ihre Rechte zu schützen. Unsere Gesellschaft ist noch lange nicht inklusiv und kann die absolute Inklusion auch nie erreichen (vgl. Kap. 3.5), aus diesen Gründen erscheint eine Auseinandersetzung mit der Kapitelthematik legitim. Woran also denkt man, wenn man den Begriff „behindert“ hört? An jemanden, der im Rollstuhl sitzt? Eine Person mit geistiger Behinderung? An sozial-emotional auffällige Persönlichkeiten? Denkt man an hörgeschädigte, blinde Personen oder an Menschen mit Lernschwierigkeiten? Die gestellten Fragen verdeutlichen, dass wir zwar eine Vorstellung von Behinderung haben, aber eine Definition von Behinderung verschieden, komplexen Ansätzen und Überlegungen unterliegt, die ihre Wurzeln in verschiedenen Disziplinen haben. Im Allgemeinen kann Behinderung nicht als objektiver Sachverhalt beschrieben werden, sondern ist unter Berücksichtigung verschiedener Wertevorstellungen und Perspektiven zu sehen. Eine singuläre Definition kann kaum alle Umstände berücksichtigen und besitzt daher nur begrenzt Gültigkeit (Wegner, 2001).
Es besteht weder Meldepflicht von Behinderung noch gibt es eine universell gültige Definition von Behinderung. Darum ist nicht möglich, eine exakte Anzahl von Menschen mit Behinderung zu bestimmen. Die Anzahl von Menschen in Deutschland mit einem Grad der Behinderung von 50 und mehr[13] belief sich im Jahr 2011 auf 7,3 Millionen (Statistisches Bundesamt, 2013). Aufgrund der großen Komplexität und einer stetig steigenden Zahl von Behinderungen, wurde es notwendig, ein System zu entwickeln, das eine internationale behinderungsspezifische Unterteilung vorsieht. Behinderung kann aus der sozialen und der medizinischen Perspektive betrachtet werden. Eine komparative Darlegung verschiedener Vorstellungen von „Behinderung“ soll die Problematik verschiedener Systematisierungsversuche und Definitionen verdeutlichen. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist in Artikel 3 Abs. 3 festgehalten: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ (Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, 2012, S. 2). Daraus wird die Frage abgeleitet, was unter Behinderung zu verstehen ist. „Behindert ist man nicht, behindert wird man!“ (Aktion Mensch e.V., 2000, #lblcontent29). Der Slogan weist darauf hin, dass Behinderung von der Gesellschaft verursacht wird. Begegnet man Behinderung mit diesem Gedanken, entspricht die Auffassung der sozialen Sichtweise. Ausgehend von einer medizinischen Betrachtungsweise, wird Behinderung als individuelle Beeinträchtigung eines Menschen bezeichnet, resultierend aus einer Krankheit, einem Unfall oder einer sonstigen gesundheitlichen Beeinflussung (Janda, 2011).
Eine erste Definition der WHO stammt aus dem Jahr 1980, ihr liegt ein dreistufiges Modell zugrunde. Damals wurde eine Behinderung nach der International Classification of Impairments, Disabilities and Handicaps (ICIDH) definiert als eine sich aus dem Schaden (impairment) ergebende funktionelle Einschränkung (disability) und darauf beruhende soziale Beeinträchtigung (handicap) (WHO, 1980). An der Ausführung wurde bemängelt, dass den sozialen und psychischen Aspekten zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird (Janda, 2011). Im Jahr 2001 änderte die WHO ihr Konzept entsprechend ab, woraufhin die Biografie des Individuums in das Blickfeld rückt und Behinderung keine Folge von Funktionsstörungen, sondern als soziales Phänomen angesehen wird (Janda, 2011 und DIMDI, 2005). Die Definition einer Behinderung nach ICIDH bzw. ICF (2001) ist die Grundlage für die folgenden Ausführungen:
„Eine Person ist in Ihrer funktionalen Gesundheit (oder der Funktionsfähigkeit) beeinträchtigt […], wenn unter Berücksichtigung ihrer Kontextfaktoren in wenigstens einer der genannten Ebenen der funktionellen Gesundheit eine Beeinträchtigung vorliegt, d. h. eine Funktionsstörung, ein Strukturschaden, eine Einschränkung einer Aktivität oder eine Beeinträchtigung der Teilhabe an einem Lebensbereich“ (Schuntermann, 2009, S. 33).
Im deutschsprachigen Raum werden seit den 1960er Jahren in der Sonderpädagogik neun Kategorien oder Behinderungsformen unterschieden. Differenziert wird zwischen Blindheit, Sehbehinderung, Gehörlosigkeit, Schwerhörigkeit, Sprachbehinderung, Verhaltensbehinderung oder Verhaltensstörung, Lernbehinderung, geistige Behinderung und Körperbehinderung (Biewer, 2010). Eine Einigung auf diese Einteilung war die Folge der Schulstrukturentwicklung in Deutschland in den 1950er und 1960er Jahren und der dadurch hervorgerufenen Gliederung des Sonderschulwesens. Es entwickelten sich Schulen für Lernbehinderte, Sprachbehinderte, Körperbehinderte oder geistig Behinderte (Biewer, 2010). Im Bildungswesen kehrte man der Klassifizierung einer Behinderung seit dem Ende der 1980er Jahre den Rücken, zugunsten der Erfassung eines Erziehungs- und Bildungsbedarfs (Biewer, 2010). Die neue Perspektive setzte zum Teil innovative Strategien durch, jedoch selten in Institutionen des Bildungswesens. Der Behinderungsbegriff wurde ab dem Jahr 1980 im schulpädagogischen Kontext durch den Begriff des „sonderpädagogischen Förderbedarfs“ ersetzt (Biewer, 2010). Der begriffliche Wandel im Sprachgebrauch der Schulbehörden bewirkte nicht unbedingt einen Wechsel institutioneller Strukturen, aber weniger stigmatisierte Begriffe treten an die Stelle der bisherigen (Biewer, 2010). Anfang der 1990er Jahre beginnt man auf die Nennung von Behinderung zu verzichten, dieses Phänomen wird in der Fachliteratur als „Dekategorisierung“ bezeichnet. Ehemalige Behinderungen werden, ohne die Nennung von Problemlagen, lediglich als Aspekt von Verschiedenheit wahrgenommen oder es wird nur ein bestehender Bedarf als Zuschreibung formuliert (Biewer, 2010). In der deutschen Schullandschaft mit einem ausgebauten Sonderschulwesen erfolgte die sprachliche Novellierung nur halbherzig und wurde durch die Festlegung von Förderschwerpunkten anhand bisheriger Behinderungskategorien eher konterkariert (Biewer, 2010). Infolge eines nur halbherzigen Abrückens von den defizitorientierten Behinderungskategorien sind begriffliche Inkonsistenzen im Klassifizierungssystem zu bemängeln. Biewer (2010) kritisiert, dass sich doch gelegentlich Hinweise auf eine geistige und körperliche Behinderung finden, womit eben wieder defizitorientierte sonderpädagogisch Klassifizierungen für die Legitimierung zusätzlicher pädagogischer Hilfen dienen müssen. Bei einem Verzicht auf die Kategorien mit potenziell negativen Konnotationen wird das Problem, dass ein Bedarf sich nur über ein Defizit und das entsprechende Angebot konstituieren kann, nicht umgangen. Hansen und Stein (2006) bevorzugen in ihrem „Kompendium Sonderpädagogik“ eine Terminologie, bei der zwar Defizite benannt werden, aber keine alten sonderpädagogischen Kategorien verwendet werden. Gesprochen wird beispielsweise von Beeinträchtigungen der sozialen und emotionalen Entwicklung, der geistigen Entwicklung, des Hörens, der motorischen und körperlichen Entwicklung, des Lernen, des Sehens und der Sprache (Hansen & Stein, 2006). Aufschlussreich scheint auch, dass die Hochbegabung[14] im angloamerikanischen Raum häufig als Kategorie der Sonderpädagogik betrachtet wird (Biewer, 2010). Neben den Förderschwerpunkten, wie in Tab. 3 ersichtlich, werden von der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) länderübergreifende Kategorien beschrieben, die im Folgenden erläutert werden.
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Tab. 3. Sonderpädagogische Kategorien und Förderschwerpunkte (Biewer, 2010, S. 46)
Mit einer eigenen Unterteilung möchte die OECD statistisches Material besser vergleichbar darstellen und hat in einer Übersicht alle gebräuchlichen Kategorien der Mitgliedsländer dargelegt. Biewer (2010) stellt fest, dass die Anzahl der von den Bildungsverwaltungen verwendeten Kategorien Schwankungen aufweist, von 2 in Großbritannien bis 19 in der Schweiz. In den meisten Ländern wurden etwa 12 bis 13 Kategorien ausfindig gemacht. Mit den neuen Kategorien wird eine stärkere Anbindung an das Umfeld der International Standard Classification of Education (ISCED) der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO)[15] intendiert. Als problematisch wird das Fehlen eines einheitlichen Maßstabes bei den Erhebungen gesehen. Die bisher vorgelegten Übersichten der OECD sind daher sehr verwirrend gewesen, weil die quantitative Zuordnung zwischen den Ländern deutliche Differenzen aufwies und dies zu Quoten zwischen 1% und 30% für alle kategorisierten Kinder im schulpflichtigen Alter führte (Biewer, 2010). Die bislang länderspezifischen Einordnungen wurden von der OECD in drei neue länderübergreifenden Kategorien zusammengefasst (vgl. Tab. 4).
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Tab. 4. Länderübergreifende Kategorien der OECD (nach Biewer, 2010, S. 60)
Die Kategorie A vereint Behinderungen („disabilities“). Damit sind vorrangig Defekte im sensorischen, motorischen oder neurologischen Bereich inbegriffen. Ein Erziehungs- und Bildungsbedarf („educational needs“) entsteht vorwiegend aufgrund dieser Behinderung. In der Kategorie B werden Lernschwierigkeiten („learning difficulties“) zusammengefasst. Hier sind Schülerinnen und Schüler gemeint, die emotionale Verhaltensstörungen oder spezielle Lernstörungen aufweisen. Der Erziehungs- und Bildungsbedarf betrifft primär Interaktionen zwischen den Schülerinnen und Schülern und ihrem Umfeld. Unter Kategorie C sind Benachteiligungen („disadvantages“) erfasst. Eine Benachteiligung dieser Kinder und Jugendlichen entsteht vornehmlich aus sozio-ökonomischen, kulturellen oder sprachlichen Faktoren. Der Erziehungs- und Bildungsbedarf ist aus der Notwendigkeit abzuleiten, Benachteiligungen aufgrund der genannten Aspekte zu kompensieren (Biewer, 2010). Die Kategorien A und B spiegeln im Wesentlichen die traditionellen Adressatengruppen der Heilpädagogik wider. Eine Ausweitung der Adressatengruppe von Klassifizierungen mit dem Begriff der Kategorie C „disadvantages“ ist nach Biewer (2010) zu erwarten. Kinder und Jugendliche, die aufgrund ihres soziokulturellen Hintergrundes und der Sprache benachteiligt sind, stellen im deutschsprachigen Raum und vielen übrigen entwickelten Ländern eine wesentlich höhere Quote dar, als die bisher sonderpädagogisch etikettierten Schülerinnen und Schüler (Biewer, 2010).
Eine weitere Variante der Einteilung wurde von WHO mit der International Classification of Impairment, Disability and Handicap (ICIDH) vorgenommen. Die ICIDH soll neben der Beschreibung von Behinderung als Folge von Schädigungen (WHO, 1980) auch eine einheitliche Sprache in gesundheitlichen Kontexten liefern. Zudem erhob die ICIDH den Anspruch, auch als Kommunikationsinstrument in nicht medizinischen Fachgebieten zu dienen (Biewer, 2010). In einer sonderpädagogischen Publikation von Stevens im Jahr 1962 wurde schon zwischen „impairment“, „disability“ und „handicap“ differenziert (Ward & Fletcher-Janzen, 2007). Die Unterscheidung der drei Dimensionen wurde von der WHO übernommen und als bio-psycho-soziales Modell von Behinderungen bezeichnet (Biewer, 2010). Die ICIDH und das mit ihr transferierte bio-psycho-soziale Modell von Behinderung hat bedeutend zur Verständigung zwischen verschiedenen Fachgebieten, etwa den Rechtswissenschaften, der Heilpädagogik, der Medizin oder der Soziologie, beigetragen (Biewer, 2010). Im Jahr 2001 wurde von der WHO als Nachfolgerin der ICIDH unter der neuen Abkürzung ICF die International Classification of Functioning, Disability and Health herausgegeben. Sie dient bis heute „fach- und länderübergreifend als einheitliche und standardisierte Sprache zur Beschreibung des funktionalen Gesundheitszustandes, der Behinderung, der sozialen Beeinträchtigung und der relevanten Umgebungsfaktoren eines Menschen“ (DIMDI, 2013).
In Deutschland wird seit 2001 eine Behinderung im Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) wie folgt definiert:
"Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist." (Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, 2012, S. 8)
Der Grad der Behinderung (GdB) und der Grad der Schädigungsfolgen (GdS) sind dabei ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens (Sozialverband VdK Deutschland e.V., 2011). Der GdB und der GdS werden nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen bemessen und können zwischen 20 und 100 variieren (BMAS, 2009). Beide Begriffe unterscheiden sich dadurch, dass der GdS nur auf die Schädigungsfolgen (also kausal) und der GdB auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von ihrer Ursache (also final) bezogen ist. Eine Behinderung ab einem GdB von 50 gilt in Deutschland als Schwerbehinderung. Der GdB und der GdS werden durch ärztliche Gutachter bemessen. Für die Eintragung im Schwerbehindertenausweis wird ein Gesamt-GdB ermittelt, der berücksichtigt, wie sich einzelne Funktionsbeeinträchtigungen zueinander und untereinander auswirken. Die Behinderungen und ihre Auswirkungen werden insgesamt betrachtet und nicht als voneinander isolierte Beeinträchtigungen. Bei der Beurteilung des GdS wird vom höchsten Einzel-GdS ausgegangen und anschließend wird im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen geprüft, ob das Ausmaß der Behinderung durch weitere Funktionsbeeinträchtigungen größer wird. Gegebenenfalls werden dem ersten GdS weitere Punkte hinzugefügt, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (Sozialverband VdK Deutschland e.V., 2011). Die versorgungsmedizinischen Grundsätze dienen den versorgungsärztlichen Gutachtern als verbindliche Norm für eine sachgerechte, einwandfreie und bei gleichen Sachverhalten einheitliche Bewertung der verschiedensten Auswirkungen von Gesundheitsstörungen unter besonderer Berücksichtigung einer sachgerechten Relation untereinander (BMAS, 2009).
„Das Thema der Inklusion ist die große Herausforderung, der sich Schulsysteme auf der ganzen Welt gegenübersehen“ (Ainscow, 2009, S. 67).
Der Vision nach soll Inklusion ein Normalzustand werden. Inklusion ist keine neumodische Erfindung und wird in einigen Ländern schon unterschiedlich lang und mit verschiedenen Mechanismen etabliert. Inklusion als stetig fortlaufender Prozess bedeutet auch, über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen und sich einen internationalen Überblick zu verschaffen. Gelungene Inklusionsmechanismen könnten als Vorbild für die Inklusion in Deutschland herangezogen werden, besonders im Hinblick auf die in Kapitel 3.6 dargestellte Kritik. Was machen unsere europäischen Nachbarn und auch außereuropäische Nationen anders und besser? Diese Fragestellungen sollen als vertiefendes Beispiel zu inklusiven Schulsystemen in ausgewählten Ländern beleuchtet werden.
In der internationalen Literatur findet man Hinweise darauf, dass das Anliegen von Inklusion und inklusiver Pädagogik in Zusammenhang mit Fragen des sonderpädagogischen Förderbedarfs gesehen wird. Am Beispiel von verschiedenen Kontexten wird dem jedoch entgegengehalten, dass es um Diskriminierung und Marginalisierung insgesamt geht (Speck, 2010).
Die Leiterin des National Resource Centre for Inclusion in Mumbai, Mithu Alur, schreibt über den indischen Diskurs:
„The term inclusive education does not only refer to the education of children with special educational needs but refers to all children facing barriers to learning, regardless of gender, class, caste, religion and disability“ (Alur & Timmons, 2009, S. 143).
Alur vertritt damit ein weites Verständnis von Inklusion. Menschen werden mit Barrieren konfrontiert, aufgrund ihrer Geschlechterrollen, sozialem Milieu, Kasten, Religion oder Beeinträchtigungen, und das sind letztlich alle Menschen (Speck, 2010). In diesem Kontext sind besonders drei Typen von Barrieren gemeint und zwar Armut, kulturelle Vorurteile und Menschen mit Beeinträchtigungen. Auch in der südafrikanischen Literatur wird die Tendenz herausgestellt, inklusive Pädagogik voreilig mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Verbindung zu bringen. Betont wird, dass Inklusion sich vom Selbstverständnis her auf alle Formen von Diskriminierung bezieht (Speck, 2010).
„There is a tendency in education circles to equate the international inclusive education movement with disability and other ‚special needs‘. […] It is important to address all forms of discrimination and exclusion relating to social class, race, gender and disability and other less obvious areas (such as different learning styles and paces), should be addressed in a holistic and comprehensive manner” (Lazarus, Daniels & Engelbrecht, 1999, S. 48).
Die Inklusion steht also für das universelle Anliegen, den Reichtum der Individualität für alle Menschen erlebbar werden zu lassen und gegen die „soziale oder moralische Atrophie“ (Dörner, 2003, S. 64) zu arbeiten. Es ist nicht nur die empathische und solidarische Unterstützung der „Schwachen“ gemeint, sondern es geht um die Stärkung ihrer Fähigkeiten und die Wahrnehmung ihrer Beiträge für die Gemeinschaft (Speck 2010). Tony Booth (Speck, 2010) versteht unter Inklusion eine aktive Umsetzung von Werten und einen wertebasierten Ansatz zur Bildungs- und Gesellschaftsentwicklung. Der wertebasierte Ansatz setzt sich nach Speck (2010) mit Themen wie Gleichheit, Rechte, Teilhabe, Lernen, Gemeinschaft, Anerkennung von Vielfalt, Vertrauen, Nachhaltigkeit und zwischenmenschlichen Qualitäten wie Empathie, Ehrlichkeit, Mut und Freude auseinander. Diesem Entwicklungsansatz liegt der „Index für Inklusion“, in Kapitel 4.2.3 näher beschrieben, zugrunde. Der Index wurde von 40 Ländern übernommen und in 35 Sprachen übersetzt. Damit kann die Annahme unterstützt werden, dass Inklusion länder- und kulturübergreifend geteilt werden kann (Speck 2010). Wie schon in Kapitel 3.3 beschrieben, stellen Hinz et al. (2012) vier internationale Eckpunkte der Inklusion heraus. Zur Erinnerung, es handelt sich hierbei um eine Inklusion, die sich gegen Konstruktionen zweier Kategorien wendet und gegen jegliche gesellschaftliche Tendenz Menschen an den Rand zu drängen. Positiv wendet sich Inklusion der Heterogenität von Gruppierungen zu und vertritt die Perspektive des Abbaus von Diskriminierung und Marginalisierung.
Den Angaben der OECD zufolge befindet sich das weltweit inklusivste Bildungssystem in der kanadischen Atlantikprovinz New Brunswick. In New Brunswick gibt es keine verschiedenen Schultypen mit unterschiedlichen Anforderungsniveaus, es gibt auch keine Sonderschulen oder Sonderklassen. Die Schulen erhalten entsprechend ihrer Schülerzahlen einen bestimmten Betrag für Ressourcen, der eine Unterstützung möglicher Bedarfsfälle abdeckt. Die Finanzierung ist damit nonkategorial organisiert (Speck, 2010).
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Abb. 3. Jährliche Ausgaben für öffentliche Bildungseinrichtungen , in KKS EUR[16], 2000 und 2008 (inflationsbereinigt). (verändert nach EACEA, 2012)
In Europa sind die Ausgaben für öffentliche Bildungseinrichtungen zwischen 2000 und 2008 um durchschnittlich 16% (inflationsbereinigt) gestiegen. Deutschland befindet sich hier genau im EU-Durchschnitt (vgl. Abb. 3). Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, welches die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes wiederspiegelt, sind im selben Zeitraum die öffentlichen Ausgaben für Bildung ebenfalls anteilig gestiegen.
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Abb. 4. Summe der öffentlichen Ausgaben für Bildung , Angaben in Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (modifiziert nach Eurostat, 2010)
Nur wenige Länder beispielsweise Lettland, Bulgarien, Ungarn, die Schweiz oder Italien haben die Ausgaben gekürzt (vgl. Abb. 4). Deutschland liegt mit seinen Ausgaben für Bildung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, den Angaben von Eurostat (2010) zufolge nur im unteren Drittel, hat aber konsequent seine Investitionen in den Bildungssektor Jahr für Jahr überdurchschnittlich erhöht. Deutlich über dem OECD-Durchschnitt lagen hingegen die Bildungsausgaben der skandinavischen Länder, wie etwa Dänemark, Schweden und Norwegen. Die Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel ist ein wesentlicher Baustein für die Umsetzung von Inklusion. Erhöhte Aufwendungen sind speziell in folgenden Bereichen zu berücksichtigen (nach Klemm, 2012, S. 13):
- Ausgaben für lehrendes Personal
- Ausgaben für die individuelle Betreuung und Begleitung (Integrationshelfer)
- Ausgaben für nicht lehrendes Personal (Hausmeister, Schulsekretariate)
- Ausgaben für die inklusionsbedingte Umrüstung von Schulgebäuden
- Ausgaben für die Bewirtschaftung der Schulgebäude und Schulanlagen
- Ausgaben für Schülerfahrtkosten
Wie wird die Inklusion behinderter Menschen in ausländischen Bildungssystemen realisiert? In Großbritannien gab es schon im Jahr 1928 erste Überlegungen, Regel- und Sonderschulen zusammen zu legen, wobei der Gedanke erst in den Nachkriegsjahren wieder auflebte. Ab dem Jahr 1976 wurden verstärkte Bemühungen zur Integration für Kinder mit Förderbedarf angestrebt. Im Jahr 1981 wurde schließlich vereinbart, dass die Regelschule für Kinder mit besonderem Förderbedarf der normale Bildungsort sein soll. In heutiger Zeit soll eine Pädagogik der Vielfalt (vgl. Kapitel 3.5) gelebt werden, in der Verschiedenheit als gewinnbringend wertgeschätzt wird. In Großbritannien gibt es sogenannte Lernunterstützungslehrer, die den Kindern helfen, ihre Lernvorhaben an der Regelschule umzusetzen. Als lernunterstützend gelten Maßnahmen, die beispielsweise eine Abänderung der Lernmaterialien bedingen. Ziel ist es, unabhängig von der Unterschiedlichkeit, allen Kindern eine aktive Teilnahme zu ermöglichen (Schuster & Schuster, 2013).
In den USA wurde 1975 das Recht auf Bildung für alle Kinder gesetzlich vorgeschrieben. Nur wenn eine gemeinsame Beschulung aufgrund der Art oder des Schweregrads der Behinderung trotz zusätzlicher Hilfen nicht möglich ist, soll eine separate Beschulung stattfinden. Im Schuljahr 2004/2005 besuchten rund 96% aller Schülerinnen und Schüler mit Beeinträchtigung im Alter zwischen 6 und 21 Jahren die Regelschule. Etwa 80% eines Schultages verbrachten die Kinder im gemeinsamen Klassenverband und nur 20% der Zeit wurden sie speziell gefördert. Kinder mit Lernstörungen unterschiedlicher Art wie z. B. Dyslexie oder Wortfindungsstörungen können, wie Schuster und Schuster (2013) schreiben, keine Strategien und Fertigkeiten entwickeln, um erfolgreich zu lernen. Diese Schülerinnen und Schüler werden, wie alle anderen, nach dem Lehrplan der allgemeinen Schule unterrichtet. Bei der Ermöglichung eines inklusiven Bildungssystems besteht die Herausforderung in den USA darin, die Anforderungen des Lehrplans an die Lernvoraussetzungen der Kinder und Jugendlichen anzupassen (Schuster & Schuster, 2013). Geforscht wird noch, mit welchen Strategien die Kinder am besten lernen können und ob eine vollständige Inklusion oder eine Teilinklusion zu bevorzugen ist. Bei der Teilinklusion wird eine zeitweise getrennte Beschulung in Kleingruppen angestrebt, wobei spezielle Schulprogramme zum Lesen, Schreiben und Rechnen angeboten werden. Es werden im Kern drei Handlungsansätze verfolgt, um diesen Schülerinnen und Schülern zu helfen (Schuster & Schuster, 2013):
- Community-Based Instructions: Hier werden reale Lebenssituationen, wie ein Einkauf im Supermarkt, trainiert.
- Team Collaboration: Förder-, Pflege- und Therapiemaßnahmen sollen durch Bezugspersonen in alltäglichen Lebenszusammenhängen durchgeführt werden.
- Positive Behavior Support: Durch die Methode der positiven Verstärkung und zwischenmenschliche Unterstützung sollen positive Verhaltensveränderungen resultieren.
In den skandinavischen Ländern werden über 90% aller Kinder mit Förderbedarf an Regelschulen unterrichtet (Schuster & Schuster, 2013). Ein enormer Vorteil des finnischen Schulsystems gegenüber dem deutschen Schulsystem ist, dass Entscheidungen auf kommunaler Ebene getroffen werden können, und das System somit sehr flexibel ist. In Finnland gibt es nur freiwillige Tests, die der Qualitätsbewertung der Schule und der Lehrkräfte dienen, nicht aber der Leistungsbewertung der Schülerschaft. Auch das Unterstützungssystem ist an finnischen Schulen ausgereift. Jedes Kind hat das Anrecht auf Einzelförderung und 25% der Schüler machen im Laufe der Schulzeit auch Gebrauch von diesem Recht. Beratungslehrer, Sozialpädagogen, Sonderpädagogen und Krankenschwestern bilden ein sogenanntes „Schülerpflegeteam“, das die Einzelförderung verwirklicht. Das Schülerpflegeteam legt in Absprache mit den Eltern die Art und den Umfang der Förderstunden fest. Um ein umfassendes Bild von jedem Kind zu erlangen, wird eine enge Teamarbeit zwischen Klassenlehrern und übrigen Lehrkörpern bevorzugt. Der Stundenplan wird flexibel im Team abgesprochen und organisiert. Das Ergebnis sind Gestaltungsfreiheiten, die eine Bedürfnisorientierung der Kinder zulassen. Regelmäßig findet Projektunterricht statt, welcher klassenübergreifend organisiert ist und jahrgangsgemischte Gruppen entstehen lässt. Mit dem Projektunterricht erleben die Kinder, dass sie, egal wie unterschiedlich sie sind, einen Beitrag zu einem gemeinsamen Ziel leisten können. Zwei weitere, uns in Deutschland fremde Besonderheiten des finnischen Schulsystems sind, dass es kein „Sitzenbleiben“ und kein „Abschieben“ in eine niedere Schulform gibt. So kann sich jedes Kind als gleichberechtigtes Mitglied der Schulgemeinschaft wahrnehmen (Schuster und Schuster, 2013).
[...]
[1] Die Begriffsbedeutung von Inklusion wird in Kapitel 3.2 näher beschrieben.
[2] Definitionsansätze zur Inklusion sind dem Kapitel 3.2 vorbehalten, in diesem Kapitel wird die Geschichte hin zur Inklusion aufgegriffen.
[3] Der Dialog stammt aus dem US-Amerikanischen Film Forrest Gump. Der Film erschien im Jahr 1994, nach dem Drehbuch von Eric Roth. Regie führte Robert Zemeckis. Der Film wurde in verschiedenen Kategorien 1995 mit mehreren Oscars prämiert. Unter anderem erhielt Tom Hanks als bester Darsteller in der Rolle des Forrest Gump einen Oscar (Academy of Motion Picture Arts and Sciences, 1995).
[4] Die Wurzeln des Empowerment-Konzepts sind in den USA zu finden. Erläuterungen des Konzepts sind später in diesem Kapitel aufgeführt.
[5] Prof. Dr. Andreas Hinz ist Professor für Allgemeine Rehabilitations- und Integrationspädagogik am Institut für Rehabilitationspädagogik, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Inklusive Pädagogik, Schulentwicklung mit dem Index für Inklusion, demokratische Bildung, Evaluation von Projekten der Zukunftsplanung sowie eines landesweiten Unterstützungssystems für inklusive Schulentwicklung in Schleswig-Holstein (Hinz, 2013).
[6] Niklas Luhman (1927–1998) war ein bedeutender deutscher Soziologe. Er entwarf die Theorie sozialer Systeme (Systemtheorie), die im Kern zwei Punkte beschreibt. Erstens: „Sozialsysteme bestehen aus Kommunikationen, nicht etwa aus Menschen oder deren Taten. Der Einzelmensch also ist für die Gesellschaft unbedeutend.“ Zweitens: „Die Gesellschaft zerfällt in Untersysteme wie Recht, Wirtschaft oder Kunst, die autonom funktionieren und von außen kaum steuerbar sind“ (Lindemann, 2008).
[7] Talcott Parsons (1902–1979) war ein US-amerikanischer Soziologe, sein besonderes Interesse galt der Handlungstheorie und der Systemtheorie, er gilt als Begründer der modernen soziologischen Theorieentwicklung (Brock, Junge und Krähnke, 2012).
[8] Das Akronym PISA steht im Englischen für “Programme for International Student Assessment“ (Programm zur internationalen Schülerbewertung). Die PISA-Studie ist eine international angelegte Schulleistungsuntersuchung der OECD. Die Datenerhebung erfolgt in den meisten Mitgliedsstaaten der OECD seit dem Jahr 2000 in einem Abstand von drei Jahren. Untersucht werden berufs- und alltagsrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten von 15jährigen (OECD, 2014).
[9] “Peer-Learning” beinhaltet Formen des kooperativen Lernens, die den Wert der Interaktion sichtbar machen und sich positiv auf die Lernergebnisse auswirken (ÖZEPS, 2013).
[10] Informationen zum historischen Hintergrund des Inklusionsbegriffs und dessen Entwicklung sind im Kapitel 3.1 gegeben.
[11] Inhalte des US-amerikanischen Films „Forrest Gump“ sind in Kapitel 3.1 erläutert.
[12] Die Salamanca-Konferenz wurde von der UNESCO und der spanischen Regierung organisiert. Insgesamt trafen sich über 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, welche 92 Regierungen und 25 internationale Organisationen repräsentierten. Die Konferenz nahm die Salamanca-Erklärung an, welche vom Prinzip der Integration getragen wird und damit der Erkenntnis unterliegt, dass es notwendig ist, auf „eine Schule für alle“ hinzuarbeiten, in der alle aufgenommen werden, Unterschiede geschätzt werden und Lernen unterstützt wird, bei dem auf individuelle Bedürfnisse eingegangen wird. Die Erklärung über Prinzipien, Politik und Praxis in der Pädagogik für besondere Bedürfnisse forderte demnach große Reformen in herkömmlichen Schulen (DUK, 2007, S. 1)
[13] Der Grad der Behinderung und seine Einteilung wird im weiteren Verlauf des Kapitels genauer beschrieben
[14] Hochbegabung wird von Holling und Kanning in verschiedene Typen mit entsprechender Definition untergliedert. Die Ex-post-facto-Definition schreibt jemandem die Hochbegabung nach hervorragender Leistung zu. Die IQ-Definition spricht Menschen mit einem IQ ab 130 aufwärts eine Hochbegabung zu. Die Talentdefinition meint eine Sonderbegabung in einer Vielzahl von Bereichen, die in einem spezifischen künstlerischen oder akademischen Bereich besondere Leistungen erkennen lässt. Bei der Prozentsatzdefinition sind z. B. 15% aller Schüler der Sekundarstufe II gemeint, dabei kann es sich um Noten, Schuleignungstests oder Werte in Intelligenztests handeln. Die Kreativitätsdefinition lehnt eine reine Definition nach dem Intelligenzquotienten ab und würdigt originelle und produktive Leistungen als Hochbegabung (Holling and Kanning, 1999).
[15] Die UNESCO hat ihren Sitz in Paris und ist eine von 16 rechtlich selbstständigen Sonderorganisationen der Vereinten Nationen. Derzeit werden 195 Mitgliedstaaten in der UNESCO vertreten. Aufgabe der UNESCO ist es, durch die Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Völkern im Bereich der Bildung, Wissenschaft und Kultur Sicherheit und Frieden zu wahren. Die Verfassung der UNESCO trat am 4. November 1946 in Kraft. (UNESCO, 2013)
[16] Die Euro Angaben wurden umgerechnet in die fiktive Währung Kaufkraftstandard Euro (KKS EUR), um Preisniveauunterschiede zwischen den Ländern auszugleichen