Bachelorarbeit, 2015
23 Seiten, Note: 2,3
1. Einleitung
2. Die Preisfrage der Akademie von Dijon
3. Rousseaus Kritik an den Naturzustandskonzeptionen seiner Vorgänger
4. Rousseaus Konzeption des Naturzustandes in Abgrenzung zu Hobbes
5. Angemessenheit der Kritik Rousseaus an Hobbes
6. Literaturverzeichnis
In der vorliegenden Bachelorarbeit stelle ich die Konzeption des Naturzustandes in Jean - Jaques Rousseaus1 zweitem Diskurs in Abgrenzung zu der Naturzustandskon- zeption von Thomas Hobbes2 dar. Ich werde mich in meiner Arbeit jedoch nicht mit dem kompletten zweiten Diskurs Rousseaus auseinandersetzen, sondern nur mit dem ersten Teil, in dem Rousseau den ursprünglichen Naturzustand des Menschen, so wie er ihn versteht, in Abgrenzung zu den Naturzustandsbestimmungen seiner Vorgänger schildert, um die Hauptfrage seiner „Abhandlung über den Ursprung der Ungleich- heit unter den Menschen“ zu beantworten. Diesen ersten Teil werde ich in meiner Arbeit genauer betrachten, da er dort die Hobbessche Naturzustandskonzeption zu- nehmend kritisiert und einen Gegenentwurf, der den wahren Naturzustand zeigen soll, verfasst. Durch die Kritik, die Rousseau in seinem Diskurs schon seinerseits anbringt, verzichte ich darauf, die Naturzustandskonzeption Hobbes gesondert darzu- stellen und beschränke mich auf die Kritik an Hobbes in Rousseaus Diskurs.
Die „Abhandlung über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen“ ist Rousseaus Versuch der Rekonstruktion der menschlichen Gattungsgeschichte als eine Geschichte des Verfalls, in dem er von dem ursprünglichen Naturzustand aus- geht und die Geschichte bis hin zur Staatskonstitution versucht zu rekonstruieren, um so die Ursache der erste Ungleichheit unter den Menschen zu ergründen. Zu dem Zeitpunkt gab es jedoch schon Publikationen über den Naturzustand als rechtsphilo- sophische Norm sowie dessen mögliche Auswirkung auf den Staat3. Die Preisfrage der Akademie von Dijon nutzte Rousseau dazu, seine Rekonstruktion des homme naturel darzustellen beziehungsweise die seiner Vorgänger zu kritisieren und ihre Schwachstellen aufzuzeigen.
In einem ersten Teil dieser Arbeit soll daher zunächst der Zusammenhang zwischen der Preisfrage der Akademie von Dijon und Rousseaus Diskurs dargestellt werden.
Dazu werden kurz der Kontext der Preisfrage sowie die Ergebnisse dieser erörtert.
Anschließend ist es sinnvoll, die Kritik von Rousseau an seinen Vorgängern genauer zu betrachten, damit deutlich wird, dass Rousseau ein anderes Erkenntnisinteresse als seine Vorgänger verfolgte. Danach wird auf den wesentlichen Teil der Beantwortung der Hauptfrage des Diskurses, die Konzeption des wahren Naturzustandes von Rous- seau, eingegangen, welche gleichzeitig von der Hobbesschen Naturzustandskonzep- tion abgegrenzt wird. In dem Schlussteil werden abschließend die Ergebnisse der Arbeit resümiert und die Frage erörtern, ob und inwiefern die Kritik Rousseaus an der Konzeption Hobbes angemessen ist. Darüber hinaus wird kurz auf den zweiten Teil von Rousseaus Diskurs eingegangen, da dieser eine wichtige Erkenntnis darbie- tet, die die Notwendigkeit des Eintritts in den status civilis für Rousseau ableitet und in einem engen Zusammenhang zu dem Hobbessche exeundum - Argument steht.
Am 13.07.1753 stellte die Acadèmie de Dijon für den Prise de morale folgende Frage: „Quelle est la source de l´inégalité parmi les hommes, et si elle est autorisée par la loi naturelle“4. Auf Deutsch lautet die Frage wie folgt: Welches ist der Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen, und ob sie durch das natürliche Gesetz autorisiert wird.5 Der Gewinn für denjenigen, der die beste Antwort auf die Frage gibt, war eine Goldmedaille im Wert von 30 Pistolen. Dies war der Ausgangspunkt für die Verfassung Rousseaus zweitem Diskurs.
Insgesamt wurden zwölf Arbeiten eingesandt. Das Manuskript Nr.7 von Abbé Talbert gewann diese Preisfrage. Die Ungleichheit entstand laut seiner Antwort / Ansicht, wie bei nahezu allen Arbeiten, durch Gott selbst, welcher diese eingerichtet und ebenso autorisiert habe.6
Rousseaus Manuskript, welches er einsandte, wurde jedoch 1754 von der Akademie verworfen, da diese einen weiteren Eklat befürchtete.7 Denn 1750 antwortete Rousseau ebenfalls auf die Preisfrage der Akademie von Dijon, ob der Fortschritt der Kultur die Menschen gebessert habe. Rousseau verneinte diese Frage mit dem Discours sur les sciences et les arts und wurde über Nacht berühmt. Diese Schrift stellt einen glücklichen Urzustand der Menschheit dar, welche durch das Eintreten in die Gesellschaft ins Verderben gefallen ist und löste damit großes Aufsehen aus, welchem die Akademie 1754 entkommen wollte.8
Rousseau stellt fest, dass seine Vorgänger in ihren Untersuchungen, die den Men- schen und sein Wesen zu ergründen versuchten, nicht zu den richtigen Ergebnissen gelangten, da sie sich nicht bewusst waren, dass man sich für solche Erkenntnisse erst des Menschen selbst bewusst sein muss.9 Um jedoch den Naturzustand zu erken- nen, müssen die Grundlagen der menschlichen Gesellschaft erkannt werden. Den Naturmenschen mit Verhaltensweisen, die erst in der Gesellschaft entstanden sind, zu betrachten, ist das, was Rousseau an dem Vorgehen seiner Vorgänger kritisiert. Diese hätten, nach Rousseau, den Grundlagenaspekt der menschlichen Gesellschaft nicht in ihren Untersuchungen berücksichtigt und wären in diesen von dem zivilisier- ten Menschen ausgegangen. Rousseaus Vorgänger verwechselten also den Natur- mensch mit dem zivilisierten Menschen in ihren Naturzustandskonzeptionen. Der Vorwurf Rousseaus gegenüber seinen Vorgänger beruht also auf deren Bestimmung des Begriffs vom Naturmenschen, welchen sie seiner Meinung nach nicht richtig gefasst hätten. Sie wollten zwar bis zu dem Naturzustand zurückgehen, sind, laut Rousseau, dort aber nie angelangt, da sie auf den Mensch im Naturzustand Vorstel- lungen übertragen hätten, die sie der gegenwärtigen Gesellschaft entnommen haben. Einige von Rousseaus Vorgängern haben den Menschen im Naturzustand die Fähig- keit unterstellt, zwischen gerecht und ungerecht zu unterscheiden, für Andere be- stand das Naturrecht im „Ich darf behalten, was mir gehört“, obwohl der Begriff des Besitzes bei ihnen nicht klar definiert wurde (vgl. Hobbes)10 und wieder Andere ha- ben den Naturmenschen direkt in Stärkere und Schwächere unterteilt und damit eine Regierung entstehen lassen.11 Alle haben jedoch Bedürfnisse, Habsucht, Unterdrü- ckung, Begehren und Stolz auf den Naturmensch im Naturzustand übertragen und bezeichneten somit den bürgerlichen Menschen als wilden Menschen.12
Rousseau gibt jedoch zu bedenken, dass es schwierig ist, den genauen Verlauf der Menschheitsgeschichte zu rekonstruieren, welcher es ermöglicht, die Ursprünglich- keit von dem künstlich Hinzugefügten am gegenwärtigen Menschen zu identifizie- ren, und über einen Zustand Bescheid zu wissen, den es nicht mehr gibt, vielleicht nie gab und nie wieder geben wird.13 Um herauszufinden, wie der wahre Naturzu- stand aussieht, ist es notwendig, alle gesellschaftlichen Umstände herauszufiltern, um zu ergründen, was und wie der Naturzustand der Menschen war, damit die Ge- genwart richtig beurteilt14 - und der Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen erörtert werden kann.
Desweiteren kritisiert Rousseau die große Uneinigkeit der Philosophen über das Thema des Naturzustandes und sagt weiter, dass sie es sich scheinbar zu ihrer Auf- gabe gemacht haben, sich in fundamentale Prinzipien zu widersprechen.15 Nun ist jedoch die Frage, was Rousseau mit seiner Stellungnahme zum wahren Naturzustand des Menschen beabsichtigt, wenn er in dieser mit der Kritik an anderen Philosophen beginnt und ihnen ebenso in fundamentalen Prinzipien widerspricht, wie beispiels- weise in der Betrachtung des Naturmenschen. Da ist es höchst fraglich, ob seine Kri- tik an der Uneinigkeit seiner Vorgänger angebracht ist oder ob er sich damit nicht zu einem ebensolchen Kritiker macht.
Dass die Überlegungen über den Naturzustand jedoch nur rein hypothetische Kon- strukte sind, dessen ist sich Rousseau bewusst, und kritisiert die Philosophen, die diese Überlegungen als eine mögliche Art der menschlichen Gattungsgeschichte be- trachteten, mit dem Argument der Religion und Bibel, die nie einen Menschen be- schrieben haben, die sich im Naturzustand befanden, da der erste Mensch direkt „[…] von Gott Einsicht und Aufklärung und Gebote erhalten hat[…]“16. Rousseau verzichtet in seiner Argumentation jedoch auf jeglichen Rückgriff auf biblische Ge- gebenheiten.17 Er hingegen orientiert sich vielfach an Methoden und Ergebnisse em- pirischer Wissenschaften durch das Zurückgreifen auf Werke, in denen die für Rous- seau nützlichen Untersuchungen notiert sind, vor allem an dem Werk von Georges- Louis Leclerc de Buffon.18 Durch dieses Vorgehen schreibt Rousseau seinem Diskurs einen wissenschaftlichen Charakter zu, indem er durch Hypothesenbildungen ver- sucht zu beschreiben, wie Naturgeschichte betrieben werden kann. Rousseau verfährt genau wie ein Naturhistoriker mit dem Versuch, den Ausgangspunkt der Entwick- lung zu rekonstruieren, da der Endpunkt der Menschheitsentwicklung bereits bekannt ist. Alles was zwischen diesen beiden Punkten geschieht, kann nur im Rahmen einer hypothetischen Rekonstruktion versucht werden zu erklären, weil die einzelnen Ver- laufsformen nicht durch historische Dokumente bekannt sind.
Herb bringt dazu die Kritik an, dass sich die rechtsphilosophische Untersuchung des Problems des Naturzustandes, die Rousseau aufzeigen will, mit der Verwendung naturwissenschaftlichen Theorien nicht vertragen könne, gerade weil Rousseau im Vorwort zunächst von einer rechtlichen Normierungsfunktion des Naturzustandes nach Pufendorf und Locke ausgeht, diese Überlegung jedoch nicht umsetzt.19
Ebenso unzufrieden ist Rousseau mit dem Vorgehen Aristoteles‘, der die Tierwelt untersuchte, um herauszufinden, was der Mensch war, bevor er zu dem wurde, was er heute ist. Rousseau bringt hier an, dass die vergleichende Anatomie und die Be- obachtungen der Naturforscher zu vage und zu unerforscht sind und dadurch keine soliden Schlussfolgerungen möglich seien. Stattdessen betrachtet Rousseau den Na- turmenschen so, wie er durch die Natur geschaffen wurde.20 Ob er dadurch den Na- turzustand wahrer betrachtet als Aristoteles kann jedoch nicht beantwortet werden. Rousseau setzt die Richtigkeit seiner Annahme jedoch voraus ohne eine kritikresis- tente Begründung für seine Betrachtungsweise zu nennen. Denn eben das, was er an seinen Vorgängern kritisiert hat, könnte er unter Umständen nun auch falsch machen, da der Mensch, so wie er durch die Natur hervorgebracht wurde, nicht immer hätte existieren müssen, da jedes Lebewesen im Laufe der Jahrhunderte wandelbar sein kann und sich somit das Wesen, das durch die Natur hervorgebracht wurde, auch durch die Natur hätte verändert werden können. Die Art und Weise dieser Kritik ist daher meiner Meinung nach nicht angebracht. Dass Rousseau den Menschen nicht abstrakter betrachtet, als er ist, sehe ich jedoch nicht als einen Fehler in der Denk- weise Rousseaus an, da diese den Naturzustand vorstellbar werden lässt.
Das Thema in Rousseaus Abhandlung ist die Frage nach der Entstehung und den Ursachen der Ungleichheit unter den Menschen. Dafür hält Rousseau es für notwen- dig, Untersuchungen über den Naturzustand anzustellen. Er möchte demnach einen Zustand untersuchen in dem noch keine Ungleichheit unter den Menschen vorhanden war. Dabei nennt Rousseau zwei Arten von Ungleichheit: Die natürliche Ungleich- heit und die moralische Ungleichheit. Die natürliche Ungleichheit stellt jedoch kein Problem für die Menschenart dar, da nicht jeder Mensch identisch sein kann. Die moralische Ungleichheit hingegen, mit welcher Rousseau vor allem soziale Instituti- onen, also Besitzgüter, meint, stellt jedoch diejenige Art von Ungleichheit dar, durch die der Mensch sich in dem heutigen Zustand befindet.21 Um die Entstehungsgründe dieser Ungleichheit zu entdecken, soll die Naturzustandskonzeption Rousseaus zur Beantwortung dieses Themas dienen, wodurch Rousseau bereits in diesem Punkt einer anderen Fragestellung nachgeht, als seine Vorgänger nachgegangen sind. In diesem Zusammenhang entsteht, wie oben aufgeführt, die Kritik beziehungsweise der Vergleich mit Rousseaus Vorgängern.
[...]
1 Im Folgenden nur Rousseau genannt.
2 Im Folgenden nur Hobbes genannt.
3 Vgl. Hobbes: „Leviathan“; Lo>1
4 Meier 1984, 64.
5 Rousseau, Jean - Jaques: Diskurs über die Ungleichheit. Discours sur l´inégalité, hrsg. von Heinrich Meier, Paderborn 1984, S. 65.
6 s. ebd. S. 64.
7 Rousseau: Diskurs über die Ungleichheit, S. 64.
8 Philo - Website: Jean - Jaques Rousseau (1712 - 1778). URL: http://www.philos-
website.de/index_g.htm?autoren/rousseau_g.htm~main2 (Stand: 11.06.2015).
9 Rousseau: Diskurs über die Ungleichheit, S. 45
10 Hobbes, Thomas: Philosophische Anfangsgründe, vom Bürger. Freiheit. Kapitel I, in: Hobbes über die Freiheit, hrsg. von Georg Geissmann/ Karlfriedrich Herb, Würzburg 1988, S. 124f.
11 Rousseau: Diskurs über die Ungleichheit, S. 69.
12 s. ebd. S. 71.
13 s. ebd. S. 47.
14 s. ebd. S. 49.
15 s. ebd. S. 51.
16 Rousseau 1984, 71.
17 Herb, Karlfriedrich: Rousseaus Theorie legitimer Herrschaft, Würzburg 1989, S. 79.
18 s. ebd. S. 78.
19 s. ebd. S. 72.
20 s. ebd. S. 77.
21 Rousseau: Diskurs über die Ungleichheit, S. 58 - 59
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