Bachelorarbeit, 2015
41 Seiten, Note: 1,3
1. Einleitung
2. Kierkegaards Grundbestimmung des Menschen
3 . Selbstbewusstsein und Sündenbewusstsein
3. 1 Der Begriff Angst
4. Die Erscheinungsformen dieser Krankheit
4.1 Uneigentliche Form der Verzweiflung
4.2 Eigentliche Form der Verzweiflung
4.2.1 Verzweifelt nicht man selbst sein wollen
4.2.2 Verzweifelt man selbst sein zu wollen
5. Die Möglichkeit der Freiheit
5.1 Der Weg zum Selbst
5. 2 Verzweiflung als Bestimmung des Geistes
6. Goffmans Grundbestimmung des Menschen
7. Stigma-Der Umgang mit einer beschädigten Identität
7.1 Stigmata-Management
7.2 Informationskontrolle
8. Die Konstruktion der Identität im Alltag- „Wir alle Spielen Theater“
8.1 Rolle
8. 2 Darstellung
8.3 Dramatische Gestaltung
8.3.1 Idealisierung
9. Zur Methodik der vergleichenden Analyse
9.1 Das Selbst bei Kierkegaard
9.2 Das Selbst bei Goffman
10. Analyse der Vergleichsthesen
10.1 Erste Vergleichsthese
10.2 Zweite Vergleichsthese
10.2.1 Angst und Verzweiflung bei Kierkegaard
10.2.2 Angst und Verzweiflung bei Goffman
11. Schlussbetrachtung und Zusammenfassung
12. Literaturverzeichnis:
Als Moses sein Volk der Hebräer aus Ägypten herausführte, soll sich folgende wundersame Geschichte zugetragen haben. Als Moses einer entflohenen Ziege auf einen Berg folgte, erblickte er dort einen brennenden Dornbusch. Aus diesem Busch sprach angeblich eine Stimme zu Moses. Als Moses die Stimme wahrnahm, erschrak er und begann sich zu ängstigen. Er erwiderte der Stimme, dass sie sich zu erkennen geben solle und die Stimme ).אהיה אשר אהיהantwortete daraufhin: „ich bin, der ich bin“ (
Ohne jetzt zu sehr auf den theologischen Hintergrund dieser biblischen Geschichte eingehen zu wollen, erscheinen mir an dieser Geschichte zwei Sachen von großer Bedeutung für unser heutiges Leben. Nämlich die Frage wer wir sind und das Gefühl der Angst. Diese zwei Sachen erscheinen für uns Menschen von jeher von großer Bedeutung zu sein. Auch das Gefühl der Angst, so erscheint es aus der Geschichte des brennenden Dornbusches, ist eine Eigenschaft des Menschen, die tief in ihm verwurzelt ist und sein Selbst grundlegend konstruiert. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich in unserer heutigen Zeit viele Menschen die Frage nach ihrem Selbst bzw. ihrer Identität stellen. Insbesondere mit dem Zerfall alter kollektiver Erklärungsmuster wie z. B. Nation, Volk, Staat, Klasse oder Religion ist diese Frage für den Einzelnen von hoher Aktualität. Auch der zunehmende Subjektivismus und Individualismus in unserer Gesellschaft verlangt nach einer Theorie, die zur Erklärung des menschlichen Selbst, ganz konkret am Einzelnen des Subjekts, ansetzt und nicht wie im Sinne von Hegel ihren Ursprung im „Ganzen“, dem objektiven Sein, hat (vgl. Horst 2005). Um zur Klärung dieser Frage beizutragen, bieten sich hier zwei Theorien an, welche am Individuum selbst ansetzen. So versucht die mikrosoziologische Theorie des symbolischen Interaktionismus, die Identität des Menschen durch Interaktion und Darstellung zu erklären. Wo hingegen die philosophische Strömung des Existenzialismus ganz konkret an den Problemen und Nöten des Einzelnen ansetzt und sich somit auch zwangsläufig mit der menschlichen Identität auseinandersetzen muss (vgl. Hohlenberg 2011). Auch die Eigenschaft der Angst nimmt in diesen Theorien eine prominente Stellung ein. So möchte ich in dieser vorliegenden Arbeit der Frage nachgehen, inwiefern das menschliche Selbst aus Sicht des Existenzialismus und des symbolischen Interaktionismus konstruiert wird. Exemplarisch für diese beiden Strömungen möchte ich mich in dieser Arbeit mit den Werken von Ervin Goffman, als Vertreter des symbolischen Interaktionismus, und mit den Werken von Sören Kierkegaard, als Vertreter des Existenzialismus, auseinandersetzten. So soll meine Untersuchungsfrage folgendermaßen lauten:
- Wie wird das menschliche Selbst nach Goffman und Kierkegaard konstruiert und welchenEinfluss hat das Gefühl der Angst auf das Selbst nach Goffman und Kierkegaard?
Dabei soll es in dieser vorliegenden Arbeit nicht um eine bloße Darstellung der Theorien beider Autoren zu dieser Frage gehen, sondern ich möchte insbesondere großen Wert auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Autoren zu dieser Frage legen. Inhaltlich möchte ich mich bei dieser vergleichenden Analyse hauptsächlich auf die Werke „Stigma“ und „Wir alle spielen Theater“ (Goffman) sowie „Die Krankheit zum Tode“ und „Der Begriff der Angst“ (Kierkegaard) beziehen. So ergibt sich die Struktur der Arbeit im Wesentlichen aus der eingangs gestellten Fragestellung. Demnach wird die Arbeit grob in drei große Blöcke unterteilt. Im ersten Teil werde ich Sören Kierkegaards Theorie und Standpunkt zum menschlichen Selbst darzulegen. Im zweiten Teil werde ich aufzeigen, wie Erving Goffman das menschliche Selbst sieht und im letzen und dritten Teil werde ich die Standpunkte beider Autoren mit Hilfe von folgenden drei Thesen vergleichen:
- Beide Autoren gehen von der Vorstellung aus, dass der Mensch kein fertig gesetztes Wesenist, sondern sich im Laufe seines Lebens ein Selbst aneignet.
- Beide Autoren gehen von der Vorstellung aus, dass Angst (und Verzweiflung) den Menschen grundlegend konstituieren.
- Die Strategien der stigmatisierten Personen zur Wahrung ihrer Identität sind dieErscheinungsformen der eigentlichen Verzweiflung nach Kierkegaard.
Bevor ich mit der eigentlichen Analyse beginne, erscheint es mir sinnvoll auf Grund der großen zeitlichen Differenz zwischen den beiden Autoren, sie biographisch und historisch kurz einzuordnen.
Erving Goffman gilt neben G.H. Mead als einer der wichtigsten Vertreter des symbolischen Interaktionismus. Er wurde 1922 als Sohn jüdischer Einwanderer in Manville, Kanada geboren und starb 1982 in Philadelphia, USA. Zu seinen bekanntesten Werken zählen Stigma (1963), Asyle (1972), Wir alle spielen Theater (1959) oder Das Individuum im öffentlichen Austausch (1974). Dabei beschäftigen sich seine Werke hauptsächlich mit den sozialpsychologischen, anthropologischen Problemen von menschlicher Interaktion.
Sören Abaye Kierkegaard wurde 1813 als Sohn eines reichen Kaufmanns in Kopenhagen geboren. Während seines überaus erfolgreichen Theologiestudiums, was er im Jahre 1841 als Jahrgangsbester abschloss, lernte er die junge Regine Olsen kennen und verlobte sich mit ihr. (1837). Aber bereits drei Tage nach seiner Verlobung löste er diese wieder auf. Der Grund für seinen Entschluss lässt sich zum einen in seiner schwermütigen Art finden und zum anderen in seiner Vorstellung vom menschlichen Selbst. Nach dem Zerwürfnis mit Regine Olsen und dem Tod seines Vaters (1839), der ihm ein stattliches Erbe hinterließ, begann bei Sören Kierkegaard ein dreijähriger Schaffensprozess (1843-1846), wo er seine bis heute bekanntesten Werke verfasst hat. Diese waren z. B. Die Krankheit zum Tode (1844), Der Begriff der Angst (1843), Furcht und Zittern (1843) oder Entweder Oder (1843). In all seinen Werken tauchen immer wieder die Begriffe Angst und Verzweiflung auf, die für ihn den Menschen grundlegend konstruieren. Nach einem erneuten Zerwürfnis mit der dänischen Amtskirche und der Gesellschaft im Allgemeinen starb Sören Kierkegaard am 11. November 1855 verbittert und alleine.
Wie bereits schon beschrieben, ist für Kierkegaard die Verzweiflung neben der Angst eine Grundeigenschaft des Menschen. Diese kennzeichnet sich dadurch, dass sie ein notwendiges Resultat eines Bewusstseins sein muss, das sich nicht zu Ende denken kann (Liessmann 1993, S.124). Allerdings erklärt dies nur sehr bedingt die Struktur der Verzweiflung. Wenn man also das Wesen und den Ursprung der Verzweiflung näher beleuchten will, so muss man sich mit dem menschlichen Bewusstsein (Geist) beschäftigen. Da für ihn der Mensch Geist ist und die Verzweiflung eine Krankheit des Geistes ist. So charakterisiert Kierkegaard den Menschen wie folgt: „Der Mensch ist Geist. Aber was ist Geist? Geist ist das Selbst. Doch was ist das Selbst. Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, oder ist das an dem Verhältnisse, dass das Verhältnis sich zu sich selbst verhält, das Selbst ist nicht das Verhältnis, sondern dass das Verhältnis sich zu sich selbst verhält“ (Zit. Kierkegaard 1997, S. 13). Aus diesem Zitat wird ersichtlich, dass für Kierkegaard in letzter Konsequenz der Mensch ein Verhältnis bzw. eine Synthese ist1. Der Ausdruck Verhältnis meint in diesem Zusammenhang etwas aktives, nämlich die Tätigkeit des Sich Verhaltens, die sowohl ein Sich zu anderem Verhalten ist wie ein Sich-zu-sich-selbst Verhalten. Diese Bestimmung des Menschen als Sich-Verhalten impliziert, „dass der Mensch nicht je schon ist, was er ist, sich nicht je schon besitzt als der, der er ist, sondern unterwegs ist zu sich, dass er ein wesentlicher Prozess ist“ (Zit. Pieper 1995, S. 56). Nachdem Kierkegaard den Menschen wesentlich als eine komplexe Verhaltensstruktur charakterisiert hat, grenzt er dieses Verhältnis weiter ein: „Der Mensch ist eine Synthese von Unendlichkeit und Endlichkeit, von zeitlichem und Ewigen, von Freiheit und Notwendigkeit, kurz eine Synthese. Eine Synthese ist ein Verhältnis zwischen Zweien. Auf die Art betrachtet ist der Mensch noch kein selbst. Im Verhältnis zwischen Zweien ist das Verhältnis das Dritte die negative Einheit, und die Zwei verhalten sich zum Verhältnis und im Verhältnis zum Verhältnis; so ist z. B. unter der Bestimmung Selle das Verhältnis zwischen Seele und Leib ein Verhältnis. Verhält sich hingegen das Verhältnis zu sich selbst, so ist das Verhältnis das positive Dritte“ (Zit. Kierkegaard 1997, S. 13).
Für Kierkegaard ist demnach das Verhältnis so charakterisiert, dass immer zwei entgegengesetzte Paare in einer Beziehung zueinander stehen. Diese Synthesenpaare sind: Endlichkeit und Unendlichkeit, Möglichkeit und Notwendigkeit, Zeitliches und Ewiges, Freiheit und Notwendigkeit sowie Leib und Seele. Im Folgenden möchte ich auf die Paare Unendlichkeit und Endlichkeit sowie Möglichkeit und Notwendigkeit eingehen, um diese exemplarisch für die o. g. Paare vorzustellen.
- Unendlichkeit und Endlichkeit:
In der Existenz des Phantasten präsentiert sich die Verzweiflung der Unendlichkeit aus dem Grunde fehlender Endlichkeit. Egal, ob die Existenz in der Träumerei, in der Berauschung oder der Ekstase phantastisch wird, sie hat ihre Grenze in ihrem unberücksichtigten Gegensatz, dem Endlichen, die ihr die Rückkehr versperrt. Dagegen kennzeichnet die Verzweiflung der Endlichkeit, geboren aus dem Verlust der Unendlichkeit, jenen Menschen, der sich der Wirklichkeit in ihrem tagtäglichen Einerlei verschrieben hat, ihr ohne ein eigenes Antlitz, „abgeschliffen wie ein Kieselstein2 “, verfallen ist (vgl. Kierkegaard 1997, S. 37).
- Möglichkeit und Notwendigkeit:
In der Verabsolutierung der Möglichkeit läuft das Selbst vor sich weg, rennt die „Notwendigkeit über den Haufen3 “. Wenn sie die Hoffnung zum Spielball macht, unterliegt sie der Verführung durch ihre unstillbaren Wünsche ebenso, wie wenn sie der Schwermut verfällt und sich der Angst nicht entziehen kann. Dagegen zeigen sich die Verzweiflung der Notwendigkeit und das Fehlen der Möglichkeit bei dem Fatalisten oder Deterministen als Geistesverzweiflung (Kierkegaard 1997, S. 45). Sein Selbst versucht, „einzig und allein das Notwendige zu atmen4 “ und erstickt, in stummer Unterwerfung kommt es nicht zur Sprache (vgl. Kierkegaard 1997, S.43-45).
Wie bereits oben schon angedeutet, befinden sich diese Extrempaare in einem dialektischen Verhältnis, aus dem verschiedene Missverhältnisse entstehen können, ohne dass das Subjekt davon Bewusstsein hat (Pieper 1995, S. 57). Diese Missverhältnisse entstehen dadurch, dass diese Synthese von unterschiedlichen Polen noch kein Selbst bilden kann. Da der Mensch zwar die beiden Seiten des jeweiligen Gegensatzes in seinem Sein vereinigt, diese Einheit jedoch nicht als seine eigene Leistung begreift, sondern als Ergebnis einer ihm vorgegebenen Struktur. Diese Einheit bezeichnet er als eine negative Einheit, da sich der Mensch zwar zum Verhältnis und im Verhältnis zum Verhältnis, aber nicht als Verhältnis und im Verhältnis zum Verhältnis verhält. Demnach wird die Einheit, die Identität seines Seins, als ein bloßes Faktum begriffen, das nicht mehr genetisch hergeleitet und aufgelöst wird. Erst wenn sich der Mensch nicht mehr bloß passiv verhält, sondern sein Sich-Verhalten nicht einmal auf sich selbst zurückbezieht und er sich dabei als denjenigen begreift, der Urheber des Verhältnisses ist, der also im Sich-Verhalten zugleich sich selbst zur Existenz bringt, erst dann ist das Verhältnis ein Selbst, d. h. eine positive Einheit, eine Identität, die nicht bloß faktisch besteht, sondern Produkt einer Selbsttätigkeit, einer Setzung des Menschen ist. Ich möchte einen Augenblick bei dieser Aussage verweilen und einen Faden spannen zu seinem Werk „Der Begriff der Angst“. Denn die Setzung des Selbst findet in dem Buch „Die Krankheit zum Tode“ meiner Meinung nach keine hinreichende Beleuchtung5. Welchen Bedingungen unterliegt die Setzung des Selbst, welche kausalen Zusammenhänge lassen sich herstellen oder welche Konsequenzen müssen berücksichtigt werden?
Die Setzung des Selbst erfolgt nach Kierkegaard während des qualitativen Sprungs, der ein entscheidendes Moment in der Geschichte des Individuums darstellt. War der Geist zuvor noch im Mensch träumend und der Mensch selbst „seelisch in unmittelbarer Einheit mit seiner Natürlichkeit bestimmt“, so kennzeichnet der Augenblick des Sprungs einen Übergang von Unschuld zu Schuld, von Unwissenheit zu Wissen und das Erwachen des Selbstbewusstseins. Der qualitative Sprung ist stark an die Sünde gekoppelt. Das Menschengeschlecht bzw. der Mensch trägt die Sündigkeit als potenzielle Möglichkeit der Sünde in sich. So besteht die Möglichkeit des des Geistes eben auch gerade darin, Zusammenhänge und Unterschiede zu schaffen und in genau dieser (neuen) Situation befindet sich der erwachende Geist. Der Mensch erfährt das Sexuelle als das Äußerste der Sinnlichkeit und gerät dadurch in einen Widerspruch, dessen Lösung sich ihm als Aufgabe präsentiert. Das Begehren, eine bewusste Einheit zwischen Seele und Leib herzustellen, um ein stabiles Verhältnis zu erreichen, motiviert ihn, eine Lösung zu finden. Der Geist selbst ist Teil der Synthese, indem er beide Momente umfasst, sie ins Verhältnis setzt und ihre Wirklichkeit produziert. Setzt man dies in einen alltäglichen Bezugsrahmen und betrachtet die Phase der Pubertät, ist erkennbar, dass diese Phase eben jenen ersten „Sprung“ im Bewusstsein beschreibt. Das Individuum macht die Erfahrung, selbst als Geschlecht bestimmt zu sein. Die sexuelle Verschiedenheit war auch vorher präsent, aber das eigentliche Wissen darüber wird erst in dieser Phase erlangt. Der Körper wird als etwas Eigenständiges erfahren. Man erkennt ihn als Entität mit eigenen Gesetzen und Trieben scheinbar unabhängig vom Geist, der (in der Selbstwahrnehmung) an dieser Stelle sozusagen den Platz der Seele innerhalb der Seele-Leib- Dualität einnimmt, ohne jedoch seine Stellung als Drittes/Verbindendes aufzugeben. Der Konflikt, der aus diesem Verhältnis entsteht, leitet eine weitere Erkenntnis ein, nämlich die der Verbindung von Zeitlichkeit und Ewigkeit, die wiederum ein Ausdruck der ersten Synthese Leib-Seele ist. Der Einzelne gewinnt ein Verständnis von Geschichtlichkeit im Allgemeinen und seiner eigenen Geschichtlichkeit, wodurch sein Leben in variable Zeitabschnitte zerfällt- „die gegenwärtige Zeit, die vergangene Zeit, die zukünftige Zeit“, deren Zusammenhalt erneut vom Geist geleistet werden muss. Der Augenblick und das Zukünftige setzen das Vergangene, wobei das Zukünftige gemeinhin als „erster Ausdruck“ der Ewigkeit Geltung findet, die wiederum ebenso in der Vergangenheit als vergangene Zukunft enthalten ist. Das Zukünftige enthält für die Freiheit das Mögliche. In der Zukunft liegt also die Möglichkeit für den Menschen, sich anders zu verhalten, in Bezug auf sich selbst, seine Vergangenheit, eine Situation sich anders zu verhalten. Und dieses Sich-anders-verhalten- können ist seine Freiheit. Beide Momente, die Möglichkeit und die Freiheit, verketten sich im einzelnen Leben mit der Angst6 (vgl. Kierkegaard 1992, S. 13-15).
Angst war in der Phase der Unschuld noch eine Angst vor dem Nichts, lediglich eine Ahnung und sie erhält erst nach dem qualitativen Sprung und der Setzung von Gut und Böse7 eine Bestimmung. Kierkegaard beschreibt den Geist der Unschuld als träumend, d.h. während dieser Zeit ist er nicht untätig, aber auch nicht wirklich produktiv. Er träumt von den Möglichkeiten seiner eigenen Verwirklichung, aber dies enthält auch die Möglichkeit, die Synthese zu verfehlen (der Zustand der Verzweiflung). Diese Ahnung, die noch keinen konkreten Gegenstand hat, und sich lediglich aus unklaren Andeutungen speist, erweckt das Gefühl der Angst (Pieper 1995, S. 130). Der Zustand der Angst ist dialektisch und Kierkegaard weist in seiner Definition von ihr als symphytischer Antipathie und antipathetischer Sympathie darauf hin, dass sie sowohl anziehend als auch abschreckend ist. Angst ist eine Bestimmung zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit. Sie arbeitet dem Geist in seinem Begehren nach Freiheit zu, indem sie diese Möglichkeit (der Freiheit) aufzeigt, gleichzeitig ist sie aber auch (abschreckende) Unsicherheit bezüglich der Konsequenzen, der der handelnde Geist in der Wirklichkeit hervorruft8. Der Mensch erfährt die Angst als etwas, das ihm zustößt und als etwas, das er selbst hervorbringt und wählt, doch weder ist das eine absolute Notwendigkeit, noch ist das andere ein bloßer Akt des freien Willens. Durch die Sünde und das daraus folgende Sündenbewusstsein des Einzelnen tritt eine konkrete Angst in das individuelle Leben, nämlich die Angst davor, erneut zu sündigen bzw. schuldig zu werden. „Die Geschichte des individuellen Lebens bewegt sich von Zustand zu Zustand fort. Jeder Zustand wird durch einen Sprung gesetzt. Wie die Sünde in die Welt hineinkam, so bleibt sie dabei zu kommen, wenn sie nicht zum Stillstand gebracht wird. Aber jede ihrer Wiederholungen ist doch nicht eine einfache Konsequenz, sondern ein neuer Sprung. (…) In einem jeden Zustand ist die Möglichkeit gegenwärtig und insoweit die Angst.“ (Zit. Kierkegaard) Das Bewusstsein des Individuums durchläuft nun eine Doppelbewegung. Zum einen richtet es sich an die Vergangenheit und erkennt „vergangene Verfehlungen“. Sofern es sich vor ihnen als potenzielle Verfehlungen in der Zukunft, sprich als Wiederholung der Sünde, ängstigt, verharrt es in der Angst. Es gelingt ihm nicht, die Verfehlung als tatsächlich Vergangenes zu setzen, sonst könnte es sich nicht ängstigen, sondern nur bereuen (Kierkegaard 1992, S. 43). Die ist nicht notwendig, insofern die Sünde nicht notwendig ist (Kierkegaard 1992, S.51). Notwendigkeit darf hier nicht als etwas verstanden werden, das eine Bedingung des Lebens, also z. B. Fortpflanzung oder das Leben selbst, beschreibt. Die Sünde ist bedeutsam für die Menschheit hinsichtlich ihrer Kontinuität, aber Notwendigkeit als solche betrifft nur den Geist und die Ewigkeit9 (Kierkegaard 1992, S.55 f.). Es muss also auch möglich sein, einen vollkommenen Zustand zu erreichen, d.h. die Sünde zu überwinden, was wiederum nur möglich ist, wenn die Sünde keine Notwendigkeit besitzt, denn wäre sie notwendig, könnte man sie nicht überwinden. Die Sünde als solche bezieht sich nicht nur auf das Sexuelle, denn dieses ist nur das Äußerste des Sinnlichen. Eine Übertonung des Sinnlichen, d.h. zum Beispiel bestimmte Abhängigkeiten wie Alkoholsucht oder Rauschgift, gehören ebenso in den Bereich der Sünde wie Zorn, Hass, Eitel, Eitelkeit etc., die sich im Verhältnis zum Höheren im Menschen zeigen, d. h. die nicht unmittelbar auf den Körper bezogen sind. An diesem Punkt lässt sich ein Bogen zurück zur Verzweiflung spannen, denn gerade in einer solchen Akzentuierung des Sinnlichen oder Seelischen zeigt sich das Missverhältnis, in welchem sich das Individuum befindet und das seine Verzweiflung begründet.
„Verzweifeln ist eine Bestimmung des Geistes und verhält sich zum Ewigen im Menschen“ (Zit. Kierkegaard 1997, S.16). Nur indem der Mensch sich als von Gott gesetzt sieht, sich sozusagen in Gott gründet, indem er das Ewige in seinem Selbst anerkennt, kann er zu Gleichgewicht und Ruhe kommen (vgl. Kierkegaard 1997, S. 14). In diesem Zusammenhang erfährt Sünde als Kategorie eine inhaltliche Änderung bzw. Erweiterung. Sie ist nicht nur das, was als unmoralisch im herkömmlichen christlichen Sinne verstanden wird und nun eher zur Kategorie Schuld zählt, sondern sündigen heißt, trotz des Bewusstseins vor Gott da zu sein, schuldig zu werden. Der Sündenbegriff setzt also einen Gottesbeweis voraus, während Schuld einem „Nicht-von Gott-Wissen“ untergeordnet wird. Der Schweregrad von Schuld und Sünde unterschiedet sich hauptsächlich darin, dass die Schuld, die vor Gott geschieht, also die Sünde, „unendlich potenziert“ wird, eben weil sie vor Gott geschieht (Kierkegaard 1997, S.102). Trotzdem kann man Schuld eigentlich nicht als ein geringeres Vergehen sehen, nur weil sie durch Unwissenheit, d. h. nicht von Gott wissen, geschieht. Die Aufgabe des Menschen besteht darin, Geist zu werden, sich selbst zu erkennen, also auch die Macht anzuerkennen, die ihn gesetzt hat. Der Prozess der Selbsterkenntnis kann nur vonstattengehen, wenn der Mensch Gott erkennt und sein Selbst als ein Teil dieser Macht akzeptiert. Verharrt das Individuum in der Verzweiflung, ohne an deren Überwindung zu arbeiten, kommt dies erschwerend zu seiner Schuld hinzu. Angst ist ein Symptom der Verzweiflung, d.h. Angst ist Verzweiflung, aber durch ihr Eintreten wird die Verzweiflung in jedem Menschen erkennbar und das ist, worum sich alles dreht, „dass die Angst sichtbar wird“ (Zit. Kierkegaard 1992, S.51). Angst zeigt, dass der Mensch ursprünglich kein einheitliches Wesen ist, dass er verzweifelt ist (Gron 1999, S.59). Sie offenbart die ungleichartige Zusammensetzung des Einzelnen, indem sie auf das Verhältnis selbst verweist und verschiedene Möglichkeiten des Sich-Verhaltens aufzeigt. Angst vor dem Bösen ist, wie bereits angesprochen, die Angst vor der Wiederholung der Sünde und Schuld bzw. einer neuen Schuld und Sünde. Auch hier ist Angst doppeldeutig, denn einerseits erkennt das Individuum eine Handlung als Fehler an und ängstigt sich dementsprechend vor einer Wiederholung und bereut die vergangene Tat, aber gleichzeitig verunsichert sie den Menschen in seiner Beziehung zu sich selbst (Gron 1999, S. 53). Der Mensch bleibt dadurch an seine Vergangenheit gebunden, was wiederum ein Ungleichgewicht zwischen Vergangenheit und Zukunft produziert, indem die Verfehlung eine zukünftige Möglichkeit präsentiert. Die Vergangenheit dominiert in dem Sinne die Zukunft. Auch durch Reue ist das Individuum an die vergangene Schuld gekettet, denn obwohl es über diese Schuld trauert, kann es sich nicht davon befreien (vgl. Kierkegaard 1992, S. 133). Wie ist nun ein Entrinnen aus diesem Kreis für den Einzelnen möglich? „Das einzige, das in Wahrheit die Sophismen der Reue entwaffnen vermag, ist Glaube, der Mut zu glauben, dass der Zustand selbst eine neue Sünde ist, der Mut, auf die Angst ohne Angst zu verzichten, was nur der Glaube vermag, ohne dass er doch darum die Angst vernichtet, sondern, selbst ewig jung, entfaltet er sich beständig an dem Todesaugenblick der Angst. Dies vermag nur der Glaube, denn nur um Glauben ist die Synthese ewig und jeden Augenblick möglich.“ (Zit. Kierkegaard 1992, S. 137). Der Glaube ist der Gegensatz zur Sünde, denn der Glaube schafft die Möglichkeit zur Freiheit (Kierkegaard 1997, S. 90). Glaube ist hier jedoch nicht nur einfach der Glaube an Gott. Als solcher wäre er nicht der Gegensatz zur Sünde, denn beide Begriffe setzen einen Glauben an bzw. ein Wissen von Gott bereits voraus. Der Glaube bezieht sich eher auf eine bestimmte Möglichkeit und zwar die Möglichkeit der Freiheit, die Möglichkeit, dass bei Gott alles möglich ist, auch die Vergebung der eigenen Sünden, mit der man sich selbst sehr schwer tut (vgl. Kierkegaard 1997, S. 92-94). „In der Angst wird die Möglichkeit dieser Möglichkeit aufgezeigt“ (Zit. Kierkegaard 1992, S. 139). Das Individuum kann nun ebenfalls Angst vor dieser Möglichkeit empfinden, die Kierkegaard als das Dämonische, d.h. die Angst vor dem Guten, beschreibt. Das Dämonische ist das Verschlossene, der Widerstand gegen die Freiheit bzw. ein Selbst zu werden (Kierkegaard 1992, S. 142 sowie vgl. Pieper 1995, S. 127).
Diese Verzweiflung kann in dreierlei Formen auftreten: „verzweifelt nicht sich bewusst zu sein, ein Selbst zu haben“, verzweifelt nicht man selbst sein zu wollen“ (Verzweiflung der Schwäche), „verzweifelt man selbst sein wollen“ (Trotz).
Die erste Form der eigentlichen Verzweiflung, verzweifelt nicht man selbst sein wollen, entsteht dadurch, dass das Selbst sich nicht gesetzt hat, sein Selbst jedoch nicht ertragen kann. Die zweite Form der eigentlichen Verzweiflung, verzweifelt man selbst sein wollen, hat ihre Ursache darin, dass das Selbst sich als gesetztes nicht annehmen kann und demzufolge es selbst sein will. Nach Anti-Climacus stimmen diese beiden Formen darin überein, dass das gesetzte Selbst so, wie es ist, nicht sein will. Das Selbstverhältnis konstituiert sich auch Willensverhältnis. Die Differenz zwischen den Formen eigentlicher Verzweiflung lässt sich feststellen, wenn gefragt wird, worauf sich die Ablehnung des Selbst bezieht. In der Form „verzweifelt man selbst sein wollen“ richtet sich das Selbst nach vorn, auf sich selbst als ein zukünftiges, das erst hervorgebracht werden muss.
Bevor ich auf die beiden eigentlichen Formen von Verzweiflung eingehe, möchte ich im Folgenden zunächst die uneigentliche Form von Verzweiflung, „verzweifelt nicht sich bewusst zu sein, ein Selbst zu haben“, näher beleuchten.
Diese erste Form der „uneigentlichen Verzweiflung“ setzt sich mit der Problematik auseinander, dass das Individuum sich noch gar nicht bewusst ist, ein Selbst zu haben. Da es sich nicht bewusst ist, ein Selbst zu haben, erkennt es auch nicht die unmittelbaren Ursachen seiner Verzweiflung. So bezeichnet Kierkegaard diese Form der Verzweiflung als „verzweifelt sich nicht bewusst sein, ein Selbst zu haben“ (vgl. Theunissen1993 S.78f.).
Diese Form stellt nach der Ansicht des Autors die unterste Stufe der Verzweiflung dar. In diesem Zustand lebt der Mensch in reiner Unmittelbarkeit bzw. in reiner Geistlosigkeit:„Es kommt daher, dass er vom Sinnlich-Seelischen vollkommen beherrscht wird, es kommt daher, dass er in den Kategorien des Sinnlichen, dem Angenehmen und dem Unangenehmen lebt, sich nicht um Geist, Wahrheit und dergleichen kümmert, es kommt daher, dass er zu sinnlich ist, um es mutig zu wagen und zu ertragen, Geist zu sein.“ (Zit. Kierkegaard 1997, S.48).
Demnach wird in dieser Form der Verzweiflung die Identität des Menschen komplett von außen bzw. der Unmittelbarkeit gestaltet. Der Mensch, der in dieser Form der Verzweiflung verharrt, begründet somit sein Leben komplett von Dingen, die ihn nicht gesetzt haben. Die Setzung der eigenen Identität von außen kann z. B. durch Staat, Nation/Volk oder irgendwelche Ideologien erfolgen, aber auch im Kleinen, wie z. B.Kleidung, Schmuck oder irgendwelche anderen materiellen Gegenstände. Zwar mögen die genannten Gegenstände sich in ihrer Form unterscheiden, aber alle haben gemein, dass sie verhindern, dass sich das Individuum als ein Selbst erkennt und somit ein vertanes Leben führt bzw. ein Leben in Sünde (vgl. Liebmann 1993, S.124/ Kierkegaard 1997, S.87): „Wenn man sich ein Haus vorstellt, mit Keller, Erdgeschoss und Beletage, so bewohnt oder eingerichtet, dass zwischen den Bewohnern jeder Etage ein Standesunterschied besteht oder beabsichtigt ist (…) und wenn man das Menschsein mit einem solchen Haus vergleicht, dann ist bei den meisten Menschen leider das Traurige und Lächerliche der Fall, dass sie es vorziehen, in ihrem eigenen Haus im Keller zu wohnen“ (Zit. Kierkegaard 1997, S.48).
Die Dialektik dieser Form der Verzweiflung besteht darin, dass das Individuum nichts vom Selbst weiß, aber somit auch keine Kenntnis über das Ausmaß seiner Verzweiflung besitzt. Nach Kierkegaard wird die Verzweiflung umso intensiver gelebt, umso mehr Kenntnis man über diese hat (Kierkegaard 1994, S.46). Somit ist in diesem Zustand zwar die Unkenntnis über sich selbst am größten, aber der Grad der Verzweiflung am geringsten. So kann es durchaus vorkommen, dass ein Mensch, der sein Leben komplett aus der Unmittelbarkeit begründet, dieses Leben als ein sehr angenehmes und zufriedenes empfindet. Kierkegaard bezeichnet diesen Zustand als „vermeintliches Glück“10 (Kierkegaard 1997,S.41). „Er befindet sich wohl, hält sich für durchaus gesund, scheint anderen vielleicht gar vor Gesundheit zu blühen, gerade dann wenn die Krankheit am aller gefährlichsten ist.“ (Zit. Kierkegaard 1997,S.42).
Weiter führt Kierkegaard aus, dass das außengelenkte Individuum alles dafür tun wird, nicht aus seinem vermeintlich schönen Leben (Unmittelbarkeit) herausgerissen zu werden. Da aber die Unmittelbarkeit sehr zerbrechlich ist, wird das Individuum zwangsläufig mit der Illusion seines „vermeintlichen Glückes“ konfrontiert sein (Pieper 1995, S.61). Die dann einsetzenden Reflexionsprozesse im Individuum können dann zu den Formen der Verzweiflung „verzweifelt man selbst sein wollen“ oder „verzweifelt nicht man selbst sein wollen“ führen.
Wie ich im Folgenden aufzeigen werde, führen diese beiden Formen der Verzweiflung zu einer Potenzierung der Verzweiflung. Gleichzeitig führen sie aber den Menschen ein Stück näher an sich selbst heran und somit ein Stück näher zur kompletten Erlösung von Verzweiflung (Liesmann 1993,S.121). Somit besitzt die Verzweiflung allgemein, als Grundbestimmung des Menschen, eine gewisse Dialektik: „Um aber zur Wahrheit zu gelangen muss man durch jegliche Negativität hindurch.(…).Eine jede menschliche Existenz, die nicht ihrer als Geist sich bewusst ist oder vor Gott persönlich ihrer als Geist sich bewusst ist,(…) die sich nicht dergestalt durchsichtig gründet in Gott, sondern trübe ruht und aufgeht in irgendeinen abstrakten Allgemeinen (dem Staat, der Nation und dergleichen), eine jede solche Existenz ist…Verzweiflung“ (Zit. Kierkegaard 1997, S. 49-51).
[...]
1 Demnach ist für Anti-Climacus der Mensch Geist und dieses Geistsein, das der Mensch ist, wird dann durch Selbstsein näher erläutert: „Geist ist das Selbst“. Dabei ist zu beachten, dass das Wort „ist“ im ersten Satz nicht nur eine bloße formale Funktion besitzt. Sondern das Wort „ist“ kennzeichnet darüber hinaus ein Wirklichkeitssein, ein Existieren, d. h. der Mensch, sofern er wahrhaft Mensch ist, existiert als Geist, als Selbst, er ist nichts anderes als geistiges Sein bzw. Selbstsein. Nur sofern er selbst ist, ist er wirklich Mensch (Ringleben 1995 S. 42, Theunissen 1993, S. 23).
2 Zit. Kierkegaard 1997, S.37.
3 ( Zit. Kierkegaard 1997, S.37)
4 Zit. Kierkegaard 1997, S. 45.
5 Wahrscheinlich ist dies genau darauf zurückzuführen, dass die Auseinandersetzung mit diesem Prozess bereits in dem Buch „ Der Begriff der Angst “ ausreichend geführt wurde und für das Verständnis von „Die Krankheit zum Tode“ einfach vorausgesetzt wurde.
6 Angst haben verweist immer auf ein Sich-Verhalten-Müssen, auf die fragile Synthese des Subjekts und auf die Möglichkeit der Sünde bzw. der Freiheit und ist deshalb qualitativ verschieden von der Furcht beispielsweise, die immer auf etwas ganz bestimmtes gerichtet ist (Kierkegaard 1992, S. 50f).
7 Das Gute ist nach Kierkegaard nicht definierbar, ebenso wenig kann man den Unterschied zwischen Gut und Böse im Abstrakten setzen, sondern nur im Konkreten, d.h. in einer bestimmten Situation bzw. in einem bestimmten Zustand. So heißt es in einer Fußnote im „ Begriff der Angst“: „Das Gute ist die Freiheit. Erst für die Freiheit oder in der Freiheit gibt es den Unterschied zwischen Gut und Böse und dieser Unterschied ist niemals in abstracto sondern nur in concreto“ (Zit. Kierkegaard 1992, S.21). Der Begriff des Guten und seine vage Definition als Freiheit umspannt und durchdringt sozusagen das Verhältnis Gut und Böse. Das Gute zeigt sich immer als Möglichkeit und ist so stets anwesend, aber das Gute als ethische Grundlage und in Abgrenzung zum Bösen bzw. zur Sünde kann nur aus einer bestimmten Situation heraus und in Bezug auf ein bestimmtes Leben gesetzt werden.
8 Es mag auch sein, dass eine gewisse Gewohnheit, die eigene oder auch die fremde, bestimmte Konsequenzen absehbar macht und man sich gegen die Freiheit (sich selbst zu verhalten bzw. ein Selbst zu sein) entschiedet, „ein solcher Mensch(…) wagt nicht an sich selbst zu glauben, findet es zu gewagt, er selbst zu sein, und viel leichter und sicherer zu sein wie die anderen, eine Nachäffung zu werden, eine Zahl in der Masse zu sein“ (Zit. Kierkegaard 1997, S. 78). Ein selbstständiges und selbstverantwortliches freies Handeln ist einerseits ein attraktives Ziel, aber birgt immer die Gefahr in sich, dass man aus der Masse herausgelöst und exponiert wird. Diese Vorstellung ist beängstigend. Sie zeigt aber auch gleichzeitig die Möglichkeit, frei (ein Selbst) zu sein. Die Angst wird so zu einem Nervenkitzel und einem Spiel. Sie reizt zu einem anderen Verhalten an und schreckt gleichzeitig vor diesem Verhalten ab, weil nicht alle Konsequenzen vorhersehbar sind (vgl. Pieper 1995, S.129).
9 Dieser Notwendigkeitsbegriff Kierkegaards ist zunächst irreführend, da er vom Wirklichkeitsbegriff deutlich getrennt ist. Das, was die Wirklichkeit bedingt, ist letztendlich notwendig, denn etwas, das erst entsteht, kann keine Notwendigkeit besitzen. Nur das Ewige besitzt Notwendigkeit (vgl. Kierkegaard 1992, S.74).
10 Der Philosoph Hendrik Ibsen bezeichnet diesen Zustand auch als „Lebenslüge“ (Siehe Art. Lebenslüge im Hist. Wörterbuch d. Philosophie J.Ritter/K Gründer Bd. 5 1980, S.131-135).
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