Bachelorarbeit, 2013
59 Seiten, Note: 1,0
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Relevanz des Themas
1.2 Aufbau und Zielsetzung der Arbeit
2. Das Motiv- & Emotionssystem
2.1 Was sind Motive & Emotionen?
2.2 Das Limbische System
2.3 Drei Grundmotive / Emotionssysteme
2.4 Die Limbic Map nach Dr. Hans-Georg Häusel
2.5 Zielgruppen aus neuronaler Sicht
2.5.1 Die Limbic Types nach Dr. Hans-Georg Häusel
2.5.2 Geschlechts- und altersspezifische Motivunterschiede
2.6 Bedeutung der Erkenntnisse für das Marketing
3. Marken und deren Wirkung aus neuronaler Sicht
3.1 Begriffliche Abgrenzung: Marke und Markenwirkung
3.2 Neuronale Markenwirkung und die Beeinflussung des Kaufverhaltens
3.2.1 Markenwahrnehmung
3.2.2 Markenwissen
3.2.3 Markenbeurteilung und Markenwahl
3.2.4 Was eine starke Marke ausmacht
3.3 Markenpositionierung
3.4 Markenkommunikation über Codes
4. Schlussfolgerung
4.1 Zusammenfassung
4.2 Fazit & Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildung 1: Das limbische System
Abbildung 2: Die drei Grundmotive
Abbildung 3: Die wichtigsten Emotionssysteme im menschlichen Gehirn
Abbildung 4: Die Limbic Map
Abbildung 5: Die Motivstrukturen des Schokoladengenusses
Abbildung 6: Die Limbic Types
Abbildung 7: Die altersspezifische Veränderung der Botenstoffkonzentration .
Abbildung 8: Die Bausteine der Markenwirkung
Abbildung 9: Schema zur visuellen Reizweiterleitung im Gehirn
Abbildung 10: Neuronales assoziatives Netzwerk der Marke Milka
Abbildung 11: T-Schema zur Markenerwartung
Abbildung 12: Die kortikale Entlastung
Abbildung 13: Die Marken Lindt, Milka und Ja! auf der Limbic Map
Abbildung 14: Ein Markennetzwerk und seine Verknüpfungen
Seit jeher versuchen Marketingexperten Vermarktungsstrategien zu optimieren, indem sie sich bemühen, den Konsumenten durch den Einsatz von Marktforschung und expliziten Befragungen besser kennenzulernen und seine Präferenzen sowie sein Kaufverhalten zu verstehen. Doch häufig stoßen Wirtschaftswissenschaftler damit an die Grenzen des Nachvollziehbaren. Könnte man noch immer vom stets rational denkenden und entscheidenden „homo oeconomicus“ ausgehen, wäre der Erfolg starker Marken wie bspw. Apple oder Starbucks völlig unerklärlich.
Um das menschliche Konsum- und Kaufverhalten zu untersuchen beschränkte man sich zunächst auf den behavioristischen Ansatz, der zeigt, wie sich diverse Stimuli auf Entscheidungen des Kunden auswirken; psychische Vorgänge in seinem Inneren werden also ausgeklammert (S-R-Modell). Dies begründet jedoch nicht, weshalb sich eine Person für ein Produkt entscheidet, während eine andere dies unter exakt den gleichen Voraussetzungen ablehnt. Aufgrund dessen wurde das Modell zum neobehavioristischen Ansatz erweitert, indem aktivierende Prozesse wie Emotion, Aktivierung und Motivation, sowie kognitive Prozesse, bspw. Wahrnehmung, Gedächtnis und Lernen, mit in die Betrachtung einbezogen wurden (S-O-R-Modell)1. Darüberhinaus unterscheidet man zwischen kognitiv stärker (limitierten bzw. extensiven) und schwächer beeinflussten (impulsiven bzw. habitualisierten) Kaufentscheidungen. Heute ist klar, dass die Mehrheit dieser unbewusst also implizit gefällt wird und dass zu diesem impliziten System neben Sinneswahrnehmungen, Lernvorgängen, Emotionen, Intuition und Automatismen auch Markenassoziationen und unbewusste Markenimages zählen2.
Wie stark sich der Mensch von Marken tatsächlich beeinflussen lässt, zeigte eine wissenschaftliche Studie, die im Jahr 2002 in den amerikanischen Medien für Aufsehen sorgte: Die Hirnforscher McClure und Montague hatten durch die Methode der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT oder einfach Hirnscanner) herausgefunden, dass die beiden Marken Coca-Cola und Pepsi ganz unterschiedliche Bereiche im Gehirn des Konsumenten aktivieren. Zu Beginn der Untersuchung wurden den Probanden beide Getränke verabreicht, ohne dass die jeweilige Marke bekannt war. Das Resultat zeigte lediglich, dass beide SoftDrinks den vorderen Bereich des Großhirns, welcher der Speicherung von belohnenden Erfahrungen dient, aktivierten. Sobald den Versuchspersonen jedoch die Marken bekannt waren, konnte eine eindeutige Präferenz der Marke Coca-Cola festgestellt werden. Bei deren Verzehr wurden zusätzlich noch weitere Hirnareale wie der Hippocampus, der zum limbischen System gehört, welches für die Verarbeitung von Emotionen zuständig ist (siehe 2.2), aktiviert3. Mit der Publikation dieser Forschungsergebnisse wurde die Öffentlichkeit auf die noch junge Disziplin des Neuromarketing, oder auch Consumer Neuroscience, aufmerksam.
Dabei handelt es sich um einen Teil der Neuroökonomie, welcher herkömmliche Markt- und Konsumentenforschung um neurowissenschaftliche Erkenntnisse ergänzt. Oftmals wird Neuromarketing auf den Einsatz von Hirnscannern zu Marktforschungszwecken reduziert, jedoch spiegelt diese enge Definition keines Wegs das Potential der Methoden wider4. Vielmehr ist das Gebiet ein interdisziplinärer Ansatz, welcher das Wissen aus Neurologie, Medizin, Psychologie, Biologie, Ökonomie aber auch Kulturwissenschaft vereint und auf die Marketingtheorie und -praxis überträgt.
Die illusorische Euphorie und die Angst vor skrupellosen Hirnforschern, die auf die Veröffentlichung der Untersuchung von McClure und Montague in der Publikumspresse folgten, sind nun - mehr als zehn Jahre später - verflogen. Der von den einen gefürchtete und von den anderen herbeigesehnte „Buy-Button“ wurde nicht gefunden. Und doch hat die Studie erstmals gezeigt, dass Marken und deren Wirkung unmittelbar mit den Emotionen von Konsumenten verbunden sind und dass Präferenzen und somit letztlich auch Kaufentscheidungen viel unbewusster und möglicherweise auch ungewollter gefällt werden, als bis dato angenommen. Mit dem Hype um das Neuromarketing öffnete sich zwar nicht die Tür zum Gehirn des gläsernen Konsumenten, jedoch bietet es die Chance, die Marketingforschung in ihrem Streben um die Aufmerksamkeit und Aktivierung potentieller Kunden und die langfristige Bindung dieser zu unterstützen und herauszufinden, wie Marken das Kaufverhalten beeinflussen.
Laut der Gesellschaft für Konsumforschung werden in Deutschland jährlich rund zehn Milliarden Euro in die Einführung neuer Produkte fehlinvestiert. Trotz intensiver Marktforschung und aufwändigen Marketingkonzepten floppen viele Produkte und sind nach einigen Monaten wieder aus den Regalen verschwunden. Dies ist laut dem renommierten Schweizer Neuropsychologen Christian Scheier vor allem darauf zurück zu führen, dass Unternehmen ihre Marke vernachlässigen5. Und das in einer Zeit, in der die Marke als immaterieller Wert eines Unternehmens zunehmend an Bedeutung gewinnt, da sie die Kaufentscheidungen der Konsumenten maßgeblich beeinflusst. Des Weiteren dienen Marken in Anbetracht des derzeitigen Überangebots und der Flut an Informationen, welchen der Kunde ausgesetzt ist, als Instrument der Differenzierung6.
Zwar nennen laut der von PricewaterhouseCoopers AG veröffentlichten Markenstudie 2012 91% der befragten Unternehmen die Marke als eine der wichtigsten Einflussgrößen des Unternehmenserfolgs7, jedoch werde das Thema nach Christian Scheier all zu oft zu oberflächlich behandelt und dabei außer Acht gelassen, dass es sich bei einer Marke um ein „intangible asset“, also ein psychologisches Gut, und beim Konsumenten um ein emotionales Wesen handelt8. Eben dessen Entscheidungen zu begründen, ist zentrale Aufgabe der Marketingforschung. Jedoch reichen die gewonnen Erkenntnisse aus traditioneller und psychologischer Marktforschung dafür oftmals nicht aus, da nicht alle Aspekte aufgrund der Komplexität der Verhaltensmuster erfasst werden können9.
Um den Konsumenten also besser verstehen und einschätzen zu können, werden herkömmliche ökonomische Herangehensweisen vermehrt um Methoden aus anderen Wissenschaftsgebieten wie den Neuro- und Kognitionswissenschaften ergänzt10. Der Ansatz des Neuromarketing nutzt somit die Erkenntnisse der Erforschung der Funktionsweise des menschlichen Gehirns, um die Wirkung von Marken und das Verhalten des Kunden besser zu verstehen11.
Ziel der folgenden Arbeit ist es, zu erläutern, wie das menschliche Gehirn auf Konsumentscheidungen reagiert, wie Marken und deren Wirkung das Kaufverhalten beeinflussen und wie Neuromarketing als Teil der Marketingforschung dabei helfen kann, eben dieser Fragestellung auf den Grund zu gehen. Angesichts des begrenzten Umfanges dieser Ausführung, liegt der Fokus auf eben genannten Aspekten. Infolgedessen wird auf die detaillierte Erläuterung der neuroökonomischen, technischen und neurobiologischen Grundlagen verzichtet. Des Weiteren ist bei der Lektüre dieser Arbeit zu beachten, dass der Rahmen keine detaillierten erläuternden Ausschweifungen in andere, obgleich sehr interessante Teilbereiche des Neuromarketing, der Psychologie und der Verhaltensforschung (wie bspw. die Differenzierung der Arten des Kaufverhaltens, das Phänomen der Aktivierung und des Involvements, die Rolle des Unbewussten, die Werbewirkungsforschung, etc.) gewährt.
Anfänglich wird das Motiv- und Emotionssystem, welches das Kaufverhalten des Menschen beeinflusst, vorgestellt. Im Zuge dessen wird zunächst die Frage, was Motive und Emotionen überhaupt sind, behandelt und das limbische System als Zentrum emotionaler Informationsverarbeitung erläutert. Darauffolgend werden die drei Grundmotive bzw. Emotionssysteme des Konsumenten beschrieben und die Limbic Map nach Dr. Hans-Georg Häusel vorgestellt. Anschließend soll geklärt werden, inwieweit sich aus neuronaler Sicht Zielgruppen für die
Marketingpraxis definieren lassen. Im Zusammenhang damit werden die ebenfalls von Häusel definierten Limbic Types umrissen und die geschlechts- und altersspezifischen Motivunterschiede betrachtet. Um das zweite Kapitel abzuschließen, folgt eine zusammenfassende Betrachtung der Bedeutung der dargelegten Erkenntnisse für das Marketing.
Nachfolgend ergibt sich im nächsten Kapitel die Frage, wie Marken aus neuronaler Sicht wirken. Dies erfordert zunächst eine Abgrenzung der Begriffe Marke und Markenwirkung. Infolgedessen werden die neuronale Markenwirkung und die Beeinflussung des Kaufverhaltens mithilfe von Markenwahrnehmung, -wissen, beurteilung und -wahl untersucht, sowie die starke Marke an sich betrachtet. Darauf aufbauend werden Schlüsse bezüglich der Markenpositionierung gezogen und die Markenkommunikation über Codes betrachtet.
Im letzten Teil der Ausführung folgt auf eine Zusammenfassung der Inhalte ein Fazit bzw. eine Antwort auf die Frage, wie Marken das Kaufverhalten beeinflussen und was dies für die Marketingpraxis bedeutet. Dabei wird ein abschließender Ausblick die Grenzen des Neuromarketing anreißen, aber auch die künftige Entwicklung dieses Forschungsansatzes als Teil der Marketingforschung skizzieren. Für die gesamte Arbeit ist zu erwähnen, dass auf geschlechterspezifische Doppelnennungen aus Gründen der Lesbarkeit verzichtet wurde.
Um zu ergründen, wovon der Mensch in seinem Verhalten angetrieben wird, entwickelte der Sozialpsychologe Abraham Maslow schon 1943 die sogenannte Bedürfnispyramide, die in fünf Motivklassen untergliedert ist. Diese sind hierarchisch nach ihrer Dringlichkeit sortiert und reichen von Vitalbedürfnissen über Sicherheits-, Sozial- und Wertschöpfungsbedürfnisse bis hin zum Motiv der Selbstverwirklichung12. Letztlich strebt ein Mensch immer nur nach der Erfüllung des am niedrigsten angeordneten, nicht befriedigten Bedürfnis. Dieses Streben nach Erfüllung begründet sein Verhalten.
Auch der heutige Kenntnisstand belegt, dass die Entscheidungen und Handlungen einer Person von ihren Motiven und Emotionen, ihrem Motiv- und Emotionssystem, gesteuert werden. Hinzu kommt, dass man sich auch einig darüber ist, dass die Mehrheit unserer Entscheidungen gar nicht bewusst getroffen wird. Welcher Anteil tatsächlich implizit abläuft, ist strittig. Die von Hirnforschern, Psychologen und Marketingspezialisten veröffentlichten Zahlen reichen von etwa 70-80% bis hin zu 95%13. Im menschlichen Gehirn existieren somit zwei völlig verschiedene Systeme: das explizite („Pilot“) und das implizite („Autopilot“). Sie fördern die Effizienz und Einfachheit unseres Gehirns. Um durch kognitive Prozesse keine Energie zu verschwenden, wird Implizites stets sofort erkannt14. Das explizite System ist dabei für das bewusste Nachdenken, Planen und Abwägen (bspw. zwischen Kosten und Nutzen) verantwortlich. Völlig unabhängig davon gehören zum hoch effizienten impliziten System sowohl kognitive Prozesse als auch Wahrnehmung und Automatismen, Einstellungen, Assoziationen und eben Emotionen und Motive15.
Diese Emotionen und die sich daraus ergebenden Motive beeinflussen unser Verhalten nicht nur, sie sind also auch der unbewusste Antrieb bzw. Auslöser dafür. Studien zeigen, ohne sie ist der Mensch gar nicht fähig (Kauf-)Entscheidungen zu treffen16. Gleichzeitig sind Objekte (bspw. Produkte oder Marken) für das Gehirn wertlos, wenn sie keine Emotionen auslösen17.
Laut dem renommierten Neuroökonomen Peter Kenning stellt die Neuroökonomik eine Erweiterung der mikroökonomischen Forschung, um die Perspektive der Emotion und infolgedessen eine Annäherung an die Realität, dar18. Doch was ist gemeint, wenn hier von Motiven und Emotionen gesprochen wird? Der nächste Abschnitt beschäftigt sich mit eben dieser komplexen Frage.
Das Wort „Emotion“ kommt aus dem Lateinischen und setzt sich zusammen aus lat. emotio „das Fortbewegen“ und lat. emovere „herausbewegen, bewegen, erschüttern, aufwühlen“. Schon der Wortstamm deutet also darauf hin, dass der Mensch von Emotionen vorangetrieben bzw. bewegt wird. Im Duden ist „Emotion“ als „psychische Erregung, Gemütsbewegung; Gefühl, Gefühlsregung“19 definiert.
Ganz ähnlich bedeutet „Motiv“ laut Duden „Überlegung, Gefühlsregung, Umstand o.Ä., durch den sich jemand bewogen fühlt, etwas Bestimmtes zu tun; Beweggrund“ und kommt aus dem Mittellateinischen von mlat. motivum „Ursache, Antrieb, Beweggrund“ und dies wiederum vom lat. motio „Bewegung“20. Folglich haben die beiden soeben definierten Wörter die gleiche Herkunft und einen ganz ähnlich Sinn, weshalb sie oftmals synonym verwendet werden21. Dabei ist jedoch zu beachten, dass Psychologen meist dazu geneigt sind von Motiven zu sprechen, während Hirnforscher eher mit dem Begriff der Emotion vertraut sind. Hinter Emotionen stehen Ziele; eben diese sind aber eigentlich essentieller Bestandteil des Motivs. Gleichzeitig sind Motive aber auch mit Gefühlen verbunden, die zu neuronal messbaren Veränderungen führen, wobei dies eine Eigenschaft der Emotion ist22. Eine wissenschaftlich korrekte Unterscheidung würde diesen Rahmen sprengen, trotzdem ist eine etwas differenzierte praxisnahe Betrachtung erforderlich.
Emotionen können durch das unmittelbare Erleben einer Reizaufnahme, aber auch durch die Erinnerung an ein Ereignis in der Vergangenheit (eine abgespeicherte Reizaufnahme) hervorgerufen werden und sind in jedem Fall die Folge einer Aktivierung gepaart mit einer kognitiven Interpretation23. Sie werden als „generalisierte Programme, die Geist und Körper gleichermaßen beherrschen, um unser Leben zu schützen und unsere biologisch eingebauten Lebensziele zu errei- chen“24 angesehen. Im Gegensatz dazu sind Motive, auch manchmal Bedürfnisse genannt, etwas konkreter und somit die effektive, emotional und kognitiv gesteuerte Umsetzung dieser Emotionsprogramme in einer bestimmten Situation25. Demgemäß sind also Emotionen die Basis für das Denken (die Kognition) und die Motive des Menschen und letztlich somit auch für seine Handlungen. Im Zusammenhang damit ist die Theorie des Neurobiologen Antonio Damasio zu nennen. Er ist der Überzeugung, dass sämtliche Erfahrungen, die im Laufe eines menschlichen Lebens gemacht werden, in einem sogenannten emotionalen Erfahrungsgedächtnis abgespeichert werden. Dieses Signalsystem wird von Damasio als „somatische Marker“ bezeichnet und wird durch bioregulierende Prozesse, die Emotionen auslösen, hervorgerufen. Diese sind dem Menschen bei der Entscheidungsfindung und dem Abwägen von Alternativen behilflich, indem auf individuelle Erfahrungen zurückgegriffen wird26.
Die somatischen Marker werden vom Markenexperten Martin Lindstrom als „Lesezeichen für den Schnellzugriff in unseren Gehirnen“27 bezeichnet, denn sie vereinfachen und beschleunigen den Prozess der Entscheidung. Sehr interessant speziell für diese Arbeit ist, dass „Marken als somatische Marker fungieren können, noch bevor ein Entscheidungsfindungsprozess stattfindet“28. Daraus geht hervor, was die heutige Hirnforschung zeigt: ohne Emotionen können gar keine Entscheidungen getroffen werden, da Wert und Ziel eben dieser erst durch eine Emotion bestimmt werden. Hier lässt sich die zentrale Bedeutung der Emotionssysteme und Grundmotive für das Marketing erkennen29. Um jedoch zu verstehen, wie genau Motive und Emotionen und somit letztlich auch Entscheidungen entstehen ist es zunächst nötig, sich etwas näher mit dem menschlichen Gehirn zu beschäftigen.
Das limbische System, welches sich über den Hirnstamm, das Zwischen- und Endhirn erstreckt, ist keine funktionale Einheit sondern im wesentlichen eine Sammelbezeichnung für diejenigen Strukturen des Gehirns, die für die Verarbeitung von Emotionen verantwortlich sind30. Das bedeutet somit, dass hier Konsumund Kaufwünsche geweckt werden. Laut dem deutschen Diplompsychologen und Neuromarketingexperten Dr. Hans-Georg Häusel ist „das limbische System [...] die eigentliche Macht- und Entscheidungszent- rale in unserem Kopf“31. Die bedeu- tendsten Bestandteile eben dieser sind in Abbildung 1 zu sehen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Das limbische System32
Die Amygdala oder auch der Mandelkern ist für die emotionale Bewertung von Objekten, ganz gleich in welchem Emotionssystem (siehe hierzu 2.3) zuständig und somit die Schlüsselfigur im menschlichen Gehirn. Der zuvor bereits erwähnte Hippocampus wird auch als Lernzentrum bezeichnet und bewertet Objekt-, Ortsund Situationsmerkmale emotional. Diese werden abgespeichert und können beliebig wieder aufgerufen werden. Der Hypothalamus veranlasst auf eine Bewertung hin die Ausschüttung von Hormonen und Nervenbotenstoffen und somit eine körperliche Reaktion. Eine sehr wichtige Verbindung zwischen emotionalen und kognitiven Bereichen stellt der anteriore cinguläre Kortex dar, denn dieser wird bei kognitiven, motivationalen und emotionalen Konflikten und Dissonanzen aktiviert33. Der gesamte präfrontale Kortex, zu dem auch der abgebildete orbifrontale und ventromediale Kortex gehören, dient als Verbindung zwischen emotionalem Wunsch und tatsächlicher Umsetzung bzw. Handlung34.
Ein weiterer, jedoch nicht explizit abgebildeter partieller Teil des limbischen Systems ist der Nucleus Accumbens, welcher als das Belohnungssystem des menschlichen Gehirns gilt. Dieser aktiviert den spontanen bzw. unerwarteten Wunsch nach einer Belohnung jeglicher Art und die darauf folgenden Handlungen35.
Zusammenfassend ist die Einheit des limbischen Systems, mit ihren einzelnen Komponenten für das Wecken, Verarbeiten, Abspeichern und Wiederaufrufen von Emotionen verantwortlich. Diese ermöglichen dem Menschen letztlich eine Entscheidung zu treffen. Nebenbei sei hier erwähnt, dass die dafür vorausgesetzten neuronalen Strukturen erst in der Jugend ausgebildet und auch erst dann kognitive Fähigkeiten wie Ironie oder Skepsis möglich sind36. Aufgrund dessen ist „Kindermarketing“ auch ein ganz anderes und zudem auch sehr umstrittenes Feld, das hier nicht weiter thematisiert werden soll.
Allgemein lässt sich mit dem Einsatz von Hirnscannern (bspw. funktioneller Magnetresonanztomographie) die jeweilige Aktivierung bzw. Stimulation der beschriebenen Areale visualisieren, nicht aber, was ein Proband tatsächlich fühlt oder denkt37. Im folgenden Teil soll nun darauf eingegangen werden um welche Emotionen bzw. Motive es sich beim fällen von Entscheidungen handelt.
Das menschliche (Kauf-)Verhalten wird durch bestimmte Grundmotive bzw. Emotionssysteme ausgelöst, beeinflusst und angetrieben. Die moderne Hirnforschung hat in den letzten Jahren viele wichtige Erkenntnisse geliefert und dazu beigetragen diese zu definieren38. Daraus ergaben sich diverse Modelle, die der Veranschaulichung und Vereinfachung dienen.
Der Psychologe Paul Ekman bspw. unterscheidet aufgrund seiner 1972 weltweit durchgeführten Studie zwischen sieben angeborenen Grundemotionen: Freude, Überraschung, Wut, Ekel, Furcht, Trauer und Verachtung.39
Unterdessen ist das „Zürcher Modell der sozialen Motivation“ von Norbert Bischof40 laut der Psychologen Christian Scheier und Dirk Held das am besten ausgearbeitete und differenzierteste Muster der menschlichen Motive, da es Ergebnisse aus der Hirn- und Verhaltensforschung, der Entwicklungs- und Motivationspsychologie sowie der Evolutionslehre miteinbezieht41. Es definiert drei Kernmotive, die das Verhalten eines Menschen beeinflussen: das Erregungs-, das Sicherheits- und das Autonomiemotiv42. Dagegen identifiziert Jaak Panksepps Modell, welches diverse Parallelen aufweist, sechs verschiedene Motivsysteme (Seeking/Expectancy, Rage/Anger, Lust/Sexuality, Care/Nurturance, Panic/Separation, Play/Joy)43. Auf Basis des Wissens über Motivsysteme hat HansGeorg Häusel die bereits bestehenden Modelle der Verhaltensforschung fortgeführt und die drei Kategorien Balance, Dominanz und Stimulanz festgelegt44. Die folgende Tabelle in Abbildung 2 bringt die genannten Modelle nochmals in Zusammenhang.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Die drei Grundmotive45
Das erste System, der von Häusel definierten „Big 3“ ist das Balance-System, welches die stärkste Kraft im Kundengehirn repräsentiert46. Dieses stellt das Streben nach Sicherheit, Stabilität, Geborgenheit, Ruhe, Harmonie und Ordnung, sowie die Vermeidung von Gefahr, Unsicherheit, Risiko und Komplexität dar.
Werden die damit verbundenen Bedürfnisse erfüllt, stellt sich ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit ein; ist dies jedoch nicht der Fall führt dies zu Angst, Panik und Depression. Daraus resultiert, dass Menschen mit einem ausgeprägten Balance-Motiv dazu geneigt sind, besonders „sichere“ Kaufentscheidungen zu treffen, also bspw. Produkte die mit Garantie und umfassendem zuverlässigem Service verbunden sind47. Das Balance-System ist das eindeutige Kaufmotiv für Versicherungen, Vorsorgeprodukte, Sicherheitssysteme, Traditions- und Gesundheitsprodukte, etc. Schon an der Auflistung dieser Beispiele lässt sich der große Einfluss, den dieses System auf das menschliche Leben hat, erahnen48.
Das Dominanz-System begründet den Wunsch nach Macht, Status, Autonomie, Kontrolle, Aktivität und Effizienz und die Vermeidung von Fremdbestimmung, Konkurrenz und Unterdrückung. Die Erfüllung des Dominanz-Motivs führt zur Empfindung von Stolz und Überlegenheit; wird es jedoch nicht erfüllt, resultieren Ärger, Wut und Unruhe49. Liegt der Motivschwerpunkt eines Konsumenten hier, ist er dazu geneigt Statussymbole wie bspw. teure Autos, exklusive Mode und generell Produkte die Überlegenheit signalisieren, aber auch die Effizienz und Leistung erhöhen, zu kaufen50.
Der Wunsch nach Abwechslung, Abenteuer, Neugier und Belohnung spiegelt sich im Stimulanz-System wider und führt zur Vermeidung von Gewohnheit. Die Erfüllung des Motivs Stimulanz wird als Spaß und positive Aufregung empfunden, wohingegen die Nichterfüllung in Langeweile resultiert. Kunden, deren Schwerpunkt auf diesem Motiv liegt, sind offen für Neues und somit die ideale Zielgruppe für Tourismus in fremde Länder, Erlebnis-Gastronomie und -Einkauf, Fernsehen, Musik und Produkte die der Unterhaltung und dem Vergnügen dienen51.
[...]
1 Vgl. Zimmermann, Ralf (2006): Neuromarketing und Markenwirkung. Was das Marketing von
2 Vgl. Scheier, Christian/Held, Dirk (2012): Die Neuro-Logik erfolgreicher Markenkommunikation. In: Häusel, Hans-Georg (Hrsg.): Neuromarketing. Erkenntnisse der Hirnforschung für Markenführung, Werbung und Verkauf. 2. Aufl., Rudolf Haufe Verlag. Freiburg. S. 105.
3 Vgl. Häusel, Hans-Georg (2012a): Einführung. In: Häusel, Hans-Georg (Hrsg.): Neuromarketing. Erkenntnisse der Hirnforschung für Markenführung, Werbung und Verkauf. 2. Aufl., Rudolf Haufe Verlag. Freiburg. S. 9.
4 Vgl. ebd. S. 13.
5 Vgl. Willenbrock, Harald (2009): Strafe und Belohnung. brand eins Online. 04/2009. S. 140. Verfügbar unter: <http://www.brandeins.de/magazin/wir-lieben-die-vielfalt/strafe-und- belohnung.html> [Abgerufen am 03.05.2013].
6 Vgl. Zimmermann, Ralf (2006): S. 5.
7 Vgl. PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (Hrsg.): Markenstudie 2012. Februar 2012. S. 10.
8 Vgl. Willenbrock, Harald (2009): S. 140.
9 Vgl. Schäfer, Roland (2007): Neuromarketing. Marktpsychologie und Onlinemarketing. GRIN Verlag. München. S. 4.
10 Vgl. Zimmermann, Ralf (2006): S. 7.
11 Vgl. Felix, Christian (2008): Neuromarketing. Ein innovativer Ansatz zur Erklärung des Konsumentenverhaltens unter Berücksichtigung der Wirkung von Marken. Diplomica Verlag, Hamburg. S. 1.
12 Vgl. Kerpen, Philip (2007): Internes Marketing und Unternehmenskultur. Analyse der Interdependenzen unter marktorientierten Gesichtspunkten. Diplomica Verlag GmbH. Hamburg. S. 46.
13 Vgl. Häusel, Hans-Georg (2010): Die wissenschaftliche Fundierung des Limbic® Ansatzes. München. S.8. Verfügbar unter: <http://www.nymphenburg.de/tl_files/pdf/LimbicScience101120.pdf> [Abgerufen am 31.05.2013].
14 Vgl. Raab, Gerhard/Gernsheimer, Oliver/Schindler, Maik (2009): Neuromarketing. Grundlagen - Erkenntnisse - Anwendungen. 2. Aufl., Gabler Verlag. Wiesbaden. S. 213.
15 Vgl. Scheier, Christian/Held, Dirk (2012): S. 105.
16 Vgl. Häusel, Hans-Georg (2012b): Limbic: Die Emotions- und Motivwelten im Gehirn des Kunden und Konsumenten kennen und treffen. In: Häusel, Hans-Georg (Hrsg.): Neuromarketing. Erkenntnisse der Hirnforschung für Markenführung, Werbung und Verkauf. 2. Aufl., Rudolf Haufe Verlag. Freiburg. S. 74.
17 Vgl. ebd. S. 74 f.
18 Vgl. Rossbach, Henricke (2007): Das Geheimnis der Emotionen. Frankfurter Allgemeine Zeitung. 17.08.2007, Nr. 190, S. 12.
19 Bibliographisches Institut GmbH - Duden Verlag (Hrsg.) (o.J.a): Verfügbar unter: <http://www.duden.de/node/674178/revisions/1084981/view> [Abgerufen am 25.05.2013].
20 Vgl. Bibliographisches Institut GmbH - Duden Verlag (Hrsg.) (o.J.b): Verfügbar unter: <http://www.duden.de/node/658629/revisions/1101106/view> [Abgerufen am 25.05.2013].
21 Vgl. Raab, Gerhard/Gernsheimer, Oliver/Schindler, Maik (2009): S. 245.
22 Vgl. Häusel, Hans-Georg (2012d): Brain View. Warum Kunden kaufen. 3. Aufl., Rudolf Haufe Verlag. Freiburg. S. 35.
23 Vgl. Raab, Gerhard/Gernsheimer, Oliver/Schindler, Maik (2009): S. 202.
24 Häusel, Hans-Georg (2012d): S. 36.
25 Vgl. ebd.
26 Vgl. Hermeneit, Elke (o.J.): Neuromarketing. S. 5.Verfügbar unter: <http://www.schulstiftung- freiburg.de/de/forum/pdf/pdf_434.pdf> [Abgerufen am 28.05.2013].
27 Lindstrom, Martin (2008): Buyologie: Warum wir kaufen, was wir kaufen. Campus Verlag. Frankfurt am Main. S. 134.
28 Raab, Gerhard/Gernsheimer, Oliver/Schindler, Maik (2009): S. 210.
29 Vgl. Häusel, Hans-Georg (2012b): S. 76.
30 Vgl. Häusel, Hans-Georg (2012b): S. 71 f.
31 Häusel, Hans-Georg (2012c): Das Who is Who des Gehirns. In: Häusel, Hans-Georg (Hrsg.): Neuromarketing. Erkenntnisse der Hirnforschung für Markenführung, Werbung und Verkauf. 2. Aufl., Rudolf Haufe Verlag. Freiburg. S. 251.
32 Ebd.
33 Vgl. ebd. S. 252.
34 Vgl. ebd. S. 249.
35 Vgl. ebd. S. 253.
36 Raether, Elisabeth/Stelzer, Tanja (2013): Süße Geschäfte. Die Zeit. 20/2013. S. 16.
37 Vgl. Hermeneit, Elke(o.J.): S. 22.
38 Vgl. Häusel, Hans-Georg (2012b): S. 77.
39 Vgl. Ekman, Paul (1988): Gesichtsausdruck und Gefühl. 20 Jahre Forschung von Paul Ekman. Junfermann Verlag. Paderborn.
40 Vgl. Häusel, Hans-Georg (2010): S. 37.
41 Vgl. Scheier, Christian/Held, Dirk (2006): Wie Werbung wirkt. Erkenntnisse des Neuromarketing. Rudolf Haufe Verlag, Planegg/München. S. 99ff.
42 Vgl. Raab, Gerhard/Gernsheimer, Oliver/Schindler, Maik (2009): S. 246.
43 Vgl. ebd.
44 Vgl. Häusel, Hans-Georg (2012b): S. 78.
45 Raab, Gerhard/Gernsheimer, Oliver/Schindler, Maik (2009): S. 246.
46 Häusel, Hans-Georg (2012d): S. 39.
47 Vgl. Raab, Gerhard/Gernsheimer, Oliver/Schindler, Maik (2009): S. 247.
48 Vgl. Häusel, Hans-Georg (2012d): S. 40.
49 Vgl. Raab, Gerhard/Gernsheimer, Oliver/Schindler, Maik (2009): S. 247.
50 Vgl. Häusel, Hans-Georg (2012d): S. 45.
51 Vgl. Raab, Gerhard/Gernsheimer, Oliver/Schindler, Maik (2009): S. 247.
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