Bachelorarbeit, 2015
38 Seiten, Note: 1,3
1 Einleitung
2 Der Spracherwerb
2.1 Vorrausetzungen und Bedingungen für den Spracherwerb
2.2 Präverbale Kommunikation
2.3 Die sensible Phase
2.4 Komponenten der Sprache
2.4.1 Phonologische und prosodische Entwicklung
2.4.2 Syntaktische und morphologische Entwicklung
2.4.3 Lexikalische und semantische Entwicklung
2.5 Spracherwerbstheorien
2.5.1 Lerntheoretische Perspektive
2.5.2 Nativistische Perspektive
2.5.3 Kognitivistische Perspektive
2.5.4 Interaktionistische Perspektive
2.5.5 Zusammenfassung Spracherwerbstheorien
3 Bilderbuchbetrachten und Vorlesen im Vorschulalter
3.1 Geschichte des Bilderbuches
3.2 Voraussetzungen des Kindes zum Verständnis des Bilderbuches
3.3 Bilderbucharten
3.3.1 Erste Bilderbücher
3.3.2 Das Szenenbilderbuch
3.3.3 Das realistische Bilderbuch
3.3.4 Das phantastische Bilderbuch
3.3.5 Das Sachbilderbuch
3.4 Kriterien zur Auswahl eines Bilderbuches
3.5 Rahmenbedingungen zur Bilderbuchbetrachtung
3.6 Vorlesestile
3.7 Das dialogorientierte Bilderbuchlesen
4 Die besondere Bedeutung für den Spracherwerb
4.1 Aufforderungscharakter
4.2 Wortschatz und Grammatik
4.3 Erfahrungen mit Sprachstile und Gattungen
4.4 Grundlagen kommunikativer Kompetenzen
4.5 Geschichtenkonzept
4.6 Phonologische Entwicklung
5 Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Jeder kennt es und hat es wahrscheinlich in seiner Kindheit gezeigt bekommen. Die Rede ist von einem Bilderbuch. Bilderbücher spielen für die kindliche Entwicklung eine große Rolle. Sie können die Kinder unterstützen, ihre Umwelt zu verstehen, ihre Phantasie und Kreativität anzuregen und vor allem ihre intellektuelle Entwicklung zu fördern. Obwohl bei den meisten Bilderbüchern, wie der Name schon sagt, wohl eher das Bild im Vordergrund steht, haben sie großes Potenzial zur Unterstützung und Förderung des kindlichen Spracherwerbs. Denn Sprache beeinflusst unter anderem das Denken, das Problemlösen sowie die sozialen Interaktionen. Bei der Bilderbuch- betrachtung erkennen Kinder vertraute Begriffe in Bildern wieder und sie werden zum Sprechen und Erzählen ermutigt. Mit dem Bilderbuch werden die meisten Men- schen erstmals sowohl an das Medium Buch als auch an die Tätigkeit des Lesens herangeführt. (Schmitz, 1997, S. 11ff.)
Der Erstspracherwerb ist ein sehr komplexer Prozess, der zu einem der wichtigsten Entwicklungsaufgaben im frühen Kindesalter gehört. Die Sprache findet überall statt. Über sie lernen Kinder ihre Umwelt kennen und können in Interaktion mit anderen tre- ten. Sprache ist demnach wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung und den Aufbau sozialer Beziehungen. Durch sie können wir unsere Bedürfnisse und Gefühle äußern und auch Erlebnisse sowie Erfahrungen mit anderen Menschen teilen. (vgl. Brügge & Mohs, 2007, S. 13) Gleichzeitig bildet sich dadurch eine gesellschaftliche und persönli- che Identität aus (vgl. Weinert & Grimm, 2008, S. 502). Dieser Prozess verläuft über mehrere Jahre und meist mit denselben Phasen und Mechanismen. Außerdem muss bei diesem die Gesamtheit der kindlichen Entwicklung betrachtet werden. Der Sprachförde- rung wird eine zentrale Rolle zugeschrieben und ist nicht nur eine Herausforderung im Kita-Alltag sondern auch für die Familie als erste Sozialisationsinstanz. (vgl. Adler, 2010, S. 28)
Für den kindlichen Spracherwerb werden dem Vorlesen und vor allem dem gemeinsa- men Betrachten eines Bilderbuches eine besondere Bedeutung zugeschrieben, welche in dieser Arbeit genauer betrachtet werden soll. Dazu wird zuerst ein theoretischer Über- blick über die Sprachentwicklung gegeben und im Anschluss nach der Betrachtung der theoretischen Grundlagen zum Medium Bilderbuch versucht, die besondere Beziehung zwischen beidem zu erläutern. Die zentralen Fragen, mit denen sich die vorliegende Bachelorarbeit beschäftigt, lauten daher: „Wie trägt das Bilderbuch und das Vorlesen zur frühkindlichen Sprachentwicklung bei? Welche Aspekte können beim Spracherwerb mit dem Bilderbuchlesen besonders gefördert werden?“
Zur Klärung dieser Fragen ist die Arbeit wie folgt aufgebaut: Wie bereits erwähnt, be- schäftigt sich der erste Teil der Arbeit mit der Theorie der Sprachentwicklung. Dabei werden als erstes Voraussetzungen und Bedingungen vorgestellt. Im Anschluss werden die präverbale Kommunikation und die sensible Phase erläutert. Die Sprachentwicklung wird in den Lexikonerwerb, den Grammatikerwerb sowie in die phonologische und pro- sodische Entwicklung untergliedert und beschrieben. Zur Erklärung des Erstspracher- werbs gibt es verschiedene Theorien, die in diesem Abschnitt abschließend vorgestellt werden.
Im zweiten Teil der Arbeit wird das Medium Bilderbuch genauer untersucht. Zum einen wird die Geschichte des Bilderbuches beschrieben und zum anderen die verschiedenen Bilderbucharten aufgezählt. Weiterhin werden die psychologischen Voraussetzungen aufgezeigt, die beim Kind entwickelt sein müssen, damit es das Bilderbuch überhaupt verstehen kann. Rahmenbedingungen sowie verschiedene Vorlesestile werden im An- schluss daran erklärt. Da das gemeinsame Betrachten von Bilderbüchern und Vorlesen vor allem in einer dialogischen Situation am effektivsten für die Sprachförderung ist, wird das sogenannte dialogorientierte Bilderbuchlesen ebenfalls vorgestellt und näher beschrieben.
Der dritte Teil der Arbeit setzt sich mit der festgelegten Fragestellung genauer ausei- nander. Dabei wird als erstes der Aufforderungscharakter des Bilderbuches verdeutlicht. Im Anschluss werden verschiedene Aspekte aufgezeigt, für die das Bilderbuch eine Rolle spielen könnte - wie Wortschatz und Grammatik, Erfahrungen mit Sprachstile und Gattungen, Grundlagen kommunikativer Kompetenzen sowie phonologische Ent- wicklung.
Im letzten Teil der vorliegenden Arbeit soll ein abschließendes Fazit zur Beantwortung der Fragestellung und ein möglicher Ausblick gegeben werden.
Da der Umfang dieser Arbeit begrenzt ist, wird auf die Betrachtung geschlechterspezifischer Unterschiede verzichtet.
Im Folgenden wird dargestellt, welche Rahmenbedingungen für die Sprachentwicklung geschaffen werden müssen. Außerdem werden auf die präverbale Kommunikation und die sensible Phase der Sprachentwicklung eingegangen. Im Anschluss werden die Ebenen der Sprachentwicklung beschrieben und verschiedene Spracherwerbstheorien vorgestellt. Aufgrund der Umfangsbeschränkung der vorliegenden Arbeit kann nicht im Detail auf alle Blickwinkel der Sprachentwicklung eingegangen werden.
Um überhaupt Sprache entwickeln zu können, müssen biologische Voraussetzungen und eine sprachfördernde Lebensumwelt zusammenwirken. Nachfolgend sollen biologi- sche, kognitive und soziale Bedingungen für den Sprachentwicklungsprozess betrachtet werden.
Zu den biologischen Voraussetzungen gehört das Hörvermögen, da unsere Sprache eine Lautsprache ist. Das Hörorgan ist drei Monate vor Geburt funktionsfähig. Bereits leich- te Einschränkungen können sich negativ auf den Spracherwerb auswirken. Die Artikula- tionsorgane, wie Kehlkopf, Rachen, Mundraum etc., mit denen Laute erzeugt werden, müssen funktionstüchtig sein. Für die Sprachentwicklung sind ebenso intakte Atmungs- organe, wie Lunge, Luftwege und Zwerchfell, wichtig. Sie stellen den Luftstrom zur Verfügung, mit dem Artikulation und Stimmgebung erst möglich werden. (vgl. Brügge & Mohs, 2007, S. 14ff.)
Außerdem ist der Spracherwerbsprozess an den Reifungsprozess des Gehirns gebunden, welcher bereits in der Schwangerschaft einsetzt. Zur Verarbeitung und anschließender Produktion sprachlicher Reize muss die Hirnreifung entsprechend fortgeschritten sein. Dieser Reifeprozess beinhaltet die quantitative Zunahme der Gehirnmasse und die qualitative Veränderung des Gehirnaufbaus. Außerdem bildet sich allmählich die Hemisphärendominanz heraus. (vgl. Pudlitz, 1997, S. 18)
Sowohl ein leistungsfähiges Gedächtnissystem als auch gut entwickelte auditive Fähig- keiten unterstützen die Spracherwerb. Nachweisbar leiden Kinder mit Sprachentwick- lungsstörungen auch an Defiziten in der Funktion des Arbeitsgedächtnisses. Ein ge- meinsamer Aufmerksamkeitsfokus sowie Imitation und Gesten bilden maßgebliche Voraussetzungen für die Sprachentwicklung. Es kann gesagt werden, dass Störungen kognitiver Funktionen auch sprachliche Probleme mit sich bringen. (vgl. Weinert & Grimm, 2008, S. 526ff.)
Neben den zuvor genannten internalen Bedingungen spielen auch soziale Einflussfaktoren eine wichtige Rolle für die Sprachentwicklung des Kindes. Dazu gehören unter anderem Art und Intensität des sprachlichen Kontakts sowie eine sichere Bindung und emotionale Nähe durch die primären Bezugspersonen. Beeinflusst werden die sozialen Bedingungen z. B. von der sozialen Schichtzugehörigkeit, der Geschwisterkonstellation und der Familiengröße. Es kann zu Sprachentwicklungsstörungen kommen, wenn diese sozial-emotionalen und sozial-kommunikativen Voraussetzungen nicht gegeben oder stark eingeschränkt sind. (vgl. Pudlitz, 1997, S. 18f.)
Bereits im Mutterleib beginnt der Spracherwerb. Dazu bilden sich während der pränatalen Entwicklung wichtige Voraussetzungen, z. B. Sinneswahrnehmungen wie das Hören. Neue diverse Hirnforschungen bestätigen die Annahme, dass der Fötus Außengeräusche hören und menschliche Stimmen wahrnehmen kann. Nach Rau (2009) wurden in einem Test Säuglingen verschiedene Sprachen vorgespielt. Dabei reagierten sie nur auf die Sprache ihrer Umgebung, der sie bereits im Mutterleib ausgesetzt waren. Dies wurde an der erhöhten Saugrate abgelesen. (vgl. Rau, 2009, S. 105)
Bereits nach der Geburt können Babys und ihre Bezugspersonen mit Hilfe von vielfältigen körpersprachlichen Möglichkeiten kommunizieren, z. B. durch Mimik und Bewegung. Außerdem benutzen Neugeborene Lautsignale, um sich ihrer Umwelt mitzuteilen. (vgl. Haug-Schnabel & Bensel, 2012, S. 7)
Besonders mit dem Schreien drückt das Neugeborene sein aktuelles Befinden aus und macht seine Bezugsperson auf seine Bedürfnisse aufmerksam, u. a. Hunger, Schmerz und die Suche nach Zuwendung. Vertraute Personen können oft schon nach wenigen Wochen zwischen den Arten des Schreiens unterscheiden und die Ursache dafür finden. (vgl. Brügge & Mohs, 2007, S. 25f.) Für diese Interpretation berücksichtigen Eltern sowohl ihr Kontextwissen als auch ihre individuellen Erfahrungen mit dem Kind (vgl. Haug-Schnabel & Bensel, 2012, S. 7).
Neugeborene reagieren auf die Anwesenheit von Bezugspersonen anders als auf interes- sante Gegenstände. Sie schenken menschlichen Stimmen, Gesichtern und Augen sehr viel Aufmerksamkeit. Darauf reagieren Erwachsene, indem sie den Blick des Kindes erwidern, lächeln und zustimmend nicken. Sie sprechen mit dem Neugeborenen wie mit einem verständigen Gesprächspartner. Diese Gesprächssituationen werden regelmäßiger und von Momenten gemeinsamer Aufmerksamkeit geprägt. Trevarthen (1993) zeigte, dass Babys Gesichtsausdruck und Gesten, z. B. Mund öffnen, Augenzwinkern, Zunge herausstrecken und das Öffnen und Schließen der Hand, von Bezugspersonen nachahmen. Diese frühe Form der nonverbalen Kommunikation gilt als Vorläufer der menschlichen Sprache. (vgl. Whitehead, 2007, S. 16f.)
Ein weiteres Mittel der nonverbalen Kommunikation sind Zeigegesten. Babys wollen mithilfe dieser Gesten Erwachsene dazu bringen, ihre Aufmerksamkeit auf Dinge zu richten und erwarten ein geteiltes Interesse. Das Kind scheint sich für einen Gegenstand zu interessieren, über das es mehr erfahren oder das es haben möchte. Der Erwachsene reagiert bestenfalls darauf, indem er den Gegenstand anschaut und kommentiert. So beginnt Kommunizieren nicht erst durch Sprache sondern bereits mit Gesten. Kinder benutzen fast immer kommunikative Gesten, bevor ihre frühesten Sprachäußerungen einsetzen. (vgl. Haug-Schnabel & Bensel, 2012, S. 9f.)
Für die Erstsprache wird angenommen, dass es beim Menschen eine bestimmte Zeit- spanne in der Entwicklung gibt, in der Sprache am besten erlernt werden kann. Dies wird als sensible Phase bezeichnet. Als Beleg wird dabei oft von Kindern gesprochen, die ohne menschlichen Kontakt und menschliche Sprache aufwuchsen, die so genannten Wolfskinder. Diese waren später nicht mehr in der Lage, Sprache zu erwerben. Ein be- kanntes Beispiel ist das Mädchen Genie, die im Alter von 14 Jahren entdeckt wurde und ihr es nicht mehr möglich war, trotz sprachlicher Betreuung Grammatik über Zweiwort- äußerungen hinaus zu lernen. Grammatik scheint nach der frühen Adoleszenz nicht mehr erlernbar zu sein. Szagun (2010) geht davon aus, dass die Gründe dafür auch an- dere als das Ende einer sensiblen Phase sein können, wie z. B. die dauerhafte soziale Isolation, eine geistige Behinderung oder der Schock, plötzlich in eine menschliche Ge- sellschaft zu kommen. (vgl. Szagun, 2010, S. 248f.)
Die sensible Phase ist veränderbar und ihre Grenzen sind nicht exakt gezogen, denn sie ist unter anderem abhängig von neurophysiologischer Reifung und Umwelterfahrung. Außerdem ist sie altersbedingt. (vgl. ebd., S. 255)
Wenn von einer sensiblen Phase gesprochen wird, geht man davon aus, dass die Sensibilität für Sprache allmählich abnimmt. Ältere Modelle sprachen von einem eng begrenzten Zeitfenster, was sich abrupt schließt. Diese Auffassung konnte allerdings in den meisten nachfolgenden Forschungen nicht bestätigt werden. (vgl. ebd.)
Schon im frühen Stadium seiner kognitiv-konzeptuellen Entwicklung muss das Kind relevante Merkmale seiner Umweltsprache verarbeiten, untergliedern und zugrunde liegende Regeln ableiten. Dabei ist die Sprache in teilweise eigenständigen Wissenssystemen aufgebaut. Diese Komponenten, die in ihrem Zusammenspiel die sprachliche Kompetenz bedeuten, werden in den folgenden Abschnitten genauer betrachtet. (vgl. Weinert & Grimm, 2008, S. 502)
Ab Geburt bevorzugen Babys menschliche Stimmen und Sprachlaute eher als andere Geräusche. Bereits im ersten Lebensjahr können sie prosodische Muster, z. B. Sprachr- hythmus, Satzmelodie und Betonungsmuster, sowie phonologische Muster, z. B. Laute und Lautsequenzen, wahrnehmen und unterscheiden. (vgl. Szagun, 2010, S. 43) In einem Versuch von Eimas, Siqueland, Jusczyk und Vigorito (1971) wurde unter- sucht, ob Babys zwischen zwei ähnlichen Konsonanten, z. B. zwischen [ba] und [pa], unterscheiden und, ob sie Unterschiede zwischen den Varianten innerhalb der jeweili- gen Kategorie entdecken können. Der einzige Gegensatz der beiden Konsonanten ist die sogenannte voice onset time (VOT), das heißt, die Zeit zwischen dem Austritt des Luft- stromes durch die Lippen und dem Einsetzen der Vibration der Stimmbänder. Demnach ist [b] stimmhaft, während [p] stimmlos ist. Im Ergebnis konnte festgestellt werden, dass schon Babys im Alter von einem Monat den Kontrast zwischen stimmhaften und stimmlosen Konsonanten wahrnehmen können. Außerdem haben sie eine kategoriale Wahrnehmung von diesen Konsonanten, da sie keine Unterschiede zwischen den [ba]- und [pa]-Varianten innerhalb der jeweiligen Kategorie hören. (vgl. ebd., S. 43ff.)
Neugeborene können ebenso zwischen Konsonanten differenzieren, die sich lediglich hinsichtlich des Artikulationsortes unterscheiden, also der Ort im Mundraum, wo der Konsonant produziert wird.
Während bei [b] und [p] die Lippen geschlossen werden, so ist der Ort des Verschlusses des vokalen Traktes bei [d] und [t] hinter den Zähnen. Die Zunge stößt dort an vorderen Gaumen und bildet mit ihm den Verschluss. Bei [g] und [k] wird der Verschluss des vokalen Traktes mit der Zunge am hinteren Gaumen gebildet. (ebd., S. 45)
Andere Ergebnisse zeigen, dass Babys im ersten Lebensjahr zwischen Konsonanten hinsichtlich der Art der Artikulation trotz ähnlichem Artikulationsort unterscheiden können, z. B. zwischen [b] und [w]. Schon Babys mit 0;1 bis 0;41 können ebenso die Vokale [a] von [i] und [i] von [u] differenzieren sowie feinere Unterscheidungen, wie ein langes [i] von einem kurzen [i], finden. (vgl. ebd., S. 45ff.)
Am Ende des ersten Lebensjahres beginnt das Kind unterschiedliche Vokale und Kon- sonanten miteinander zu verbinden, wie [dadu] oder [bada], und diese Lautkombinatio- nen mit verschiedenen Intonationsmustern (Lautstärke oder Tonhöhe) zu variieren. Eine Ausdifferenzierung der Lautäußerungen erfolgt bis zum ersten Wort. (vgl. Adler, 2011, S. 70f.) Auch wenn das Wissen um die Lautstruktur von Wörtern noch sublexikalisch, d. h. ohne Kenntnis der Bedeutung ist, wird der Erwerb von Wörtern und deren Bedeutungen mit Hilfe der prosodischen und phonologischen Entwicklung vereinfacht. (vgl. Szagun, 2010, S. 52).
Die meisten Kinder eignen sich im Alter von 1;6 bis 4;0, d. h. in gerade mal zweieinhalb Jahren, fast vollständig die Grammatik ihrer Erstsprache an. Dieser Prozess verläuft unbewusst. (vgl. ebd., S. 59)
Die Reihenfolge der auftretenden Entwicklung grammatischer Strukturen ist bei Kin- dern ähnlich. Mit etwa einem Jahr produziert das Kind erste Wortäußerungen (vgl. Ad- ler, 2011, S. 92f.). Anstelle eines Satzes fungiert nur ein einziges Wort. Das Kind vari- iert dabei in Intonation sowie Mimik und Gestik und gibt dem Wort somit die Bedeu- tung eines Frage- oder Aussagesatzes (vgl. Brügge & Mohs, 2007, S. 31f.). Die ersten Wörter gehören meistens der Wortklasse der Nomen (z. B. Auto, Mama, Teddy) oder Partikel und Demonstrativa (z. B. mehr, da) sowie selten Adjektiven (heiß) und Verben (puste) an. Das Alter kann sich gerade bei der ersten Wortproduktion stark unterscheiden. Manche Kinder sind möglicherweise erst 0;8 oder 0;9, andere schon 1;6 alt. (vgl. Szagun, 2010, S. 65)
Neben Einwortäußerungen treten im Alter von 1;6 und 2;3 allmählich Zweiwortäuße- rungen auf. Es beginnt die Syntaxbildung, in der Kinder anfangen, Wörter zu Zwei- wortäußerungen zu kombinieren. Die grammatische Bedeutung von diesen Aussagen ergibt sich unter Einbezug des Kontextes und bezieht sich auf das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein von Objekten/Personen, Handlungen, Lokalisierungen, Besitzan- gaben sowie nähere Bestimmungen. Diese Beobachtung ist in verschiedenen Sprachen gleich. (vgl. ebd., S. 69) Wichtig dabei ist die Erkenntnis der Objektpermanenz, die Fä- higkeit „Objekte als vom Selbst getrennt zu existierend in der Welt zu erkennen und sie durch Symbole zu repräsentieren“ (ebd.).
Im Stadium der Zweiwortäußerung haben Kinder nicht nur grammatische Bedeutungen erworben, es treten ebenso erste morphologische Charakteristiken auf, wie vereinzelt Pluralformen bei Nomen. Dabei kommen selten Artikel vor. Oft werden auch Markie- rungen bei Adjektiven verwendet, wobei die Endung -e am häufigsten genutzt wird (große Haus). Kinder gebrauchen bereits konjungierte Verben, bei denen entweder der Infinitiv oder die Endung -e benutzt werden. Ansätze zum Partizip Perfekt werden deut- lich, jedoch ohne die Verwendung der Vorsilbe ge- (funden statt gefunden). Außerdem kann es schon zur Bildung von Verneinungen kommen, indem Negationspartikel, wie nicht/nein, sowohl vor als auch nach dem Verb stehen können (essen nein). Fragen wer- den in der Regel durch Intonation, nicht durch Fragewörter gestellt. (vgl. ebd., S. 70ff.)
Die Syntax wird zwischen 2;0 und 4;0 in den Äußerungen komplexer und die Kinder gehen zu Drei- und Mehrwortäußerungen über. Zusätzlich werden die meisten Flexi- onsendungen erworben. Markiert wird dabei sowohl das Genus (grammatische Ge- schlecht) an Artikeln, Pronomen und Adjektiven als auch der Plural an Nomen und Ar- tikeln. Ebenso werden Kennzeichnungen von Kasus (Fall) an Artikeln und Pronomen sowie Person und Tempus (Zeitform) an Voll-, Hilfs- und Modalverben vorgenommen. (vgl. ebd. 72ff.)
Das grammatische Geschlecht der Nomen wird von Kindern schnell und vorwiegend fehlerfrei erworben. Der Erwerb der Pluralbildung setzt zwar früh ein, jedoch werden noch lange Fehler gemacht. Am meisten Probleme bereitet den Kindern der Kasus.
[...]
1 Die Zahl vor dem Semikolon bezieht sich auf das Alter in Jahren, diejenige nach dem Semikolon auf die Monate.
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