Diplomarbeit, 2010
76 Seiten, Note: 1,3
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Gang der Untersuchung
2 Auslieferung - Deutschland
2.1 Gesetzliche Entwicklung
2.2 Deutsches Auslieferungsgesetz vom 23.12.1929
2.3 Gesetz über die internationale Rechtshilfe (IRG)
2.4 Territorialitätsprinzip
2.5 Personalitätsprinzip
2.6 Weltrechtsprinzip
2.7 Voraussetzungen der Auslieferung
2.7.1 Gegenseitigkeit und Beiderseitiger Strafbarkeit
2.7.2 Eigene Staatsbürger
2.7.3 Militärische und politische Delikte
2.7.4 Prinzip der Spezialität
2.7.5 Drohende Todesstrafe
2.8 Das Auslieferungsverfahren in Deutschland
2.9 Abgrenzung zur Ausweisung und Abschiebung
2.10 Auslieferung in Zahlen - Statistische Werte
3 Europäischer und internationaler Haftbefehl
3.1 Rechtliche Grundlage und Entwicklung
3.2 Eingliederung im nationalen Recht
3.3 EU-Haftbefehl und die deutsche Verfassung
3.4 Das Verfahren beim Europäischen Haftbefehl
3.5 Das internationale Verfahren
3.6 Komplementarität
3.7 Immunitäten
4 Auslieferung - Brasil
4.1 Geschichte der Auslieferung in Brasilien
4.2 Ausländer Statut - Gesetz Nummer 6.815/80
4.3 Die besondere Stellung für Bürger Portugals
4.4 Vorrausetzungen für die Auslieferung
4.5 Nichtauslieferung eigener Staatsbürger
4.6 Das Auslieferungsverfahren in Brasilien
4.7 Supremo Tribunal Federal - Oberster Gerichtshof
4.8 Die Auslieferung und der Mercosul
4.9 Brasilien und die Internationale Strafgerichtsbarkeit
5 Auslieferungsprozess Deutschland - Brasilien
6 Manfred Küppers - der Millionen-Manni
6.1 Manfred Küppers in Brasilien
6.2 Die Auslieferung
6.3 Der Prozess in Deutschland
7 Schlussfolgerung
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Internet Quellen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Warum wird es häufig in den Medien so dargestellt, dass Gesetzesbrecher grundsätzlich nach Brasilien fliehen? Bietet Brasilien wirklich den erhofften Schutz für den „Gesetzesflüchtling“?
Die Autorin, die seit 1995 in Deutschland lebt und in Brasilien geboren und aufgewachsen ist, wird diesen vermeidlichen Mythos ergründen und für juristische Laien das Thema Auslieferung ausführlich und transparent darstellen. Dies geschieht insbesondere durch eine Abgrenzung zu den Themen Ausweisung und Abschiebung.
Immer wieder wird in den Medien darüber berichtet, dass ein Staat einen Auslieferungsantrag gestellt hat oder bedienen soll. Ebenso wird von der Ausweisung und Abschiebung von Menschen gesprochen, ohne dass es klar ist in welcher Form sich die Verfahren unterscheiden. Die Autorin wird anhand einer Analyse die verschiedenen Verfahren sowie die unterschiedlichen Vorgehensweisen je nach beteiligtem Staat darstellen. Es soll dem Leser verständlich dargestellt werden was es bedeutet, wenn eine Auslieferung durch die Bundesrepublik mangels Gegenseitigkeitszusagen nicht bewilligt wurde. Die Interpretation der Negativvoraussetzungen zur Bewilligung einer Auslieferung als Abgrenzung von Individuumsrechten zum Erhalt der staatlichen Souveränität. In der Betrachtung wird erläutert wie das Auslieferungsverfahren in Deutschland geregelt ist und welche Normen hier Anwendung finden. Es soll verdeutlicht werden wo die Unterschiede zwischen einem bestehenden und einem nicht vorhandenen Auslieferungsvertrages bzw. -abkommen liegen. Darüber hinaus soll geklärt werden, was sich durch die Unterzeichung von Multilateralen Verträgen ändert. Es soll ergründet werden, welchen Einfluss die Unterzeichung eines Rahmenbeschlusses innerhalb der Europäischen Union oder der Mercosul für die Bevölkerung haben. In der heutigen Zeit, wo man von Europarisierung und Globalisierung spricht, ist es unabdingbar für die Betrachtung eines Rechtssystems außerhalb der territorialen Grenzegebieten des Staates zu gehen. Zum betrachten eines Rechtsgebiets in Deutschland ist es zwingend erforderlich, auf die bestehenden Rahmenbeschlüsse der Europäischen Union Bezug zu nehmen. Bei einer Betrachtung über den Atlantik hinweg , in das zweite Land was hier analysiert werden soll, so gilt die gleiche Regelung in Bezug auf das Abkommen von Mercosul. Mit einer alleinigen Betrachtung der kontinentalen Rechtsordnungen innerhalb ihrer geschlossenen Gemeinschaften in Bezug auf die nationale Gesetzgebung kann in der heutigen Zeit keine vollständige Analyse abgedeckt werden. Das Problem besteht in der Eingliederung einer Rechtsordnung mit weltweitem Geltungsbereich. Abkommen auf internationaler Ebene, über kontinentale Gemeinschaften bis hin in die nationale Rechtordnung. Zwischen den zu untersuchenden Ländern besteht seit Jahrzehnten kein bilaterales Abkommen mehr, das zu gegenseitiger Auslieferung von Straftätern verpflichtet. Warum liefert Brasilien trotzdem aus? Manfred Küppers stand, nachdem er in Deutschland einen Geldtransporter überfallen hatte und eigentlich ein finanziell sorgloses Leben in Brasilien führte, trotz allem in Deutschland vor Gericht. Wie es dazu kam und unter welchen Voraussetzungen er nach Deutschland überstellt wurde, wird die Analyse dieser Arbeit abschließen.
Bei dieser Arbeit steht die analytische Betrachtung des Auslieferungsverfahrens zwischen zwei Ländern, die sich auf zwei unterschiedlichen Kontinenten befinden, im Vordergrund. Unter einer analytischen Betrachtung versteht man nicht unbedingt die alleinige Betrachtung des Auslieferungsverfahrens beider Länder untereinander. Von welcher Rechtsquelle sich beide Staaten bedienen damit es zur Auslieferung kommt ist nicht das zentrale Thema dieser Arbeit. Die Autorin wird vielmehr eine vereinzelte Analyse des Auslieferungsverfahrens für jedes Land vornehmen; beginnend mit der Darstellung der Auslieferungsbegrifflichkeiten, die reglementierenden Normen, die Voraussetzungen sowie das Verfahren auf nationaler Ebene. Die Autorin beginnt mit Deutschland, weil wir uns in Deutschland und nicht in Brasilien befinden. Letzteres Land ist ein wichtiger Bestandteil dieser Arbeit, dennoch wird Deutschland bewusst ein größerer Anteil dieser Arbeit gewidmet. Von der deutschen Betrachtung aus wird Bezug auf die europäische Reglementierung genommen. Es wäre eine lückenhafte Arbeit von einem Auslieferungsverfahren in Deutschland zu sprechen, ohne die Beschlüsse der Europäischen Union mit ein zu beziehen. Die internationale Ebene wird betrachtet, wenngleich nur kurz, aber notwendig für eine vollständige Analyse. Die Arbeit beginnt mit Deutschland über Europa bis hin zu der internationalen Ebene. Danach entsteht erneut die Analyse aus brasilianischer Sicht. Die reglementierenden Normen in Brasilien werden vorgestellt, sowie die Voraussetzungen und das Verfahren auf nationaler Ebene. Bei der brasilianischen Betrachtung wird die Autorin auf die Begrifflichkeiten verzichten, dafür aber einen Teil der brasilianischen Geschichte mit einbeziehen, um dem Leser bestimmte Bereiche verständlicher zu machen. Wenn vom Auslieferungsverfahren gesprochen wird, ist es unumgänglich zu erwähnen, dass dafür verschiedenen Rechtsquellen eine Rolle spielen. Zu einem die Auslieferungsverträge, als bilateraler Verträge zwischen zwei Staaten unterschriebener Vereinbarung die zur Auslieferung verpflichtet,. Zum anderem die multilaterale Verträge, deren Gemeinschaft die Staaten angehören und im folge dessen die Vereinbarungen der angeschlossene Vertragsstaaten. Sowie die internationale Abkommen wie das Statut von Rom oder das im Innenverhältnis bestehende Gesetz das die Auslieferung reglementiert. Zwischen den Ländern Brasilien und Deutschland besteht kein Auslieferungsabkommen mehr. Auf dieses spezielle Gebiet der Auslieferungsverträge wird deshalb nicht weiter eingegangen, vielmehr wird das Thema am Rande und im Rahmen des deutschen Auslieferungsgesetzes als Kontrast auftauchen. Die Arbeit wird mit der Analyse des Verfahrens zwischen Deutschland und Brasilien abgeschlossen. Außerdem wird zum Abschluss der Arbeit ein konkreter Fall bearbeitet: der Fall „Manfred Küppers“. Manfred Küppers, ein deutscher Staatsbürger der in Deutschland ein Verbrechen begangen und in Brasilien zuflucht gefunden hat, aber letztendlich durch ein Auslieferungsverfahren zwischen Deutschland und Brasilien in Deutschland vor Gericht stand. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Autorin die Arbeit vom deutschen nationalen Territorium aus über die europäische bis hin zur internationalen Ebene betrachtet. Von der internationalen Ebene aus wieder zu der brasilianischen nationalen und der süd-amerikanischen Ebene. Der Kreis dieser Arbeit schließt sich mit einem Zusammenkommen der Länder Deutschland und Brasilien, anhand des Falls von „Millionen-Manni“.
Auslieferung ist ein internationaler Akt der Rechtshilfe, der die behördliche Überstellung eines Tatverdächtigen aus der Hoheits- und Strafgewalt eines Landes in die Hoheits- und Strafgewalt eines anderen Landes charakterisiert. Es sind grundsätzlich zwei Staaten am Auslieferungsprozess beteiligt, der ersuchende und der ersuchte Staat. Der ersuchende Staat als das Land, das einen Antrag auf Auslieferung eines Delinquenten oder eines bereits verurteilten Täters stellt. Der ersuchte Staat, als der Staat, an den der Antrag gestellt wird, einen in seinem Territorium befindenden vermutlichen Täter auszuliefern. Die Übergabe des Sträflings gestattet dem antragsstellenden Staat die Realisierung eines Strafverfahrens und der Strafvollstreckung. Ohne diese Übergabe würde die Hoheitsstrafmacht an der Landesgrenze scheitern. Der einzelne Staat ist auf die Hilfe des anderen Staates angewiesen, sowohl bei der Verfolgung eines Straftäters, der eine Tat im Inland begangen hat und ins Ausland geflohen ist, aber auch, wenn er wegen einer im Ausland verübten Tat im Inland zu Rechenschaft, beziehungsweise der inländischen Strafverfolgung gestellt werden soll1.
Das es sich bei der Auslieferung um einen Akt der Rechtshilfe und nicht der Rechtspflege handelt, war auf europäischer Ebene nicht immer eindeutig. Um von einem Akt der Rechtspflege zu sprechen, müsste die Gerichtsbarkeit des ersuchten Landes tätig werden. Das Recht des ersuchten Staates würde hier Anwendung finden. Die unterschiedlichen einzelnen nationalen Strafrechtsnormen machen es aber so gut wie unmöglich. Es wäre durchaus denkbar, dass ein deutscher Staatsbürger, der im Ausland eine Straftat begangen haben soll, sich gegebenenfalls gegenüber der ausländischen Justiz für eine Tat verantworten müsste, die nach dem deutschen Recht gar nicht strafbar wäre. Gemäß Art. 16 (2) GG darf kein deutscher Staatsbürger dem Ausland übergeben werden. Aus dem Nationalitätsprinzip hergeleitet, lässt sich die Frage, ob ein Strafspruch einer ausländischen Strafhoheit gegenüber einem deutschen Staatsbürger, der sich in Deutschland aufhält, möglich ist, leicht verneinen. Was Deutschland den anderen Hoheitsgebieten verwehrt, wird keineswegs von ihnen verlangt. Somit wird auch kein deutscher Strafspruch gegen einen ausländischen Straftäter verübt, wenn dieser sich in seinem angehörigen Land aufhält. Das Nationalitätsprinzip wird später im Rahmen der Darstellung der Prinzipien im Detail erläutert. Kann kein Strafspruch verhängt werden, kommt man automatisch zu der Schlussfolgerung, dass es sich nur um einen Rechtshilfeakt und nicht um einen Akt der Rechtspflege handeln kann. Betrachten wir die deutsche Auffassung im Bezug auf die Strafansprüche gegenüber ausländischen Verbrechern, lässt sich sagen, dass es diese Diskussion in Deutschland nicht gab. Die im § 41 DAG, folgend im § 59 IRG unmissverständliche Wort-Darstellung von Rechtshilfe und nicht von Rechtspflege, bestätigen diese Auslegung im deutschen Recht2. Obwohl die Diskussion für die praktische Durchführung keinerlei Relevanz hat, ist die Autorin der Meinung, dass es nicht klar und deutlich zu erkennen ist, ob es sich beim Auslieferungsprozess um einen Akt der Rechtshilfe oder Rechtspflege handelt. Versteht man unter Rechtspflege einzig und alleine den Akt, der sich auf die Tätigkeit des Richters bezieht, könnte man in der Tat von der Frage nach der Rechtspflege absehen. Dehnt man den Begriff der Rechtspflege etwas aus, in dem man die Anwendung der dafür geltenden Normen mit einbezieht, wäre es denkbar sowohl von einem Akt der Rechtspflege als auch von einem Akt der Rechthilfe zu sprechen. Letztendlich, auch aus dem Grunde, dass die Rechtspflege nicht ohne die Rechthilfe tätig sein kann. Vielmehr vertritt die Autorin die Meinung, dass es sich beim Auslieferungsprozess, um einen gemeinsamen Akt der Rechtspflege und Rechtshilfe handelt, weil gemäß § 12 IRG eine Auslieferung nur dann zulässig ist, wenn sie per Gericht als solche erklärt wurde. Obwohl die Rechtspflege nicht in der Form zum Einsatz kommt, als das eine Strafe richterlich verhängt wird, ist die Auslieferung im deutschen Recht ohne einen Richter jedoch nicht realisierbar.
Dass das Auslieferungsverfahren nur auf Staatsebene und niemals auf Personenebene stattfindet, ist im § 2 und § 74 IRG klar geregelt. Der Zweck der Auslieferung ist ausschließlich und alleine die Strafverfolgung und / oder die Strafvollstreckung, § 6 entsprechende § 11 (1) IRG sind die regulierende Normen, die hier Anwendung finden. Andere Zwangsmittel, wie zum Beispiel die disziplinarische Lektion gegen den Ausgesetzten, sind nicht gewährt. Der Antrag auf Auslieferung muss von einer fremdländischen Verwaltungseinheit gestellt werden. Alleine die Bezichtigung eine strafbare Tat verübt zu haben, reicht hierbei nicht aus. Die dafür vorliegenden Bekenntnisse und Beweise müssen dem ersuchten Staat beurkundet werden3. In den überwiegenden Fällen haben die Länder großes Interesse, dem ersuchenden Staat zu helfen. Kein Land hat ein Interesse daran, dass sich die Verbrecher in ihrer Heimat aufhalten, zum einen wegen der eigenen Sicherheit und zum anderen um nicht als Gangsterparadies zu gelten. Ein weiterer Aspekt ist die Gefährdung der diplomatischen Beziehung bei unbegründeter Ablehnung der Hilfe. Das Auslieferungsverfahren steht daher unterstützend dem Heimatland bei, einem sich zum Beispiel in Deutschland aufhaltenden Sträfling, der inländischen Jurisdiktion zur Ausübung ihrer Strafgewalt zu überführen. Allerdings reglementiert das allseitige Völkerrecht geradewegs keine Verpflichtung zur wechselseitigen Auslieferung mutmaßlicher Gesetzesbrecher4. Zu der grenzüberschreitenden Rechtsdurchsetzungen, vor allem beim Überlassen von Straftätern sowie die beiderseitige Mithilfe bei der Beweisbeschaffung, dienen Auslieferungsverträgen oder speziellen Vereinbarungen und Abkommen. Die Regelungen im Auslieferungsverfahrensrecht sind im Überbegriff des Rechtshilferechts wieder zu finden. Das Erfordernis eines dergleichen Rechtshilferechts ergibt sich aus der Ausgestaltung der nationalen Strafgerichtsbarkeit. Demzufolge ist es eigens erdenklich, dass ein Verbrecher in einem Land weilt, in dem die vom ihm verübte Tat auf Grund der Ausgestaltung des nationalen Strafrechts nicht strafbar ist und folglich die Strafgerichtsbarkeit keine Anwendung findet. Das Land, das die Ausübung der Strafgewalt vollziehen will, hat die Herrschergewalt des Aufenthaltstaates zu würdigen und ihm unterliegt es den Verdächtigen eigenständig hervorbringen. Demnach werden in verschiedenen internationalen und nationalen Gesetzgebungen sowie im internationalen Rechtshilfe Gesetz und in bi- und multilateralen Verträgen die Bedingungen zur Deportation und Rechtshilfe geregelt5.
Zum Auslieferungsprozess sind noch die Begriffe der Vorläufigen Auslieferung und der Durchlieferung zu erwähnen. Bei der Vorläufigen Auslieferung handelt es sich um eine Auslieferung bei der die Möglichkeit der Rücklieferung offen gehalten wird. Sie ist gesetzlich nicht geregelt und wird hier nicht weiter thematisiert.6 Ist bei einem Auslieferungsprozess Deutschland weder als ersuchter noch als ersuchender Staat beteiligt, aber trotzdem involviert, handelt es sich hierbei um einen Fall der Durchlieferung. Zu dieser Konstellation kommt es, wenn ein Straftäter per Auslieferungsverfahren in einen anderen Staat überstellt werden soll und aus logistischen Gründen durch Deutschland transportiert werden soll bzw. muss. Eine Durchlieferung kann sowohl durch einen als auch durch mehrere Staaten erfolgen. Aufgrund der zentralen geographischen Position innerhalb Europas ist die Durchlieferung nicht unbedeutsam für das deutsche Auslieferungsrecht. So war die Durchlieferung durch das Gebiet des Deutschen Reichs schon im Deutschem Auslieferungsgesetz von 1929, § 33 geregelt. Im heutigen Internationalen Rechtshilfe Gesetz hat die Durchlieferung einen eigenen Abschnitt bekommen, dritter Teil, §§ 43 - 47 IRG7. Die Notwendigkeit einer Durchlieferungsbewilligung für das Territorium eines Staates dehnt sich auf dessen Luftraum aus. Somit ist eine Durchlieferungsbewilligung für einen Zwischenstop auf einen deutschen Flughafen zwingend erforderlich. Anders als bei der Auslieferung, wird bei der Durchlieferung bereits bei der Übergabe und nicht bei der Überstellung auf die Ausübung der Hoheitsstrafmächte verzichtet. In der Kurzfassung der Voraussetzungen der Durchlieferung, im Vergleich zu der Auslieferung, lässt sich klar erkennen, dass es sich dabei nicht um eine weitere Art der Auslieferung handelt. Es geht dabei mehr um eine ergänzende Formalie im Sinne einer begleitenden Hilfestellung bei der Auslieferung.8 In einfachen Worten ausgedrückt, lässt sich sagen, dass eine Auslieferung ohne eine Durchlieferung möglich ist. Wiederum bedeutet dies, dass eine Durchlieferung nicht ohne eine Auslieferung denkbar ist.
Der Ursprungsname dieses Untertitels war „Die Geschichte der Auslieferung in Europa“ ohne den Verweis auf die gesetzliche Geschichte. Während der Recherchen stellte die Autorin fest, dass die Auslieferung schon in Verträgen des Altertums zu finden ist. Es wäre sicherlich interessant weitere Details zu erwähnen, die Autorin befasst sich jedoch hauptsächlich mit den gesetzlichen Grundlagen und nicht mit der Historie der Auslieferung. Zur der Historie ist zu erwähnen, dass die Herrscher im Jahr 1270 v. Chr.9 schon vertragliche Regelungen für die gegenseitigen Auslieferungen von Kontrahenten getroffen hatten. Da bei den damaligen Auslieferungsvereinbarungen Straflosigkeit vereinbart war, werden sie in der heutigen Literatur nicht als Entstehungsgeschichte des jetzigen Auslieferungsrechts betrachtet. Weil die ersten Auslieferungsverträge erst zum Ende des 18. Jahrhunderts unterschreiben wurden, gilt diese Zeit auch als Ursprung des europäischen, respektive des deutschen Auslieferungsrechts. Aber auch die Verträge aus dem 18. Jahrhundert unterscheiden sich wesentlich zum heutigen modernen Auslieferungsrecht. Die im 18. Jahrhundert beschlossenen Auslieferungsvereinbarungen hatten keinen völkerrechtlichen Aspekt. Es wurden keine Bedingungen zum Ausliefern gestellt. Der ersuchende Staat hatte, nachdem die Auslieferung stattgefunden hatte, freie Hand was die Bestrafung anging. Auch die Todesstrafe hätte den ausgelieferten Delinquent erwarten können10. In der Zeit vor der Mitte des 18. Jahrhunderts kam es selten dazu, dass Kriminelle die Möglichkeit der Zuflucht im Ausland suchten. Die Reiseaussichten waren nicht in der Form gegeben, als das man diese hätte nutzen können. War dies doch der Fall, dann kam lediglich ein Nachbarland in Frage. Demzufolge wagten auch nur wenige Kriminelle, in der Ferne ihre Zuflucht zu suchen. Ein Leben im Ausland wäre nicht unbedingt besser gewesen als sich im eigenen Land zu verstecken. Im Ausland hätten sie mit der fremden Eigenmächtigkeit und Befürchtung zu rechnen. In den wenigen Abkommen, die beschlossen wurden, ging es im Wesentlichen um Verbrechen mit einem politischen Hintergrund. Obwohl in einigen Verträgen davon berichtet wird, gilt als erster Auslieferungsvertrag in der deutschen Geschichte der am 29. November 1793 auf der Konvention zwischen dem Kurfürstentum Hannover und dem Herzogtum Sachsen-Gotha geschlossene Vertrag über die Auslieferung von Verbrechern11. Auch, wenn zu dem Zeitpunkt der Grundstein zur Entstehung und Entwicklung des heutigen internationalen Rechtshilferechts gelegt wurde, so hat man sich schon Jahrzehnte davor fest an einen Grundsatz gehalten, den des Nichtauslieferns eigener Staatsangehöriger12. Letztendlich hat dieser Grundsatz seinen Weg in das Gesetz gefunden und wurde somit am 31. Mai 1870 vorerst im Strafgesetz des Norddeutschenbundes aufgenommen13. Später folgten die Aufnahmen in der Reichsverfassung sowie in das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 unter Artikel 16 Absatz 2 dieses Gesetzes. Von der bedeutenden Frage der persönlichen Eigenschaft der auszuliefernden Person wandelte sich die Diskussion in eine ganz andere Richtung. So gewann immer mehr die Frage nach der Tat des Auszuliefernden an Bedeutung. Die Frage nach der Auslieferung aufgrund eines politischen Verbrechens bekam eine hohe Bedeutsamkeit und wurde über Jahre bis zu dem Zeitpunkt, als die Wendung im Auslieferungsverkehr eintrat, diskutiert; auch wenn dies noch nicht gesetzlich geregelt war. Die Wandlung kam in der Form, dass eine große Zahl an europäischen Staaten die Auslieferung wegen politischen Verbrechen verneinte. Die normative Regelung erfolgte mit Art. 18 in der Sachsen-Meiningenschen Verfassung vom 21.August 182914.
Das Auslieferungsgesetz des jungen Königsreichs Belgien, vom 1.Oktober 183315 hat sowohl die Reglementierung zum Nichtausliefern wegen politischen Verbrechen allbekannt gemacht, wie auch den Prestige bekommen als Urtypus des gegenwärtigen modernen Auslieferungsverfahren zu gelten und stellte damit erstmalig Bedingungen in materiell-inhaltlicher Sicht an das Auslieferungsverfahren. Erstmalig wurde eine abschließende Liste der Delikte verfasst bei denen eine Auslieferung stattfinden würde. Gleichzeitig hat das Gebot der Gegenseitigkeit ihre Einführung im Auslieferungsverkehr gefunden16. Das belgische Auslieferungsgesetz galt als Beispiel für eine Vielzahl an darauf folgenden Gesetzen anderer europäischer Staaten. Während Belgien als das Geburtsland des heutigen modernen Auslieferungsrechts gilt, hat sich Frankreich einen Namen gemacht, als das Land, dass das Recht vervielfältigt hat. Mit dem belgischen Auslieferungsgesetz als Grundlage, hat Frankreich eine Vielzahl von Auslieferungsverträgen mit den Nachbarländern abgeschlossen. Frankreich machte es sich zu nutze, zu dem Zeitpunkt eine europäische Großmacht zu sein. Die französischen Verträge hatten eine andere Gewichtung als die Belgischen. Obwohl Frankreich eine Vielzahl an Auslieferungsverträgen beschlossen hatte, wurde das französische Auslieferungsgesetz erst im 1927 verkündet17. Die ersten Auslieferungsgesetze innerhalb Europas waren:
1833 Belgien
1841 Luxemburg
1849 Niederlande
1870 Großbritannien
1892 Schweiz
1908 Norwegen
1913 Schweden
1922 Finnland18
Allerdings hat sich Deutschland diesen nicht angeschlossen. In Deutschland galten weiterhin die Grundlagen für Auslieferungsangelegenheiten für die zu dem Zeitpunkt bestandenen Auslieferungsverträge. Einzig und allein die Freie Stadt Frankfurt am Main beschloss am 6. Juni 186619 ein Gesetz, dass die Auslieferungsangelegenheiten, im Falle eines Antrags eines ausländischen Staates, bestimmten. Im Ausland entstand der Eindruck, das das deutsche Recht auf diesem Rechtsgebiet eine Anarchie sei. Das gab einigen Vertretern der Politik den Ansporn, auch in Deutschland ein Auslieferungsgesetz besiegeln zu wollen. Beim deutschen Juristentag von 1882 beanspruchte Franz von Liszt die Schaffung eines Deutschen Auslieferungsgesetzes20. Im Jahr 1892 folgte durch Ludwig von Bar beim deutschen Reichstag ein Antrag auf Erlass eines solchen Gesetzes für Deutschland. Am 10 Juli 1904 hat die Freisinnige Partei einen Antrag gestellt, dass die Entscheidungsmacht in Auslieferungssachen dem Reich alleine zu überlassen. In diesem Zusammenhang wurde gefordert, dass die Bundesverträge mit den ausländischen Hoheitsmächten beendet werden sollten. Die Anträge blieben erfolglos. Auch die darauf folgenden Anträge - die Sozialdemokraten versuchten es am 23. Februar 1905 und die Nationalliberalen am 28. November 1907 - scheiterten. Letztere versuchten es erneut am 3. Dezember 1909.21 Der Antrag der fortschrittlichen Volkspartei war auch nicht der Letzte. Daran lässt sich erkennen wie wenig Format dem Ganzen gegeben wurde. Ergänzend zu den misslungenen Anträgen eines Auslieferungsgesetzes in Deutschland waren die damit verbundenen Anträge auf Entscheidung über die Zuständigkeit. Ludwig von Bar forderte bereits bei seinem Antrag, dass die Zuständigkeit in der Hände der Gerichte übergeben werden solle. Zur Auslieferung bedarf es der polizeilichen Festnahme. Es sollte eine gemeinsame Arbeit der Polizei und der Gerichte sein, nicht die der Verwaltungsbehörde und der Regierung. Verschiedene Ereignisse im Zusammenhang mit der Auslieferung bei anderen europäischen Staaten haben Deutschland ein wenig eingeschüchtert. Die bis dahin geltende Auffassung, dass Auslieferung eine autonome Ermessensangelegenheit des deutschen Reiches sei, wurde in Frage gestellt. Somit verkündete Gustav Radbruch, Reichsjustizminister im Jahre 1922 an, dass man an einem deutschen Auslieferungsgesetz arbeite22.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Gustav Radbruch23 als Reichsjustizminister (1921-1923)
Aufgrund der Eigeninitiative der Reichsregierung, erhielt der Reichsrat die erste Konzeption für das deutsche Auslieferungsgesetz am 26. Mai 1925. Mit diesem Gesetz sollte auch eine neue Basis für die künftigen Auslieferungsabkommen geschaffen werden. Es sollten einheitliche Regelungen geschaffen werden, die das gesamte Auslieferungsrecht behandeln. Der Antrag erfolgte im Zusammenhang mit der Neugestaltung des deutschen Strafrechts sowie des Strafprozessrechtes. Der Entwurf enthielt die Unterschrift des damaligen Reichsjustizminister Dr. Josef Frenken und hatte nicht mehr als 35 Paragraphen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Josef Frenken24 als Reichsjustizminister (1925)
Gut zwei Jahre danach wurde das Gesetz am 27. Juli 1927 dem Reichstag zugeschickt. In der Sitzung vom 24. November 1927 fand die erste Tagung statt bei der dieses Gesetz auf der Tagesordnung stand. Danach wurde der Reichstag aufgelöst und neu gebildet. Demzufolge musste erneut getagt werden, um über das Gesetz zu entscheiden. Mit kleinen Änderungen - die Paragraphenanzahl stieg auf 55 an - wurde das Gesetz am 23. Dezember 1929 durch den damaligen Reichspräsident besiegelt. Die Bekanntmachung erfolgte am 28. Dezember des gleichen Jahres im Reichsgesetzblatt ab Seite 239. In Kraft trat das Gesetz am 1. April 193025. Zum Zeitpunkt der Verkündung war das Amt des Reichspräsidenten besetzt durch Paul von Hindenburg und Karl Theodor von Guérard als Reichsjustizminister. Inoffiziell wurde mit dem Deutschen Auslieferungsgesetz (DAG) den Entscheidungsstellen die Möglichkeit genommen, nach Willkür auszuliefern. Es bestand der Eindruck, dass Auslieferungsentscheidungen aufgrund geforderter Gefälligkeiten getroffen wurden. Gleichzeitig wurde dem Staat die unangenehme Verantwortung genommen, wenn ein Antrag nicht bewilligt wurde und setzte damit die Regierung nicht unter Druck, einen Antrag nur den diplomatischen Freundschaften wegen zu bewilligen. Die Entscheidungsmacht lag allein in den fachlichen Händen der Gerichte26. Offiziell verfolgte das DAG zugleich zwei Hauptziele. Zum einen sollte die Bekämpfung der Krimifinalität nicht an den territorialen Grenzen scheitern. Damit wollte man verhindern, dass mutmaßliche Gesetzesbrecher im Ausland ungestraft davon kommen konnten. Zum anderen sah das DAG aber auch vor, dass den Delinquenten eine faire Verhandlung geboten wird27. Auslieferungsverträge und Auslieferungsgesetzte unterscheiden sich im Groben in der Pflicht und oder dem Recht zur Auslieferung. Während ein Auslieferungsvertrag die Pflicht zur Auslieferung zwischen den Staaten untereinander regelt, regelt das Auslieferungsgesetz das Recht zum Ausliefern im Staatlichen Innenverhältnis. Hierbei geht es nicht um das Recht des Individuums, sondern um das Recht des ersuchten Staates. Bei bestehenden Auslieferungsverträgen gelten die in den Verträgen vereinbarten Bedingungen, auch wenn diese geringere Anforderungen zur Auslieferung vorsehen. Der allgemeine Rechtsgrundsatz regelt, dass bestehende völkerrechtliche Verträge nicht durch einen Staat im Alleingang durch interne Maßnahmen geändert werden können. Einige Staaten haben dies in ihrem Auslieferungsgesetz ausdrücklich geregelt, das DAG hingegen nicht. Die unzweifelhafte Beachtung des Grundsatzes in Deutschland entbehrte die Aufnahme einer speziellen Regelung im DAG. Beim Auslieferungsvertrag sind die Delikte geregelt bei denen die Vertragsparteien sich zur Auslieferung verpflichten. Sollte ein Antrag, bei einem bestehenden Auslieferungsabkommen, sich auch auf ein Delikt beziehen, das nicht in der Vereinbarung zu finden ist, gibt es dem Delinquent nicht das Recht der Nichtauslieferung. Die Pflicht zur Auslieferung geht über in das Recht zum ausliefern für den ersuchten Staat28. Im Grunde lässt sich sagen, dass Auslieferungsverträge die Delikte aufführen bei denen ausgeliefert wird und das Auslieferungsgesetz die Regeln enthält bei denen nicht ausgeliefert wird. Das DAG wurde durch das Internationale Rechtshilfe Gesetz (IRG) ersetzt und trat am 1. Juli 1983 außer Kraft29.
Der Begriff internationale Rechtshilfe liefert seine Definition im eigenen Wort mit. Wenn Recht, definiert als eine Ansammlung von Normen, die zum geregelten miteinander leben dienen, im Zusammenhang mit internationaler Hilfe betrachtet wird, reden wir von einem Gesetz, das dazu helfen soll, die zwischenstaatliche Zusammenarbeit in Strafsachen zu reglementieren30. Die Ungewissheit des globalen Einflussbereichs der Strafgewalt ist von der Bewilligung zu unterscheiden, auf fremdem Territorium hoheitlich aktiv zu werden. Zur Ausübung ihrer Hoheitsrechte unterliegen die Länder grundsätzlich den territorialen Grenzen. Es sei denn der ausländische Staat erklärt sich mittels Gesetz, Vereinbarungen oder getroffenen Einzelabsprachen damit einverstanden. Begeht ein ausländischer Staatsbürger im Ausland eine Straftat und flüchtet dieser nach Deutschland oder verübt ein deutscher Bürger in der BRD eine nach deutschem Recht gesetzwidrige Handlung und flüchtet in einen ausländischen Staat, so wird die Abwicklung des Auslieferns zwecks Strafverfolgung, bei bestehendem Auslieferungsvertrag nach dessen Vereinbarungen, geregelt. Ein Auslieferungsvertrag ist ein Abkommen zwischen zwei Staaten, wonach beide Staaten sich zu gegenseitiger Auslieferung, unter den im Vertrag festgehaltenen Bedingungen, verpflichten. Auf den Auslieferungsvertrag an sich wird die Autorin nicht weiter eingehen, denn diese Arbeit betrachtet das Auslieferungsverfahren zweier Staaten bei denen kein Auslieferungsvertrag mehr existiert. Besteht kein Auslieferungsabkommen zwischen der BRD und dem angegangenen Staat, so regelt das Gesetz über die internationale Rechthilfe das Verfahren31. Stellt Deutschland einen Auslieferungsantrag als ersuchender Staat, auf vertragsloser Basis, unterliegt die Zustimmung der Auslieferung den Regeln des ersuchten Staates. Im umgekehrten Fall, d.h. dass ein Antrag an Deutschland gestellt wird, und Deutschland sich in der Position des ersuchten Staates befindet, unterliegt das Auslieferungsverfahren den Regeln des IRG. Bevor das IRG beschlossen wurde, unterlag das Auslieferungsverfahren auf vertragsloser Basis dem Deutschen Auslieferungsgesetz. Das DAG wurde, wie bereits im vorherigen Abschnitt ausführlich dargestellt, im Jahre 1929 beschlossen und trat im April 1930 in Kraft. Trotz der Überarbeitung von 1974 konnte das DAG das enorme Aufkommen im internationalen Rechtshilfeverkehr nicht mehr ausreichend abdecken. Ein modernes Gesetz war notwendig geworden, eines, das dem aktuellen Stand der Europäisierung entsprechen konnte. Vor allem nachdem im Jahr 1977 die multilateralen Verträge über das europäische Auslieferungsabkommen und das europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen beschlossen wurden. Um den Voraussetzungen der ab dann geltenden europäischen Normen zu entsprechen, war die Modernisierung des in Deutschland geltenden Gesetzes unabdingbar geworden32. Das IRG ist am 23. Dezember 1982 beschlossen worden und am 1. Juli 1983 in Kraft getreten. Durch das in Kraft treten des IRG ist das DAG außer Kraft gesetzt worden33. Allerdings haben völkerrechtliche Agreements gemäß § 1 Abs. 3 IRG Vorrang vor diesem Gesetz. Über die Ordnungen des formellen Verfahrens hinaus findet man im IRG die materiellrechtlichen Voraussetzungen des Auslieferns. Sprich, wann und ob überhaupt an den antragsstellenden Staat ausgeliefert werden darf. Ungeachtet dessen, das die BRD eine hohe Zahl an bilateralen Verträgen unterzeichnet hat, wird das IRG oft nur als eine weitere Hilfe-Rechtsquelle betrachtet. Betrachtet man zusätzlich die ansteigende Zahl der unterzeichneten Abkommen, zur internationalen Verbrechensbekämpfung, unter den Mitgliedstaaten des Europarates und der Europäischen Union ab Mitte der 50er Jahre, bleibt eine geringe Zahl von weniger als 5% des Gesamtaufkommens an Rechtshilfeersuchenden Staaten bei denen das IRG mangels besiegelter Abkommen als passende Rechtsquelle dient. Die neue Regelungen über den Europäischen Haftbefehl sind ebenfalls Bestandteil des IRG geworden34.
Das Territorialitätsprinzip auf dem Fachgebiet des Strafrechts, das in der Literatur auch unter den Begriffen Territorialprinzip oder auch Gebietsgrundsatz zu finden ist, knüpft an die Souveränität der Hoheitsgebiete an. Das Prinzip gibt jedem Hoheitsgebiet die absolute Herrschaftsmacht auf dem Bereich des Strafrechts auf alle Taten die im eigenen Land begangen wurden. Liegt der Tatort im Inland, so unterliegt der Täter der Strafgewalt dieses Staates. Keine Rolle hiefür spielen die Staatsangehörigkeiten des Straftäters oder Opfers. Das Territorialitätsprinzip ist die meist in Anspruch genommene Maxime unter den zivilisierten Staaten. Dieser Grundsatz wird so gut wie von jedem Hoheitsgebiet eingefordert35. Die Überlegung, die hinter dieser Maxime steckt ist nicht verkennbar: Es muss für alle sich im Inland aufhaltenden Personen die gleiche Rechtsordnung gelten. Unvorstellbar in welcher Anarchie wir leben würden, wenn es nicht so wäre. Deshalb redet man bei diesem Grundsatz auch von der Staatlichen Gewährung von Sicherheit und Schutz seiner sich im Inland aufhaltenden Personen. Damit der Staat diese Sicherheit bieten kann, muss gewährleistet sein, dass gegen die, die sie gefährden, rechtlich vorgegangen werden kann. Wenn das Volk zum Wohl einer Gesamtheit auf Individualrechte verzichtet, aber einige nicht Willige dazu gezwungen werden müssen sich dem anzupassen, dann kann dem Staat als Verantwortlicher mit der Rechtsübertragung die Souveränität nur sicherstellen für das Geschehen innerhalb seines Machtbereichs. Diese Rechtsübertragung kann nicht beim Verlassen des Schutzgebietes gewährleistet werden36. Zur Vermeidung nicht greifbarer Taten, die durch Inländer im Ausland begangen wurden, wird oft das Territorialprinzip mit dem Schutzprinzip und aktives Personalitätsprinzip kombiniert. Das Schutzprinzip, das als anerkanntes Staatsrecht seine Bürger und dessen Rechtsgüter im In- und Ausland jederzeit beschützt. Auf das aktive Personalitätsprinzip wird im nächsten Abschnitt gesondert Bezug genommen. Ein weiterer einschränkender Aspekt des Territorialprinzips ist das Kooperieren mehrerer Staatsrechte wie es beim dem Europäischen Haftbefehl der Fall ist. Es wird sogar schon auf ein Europäisches Territorialprinzip plädiert. Große Relevanz beim Umsetzen dieses Grundsatzes haben die Fragestellungen nach Tatort und Inlandsgebiet37. Das gesamte Landgebiet, inklusive die darin liegenden Gewässer und das daran angrenzende Seewasser bis zu einer Weite von ca. 12 Seemeilen. Dazu gehört auch, der sich darüber erstreckende Luftraum, sowie der darunter liegende Erdsockel. Der Tatort richtet sich nach der Definition im § 9 (1) StGB „Begangen ist die Tat an jedem Ort, an dem der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an welchen der Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten sein müsste oder nach der Vorstellung des Täter eintreten sollte“. Zur Vollständigkeit wird hier noch kurz in Ergänzung an das Territorialprinzip auf das sehr engverbundene Flaggenprinzip eingegangen. Jede strafbare Handlung, die auf einem Schiff oder Flugzeug passiert, unterliegt der Rechtsordnung des Landes, das eine rechtsmäßige eingetragene Flagge führt. Von einer völkerrechtlichen Gebietserweiterung eines Staates kann hier nicht die Rede sein. Es handelt sich vielmehr um die staatliche Verantwortung im Bereich der Sicherheit und Führungsordnung für die verzeichneten Flugzeuge und Schiffe. Die Regelung zur Anwendung dieses Grundsatzes im deutschen Strafrecht ist im § 4 StGB zu finden, der gewährleistet, dass die strafbaren Handlungen auf deutschen Luftfahrzeugen und Schiffen den inländischen Handlungen gleich geordnet werden.
Das Personalitätsprinzip teilt sich auf in ein aktives und passives Prinzip. Bei dem passiven Personalitätsprinzip ist die Rede vom Individualschutzprinzip. Dieses basiert auf dem Schutz der Individualrechtsgüter der Staatsschützlinge. Der Staat schützt den Besitz seiner Angehörigen38. Da das passive Personalitätsprinzip für diese Arbeit weniger von Bedeutung ist, wird es nicht weiter bearbeitet. Anders sieht es beim aktiven Personalitätsprinzip aus. Nach diesem Grundsatz unterliegt der Straftäter stets der Rechtsordnung des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er zugehört. Unabhängig von seinem Aufenthaltsort wird das anzuwendende Gesetz mitgeführt. Der Staat hätte ein permanentes Anrecht auf Einhaltung seiner rechtlichen Werte, irrelevant dabei wäre der Aufenthaltsort seiner Bürger. Die vorgeschriebene Treuepflicht lässt schnell an eine diktatorische Richtung denken, allerdings geht es bei ausländischen Taten eher um die Solidarität zur Einhaltung fremdländischer Rechtordnungen. Undenkbar wäre der Gedanke daran, dass ein Staat dabei zuschaut wie seine angehörigen Bürger sich im Ausland gesetzeswidrig verhalten ohne eine Reaktion des Heimatstaats. Von großer Wichtigkeit ist dieses Prinzip im Auslieferungsrecht, wenn das Prinzip des Nichtauslieferns eigener Staatsangehöriger zum tragen kommt. Die Strafverfolgung und Vollstreckung gegen einen Inländer für eine Tat, die im Ausland begangen wurde, ist dem Grundsatz des aktiven Personalitätsprinzips zu verdanken. Im umgekehrten Fall hat dieser Grundsatz die Konsequenz, dass Inlandstaten, die durch Ausländer begangen wurden, nicht der inländischen Rechtsordnung unterliegen. Zur Vermeidung einer solchen Konstellation werden verschiedene Prinzipien verknüpft. So ist die Handlung im Inland strafbar nach dem Territorialitätsprinzip in Verbindung mit dem Schutzprinzip. Das Schutzprinzip, als Überbegriff des Individualschutzprinzips, wurde bereits im vorherigen Abschnitt dargestellt39. Dem Grundsatz des Personalitätsprinzip unterliegen alle Inländer, d.h. alle Personen die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland begründen40.
Dieser Grundsatz ist gleich dem Universalitätsprinzip zu stellen und verleiht jedem Staat dieser Erde das Recht, jede gesetzeswidrige Handlung zu verurteilen. Völlig unbedeutsam hiefür sind die Staatsangehörigkeit des Täters, des Opfers und auch der Tatort. Damit ein marokkanisches Gericht nicht über den polnischen Bürger urteilt, der in Deutschland ein Auto gestohlen hat, das einem Schweizer gehörte, findet dieser Grundsatz nur dann Anwendung, wenn ein supranationales Rechtsgut verletzt wurde. Es muss ein kollektives Interesse aller Hoheitsgebiete bestehen. Im deutschen Recht sind die Straftaten, die dem Weltrechtsprinzip unterliegen, im § 6 StGB katalogisiert. Zusätzlich fordert der Bundesgerichtshof in Deutschland über die wörtliche Deutung des § 6 StGB hinaus einen legitimierenden Anknüpfungspunkt, eine immediate Bezugsnahme zu der Tat41. Ein regelmäßiger Aufenthalt des Verfolgten in Deutschland stellt nach Auffassung der deutschen Rechtsprechung einen solchen unmittelbaren Bezug dar. Ist dieser Bezug zu der Tat nicht gegeben, ist aufgrund des Nichteinmischungsprinzips die Strafverfolgung nicht zulässig42.
Alle notwendigen Voraussetzungen zur Bewilligung eines Auslieferungsantrages nach dem deutschen Recht darzustellen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Deshalb wird sich die Autorin auf die Voraussetzungen beschränken, die sich während der Recherchen für diese Arbeit aus der begutachteten Literatur als Voraussetzungen von großer Bedeutung herausgestellt haben. Redet man von Voraussetzungen ist man geneigt zu glauben, dass es sich dabei um eine Ansammlung von Normen handelt, die bei positiver Bewertung desselben eine Auslieferung für rechtsmäßig erklären würde. Es sind vielmehr die Grundsätze, Prinzipien oder gesetzlichen Regelungen bei denen klar festgelegt wird unter welchen Voraussetzungen ein Auslieferungsantrag nicht bewilligt wird. Würde man die im nächsten Abschnitt dargestellten Grundsätze flüchtig subsumieren, ergebe sich trotz einer positiven Beantwortung aller Fragen eine negative Beantwortung der Frage nach der Auslieferung. So zum Beispiel:
Ersuchender Staat liefert im umgekehrten Fall auch an Deutschland aus (+)
Tat ist auch nach dem deutschen Recht eine Straftat(+)
Täter ist deutscher Staatsbürger (+)
Obwohl alle abgefragten Merkmale als positiv bewertet werden konnten würde eine Auslieferung beim dritten Merkmal scheitern, dem Grundsatz des Nichtauslieferns eigener Staatsbürger, da es sich um eine sogenannte negative Voraussetzung handelt. Betrachtet man alle drei Merkmale in der vorgegebenen Reihenfolge wäre für die Zustimmung der Auslieferung ein (+) (+) (-) das notwendige Ergebnis der aufgezählten Normen.
Bereits im Jahre 1866 war das Prinzip der Gegenseitigkeit ein Bestandteil im Auslieferungsgesetz der freien Stadt Frankfurt am Main. Dieses Prinzip ist keine besondere Maxime des Auslieferungsrechts, sondern den allgemeinen völkerrechtlichen Begriffen zuzuordnen und deshalb auch schon viel früher in den zwischenstaatlichen Vereinbarungen zu finden als jedes andere Prinzip. Das Prinzip der Gegenseitigkeit heißt, dass ein Auslieferungsantrag nur dann bewilligt wird, wenn Verlass darauf ist, dass im umgekehrten Fall der ersuchende Staat auch ausliefern bzw. Rechtshilfe gewähren würde. Es folgt aus dem Gedanken der allgemeinen Gleichheit aller zivilisierten Staaten. Ein Hoheitsgebiet dürfe nur das abverlangen, dass es selber auch gewillt wäre zu tun. Obwohl sich dieses Prinzip rasch verbreitet hat und sich als ein völkerrechtliches Prinzip entwickelt hat ist es keine Pflicht für Auslieferungsnormen in jeder Art. Der Gegenseitigkeit kann nach freiem Ermessen zugestimmt werden oder nicht. Allerdings ist die Gegenseitigkeit unter Beobachtung der Tatsache, dass es sich dabei weniger um den rechtlichen, sondern eher um den politischen Aspekt handelt, zur Wahrung des allgemeinen Friedens im Rechtshilfeverkehr ein wichtiges Prinzip im Auslieferungsrecht. Die Gegenseitigkeit, wenn nicht durch Vereinbarung oder per Gesetz geregelt, kann durch ständige Gerichtspraxis geregelt sein. Ein großer Teil der Auslieferungsverträge habt eine stillschweigende Form dwe Gegenseitigkeit vereinbart43. Im deutschen Recht ist sie eigens im Gesetz in § 5 IRG geregelt. „ Die Auslieferung ist nur zulässig, wenn auf Grund der vom ersuchenden Staat gegebenen Zusicherungen erwartet werden kann, dass dieser einen vergleichbaren deutschen Ersuchen entsprechen würden“44. Eine allseitige völkerrechtliche Verpflichtung zur Auslieferung besteht nicht. Es lässt sich leicht erkennen, dass es sich bei der Gegenseitigkeit auch um eine Erhaltung der staatlichen Souveränität auf dem Gebiet der Rechtsordnung handelt. Eher lässt man einen flüchtigen mutmaßlichen Täter in Freiheit als das man tätig wird, wenn nicht sicher gestellt ist, ob man zukünftig in eigener Sache die gleiche Unterstützung erhält. Letztendlich redet man eher von einer weltweiten Kooperation im Kampf gegen die Bekämpfung der Kriminalität. Die Grundsätze der Gegenseitigkeit und beiderseitigen Strafbarkeit, regen in ihrer Form die Vermutung es könne sich dabei um einen Schutz des Individuums handeln. Demnach ist es nicht so, es sind rein staatliche Instrumente bei der Durchsetzung ihre nationalen Gesetze, auch wenn in dem Fall das einzelne Individuum davon profitiert, das einem Staat eine Auslieferung verweigert45. Allerdings hat das Gegenseitigkeitsprinzip in manchen Fällen die Möglichkeiten der Verbrecherfahndung sehr eingeschränkt. Das Festhalten an dem Prinzip der Gegenseitigkeit steht dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit gegenüber. Es besteht damit die Möglichkeit, dass Straftäter unbestraft davon kommen, weil die Regierungen der betroffenen Länder aus politischen Gründen ihre Hilfe bei der Verbrechensbekämpfung verweigern. Ein Hoheitsgebiet möchte nicht einem Land helfen, das gegebenenfalls im umgekehrten Fall die Hilfe nicht erwidern würde. Des Weiteren lieferte das Prinzip der Gegenseitigkeit die Grundlage für eine weitere Voraussetzung im Auslieferungsverfahren, das Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit46. Nach Auffassung der Autorin ermöglichen die Staaten den Verbrechern mit der Beachtung dieser Prinzipen, gewisse Möglichkeiten unbestraft davon zu kommen. Dabei auf die Erhaltung der Staaten Souveränität zu bestehen stell beinahe ein egoistisches Verhalten dar. Der Staat, der seine Hilfe verweigert, schwächt sich letztendlich nur selbst in der Bekämpfung der Kriminalität, weil ihm gegebenenfalls auch nicht geholfen wird. Hinzu kommt die Gefahr des Images als Zufluchtland für Straftäter. Bevor es zu der Regelung der beiderseitigen Strafbarkeit kam, wurde auf die Frage nach welchen Rechtssystem die Auslieferungsstraftat beurteilt werden sollte mit abweichenden Regelungen von Staat zu Staat beantwortet. So vertrat Italien die Auffassung, die Tat müsse nur im ersuchenden Staat strafbar sein. Frankreich war der Meinung, die Straftat müsse nach dem französischen Recht strafbar sein. In der Schweiz galt es dem Kantonrecht. Die Idee, dass die Tat in allen folgsamen Staaten oder zumindest in allen Ländern, die ausliefern, strafbar sein muss, lies sich nicht weiter umsetzten. Es wurden abweichende Regelungen in den unterschiedlichsten Formen, je nach betroffenem Staat, getroffen. So gab es welche, die die Beiderseitigkeit auf einzelne Straftaten festgelegt hatten. Andere haben dies in bilateralen Verträgen geregelt. Das Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit hat sich sehr langsam und über einen sehr langen Zeitraum nach und nach entwickelt47. Heute ist die beiderseitige Strafbarkeit ein weltweit anerkannter Grundsatz auf dem Gebiet des Auslieferungsrechts und in den Auslieferungsverträgen oder in den inländischen Auslieferungsgesetzte aufgenommen. Nach dieser Maxime kommt für den ersuchten Staat eine Auslieferung nur dann in Frage, wenn die Tat, die dem Straftäter zur Last gelegt wird, nach eigenem nationalem Recht ebenfalls als strafbare Tat angesehen wird. Bevor eine Auslieferung statthaft wird, wird die zu Grunde gelegte Tat auf Strafbarkeit in Deutschland vor der deutschen Strafgerichtsbarkeit geprüft. Im deutschen Recht, ergab sich erstmalig das Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit aus dem § 1 DAG in Verbindung mit § 2 DAG. Während der § 1 DAG eine im Ausland strafbare Handlung forderte, wurde im § 2 DAG für die Bewilligung eine Auslieferung vorausgesetzt, dass die Handlung auch nach dem deutschen Recht strafbar sei. Im IRG ist die Regelung in einem zusammen im § 3 (1) IRG geregelt. Der § 3 (1) IRG regelt zudem auch die „sinngemäße Umstellung“ der Straftat bei der gerichtlichen Überprüfung. Die Tat muss so betrachtet werden, als wäre sie in Deutschland zustande gekommen. Es findet lediglich eine Überprüfung der vorgetragenen Tatbestandsmerkmale auf einen logischen Zusammenhang statt, der auf eine strafbare Handlung schließen lässt. Eine Schuldfrage ist unbedeutend und wird nicht geprüft.48. Weil das Auslieferungsverfahren im deutschen Recht kein Akt der Rechtspflege ist, sondern unterstützend dem ausländischen Recht zu Seite steht, findet hier nach herrschender Meinung der Rückwirkungsverbot gem. Art. 103 (2) GG keine Anwendung49. Nach Auffassung der Autorin erwecken verschiedene Regelungen, die zum Nichtausliefern führen, den Eindruck es handelt sich hierbei um den Schutz des Individuums. Dabei geht es den Hoheitsgebieten wohl eher darum, ihre eigene Rechtssouveränität zu bewahren und durchzusetzen. So auch den Anspruch der beiderseitigen Strafbarkeit zur Bewilligung des Auslieferungsverfahrens.
Die mit dem Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit angestrebten kriminalpolitischen Ziele, erfordern eine bestimmte Gleichartigkeit der strafbaren Handlungen in den beteiligten Staaten. Die erforderliche Gleichheit der Wertegemeinschaft ist eine wichtige Voraussetzung des Auslieferungsrechts. Durch die Auslieferung hat der Staat die Möglichkeit, eine große Beeinträchtigung im persönlichen Lebensbereich des Individuums auszuüben. Würde der Staat diese Möglichkeit, bei einer Tat, die im eigenen Land nicht strafbar ist, in Anspruch nehmen, würde er gegebenenfalls eine Person in Auslieferungshaft nehmen, die nach eigenem Recht unschuldig wäre. Die Strafnormen eines Staates spiegeln die Regel, die eigens das Volk dieses Landes als ethisch korrekt einstuft. Einer Person, die nach eigenem Recht unschuldig wäre, die Freiheit zu entziehen, spreche gegen die eigene Souveränität und die Auflage der Rechtstaatlichkeit. Demnach hat jedes Hoheitsgebiet ein großes Interesse bei der Durchsetzung seiner eigenen Rechtsordnungen. Die beiderseitige Strafbarkeit stellt weit mehr als eine gewisse Relation zu dem Prinzip der Gegenseitigkeit dar. Sie gewährt, dass gegen keine Person irgendwelche Schritte unternommen werden können, wenn die Tat nach nationalem Recht nicht strafbar ist50.
„Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Durch dieses Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind“ heißt es in Art. 16 (2) GG. Das Nichtausliefern deutscher Staatsbürger war schon vor dem Inkrafttreten der deutschen Verfassung ein bestehender Grundsatz im Auslieferungsrecht, obwohl es Zeiten gab in denen das Ausliefern deutscher Staatsbürger in Verträgen vereinbart war. Nach und nach etablierte sich das Nichtausliefern der eigenen Staatsbürger in vielen Ländern. Ausnahme blieben die Vereinigten Staaten von Nordamerika und England. Einerseits wird das Nichtausliefern von eigenen Staatsbürgern kritisiert als stelle es einen Vertrauensbruch dar, ein nicht vertrauen in die Justiz des anderen Landes und als das Ergebnis neuwertigster Patriotismus. Andererseits behaupten die Fürsprecher dieser Maxime es sei notwendig die Staatsbürger gegen ein Verfahren in einer fremden Sprache, ohne Freundeskreis und einer eventuellen Parteilichkeit der ersuchten Staaten, zu schützen. Im deutschen Recht wurden die Auslieferungsverträge so nach und nach mit Klauseln des Nichtauslieferns eigene Staatsbürger versehen. Das DAG sagt in Paragraph I „Ein Ausländer, der von der Behörde eines ausländischen Staates...“, folglich dürfen nur Ausländer ausgeliefert werden. Im IRG ist ebenfalls nur vom Begriff des Ausländers zu lesen. Der reine Bezug auf den Ausländer hebt hervor, dass dieses Gesetz keine Anwendung für Inländer findet. Relevant hierfür ist die Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt der Auslieferung. Wird nach erfolgreicher Übergabe festgestellt, dass der Ausgelieferte die Staatsangehörigkeit des ersuchten Staates besitzt, so ist in diesem Falle ein Antrag einer Rücklieferung durchzuführen. Zur Vermeidung der Straflosigkeit für die nicht ausgelieferten angehörigen Staatsbürger wurde in vielen Verträgen die Strafverfolgung im eigenen Land vereinbart. Die Länder verpflichteten sich, bei denen im Vertrag festgelegten Delikten gegen die verstoßen wurde, die Täter einem inländischen Gericht zuzuführen51. Im Zusammenhang mit der Auslieferung steht die Treuepflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern. Diese Treuepflicht untersagt die Auslieferung eigener Bürger, weil der Staat dafür Sorge zu tragen hat, dass seinen Bürger eine gerechte Verhandlung zusteht. Anderseits bleibt die Frage nach der Teuerpflicht des Bürgers gegenüber seinem Staat, wenn er eine strafbare Handlung im Ausland begeht. Wenn im Tat-Staat ein zivilisiertes Rechtssystem zu finden ist, gibt es keinen Grund zur Nichtauslieferung, zu mal aufgrund der Beweisführungsmöglichkeiten vor Ort oft von einer gerechteren Verhandlung bzw. Bestrafung auszugehen ist.
[...]
1 Vgl. Reisner, Die Vorrausetzungen der Auslieferung und das Auslieferungsverfahren nach dem Erlass des Auslieferungsgesetzes, S. 6
2 Vgl. Gros, Die Vorraussetzungen für die Auslieferung nach dem deutschen Auslieferungsgesetz in vergleichender Darstellung mit dem Recht anderer Staaten unter Berücksichtigung völkerrechtlicher Grundsätze, S. 10
3 Vgl. Schoeneberg, Die Auslieferung im deutschen Reichsrecht unter Berücksichtigung des ausländischen Einflusses., S. 15
4 Vgl. Unger, Schutzlos ausgeliefert? Der Europäische Haftbefehl, S. 30
5 Vgl. Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, S. 36
6 Vgl. Reisner, Die Voraussetzungen der Auslieferung und das Auslieferungsverfahren nach Erlass des Auslieferungsgesetz, S. 7
7 Uhlig/Schomburg, Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsache, S. 128 ff.
8 Vlg. Unger, Schutzlos Ausgeliefert? Der Europäische Haftbefehl, S. 42, 43
9 Unger, Schutzlos ausgeliefert? Der Europäische Haftbefehl, S. 31
10 Vgl. Ladondy, die Rechtsstellung des Auszuliefernden in der Bundesrepublik Deutschland,S. 31
11 Schoeneberg, Die Auslieferung im deutschen Reichsrecht unter Berücksichtigung des ausländischen Einflusses, S. 18
12 Vgl. Reisner, Die Voraussetzungen der Auslieferung und das Auslieferungsverfahren nach Erlass des Auslieferungsgesetzes, S. 24
13 Schonenberg, Die Auslieferung im deutschen Reichsrecht unter Berücksichtigung des ausländischen Einflusses, S. 19
14 Schoenenberg, Die Auslieferung im deutschen Reichsrecht unter Berücksichtigung des ausländischen Einflusses, S. 21
15 Vgl. Unger, Schutzlos ausgeliefert? Der Europäische Haftbefehl, S. 32
16 Vgl. Lagodny, Die Rechtsstellung des Auszuliefernden in der Bundesrepublik Deutschland,S. 35
17 Vgl. ders., S. 39
18 Lagodny, Die Rechtsstellung des Auszuliefernden in der Bundesrepublik Deutschland, S. 41
19 Schoenenberg, Die Auslieferung im deutschen Reichsrecht unter Berücksichtigung des ausländischen Einflusses, S. 21
20 Vgl. Lagodny, Die Rechtsstellung des Auszuliefernden in der Bundesrepublik Deutschland,S. 44
21 Schoenenberg, Die Auslieferung im deutschen Reichsrecht unter Berücksichtigung des ausländischen Einflusses, S. 22
22 Schoenenberg, Die Auslieferung im deutschen Reichsrecht unter Berücksichtigung des ausländischen Einflusses, S. 23
23 www.dhm.de/lemo/html/biografien/RadbruchGustav/, 20.12.2009
24 http://www.zdv.de/index.php/de/Wer-wir-sind/Die-ZDV-Historie/Die-Pr-sidenten.php; 27.12.2009
25 Vgl. Behr, Die Auslieferung im deutschen Rechts- und Bundesstaat. Eine Staats- und verwaltungsrechtliche Untersuchung zum Deutschen Auslieferungsgesetz vom 23.12.1929, S. 57
26 Vgl. Reisner, Die Voraussetzungen des Auslieferung und Auslieferungsverfahren nach Erlass des Auslieferungsgesetztes, S. 16
27 Vgl. Unger, Schutzlos ausgeliefert? Der Europäischer Haftbefehl, S. 33
28 Vgl. Reisner, Die Vorrausetzungen der Auslieferung und das Auslieferungsverfahren nach Erlass des Auslieferungsgesetzes, S. 14
29 Uhlig/Schomburg, IRG Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen, S. 50
30 Vgl. Wörlen, BGB AT Einführung in das Recht, S. 3
31 Vgl. Uhlig/Schomburg, IRG Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen, S. 1
32 Vgl. Uhlig/Schomburg, IRG Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen, S. 1
33 ders, S. 50
34 Vgl. Unger, Schutzlos ausgeliefert? Der Europäische Haftbefehl, S. 29
35 Vgl. Oehler, Internationales Strafrecht, S. 151
36 Vgl. Unger, Schutzlos ausgeliefert? Der Europäische Haftbefehl, S. 18
37 Vgl. Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, S. 43
38 Vgl. Unger, Schutzlos ausgeliefert? Der Europäische Haftbefehl, S. 21
39 Vgl. Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, S. 44
40 Vgl. http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/inlaender.html, 07.01.2010
41 Vgl. Htpp://www.mpil.de/ww/de/pub/forschung/forschung_im_detail/publikationen/ institut/rspr/r01.cfm?fuseaction_rspr=act&act=r01_8, 07.01.2010
42 Vgl. Unger, Schutzlos ausgeliefert? Der Europäische Haftbefehl, S. 22
43 Vgl. Gros, Die Voraussetzungen für die Auslieferung nach dem Deutschen Auslieferungsgesetz in vergleichender Darstellung mit dem Recht anderer Staaten unter Berücksichtigung völkerrechtlicher Grundsätze, S. 81
44 Uhlig/Schomburg, Gesetz über die internationale Rechtshilfe, S. 66
45 Buschbeck, Verschleierte Auslieferung durch Ausweisung, S. 84
46 Vgl. Singer, Der Polizeiliche Rechtshilfeverkehr mit de Ausland, S. 86
47 Vgl. Gros, Die Voraussetzungen für die Auslieferung nach dem Deutschen Auslieferungsgesetz in vergleichender Darstellung mit dem Recht anderer Staaten unter Berücksichtigung völkerrechtlicher Grundsätze, S. 22
48 Vgl. Buschbeck, Verschleierte Auslieferung durch Ausweisung, S. 89
49 Vgl. Unger, Schutzlos ausgeliefert? Der Europäische Haftbefehl, S. 38
50 Vgl. Unger, Schutzlos ausgeliefert? Der Europäische Haftbefehl, S. 40
51 Vgl. Gros, Die Voraussetzungen für die Auslieferung nach dem Deutschen Auslieferungsgesetz in vergleichender Darstellung mit dem Recht anderer Staaten unter Berücksichtigung völkerrechtlicher Grundsätze, S. 30
Der GRIN Verlag hat sich seit 1998 auf die Veröffentlichung akademischer eBooks und Bücher spezialisiert. Der GRIN Verlag steht damit als erstes Unternehmen für User Generated Quality Content. Die Verlagsseiten GRIN.com, Hausarbeiten.de und Diplomarbeiten24 bieten für Hochschullehrer, Absolventen und Studenten die ideale Plattform, wissenschaftliche Texte wie Hausarbeiten, Referate, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten, Diplomarbeiten, Dissertationen und wissenschaftliche Aufsätze einem breiten Publikum zu präsentieren.
Kostenfreie Veröffentlichung: Hausarbeit, Bachelorarbeit, Diplomarbeit, Dissertation, Masterarbeit, Interpretation oder Referat jetzt veröffentlichen!
Kommentare