Diplomarbeit, 2003
115 Seiten, Note: 1,0
I. Einleitung
1. Motivation
2. Fragestellung und Arbeitsplan
2.1 Fragestellung
2.2 Arbeitsplan
3. Informationsquellen
II. Eigene Erfahrungen mit dem Thema Drogenabhängigkeit
1. Das Projekt
2. Ablauf des Praktikums
3. Problematische Aspekte der Arbeit
4. Charakteristische und problematische Ereignisse
5. Erfahrungen mit mir selbst
III. Darstellung und Analyse der Heroinabhängigkeit
1. Phänomenale Fragestellung: Darstellung der Heroinabhängigkeit
1.1 Begriffsanalyse
1.1.1 Begriff der Sucht
1.1.2 Begriff der Abhängigkeit
1.1.3 Eigene definitorische Festlegung
1.2 Die Droge Heroin
1.2.1 Geschichte des Heroins
1.2.2 Die Substanz
1.2.3 Wirkung
1.3 Psychosoziale Merkmale der Heroinabhängigkeit
1.4 Verlauf und Prognose
1.5 Ausbreitung in der Gesellschaft
2. Kausale Fragestellung: Ursachen der Heroinabhängigkeit
2.1 Biologische Erklärungen
2.2 Psychologische Erklärungen
2.2.1 Ich-psychologische Suchttheorie bei Krystal und Raskin (1970)
2.2.1.1 Das Ich und die Affekte
2.2.1.2 Objekt- und Selbstrepräsentanz
2.2.1.3 Die Veränderung des Bewusstseins
2.2.2 Lerntheorien
2.2.3 Systemische Ansätze
2.3 Soziologische Erklärungen
2.4 Erkenntnistheoretische Einordnung der Ich-psychologischen Suchttheorie von Krystal und Raskin
2.4.1 Der mystisch-magische Erkenntnisweg
2.4.2 Der deduktiv-dogmatische Erkenntnisweg
2.4.3 Der induktiv-empiristische Erkenntnisweg
2.4.4 Der deduktiv-theoriekritische Erkenntnisweg
2.4.5 Der dialektisch-materialistische Erkenntnisweg
2.4.6 Der Erkenntnisweg der Aktionsforschung
2.4.7 Erkenntnistheoretische Bilanz
3. Aktionale Fragestellung: Umgang mit Heroinabhängigkeit
3.1 Umgang mit Heroin in anderen Gesellschaften
3.2 Reaktionen in unserer Gesellschaft
3.2.1 Politische Reaktionen
3.2.2 Sanktionierende Reaktionen
3.2.2.1 Strafrechtliche Sanktionen
3.2.2.2 Außerstrafrechtliche Maßnahmen
3.2.3 Pädagogische Reaktionen
3.2.4 Präventive Reaktionen
3.2.5 Therapeutische Reaktionen
3.3 Vorgeschichte der Reaktionen in Deutschland
3.4 Reformvorschläge
3.4.1 Reformvorschläge in der öffentlichen Diskussion
3.4.2 Eigene Reformvorschläge
IV. Darstellung der Substitutionsbehandlung
1. Kurzdefinition „Substitutionsbehandlung“
2. Historischer Hintergrund
2.1 Die Entwicklung von Methadon
2.2 Erste Substitutionsversuche mit Methadon in Deutschland
3. Heutige Situation
3.1 Rechtliche Grundlagen
3.2 Anzahl der substituierten Menschen
3.3 Verschiedene Substitutionsprogramme
3.3.1 Kurzzeitprogramme
3.3.2 Mittelfristige Programme
3.3.3 Langzeitprogramme
4. Therapiebeispiel: Anne H
5. Typische Merkmale der therapeutischen Arbeit und Behandlungsziele
6. Psychologisches Grundkonzept und Konzept zur Entstehung von Sucht
7. Spezifische Konzepte zu den Wirkmechanismen der Therapie
8. Kritische Diskussion
V. Die Bedeutung der Substitution für Heroinabhängige
1. Ergebnisse aus der Fachliteratur
1.1 Gesundheitlicher Zustand
1.2 Psychische Situation
1.3 Beikonsum
1.4 Soziale Stabilisierung
1.5 Opiatabstinenz
2. Ergebnisse aus Gesprächen mit Experten
3. Ergebnisse aus einem Interview mit einer Betroffenen
4. Ergebnisse aus den eigenen Erfahrungen
5. Resümierende Bilanz
VI. Bedeutung für die soziale Praxis
VII. Rückblick und Ausblick
VIII. Quellenverzeichnis
JUNK
Ungestreckte Sehnsucht
pur
in seiner reinsten Form
fließt durch meine Adern
weckt Erinnerungen
an die Geborgenheit
im Mutterleib,
als nichts
noch alles war,
nur feuchte Wärme,
die wahre Unschuld umgab.
Gelacht habe ich
im letzten Jahrtausend –
der Stoff
aus dem die Träume sind
fließt durch meine Adern –
Gift
aus uralten Zeiten
weckt Geister der Zerstörung
die den Geist zerstören –
die Seele küssen
um sie sanft
aus dem Körper zu reißen.
Für Tom
zum 29. Geburtstag
von Yüce
„Das Ziel eines jeden Süchtigen ist ein letales“ (K.-H. Wieser). Dieser Satz meines Dozenten in einer Seminarsitzung verfolgte mich ständig in der Auseinandersetzung mit dem Thema und lässt sich in diesem Gedicht wiederfinden. Der Autor und der Empfänger des Gedichtes, beide ehemalige Heroinkonsumenten, sind sehr gute Freunde von mir.
Das Thema Drogen und Sucht begann mich nach meinem Umzug nach Berlin zu berühren. Von da an wurde ich ständig mit Drogen konfrontiert. Ich lernte viele Leute kennen, die früher Drogen genommen hatten, aktuell Drogen nehmen und sammelte selber Erfahrungen mit psychoaktiven Substanzen, was mich zu einer intensiven und sehr persönlichen Auseinandersetzung mit dem Thema der stoffgebundenen Süchte führte. Weiterhin wurde ich im Gegensatz zu früher auch durch das Stadtbild mit diesem Thema konfrontiert, denn in meiner Heimatstadt habe ich nie zugesehen, wie sich jemand Heroin in seine Venen spritzt.
Aus diesem Grund wählte ich im Rahmen meines Studiums den Projektschwerpunkt „Sucht und Psychotherapie“, jedoch auch, weil ich plante, nach meinem Studium der Sozialarbeit/-pädagogik eine Weiterbildung zur Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin im analytisch begründeten Verfahren zu machen.
Mein Amtspraktikum absolvierte ich bei der Gerichts- und Bewährungshilfe im Bezirk Spandau. Hier kam ich des Öfteren mit drogenabhängigen Menschen in Kontakt. Mein großes Interesse für das Arbeitsfeld Sucht und Drogenhilfe veranlassten mich, mein zweites Praktikum im Drogenhilfebereich zu wählen. Ich arbeitete im Arbeitsprojekt ABO (Arbeit – Bildung – Orientierung) der Drogenberatungsstelle BOA e.V. (Begegnung – Orientierung – Anfang) in Berlin-Tiergarten. Mein Schwerpunkt innerhalb des Praktikums lag in der schulischen und beruflichen (Re-) Integration von substituiert lebenden, ehemals heroinabhängigen Menschen. Mittlerweile führe ich psychosoziale Betreuungstätigkeiten in Bezug auf Arbeit, Bildung und Qualifizierung im gleichen Projekt durch.
Die privaten wie auch beruflichen Erfahrungen und die theoretische Auseinandersetzung innerhalb meines Projektseminars „Sucht und Psychotherapie“ konfrontierten mich permanent mit Substanzabhängigkeit. Die positiven Erfahrungen mit meinen Klienten und nicht zuletzt die mehrjährige Heroinabhängigkeit der bereits erwähnten Freunde gaben mir den Anstoß, mein Diplomarbeitsthema aus diesem Bereich zu wählen.
Die Arbeit befasst sich mit den psychosozialen Integrationsmöglichkeiten und –grenzen von süchtigem Klientel. Aufgrund des begrenzten Rahmens dieser Arbeit war es notwendig, die Thematik entsprechend einzugrenzen. Es gilt zu beleuchten, was die Substitutionsbehandlung für die psychosoziale Integration heroinabhängiger Menschen leisten kann.
Die Arbeit umfasst sieben sich aufeinander beziehende Kapitel. Dieser Einleitung schließt sich ein Eigenerfahrungsbericht an. Er beruht auf den Erfahrungen, die ich während meines Praktikums und meiner jetzigen Arbeit mit substituiert lebenden, ehemals opiatabhängigen Menschen gesammelt habe.
Im dritten Kapitel beschäftige ich mich mit der Darstellung und Analyse der Heroinabhängigkeit. Neben begrifflichen Erklärungen von Sucht und Abhängigkeit gilt es, Wirk- und Substanzeigenschaften der Droge ‚Heroin’ darzustellen sowie Erscheinungsformen, Verläufe und die gesellschaftliche Ausbreitung von Heroinabhängigkeit zu beleuchten. Des weiteren versuche ich, durch die Darstellung verschiedener Suchttheorien ein möglichst breites Verständnis für die Ursachen von süchtigem Verhalten zu schaffen. Besonders werde ich hier auf psychoanalytische Erklärungen eingehen. Gesellschaftliche Reaktionen auf dieses Problemfeld schließen das Kapitel ab.
Das vierte Kapitel ist der Darstellung der Substitutionsbehandlung gewidmet. Zunächst gebe ich einen historischen Überblick über die Einführung und Entwicklung dieser Behandlung, weiterhin stelle ich die heutige Situation der Substitution als anerkannte Therapieform dar, bevor ich – gestützt durch das Vorstellen eines Therapiebeispiels – Merkmale der therapeutischen Arbeit, deren Zielsetzungen und Wirkmechanismen aufführe. Eine kritische Diskussion rundet diesen Teil der Arbeit ab.
Im fünften Kapitel werden Ergebnisse aus unterschiedlichen Perspektiven aufgeführt. Zunächst stelle ich die Ergebnisse aus der Fachliteratur und aus der Sicht von Experten dar, denen folgen die Auswertung eines Interviews mit einer betroffenen Frau und Ergebnisse aus meinen eigenen Erfahrungen. Das Kapitel schließt mit einer resümierenden Bilanz der Ergebnisse ab.
Im sich daran anschließenden Teil der Arbeit geht es um die Beurteilung, welche Bedeutung dieser Thematik für die Sozialarbeit und Sozialpädagogik zugesprochen wird.
Das letzte Kapitel dient dazu, die wichtigsten Erkenntnisse zusammenzufassen, Anregungen an die Politik und Praxis sowie Raum für die eigene Reflexion zu geben.
Aus Gründen der Erleichterung des Lesens und Schreibens wende ich die männliche Schreibweise an. Trotz dieser gewählten Form schließe ich generell beide Geschlechter mit ein.
Für diese Arbeit konnte ich verschiedene Informations- und Erkenntnisquellen nutzen.
Die erste theoretische Grundlage stellte die intellektuelle Auseinandersetzung in meinem Schwerpunktprojekt „Sucht und Psychotherapie“ an der Alice-Salomon-Hochschule dar. Gespräche innerhalb der Gruppe, Einzelgespräche mit den leitenden Dozenten sowie Eigenreflexion im Rahmen des Seminars verschafften mir einen grundlegenden Überblick über das Phänomen der Sucht.
In meiner Arbeit bei der Drogenberatungsstelle BOA konnte ich meine bisherigen Erfahrungen und Kenntnisse in der Praxis vertiefen und erweitern sowie einen professionellen Zugang im Umgang mit Heroinabhängigen finden. Diese berufliche Verbindung zur Drogenhilfe nutzte ich, um Ergebnisse bezüglich der Fragestellung zu erhalten. Meine eigenen Erfahrungen und Interviews mit einer Betroffenen sowie einer Mitarbeiterin der Suchthilfe waren meine hauptsächlichen Erkenntnisquellen im fünften Kapitel. Unterstreichen konnte ich diese durch Ergebnisse aus der Fachliteratur.
Viele Informationen entnahm ich der Literatur, Anregungen hierfür bekam ich aus dem Seminar wie auch aus anderen Diplomarbeiten der ASFH, besonders aus der von Lars Ackmann. Hervorheben möchte ich das Buch „Soziale Arbeit im Arbeitsfeld Sucht“ von Peter Loviscach, der eine umfassende und aus mehreren Perspektiven betrachtende Darstellung des Problemfeldes liefert. Im kausalen Teil des dritten Kapitels verhalf mir der Text „Drogensucht“ von den amerikanischen Psychoanalytikern Krystal und Raskin aus dem Jahre 1970, ein Verständnis bezüglich der Psychodynamik von Sucht herstellen zu können.
Viele Anregungen bekam ich hinsichtlich der aktuellen Situation im politischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Bereich in Bezug auf Substitution durch das Buch „Drogenpraxis, Drogenrecht, Drogenpolitik“ von Böllinger und Stöver.
In diesem Kapitel werde ich meine eigenen Erfahrungen mit dem Thema Drogen und Sucht darstellen, die ich während meiner Arbeit bei BOA e.V. sammeln konnte.
Ich arbeite im Projekt Arbeit – Bildung – Orientierung der Jugend- und Suchtberatungsstelle BOA e.V. und führe psychosoziale Betreuung substituiert lebender Menschen in Bezug auf Arbeit, Bildung und Qualifizierung durch. In diesem Bereich absolvierte ich auch mein ‚freies’ Praktikum im Rahmen des Studiums. Die folgenden Ausführungen basieren somit auf einer nun fast einjährigen Tätigkeit in diesem Projekt.
Das Ziel des Projektes ist es, arbeitssuchenden, substituierten Menschen Chancen auf eine (Wieder-)Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu eröffnen und die Aufnahme einer dauerhaften sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zu fördern.
Das Arbeitskonzept hat sein Fundament in der akzeptierenden Suchtarbeit, die Arbeitsweise ist auf allen Interventionsebenen ressourcen- und wachstumsorientiert angelegt und basiert auf der Methodik der klientenzentrierten Beratung. Das dazugehörige Angebot beinhaltet Einzelberatungen zur Berufswegplanung, Vermittlung zu Maßnahme- und Fortbildungsträgern, Vermittlung in Praktika, Jobs und Arbeitstätigkeiten sowie begleitende Beratung und Unterstützung. Des Weiteren werden im Projekt EDV-Qualifizierungskurse für Einsteiger und für Fortgeschrittene als Baustein des europäischen EDV-Anwenderpasses durchgeführt. Nebenbei bietet das Projekt verschiedene Workshops wie Telefon- und Bewerbungstraining sowie ein Computercafé an. In zwei Arbeitserprobungsmaßnahmen werden substituierte Menschen auf der Grundlage der Hilfen zur Arbeit nach Paragraph 19 des Bundessozialhilfegesetzes in den Bereichen Handwerk und Büro qualifiziert. Somit soll schrittweise eine (Wieder-)Annäherung an die Bereiche Arbeit und Bildung sowie eine Stärkung von sogenannten sekundären Arbeitstugenden wie Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Konzentrationsfähigkeit etc. ermöglicht werden. Außerdem ist es möglich, in den Erprobungsprojekten Geldstrafen abzuarbeiten.
In der ersten Phase des Praktikums ging es hauptsächlich darum, die Klienten des Arbeitsprojektes kennenzulernen, indem ich an Beratungsgesprächen, insbesondere an Erstgesprächen zur Klärung der individuellen beruflichen Situation der Klienten teilnahm und Recherchearbeiten mit und für die Klienten durchführte. Aus der beobachtenden Perspektive bekam ich somit einen Einstieg in die klientenzentrierte Beratungsform. Parallel dazu musste ich mich über das Berliner Drogenhilfesystem und über die aktuelle Arbeitsmarktlage informieren, um mich auf selbständige Beratungen vorzubereiten. Kenntnisse über unterschiedlichste Berufsbilder sowie Weiterbildungs- und Umschulungsmöglichkeiten gehörten genauso dazu wie Kenntnisse über arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Grundlagen.
Mit der Zeit führte ich selbständig Erstgespräche mit Klienten zur Aufnahme in das Projekt und plante mit ihnen kurz-, mittel- und langfristige Ziele des Berufsweges. Damit verbunden war die Durchführung von Büro- und Verwaltungsarbeiten und das Erstellen von entsprechenden Schriftstücken.
So hatte ich nach einer gewissen Zeit eigene Klienten, mit denen ich regelmäßige Termine vereinbarte und die ich in Bezug auf ihre momentane berufliche Situation und bei der Entwicklung neuer Perspektiven betreute. Hierbei war es unerlässlich, Respekt gegenüber ihren Zielen zu zeigen und ihnen darüber eine realistische und angstfreie Einschätzung zu ermöglichen. Somit können die Klienten ihre eigenen Potentiale, aber auch Grenzen deutlicher wahrnehmen und darüber ihre Ziele definieren.
Nach meinem Praktikum übernahm ich die Leitung der Computerkurse für EDV-Einsteiger und führe diese bis heute parallel zur berufs- und arbeitsbezogenen psychosozialen Betreuung durch.
Des Öfteren kommt es vor, dass einige Klienten bei Eintritt in das Projekt sowohl in bezug auf sich selbst als auch hinsichtlich der Möglichkeiten einer Beschäftigungsaufnahme stark überhöhte Erwartungen haben. Andere dagegen leiden aufgrund der oft jahrelangen fehlenden Einbindung in geregelte Arbeits- und Bildungsstrukturen unter extremen Minderwertigkeitsgefühlen in Hinblick auf ihre Lern- und Leistungsfähigkeit. Der Beginn der Beratung ist für einige Teilnehmer mit Ernüchterung und Desillusionierung verbunden. Hier ist es besonders wichtig, die Klienten sowohl für kurzfristige als auch für langfristige Ziele zu motivieren.
Da der Großteil der Klienten über keine oder nur niedrige Schul- und Berufsabschlüsse verfügt, besteht häufig die Notwendigkeit von Nachqualifizierungen, z.B. in Form von Qualifizierungen im EDV-Bereich, von Nachholen von Schulabschlüssen, aber auch von Entwicklung der sekundären Arbeitstugenden.
Zusätzlich behindern bestimmte Faktoren in den Lebensumständen der Klienten die berufliche Wiedereingliederung erheblich. Häufig zählt hierzu die gesundheitliche Situation. Schwere chronische Erkrankungen wie Hepatitis C oder HIV-Infektionen und ihre Begleitsymptome können das erwünschte Arbeitsverhalten beeinträchtigen. Auch eine große Schuldenbelastung kann die berufliche Integration behindern. Solange keine Schuldenregulierung erfolgt ist, fällt es den Klienten oft schwer, eine finanzielle Perspektive zu sehen. Erarbeitetes Geld könnte durch Pfändungen wieder verloren gehen. Dadurch wird oft der Anreiz auf Erwerbstätigkeit und Geldverdienst stark eingeschränkt.
Die Arbeit mit substituierten Menschen empfinde ich als sehr abwechslungsreich. Es gibt schöne wie auch problematische Ereignisse. Unmöglich wäre es, jede dieser Erfahrungen im Rahmen dieser Diplomarbeit aufzuführen, daher beschränke ich mich auf zwei, mir in sehr guter Erinnerung gebliebenen Erlebnisse.
Zuerst möchte ich von Frau A. berichten. Mit ihr hatte ich zu Beginn meines Praktikums ein Erstgespräch und ich allein betreute sie in der Zeit meines Praktikums. In einem Drogenratgeber hatte sie von unserem Projekt gelesen und machte gleich daraufhin einen Termin mit mir aus. Sie war Erzieherin und wollte wieder arbeiten, zuvor jedoch eine Weiterbildung zur Heilpädagogin machen. In psychosozialer Betreuung befand sie sich nicht mehr, die sie zuvor drei Jahre lang in Anspruch genommen hatte.
Wir hatten ein gut gelungenes Gespräch, in dem sie mir aufgeschlossen vorkam, jedoch bemerkte ich auch ihren großen Rededrang in Bezug auf ihre gesamte Suchtgeschichte. So war es zu Beginn nicht ganz leicht, ihr den Rahmen des Gespräches aufzuzeigen. Wir vereinbarten einen neuen Termin, bis dahin wollte ich beim Arbeitsamt nach Weiterbildungsmöglichkeiten recherchieren. Sie nahm den Termin jedoch nicht wahr, sondern entschuldigte sich mit einer Mitteilung auf dem Anrufbeantworter. Weitere Termine folgten, an denen sie aber ebenfalls nicht erschien. Telefonisch war sie nicht zu erreichen. Plötzlich tauchte sie in unserem Büro auf, entschuldigte ihr Verhalten und wollte persönlich einen neuen Termin ausmachen. Ein Gespräch folgte. Sie erzählte mir, dass sie in der letzten Zeit sehr viele Medikamente geschluckt hätte, dass es ihr psychisch überhaupt nicht gut ginge und sie nur Ärger mit ihrem Freund habe. Außerdem sei eine Freundin nun clean und sie selber hänge immer noch an den Drogen, womit sie Methadon meinte. Ich fragte sie, ob sie denn über Therapie oder psychosoziale Betreuung nachdenkt. Sie hätte gerne wieder psychosoziale Betreuung, jedoch habe sie Angst, dass ihr Umfeld sie als Versagerin ansehen werde. Eine Abstinenztherapie wolle sie auch machen, jedoch traue sie sich das momentan noch nicht zu. Das wäre ein zu großer Schritt für sie. Ich bestärkte sie in ihrem Wunsch und leitete die Vermittlung in psychosoziale Betreuung ein.
Ab diesem Zeitpunkt bemerkte ich eine Veränderung. Sie nahm jeden Termin war, besorgte sehr schnell die nötigen Unterlagen für die Antragsstellung und betonte immer wieder, wie gut ihr es mit dieser Entscheidung ginge. Der Antrag auf Kostenübernahme durch das Sozialamt wurde bewilligt und so konnte ich Frau A. am letzten Tag meines Praktikums in psychosoziale Betreuung übergeben. Die Betreuung im Bereich Arbeit läuft nun langsam wieder an. In den letzten Monaten konnte sich Frau A. psychisch soweit stabilisieren, dass sie nun beigebrauchsfrei lebt. Sie bewirbt sich momentan für eine Halbtagsstelle als Erzieherin. Bevor sie ihre geplante Weiterbildung zur Heilpädagogin beginnt, will sie zuerst wieder Routine in diesem Beruf bekommen.
Das zweite Erlebnis, das ich beschreiben will, ereignete sich während meiner Honorartätigkeit als Computerdozentin. Bei einem Klienten, Herrn N., hatte ich das Gefühl, dass er beikonsumiert hatte und ‚breit’ im Kurs erschienen war. Er war sehr aufgedreht, konnte nicht ruhig sitzen und ließ keinen der anderen Teilnehmer aussprechen. Durch ständige Zwischenrufe störte er den Kursablauf sehr.
Ich sprach ihn in der Pause darauf an und er reagierte sehr empört. Er konnte nicht verstehen, wie ich auf diese Idee komme und dass er sich doch so wie immer verhält. Dies war aber meinem Gefühl nach keineswegs der Fall. Trotzdem stritt er hartnäckig ab, dass er vor dem Kurs konsumiert hatte. Ich beließ es dabei und machte ihm noch mal die klare Ansage, dass er nicht arbeitsfähig sei, wenn er beikonsumiert hat und ich somit die Pflicht habe, ihn bei Verdacht danach zu fragen. Nach der Pause fragte er mich ganz laut im Kurs, ob ich denn was konsumiert hätte, ich wäre so komisch. Dem fügte er hinzu, dass ich jetzt vielleicht merken würde, wie so eine Frage wirke. Ich war sehr verärgert über diese Aussage und bat ihn daraufhin zu einem Gespräch. Jedoch war dieses nicht sonderlich fruchtbar. Er war unglaublich aufgebracht, ich versuchte, ganz ruhig zu bleiben. Jedoch versuchte er ständig, mir ein schlechtes Gewissen bezüglich meines Fragens zu machen. Ich beendete das Gespräch.
Den ganzen Abend machte ich mir Gedanken über diesen Vorfall und besprach dies am nächsten Tag mit einer Kollegin. Sie riet mir, bis zum nächsten Kurstermin abzuwarten und ihm dann noch einmal klar zu verstehen geben, welche Regeln im Kurs herrschen. Dies tat ich dann auch und ich sagte ihm ganz deutlich, dass er den Kurs verlassen muss, wenn solche ‚Sprüche’ noch mal vorkommen. Er gestand mir daraufhin, dass er gekokst hatte und dass ich mit meinem Verdacht genau richtig lag.
Aus diesem Ereignis konnte ich eine Menge lernen. Ich würde mich heute nicht mehr auf solch ein Gespräch einlassen, wenn ich den Verdacht habe, dass ein Klient beikonsumiert hat. Ich empfand das Gespräch in der Situation als sehr anstrengend, da der Klient unter Drogen stand. Den ganzen Abend trug ich dieses Gespräch mit mir herum und mir ging es erst besser, als ich das mit ihm klären konnte.
Der Beginn meines Praktikums bedeutete für mich den ersten Kontakt mit substituierten Menschen. So kamen unmittelbar vor dem Praktikum Berührungsängste hoch, die ich jedoch aufgrund der guten Anleitung und Arbeitsatmosphäre schnell abbauen konnte. Ich stellte fest, dass ich durch meine privaten Erfahrungen mit dem Bereich Sucht und Drogen eine vorurteilsfreie Herangehensweise an die Menschen hatte, wovon ich während der Betreuung sehr profitieren konnte. Ich habe bei den meisten Klienten das Gefühl, dass sie mir den Respekt, den ich ihnen entgegenbringe, auch zurückgeben.
Weiterhin konnte ich lernen, klientenzentriert zu beraten und zu handeln. Die Wichtigkeit dieses Ansatzes wird mir in meiner alltäglichen Arbeit immer wieder bewusst. Es geht nicht in erster Linie darum, welchen Weg ich mir für einen Klienten vorstellen kann, sondern darum, was der Klient sich vorstellen kann. Meine Aufgabe ist es, ihm reflektierend zu begegnen und ihm Vor- und Nachteile deutlich zu machen, die er vielleicht nicht sofort sieht.
Es gab auch Situationen, in denen ich an meine Grenzen gestoßen bin, beispielsweise bei dem oben beschriebenen Erlebnis mit Herrn N. Jedoch versuche ich immer, das Positive aus solchen Grenzerfahrungen zu ziehen.
Geschichtlich gesehen geht dem Abhängigkeitsbegriff im Zusammenhang mit der Einnahme von Drogen der Begriff der Sucht voraus. Daher ist es hier sinnvoll, zuerst den Blick auf den Suchtbegriff zu lenken, bevor Abhängigkeit definiert und schließlich eine eigene Definition im Rahmen dieser Arbeit gewählt wird.
Sucht geht auf das gotische Wort ‚suikan’ (krank sein) zurück und wurde im mittel- und althochdeutschen Sprachraum später als ‚suht’ in der Bedeutung von Krankheit verwendet (vgl. Seifert, 1996, S.35).
Die Substantive ‚suht’ im mittel- und althochdeutschen, ‚saúhts’ im gotischen und ‚sot’ im altnordischen Sprachgebrauch übersetzen das Wort ‚Krankheit’ und sind eine ablautende Bildung zu dem Verb ‚siech’, ‚siechen’ im Sinne von ‚krank sein’ (vgl. Duden, 2001, S.828).
In diesem ursprünglichen Sinn wurde der Suchtbegriff bis ins 16. Jahrhundert hinein verwendet. Ab dann wandelte er sich zu einem religiös moralisch besetzten Wertbegriff zur Umschreibung von sünd- und lasterhaftem menschlichen Handelns und Sucht wurde als Charakterdefekt gesehen (vgl. Wiesemann, 2000, S.41).
Ende des 18. Jahrhunderts kam es zu einer weiteren Modifikation des Suchtbegriffes. Nissen betont in diesem Kontext, dass der Suchtbegriff zu dieser Zeit überwiegend für Prunk-, Prahl-, Gefall- und Großmannsucht verwendet wurde (vgl. Nissen, 1994, S.10).
Im neuhochdeutschen Sprachgefühl wurde der Suchtbegriff etymologisch unkorrekt mit dem Sinngehalt des Suchens verknüpft.
„Eine Sucht entsteht allemal dort, wo gesucht, aber nicht gefunden werden kann“ (Mitscherlich, 1947, S.280).
Schwendter formuliert die etymologische Entwicklung des Suchtbegriffes prägnant, indem er den Wandel vom ‚siech sein’, ‚krank sein’ ab dem siebten Jahrhundert bis hin zu dem heute oftmals assoziierten ‚krankhaften Verlangen nach etwas’, also einer Leidenschaft, die durchaus in das Umfeld von Suchen gerät, beschreibt (vgl. Schwendter, 1992, S.12).
Um eine Suchtmittelabhängigkeit feststellen zu können, existieren international anerkannte Kriterien. Die Diagnose einer Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenabhängigkeit soll nur erfolgen, wenn mindestens drei der folgenden Kriterien des ICD-10 (International Classification of Diseases) gleichzeitig zutreffen (vgl. Kuntz, 2000, S.169f).
- ein starker Wunsch oder eine Art innerer Zwang, psychoaktive Substanzen und Alkohol zu konsumieren,
- verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Substanz- oder Alkoholkonsums,
- Substanzgebrauch mit dem Ziel, seelische Entzugssymptome zu vermeiden oder zu mildern,
- körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Einschränkung des Konsums,
- Toleranzentwicklung, d.h. Gewöhnung an höhere Dosen eines Suchtmittels, um die gleiche Wirkung zu erzielen,
- fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügungen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums sowie erhöhter Zeitaufwand, um sich von den Folgen des Konsums zu erholen,
- anhaltender Suchtmittelkonsum trotz des Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen, wie z.B. Müdigkeit, depressive Verstimmungen, Leberschädigung, Verschlechterung kognitiver Funktionen oder Arbeitsplatzverlust,
- ein eingeengtes Verhaltensmuster im Umgang mit der Substanz. (ebd., S.170).
Diese Leitlinien zur Diagnose machen deutlich, dass lediglich der Konsum einer psychoaktiven Substanz, also eines Suchtstoffes, nicht ausreicht, um das Vorliegen einer Abhängigkeitserkrankung zu begründen. Dies setzt vielmehr das Vorhandensein starker körperlicher, psychischer und/oder sozialer Beeinträchtigungen der Betroffenen in Zusammenhang mit dem Konsum voraus. Wenn ein Konsumverhalten die oben genannten Kriterien zur Diagnose einer Abhängigkeitserkrankung nicht erfüllt, kann unter Umständen von schädigendem Gebrauch, Missbrauch oder suchtähnlichem Gebrauch einer psychoaktiven Substanz gesprochen werden.
Anzumerken gilt es hier, dass die Kriterien des ICD-10 sich nur auf Süchte nach psychoaktiven Substanzen beziehen, jedoch nicht auf die in unserer Gesellschaft weit verbreiteten stoffungebundenen Abhängigkeiten.
Drogenabhängigkeit wird in dieser Arbeit in psychische und physische Abhängigkeit unterteilt, wobei in Anlehnung an Schmerl anzumerken ist, dass einer körperlichen Abhängigkeit eine psychische vorausgehen muss (vgl. Schmerl, 1984, S.13).
Unter einer psychischen Abhängigkeit verstehe ich eine starke psychische Bindung an eine psychoaktive Substanz, so dass die Bewältigung des Alltags nur noch bedingt oder gar nicht mehr möglich ist und der Konsum wie auch die Beschaffung der Substanz im Mittelpunkt des Süchtigen steht. Physisch abhängig ist ein Mensch, wenn ein körperlicher Adaptionsprozess vorliegt, dass heißt, wenn sich der Stoffwechsel der Intoxikation durch chronischen Drogengebrauch anpasst. Es bedarf dann einer immer größeren Dosis des Suchtstoffes, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Durch diese Toleranzausbildung ist es dem Körper möglich, immer größere Mengen der Substanz zu vertragen, und er reagiert beim Absetzen der Substanz mit Entzugssymptomen. Bei der Heroinabhängigkeit lassen sich beide Formen der Abhängigkeit beobachten.
Da im Rahmen dieser Arbeit der Begriff der Abhängigkeit vorwiegend als Abhängigkeit von Heroin verwendet wird, ist Abhängigkeit sowohl psychisch als auch physisch anzusehen. Hierbei gilt es anzumerken, dass Abhängigkeit für mich nicht zwangsläufig in Verbindung mit psychoaktiven Substanzen gebracht werden kann. Es gibt eine Reihe von stoffungebundenen Abhängigkeiten wie z.B. die Magersucht oder die Spielsucht.
Anmerken möchte ich jedoch, dass selbst diese Begrenzung des Begriffes ‚Abhängigkeit’ nicht meinem allgemeinen Verständnis desselben entspricht, da der Mensch an sich ein Wesen ist, das ohne Abhängigkeiten nicht existieren könnte. Damit meine ich vor allem soziale wie auch biologische Abhängigkeiten.
Um aber ein Verständnis dieses Terminus zu gewährleisten, soll hervorgehoben werden, dass ich den Begriff der Abhängigkeit in dieser Arbeit ausschließlich als Abhängigkeit von einer psychoaktiven Substanz verwende.
Ausgangspunkt für die Entwicklung von Diacetylmorphin, die chemische Bezeichnung von Heroin, war die Erkenntnis über das hohe Abhängigkeitspotential des Schmerzmittels Morphium, welches im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 in großem Umfang zur Linderung der Wundschmerzen eingesetzt wurde. Der suchterzeugende Charakter von Morphium wurde sehr deutlich, als unzählige Soldaten die Feldlazarette als Morphinsüchtige verließen, die sich selber Injektionen gaben (vgl. Schmidbauer/Vom Scheidt, 2001, S.293).
So wurde auf der Suche nach einem möglichst wirkungsvollen und nebenwirkungsarmen Schmerzmittel auf Morphinbasis mit möglichst geringem oder keinem Abhängigkeitspotential das Diacetylmorphin erstmals im Jahre 1874 von dem englischen Chemiker C.R.A. Wright hergestellt. Die kommerzielle Herstellung und Vermarktung begann jedoch erst Jahre später durch die deutsche Pharmafirma Bayer & Co, welche 1898 das Medikament „Heroin“ vorwiegend als Hustenmittel und Mittel gegen die Morphinsucht auf den Markt brachte. Anhand des Namens, der sich aus dem griechischen Wort „heros“ für „Held“ herleiten lässt, kann die anfängliche Begeisterung für dieses Medikament herausgelesen werden. Einige Jahre später wurde es sogar als Ersatzmedikament für Morphium von der „American Medical Association“ empfohlen (vgl. Parnefjord, 2000, S.68).
Jedoch stellte sich bald heraus, dass Heroin nicht nur um ein Vielfaches stärker ist als Morphium, sondern auch ein höheres Abhängigkeitspotential als dieses besitzt. So wurde es 1912 in die Liste der verschreibungspflichtigen Medikamente aufgenommen, bevor es 1929 in Deutschland wie auch in anderen Ländern verboten wurde und heute als nicht verkehrs- und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel gilt (vgl. Heudtlass/Stöver/Winkler, 1995, S.41).
Heroin gehört zu der Gruppe der Opiate. Als Opiate werden Substanzen bezeichnet, die in ihrer pharmakologischen Wirkung dem Morphin, dem Hauptwirkstoff des Opiums gleichen. Morphin selbst ist ein natürliches Opiat und wird aus Rohopium, dem getrockneten Milchsaft des Schlafmohns, gewonnen (vgl. Köhler, 2000, S.74).
Als eines der bekanntesten halbsynthetischen Opiate, welche man durch chemische Behandlung natürlicher Opiate gewinnt, gilt Heroin. Es ist ein Abkömmling des Morphins, die chemische Bezeichnung für Heroin lautet 3,6-Diacetylmorphin (vgl. ebd., S.75).
Heroin ist eine Substanz mit hohem Abhängigkeitspotential. Bei regelmäßigem Konsum entwickelt sich neben der psychischen auch eine körperliche Abhängigkeit. Es existieren jedoch keine allgemeinen Angaben darüber, wie oft und in welchen Mengen Heroin eingenommen werden muss, bis eine Abhängigkeit mit Entzugssymptomen entsteht (vgl. Parnefjord, 2000, S.73).
Als nicht verkehrs- und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel ist Heroin eine illegale Substanz.
„Es darf weder hergestellt noch verschrieben werden, weshalb es eine ausschließlich unter illegalen Bedingungen produzierte, vertriebene und konsumierte Substanz ist. Damit ist sie nur auf dem Schwarzmarkt erhältlich. Das bedeutet in erster Linie einen hohen Preis bei sehr stark schwankender Qualität des Stoffes, der in der Regel unterschiedlich stark verunreinigt ist und Beimengen enthält“ (Raschke, 1994, S.73).
Der Preis pro Gramm Heroin schwankt je nach Reinheitsgrad zwischen 25 und 100 Euro, durchschnittlich benötigen Abhängige für die tägliche Versorgung zwischen 75 und 125 Euro (vgl. Bergmann in: Gölz, 1999, S.90).
Im menschlichen Körper wird Heroin in Morphin umgewandelt, dennoch ist die Wirkung von Heroin etwa drei- bis sechsmal so stark wie die des Morphins. Aufgrund der guten Fettlöslichkeit kann Heroin die Blut-Hirn-Schranke leicht passieren und unmittelbar auf das zentrale Nervensystem wirken (vgl. Heudtlass/Stöver/Winkler, 1995, S. 42 sowie Kähnert in: Freitag/Hurrelmann, 1999, S.41).
In der Regel wirkt Heroin beruhigend, entspannend und schmerzlösend, gleichzeitig bewusstseinsmindernd und stark euphorisierend. Negative Empfindungen wie Angst, Unlust und Leere werden beseitigt, das Selbstbewusstsein steigt, und Probleme und Konflikte des Alltags werden ausgeblendet und nicht mehr als solche wahrgenommen.
„Unter Heroin wird der Ängstliche mutig, der Unsichere gewinnt Selbstvertrauen, allgemein nimmt das Selbstbewußtsein zu, ist häufig sogar übersteigert. Die Gedanken fließen leicht, das Gemüts- und Stimmungserleben ist sehr angenehm. Die Sinneswahrnehmungen sind während des Rauschzustandes herabgesetzt. Hieraus kann sich ein Bild entwickeln, das als ‚Zu-Sein’, als ‚Verladenheit’ oder als ‚Dröhnung’ beschrieben wird“(Heudtlass/Stöver/Winkler, 1995, S.43).
„Aus medizinischer Sicht kann Heroin auch gegen Husten, Erkältungskrankheiten und Durchfall eingesetzt werden“ (Hölzmann, 2000, S.17).
Auf der körperlichen Ebene wird unter Heroineinfluss die Atmungssequenz herabgesetzt, was bei höheren Dosen zu Atemdepression und zum Atemstillstand führen kann und die häufigste Ursache von Drogennot- und Drogentodesfällen darstellt. Die Pupillen sind meist verengt und stecknadelgroß. Verstopfung und Harnverhaltung können durch eine erhöhte Spannung der Muskulatur von Magen, Darm und Harnblase ausgelöst werden (vgl. Kähnert in: Freitag/Hurrelmann, 1999, S.40).
Bei regelmäßigem Gebrauch kann das sexuelle Verlangen aufgrund von verzögertem Orgasmusaufbau bis hin zum vollständigen Verdrängen abnehmen.
Die Menstruation kann unregelmäßig werden oder auch ganz ausbleiben (vgl. Parnefjord, 2000, S.71).
Aufgrund des hohen Abhängigkeitspotentials kann sich bereits nach einigen Injektionen in kurzen Abständen eine körperliche und psychische Abhängigkeit ausbilden. Bricht die Heroinzufuhr ab, so treten nach einigen Stunden die ersten Entzugssymptome auf.
„Sie reichen von leichten vegetativen Beschwerden, wie Schwitzen, Zittern, Frieren und Nervosität bis zu schweren Kreislaufzusammenbrüchen, starken Schmerzzuständen im Bauchraum, den Gelenken und den Gliedmaßen“ (Hölzmann, 2000, S.21).
In der Regel halten diese Beschwerden etwa zehn Tage an, jedoch können Unwohlsein und Schwächegefühle einige Monate andauern.
Trotz der heutigen Gewissheit, dass reines Heroin keine irreversiblen Organschäden verursacht, haben Heroinabhängige in der Regel einen sehr schlechten Gesundheitszustand, eine hohe Sterblichkeitsrate und gravierende Gesundheitsschäden. Dies ist jedoch nicht auf die Droge an sich zurückzuführen, sondern hängt sehr eng mit dem Leben in der Illegalität und den sich daraus ergebenden Folgen zusammen. Ein erstes gesundheitliches Risiko stellt die Konsumart der Substanz dar. Die Mehrzahl der Heroinabhängigen injiziert sich den Stoff intravenös. Oftmals teilen sie sich das bereits mehrfach benutzte und verunreinigte Spritzbesteck (needle sharing) und haben keine Möglichkeit zur Desinfektion der Einstichstellen. Die Folge dieses unhygienischen Spritzens sind Geschwüre und Abszesse. Der größte Teil der Abhängigen hat gefährliche Infektionen wie Hepatitis oder HIV (vgl. Hurrelmann/Bründel, 1997, S.185).
Für einen erheblichen Teil der weiblichen und auch der jungen männlichen Heroinabhängigen ist die Prostitution eine Alternative zur Beschaffungskriminalität. Dies stellt ein weiteres gesundheitliches Risiko dar, weil sich die Abhängigen oft unter dem Druck der Geldbeschaffung auf ungeschützten Geschlechtsverkehr auf Wunsch der Freier einlassen.
Ein auffällig häufig auftretendes Merkmal sind Belastungen im sozialen und familiären Bereich. Bereits in den sechziger Jahren verwiesen Studien auf eine Häufung von Problemen innerhalb der Familie. Rosenberg fand damals bei Personen mit Drogenproblematik eine drei- bis vierfach erhöhte Rate einer „broken – home – Situation“ als bei Personen ohne problematischen Konsum psychoaktiver Substanzen (vgl. Krausz in: Gölz, 1999, S.43). Mitte der achtziger Jahre bestätigte eine Studie von Uchtenhagen und Zimmer-Höfler die Bedeutung der Familienvollständigkeit. Nur etwa 45 Prozent der Opiatabhängigen im Vergleich zu 90 Prozent einer nicht durch Drogenproblematik belasteten Kontrollgruppe kamen aus vollständigen Familien (ebd., S.43).
„Fast regelmäßig werden in einschlägigen Untersuchungen überproportional viele Drogenkonsumenten gefunden, die in Heimen oder nur mit einem Elternteil aufgewachsen sind, deren Familie durch starre Rollenmuster gekennzeichnet war oder die von erheblichen Störungen in ihrer Familie berichten. Ein großer Teil, meist der Frauen, hat Erfahrungen mit sexueller Gewalt gemacht. Auffällig sind auch Gleichgültigkeit, emotionale Ablehnung bis Haß durch einen Elternteil und sowohl Vernachlässigung wie Überbehütung bis zu symbiotischen Beziehungen“ (Loviscach, 1996, S.62).
Ebenfalls bemerkenswert ist, dass bei vielen Drogenabhängigen ein problematischer Umgang mit Suchtstoffen bei wenigstens einem Elternteil beobachtet wurde und der Substanzkonsum oft als vorbildhafte Problembewältigungsstrategie fungiert (vgl. ebd., S.62).
Weiterhin hat ein Großteil der Drogenkonsumenten in der Kindheit und Jugend erhebliche Schulschwierigkeiten, was zu keinem oder höchstens zu einem Hauptschulabschluss führte.
„Die Opiatabhängigen hatten [im Vergleich zu Nicht-Drogenkonsumenten, Anm.d.A.] die schlechtere Schulbildung und wesentlich öfter eine abgebrochene oder keine Ausbildung“ (Krausz in: Gölz, 1999, S.43).
Ein hochaktuelles Thema in der Suchtarbeit ist die Komorbidität. Hierunter wird das gemeinsame Auftreten verschiedener psychischer Störungen oder beeinträchtigender Symptome verstanden. Studien zufolge tritt Komorbidität zwischen ganz verschiedenen Störungen auf, jedoch überwiegend im Zusammenhang mit Persönlichkeitsstörungen oder Drogenabhängigkeit (vgl. Verthein/Krausz in: Böllinger/Stöver, 2002, S.38).
Verthein und Krausz betonen die Wichtigkeit des Themas in Verbindung mit Drogenabhängigkeit.
„Bei der Frage nach den auslösenden und den Verlauf der Abhängigkeit aufrechterhaltenden Bedingungen ist die Rolle psychischer Störungen und Symptome mehr und mehr in den Mittelpunkt gerückt“ (ebd., S.39).
Sie berufen sich auf verschiedene internationale Studien, nach welchen die Lebenszeit-Prävalenz von psychischen Störungen bei Drogenabhängigen um die fünfzig Prozent liegt.
„Diese Rate ist etwa zwei- bis dreimal so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung“ (ebd., S.39).
Erwähnenswert ist hierbei die Hamburger Komorbiditätsstudie, in deren Rahmen 350 Opiatabhängige innerhalb von fünf Jahren wiederholt interviewt wurden. Mehr als die Hälfte, etwa 55 Prozent, der Befragten, hatten in ihrem Leben eine psychische Störung durchgemacht. So fanden sich bei 43 Prozent Störungsbilder, die nach ICD-10 in den Bereich der neurotischen, Belastungs- oder somatoformen Störungen fallen (F4-Störungen, z.B. Angststörungen, Phobien). Weiterhin konnten affektive Störungen (F3-Störungen, z.B. depressive Episoden) bei 32 Prozent der Befragten festgestellt werden. Seltener wurden Störungen aus der Gruppe der Schizophrenie, schizotypischen und wahnhaften Störungen (F2) beobachtet, ebenso wie Essstörungen (F5). Die F6-Persönlickeitsstörungen blieben bei dieser Studie unberücksichtigt (vgl. ebd., S.39f). Jedoch betonen die Autoren, dass
„einige spezifische Störungen wie die Antisoziale, Paranoide und auch die Borderline-Persönlichkeitsstörung in Verdacht [stehen], typische, mit der Alkohol- oder Drogenabhängigkeit in Zusammenhang stehende Erlebens- und Verhaltensweisen in einem anderen diagnostischen Gewand zu präsentieren“ (ebd., S.39).
Hamburger Komorbiditätsstudie:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten(vgl. ebd., S.39)
Die Autoren betonen, dass für Heroinabhängige immer wieder die Hypothese der ‚Selbstmedikation’ diskutiert wurde.
„Dies dürfte insbesondere auf den bei Opiatkonsumenten stark verbreiteten Benzodiazepinkonsum zutreffen“ (ebd., S.43).
Dem Konsum wird somit eine therapeutische Funktion hinsichtlich psychischer Probleme zugeschrieben. Hier verweise ich auf den Punkt 3.2.1 dieser Arbeit.
Abschließend postulieren Verthein und Krausz, dass Abhängigkeit zu psychischen Symptomen führt und psychische Störungen die Abhängigkeitsentwicklung begünstigen. Störungen können also ursächlichen Charakter haben wie auch als Folgen des Konsums angesehen werden. Allerdings müssen meistens
„Wechselwirkungen vermutet werden, in der Hinsicht, dass schwere psychische Symptomatiken nach einer Verringerung des Drogenkonsums nicht von allein abklingen, und andersherum die erfolgreiche Behandlung psychischer Probleme nicht automatisch zu Konsumeinschränkung oder –verzicht führt. Eine umfassende Therapie sollte sowohl auf die Kontrolle des Drogenkonsums abzielen als auch die gezielte symptomgerechte Intervention psychischer Beeinträchtigungen umfassen, um die Chancen langfristiger Erfolge zu erhöhen“ (ebd., S.43).
Ein pauschales Verlaufsmuster von Heroinabhängigkeit und von Drogenkonsum allgemein gibt es nicht. Raschke formuliert sehr deutlich das Problem einer Verallgemeinerung von Abläufen des Drogenkonsums.
„Der Terminus ‚Drogenkarriere’ ist mittlerweile in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen. Dennoch ist seine Verwendung nicht unproblematisch. Vermittelt er doch implizit die Vorstellung eines kontinuierlich gesteigerten Drogenkonsums, einer damit einhergehenden Zerstörung der Person und eines unaufhaltsamen sozialen Abstiegs. So linear verlaufende ‚Drogenkarrieren’ sind eher die Ausnahme. In modifizierter Form bedeutet ‚Drogenkarriere’ die biographische Entwicklung des Drogenkonsums als eine Abfolge von Phasen, die sich zum Teil übergangslos ablösen. Perioden des Konsums werden unterbrochen von freiwilligen oder aber erzwungenen (z.B. durch Haft oder Psychiatrieeinweisung) Entzugs- und Therapieversuchen, zum Teil von drogenfreien Phasen von unterschiedlicher Dauer oder auch von Versuchen, sich mit Hilfe eines Substitutionsmittels aus der Drogenszene zu lösen bzw. den Heroinkonsum einzuschränken“ (Raschke, 1994, S.104).
Der Verlauf, die Dauer sowie der Ausgang und die Folgen von Heroinabhängigkeit können also sehr unterschiedlich aussehen. Jedoch lassen sich einige Entwicklungen herauskristallisieren, die häufig auftreten.
[...]
Der GRIN Verlag hat sich seit 1998 auf die Veröffentlichung akademischer eBooks und Bücher spezialisiert. Der GRIN Verlag steht damit als erstes Unternehmen für User Generated Quality Content. Die Verlagsseiten GRIN.com, Hausarbeiten.de und Diplomarbeiten24 bieten für Hochschullehrer, Absolventen und Studenten die ideale Plattform, wissenschaftliche Texte wie Hausarbeiten, Referate, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten, Diplomarbeiten, Dissertationen und wissenschaftliche Aufsätze einem breiten Publikum zu präsentieren.
Kostenfreie Veröffentlichung: Hausarbeit, Bachelorarbeit, Diplomarbeit, Dissertation, Masterarbeit, Interpretation oder Referat jetzt veröffentlichen!
Kommentare