Bachelorarbeit, 2010
47 Seiten, Note: 3,0
1.Einleitung
2. Die Pogrome
2.1 Chronologie der Pogromwelle von 1348-1350
2.2 Auslöser, Hintergründe und Ursachen der Pogrome
3. Das Rechtsverhältnis zwischen Kaiser und Juden: Der Judenschutz
4. Die machtpolitische Situation Karls IV. 1346-1349
5. Die Urkunden Karls
5.1 Urkunden Karls mit Relevanz für die Juden in Frankfurt a.M.
5.2 Urkunden Karls mit Relevanz für die Nürnberger Juden
5.3 Folgeregelungen Karls für Städte in denen Pogrome stattfanden
5.4 Karls Urkunden zum Judenschutz im Heiligen Römischen Reich
5.5 Urkunden Karls zur Wiederansiedlung von Juden
6. Fazit
7. Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Literatur
Die Rezeption Karls IV. in der Forschung konzentrierte sich seit jeher auf dessen Leistungen als „ Staatsmann und Mäzen “[1]. Im Mittelpunkt stand dabei meist die Konstituierung der Goldenen Bulle, die als „ Reichsgrundgesetz “[2] die politischen Verhältnisse im Heiligen Römischen Reich bis zu seinem Zusammenbruch 1806 bestimmte. Dabei nahm die neuere Forschung immer mehr Abstand von der Ansicht, Karl wäre ein klerushöriger Pfaffenkönig gewesen, ein Stigma, das Karl schon zu Lebzeiten anhaftete und bis in die Literatur des 19. Jahrhunderts präsent war[3]. Stattdessen wurde seine Politik zunehmend wohlwollend beurteilt. Sein diplomatisches Geschick während des Thronstreits sowie im Umgang mit den päpstlichen Ansprüchen im Heiligen Römischen Reich fand allgemeine Anerkennung. Ein Aspekt seiner Regierungszeit wurde jedoch stets mit nur wenigen Worten abgehandelt oder sogar komplett ausgeblendet: Die Rolle Karls während der Judenverfolgungen zwischen 1348 und 1350.
Zur Verdeutlichung des geringen Interesses der Forschung zu Karl IV. an diesem Thema sollen an dieser Stelle einige Zahlen dienen: Ferdinand Seibt widmete in seinem über 400 Textseiten umfassenden Hauptwerk ganze 9 Seiten dem Thema Pest und Pogrome, wobei die Judenpolitik Karls nur einen Bruchteil darstellte[4]. Jiří Spěváček ließ in seinem Buch von 1978 diesen Aspekt in der Politik seines Landsmannes komplett außen vor, genau wie Heinz Stoob es 12 Jahre später tat[5]. Ein einziges Werk widmete sich der Politik der Zentralgewalt gegenüber den Juden des Reiches und behandelte diesen Themenkomplex mehr oder weniger explizit[6]. Am stärksten wurde der Aspekt bezeichnenderweise nicht in den Publikationen aufgegriffen, die sich in erster Linie mit dem Kaiser selbst beschäftigten, sondern in allgemeineren Veröffentlichungen, wie zum Beispiel in František Graus Werk über das 14. Jahrhundert als Krisenzeit, welches sich ausführlich mit den Pogromen auseinandersetzte, eine zuverlässige und bis heute relevante Chronologie derer lieferte und auch Karls Rolle eingehend und kritisch beleuchtete[7]. Nachdem bereits in vorangegangenen Untersuchungen den Geißlerzügen, deren Rolle in der Forschung bis dahin überschätzt worden war, ihr Anspruch als universelles Erklärungsmuster entzogen wurde und gesellschaftliche Faktoren stärker betont wurden[8], trat mit Graus auch die Pest als primärer Auslöser der Verfolgungen in den Hintergrund. Eine Untersuchung, die sich ausführlich mit der Rolle Karls IV. während der Pogrome von 1348/50 beschäftigt, gibt es unterdessen immer noch nicht.
Deshalb ist es die Aufgabenstellung dieser Arbeit, Karls Politik den Juden gegenüber zu analysieren. Um dies zu leisten werden in den folgenden drei Kapiteln die Grundlagen für eine Untersuchung geschaffen. Um eine korrekte zeitliche Einordnung der zu analysierenden Quellen zu gewährleisten, wird zuerst eine grobe Chronologie der Verfolgungswellen dargestellt. Zudem werden allgemeine Ursachen und Hintergründe der Pogrome beschrieben, welche im gesamten Reich eine Rolle spielten, Aspekte die auch bei den lokalen Geschehnissen im Hinterkopf behalten werden müssen. Des Weiteren werden die rechtlichen und historischen Grundlagen für den Judenschutz behandelt. So sollen Karls rechtsgeschichtlich herzuleitenden Verpflichtungen den Juden gegenüber geklärt werden. Außerdem ist es von großer Bedeutung, die damit einhergehende Kammerknechtschaft der Juden in ihrer Auslegung zur Zeit Karls IV. zu bestimmen, da die Interpretation dieser Rechtsstellung der Juden einen nicht unerheblichen Faktor in der Politik des Königs darstellte. Die machtpolitische Situation des Luxemburgers in der Zeit der Pogrome wird den abschließenden Teil der Grundlagen für die weitere Untersuchung darstellen. Dies ist unverzichtbar, da das Argument der gefestigten beziehungsweise ungefestigten Stellung Karls im Reich in der bisherigen Forschung oft als bedeutender Faktor für seine Handlungsweise den Juden gegenüber gedeutet wurde[9].
Um Karls Politik zu untersuchen, wird die Analyse seiner Urkunden für Frankfurt und Nürnberg im Mittelpunkt stehen. Diese stellen die eindeutigsten und radikalsten Privilegien dar, die Karl ausstellte und müssen somit zwangsläufig Teil dieser Arbeit sein. Sie bieten den Vorteil, dass die Judenmorde in den beiden Städten mit einem halben Jahr Abstand voneinander geschahen, was in diesem Fall bedeutet, dass Karl während des Frankfurter Pogroms noch nicht zum allgemein anerkannten König gekrönt worden war, während sich seine Stellung im Dezember des Jahres 1349, als die Nürnberger Juden ermordet wurden, bereits stärker gefestigt hatte. Dabei liegt der zeitliche Schwerpunkt selbstverständlich auf den Jahren, in denen die Pogrome stattfanden. Jedoch wird auch darauf geachtet, dass die Urkunden, die in angemessenen Abstand zu diesen Ereignissen ausgestellt wurden, miteinbezogen werden. So können formelle und sprachliche Unterschiede festgestellt werden. Neben den Urkunden Karls für die beiden Reichsstädte werden im weiteren Verlauf der Arbeit zudem eine Reihe von Urkunden analysiert, in denen er Folgeregelungen für Städte traf, in denen es zu Judenverfolgungen kam. Hierbei wird die Frage im Mittelpunkt stehen, wie der König auf diese reagierte und welche Folgen sich für die Verantwortlichen ergaben. Anschließend werden Urkunden behandelt, mit denen Karl versuchte, bestimmte Judengemeinden zu schützen. Diese wurden in der Forschung oft als Beweis dafür angeführt, dass er insbesondere in seinen Stammlanden erfolgreich und konsequent für den Judenschutz eintrat[10]. Hier gilt es die Beweggründe des Luxemburgers offen zu legen.
Die für diese Arbeit relevanten Quellen befinden sich vorwiegend in den Bänden VIII-X der Monumenta Germaniae Historica, in denen ein Großteil der von Karl ausgestellten Urkunden ediert sind. Neben einigen Chroniken werden vor allem folgende Quellensammlungen die Arbeitsgrundlage bilden: Die relativ schlechte Überlieferung zwischen Ab- und Wiedereinsetzung des alten Rates in Nürnberg wird durch eine Edition der Acht-, Verbots-, und Fehdebücher der Stadt ergänzt. Für die Stadt Frankfurt wird zusätzlich der von Kracauer zusammengestellte Quellenband zur Geschichte der dortigen Juden benutzt. Für Böhmen bietet eine Edition zur Geschichte der Juden in Böhmen, Mähren und Schlesien einige Interessante Überlieferungen. Ziel der Untersuchung ist es, die Handlungsweise Karls IV. genau wie die Maxime nach der er handelte, bestimmen zu können und eventuelle Parallelen zwischen seiner Juden- und seiner sonstigen Politik zu bestimmen.
Bevor die Politik Karls IV. den Juden gegenüber anhand der von ihm ausgestellten Urkunden analysiert werden kann, ist es wichtig einen Überblick über den Verlauf der Pogrome in den Jahren 1348-1350 zu bekommen, um diese Vorkommnisse in der weiteren Untersuchung korrekt einordnen zu können. Des Weiteren muss auf die Umstände, Hintergründe und Ursachen der Ausschreitungen gegen die Juden im Heiligen Römischen Reich deutscher Nationen eingegangen werden, bei denen es sich um die schwersten und verheerendsten ihrer Art bis in das 20. Jahrhundert handelte[11].
Ihren Anfang nahmen die Judenverfolgungen in Südfrankreich, genauer genommen in der Provence, wo sie zeitgleich mit der Pest auftraten. Der Vorwurf der Brunnenvergiftung wurde dabei vorerst nicht laut, stattdessen wurden die Juden aufgrund ihrer Unreinheit, die mit ihren Sünden begründet wurde, für die Pest verantwortlich gemacht. Erst später trat die Legende der Brunnenvergiftung in der Grafschaft Burgund auf[12]. Dieses verheerende Gerücht stammte offensichtlich noch aus dem Jahre 1321, als ebenfalls in Südfrankreich Aussätzige beschuldigt wurden, sie hätten die Brunnen vergiftet, wobei den Juden lediglich die Funktion von Anstiftern zukam, da man als Drahtzieher arabische Fürsten vermutete[13]. Zu dieser Zeit gab es allerdings noch keine Pest in Südfrankreich. Als nun das große Sterben anfing und man ohnehin die Juden als Schuldige ausgemacht hatte, schien man sich auch wieder an die Gerüchte von 1321 zu erinnern. So kam es in Savoyen dazu, dass der Jude Jacob Pascal angeklagt wurde, weil er angeblich Säckchen mit Gift an andere Juden verteilt habe. Daraufhin wurden in Thonon, Chillon und Le Chatelard die Juden gefangen genommen und gestanden schließlich unter Folter, sie hätten die Brunnen vergiftet. Einer von ihnen gestand in einer ganzen Reihe von europäischen Städten an der Vergiftung von Brunnen beteiligt gewesen zu sein[14]. Im Spätsommer und Herbst 1348 versuchten die französischen Landesherren schließlich die Kontrolle über die antijüdischen Ausschreitungen zu gewinnen und schafften es schließlich auch mit Hilfe einer Reihe von Verhaftungen, Prozessen und Hinrichtungen[15]. Ob diese Maßnahmen dazu dienten, die Gewalt gegen die Juden in geregelte Bahnen zu lenken und somit Schlimmeres zu verhindern oder ob lediglich finanzielle und machtpolitische Beweggründe hinter dieser Politik in Frankreich standen ist schwer zu sagen, jedoch auch nicht Gegenstand dieser Arbeit. Obwohl Papst Clemens VI. bereits im September des gleichen Jahres eine Bulle veröffentlichte, mit der er versuchte die Vorwürfe gegen die Juden mit der logischen Begründung, es würden sowohl Christen als auch Juden an der neuen Seuche sterben, zu entkräften, verbreitete sich das Gerücht wie ein Lauffeuer[16]. Von Savoyen aus griff die Legende auf die Schweiz über, wo es im November zu Prozessen gegen die Juden kam[17]. Die Konsuln der Stadt hielten es dort sogar für nötig andere Städte über die angebliche Judenverschwörung zu informieren und schickten entsprechende Schreiben an Köln, Straßburg und Basel[18]. In diesen Städten folgten teilweise schon zu Beginn des nächsten Jahres die Pogrome. Im Januar wurden die Juden von Basel, im Februar die von Straßburg verbrannt und schließlich im August die Kölner Juden[19]. Besonders deutlich wird hier welche Rolle die interstädtische Kommunikation einnahm: Sie trug wesentlich zur raschen Ausbreitung der Gerüchte bei. Von November 1348 bis zum März 1349 fanden also bereits Prozesse mit den gleichen Vorwürfen gegen Juden am Oberrhein statt, wobei es bereits zu vereinzelten Verfolgungen in Bayern und Thüringen kam[20]. Der zeitliche Zusammenhang von Pest und Pogromen war bereits nicht mehr gegeben[21]. Am 22. 11. 1348 fand der Pogrom gegen die Augsburger Juden statt. Auffällig ist, dass in dieser Phase der Verfolgung vor allem Judengemeinden betroffen waren, die bereits bei den zwei großen vorhergehenden Verfolgungswellen im Reich unter den Anführern Rindfleisch und Armleder in Mitleidenschaft gezogen wurden[22].
Von April bis Juni desselben Jahres beruhigte sich die Lage vorübergehend. In dieser Phase kam es nur vereinzelt zu Pogromen. In Würzburg wurde durch einen Frosteinbruch und den damit verbundenen Ausfall der Weinernte ein Pogrom ausgelöst, was zeigt wie brenzlig die Situation für die Juden im Reich blieb, schien man sie zu dieser Zeit doch für negative Vorkommnisse jeder Art verantwortlich zu machen[23]. Von Juni bis Dezember 1349 nahmen die Verfolgungen bereits wieder zu und intensivierten sich. In dieser Phase lässt sich eine regionale Ausbreitung der Verfolgungen Rheinabwärts feststellen[24]. Im Jahr 1350 klangen die Verfolgungen aus. Sie fanden nun hauptsächlich rechtsrheinisch statt und konzentrierten sich noch einmal in den Sommermonaten es Jahres[25]. Im Norden des Reiches blieben die jüdischen Gemeinden weitgehend von Ausschreitungen verschont, ebenso in Böhmen, wo der einzige bekannte Pogrom in Eger stattfand[26]. Die Schwerpunkte lagen im Elsass und in Süddeutschland[27].
Um zu verstehen wie es zu den Judenverfolgungen von 1348-1350 kommen konnte ist es wichtig, zuerst die allgemeine Judenfeindlichkeit der Zeit, welche aus einer ganzen Reihe von Vorwürfen resultierte, zu verstehen. Der älteste und wohl grundlegendste Vorwurf gegen die Juden war der des Gottesmordes und fußte auf dem Verrat an Jesus durch Judas, wobei davon abgeleitet wurde, die Juden hätten die Erlösung durch den Messias abgelehnt[28]. Eng damit verbunden ist eine weitere oft erhobene Anschuldigung, die ebenfalls religiöse Ursachen hat: Die angebliche Hostienschändung. Auf dem 4. Latinerkonzil von 1215 war die Transsubstantiation zum Dogma erklärt worden und immer wieder wurden Gerüchte in Umlauf gebracht Juden hätten Hostien durchstochen oder geschändet[29]. Teil dieser Gerüchte waren angebliche Hostienwunden, aus denen Blut ausgetreten sein sollte. So sollte den Menschen die Wandlung während der Eucharistie erklärt werden[30]. Die Kirche hatte also durchaus Interessen an der Verbreitung solcher Geschichten, deren Sprengkraft nicht zu unterschätzen war. So wurde eine Hostienschändung unter anderem bei den Judenverfolgungen unter dem fränkischen Edelmann Rindfleisch, bei denen es viele Opfer in Franken, Bayern und Österreich gab, als Grund genannt. Auch bei den Pogromen, die 1337 vom bayrischen Deggendorf oder 1336/38 vom österreichischen Pulkau ausgingen, wurden angebliche Hostienschändungen als Begründungen genannt[31]. Ein weiterer Vorwurf, der oft gegen Juden erhoben wurde, war die absurde Beschuldigung, sie würden zu rituellen Zwecken christliche Kinder entführen, sie foltern, schlachten und ihr Blut trinken[32]. Auch solche Schauergeschichten bildeten oft die Grundlage für lokale Judenverfolgungen. Als 1287 bei Bacherach die Leiche eines Jungen angeschwemmt wurde, kam es in Reaktion darauf zu Pogromen an Rhein und Mosel[33].
Aufgrund solcher Vorwürfe und Anschuldigungen, denen die Menschen offensichtlich Glauben schenkten und die teilweise bereitwillig von der Kirche mitgetragen wurden, gab es von vornherein eine Judenfeindlichkeit in der Bevölkerung, welche eine Grundlage für jeden Pogrom und jede wie auch immer geartete antijüdische Aktion bot. Umso erstaunlicher ist es, dass im Umfeld der Pogrome von 1348-1350 im Heiligen Römischen Reich keine dieser Religiösen Begründungen für den Mord an Juden laut wurde[34]. Stattdessen wurde als Begründung für die Judenmorde die Legende der Brunnenvergiftung benutzt. Dabei verhielt es sich so, dass sich das Gerücht relativ früh von dem eigentlichen Eintreffen der Pest löste. Meist war es so, dass es schon lange bevor die Seuche eine Stadt erreichte zu Pogromen gegen die Juden kam. So verhielt es sich zum Beispiel in Basel, wo es beim eigentlichen Eintreffen der Pest zwar zu einem zweiten Pogrom kam, bei dem solche Juden, die sich zuvor hatten taufen lassen um dem Tod zu entgehen, ermordet wurden, der eigentliche Pogrom jedoch schon längst geschehen war[35]. Die Pest als eigentliche Ursache der Ausschreitungen ist dementsprechend von der neueren Forschung ausgeschlossen worden[36]. Auch den Geißlerzügen, denen bereits im Mittelalter eine herausragende Bedeutung zugeschrieben worden war, wird diese Rolle mittlerweile abgesprochen[37]. Die Flagellanten trafen in den meisten Fällen, genau wie die Pest, erst nach den Pogromen ein.
Eine Ursache für die Gewalttaten ist allerdings unumstritten: Geld. Da die Juden die wichtigsten Geldverleiher waren, weil sie die meisten anderen Berufe nicht ausüben durften, waren die Pogrome für viele Leute eine Gelegenheit, sich ihren Gläubigern zu entledigen oder sich bei den damit einhergehenden Plünderungen zu bereichern[38]. Besonders deutlich wird dieser Beweggrund, wenn man sich die festgelegten Zinssätze vor Augen führt. So betrug der vom Rheinischen Städtebund festgesetzte Zinssatz bei wöchentlicher Zahlung 43 1/3 % und 33 1/3 % bei jährlicher Tilgung[39]. Nicht nur einfache Leute, sondern Menschen aus allen Gesellschaftsschichten zählten zu den Schuldnern der Juden, die somit auch zum Spielball der unterschiedlichen Interessen wurden[40]. Schon mittelalterliche Chronisten kamen zu dem Ergebnis, dass die meisten Menschen, die sich an den Pogromen beteiligten, finanzielle Motive hatten. So bemerkte schon der Chronist Fritsche Closener, dass es sich bei dem Vermögen der Juden um das eigentliche Gift handelte[41].
Auch die soziale Unrast in den Städten gilt als ein möglicher Faktor, der die Gewalt gegen die Juden begünstigt haben soll. In der Tat kam es im Umfeld der Pogrome in vielen Städten zu einem Sturz des regierenden Rates. So zum Beispiel in Straßburg, wo Ritter, Patrizier und die Zünfte den Rat in einer gut vorbereiteten Aktion stürzten, nachdem dieser vergeblich versucht hatte, ein Massaker an den Juden zu verhindern und auf die von der Stadt ausgestellten Schutzbriefe für die Juden verwies[42]. Bei solchen Umstürzen ist allerdings festzuhalten, dass ihre Ursachen sowie die Zusammensetzung der opponierenden Gruppen von Stadt zu Stadt völlig unterschiedlich sein konnten. Meist spielten, wie in Straßburg, verschiedenste Interessen eine Rolle[43]. Auch blieben die Räte wie zum Beispiel in Nürnberg meist weitestgehend in ihrer vorherigen Zusammensetzung erhalten[44]. Die soziale Unrast stellt also einen Faktor da, der für jede Stadt einzeln gewichtet werden muss. Eine dermaßen große Rolle, wie sie diesem Phänomen von Historikern aus der ehemaligen DDR zugeschrieben wurde, spielte es höchstwahrscheinlich nicht[45]. So stellte Graus fest, dass Angehörige aller Gesellschaftsschichten an den Judenverfolgungen beteiligt waren und von ihnen profitierten[46].
Von spontanen Gewaltausbrüchen gegen die Juden kann jedenfalls meist keine Rede sein. Im Gegenteil: Die Massenmorde waren oft genauestens geplant und vorbereitet. So zum Beispiel in Straßburg, wo die Juden unter dem Vorwand, aus der Stadt vertrieben zu werden, erst ausgeraubt und schließlich verbrannt wurden[47]. Auch die Bürger von Basel scheuten keine Mühe und errichteten eigens ein Holzhaus auf einer Rheininsel um dort die Juden zu verbrennen[48]. In einigen Fällen ist sogar bekannt, dass lokale Machthaber die Pogrome befahlen. So spielte es sich zum Beispiel Mitte Mai des Jahres 1349 in Nordhausen ab. Hier befahl Friedrich II. die Juden zu erschlagen[49].
Die Habgier der Menschen und verschiedener Interessengruppen sowie die ohnehin vorhandene Judenfeindlichkeit sind neben den Gerüchten über die angeblichen Brunnenvergiftungen wohl die einzigen überregionalen Faktoren, die sich mit Sicherheit feststellen lassen. Regionale Machtkämpfe und Ereignisse hingegen müssen von Fall zu Fall einzeln untersucht und entsprechend gewichtet werden, will man die tiefer liegenden Ursachen aufdecken.
Um eine korrekte Analyse der von Karl IV. ausgestellten Urkunden zu betreiben ist es unumgänglich, das Rechtsverhältnis zwischen dem König und den Juden zu analysieren: den Judenschutz. Der Judenschutz, also die Verpflichtung des zuständigen Herrschers, die Juden in seinem Einflussbereich zu schützen, hat wahrscheinlich mehrere Ursprünge. Ein wichtiger Impuls ging wahrscheinlich von Papst Innozenz III und Thomas von Aquin aus, die dafür plädierten, dass die Juden, obwohl sie als verdammungswürdig anzusehen seien, aufgrund von Psalm 59 toleriert werden sollten, da sie genau wie die Christen den 10 Geboten folgen würden[50]. Im weltlichen Recht sind konkrete Privilegien für einzelne Juden bereits aus der Karolingerzeit bekannt[51]. Heinrich IV. stellte mit seinen Privilegien für die Judengemeinden von Worms und Speyer erstmals ganze Gruppen unter seinen Schutz. Die Privilegienform des Judenschutzes zu dieser Zeit stellte eine sehr unsichere Regelung für die Juden dar, da sie immer darauf achten mussten, ihre Privilegien möglichst zu erhalten um nicht plötzlich ohne Schutzherr zu sein. Im Reichslandfrieden Heinrichs IV. taucht der Judenschutz dann erstmals nach den Pogromen während des ersten Kreuzzuges und wahrscheinlich auch in Reaktion auf diese wieder auf[52]. Die Juden werden somit zu Objekten der allgemeinen Reichsgesetzgebung und zu einer Gruppe mit besonderem Recht. Der Judenschutz wurde hier von der Stellung der Juden als Schutzbedürftige abgeleitet. Sie wurden damit der gleichen Gruppe zugeordnet wie Mönche, Frauen oder Kaufleute, also den Unbewaffneten[53]. 1182 betonte Friedrich Barbarossa, dass der Herrscher für den Schutz aller seiner Untertanen verantwortlich sei, auch für den der Andersgläubigen[54]. Friedrich II bestätigt diesen Gedanken noch einmal. Er führt ihn jedoch nicht auf einen religiösen Grundsatz zurück, sondern verbindet die Schutzverpflichtung des Kaisers mit den Herrschertugenden der Pietas und Clementia die er als Grundlage dafür anführt[55].
In einer Urkunde Kaiser Friedrichs II. von 1236 findet sich auch das erste Mal der Begriff der Juden als „ servi camere nostre “[56]. Dies wird meist als Beginn der jüdischen Kammerknechtschaft betrachtet, auch wenn klar herausgestellt werden muss, dass sich die Bedeutung der Begrifflichkeit von der Zeit Friedrichs II. bis zu Karl IV. radikal wandelte. Christine Magin nimmt an, dass sich der Begriff der Knechtschaft, wie er von Friedrich verwendet wurde, ebenfalls aus dem religiösen Bereich ableitete, wo er schon seit Augustinus im Zusammenhang mit den Juden und ihrer angeblichen Ablehnung der Erlösung durch Jesus Christus gebräuchlich war und dass er dazu dienen sollte, die Ansprüche des Reiches auf die Juden gegen die Ansprüche des Papsttums zu unterstreichen[57]. Nur fünf Jahre nach der Urkunde Friedrichs werden erstmals jüdische Steuereinnahmen im Reichssteuerverzeichnis vermerkt, was die Vermutung nahe legt, dass mit dem Schutzversprechen des Kaisers eine zusätzliche Steuerpflicht für die Juden einherging[58]. Gleichzeitig mit der Erhebung der kaiserlichen Ansprüche auf die Juden im Heiligen Römischen Reich beginnt also auch ihre wirtschaftliche Nutzbarmachung. Wenn alle Juden unter dem Schutz des Kaisers stehen, so die Argumentation, müssen sie ich ihrem Schutzherren dafür die entsprechenden Zahlungen leisten[59]. Aus diesem Abhängigkeitsverhältnis, dass für die Zeit des Mittelalters keine untypische Erscheinung war, entwickelte sich mit der Zeit jedoch, durch eine fatale Umdeutung des Begriffes der Kammerknechtschaft, eine Art leistungsunabhängige Abgabe der Juden an den Kaiser. Der Schutzgedanke trat nach und nach in den Hintergrund, während der Besitzanspruch des Kaisers auf die Juden, ihr Leben und ihre gesamte Habe immer weiter in den Vordergrund trat. Das erste Mal formulierte Ludwig der Bayer diesen Gedanken mit all seinen Konsequenzen und in aller Deutlichkeit in einer Urkunde aus, in der er die Loslösung des Burggrafen Johann von Nürnberg von seinen Schulden bei einigen Juden begründete: „ […] wan ir uns und daz Riche mit leib und mit g Gt an geh =rt, und m Fgen da mit schaffen, t Gn und handeln, swaz wir wellen und wie uns g Gt dunchet. “[60]. Derartige Formulierungen finden sich später des Öfteren in den Urkunden Karls IV., der diesen uneingeschränkten Anspruch auf die Juden und ihr Kapital nur allzu gerne übernahm[61]. In dieser Auslegung der Kammerknechtschaft liegt die juristische und moralische Grundlage für Karls Handeln.
Nachdem die Pogrome und die rechtliche Stellung der Juden gegenüber dem Kaiser dargestellt wurden ist es nun unerlässlich, die machtpolitischen Grundlagen festzustellen, welche als Basis für die noch zu untersuchenden Rechtsakte Karls gelten können. Der Mitte Mai 1316 geborene Sohn Johanns von Böhmen, getauft auf den Namen Wenzel, wurde schon von Kindesbeinen an auf seine spätere Rolle vorbereitet. Bereits im Alter von sieben Jahren schickte ihn sein Vater nach Frankreich an den Pariser Hof, wo seine Tante Königin geworden war. Dort nahm er bei seiner Firmung den Namen des französischen Herrschers an. Dort wurde er unter anderem zwei Jahre lang von dem späteren Papst Clemens VI. ausgebildet. Bereits mit dreizehn wurde er von seinem Vater mit Blanka von Valois verheiratet, der Schwester des neuen französischen Königs Phillip. Nach einem Jahr in Luxemburg wurde er von seinem Vater nach Italien geholt, um ihm gegen die aufbegehrenden Städte zu helfen, gegen die er am 25. November des Jahres 1332 einen Sieg am Modeneser Castell von San Felice errang. Von Italien aus Reiste er nach Prag, wo er enge Kontakte mit dem tschechischen Adel knüpfte und mit seinem Vater zusammen die Aussöhnung zwischen Böhmen, Ungarn und Polen im Trentschiner Vertrag abschloss. Sein französisch und kurial geprägtes Umfeld ließ ihn schon früh zu einem Gegner Ludwig des Bayern werden, dennoch ließ er sich nicht zu einem offenen Bruch mit den Fürsten hinreißen, was sein diplomatisches Geschick beweist, das er sich teilweise bei seinem Großonkel Balduin von Trier abgeschaut hatte. Nachdem sein Vater das Augenlicht verloren hatte, übertrug ihm dieser die Verwaltung Böhmens[62].
[...]
[1] Seibt, Ferdinand (Hrsg.): Kaiser Karl IV.. Staatsmann und Mäzen, München 1978.
[2] Zeumer, Karl: Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV., Band 1, Weimar 1908, S.109.
[3] Schmugge, Ludwig: Kurie und Kirche in der Politik Karls IV., in: Kaiser Karl IV.. Staatsmann und Mäzen, hg. von Ferdinand Seibt, München 1978, S.73-76, S.73.
[4] Seibt, Ferdinand: Karl IV.. Ein Kaiser in Europa 1346 – 1378, München 1978, S.192ff.
[5] Spěváček, Jiří: Karl IV.. Sein Leben und seine Staatsmännische Leistung, Prag 1978. Stoob, Heinz: Kaiser Karl IV. und seine Zeit, Graz u.a. 1990.
[6] Bork, Ruth: Zur Politik der Zentralgewalt gegenüber den Juden im Kampf Ludwigs des Bayern um das Reichsrecht und Karls IV. um die Durchsetzung seines Königtums bis 1349, in: Karl IV.: Politik und Ideologie im 14. Jahrhundert, hg. von Evamaria Engel, Weimar 1982, S.30-73.
[7] Graus, František: Pest – Geißler – Judenmorde. Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit S.155-390, Göttingen 1987.
[8] Haverkamp, Alfred: Der Schwarze Tod und die Judenverfolgungen von 1348/49 im Sozial- und Herrschaftsgefüge deutscher Städte, in: Trierer Beiträge, Fragen des älteren Jiddisch, Sonderheft 2, hg. von Hermann-Josef Müller und Walter Röll, Trier 1977, S.78-86.
[9] Seibt: Ein Kaiser in Europa, S.198. Seibt entschuldigt Karls Verhalten zumindest teilweise mit seiner schlechten machtpolitischen Situation während der Pogrome.
[10] Paul Eckert, Willehad: Die Juden im Zeitalter Karls IV., in: Kaiser Karl IV.. Staatsmann und Mäzen , hg. von Ferdinand Seibt, München 1978, S.123-130, S.129f.
[11] Bork, S.30.
[12] Cluse, Christoph: Zur Chronologie der Verfolgungen zur Zeit des Schwarzen Todes, in: Forschungen zur Geschichte der Juden. Abteilung A: Abhandlungen, Band 14/1, Geschichte der Juden im Mittelalter von der Nordsee bis zu den Südalpen, Teil 1: Kommentarband, S.223-242, S.228.
[13] Graus, František: Judenpogrome im 14. Jahrhundert: der Schwarze Tod, in: Die Juden als Minderheit in der Geschichte, hg. von Bernd Martin u. Ernst Schubin, München 1985, S.68-84, S.71.
[14] Poliakov, Leon: Geschichte des Antisemitismus, Band II., Worms 1978, S.12.
[15] Cluse, S.228ff.
[16] Annales Ecclesiastici. Band 25: 1334-1355, hg. Von Caesar Baronius u.a., Paris u.a. 1880, S.454f.
[17] Graus: Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit, S.161.
[18] Poliakov, S.12.
[19] Graus: Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit, S.162f.
[20] Cluse, S.230.
[21] Graus: Judenpogrome im 14. Jahrhundert, S.76.
[22] Cluse, S.233.
[23] Cluse, S.243.
[24] Ebenda, S.234.
[25] Ebenda, S.236.
[26] Graus: Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit, S.165.
[27] Ebenda.
[28] Waibl-Stockner, Jasmin: „Die Juden sind unser Unglück“. Antisemitische Verschwörungstheorien und ihre Verankerung in Politik und Gesellschaft, Wien u.a. 2009, S.20.
[29] Laqueur, Walter: Geschichte des Antisemitismus. Von den Anfängen bis heute, übers. v. Klaus-Dieter Schmidt, Berlin 2008, S.73f.
[30] Waibl-Stockner, S.24.
[31] Graus: Judenpogrome im 14. Jahrhundert, S.70.
[32] Laqueur, S.71f.
[33] Eckert, S.124.
[34] Graus: Judenpogrome im 14. Jahrhundert, S.71.
[35] Graus: Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit, S.170.
[36] Bork, S.30.
[37] Haverkamp: Der Schwarze Tod und die Judenverfolgung, S.80. Graus: Judenpogrome im 14. Jahrhundert, S.71.
[38] Graus: Judenpogrome im 14. Jahrhundert, S.77f.
[39] Eckert, S.124.
[40] Ebenda, S.125.
[41] Die Chronik des Fritsche Closener, in: Die Chroniken deutscher Städte. Band 8,1: Die Chroniken der Stadt Straßburg, 2. unveränderte Auflage, hg. von G. Hegel, Stuttgart 1961, S.15-154, S.130.
[42] Graus: Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit, S. 181ff.
[43] Siehe Anm. 32.
[44] Fleischmann, Peter: Rat und Patriziat in Nürnberg. Die Herrschaft der Ratsgeschlechter in der Reichsstadt Nürnberg vom 13. bis zum 18. Jahrhundert, Band 1: Der kleinere Rat (Nürnberger Forschungen Band 31/1), Nürnberg 2008, S.32ff.
[45] Bork, S.31ff. Bork stellt die Unrast in den Städten in marxistischer Tradition als Klassenkampf dar.
[46] Graus: Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit, S.219.
[47] Graus: Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit, S.183f.
[48] Ebenda, S.169f.
[49] Ebenda, S.72.
[50] Lohrmann, Klaus: Fürstenschutz als Grundlage jüdischer Existenz im Mittelalter: Zur Frage der Toleranz gegenüber Juden im Mittelalter, in: Vorträge und Forschungen XLV: Toleranz im Mittelalter, hg. von Alexander Patschovsky und Harald Zimmermann, Siegmaringen 1998, S.75-100, S.75f.
[51] Magin, Christine: „Wie es umb der iuden recht stet“. Der Status der Juden in spätmittelalterlichen deutschen Rechtsbüchern, Göttingen 1999, S.26.
[52] MGH Const. I, Nr.74, S.125f.
[53] Jäschke, Kurt- Ulrich: Judenschutz – Eine mittelalterliche Königstugend? In: Juden in Deutschland. Lebenswelten und Einzelschicksale, Ingbert 1994, S.35-150, S.91f.
[54] MGH D F I., Nr.833, S.43f.
[55] MGH Const. II, Nr. 204, S.274.
[56] Siehe Anm. 52.
[57] Magin, S.24.
[58] Lohrmann, S.80.
[59] Stobbe, Otto: Die Juden in Deutschland während des Mittelalters in politischer, sozialer und rechtlicher Hinsicht, S.11.
[60] Monumenta Zollerana, Urkundenbuch zur Geschichte des Hauses Hohenzollern. Band 3: Urkunden zur fränkischen Linie 1332-1363, hg. von: Rudolph Freiherr von Stillfried und Dr. Traugott Mercker, Berlin 1857, Nr.110, S.108f.
[61] Eine ähnliche Formulierung findet sich zum Beispiel in einer Urkunde Karls für die Grafen von Oettingen. MGH Const. IX, Nr.104, S.73f.
[62] Stoob: Karl IV., S.52ff.
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