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Bachelorarbeit, 2014
45 Seiten, Note: 2,0
Einleitung
Geschlechtsspezifische Sozialisation als Teil der Erziehung
Die Herauskristallisierung „typisch männlicher“ Eigenschaften während der (frühen) Schulzeit
Die Geschlechterrolle Mann
4. Berufswahl und Geschlecht
Fazit
Literaturverzeichnis
Männer arbeiten anders als Frauen. Das durfte ich in meinen Praktika im Rahmen des Studiums tagtäglich hautnah miterleben. Es faszinierte mich durchaus: Diese Männer schafften es, in stressigen Situationen die Ruhe zu bewahren, die Fälle rational anzugehen und Ratgeber für die weiblichen Kollegen zu sein. Sie hatten für mich durchaus eine Vorbildfunktion.
Anderenorts, in einem beinahe ausschließlich weiblichen Team, konnte ich erleben, dass Männern als Sozialarbeitern viele Vorurteile entgegengebracht wurden. Sie würden keine Empathie mit sich bringen und man wisse, in Anspielung auf Pädophilie, nichts über ihre Hintergedanken. Dazu schwieg ich. Ich war negativ überrascht von dieser geballten Stigmatisierung, die mir entgegenschlug, empfinde ich doch Männer und ein heterogenes Kollegium als Bereicherung des Arbeitsplatzes.
Diese Erfahrungen weckten meine Neugier hinsichtlich der männlichen Sozialisation und Männern als Sozialarbeitern.
Wie kommt es nun dazu, dass Männer in einem scheinbar unmännlichen Beruf Fuß fassen und diesen so anders meistern als Frauen?
Werden sie in ihrer Kindheit noch immer auf andere Dinge hin sozialisiert als Frauen?
Ist durch den Wandel der Frauenrolle und die Gleichberechtigung so etwas wie eine moderne Männerrolle entstanden?
Wie überhaupt entsteht die Katalogisierung in männliche und weibliche Attribute?
Hat die Gesellschaft sie vorgeformt, wird sie anerzogen oder ist sogar beides der Fall?
Diese Fragen möchte ich im Rahmen dieser Ausarbeitung beantworten. Sie machen zudem die breite Fächerung der Herangehensweise an dieses Thema, welches erst seit Jüngstem von der Sozialforschung intensiver betrachtet wird, bewusst.
Ich hoffe und wünsche mir, einige Thesen hinsichtlich der Männerforschung und der traditionellen wie modernen Männlichkeit mit meiner Arbeit beisteuern zu können.
Von einer entsprechenden Definition des Begriffes der Sozialisation erhoffen sich Sozialwissenschaftler, die Bedeutung des Prozesses der Menschwerdung mit allem, was sie umfasst und mit sich bringt, herauszukristallisieren.
Vor einigen Jahrzehnten schufen Geuben und Hurrelmann eine „weitgehend akzeptiert[e]“ Darlegung jenes Vorganges, welche bis heute den Konsens der Sozialforschung konstituiert (vgl. Tillmann 2010, S.14). So schrieben sie 1978, Sozialisation sei die „Persönlichkeitsentwicklung in dialektischer Beziehung mit der gesellschaftlich vermittelten Umwelt“ und ein Prozess „in dem das Individuum sich durch Erkenntnistätigkeit mit der materiellen und gesellschaftlichen Umwelt in Beziehung setzt“ (vgl. Schmerl 1978, S.3).
Weiterhin wird Sozialisation nach Schmerl als „grundlegende Bedingung für die Menschwerdung“ bezeichnet (vgl. Schmerl 1978, S.1). Letztendlich beinhaltet sie den „Einfluss von Mitmenschen, sozialen Beziehungen, Sprachen und kulturellen Einrichtungen“ (ebd.). Auch stellt Sozialisation laut Tillmann einen festliegenden Teil „der sozialen Realität“ dar (vgl. Tillmann 2010, S.14). Sie wird als etwas zweifelsohne existentes, jedoch nichts fass- oder greifbares angesehen (ebd.). Ebengenannte soziale Realität beinhaltet ein Muss des Erwerbens „menschliche[r] Eigenschaften und Verhaltensweisen“, vor allem in der primären Sozialisation (vgl. Schmerl 1978 S.1). Geschieht dies nicht, ist der Mensch „[u]nsozialisiert[…]“ und weißt nicht die typisch soziale „menschliche Natur“ auf (zu sehen an extremen Beispielen der Wolfskinder) (ebd.).
Empirisch statuierte Exempel von „Deprivation […] sozialer Interaktion“ zeigen des Weiteren auf, dass ein Nicht-Vorhandensein rudimentärer Fertigkeiten darüber hinaus zu irreparablen Schäden der Kognition anwachsen und zu bestimmten Zeitpunkten keineswegs mehr „ausgeglichen werden“ kann (ebd.). Diese Erkenntnisse und zahlreiche Einzelschicksale zeigen umso mehr, dass Sozialisation durch Interaktion mit den Erziehungsberechtigten in den ersten Lebensjahren von immenser Bedeutung für jeden Menschen ist, die Weichen für das gesamte weitere Leben werden gestellt.
Der Prozess der Sozialisation ist für die Forschung in den Disziplinen der Soziologie, Psychologie und Pädagogik gleichermaßen interessant (vgl. Tillmann 2010, S.9). Viele maßgebende „soziologische Sozialisationsmodelle“, unter anderem solche, die sich mit Rollentheorien befassen, verweisen auf die „Übermacht des gesellschaftlichen Systems“ (vgl. Schmerl 1978, S.5). Somit würde alles ein „Hineinsozialisieren“ des einzelnen Menschen in das gemeineigene „Rollen- Normen- und Werteschema“ bedeuten (ebd.).
Es stellt sich die Frage: Wird in vielen Familien den Kindern, trotz Emanzipation und eventuell auch unbewusst, immer noch die klassische geschlechterspezifische Rollenverteilung (als Folge unreflektierter gesellschaftlicher Forderungen) an sozialisiert? Und wenn ja, findet man bereits hier Ursachen dafür, dass viele Männer einen sozialen Beruf für sich als unpassend deklarieren? Mehr dazu später in diesem Kapitel.
Die folgenden Ausführungen, ein Anriss der Ebenen und Phasen der Sozialisation, sollen einen Gesamtüberblick über jene ermöglichen und der besseren Einordnung der in den nächsten Kapiteln folgenden Ausführungen und Beispielen dienen.
Den ebengenannten soziologischen Blickpunkt auf den Prozess der Sozialisation baut das Ebenen-Modell aus. Es spezifiziert die oft sehr allgemeine Gegenüberstellung von „Persönlichkeit“ und „gesellschaftlich vermittelter Umwelt“ und führt diese detailreicher aus (vgl. Tillmann 2010, S.21).
Das Modell besagt, dass ein Mensch der Gesellschaft nie in „ihrer Totalität und Komplexität“ ausgesetzt ist (ebd.). Stattdessen kann er stets in „konkreten sozialen Umwelten“, quasi gewissen institutionellen Rahmen, lokalisiert werden. (ebd.).
Die vier Ebenen lauten „Subjekt“, „Interaktionen und Tätigkeiten“, „Institutionen“ und „Gesamtgesellschaft“ (vgl. Tillmann 2010 S.23).
Die erste Ebene, das „Subjekt“, meint dessen Entfaltung hinsichtlich Attitüden, Erfahrungen, seinen Wissensfundus, emotionale Strukturiertheit als auch jegliche kognitiven Fähigkeiten, um nur einige Beispiele zu nennen (ebd.). Diese zeichnet jedes Individuum aus (ebd.).
„Interaktion und Tätigkeiten“ bezeichnet unter anderem die Beziehung zwischen Eltern und Kind, den Schulunterricht, den Austausch zwischen Peers sowie mit Freunden und Verwandten (ebd.). Bereits hier deutet sich das hierarchische Verhältnis der Ebenen und die jeweilige, wechselseitige Beeinflussung zweier aufeinander folgender Stufen an (vgl. Tillmann 2010, S.24).
Auch „Institutionen“, sprich „Betriebe, Massenmedien, Schulen, Universitäten, Militär[…] [und] Kirchen“ mit ihren gesamten Reglement, wirken sich auf letztgenannte „Interaktionen und Tätigkeiten“, welche die Institutionen wiederum mit Leben füllen, aus (vgl. Tillmann 2010, S.23). Genauso beeinflusst diese Stufe die vierte Ebene, die „Gesamtgesellschaft“ (ebd.). In deren sozialen, politischen, ökonomischen wie kulturellen Strukturen erscheint eine dynamische Wechselwirkung durchaus nachvollziehbar (ebd.).
Natürlich darf im Kontext der Erforschung jener Sozialisationsschichten die historische Entwicklung des Ebenen-Quartetts mit all ihren Errungenschaften nicht unbeachtet, hier jedoch nur am Rand erwähnt, bleiben.
Neben dem Betrachten gesellschaftlich vorgeformter Ebenen ist auch eine Untergliederung des Sozialisationsprozesses in Phasen vorgesehen, welche vor allem im Areal der pädagogischen Forschung an diesem Thema große Beachtung findet. In dieser Gliederung der Sozialisation in Phasen spielen „Lebenslauf und Lebenszeit“ eine wichtige Rolle (vgl. Tillmann 2010 S. 25).
Zunächst wird hierbei in „primäre[…] und sekundäre[…] Sozialisation“ unterschieden (vgl. Tillmann 2010, S.26). Erstgenannte bezeichnet „die frühe Sozialisation allein in der Familie“, nachfolgende die Sozialisation durch nebenfamiliäre Aktivitäten in der Kindertagesstätte, „Schule und Altersgruppe“ (ebd.). Jene sekundäre Sozialisation setzt etwa ab dem dritten Lebensjahr des Kindes ein, wobei die Grenze der zwei Phasen dennoch als fließend bezeichnet werden kann (vgl. Hurrelmann 1993, S.277). Das Eintrittsalter in den Kindergarten beziehungsweise wieviel Kontakt das Kind von sich aus in der dortigen Gleichaltrigengruppe sucht oder, wenn es zuhause betreut wird, wann und wie oft es mit anderen Kindern zusammentrifft, mögen dafür entscheidende Faktoren sein.
In der primären Phase erlernt das Individuum „soziale[…] Regeln und Umgangsformen“ durch die Eltern und eventuell vorhandene ältere Geschwister, in der sekundären wird all dies weiterentwickelt; eine „Variation von Verhaltensmustern“ bildet sich im veränderten institutionellen Rahmen heraus (ebd.). Das Kind lernt in dieser zweiten Phase, „welche Verhaltensweisen in einer bestimmten Situation erwartet werden, tolerierbar sind oder Tabus verletzen“ (ebd.). Des Weiteren werden zu dieser Zeit „Formen des sozialen Umganges, soziale Regeln, die Interaktionsmuster der Rollen sowie Denkweisen und Einstellungen vermittelt, wie sie in der Gesellschaft vorherrschen und in Brauch, Sitte und Recht ihren Niederschlag finden“ (ebd.). Die nächste, in dieser Einteilung etablierte Phase ist die „tertiär[e]“, welche die Sozialisation „im Erwachsenenalter“ beschreiben will, jedoch begrifflich oft als „viel zu grob“ und allumfassend kritisiert wird (vgl. Tillmann 2010, S. 26).
Beide Strukturmodelle der Sozialisation besitzen als Gemeinsamkeit das Wissen um den Prozess der Ontogenese, namentlich „die Entwicklung des Einzelnen im Zuge des Älterwerdens“. Das sich „vergangene Erfahrungen nicht ausradieren [lassen]“, sondern „den Horizont [bilden]“, vor dem neue Erfahrungen ihre Bedeutung gewinnen“, sollte auch beim thematischen Schwerpunkt dieser Ausarbeitung stets im Gedächtnis bleiben(vgl. Hurrelmann 1993, S.277).
Die Sozialisation geschlechtsspezifischer Verhaltensweisen gehört zu den jüngeren Gegenständen der Sozialisationsforscher. Erst zum Zeitpunkt der „bahnbrechenden“ Untersuchungen Meads um 1935 begann „die wissenschaftliche Beschäftigung mit den sozialen Einflüssen, die geschlechtstypisches Verhalten verursachen“ (vgl. Schmerl 1978, S.134). Es waren Meads Ausführungen, die dazu führten, dass die Sozialwissenschaftler die Verschiedenartigkeit von Männern und Frauen bezüglich ihres „Verhalten[s], Bewusstsein[s] und [ihrer] Fähigkeiten“ auf die unterschiedliche „Erziehung und […] Lebensumstände […] männlicher und weiblicher Kinder zurückgeführ[en]“ (ebd.). Somit löst die Fragestellung von „der sozialen Entstehung“ der Geschlechtermerkmale „das kulturelle Stereotyp einer rein biologisierenden“ Antwort ab (vgl. Bilden in: Hurrelmann und Ulich 1991, S.279). Vielmehr rücken nun die Erklärungsversuche für die „Konstruktion eines bipolaren Geschlechterdualismus“ in den Vordergrund (ebd.).
Trotz des Glaubens vieler Eltern, eine egalitäre Attitüde hinsichtlich der Behandlung ihrer Töchter und Söhne zu besitzen, bestehen doch unterschiedliche „Erwartungen, Deutungsmuster[…] [und] Reaktionstendenzen“, je nach Geschlecht des Kindes (vgl. Bilden in: Hurrelmann und Ulich 1991, S.282). Diese Andersartigkeit der Verhaltenserwartung ist „in den scheinbar nebensächlichsten Bereichen“ wie Ordnung im Kinderzimmer, sich beim Spielen schmutzig machen, Benehmen am Esstisch oder der Einrichtung des Kinderzimmers beobachtbar (vgl. Schmerl 1978, S.151).
Als für Lerntheoretiker gilt die zuhauf empirisch begutachtete unterschiedliche Verstärkung des Benehmens des Kindes „je nach Geschlecht“ als Wirklichkeit in Erziehung und Sozialisation (vgl. Schmerl 1978, S.152). Freilich werden für den Nachwuchs „gleiche Erziehungsziele“ normiert, indes werden die „Ausgangslage als auch die Mittel“ zur Erreichung der festgelegten Ziele „als notwendigerweise unterschiedlich angegeben“ (ebd.). Auch wenn die Erziehungsberechtigten Mädchen und Jungen die gleichen Erziehungsziele festlegen: Es besteht eine geschlechterdifferenzierende Vorstellung über jeweils angemessene Verhaltensweisen (vgl. Tillmann 2010, S.101). Kurzum sind, am Kriterium Geschlecht gemessen, „unterschiedliche Verhaltensmuster erwünscht“ und auch „werden Belohnungen und Bestrafungen […] unterschiedlich erteilt“. Je verhärteter die Ansichten der Elternteile über geschlechtsangemessene Verhaltensweisen ausfallen, „desto eindeutiger“ sollten die Kinder dadurch „ausgebildete[…]“ geschlechtstypische Handlungen zeigen, so eine lerntheoretische These.
Doch nicht nur elterliche Haltungen sind für die Geschlechtsidentität prägend. Auch die Kinder selbst „nehmen […] bereits […] [im] frühen Alter Geschlechtsunterschiede […] deutlich wahr“ (ebd.).
Beispielsweise äußern Kinder schon „im Alter von 2-3 Jahren hochgradig geschlechtstypische“ Wünsche, ihr Spielzeug betreffend (vgl. Schmerl 1978, S.128). Experimentell konnte belegt werden, dass im speziellen Jungen bereits in frühen Jahren Mädchen-Spielsachen äußerst ablehnend gegenüber stehen (ebd.). Die Grundlagen dessen können nur dem elterlichen Verhalten zugeschrieben werden, „da bis zu diesem Zeitpunkt noch wenig außerhäusliche Einflüsse auf das Kind einwirken“ (ebd.).
Diese hier deutlich werdende „Selbstkonstruktion […] als Mädchen oder Junge“ sowie die „Geschlechterunterscheidung“ ist für die Entwicklung des Kindes durchaus wichtig, denn sie ermöglicht es ihm, sich in die „soziale Welt“ einzuordnen (vgl. Bilden in: Hurrelmann und Ulich 1991, S.282). Das Individuum bildet so Konzepte, welche sich „bestärkend[…] [und] wunschlenkend[…][auswirken und] mögliche Vorbilder markieren[…]“ (ebd.). So wird zu diesem Zeitpunkt aus lerntheoretischer Sicht auch der Grundstein für den kindlichen, idealisierenden Berufswunsch gelegt, welcher in frühen Jahren ebenfalls sehr geschlechtstypisch erscheint (ebd.). Es sind vor allem die Mädchen, die soziale Berufe wie Lehrerin oder Krankenschwester als ideale Vorstellung äußern, während die Jungen als zukünftiger Pilot, Feuerwehrmann oder Polizist heldenhaft in Erscheinung treten wollen. Wieso nicht auch umkehrt?
Es entsteht der Eindruck, dass bei jener Konzeptbildung ein „ganz besonderer Druck“ auf die Jungen „ausgeübt“ wird (vgl. Schmerl 1978, S.155). Denn wenn sich ein Junge „wie ein Mädchen benimmt“, empfinden die Eltern dies als „ausgesprochen unnatürlich“ (ebd.). Gerade bei Vätern scheinen diesbezüglich viele „Vorurteile und Ängste“ zu bestehen (ebd.).
Als Gegenstück dazu scheinen die Erziehungsberechtigten burschikose Züge bei Mädchen nicht als beunruhigend zu empfinden (ebd.). Zeigen ihre Söhne allerdings „weibliche Eigenschaften wie Passivität[…] [und] Nachgiebigkeit […], wird dies negativ sanktioniert“ (ebd.).
Dies liegt auch daran, dass die Kinder selbst die männliche Rolle als höher als die weibliche bewerten, wie Kognitionspsychologen glauben (ebd.). Demnach bilden Kinder wie Eltern die Faustformel, dass burschikoses Verhalten bei Mädchen ein „Aufstieg“ ist, „weibliche Verhaltensweisen“ bei Jungen dagegen einen „Abstieg“ bedeuten (ebd.).
Der Psychoanalytiker Erikson (1970) steht Pate für eine Betrachtungsweise der Formung des Selbstkonzeptes während der Adoleszenz. Jenes befindet sich in einem Spannungsverhältnis zwischen dem Subjekt, inklusive dessen „Anlagen und Reifungsmöglichkeiten“ sowie „den gesellschaftlichen Einflüssen“ und natürlich den „gezielten pädagogischen Einwirkungen“ auf dieses (vgl. Büttner und Dittmann 1990, S.21).
Zur Veranschaulichung von Lernerfahrungen während der Erziehung als einer jener prägenden Faktoren, lohnt zunächst ein erneuter Blick in familiäre Gefilde. Schließlich beinhaltet die sekundäre Sozialisation nicht nur das Geschehen in der Schule, sondern auch jenes daheim (vgl. Tillmann 2010, S. 26).
Der Ablösungsprozess aus der engen Bindung zur Mutter ging bereits vonstatten. Nun beginnt bei den Jungen das „Verlangen nach“ einer männlichen Vaterfigur (vgl. Böhnisch und Funk 2002, S.85). Vor allem in Familien mit klassischer, konservativer Rollenverteilung (die Mutter ist Hausfrau oder arbeitet nur halbtags) ist dieser die meiste Zeit „räumlich“ und „mental“ abwesend (ebd.) „Für den Jungen“ sind die Sorgen und Nöte aus dem Arbeitsleben des Vaters „nicht sichtbar“ (vgl. Böhnisch und Funk 2002, S.86). Lediglich die Mutter zeigt sich ihrem Sohn, wenn dieser aus der Schule kommt, „in ihren Stärken und Schwächen“ (vgl. Böhnisch und Funk 2002, S.85). Auf diese Weise bildet sich für den adoleszenten Jungen ein unwahrer Geschlechtsstereotyp, welcher zur „´Idolisierung´ des Mannseins“ und zur „Abwertung des Gefühlsmäßigen, Schwachen, ´Weiblichen´“ führt “ (vgl. Böhnisch und Funk 2002, S.86).
Ein weiterer Faktor kann diese kindliche Weltsicht entscheidend mitformen: Der Selbstwert der Mutter. Fühlt diese sich als Frau wertlos und will sie deshalb den Ablösungsprozess zu ihrem Sohn nicht unterstützend voranbringen oder am liebsten gar stoppen, spürt das Kind in sich selbst eine „Überforderung“ und idealisiert den Vater umso mehr (ebd.).
Es liegt jedoch „keinesfalls an den Eltern allein“, welches „Geschlechterrollenverhalten“ ihr Kind einnimmt; auch die „gesellschaftliche[n] Erfahrungen“ beeinflussen es (vgl. Böhnisch und Funk 2002, S.87).
Bevor nun jedoch die sozialisierende Funktion des Schulumfeldes erläutert wird, soll noch einmal an die primäre Sozialisation als die, aus wissenschaftlicher Sicht, „zentrale Funktion der Familie“ erinnert werden (vgl. Hurrelmann 1993, S.138). Diese geschieht seitens der Eltern nicht uneigennützig, da das Kind schlussendlich so „diejenigen sozialen und kognitiven Kompetenzen“ des familiären Subkontextes erlernt (ebd.). Es wird zum Teil der Familie, indem es in die jeweiligen internen Regeln, Sitten, Traditionen und Ansichten eingeführt wird, diese für sich verinnerlicht und sie einhält (ebd.).
Bestenfalls eignen die Erziehungsberechtigten den Kindern und auch die Kinder sich selbst „Lernstrategien und Leistungsverhalten“ an, welche „mit den schulischen Anforderungen übereinstimmen“ (vgl. Hurrelmann 1993, S.139).
Wird es nun eingeschult, so findet ein weiterer Entwicklungsschritt statt und die Übertragung des daheim erlernten Verhaltenskodexes in einen neuen institutionellen Rahmen. Besagte „Kompetenzausstattung“ ist erwiesenermaßen für die „schulischen Leistungs- und Verhaltensanforderungen […] sehr wichtig“; sie wird angewendet, modifiziert und ausgebaut (vgl. Hurrelmann 1993, S.138f.).
Am Ebenen-Modell der Sozialisation betrachtet: Das Kind, dass einzelne Subjekt, betritt nun, abseits der Beziehung zu seinen Eltern, eine neue Bühne der Interaktionen und Tätigkeiten: den schulischen Unterricht. Es wird von nun an auch durch sein Handeln in der Schule beeinflusst und geprägt, erweitert seinen Erfahrungs- und Wissensschatz und beeinflusst durch seine Attitüden ebenfalls seine Klassenkameraden und Lehrer.
In Hinblick auf die zentrale Thematik sei auf den flächendeckenden Mangel männlicher Lehrer in der Grundschule hingewiesen. Dadurch findet hier ebenfalls kaum positive Prägung für die Jungen in Richtung reales Männerverhalten statt (vgl. Böhnisch und Funk 2002, S.87).
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