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Masterarbeit, 2015
146 Seiten, Note: 1,7
A Die britisch-deutsche Ausnahme? Das Phänomen des Populismus in Europa
I. Relevanz der Forschungsfrage
II. Aufbau der Arbeit
III. Forschungsstand
B Theoretischer Rahmen, Methode und Datenauswahl
I. Annäherung an einen vagen Begriff: Populismus
I.1 Populists und Volkstümler: Historische Populismen
I.2 Mannigfaltige Populismusverständnisse
I.3 Populismus als Diskurspaxis
I.4 Opposition gegen eine Elite – ganz ohne Klassenkampf
I.5 Krise als einigender Faktor
I.6 Die Quintessenz der (allgemeinen) Populismusforschung
II. Der ‚Sonderfall‘ des Rechtspopulismus
II.1 Den Rechtspopulismus begünstigende Entwicklungsprozesse
II.2 Das erneute Dilemma der begrifflichen Abgrenzung
II.3 Euroskepsis als ein möglicher Bestandteil von Rechtspopulismus -Theoretischer Hintergrund
III. Forschungsgegenstand, Methode und Datenkorpus
III.1 Einordnung des Forschungsgegenstands
III.2 Methode
III.3 Auswahl und Festlegung des Datenmaterials sowie die Entstehungssituation
C Komparativer Block / Analyse der Reden von Farage und Lucke
I. Entwicklung und Einordung der UKIP in Großbritannien
I.1 Das Parteiensystem in Großbritannien
I.2 Populismus und Euroskepsis in Großbritannien
I.3 Geschichte und politische Verortung der UKIP
I.4 Nigel Farage als ‚Kopf‘ der UKIP
II. Entwicklung und Einordung der AfD in der Bundesrepublik Deutschland
II.1 Das Parteiensystem in der BRD
II.2 Populismus und Euroskeptizismus in der BRD
II.3 Geschichte und politische Verortung der AfD
II.4 Bernd Lucke als ‚Kopf‘ der AfD?
III. Analyse der Reden von Farage und Lucke
III.1 Definition der Analyseeinheiten
III.2 Analyseschritte mittels des Kategoriensystems
III.2.1 Bestimmung der Typisierungsdimensionen
III.2.2 Bestimmung der Ausprägungen (theoriegeleitet), Formulierung von Definitionen, Ankerbeispielen und Kodierregeln und Gesamtdarstellung in einem Kodierleitfaden
III.2.3 Rücküberprüfung des Kategoriensystems an Theorie und Material
IV. Präsentation und Interpretation der Ergebnisse vor dem Hintergrund der Forschungsfrage
IV.1 Auftreten der Rechtspopulismuskategorien am Beispiel besonders eindeutiger Codierungen (Ankerbeispiele)
IV.2 Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Reden von Farage und Lucke / Code-Relationen
D Fazit, aktuelle Entwicklungen und Ausblick
E Anhang
F Literatur
Erfolgreiche und sich in den jeweiligen politischen Systemen etablierende populistische Parteien sind schon relativ lange ein Phänomen in Europa. Man denke an den Poujadismus in Frankreich, dem es in den 1950er Jahren gelang, landesweit eine zumindest begrenzte Rolle zu spielen (vgl. Priester 2007: 142ff). Auch in Österreich war und ist die bereits 1955 gegründete Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) eine etablierte rechtspopulistische Partei, die spätestens mit Jörg Haider als Vorsitzendem ab dem Jahr 1986 die Verhältnisse des Landes zunehmend verändert hat: „Rechtspopulismus in Österreich ist ein Bestandteil des dortigen politischen Systems geworden […].“ (Reinfeldt 2013: 45) Und in Dänemark ist es der Dänischen Volkspartei (DVP) mit einer ihr eigenen Ambivalenz - zwischen Außenseitertum und rechtspopulistischem Protest auf der einen und akzeptierter themenbesetzender Partei auf der anderen Seite – gelungen, sich im Parteiensystem Dänemarks zu verankern und auch die Agenda anderer politischer Kräfte mehr und mehr zu beeinflussen (vgl. Kuschel 2014a: 17). Ähnlich gelang es der Fortschrittspartei (FP) in Norwegen, sich als neue populistische Rechte zu etablieren. Insbesondere kamen den skandinavischen Populisten die schwächelnde Sozialdemokratie ab den 1970er Jahren zu Gute, die bestimmte Themen nicht oder nicht ausreichend genug ansprach (Restrukturierung der Sozialsysteme, Integration, Asyl- und Zuwanderungspolitik, Europapolitik, etc.) (vgl. Kuschel 2014a: 15).[1]
Bei der Europawahl Ende Mai 2014 konnte man deutlich sehen, dass als populistisch bezeichnete Parteien in einigen europäischen Ländern zunehmend Einfluss auf die politische Landschaft haben: ‚Die Wahren Finnen‘ erhielten 12,9 % der finnischen Stimmen, ‚der Front National‘ 24,8 % der französischen, das als linkspopulistisch geltende ‚Movimento 5 Stelle‘ 21,16 % der italienischen Stimmen. Es gibt noch einige Beispiele mehr auf die hier nicht explizit eingegangen werden soll. Auffällig erfolgreich waren jedoch noch zwei weitere Parteien: Die United Kingdom Independence Party (UKIP), die mit 28 % stärkste Kraft aus Großbritannien wurde und die Alternative für Deutschland (AfD), die bei ihrer ersten Europawahl gleich 7,1 % der Stimmen in der BRD auf sich vereinen konnte. (vgl. Pausch 2015).
Sowohl Großbritannien als auch die Bundesrepublik Deutschland galten lange Zeit als wenig anfällig für rechtspopulistische Parteien (vgl. u.a. Decker 2004: 147ff; Priester 2012: 32; Fella 2008: 197), wobei Decker für die Bundesrepublik schon 2004 anmerkte, dass die Erfolglosigkeit des Rechtspopulismus nicht von Dauer bleiben muss, wenn eine Partei ohne interne Organisationsprobleme und mit Hilfe einer charismatischen Figur die ‚richtigen‘ Themen besetzen würde (Decker 2004: 160). Sowohl die UKIP als auch die AfD werden nicht nur häufig in den Medien (siehe Seils 2014; Zeit Online 2014), sondern auch von der politikwissenschaftlichen Forschung als ‚rechtspopulistisch‘ klassifiziert, bzw. werden ihnen zumindest rechtspopulistische Tendenzen unterstellt (siehe dazu auch die jeweiligen Kapitel C I.3 und C II.3). Dementsprechend sollten sich Belege für eine rechtspopulistische Einordnung beider Parteien auch in den öffentlichen Reden der jeweiligen Parteivorsitzenden wiederfinden lassen, für die UKIP wären dies Reden von Nigel Farage, für die AfD Reden von Bernd Lucke[2], der in seiner Rede auf dem AfD-EU-Parteitag in Aschaffenburg am 25.01.2014 den prägnanten, dieser Arbeit den Titel gebenden Spruch - „Wofür wir stehen und was den anderen fehlt“ beigesteuert hat. Der ganze Satz lautete: „Kurz, man muss klar machen, wofür wir stehen und was den anderen fehlt: Mut zu Deutschland!“ (Alternative für Deutschland 2014).
Welche antagonistischen Pole werden also in den öffentlichen Reden der Parteivorsitzenden von UKIP und AfD konstruiert und mit welchen Attributen werden diese versehen? Inwiefern lassen sich aus der (Rechts-) Populismustheorie entwickelte Kategorien in den Reden der Parteivorsitzenden als politische Strategien wiederfinden und werden unterschiedliche Schwerpunktsetzungen erkennbar?
Wie die öffentlichen Repräsentanten rechtspopulistischer Parteien in öffentlichen Reden versuchen, bestimmte Begriffe, politische Prozesse, usw. mit einer eigenen ‚Wahrheit‘ zu besetzen, sollte aufschlussreich sein und auch dem potentiellen Gegendiskurs neue Erkenntnisse liefern. Die Art der Verwendung bestimmter Schlüsselbegriffe prägt schließlich den gesamten Diskurs mit.
Der Erfolg von (rechts)- populistischen Parteien scheint also in vielen Ländern Europas mittlerweile Normalität zu sein. So gibt es auch immer häufiger Versuche der Zusammenarbeit von rechtspopulistischen und euroskeptischen Parteien auf EU-Ebene sowie außerparlamentarische Treffen und Absprachen (vgl. bspw. Spiegel Online 2014a, Spiegel Online 2014b). Vor der Wahl zum Europäischen Parlament im Jahr 2014 verhandelten Mitglieder der AfD mit der UKIP, um eine mögliche Koalition auszuloten. Insbesondere Bernd Lucke sprach sich jedoch dagegen aus (Spiegel Online 2014c).[3] Ende März 2014 lud die Jugendorganisation der AfD (Junge Alternative) Nigel Farage zu einer Veranstaltung in Köln ein, worüber sich Lucke zunächst noch beschwerte (Gerster 2014). Im November 2014 trat allerdings auch Bernd Lucke auf einer Veranstaltung auf, die von Nigel Farage ausgerichtet wurde (Spiegel Online 2014d). Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen wirklich bei der jeweiligen Programmatik, den Zielvorstellungen und den politischen Strategien? Auch zur Beantwortung dieser Frage lassen sich in einer inhaltsanalytischen Untersuchung der öffentlichen Reden zweier Parteivorsitzender sicher Anhaltspunkte finden.
Insbesondere in Deutschland ist ein Wandel des Parteiensystems festzumachen. Mittlerweile sind elf verschiedene Parteien in den Landesparlamenten vertreten. Anders als die Piratenpartei oder die NPD hat die AfD aber große Chancen auch ab 2017 im Bundestag eine Rolle zu spielen, immerhin konnte sie 2014 und Anfang 2015 bei allen bis dahin stattfindenden Landtagswahlen in die jeweiligen Parlamente einziehen (Brandenburg, Sachsen, Thüringen und Hamburg). Im Februar 2015 kommt sie zudem laut Umfragen auf Bundesebene konstant auf ein Ergebnis zwischen fünf und sieben Prozent. Dabei spielt ihr auch der Niedergang der FDP in die Hände, die es nach aktuellem Stand wohl schwer haben könnte, bei der Bundestagswahl 2017 die Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen. (vgl. Wahlrecht.de 2015a) Die AfD hat somit die Chance, sich möglicherweise auf nationaler Ebene als Partei ‚rechts‘ der CDU / CSU zu etablieren. Dies ist insbesondere deshalb bemerkenswert, weil wohl auch in der politikwissenschaftlichen Forschung nicht damit gerechnet wurde, dass eine Partei tatsächlich die Chance bekommt diese ‚Lücke‘ des Parteiensystems zu füllen. 2013 konstatierte Decker noch in einem wiederveröffentlichten Artikel (ursprünglich veröffentlicht im Jahr 2012): „Anders als in den meisten europäischen Ländern gibt es in Deutschland keine erfolgreiche Partei rechts von der Union.“ (Decker 2013: 121) Im September 2014 meint Seils dagegen schon, dass der Rechtspopulismus in Form der AfD jetzt auch zu Deutschland gehört: „Auch in Deutschland werden wohl bald niederländische, österreichische oder dänische Verhältnisse herrschen.“ (Seils 2014) Dies belegt eine höchst spannende und aktuelle Entwicklung des deutschen Parteiensystems, welche wohl noch lange nicht abgeschlossen ist.
In Großbritannien benachteiligt das relative Mehrheitswahlrecht kleinere Parteien wie die UKIP oder die Liberal Democrats (LD) stark. Auf europäischer Ebene ergibt sich jedoch ein anderes Bild dank des dort herrschenden Verhältniswahlrechts: Seit Ende der 1990er Jahre konnte UKIP erstaunlich gute und stabile Ergebnisse erzielen: “This progress has been spectacular and rather unprecedented for a new political force in Britain.“ (Fella 2008: 195). UKIP war bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2014 sogar die stärkste Kraft aus Großbritannien. Und gemäß den Umfragen vor der nationalen Parlamentswahl im Jahr 2015 wäre sie bei dieser zumindest auf 11 bis 17 Prozent der Stimmen gekommen, hätte möglicherweise dabei auch einige Wahlkreise für sich entscheiden und sich so zunehmend auf der nationalen politischen Ebene etablieren können (vgl. bspw. YouGov 2015a).
Hinzu kommt das Erstarken von islamkritischen bis hin zu islamophoben bzw. xenophoben Positionen im politischen Diskurs, der oft von rechtspopulistischen Parteien genutzt oder gar befeuert wird, um ein bestimmtes Wählerklientel anzusprechen. Man denke nur an die Hogesa- und Pegida- Demonstrationen, die Identitäre Bewegung Deutschland, die Sarrazin-Debatte, usw. Dabei wird mittlerweile versucht möglichst nicht als zu ‚extrem‘, sondern als ‚wahre Demokraten‘ oder ‚Stimme des Volkes‘ wahrgenommen zu werden, die der ‚schweigenden Mehrheit‘ eine Stimme verleihen soll. Die AfD-Spitze unterstützte im Dezember 2014 die Pegida-Demonstrationen (Süddeutsche.de 2014b) und signalisierte in Sachsen ‚inhaltliche Schnittmengen‘ (Tagesschau.de 2015). Auch Mitglieder und Kandidaten der UKIP haben in Großbritannien des Öfteren homophobe, islamophobe oder xenophobe Kommentare abgegeben, die kontrovers diskutiert werden (vgl. bspw. Rawlinson 2014). Auch wenn extreme Positionen im öffentlichen Diskurs eher selten von beiden Parteien bzw. ihren Vertretern geäußert werden, scheint es, dass man die durch jene Themen angesprochene potentielle Wählerschaft an sich binden möchte. Dies könnte auch darauf zurückzuführen sein, dass sich viele Wähler um den konservativen Kern der ‚christdemokratischen‘ Parteien betrogen fühlen, insbesondere auch was Familien-, /Gleichstellungs-, sowie Migrations- bzw. Integrationspolitik oder die innere Sicherheit angeht. Parteien wie die UKIP und die AfD könnten damit ein Auffangbecken für jene Konservativen sein, die sich nicht mehr durch ihre ‚alten‘ Parteien vertreten fühlen. Zunächst bleibt es dieser Arbeit jedoch vorbehalten zu klären, ob auch die zentralen öffentlichen Figuren beider Parteien – also ihre Parteivorsitzenden – in ihren Reden diese Themen aufgreifen und inwiefern sie beispielsweise Ressentiments oder vereinfachende Darstellungen aufgreifen, um ihre Absichten zu formulieren.
Zudem wird die EU von einigen Bürgern als intransparent, nicht legitimiert und undemokratisch angesehen. Stockemer untermauert in seiner Studie von 2011 die These, dass die Wahlbeteiligung bei Wahlen zum Europäischen Parlament in vielen Staaten deshalb so niedrig sei, da es eine wachsende Anzahl an Bürgern gäbe, die die Mitgliedschaft ihres Staates in der EU nicht unterstützen würden (Stockemer 2014: 42f). Die Rufe nach mehr Bürgerbeteiligung und nationaler Souveränität (bspw. durch Formen direkter Demokratie) finden sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene Widerhall. Laut einer Umfrage des italienischen Forschungsinstitutes Demos & pi hat nur noch eine knappe Mehrheit der Deutschen (53 %) Vertrauen in das Projekt Europa. In Großbritannien ist deren Anteil gar auf 28 Prozent gesunken. Insgesamt gesehen ist die Haltung der EU-Bürger aus allen Mitgliedsstaaten mehrheitlich EU-skeptisch (vgl. Schlamp 2015). In Großbritannien schießt auch Premierminister Cameron (Conservative Party) immer wieder gegen die EU: Er stellt Forderungen und droht bei Nichterfüllung mit dem möglichen Austritt Großbritanniens aus der EU (Spiegel Online 2014d). Der euroskeptische Diskurs ist zudem tief verwurzelt in der britischen Geschichte (vgl. Forster 2002) und wird von einer Partei wie der UKIP weiter befeuert.
Groß ist der Fundus an Populismustheorien und Definitionen. Aufgrund der vielen Erscheinungsformen (in Europa, Südamerika, Russland, USA, historische Populismen, sog. ‚Neo‘ – Populismen, Links- und Rechtspopulismen, populistischen Momenten, etc.) sind einheitliche Definitionen schwierig. Priester bezeichnet den schillernden Begriff des Populismus daher als ‚ambivalent‘ und ‚chamäleonhaft‘ (Priester 2012: 48). Falkenberg sieht ihn als „[…] scheinbar universell bzw. unpräzise“ (Falkenberg 1997: 22) an. Aber gerade diese Vielfalt macht das Theoriefeld des Populismus unglaublich spannend; auch weil er v.a. im europäischen Kontext oft als ‚Kampfbegriff‘ oder zur Diffamierung politischer Gegner genutzt wird. Das Herausarbeiten von Gemeinsamkeiten der Definitionsansätze ist somit eine ebenso sinnvolle wie notwendige Aufgabe, bevor auf dieser Basis überhaupt Untersuchungskategorien erstellt werden können.
All dies untermauert, dass die Analyse von Reden zweier Parteivorsitzenden rechtspopulistischer, euroskeptischer Parteien ein hochaktuelles und relevantes Themenfeld berührt und somit hoffentlich auch Anhaltspunkte für die weitere wissenschaftliche Bearbeitung liefern wird.
Im nächsten Kapitel wird kurz der Forschungsstand erläutert. Dies geschieht allerdings explizit wenig ausführlich, da die gängigste Literatur später in den jeweiligen Kapiteln vorgestellt wird und daher nichts vorweg genommen werden soll. Vielmehr soll die aufgeführte Literatur des Forschungsstands dazu dienen, sich bei Interesse möglichst schnell in die Thematik einlesen zu können.
Im Anschluss daran wird der theoretische Rahmen expliziert. Begriffe wie Populismus und Euroskepsis und die zugehörigen vielfältigen theoretischen Ansätze sollen ausführlich besprochen werden, um insbesondere ihre Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und das später in der Inhaltsanalyse angewandte Kategorienschema an die (Rechts-) Populismus – Theorie rückbinden zu können. Daraufhin soll der Forschungsgegenstand, die angewandte Methode sowie die Datenauswahl erörtert werden. In einem kurzen Zwischenfazit werden dann die relevanten aus der Theorie abgeleiteten Kategorien vorgestellt, die auf das Datenmaterial angewandt werden sollen.
Im Hauptteil der Arbeit werden zunächst die Parteiensysteme Großbritanniens und der BRD kurz vorgestellt und ein prägnanter historischer Einblick über die Phänomene Rechtspopulismus und Euroskepsis in beiden Staaten gegeben. Außerdem wird dargelegt, warum beide Parteien laut aktuellem Forschungsstand als rechtspopulistisch gelten. Dies ist notwendig, um begründen zu können, warum es überhaupt sinnvoll ist, ein aus der Populismustheorie abgeleitetes Kategorienschema auf das Datenmaterial anzuwenden.[4] Daraufhin werden die Personen Bernd Lucke und Nigel Farage kurz vorgestellt, bevor dann die Ergebnisse der eigentlichen Analyse ihrer Reden vorgestellt und miteinander verglichen werden. Es folgt ein Fazit, eine Zusammenfassung der aktuellen Entwicklungen (Stand: 31.05.2015) und ein Ausblick.
Das Thema umfasst ein sehr breites Spektrum an Literatur, sowohl in theoretischer als auch in empirischer Hinsicht. Der aktuelle Stand der Forschung wird in den dazugehörigen Kapiteln selbstverständlich ausführlicher erläutert werden. In diesem kurzen Kapitel soll ein kleiner Einblick in empfehlenswerte Literatur zum Einlesen gegeben werden. Zum Thema Populismus im Allgemeinen sind insbesondere zu erwähnen: Canovan (1981); Canovan (1999); Taggart (2000); Mudde (2004); Priester (2012); Puhle (2011); Laclau / Mouffe (2000); Laclau (2007); Decker (2006); Knape (2012). Falkenberg (1997) bietet einen sehr guten Überblick über den Stand der Populismustheorien bis in mittleren 1990er Jahren und zeigt selbst auf, wie stark bestimmte gesellschaftliche Entwicklungsphasen (gemeint sind insbesondere die Phänomene Krise und Krisenbewusstsein) eine erfolgreiche populistische Taktik beeinflussen. Für den Sonderfall des Rechtspopulismus sollten auch Rensmann (2006) und Geden (2006) nicht außen vor gelassen werden. Der Begriff des Euroskeptizismus, gleichzeitig einer der möglichen Indikatoren für Rechtspopulismus, wurde hauptsächlich von Szczerbiak / Taggart (2008) und Kopecky / Mudde (2002) geprägt.
Über die UKIP gibt es einige empirische Arbeiten, welche die Partei auf häufig recht unterschiedliche Weisen analysieren; so wird u.a. oft Bezug auf die potentielle / reale Unterstützer- und Wählerschaft genommen. Besondere Erwähnung sollten hier Abedi / Lundberg (2008); Martin / Smith (2014); Cutts et al. (2011); Cutts et al. (2012) und Lynch et al. (2012) finden. Røren und Todd liefern außerdem eine kurze, aber recht prägnante Studie, in welcher sie jeweils eine Rede der Parteivorsitzenden der UKIP und der norwegischen Fortschrittspartei (FP) auf einer populismustheoretischen Grundlage analysieren und dabei sowohl auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede eingehen. Als Kernergebnis ihrer Studie lassen sich insbesondere drei Schwerpunkte ausmachen, die die Reden beider Parteivorsitzender charakterisieren: Anti-Establishment-Einstellungen, Libertarismus und Immigration. Diese treten jedoch unterschiedlich stark und mit abweichenden Schwerpunktsetzungen zu Tage (Røren / Todd 2014: 29). Hädicke veröffentlichte 2012 eine Masterarbeit, in der sie Reden von Nigel Farage analysierte, allerdings eher auf einer sprachwissenschaftlichen Ebene. Sie stellt fest, dass Farage auf rhetorische Werkzeuge zurückgreift, die einem zu Grunde liegenden euroskeptischen Populismus gute Dienste leisten (Hädicke 2012: 52). Hayton analysiert die UKIP dagegen im Zusammenhang mit den Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 2009, bei welcher die Partei 16,6 % der britischen Stimmen ergattern konnte. Er attestierte der Partei damals, dass sie aller Voraussicht nach auch in der näheren Zukunft zumindest auf der europäischen Ebene eine wichtige Rolle spielen wird (Hayton 2010: 33). Festhalten lässt sich, dass in der wissenschaftlichen Forschung eine recht große Einigkeit darin besteht, die UKIP als rechtspopulistisch und ‚hart‘ euroskeptisch nach Taggart / Szczerbiak bzw. als ‚Eurorejects‘ nach Kopecký / Mudde zu kategorisieren (siehe Kapitel B II.3).
Auch zur AfD gibt es schon einige empirische Arbeiten – insbesondere herausgegeben von politischen Stiftungen – bei denen jedoch zum Teil angenommen werden kann, dass sie ihr Ergebnis schon vorweg nehmen (bspw. klare Einordung als rechtspopulistische Partei schon im Titel der Studie; siehe z.B. Bebnowski / Förster 2014). Andere - möglicherweise differenziertere Arbeiten - sehen es zumindest als vorschnell an, die Partei komplett dem rechtspopulistischen Spektrum zuzuordnen, heben aber trotzdem die populistischen Anteile hervor. Dies ist sicherlich auch dem Umstand geschuldet, dass die Partei relativ neu in der politischen Landschaft Deutschlands ist und sich selbst noch in einer gewissen ‚Orientierungsphase‘ befindet. Als beispielhafte wichtige Studien sind hier zu nennen: Lewandowsky (2014); Häusler (2013); Häusler (2014); Niedermayer (2015b); Plehwe / Schlögl (2014) und Arzheimer (2015). Letzterer macht in seiner Untersuchung des Programms der AfD für die Wahl zum Europäischen Parlament am 25. Mai 2014 gar keine populistischen Merkmale aus und kategorisiert die AfD als Rechtsaußen-Partei mit ‚weichen‘ (soft) euroskeptischen Zügen (Arzheimer 2015: 24). Allerdings gilt es hier zu beachten, dass die Strategien des (Rechts-) Populismus wohl grundsätzlich eher über öffentliche getätigte Diskursbeiträge wie bspw. Reden, Interviews, Pressemitteilungen, Statements in politischen Talkshows, usw. zum Tragen kommen und eher bedingt in einem Wahlprogramm. Die wohl umfassendste Arbeit über die AfD liefern Häusler und Roeser, in welcher sie zu dem Schluss kommen, dass die AfD hinsichtlich ihrer politischen Positionierungen als rechts der CDU / CSU und der FDP stehend eingeordnet werden kann. Sie weise innerparteilich sowohl nationalliberale, nationalkonservative als auch rechtspopulistische Strömungen auf (Häusler / Roeser 2015: 145). Andere Autoren setzen dagegen einen bestimmten thematischen Fokus; so beschäftigt sich zum Beispiel Kemper (2014) insbesondere mit der Familien- und Geschlechterpolitik der AfD.
Ein Vergleich zwischen den Parteiprogrammen von UKIP, AfD und dem Front National (FN) in Frankreich findet sich in Bezug auf die Empfänglichkeit gegenüber öffentlichen Anti-Migrationseinstellungen in einer Bachelor-Arbeit von Kulesza. Seine Studie kommt dabei u.a. zu folgender Erkenntnis:
“I can say that party manifestos of right-wing populist parties in France, Germany and the United Kingdom reflect public attitudes, or more precisely negative attitudes on immigration to a large extent.” (Kulezsa 2014: 33)
Ein Vergleich ausgewählter Reden von Lucke und Farage findet sich bisher noch nicht, diese Arbeit möchte einen Beitrag dazu leisten, diese Lücke schließen.
Der Duden definiert Populismus als „[…] von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen (im Hinblick auf Wahlen) zu gewinnen.“ (Duden 2013) Demagogie deutet auf die Ausgrenzung von bzw. Hetze gegen bestimmte Gruppen hin, Opportunismus dagegen meint insbesondere das Ausnutzen von bestimmten bestehenden situativen Gegebenheiten. Das lateinische ‚Populus‘ (=Volk) lässt darauf schließen, dass ein bestimmtes Klientel angesprochen werden soll, welches sich von anderen Gruppen unterscheidet. Gleichzeitig weist das Wort darauf hin, dass Populismus in einem – noch genauer zu klärenden - Verhältnis zur Demokratie steht (dēmos = Staatsvolk). Trotzdem bleibt der Begriff seltsam ungenau. Vor allem im westeuropäischen Kontext wird der Vorwurf des Populismus in der politischen Debatte dazu genutzt, Aussagen und Inhalte politischer Gegner zu denunzieren, wenn man sie zwar für populär, aber unerwünscht bzw. nicht sinnvoll hält: „Die Zuschreibung ‚Populist‘ gilt heute als Beleidigung; Populisten sind gewissermaßen die Schmuddelkinder unter den Politikern.“ (Priester 2007: 7)
Wie schon bereits erwähnt, gibt es auch in der sozialwissenschaftlichen Hinsicht eine Vielzahl an Populismusdefinitionen.[5] Eine einheitliche, auf alle als ‚populistisch‘ bezeichneten Phänomene zutreffende Beschreibung des Terminus zu finden, ist wohl schlicht nicht möglich.
„Er [= der Populismus] ist Strategie oder Instrument von Organisationen, Politikern und Klassen und kommt als Ideologie, ein anderes Mal als sozialer Reflex daher. Populismus ist reaktionär, revolutionär oder auf den Status-quo bezogen und demokratisch oder antidemokratisch orientiert. Er ist instrumenteller Bestandteil von (oder bestimmend im) Konservatismus, Sozialismus und Liberalismus.“ (Falkenberg 1997: 22)
Eine solch weit gefasste definitorische Aussage wie die von Falkenberg ist sicherlich wissenschaftlich nicht allzu hilfreich. Der Begriff Populismus ist per se ungenau, schillernd und nebulös (Hartleb / Wielenga 2011: 7) oder anders formuliert: er ähnelt einem Pudding, der sich nicht an die Wand nageln lässt. Er kann Herrschaftstechnik oder eine soziale Protestbewegung sein. Er kann Form oder Inhalt sein oder beides miteinander verknüpfen (Meyer 2005: 13). Populistische Bewegungen unterscheiden sich schon allein durch die Staaten, in denen sie sich formieren und möglicherweise weitere regionale Merkmale (beispielsweise bei ‚populistischen‘ Sezessionsbewegungen) sowie durch die historischen Umstände. Des Weiteren setzen Populisten eher auf Mobilisierungen, Stimmungen und Anti-Haltungen, die durch Gesten, Stile und Symbole vermittelt und bestärkt werden sollen. Klare ausdifferenzierte Programme und Definitionen spielen keine so große Rolle (Werz 2003: 9), deshalb ist es auch nicht ratsam von einer ‚populistischen Ideologie‘ zu sprechen. So fallen in den verschiedensten Studien Begriffe wie Links-, Rechts-, Anti-Europa-, National-, oder Neopopulismus. Ein deutliches Zeichen dafür, dass der Populismusbegriff sehr differenziert gedacht wird, da er sich verschiedensten Programmatiken und / oder ‚Ideologien‘ des politischen Spektrums bedienen kann und für spezielle Fälle auch spezielle begriffliche Definitionen von Nöten sind. Trotzdem muss es ja etwas geben, was all diesen ausdifferenzierten Untertypen weiterhin gemeinsam ist.
Schon die beiden historischen Paradebeispiele für die Entstehung von Populismen im 19. Jahrhundert, die russischen ‚Narodniki‘ (= Volkstümler) und die Farmerbewegung in den USA, deren parteipolitischer Ableger, die ‚People’s Party‘ bzw. ‚Populist Party‘, weisen trotz aller Gemeinsamkeiten auch wesentliche Unterschiede auf, obwohl sie beide als Reaktion auf umfassende gesellschaftliche Modernisierungsprozesse (Industrialisierung, Monopolisierung) zu sehen sind und sich selbst über den Begriff Populismus bzw. einem verwandten Namen definiert haben.
Die nordamerikanischen Bewegungen formierten sich auf dem Lande als Ausdruck von Protest gegen die zunehmende politische Macht von Großstädten, den Monopolen von Eisenbahngesellschaften, Trusts und Banken, Profiten von Zwischenhändlern und gegen die deflationistische Politik der Regierung im Zeichen des Goldstandards. Damit artikulierten sie v.a. die Interessen der Farmer und forderten die Wiederherstellung des vermeintlich erfolgreichen amerikanischen Ideals der ‚agrarischen Demokratie‘, insbesondere also eine ‚grass roots‘ – Politik (Partizipation von unten) ohne zwischengeschaltete Elemente (Puhle 2003: 19f). Obwohl sie die Präsidentenwahlen verloren, wurden ihre Forderungen zu einem Großteil in späterer Zeit erfüllt, da die beiden großen Parteien sie übernahmen. Somit misslang zwar die Revolte von kleineren und mittleren Unternehmern, Erfolge verbuchen konnten sie aber indirekt durch das Einlösen ihrer Forderungen innerhalb einer folgenden Reformpolitik durch andere Akteure. Die Rhetorik vom ‚common man‘, also vom ‚einfachen‘ oder ‚kleinen Mann‘, das Schüren von Ressentiments (insb. Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit), autoritäre und nativistische Tendenzen sowie die Dämonisierung der Eliten, eines starken zentralen Staats und von Industriekapitalisten (vgl. auch Unger 2008: 57ff; Hennessy 1969: 28ff) trugen sicherlich dazu bei, bei der Landbevölkerung basisdemokratische Unterstützung zu finden und damit gleichzeitig als Sozialreformer einen Wandel vollziehen zu können (Puhle 2003: 21; Priester 2012: 13). In den 1970er Jahren galten in den USA auch linksliberale Bewegungen als populistisch, die bspw. mehr Partizipation und lokales Engagement der Bürger forderten (Priester 2012: 13); Populismus in den USA ist daher ähnlich wie in Lateinamerika oder der kemalistischen Türkei (heißt: das Volk wird durch die Partei repräsentiert; vgl. Puhle 2011: 1) ein durchaus positiv besetzter Begriff, ganz im Gegensatz zum (west-) europäischen Verständnis.[6]
Die ‚Narodniki‘ in Russland dagegen kamen im Vergleich zu den amerikanischen ‚Populists‘ aus einem völlig anderen Kontext: Sie waren städtische Intellektuelle, die das traditionelle Leben auf dem Land romantisierten und darin ein Konzept gegen den auch in Russland aufkommenden Industriekapitalismus sahen. So stammten die ‚Narodniki‘ selbst nicht aus dem ‚Volk‘, das sie politisieren wollten. Sie führten eine Protestbewegung an, die einerseits stark reaktionär war, andererseits bekämpften sie aber sowohl den Kapitalismus als auch das zaristische System. Der Staat sollte zerschlagen und Genossenschaften von ‚relativ gleichen‘ gegründet werden. Am Ende der Entwicklung sollte im Prinzip eine Art Agrarkommunismus stehen. Daran anknüpfen konnten später sowohl russische Sozialdemokraten, Anarchisten als auch der Leninismus (Puhle 2003: 22).
Allein an diesen beiden Beispielen wird deutlich, dass zwei als ‚populistisch‘ geltende Bewegungen sehr unterschiedliche Entwicklungsbedingungen und Ziele haben können. Die ‚Populists‘ als Reformer in der ‚Ersten Welt‘ bzw. als Protest im entwickelten Industriekapitalismus und die ‚Narodniki‘ als revolutionäre Ausgabe von Populismus in der dritten Welt, also quasi Populismus als Motor von Entwicklung in eher unterentwickelten Ländern: „Hier steht Protest gegen Projekt.“ (Puhle 2011: 4) Gemeinsames Moment bleibt jedoch, dass sie als Reaktion auf Modernisierungsprozesse entstanden sind. Als weitere Beispiele dafür könnte man das Aufkommen jeweils verschiedenster ‚Populismen‘ in Lateinamerika (die versuchten, einen eigenen anti-imperialistischen und nationalen Weg in die Moderne zu beschreiten) und in dekolonisierten Entwicklungsländern anführen (vgl. auch Puhle 2003: 36ff). Auch faschistische Bewegungen oder der Maoismus in China weisen insbesondere in ihren Gründungsstadien oft populistische Züge auf, Puhle hält es jedoch für verfehlt sie deshalb als populistisch zu kategorisieren, da sie ideologisch sehr stark ausgeprägt waren und eher populistische Strategien und Mittel nutzten (Puhle 2003: 31).
Der Agrarpopulismus in den USA verfügte über keine konsistente Gesellschaftstheorie, sondern vertrat eine ‚dünne Ideologie‘, war von sich heraus nicht hegemoniefähig, sondern tendierte durch Anpassung an seine Umwelt zum politischen Farbwechsel. Die diskursive Praxis der Polarisierung zwischen ‚Volk‘ und ‚Elite‘, zwischen ‚klein‘ und ‚groß‘, zwischen ‚unten‘ und ‚oben‘ unterschied ihn allerdings von anderen Strömungen und Tendenzen. Dabei kam und kommt aber im Falle des Populismus kein Klassenstandpunkt zum Ausdruck; die ‚Populists‘ waren weder antikapitalistisch noch antidemokratisch ausgerichtet. Dem ‚Volk‘ oder den ‚kleinen‘ gehörten nach Auffassung der Populisten jene Menschen an, die für ihren Lebensunterhalt hart arbeiteten, egal ob Bauern, Handwerker oder Kleinunternehmer, die durchaus auch der Mittelschicht angehören konnten. Dieses dichotome Weltbild ist seither maßgeblich für jegliche Form von Populismus (Priester 2012: 12f).
Populismus kann also je nach Betrachtungsweise als Form, Herrschaftstechnik, soziale Protestbewegung, Stil, Inhalt, Strategie zum Machterwerb oder zum Machterhalt, Diskurspraxis, Ideologie, oder als rhetorischer Abgrenzungbegriff auftreten. Letzterer bezeichnet „[…] ein bestimmtes politisches Kommunikationsverhalten unter den Bedingungen moderner Struktur von Öffentlichkeit […].“ (Knape 2012: 61) Für diese Arbeit dürften jedoch Populismuskategorien aus all diesen Forschungsströmungen von Bedeutung sein. Immerhin vermitteln die Parteivorsitzenden in ihren Reden bestimmte Inhalte, verfolgen eine politische Strategie, die einer bestimmten Form folgt und greifen auf rhetorische Mittel zurück, um das Publikum anzusprechen. Deshalb sollen in dieser Arbeit die (oft durchaus deutlich hervortretenden) Unterschiede und Widersprüche zwischen verschiedenen Populismusverständnissen nur eine Nebenrolle in der theoretischen Betrachtung spielen, auch da darüber schon ein recht großer Fundus an wissenschaftlichen Arbeiten und Artikeln verfügbar ist. Vielmehr scheint es angebracht, die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, um eine für diese Arbeit zweckmäßige Grundlage zu schaffen. Aufgrund dessen werden hier auch nicht alle Ansätze der Typen- und Definitionsbildung zum Thema Populismus vorgestellt; empfohlen seien hier jedoch für einen guten Überblick insbesondere die Arbeiten von Priester (2012) und Falkenberg (1997).
Canovan spricht von einer Doppeldeutigkeit, die der Demokratie an sich inhärent sei. Sie versteht Populismus als einen Schatten, der pragmatische Systeme (also bspw. Demokratien) als ein ‚erlösendes‘ Moment begleitet (Canovan 1996: 16). Über dieses erlösende Moment von Populismus lässt sich sicherlich streiten, v.a. wenn sich der Populismus antidemokratisch geriert. Albertazzi und McDonnell greifen in Anlehung an Arditi (2007: 42ff) lieber auf den Begriff des ‚Gespents‘ (‚spectre‘) zurück (Albertazzi; McDonnell 2008: 10); übrigens ein Ausdruck der v.a. auch in den Medien oft aufgegriffen wird, wenn gegen ein Verständnis von Populismus als demokratiebedrohend argumentiert wird (vgl. bpsw. Micus 2014; Greiner 2014). “A spectre can be something that both accompanies democracy and haunts it.” (Arditi, 2004: 141)
Wie auch immer sie im Detail ausformuliert werden, diese Ansätze sind sicherlich auch deshalb interessant, da sie Raum für die Forschung lassen, mögliche ‚positive‘ Aspekte von auftretendem Populismus zu untersuchen. Populistische Bewegungen berufen sich laut Canovan auf das Volk und bringen sich als Opposition gegen eine Elite (das Establishment) in Stellung. (Canovan 1981: 289ff). Diese Aussage ist natürlich an sich noch recht wenig substantiell, da sich u.a. auch sozialistische Bewegungen als Opposition gegen ein politisches Establishment ansehen würden. Canovan verzichtet gar auf eine ‚richtige‘ Definition und unterteilt Populismus zunächst in die beiden Typen agrarischen und politischen Populismus, welche daraufhin in sieben weitere Grundtypen ausdifferenziert werden. Problematisch ist dabei - und deshalb muss man Priesters Kritik zustimmen -, dass die Frage offen bleibt, warum der agrarische Populismus des 19. Jahrhunderts nicht politisch war (vgl. Priester 2012: 33). Falkenberg und Priester sind sich außerdem darin einig, dass Canovans Typologie zu „impressionistisch“ (Priester 2012: 34) bzw. „zu allgemein“ (Falkenberg 1997: 26) und deshalb kaum informativ ist.
Cas Mudde ist ein Vertreter der ideologiegerichteten Populismusforschung. Auch er bildet drei Typen heraus (Agrarpopulismus, ökonomischer Populismus, politischer Populismus), für die das gleiche Maß Skepsis gelten muss wie bei Canovans Typen (vgl. Mudde 2001; Priester 2012: 35). Er definiert Populismus allerdings in einer auf Rousseau rekurrierende Art und Weise folgendermaßen:
“as an ideology that considers society to be ultimately separated into two homogeneous and antagonistic groups, ‘the pure people’ versus ‘the corrupt elite’, and which argues that politics should be an expression of the volonté générale (general will) of the people.” (Mudde 2004: 562)
Bei dieser Betrachtungsweise wird der Begriff des Populismus absichtlich ohne den Einbezug einer sozialen Herkunft (bspw. Klasse), ökonomischen Programmen, Themen und seiner Wählerschaft definiert. Ähnlich tun dies auch Albertazzi und McDonnell, denn für sie ist Populismus:
“an ideology which pits a virtuous and homogeneous people against a set of elites and dangerous ‘others’ who are together depicted as depriving (or attempting to deprive) the sovereign people of their rights, values, prosperity, identity and voice.” (Albertazzi / McDonnell 2008: 3)
Priester weist hier jedoch darauf hin, dass es wohl zu Recht umstritten ist, von Populismus als Ideologie zu sprechen. Er ist aufgrund seiner hohen Kontextabhängigkeit und Reaktivität einer Ideologie viel mehr vorgelagert, quasi höchstens eine Art ‚dünne Ideologie‘; auch da er weder eine Gesellschaftsdoktrin noch eine reflexive Ideologie darstellt (Priester 2012: 40; siehe auch Rensmann 2006). In beiden Definitionsvorschlägen wird ein dichotomes antagonistisches Verhältnis dargestellt:
„[…] der Populismus [muss] historisch verortet und im jeweiligen zeitlichen und systemischen Kontext analysiert werden. Populismus kann als eine ‚dünne‘ Ideologie konzeptionalisiert werden, in deren Zentrum eine pauschale Entgegensetzung von ‚gutem Volk‘ und ‚korrupter Elite‘ (‚die da oben‘) steht.“ (Rensmann 2006: 76).
In Laclaus - von Gramscis Hegemonietheorie beeinflusstem - Populismusbegriff wird eben diese Antagonisierung in den absoluten Mittelpunkt gestellt und Populismus als Diskurspaxis verstanden. Die Hegemonietheorie Gramscis betont u.a. die Notwendigkeit der Findung von Kompromissen und Konsensen im politischen Entscheidungsprozess (Gramsci 2012: ff). Laclau und Mouffe bauen ihre diskurstheoretische, radikaldemokratische und postmarxistische Hegemonietheorie darauf auf: Antagonismen werden in Gesellschaften konstruiert. (vgl. bspw. Auer 2008: 252). Das Soziale könne sich ohne Antagonismen und Konflikte erst gar nicht konstituieren (Laclau / Mouffe: 2000). Folgt man diesem Gedanken ist ein grundlegendes Prinzip der modernen Gesellschaft also die Konflikthaftigkeit (Auer 2008: 254). Dies gilt konsequenterweise auch für moderne Demokratien, da es „[…] gerade die Unmöglichkeit einer endgültigen Lösung [ist], die Demokratie möglich macht.“ (Auer 2008: 258). Laclaus Populismusbegriff besitzt keinen klaren ‚ideologischen Kern‘, sondern er formiert sich ständig neu, ist dabei klassenunspezifisch und kann absolut differenten politischen ‚Leitlinien‘ folgen. Die unterschiedlichsten Forderungen werden unter einem extrem vagen gemeinsam Dach – ‚dem Volk‘ – als ‚antagonistisches Projekt‘ gegen das Establishment gebündelt. Dabei formiert sich dieser kollektive Wille durch einen sich selbst produzierenden Diskurs (vgl. Priester 2012: 46) sog. ‚leerer Signifikanten‘, die das Allgemeine zu repräsentieren versuchen und für eine Äquivalenzkette stehen, die in diesem Kontext wiederum als Voraussetzung zur Bildung einer gemeinsamen Identität verstanden wird (Nonhoff 2008: 308). Jeder partikulare Inhalt wird also auf ein Minimum heruntergebrochen, um der Pluralität der Akteure gerecht zu werden (vgl. auch Priester 2012: 46).
“The empty signifier can operate as a point of identification only because it represents an equivalential chain.”(Laclau 2007: 162).
Sehr vereinfacht und veranschaulichend ausgedrückt können also Begriffe wie ‚Gerechtigkeit‘, ‚Nation‘, ‚Fortschritt‘, ‚Alternative‘ oder auch ‚Volk‘ (die letzteren sogar namensgebend für die norwegische Fortschrittspartei, die AfD sowie die heutige Dänische Volkspartei und deren Vorläufer; vgl. Kuschel 2014a: 6) eine große Menge an Aussagen, Einstellungen, Interessen, Forderungen, Werten, usw. unter einem gemeinsamen ‚Dach‘ bündeln. Sie werden damit ihrer eigentlichen etymologischen Bedeutung entrissen, sie werden ‚allgemein‘ und letztlich eben zu leeren Signifikanten, die für ein hegemoniales Projekt stehen. Die Synthese von dieser Konstruktion und der parallel dazu verlaufenden Inbezugnahme des Volkes (‚people‘) wird von Laclau gar als “the political operation par excellence“ (Laclau 2007: 153) angesehen: “Without production of emptiness there is no ‚people‘, no populism, but no democracy either“ (Laclau 2007: 169). Ähnlich wie bei den meisten schon angesprochenen Populismustheorien ist besonders wichtig festzuhalten, dass Populismus der Demokratie in einer bestimmten Art und Weise inhärent zu sein scheint. Allerdings stellt sich hier natürlich die Frage, wie sich Laclaus Populismusvorstellung in ihrer letzten Konsequenz überhaupt noch von hegemonialen Projekten sowie von Demokratie und Politik differenzieren lässt. Priester merkt zudem an, dass Laclau „[…] eine völlige Beliebigkeit zwischen links und rechts [postuliert].“ (Priester 2012: 46) Zudem kritisiert sie, dass Laclau Populismus quasi als ‚Motor der Geschichte‘ – durch einen permanenten manichäischen Kampf der Gegensätze (Antagonismen) – definiert (Priester 2012: 46f). Das Ende des Populismus bedeutet nach Laclau gleichzeitig das Ende von Politik an sich (vgl. Laclau 2005: 48). Populismus wird also zum Synonym für ‘das Politische’ erhoben, er wird eine ontologische Kategorie (Priester 2012: 47). Somit ist Laclaus Denken nicht nur durch eine Formalisierung geprägt, sondern es „ [… ] [bringt] auch eine Überdehnung des Populismbegriffs mit sich.“ (Priester 2007: 40). „[…] Philosophisch festgelegte Begriffe (z.B. Antagonismus oder Dialektik) [werden] nur noch als Jargon eingesetzt […].“ (Priester 2007: 41) Auch Beasley-Murray schließt sich dieser Kritik an: “Laclau's theory loses its capacity to say much that is meaningful about either power or politics […] [and is so] unable to solve the basic problem that populism poses.” (Beasley-Murray 2006: 366f) Insbesondere für die doch gerade für den europäischen Kontext relevante Differenzierung zwischen linkem und rechtem Populismus erweist sich somit Laclaus Theorie als nur schwer bzw. gar nicht operationalisierbar; allerdings sind einige aus der Diskurstheorie entnommenen Ansätze durchaus auch für diese Arbeit interessant und werden insbesondere bei den Erläuterungen zum Forschungsgegenstand noch eine Rolle spielen (siehe Kapitel A III.)
Laclaus Konzept fällt hier also eher aus dem Rahmen. Dagegen eint die Opposition gegen eine als ‚korrupt‘ angesehene Elite Muddes und Canovans Auffassungen von Populismus. Falkenberg gibt beiden insofern recht, als dass „[…] im unreflektierten Protest, mit dem eine Gesellschaft in ‚Große‘ und ‚Kleine‘ unterteilt wird, kein Klassenstandpunkt zum Ausdruck kommt.“ (Falkenberg 1997: 23) Populismus besitzt also die Kraft über Klassen hinweg die ‚Mitte der Gesellschaft‘ anzusprechen.[7] V.a. bei aktuellen Populismen in Europa ist es zudem wichtig darauf hinzuweisen, dass die Kategorisierung ‚Volk‘ oft nicht mehr angewandt wird, vielmehr berufen sich viele Populisten wohl eher auf das neue Leitbild des ‚mündigen Bürgers‘ (vgl. Priester 2007: 8). Sie behaupten in Folge dessen sich des ‚gesunden Menschenverstandes‘ eben jener mündigen Bürger in ihrem Handeln zu bedienen (vgl. auch Knape 2012: 62). Ähnliche semantische Verschiebungen lassen sich nicht nur im deutschsprachigen Kontext beobachten (vgl. Priester 2012: 26).
Die Folgen von Modernisierungsprozessen und eine daraus abgeleitete Angst vor dem sozialen Abstieg, Deklassierung und Statusverlust sind ein weiteres zentrales Merkmal für das Aufkommen von Populismen. Allerdings ist nach Priester davon auszugehen, dass Populismus keineswegs ein Unterschichtenphänomen ist: „Autoritäre Tendenzen sind in allen sozialen Schichten vorhanden, in der Mittelschicht überdies auch ein Sozialdarwinismus der Starken gegenüber den Schwachen.“ (Priester 2012: 19) Problematisch ist, dass der Umgang mit dem Populismus in (West-) Europa weitgehend aus der Perspektive der Eliten stattfindet, die ein Bild von populistischen Wählern als ‚Ausgeschlossene‘, ‚Unterschicht‘, ‚Couch-Potatos‘ zeichnen. Auch der Identitätsdiskurs wurde von den Eliten vernachlässigt und „[…] unter den Verdacht eines Rückfalls in Essentialismus und Nationalismus gestellt und damit den Populisten überlassen.“ (Priester 2012: 20). Viel Wahrheit steckt wohl in Priesters Anmerkung, dass „[…] der mündige Bürger des neuen Populismus […] [sich] nicht länger am Gängelband der ‚political correctness‘ führen [lässt].“ (Priester 2012: 26) Somit kann sich der eigentlich anti-intellektuelle Populismus intellektualisieren und bereitet parallel auch Intellektuellen einen Anknüpfungspunkt, die sich selbst als ‚Außenstehende‘ (quasi abseits des ‚Mainstreams‘) definieren würden (Priester 2012: 26).
Aufschlussreich ist auch Taggarts Begriff des heartland, den man wohl am besten übersetzt als ‚Kernland‘, ‚Zentrum‘ oder auch ‘Lebenswelt’: “the heartland represents an idealised conception of the community […] [the populists] serve” (Taggart 2004: 67). Dieses heartland stattet das ‚Volk‘, auf das man sich beruft, mit Kernwerten aus, die der Elite – also ‚denen da oben‘ fehlen würden. Damit wird ein immer schon vorhandenes Wissen um die ‚gute Gesellschaft‘ angesprochen. Herz und Gefühl stehen eher im Mittelpunkt als Theorie und Verstand (Priester 2007: 19). Das heartland kann abhängig vom Kontext mit unterschiedlichen Inhalten oder ideologischen Elementen gefüllt werden (Priester 2012: 36).
“The concept of the heartland allows us to see the commonality across different manifestations of populism, while at the same time allowing each instance of populism to construct its own particular version of the heartland.” (Taggart 2000: 98)
Taggart sieht Populismus als “accompaniment to change, crisis and challenge“ (Taggart 2004: 69) an. ‘Change’ bezeichnet dabei v.a. ablaufende Modernisierungsprozesse, ‘challenge’ die Infragestellung und Anfechtung von bestimmten Prozessen wie der europäischen Integration, oder, wie Taggart selbst schreibt: “[…] the European integration project as at the heart of the new Europe, is a challenge to those that base their political values on an explicit or implicit heartland.” (Taggart 2004: 280) ‚Crisis‘ weist daraufhin, dass Populisten v.a. einen Zeitpunkt des starken Krisenempfindens (‚strong sense of crisis‘) für sich nutzen, um ihrer Botschaft einen hohen Stellenwert und Dringlichkeit beizumischen (vgl. Taggart 2004: 275). Taggart hat einen klaren Bezug zur europäischen Populismusdebatte; er beschäftigt sich insbesondere auch mit euro- und EU-skeptischen Tendenzen (siehe bspw. Szczerbiak / Taggart 2008; Taggart 1998) weshalb man die Frage stellen muss, ob Taggarts Eingrenzungen auch für außereuropäische Phänomene gelten könnten, wie etwa in Lateinamerika.
Außerdem weist Taggart ebenso wie Unger (2008) auf eine externe Gemeinsamkeit hin, die auch nach Falkenberg auf „[…] alle als populistisch klassifizierten Organisationen und Bewegungen zutrifft: […] der Faktor ‚Krise‘ […]“ (Falkenberg 1997: 24). Auf ‚krisenhafte‘ Fehler im System machen populistische Bewegungen aufmerksam, indem sie auf sie reagieren. Dies passiert bspw. wenn das Demokratie- und Vertrauensdefizit in Bezug auf die EU angesprochen und kritisiert wird. Inwieweit wirklich eine ‚Vertrauenskrise‘ besteht, ist sicherlich noch einmal gesondert zu analysieren. Wichtig ist aber - wie Taggart betont - ein Krisenempfinden. Auf dieses deuten aktuelle Umfrageergebnisse zur EU tatsächlich hin (siehe bspw. Schlamp 2015). Diese „ungünstigen Krisenkonstellationen“ (Puhle 2011: 16) können populistischen Bewegungen neue Chancen eröffnen. Die Krise ist somit eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine für populistische Politik besonders günstige ökonomisch-soziale und politische Gesamtkonstellation, die Puhle wiederum als ‚populistischen Moment‘ bezeichnet (Puhle 2011: 15). Zu diesem gehört zudem eine Fragmentierung und ein Wandel der Parteienlandschaft, die Verfügbarkeit und der Einsatz neuer elektronischer Medien (Puhle 2011: 15) oder - wie Priester ausführt - heutzutage insbesondere die Tendenz zur Kooperation von weitgehend entideologisierten Volksparteien, die auf ein von Konkordanz geprägtes System und Interessenausgleich untereinander setzen. Dies kann sich zudem widerspiegeln in der Alternativlosigkeit großer Koalitionen. Der Populismus selbst kann sich dann an gänzlich unterschiedlichen Problemlagen eines derartigen situativen Umfelds entzünden (Priester 2012: 16): „Dabei ist jener Zeitpunkt der Bewusstwerdung oder der Zuspitzung bereits latent vorhandenen Krisenempfindens identisch mit dem populistischen Moment.“ (Falkenberg 1997: 188) Der populistische Moment ist also an sich auch Indikator für eine problematische gesellschaftliche Entwicklung (Falkenberg 1997: 189), der möglicherweise in ihrem Anfangsstadium noch entgegengesteuert werden könnte. Die Ängste werden aus einer reinen Systemlogik heraus nicht auf das politische System als Ganzes gelenkt, sondern auf zumindest gefühlte Bedrohungen von außen, wie etwa internationale und organisierte Kriminalität, Masseneinwanderung, islamischer Fundamentalismus, etc. Die Schuld für das Auftreten jener Phänomene tragen dieser Logik folgend wiederum die Eliten, das sie ihnen einen Nährboden bereiten würden. Somit erklärt sich auch die Abhängigkeit populistischer Politik von Krisen und den sich daraus potenzierenden Sicherheitsbedürfnissen in einer Gesellschaft (Falkenberg 1997: 49).
Falkenberg, Puhle, Priester und Canovan sind sich jedoch relativ einig darin, dass die Spannung, die populistische Phänomene zu Demokratien aufbauen, durchaus ‚positiv‘ auf das demokratische System einwirken kann, insofern auf die – zumindest gefühlten – Krisen angemessen reagiert und demokratieverträglich gehandelt wird. Dies ist dann aber insbesondere auch Aufgabe der ‚Eliten‘ selbst, da Populisten eben gerade „[…] außerhalb des sogenannten Establishments […] [und] gegen das Establishment [agieren].“ [8] (Falkenberg 1997: 43) Eine weitere bedeutende Gemeinsamkeit aller populistischen Bewegungen ist also, um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: „[…] a core anti-establishment position” (Mudde 2007: 29).
Zusammenfassend, sind die zentralen Merkmale von Populismus, dass er auf Krisen, Defizite oder Problemzustände in einer modernen Gesellschaft hinweist. Die daraus resultierenden Antagonismen werden als Konflikte in einer Arena des politischen Diskurses ausgetragen. Die Gegensätzlichkeit von Volk gegen Elite (bzw. ‚klein‘ gegen ‚groß‘ oder ‚mündiger Bürger‘ vs. ‚Establishment‘) stellt dabei den Dreh- und Angelpunkt dar. Die Elite bzw. das Establishment wird als Verursacher bzw. Unterstützer der zumindest ‚gefühlten‘ Fehlentwicklungen ausgemacht: “In the populist’s view, democracy as it functions is attacked in the name of democracy as an ideal.” (Abts / Krouwel 2007: 265). “[Populism is] […] an expression of dissatisfaction with existing modes of organization of elite-mass political intermediation and the desire to abandon the intermediaries that stand between citizens and rulers.“ (Kitschelt 2002: 179). Forderungen nach Formen direkter Demokratie sind nur folgerichtig. Insofern findet eine Homogenisierung von Inhalten, Werten und Zielsetzungen statt, die dem gesellschaftlichen Antagonismus Ausdruck verleihen. Dabei wendet sich Populismus klassenübergreifend an alle, die sich mit dem proklamierten ‚Volk‘ (oder dem ‚heartland‘) identifizieren können. Verstärkt werden kann der Erfolg von populistischen Bewegungen durch das Zusammenspiel all dieser aufgeführten Punkte sowie anderer Faktoren, wie bspw. dem Charisma populistisch agierender Politiker und ihrem Führungsstil bzw. ihrer Nähe zum ‚Volk‘ (vgl. Taggart 2004).[9] Eine weitere wichtige Rolle können die Medien spielen (vgl. Meyer 2006: 81ff), da eine „Theatralisierung“ (Meyer 2006: 84) und ‚Eventisierung‘ von Politik (Meyer 2006: 84) populistischem Vorgehen in die Hände spielen könnte. Oft sind Populisten stark medienfokussiert und nutzen insbesondere vermehrt auch die Möglichkeiten der digitalen Medien. Personalisierungsstrategien und symbolische Handlungen spielen allerdings auch ganz allgemein eine immer größere Rolle in modernen Mediendemokratien (vgl. auch Decker 2013: 320; Ociepka 2005: 40ff). Ohne Frage spiegeln die Medien in einem von Zensur befreiten Umfeld natürlich auch die Gesellschaft wieder. Insofern tragen sie in ihrer Darstellung der politischen Realität insbesondere die Verantwortung wachsam zu sein und Kritik zu üben, seien es nun populistische, massenkompatible oder Minderheitsmeinungen, die aufbereitet werden (Mazzoleni 2008: 64).[10]
Allerdings ist zu beachten, dass auch Politiker der klassischen Parteien sich aus dem Arsenal einer populistischen Rhetorik bedienen können. Dazu gehören zum Beispiel subtile oder grobe Denunziationen, Herabwürdigungen, üble Nachrede, Verunglimpfungen, Beleidigungen bis an die Grenzen des Justiziablen, Ausgrenzungen, Schüren von Ressentiments, Verbrecheranalogien oder Tiervergleiche. Ein Redeverhalten hart an der sozialethischen Grenze gestützt durch Provokation und Tabubruch kann somit kultiviert werden (Decker 2004: 35f; Knape 2012: 62f). Natürlich beruft man sich auf das Volk (oder eben den ‚mündigen Bürger‘) und auch Verschwörungstheorien können in Umlauf gebracht und am Leben erhalten werden: „Politikanalyse gerät zur Misere-Analyse.“ (Knape 2012: 62) Es werden Ängste geschürt und an neurotische Zwänge appelliert. Abhilfe sollen Erlösungstaten schaffen, für die einfache Lösungen vorgegaukelt werden (Knape 2012: 62). Allerdings sollte man sich bewusst machen, dass Politiker, die sich nur in bestimmten Situationen dieser populistischen Rhetorik bedienen, zwar „[…] unter anderem auch populistisch agieren [mögen], aber in erster Linie […] für etwas anderes [stehen].“ (Puhle 2011: 14; siehe auch Korte 2003: 209ff).
Auch im gegenwärtigen europäischen Kontext lassen sich auftretende Populismen also als Folge von Modernisierungstendenzen erklären. Dabei geht es nun allerdings eher um Phänomene wie unter anderem den kulturellen und ökonomischen Wandel durch die Globalisierung oder der Abgabe nationalstaatlicher Souveränität an supranationale Organisationen wie der Europäischen Union. Populismus steht hier in Verbindung mit Europa- bzw. EU-Skepsis, nationalliberalen, nationalkonservativen und rechtsradikalen (insb. xenophoben) Tendenzen. Allerdings ist dadurch das Auftreten von Linkspopulismen weiterhin nicht ausgeschlossen, vielmehr zeigt sich auch hier wie breit das ‚populistische Spektrum‘ sein kann.[11] Auch die meisten schon in den vorangegangenen Kapiteln erwähnten Autoren haben meist ‚Rechtspopulismus‘ im europäischen Kontext zur Basis ihrer Überlegungen gemacht und diesen Begriff fast schon mit Populismus an sich gleichgesetzt. Im Folgenden soll der Entwicklung des Populismus und seiner Bedeutung im europäischen Kontext nachgegangen werden, da diese Arbeit zwei europäische Parteien bzw. die Reden derer Parteivorsitzenden untersucht. Dabei wird nun zentral sein, welche Kategorien einen ‚rechten‘ Populismus ausmachen. Für Populismus in anderen historischen und räumlichen Kontexten wird eine vertiefte Lektüre bereits angesprochener Autoren empfohlen.[12]
Der Durchbruch der Fortschrittsparteien in den 1970er Jahren in Dänemark und Norwegen kann als Ausgangspunkt für die späteren Erfolge rechtspopulistischer Parteien in Europa angesehen werden. Trotz gehöriger Unterschiede in den verschiedenen Staaten, was die Ausrichtung der als ‚rechtspopulistich‘ kategorisierten Parteien sowie das politische Umfeld angeht, macht Decker drei politische Entwicklungen aus, die für das Erstarken von Rechtspopulismus verantwortlich waren: Erstens eine Rechtsverschiebung der Machtverhältnisse, woraufhin das bürgerliche Lager Einbußen an Integrationskraft nach Rechtsaußen verbuchen musste. Zweitens ein Verlust an Handlungs- und Strategiefähigkeit der Mainstream-Parteien durch einen Komplexitätsanstieg des Regierungshandelns im Allgemeinen. Und drittens Tendenzen einer plebiszitären Transformation des politischen Prozesses, der das Rollenverständnis von Parteien verändert hat (Decker 2004: 263).
Angemerkt werden soll hier, dass ähnliche Entwicklungen von Crouch als Prozess hin zur sog. ‚Postdemokratie‘ angesehen werden (vgl. bspw. Crouch 2008). Von Beyme greift auf diesen Begriff auch in seiner Analyse zurück, die Populismus als Folge der Entwicklung hin zu Postdemokratien beschreibt (Von Beyme 2012: 33ff). Insbesondere der Aufstieg von ExpertInnen auf Kosten der Partei-Eliten sei hier als von anderen Autoren weniger ausgeleuchtetes Phänomen erwähnt.
Auch Kriesi stimmt diesen Symptomen in westeuropäischen Staaten prinzipiell zu und fügt noch eigene sowie auf Peter Mair rekurrierende strukturelle Entwicklungen hinzu, die einen Nährboden für Rechtspopulismus bereiten würden: “[…] an erosion of the representation function of the parties buttressed by the increasing importance of the supra- and international level of governance and by the increasing role of the media in national politics.“ (Kriesi 2014: 375) Insbesondere macht er einen neuartigen Konflikt zwischen ‚Gewinnern‘ und ‚Verlierern‘ der Globalisierung aus: “So far, this new conflict […] has above all been successfully articulated by new populists from the right.“ (Kriesi 2014: 369).
Laut Falkenberg wird „ auf den Populismus-Begriff […] vor allem dort zurückgegriffen, wo eine gewisse Unsicherheit über den ideologischen Charakter einer Partei besteht.“ (Falkenberg 1997: 5) Rechtspopulismus kann ihr zufolge entweder eine Art „Rechtsextremismus light“ (Falkenberg 1997: 5) sein oder eine moderne und spezifische Taktik des Rechtsextremismus (Ebd.). Die Grenzen zwischen Rechtspopulismus, Konservatismus (bzw. Nationalliberalismus) und Rechtsextremismus sind oft fließend. Rechtsextreme Parteien brechen aber z.B. politische Probleme nicht auf einen anti-elitären Antagonismus herunter. Vielmehr vermitteln sie ein klares (insofern also ‚ideologisches‘) Weltbild, das mit den Prinzipien von Demokratie, und den fundamentalen Grundwerten einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung unvereinbar ist. In der BRD könnte man in diesem Fall also unter anderem von verfassungsfeindlichen Tendenzen sprechen. Im Gegensatz dazu möchte Populismus meist, wie im vorherigen Kapitel ausgeführt, nicht (sofort) ein bestehendes System überwinden, sondern nutzt vielmehr dessen zur Verfügung stehende demokratische Mittel aus (Holtmann et al.: 23). Bestimmend scheint für den Rechtspopulismus in jedem Fall eine Identitätspolitik zu sein, durch die eine bedrohte Gemeinschaft konstruiert wird (vgl. Becker / Reddig 2004: 147).
Die Abgrenzung zu radikalen und extremistischen Parteien vollzieht Mudde, indem er rechtspopulistische Schlüsselmerkmale als zugespitzte Mainstreameinstellungen und Werte ausmacht: “The key features […] – nativism, authoritarianism, and populism – are not unrelated to mainstream ideologies and mass attitudes.“ (Mudde 2010: 1181) Insofern stellen rechtspopulistische Parteien für ihn eher eine ‚krankhafte Normalität‘, als eine ‚normale Krankheit‘ dar (vgl. Mudde 2010: 1181).
Zur Abgrenzung des Rechtspopulismus macht Hartleb einen interessanten Vorschlag. Er nennt zunächst acht Kriterien, die sowohl ‚linken‘ als auch ‚rechten Populismus‘ charakterisieren bzw. charakterisieren können. Wie im vorangehenden Kapitel erläutert, müssen dabei nicht alle Kategorien zutreffen, um eine Partei als ‚populistisch‘ einordnen zu können:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Eigene Darstellung; nach: Hartleb 2005: 45)
Verbunden u.a. mit der Anti-Immigrations-Einstellung sind außerdem auch Ablehnungsmuster gegen kulturelle oder ethnische Minderheiten, die für das Verursachen einer ‚Krise‘ persönlich verantwortlich gemacht werden: „ So ist die Rede von ‚zu vielen Ausländern‘, die kaum vorhandene Arbeitsplätze für sich einnähmen, oder ‚geldgierigen Managern‘, die die Misere persönlich zu verantworten hätten.“ (Lewandowsky 2009: 6) Von Rechtspopulisten werden vier Hauptgruppen sozialer Akteure ausgemacht, die mit Zuschreibungen behaftet werden:
‚Wir‘ – ‚unsere Leute / das Volk‘ – ‚die da oben‘ und ‚die Anderen / die (da) draußen (bleiben sollen), z.B. Ausländer, Flüchtlinge, Minderheiten‘ (vgl. Reisigl 2012: 156). Somit sind die Antagonismen einmal vertikal und einmal horizontal gegliedert.
Reinfeldts Form der Darstellung ist allerdings auch sehr illustrativ. Er konzipiert ein ‚populistisches Viereck‘, das letztendlich folgendermaßen aussieht:
Abb. 1
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Eigene Darstellung; nach: (Reinfeldt 2013: 50)
Die vier Winkel des Rechtecks sind für Reinfeldt die ‚diskursiven Muster des Populismus‘ (Reinfeldt 2013: 42ff). Der ‚Nicht-Wir‘ – Block stellt anders formuliert die sog. ‚Outgroups‘ dar, die als Sündenbock dienen und gegen die Populisten das ‚Volk‘ mobilisieren können, ohne die Elite direkt angreifen zu müssen. Werden nun bspw. Ausländer von ihnen zum Sündenbock gemacht, fordern Rechtspopulisten häufig den Verzicht auf die Zahlung finanzieller Leistungen an Ausländer. Man entlaste so Sozialhilfebedürftige von ‚parasitären Mitessern‘, „[…] vom teuren Zahlersatz für ‚Asylanten‘ ganz zu schweigen.“ (Holtmann et al. 2006 : 107) Allerdings wird wiederum der Elite vorgeworfen, dass sie diese ‚Outgroups‘ privilegieren würden (vgl. Lucardie 2011: 21). Die linke Seite der Grafik (‚Wir‘ und das ‚Volk‘) ist beim Rechtspopulismus etwas präziser und greifbarer begrifflich besetzt als in allgemeinen Populismusdefinitionen : “[…] right-wing populism today can easily identify with ‚we, the people‘ […], as long as ‚the people‘ are seen to be distinctly different from other peoples.“ (Pelinka 2013: 7) Noch konkreter ausgedrückt: In rechtspopulistischen Bewegungen wird das ‚Volk‘ „[…] grundsätzlich als homogene Einheit begriffen.“ (Geden 2006: 21). Auffällig für rechtspopulistische Bewegungen im europäischen Kontext ist zudem eine „[…] prononcierte Abgrenzung der ‚kulturellen Identität„ gegen die EU, gegen Fremde, Einwanderer und Minderheiten […], obschon sie oft nicht mehr von einer rassischen Höherwertigkeit, sondern von kultureller Autonomie im Sinne eines ethnokulturellen Partikularismus oder ‚Ethnopluralismus‘ reden. Dieser kulturelle Rechtspopulismus entspricht einem ‚exklusorischen Identitätspopulismus‘, der sich durch […] zumindest latente Fremdenfeindlichkeit auszeichnet“ (Rensmann 2006: 70).
Begleitet wird Rechtspopulismus also oft auch von Neo- Rassismus (Kulturrassismus)[13], Xenophobie, Islamophobie[14], Ethnopluralismus und / oder Euroskepsis. All diese Begriffe wären also ebenfalls mögliche Bestandteile / Indikatoren für europäischen Rechtspopulismus. Euroskepsis wird in dieser Arbeit noch von größerer Bedeutung sein, weshalb er kurz im nächsten Kapitel erläutert wird. Auf die anderen Begriffe kann im Rahmen dieser Arbeit dagegen nicht explizit eingegangen werden.[15]
Euroskepsis (oft auch Euroskeptizismus genannt) ist ein mindestens ebenso vielschichtig analysiertes und kontrovers debattiertes Phänomen wie Populismus: „[…] Bislang [existiert] keine universelle Euroskeptizismus-Konzeptualisierung.“ (Oberkirch / Schild 2010: 13) Auch andere Bezeichnungen wie ‚Europhobie‘, ‚Anti-Europäismus‘, ‚EU-Skespis‘, ‚Europaskepsis‘ oder ‚EU-Kritik‘ tragen nicht unbedingt zur Verdeutlichung dabei (vgl. auch Lang 2010: 98). In dieser Arbeit soll der Begriff ‚Euroskepsis‘ verwendet werden. Aus arbeitsökonomischen und pragmatischen Gründen soll hier nur kurz vorgestellt werden, was unter dem Begriff verstanden werden kann, da Euroskepsis für diese Arbeit nur einen möglichen Indikator von Rechtspopulismus darstellt und daher keine umfassende Einführung in den vielschichtigen Euroskepsis-Diskurs notwendig erscheint.
Zunächst einmal ist mit dem Begriff nicht die Einstellung von Kollektiven oder Individuen gegenüber dem Euro als gemeinsamer Währung gemeint, sondern er steht viel mehr als Synonym für kritische Einstellungen in den einzelnen Mitgliedstaaten in Bezug auf die EU (vgl. bspw. Oberkirch / Schild 2010: 9). Dies kann auf nationale Bevölkerungen ebenso zutreffen wie für kollektive Zusammenschlüsse, z.B. Parteien: “Our starting point is the shared realization that European integration is no longer determined by insulated elites. Public opinion, party competition, and the mass media are vital ingredients.” (Hooghe / Marks 2007: 119) Euroskepsis ist definitiv ein zunehmend Wurzeln schlagendes und andauerndes Phänomen rund um den europäischen Integrationsprozess (vgl. auch Startin / Usherwood 2013: 12), der ähnlich wie Populismus mit zumindest vermeintlichen Krisenphänomenen der EU zu tun hat. Decker nennt bspw. eine Erweiterungskrise, eine Krise der intergouvernementalen Methode und eine ökonomische Krise, die im Zusammenhang mit einer Identitätskrise zu sehen ist; vgl. Decker 2013: 44f) Das Scheitern der Referenden zum Vertrag über eine Verfassung für Europa in Frankreich und den Niederlanden im Jahr 2006 zeigt, wie umstritten grundsätzliche Fragen zur Ausrichtung der Europäischen Union sein können. Zürn sah das Scheitern der Referenden als Beleg für eine Politisierung der EU: „Ein intergouvernementaler Zusammenschluss erfordert keine effektive Außenvertretung, ein politisiertes Institutionensystem, das mit den Kriterien einer guten Ordnung bemessen wird, aber schon.“ (Zürn 2006: 250). Dazu gehört eben auch eine zunehmende Kritik an bestimmten Aspekten des europäischen Projektes.
Die parteienzentrierte Euroskepsis soll hier im Vordergrund stehen. Auch hierzu gibt es eine Vielzahl an Ansätzen, diese Arbeit möchte jedoch nur zwei kurz vorstellen. Eine grundlegende Definition liefern Szczerbiak und Taggart, die den Begriff der Euroskepsis zweiteilen. Sie sehen den Anteil politisch-strategischer Überlegungen überwiegen, d.h. ein Programm, das von Euroskepsis geprägt ist, hängt unter anderem davon ab, ob die Partei der Mehrheitsmeinung folgt oder an den Randbereichen des politischen Spektrums angesiedelt ist:
“Hard Euroscepticism is where there is a principled opposition to the EU and European integration and therefore can be seen in parties who think that their counties should withdraw from membership, or whose policies towards the EU are tantamount to being opposed to the whole project of European integration as it is currently conceived.” (Szczerbiak / Taggart 2008: 7)
“Soft Euroscepticism is where there is not a principled objection to European integration or EU membership but where concerns on one (or a number) of policy areas lead to the expression of qualified opposition to the EU, or where there is a sense that ‘national interest’ is currently at odds with the EU’s trajectory." (Szczerbiak / Taggart 2008: 8)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2
Diese Grafik ist entnommen aus: Kopecky / Mudde 2002: 303
‚Weiche‘ Euroskepsis scheint also kompatibel mit einer grundlegenden Unterstützung des europäischen Projekts zu sein.
Kopecky und Mudde beklagen jedoch konzeptionelle Schwächen dieses Ansatzes und bieten durch ihr eigenes zweidimensionales Konzept – eingeteilt in diffuse und spezifische Unterstützung - eine Klassifizierung an, die vier Idealtypen umfasst: Euroenthusiasts, Europragmatics, Eurosceptics und Eurorejects. Diffuse Unterstützung steht in diesem Fall insbesondere für die allgemeinen Vorstellungen der Europäischen Integration, die der EU zu Grunde liegen. Spezifische Unterstützung bezeichnet dagegen Unterstützung für die allgemeine Praxis der Europäischen Integration, sprich Unterstützung für die EU wie sie aktuell ist und wie sie sich entwickelt (vgl. Kopecky / Mudde 2002: 300). Grafisch dargestellt ergibt sich folgende Matrix.
Gemäß dieser Logik überwiegen für euroskeptische Forderungen einer Partei eher ‚ideologische‘ statt ‚strategische‘ Gründe (Kopecky / Mudde 2002: 319):
“[…] Parties move their position on the dimension ‘support for the EU’, but not on the dimension ‘support for European integration’. We believe that this empirical finding shows that ideology determines a party’s support for the ideas underlying the process of European integration, whereas strategy can play an important role in explaining a party’s support for the EU. ” (Kopecky / Mudde 2002: 319f)
Besonders ist an dieser Typologie folglich, dass die ‚Eurosceptics‘ nicht im herkömmlichen Sinne Euroskeptiker sind. Sie sind nicht ablehnend gegenüber der EU eingestellt, sondern kritisieren die EU vielmehr in dem Sinne, dass sie zwar die Idee an sich gut finden, die praktische Umsetzung jedoch schlecht (vgl. auch Weßels 2009: 53).
Lubbers et al. kommen zu der Erkenntnis, dass Euroskepsis in hohem Maße dazu beiträgt, rechtsradikales Wählerverhalten nachvollziehen zu können und zwar in mindestens dem gleichen Maße wie andere sozio-politische Einstellungen wie bspw. die Wahrnehmung von ‚ethnischen Bedrohungen‘ oder Misstrauen in die Politik im Allgemeinen (Lubbers et al. 2012: 200). Sicherlich ist zu beachten, dass ihre Analyse explizit nicht rechtspopulistisches, sondern rechtsradikales Wählerverhalten analysiert. Trotzdem kann angenommen werden, dass auch ein gewisser Zusammenhang von Euroskepsis und Rechtspopulismus nicht auszuschließen, sondern im Gegenteil sogar zu erwarten ist (siehe auch Kapitel B II.) Eine explizite Studie dazu legen Gómez-Reino und Llamazares vor : “[…] Populist radical right parties establish links with their voters regarding the European integration process. […] They managed to connect Eurosceptic attitudes to other core elements of their […] discourse […].” (Gómez-Reino / Llamazares 2013: 810). Auch Grabow und Hartleb zeigen auf, dass Euroskepsis und Rechtspopulismus in Parteiprogrammen in einem klaren Zusammenhang stehen können (Grabow / Hartleb 2014). Allerdings ist Euroskepsis alleine kein Differenzierungsmerkmal für Rechtspopulismus, genauso wenig wie umgekehrt Rechtspopulismus nicht konstitutiv ist für Euroskepsis. Viel mehr kann diese von allen politischen Lagern und gar von den Eliten selbst geäußert werden (vgl. Hartleb 2011: 13ff).[16]
Forderungen ‚zurück‘ zu mehr nationaler Souveränität stehen dabei im Widerspruch zu Forderungen nach ‚tieferer Integration‘ und mehr Kompetenzen für die EU. Dabei ist festzustellen, dass die Herausbildung einer ‚europäischen Identität‘ zumindest schwieriger und langsamer von Statten geht als vorher angenommen, obwohl nachgewiesen ist, dass sie sich in jedem Fall entwickelt hat und nicht unbedingt im Widerspruch zur nationalen Identität stehen muss (vgl. Fuchs et al. 2009: 108). Oftmals lässt sich allerdings trotzdem die Entwicklung von ‚neuen Nationalismen‘ feststellen, insbesondere eben auch wenn die Bedrohung der eigenen Identität duch die EU und durch eine ‚von oben‘ verordnete ‚europäische Kultur‘ in den Mittelpunkt gestellt wird: “Exclusive national identity is positively correlated to Euroscepticism and increases ist explanatory power […].“ (Serricchio et al. 2013: 61)
Woran sich jedoch Kritik an der EU explizit entzündet, kann sehr unterschiedlich sein: In Frage gestellt werden können ökonomische, politische, kulturelle, demokratietheoretische, die gemeinsame Währung betreffende, usw. Folgen des Integrationsprozesses. Insbesondere die Fragen nach der demokratischen Legitimität der EU-Institutionenm sowie deren Entscheidungsprozessen und auch Identitätsfragen können weitere Faktoren sein, die Schnittmengen mit rechtspopulistischen Forderungen aufweisen dürften.
Inhaltsanalytisch untersucht werden sollen in dieser Arbeit jeweils vier ausgewählte öffentlich getätigte mündliche Sprechakte bzw. Diskursbeiträge der Parteivorsitzenden von AfD und UKIP, Bernd Lucke und Nigel Farage. Zunächst ist kurz zu klären, was allgemein unter einem Diskurs verstanden werden kann. Der Diskursbegriff wurde und wird in den Sozialwissenschaften ebenfalls oft recht unterschiedlich definiert und es fand eine „[…] enorme Verbreitung von diskursbezogenen Perspektiven in verschiedenen Disziplinen und auch quer zu Disziplingrenzen [statt].“ (Keller 2011: 13) Keller definiert Diskurs aus wissenssoziologischer Sicht als „[…] eine nach unterschiedlichen Kriterien abgrenzbare Aussagepraxis bzw. Gesamtheit von Aussageereignissen, die im Hinblick auf institutionell stabilisierte gemeinsame Strukturmuster, Praktiken, Regeln und Ressourcen der Bedeutungserzeugung untersucht werden.“ (Keller 2005: 229) Diskurse existieren jedoch nur soweit, als dass sie durch soziale Akteure reproduziert werden (vgl. Elliker 2011: 70). Nadoll greift auf George (1994) zurück und umschreibt drei Dimensionen des Diskursbegriffs, die v.a. für die Politikwissenschaft von Relevanz sind:
„(1) den Gebrauch von Sprache, (2) die Kommunikation über Wertvorstellungen bzw. kommunikative Transmission von Wertvorstellungen sowie Sinngebungen und (3) Interaktion in sozialen Situationen und spezifischen Kontexten.“ (Nadoll 2010: 5)
In unserem Fall werden wir uns allerdings nicht mit einem Diskurs ‚im Ganzen‘ beschäftigen und auch keine ‚Massentextanalyse‘ vornehmen (vgl. bspw. Nullmeier 2011: 329). Vielmehr sind die Sprechakte der beiden Parteivorsitzenden mit vielen weiteren innerparteilichen, regionalen, nationalen und europäischen Diskursen verwoben, auf die sie eben durch ihre Sprechakte – in diesem Fall durch politische Reden (vgl. Donati 2011: 69) - Einfluss nehmen. Somit sind sie selbst „[…] Teil einer politischen Diskurskoalition, die Strömungen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen und Parteien zum Ausdruck bringt und Kräfteverhältnisse in Parteien ebenso wie in der Gesellschaft verschieben kann.“ (Plehwe / Schlögl 2014: 33). Es wird folglich nur ein Teil eines großen Gesamtdiskurses betrachtet, der wieder aus vielen weiteren mit einander verwobenen Diskursen besteht (bspw. Diskurse über die Linie der eigenen Partei, Identitätsdiskurse, Policy-Diskurse, Europa-Diskurse, Diskurse zur inneren Sicherheit, Migrationsdiskurse, ökonomische, finanzpolitische Diskurse, Diskurse über soziale Gerechtigkeit, demokratietheoretische Diskurse, u.v.m.). Beide Parteivorsitzenden sind als ein Teil von vielen differenten Subjekten aus unterschiedlichsten Kontexten zu sehen, die diese Diskurse eben regional, national und europaweit gesehen mit konstruieren. Hier werden nun also die Schnittstellen zu Laclaus und Mouffes Hegemonie- bzw. Populismustheorie deutlich, die von der prinzipiellen Konflikthaftigkeit der Gesellschaft ausgehen (vgl. Kapitel B I.3) und unterstreichen, dass Diskurse Differenzsysteme sind, deren einzelne Elemente in sich selbst keine bestimmte Bedeutung tragen (vgl. Stäheli 1999: 147)[17]. Politische Diskurse sind dementsprechend auch konflikthaft. “Insofar as politics is a struggle between named groups and people, politics is conflict.” (Neumann 2008: 66) Eine auf Laclau und Mouffe rekurrierende Hegemonieanalyse hat sich in den Politikwissenschaften mittlerweile etabliert (vgl. bspw. Nonhoff 2008). Allerdings treten auch viele theoretische und praktische Probleme bei der Anwendung auf (vgl. u.a. Kuschel 2014b). Natürlich sind jedoch auch die Sprechakte der Parteivorsitzenden immer in einem spezifischen Kontext zu sehen. Trotzdem wird diese Arbeit aus wohl überlegten Gründen keine Diskursanalyse vornehmen. Vielmehr beschränkt sie sich auf eine durch die Populismustheorie beeinflusste Inhaltsanalyse, die auch sinnvoller erscheint, um die Forschungsfrage konkret beantworten zu können. Natürlich wenden die Sprecher sogenannte ‚Diskurspraktiken‘ an, wie die Abgrenzung des ‚Selbst‘ vom ‚Anderen‘ (bzw. das Formen [kollektiver] Identitäten; vgl. Neumann 1996: 139ff) oder es treten positive Prozesse der Anbindung und negative Prozesse der Abgrenzung auf (Hansen 2006: 17) – zwei diskursive Techniken, die ja in der Populismustheorie an sich schon von zentraler Bedeutung sind. Nullmeier merkt zudem an:
„Ohne einen Bezug auf eine Kollektivgröße (und sei es ein ‚wir‘) und die Thematik einer auf kollektive Verbindlichkeit ausgerichteten Entscheidung bleibt der Sprechakt und der in ihm repräsentierte Verbindlichkeitsanspruch ohne politikwissenschaftliche Relevanz.“ (Nullmeier 2011: 497)
Insofern sind politische Redebeiträge sicherlich auch im Kontext einer hegemonialen Strategie zu sehen, allerdings ist die Frage in welchem Feld Hegemonie überhaupt beansprucht bzw. wirklich erreicht werden kann. Antagonismen sind sicherlich konstitutiv für eine moderne Gesellschaft, aber praktisch nur dichotome Gegensätze zu unterstellen (wie in der Hegemonietheorie bzw. –analyse) wird der (politischen) Realität wohl nicht gerecht. Genauso gehen bestimmte Deutungsmuster und Diskursstränge möglicherweise nicht über in eine Hegemonialstellung, werden aber gleichzeitig auch nicht von einer ‚vereinnahmt‘. Für eine politikwissenschaftliche Analyse sind sie jedoch für sich genommen ebenfalls relevant, da sie die damit verknüpften Muster mitformen und selbst den Anspruch haben, zumindest für eine spezifische Gruppe von Menschen Gültigkeit erlangt zu haben. Insofern sind – wie schon angemerkt – die Sprechakte der beiden Parteivorsitzenden als (mit-) konstituierende Beiträge zu vielerlei größeren und kleineren miteinander verknüpften Diskursen und Gegendiskursen anzusehen.
Die qualitative Inhaltsanalyse geht positivistisch vor. Sie möchte unter vorab definierten Bedingungen (bspw. vorher gewonnenen Kategorienschemata) zu ‚positiven Befunden‘ kommen. Diese Nachweise sind also erwartbar und intersubjektiv nachvollziehbar. Die Analyse zielt auf singuläre Phänomene ab, in diesem Fall dem Phänomen (Rechts-) Populismus. Die Diskursanalyse dagegen würde eher konstruktivistisch vorgehen und quasi ‚ganz ohne Vorannahmen‘ Sprechakte, Diskursbeiträge, usw. untersuchen, um einen Diskurs anhand von ‚Aussagen‘ zu rekonstruieren; der Forscher kann sich hier vielmehr ‚überraschen‘ lassen. Eine intersubjektive Nachvollziehbarkeit ist bei einer Diskursanalyse insofern nicht gegeben, als dass das Ergebnis dieser Rekonstruktion stark vom Forschenden selbst abhängt. Folgt man dieser Logik ist es sinnvoll, die hier als konkreten Forschungsgegenstand definierten Sprechakte für sich getrennt rein inhaltsanalytisch und auf ein Phänomen hin (nämlich den Rechtspopulismus) zu analysieren, ohne allerdings den jeweiligen Kontext auszublenden. Dies unterstreicht jedoch gleichzeitig die Anschlussfähigkeit dieser Arbeit. So könnte auf den Ergebnissen der folgenden Untersuchung eine komplexere Analyse größerer Datenmengen (inkl. Parteiprogrammen, Facebook-Botschaften, Interviews, u.v.m.) anschließen, die z.B. einen genauer abgesteckten Diskurs (bspw. über Migration oder soziale Gerechtigkeit) rekonstruieren oder auch Vorschläge zur Erarbeitung von Strategien für potentielle Gegendiskurse machen könnte.
Da das Datenmaterial nicht ausschließlich für sich analysiert werden soll (wie z.B. in einer reinen Textanalyse) und bestimmte Bedingungen vorher festgelegt sind (in diesem Fall bestimmte Kategorien für Rechtspopulismus), die ‚erwartbar‘ nachgewiesen werden sollen, bietet sich als Methode eine qualitative Inhaltsanalyse an. Der Vorteil besteht darin, dass man so Rückschlüsse auf bestimmte Aspekte der Kommunikation ziehen kann, wie Aussagen über den ‚Sender‘ (z.B. seine Absichten) oder über Wirkungen beim Empfänger (vgl. Mayring 2003: 12). Überhaupt kann so der Gesamtkontext, in dem der Sprechakt steht, mit einbezogen werden. Dabei kann außerdem systematisch, regel- und theoriegeleitet vorgegangen werden (Mayring 2003: 13). Das grundsätzliche inhaltsanalytische Vorgehen sieht folgendermaßen aus:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3 Grafik entnommen aus: Mayring (2003): 54
Diese Arbeit wird an ein spezielles Inhaltsanalyseverfahren von Mayring angelehnt, nämlich der typisierenden Strukturierung. Eine Strukturierung zielt insbesondere darauf, bestimmte Aspekte aus dem Material heraus zu filtern, unter vorher festgelegten Ordnungskriterien einen Querschnitt durch das Material zu legen oder das Material aufgrund bestimmter Kriterien einzuschätzen (Mayring 2003: 58). Typisierende Strukturierungen wollen
„[…] Aussagen über ein Material treffen, indem sie besonders markante Bedeutungsgegenstände herausziehen und genauer beschreiben. Solche ‚Typen‘ […] können auch typische Merkmale sein, allgemein markante Ausprägungen auf einer Typisierungsdimension. Diese Dimension muss zunächst definiert werden, einzelne Ausprägungen dazu formuliert werden, um dann mit diesen Kategorien das Material durchzuarbeiten. Aufgrund des Materials zu den Ausprägungen muss dann bestimmt werden, welche davon als besonders markant, als typisch bezeichnet werden soll. Dabei sind mindestens drei verschiedene Kriterien denkbar:
- Besonders extreme Ausprägungen sollen beschrieben werden;
- Ausprägungen von besonderem theoretischem Interesse sollen beschrieben werden;
- Ausprägungen, die im Material besonders häufig vorkommen, sollen beschrieben werden.“ (Mayring 2003: 90)
Eine ähnlich der typisierenden Strukturierung vorgehende Methode scheint mir für eine populismustheoretische Inhaltsanalyse im Gegensatz zu Formen der Explikation und der Zusammenfassung sehr fruchtbar zu sein, da sie relativ offen ist und folglich auch ‚überraschend‘ auftretende Textpassagen den jeweils neu zu bildenden (Unter-) Kategorien zugeordnet werden können. So lässt sich mit ihr einerseits deduktiv vorgehen, insbesondere was die grundlegende theoriegeleitete Kategorienbildung angeht (vgl. Mayring 2003: 76), auf der anderen Seite lassen sich induktiv gewonnene (Unter-) Kategorien (bspw. durch besonders extreme Ausprägungen) gewinnen, was wiederum einer möglichst gegenstandsnahen Abbildung des Materials ohne Verzerrungen durch Vorannahmen des Forschers zu Gute kommt (Mayring 2003: 75). Der Ablauf der typisierenden Strukturierung sieht (gekürzt) nach Mayring folgendermaßen aus:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.4 Grafik entnommen aus: Mayring (2003): 91
[...]
[1] Um die Lesbarkeit zu vereinfachen wird in dieser Arbeit meist auf die zusätzliche Formulierung der weiblichen Form verzichtet. Ich möchte deshalb darauf hinweisen, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form explizit als geschlechtsunabhängig verstanden werden soll.
[2] Zwar hat die AfD momentan (Stand: Ende März 2015) noch drei gleichberechtigte Parteivorsitzende. Auf dem Parteitag in Bremen im Januar 2015 wurde sich jedoch darauf geeinigt, die Parteispitze zunächst bis Dezember 2015 auf zwei und später nur eine Person zu verkleinern. In Kapitel B III.3 wird ausführlicher begründet, warum es sinnvoll ist, sich im Rahmen dieser Arbeit auf die Reden Luckes zu beschränken.
[3] Später trat die AfD dann der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten bei, der u.a. auch die britische Conservative Party, die Wahren Finnen und die Dänische Volkspartei angehören.
[4] Auch wenn auf wichtige aktuelle Entwicklungen noch eingegangen werden soll, gilt für diese Arbeit insgesamt der Stand des 31.03.2015. So können unter anderem die Ergebnisse und Umstände der britischen Unterhauswahl im Mai 2015 nicht mehr explizit berücksichtigt werden bzw. werden nur in Kapitel D aufgegriffen.
[5] Die folgende Darstellung der Populismustheorien nimmt des Öfteren Bezug auf den Theorieteil einer Arbeit zur Dänischen Volkspartei und zur norwegischen Fortschrittspartei (Kuschel 2014: 4ff), stellt aber eine Vertiefung und Erweiterung des dort Vorgestellten dar.
[6] Auch der Forscher selbst ist der negativen (west-) europäischen Sicht auf Populismus verhaftet. Diese Selbstreflexion ist von Nöten, da diese Arbeit natürlich nicht von gewissen subjektiven Vorannahmen befreit ist.
[7] Von sozialen ‚Klassen‘ in einem streng Marxschen Sinnn ist bei modernen Phänomenen sowieso nicht auszugehen; verschiedenste differenziertere Neomarxismen spielen vermutlich eine größere Rolle.
[8] Deshalb ist es interessant auch zu untersuchen, ob und inwiefern populistische Bewegungen sich selbst Veränderungen unterwerfen müssen, wenn sie an der politischen Agenda teilnehmen können und Teil des vorher von in ihnen bekämpften ‚Establishment‘ werden. Ansetzen könnte man eine derartige Analyse wohl insbesondere bei den skandinavischen Populismen, von denen einige Vertreter schon selbst Regierungsverantwortung mit übernommen haben.
[9] Priester weist jedoch zurecht daraufhin, dass populistische Führer sich oft weniger als Charismatiker sondern als Außenseiter präsentieren. Folglich kann Populismus auch ohne charismatische Führerschaft auftreten. Ihrer Einschätzung, dass die Rolle des Charismas in der Populismusforschung teilweise stark überschätzt wurde, muss man sich hier anzuschließen (vgl. Priester 2012: 72).
[10] Mit dem Zusammenhang von Neo-Populismus und Medien beschäftigt sich ein empfehlenswerter, allerdings nicht ganz aktueller Sammelband, der auch Vergleichsstudien einiger europäischer Länder aufführt (siehe Horsfield / Mazzoleni / Stewart 2003).
[11] Außerdem scheinen die Übergänge zunehmend fließend zu sein: Das eigentlich als linkspopulistisch eingeordnete ‚Movimento 5 Stelle‘ aus Italien arbeitete im Europäischen Parlament auch mit Ausländerfeinden zusammen (Pausch 2015) und polemisierte gegen den Sozialstaat.
[12] Für die entwicklungsgerichteten Drittwelt-Populismen ist außerdem der Ansatz von Torcuato Di Tella wohl weiterhin zutreffend und kann auch für dortige aktuelle Phänomene wieder aufgegriffen werden (Di Tella 1965; 1997).
[13] Für den Begriff des Neo- bzw. Kulturrassismus wird die Lektüre von Balibar / Wallerstein (1990) empfohlen.
[14] Der britische Report ‚Islamophobia: A Challenge for Us All’ des Runnymede Trust hat 1997 eine Definition von Islamophobie aufgestellt, der man auch allgemeine Gültigkeit zusprechen kann (siehe Runnymede Trust 1997: 5)
[15] Sie dienen allerdings alle als Möglichkeiten, die politische Logik des Populismus zu ‚füllen‘; so definiert Hafez. den ‚islamophoben Populismus‘ folgendermaßen: „Konfrontation und Antagonisierung wird ermöglicht, indem ‚der Westen‘ als Hort von Demokratie, Menschenrechten und Zivilisation, etc. dargestellt wird und ‚der Islam‘ […] ausschließlich negativ konnotiert wird“ (Hafez 2010: 67).
[16] Auch linksextreme Parteien neigen zu starker Euroskepsis; insbesondere machen sie ein Demokratiedefizit sowie neoliberale Tendenzen in der Europäischen Union aus. Siehe dazu bspw. De Prat (2013).
[17] Die berechtigte Kritik an der Diskurs- und Hegemonietheorie von Laclau / Mouffe von u.a. Keller soll hier zwar kurz erwähnt werden, ist aber für diese Arbeit nicht von größerer Bedeutung.