Bachelorarbeit, 2013
54 Seiten, Note: 1,0
1. Einleitung
1.1. Zentrale Fragestellungen
1.2. Methodische Vorgehensweise
2. Definition, Statistik und Ursachen für Trennung und Scheidung
2.1 Definition Scheidung
2.2 Statistiken
2.3 Ursachen
3. Trennung und Scheidung als Prozess
3.1. Phasen von Trennung und Scheidung und entstehende Belastungsfaktoren
3.1.1. Ambivalenzphase
3.1.2. Trennungs- und Scheidungsphase
3.1.3. Nachscheidungsphase
3.2. Das Erleben von Trennung und Scheidung aus Perspektive der Kinder
3.2.1. Die akuten Reaktionen auf die Trennung und Scheidung
3.2.2. Risiko- und Schutzfaktoren im Zusammenhang mit dem Entstehen langfristiger psychischer Folgen für das Kind
3.2.3. Chancen einer Trennung /Scheidung für Eltern und Kinder
3.3. Das Erleben von Trennung und Scheidung auf Paar- und Elternebene
3.3.1. Die gescheiterte Paarbeziehung
3.3.2. Neugestaltung der Elternrolle
3.4. Zwischenbilanz
4. Interventionsmöglichkeit am Beispiel der Familienmediation
4.1. Definition Mediation
4.2. Exkurs Konfliktbegriff
4.2.1. Konfliktdefinition nach Glasl
4.2.2. Charakteristika familiärer Konflikte
4.2.3. Entstehung und (Eigen-)Dynamik des Konfliktes
4.3. Prinzipien der Mediation
4.4. Geeignetheit und Voraussetzungen der Mediation
4.5. Ablauf der Mediation
4.6. Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen
4.7. Aufgaben und Grundhaltungen des Mediators
4.8. Ansätze der Trennungs- und Scheidungsmediation in Deutschland
4.9. Chancen der Mediation
4.9.1. Auswirkungen der Mediation auf Eltern und Kinder
4.9.2. Chancen der Mediation als außergerichtliches Vermittlungsverfahren
4.10. Kritische Aspekte der Mediation im Trennungs- und Scheidungsprozess
5. Schlussbemerkung und Relevanz für die Soziale Arbeit
Anhang
Literaturverzeichnis
Trennungen und Scheidung sind inzwischen zur „Normalität“ geworden. Kinder aus geschiedenen Ehen oder Kinder unverheirateter, getrenntlebender Eltern gibt es in jeder Altersstufe, in jeder Klasse und in jedem Bekanntenkreis. Positiv an dieser Entwicklung scheint zumindest, dass die Akzeptanz von Trennung und Scheidung, von Wiederheirat, von Patchworkfamilien und anderen Formen familiären Zusammenlebens gestiegen ist und verfestigte Stigmata allmählich aufweichen. So thematisieren zum Beispiel kommerzielle Kinofilme die Trennung und Scheidung der Eltern, die dann neue Partnerschaften eingehen und Kinder, die dann „zwei Papas“ haben. Es gibt hier und da Reibungen, doch diese werden überwiegend humoristisch dargestellt und am Ende sind alle glücklich. Die Ex- Partner haben eine freundschaftliche Basis, die neue Freundin von Papa ist Mamas beste Freundin und jeden Sommer fahren alle in den gemeinsamen „Patchwork“-Familienurlaub. Diese Filme sorgen für Begeisterung in der breiten Masse.
Alltäglichkeit oder „Normalität“ von Trennungen und Scheidungen führen jedoch nicht gleichzeitig zu weniger Schmerz, weniger Konflikten und weniger Belastun- gen für alle Beteiligten. In der Realität ist oft das Gegenteil der Fall: Jede Schei- dung und Trennung führt zu einer Lebenskrise aller Betroffenen und geht mit einem teilweise hohem Konfliktniveau unter den Ex-Partnern einher. Beziehungskonflikte vermischen sich mit Konflikten, die die Scheidungsfolgen und das Re-Organisieren der neuen Familiensituation betreffen. Die Kinder sind hohen psychischen Belastungen und einschneidenden Veränderungen ausgesetzt und brauchen gerade in dieser schwierigen Zeit Eltern, die ihnen Sicherheit geben. Jedoch sind betroffene Eltern häufig nicht in der Lage, in ihrer eigenen Krise des Umbruches, kooperativ und im Sinne der Kinder zusammenzuwirken.
Die Unterstützungsangebote für Familien in Trennungs- und Scheidungssituationen sind vielfältig, von therapeutischen Angeboten, Beratungsstellen bis hin zur Mediation. Jedoch bleibt der Eindruck, dass sich eine Vielzahl der Betroffenen zunächst an einen Anwalt wendet, um über gerichtliche Verfahren Regelungen für die Neugestaltung der familiären Situation zu erhalten.
Die vorliegende Arbeit beleuchtet die Familie im Trennungs- bzw. Scheidungsprozess und zeigt auf, welche Konflikte und psychischen Belastungen sowohl auf Eltern- und Paarebene, als auch insbesondere auf der Ebene der Kinder durch Trennung bzw. Scheidung entstehen können. Am Beispiel der Mediation wird eine Möglichkeit der Intervention dargestellt. Im Mittelpunkt steht die Frage, was Mediation für Familien im Trennungs- und Scheidungsprozess leisten kann und inwiefern diese Interventionsform für die Familie eine Basis schaffen kann, den psychischen Folgen bei Kindern aufgrund von Trennungs- und Scheidungskonflikten entgegenzuwirken oder vorzubeugen.
Zu Beginn wird der Begriff Scheidung definiert, statistische Erhebungen der aktuellen Scheidungsrate angeführt und mögliche Ursachen für den bedeutsamen Anstieg der Scheidungsrate beschrieben.
Darauf folgt der erste Hauptteil, der die Familie im Trennungs- und Scheidungs- prozess unter psychischen, konfliktdynamischen und gesellschaftlichen Ge- sichtspunkten beleuchtet. Ein besonderer Fokus ist hier auf das Erleben von Trennung und Scheidung aus kindlicher Perspektive gesetzt. Es wird vor allem auf die Belastungsfaktoren und psychischen Folgen bei Kindern aufgrund der Tren- nung und Scheidung der Eltern eingegangen. Die hierfür verwendeten For- schungsergebnisse beruhen unter anderem aus der Langzeitstudie von Judith Wallerstein und der Langzeitstudie von E. Mavis Hetherington, da diese Studien über einen langen Zeitraum Trennungs-und Scheidungskinder beobachtet und interviewt haben und Aussagen über die langfristige psychische Entwicklung der Kinder nach der Trennung und Scheidung treffen können.1
Der zweite Hauptteil widmet sich der Mediation als Interventionsmöglichkeit für Familien im Trennungs- und Scheidungsprozess. Es erfolgt ein Exkurs zur Konfliktthematik, da man familiäre Konfliktprozesse im Zusammenhang mit dem Einwirken von Mediation auf Trennungs- und Scheidungskonflikte nur verstehen kann, wenn man sich mit dem Begriff und der Entstehung des Konfliktes auseinandersetzt. Weiterhin soll erarbeitet werden, wie Mediation abläuft, welche Wirkungsweisen sie hat und welche Bedingungen für das Gelingen einer Mediation bedeutsam sind. Im Schlussteil dieser Arbeit werden die Inhalte des ersten und zweiten Hauptteils zusammengeführt, sich der Antwort auf die zentralen Fragestellungen dieser Arbeit genähert und auf die Relevanz dieser Thematik für die Soziale Arbeit eingegangen.
Die juristische Definition von Scheidung ist im §1565 BGB genau festgehalten, da mit ihr rechtliche Folgen verbunden sind: „…Die Ehe ist gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass die Ehegatten sie wiederherstellen. Dabei wird unwiderlegbar vermutet, dass die Ehe gescheitert ist, wenn die Ehegatten seit einem Jahr getrennt leben und beide Ehegatten die Scheidung beantragen oder der Antragsgegner der Scheidung zustimmt. Auf jeden Fall ist die Ehe gescheitert, wenn die Ehegatten seit drei Jahren getrennt leben. Die Ehegatten leben getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt.“2
Der psychologische Scheidungspunkt lässt sich nicht so klar definieren, weil er mit dem individuellen Scheidungserlebnis der Beteiligten zusammenhängt. Helmuth Figdor (Psychoanalytiker, Kinder- und Jugendpsychotherapeut, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Psychoanalytische Pädagogik) führt hierzu an, dass für Kinder das Getrenntsein von einem Elternteil und die Dauer dieses Getrenntseins nicht zugleich als ihr individueller Scheidungspunkt anzusehen ist, sondern das bei Kindern das Verständnis der Endgültigkeit dieser Trennung das psychische Scheidungserlebnis bedeutet.3 Das kann in der Praxis bedeuten, dass Eltern sich getrennt haben, dem Kind aber gesagt wird, der Vater oder die Mutter sei beruflich auf Reise. Dann ist diese Information für das Kind nicht die Information, dass die Eltern sich getrennt haben. Erst wenn dem Kind gesagt wird, dass das jeweilige Elternteil nie wieder zurückkommen wird und das Kind diese Information verarbeitet hat, ist dies der psychologische Scheidungspunkt.
Im Jahr 2011 wurden von 377 816 Eheschließungen 187 640 Ehen geschieden, das beträgt 49,7 Prozent. Darunter waren 92 892 Ehen mit insgesamt 148 239 minderjährigen Kindern, die von der Scheidung ihrer Eltern betroffen waren. Ab 1992 stieg die Zahl der Ehescheidungen kontinuierlich an und erreichte im Jahr 2003 einen Höchststand von 213.975 geschiedenen Ehen. 2009 wurden 185 817 Ehen geschieden und bis 2011 ist die Tendenz erneut steigend.4 Zu bedenken sei allerdings, dass die erfassten Zahlen des statistischen Bundesamtes lediglich Ehescheidungen erfassen und somit die Dunkelziffer der Trennungen unverheirateter Paare mit Kindern nochmals erhöht ist.5
Betrachtet man die Eheschließungen seit 1950 (750 452 Eheschließungen) bis 2011 (377 816 Eheschließungen) zeigt sich, dass die Heiratsbereitschaft in der Bevölkerung stetig abnimmt.6 Dadurch verdeutlicht sich, dass die Ehe nicht mehr als alleinige, klassische Familienform gilt und sich eine Pluralität von Familienformen herauskristallisiert hat.7
Im Rahmen dieser Arbeit können die Ursachen und Risikofaktoren für Trennung und Scheidung nur sehr knapp dargelegt werden.
Die familiendynamische Sichtweise sieht die Ursache einer Scheidung darin, dass durch (unbewusste) Wahl des Partners eigene ungelöste Konflikte in der Herkunftsfamilie gelöst werden sollten und dieser Versuch gescheitert ist, da der Partner diese Erwartung bzw. diese Aufgabe nicht erfüllen konnte und die Partnerschaft aus diesem Grund scheiterte.8 Allerdings muss man, um Ursachen für die seit den 80iger Jahren ansteigende Scheidungsrate zu finden, einen weitereichenden Blick einnehmen. In der Literatur wird häufig von einer „Eigendynamik der Scheidungsentwicklung“ gesprochen, wodurch sich einzelne Risikofaktoren von Trennung und Scheidung in einer Wechselwirkung verstärken. Diese sich in Wechselwirkung potenzierenden Mechanismen sollen kurz aufgeführt werden.
Es gibt einen Zusammenhang zwischen Frauenerwerbstätigkeit und dem Scheidungsrisiko.9 Frauen werden finanziell unabhängiger und dieser Aspekt lässt das Scheidungsrisiko ansteigen. Die verstärkte Wahrnehmung steigender Trennungen / Scheidungen im persönlichen Umfeld oder durch die Medien führt zu einer „selbsterfüllenden Prophezeiung“, sodass man die Stabilität der eigenen Ehe infrage stellt und daraufhin weniger in die Partnerschaft investiert (z.B. eigener Hausbau), was wiederum das Scheidungsrisiko erhöht.10 Steigende Scheidungen erhöhen die Chance auf einen neuen Partner, da dadurch die Zahl der Singles im mittleren Alter steigt. Das Wissen um das „vorhandene Potential“ auf einen neuen Partner „begünstigt“ die Auflösung der eigenen Partnerschaft. Die Angst, nach einer Scheidung allein zu bleiben, ist gesunken. Trennungen und Scheidung haben einen Normalisierungsgrad erreicht, Stigmata gegenüber geschiedener Personen, gehen zurück. Dadurch steigt die Tendenz zur Scheidung, da weniger gesellschaftlicher Ausschluss infolge von Trennung / Scheidung droht. Auch rechtliche Novellierungen (z.B. vom Verschuldungs- zum Zerrüttungsprinzip 1976) trugen dazu bei, dass Scheidung nicht mehr als „moralisches Versagen“, sondern als „legitime Form ehelicher Konfliktlösung“ angesehen wurden und es dadurch nicht für denjenigen, der die Ehe beendete, grundsätzlich rechtlich benachteiligende Konsequenzen gab.11 Letzterer und sehr wichtiger Punkt ist die sog. „intergenerationale Scheidungstradierung“, das bedeutet, dass Scheidungskinder ein erhöhtes Risiko tragen, selbst auch geschieden zu werden.12
Grundsätzlich ausschlaggebend für die sich stetig steigende Scheidungsrate ist die veränderte Motivation der Eheschließung. Heute existiert vordergründig die Idee einer Liebesbeziehung, doch Liebe kann vergänglich sein, sodass ein Scheitern oft „vorprogrammiert“ ist.13 Die gesteigerte Erwartung an den Partner und an die Beziehung in Verbindung mit den zugleich steigenden Alternativen der eigenen Lebensgestaltung, führt dazu, nicht an der Ehe festhalten zu müssen, sondern eigene Selbstverwirklichung im Vordergrund steht.14
Allgemein kann gesagt werden, dass die veränderten Ansprüche an eine Partnerschaft, die vielfältigen Formen familiären Zusammenlebens sowie die Fokussierung auf eine individuelle Lebensgestaltung, vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen Wandels und eines Wertewandels resultieren.15
Scheidung und Trennung ist nicht als ein einmaliges Ereignis zu betrachten, sondern wird als ein langwieriger Veränderungsprozess interpretiert. In der Forschung haben sich zahlreiche Modelle entwickelt, die den Trennungs- und Scheidungsprozess in verschiedenen Phasen beschreiben. Die Modelle dienen vor allem auch dazu, die jeweiligen Spezifika in den einzelnen Phasen herauszuarbeiten, um in der professionellen Intervention auf die in der jeweiligen Phase typischen Problem- und Konfliktlagen adäquat eingehen zu können.16
Im Folgenden wird das Drei- Phasenmodell erläutert, das den Trennungs- und Scheidungsprozess in Ambivalenz-, Trennungs- und Scheidungs-, und Nachscheidungsphase darstellt. Zu betonen sei, dass die Phasenübergänge fließend sind und nicht alle Familienmitglieder die einzelnen Phasen in der gleichen Zeit durchlaufen. Trennung und Scheidung ist immer ein individueller Prozess. Es handelt sich um ein Phasenmodell, in der insbesondere die jeweiligen Konflikte, Belastungen und die Psychodynamik im Scheidungsprozess beleuchtet werden.
Diese Phase kann der tatsächlichen Auflösung der Paarbeziehung jahrelang vorausgehen und wird daher auch Vorscheidungsphase genannt. Sie ist gekennzeichnet von der Unentschlossenheit und Angst vor einer Trennung und deren Folgen, sowie gegenseitigem Misstrauen und einem verfestigtem Paarkonflikt.17 Die Kinder befinden sich in einer Situation ständiger Verunsicherung aufgrund der drohenden Gefahr, verlassen zu werden. Hinzu kommt die Angst vor drohenden Veränderungen, wie z.B. Umzug und Schulwechsel, Freunde verlieren usw.; und nicht zuletzt die Sorge, den verlassenden Elternteil zu verlieren.18 Die im Kapitel 3.2.1. „Erste Reaktionen“ beschriebenen Gefühle der Kinder, an der Trennung der Eltern Schuld zu haben, können aus dieser Phase resultieren, z.B. wenn die Kinder wahrnehmen, dass das Streitthema der Eltern sie selbst sind.19 Bei Säuglingen entwickeln sich Angstreaktionen aufgrund der Auseinandersetzungen der Eltern, da die vertraute Sicherheit des Säuglings beeinträchtigt ist, wenn die Eltern auf den Konflikt fokussiert sind und dem Kind nicht die für ihn notwendige Nähe und Zuneigung geben. Aus den Angstreaktionen kann chronischer Stress entstehen, der psychosomatische Folgen haben kann, wie z.B. Verdauungsprobleme, Hautekzeme usw..20
Besonders gravierend ist, dass Kinder in dieser Phase oft zu „Bündnispartnern“ jeweiliger Elternteile gemacht werden und sie eine Rolle zugeschrieben bekommen (z.B. Vermittler im Ehekonflikt), die für die Kinder eine zusätzliche Belastung bedeutet. Insbesondere bei jungen Kindern kann diese sog. „Koalitionsbildung“ mit einem Elternteil dazu führen, dass die Entwicklung zur Fähigkeit, eine triadische Beziehung zu führen,21 durch die Abspaltung des anderen Elternteils die frühe Triangulierung behindert. Die Folge kann eine anklammernde Beziehung zu dem verbündeten Elternteil sowie Identitätsstörungen sein. Bei weiteren kann es zu einer Borderline-Persönlichkeitsorganisation kommen“ bei der Objektbeziehungen in „nur gut“ und „nur böse“ aufgespalten werden.22
Diese Phase beginnt, wenn zumindest ein Partner Schritte zur juristischen Scheidung eingeleitet hat.23 Wie in der Definition von Scheidung bereits erwähnt, ist für das Kind die Mitteilung der Eltern zur endgültigen Trennung/Scheidung Beginn dieser Phase. Auf das Kind kommen in der Regel einschneidende Veränderungen zu: Der Verlust eines Elternteils im Alltagsleben, Veränderung der bisher gewohnten Umwelt und entstehende elterliche Konflikte, die das Kind in einer ohnehin schwierigen Lebenssituation zusätzlich und erheblich belasten. Die Überlappung von existenziellen Veränderungen und Belastungen sind Risikofaktor für die kindliche Entwicklung. So wenige wie möglich zusätzliche Veränderungen erleichtern dem Kind die Bewältigung der Trennung/Scheidung.24
In dieser Phase braucht das Kind mehr denn je die Aufmerksamkeit der Eltern, um über Gefühle, Ängste und Wünsche zu sprechen. Doch die Eltern sind in dieser Situation mit dem eigenen Scheitern in der Paarbeziehung und der eigenen Lebenskrise beschäftigt und damit in ihrer elterlichen Kompetenz eingeschränkt, sodass sich das Kind in seiner Trauer alleingelassen fühlt.25 Scheidungsspezifische Gefühle und Verhaltensweisen verstärken sich, die zu Konflikten mit den Eltern führen, woraufhin diese das Kind zurückweisen (aufgrund eigener Belastung und Überforderung), sodass es „zu einer kontinuierlichen Aufschaukelung interaktioneller Konflikte zwischen Kindern und Eltern kommt.“26 Wie das Kind diese Phase erlebt und welche Belastungen es trägt, ist abhängig vom Alter- und Entwicklungsstand des Kindes; vor allem aber vom elterlichen Verhalten, dem familiären Konfliktniveau und den Risiko- und Schutzfaktoren innerhalb des Trennungs- und Scheidungsprozesses. Eine intensivere Auseinandersetzung hierzu folgt im Kapitel 3.2.2.
Die juristische Scheidung ist vollzogen und damit sind auch- in aller Regel- die einhergehenden Veränderungen eingetroffen (z.B. Umzug). Die emotionale, psychische Scheidung/Trennung der Eltern sollte Ergebnis dieser Phase sein, damit verletzte Gefühle, Schuldzuweisungen und Machtkämpfe (die oft über die Kinder ausgetragen werden!) nicht weiterhin die Beziehung der Ex-Partner und gleichzeitigen Eltern bestimmen und das Kind zusätzlich, neben der eigenen Verarbeitung der Trennung der Eltern und der Veränderung in der Beziehung zum jeweiligen Elternteil, belasten.27 Dieses Ziel ist ohne professionelle teilweise sehr schwer zu erreichen und die psychische Trennung des Paares dauert mitunter mehrere Jahre.
Das Kind ist Ambivalenzen gegenüber dem weggeschiedenen Elternteil ausgesetzt, da es einerseits gekränkt ist, durch dessen Verlassen, andererseits Sehnsucht und Hoffnung auf eine Wiedervereinigung der Eltern hat. Die Beziehung zum alltagssorgenden Elternteil ist ebenso von Ambivalenzen geprägt. Aus dem unverarbeiteten Verlust des weggegangenen Elternteils resultieren Wutgefühle gegenüber dem alltagssorgenden Elternteil, die wiederum die Beziehung gefährden und somit beim Kind die Angst vorm (zweiten Mal) Verlassen werden verstärken.28 Nicht vergessen werden sollte an dieser Stelle allerdings, dass sich auch die Ex-Partner in einer (Nach-)Scheidungskrise befinden und sich auch für sie als Eltern die jeweilige Beziehung zum Kind verändert hat. Nähere Ausführungen hierzu sind im Kapitel 3.3. beschrieben.
Das Wissen über den phasenhaften Prozess einer Trennung/Scheidung ist für Mediatoren bedeutsam, da in jeder Phase spezifische Themen und Konflikte besonders belastend für alle Beteiligten sein können und im Interventionsprozess entsprechend an den Problemen und phasenspezifischen Konfliktfeldern gearbeitet werden kann.
Alle Kinder, die weitestgehend psychisch gesund entwickelt sind und eine sichere Bindung zu ihren Eltern haben, zeigen unmittelbare emotionale Reaktionen auf die Trennung und Scheidung ihrer Eltern.29 Dabei geht es Kindern nicht primär um die Trennung und Scheidung der Eltern, sondern vor allem um die eigene Trennung des geliebten Elternteils. Aus dem kindlichen Unverständnis, weshalb sich der Vater oder die Mutter von ihm selbst trennt sowie die Machtlosigkeit, nichts dagegen unternehmen zu können, resultieren die typischen emotionalen Reaktionen wie Trauer und Wut, z.B. auf den Elternteil, der verlässt oder auf den anderen, weil das Kind diesen für die Trennung verantwortlich macht.30 Ebenso Schuldgefühle, selbst an der Scheidung der Eltern schuld zu sein, spielen eine enorme Rolle.31 Ängste können sich entwickeln, vor allem Existenzängste, ob sie den anderen Elternteil auch verlieren werden, welche Veränderungen auf sie zukommen und insbesondere, wann sie den weggegangenen Elternteil wiedersehen werden.32 Misstrauen in die Verlässlichkeit menschlicher Beziehungen und Störungen des Selbstwertgefühls können die Folge sein.33
Die Reaktionen der Kinder sind immer individuell sowie alters- und geschlechtsspezifisch verschieden. So zeigen Kleinkinder und Säuglinge eher psychosomatische Reaktionen auf die Veränderungen und für jüngere Kinder sind die bereits oben genannten Schuldgefühle typisch, da sie die Welt aus ihrer egozentrischen Perspektive betrachten und den Grund der Trennung/Scheidung der Eltern demzufolge auf sich beziehen. Im Kindergartenalter sind Verhaltensveränderungen beobachtbar, von regressivem bis zu aggressivem Verhalten, aber auch Angstzuständen und Phantasien der Wiedervereinigung der Eltern sind typische Reaktionsmuster. Letzteres ist auch noch bei älteren Schulkindern beobachtbar. Jugendliche zeigen mitunter heftige Reaktionen in Form von Wut, Trauer und Schmerz, Depressivität und Scham auf Grund des elterlichen Verhaltens und keine intakte Familie mehr zu sein. Schulischen
Leistungen verschlechtern sich häufig und sie zeigen pseudoerwachsenes Verhalten.34 Tendenziell zeigen Jungen aggressiveres Verhalten, haben großen Bewegungsdrang und scheinen auf den ersten Blick stärker durch die Trennung belastet zu sein. Mädchen hingegen zeigen sich introvertierter, neigen zu Depressionen und sozialem Rückzug. Die Annahme, dass sie die elterliche Trennung leichter bewältigen können als die Jungen ist allerdings falsch, da die psychische Belastung unabhängig von den zu beobachteten Reaktionen ist.35 Zu betonen sei an dieser Stelle, dass es immer auch Kinder und Jugendliche gibt, die kaum äußere Reaktionen auf die elterliche Trennung zeigen, woraus man nicht den falschen Umkehrschluss ziehen darf, dass sie durch die Trennung nicht belastet seien. „Wichtig ist allerdings, sich bewusst zu machen, dass Kinder in irgendeiner Art und Weise auf die Trennung reagieren (müssen).“36 Wie ein Kind die Trennung / Scheidung bewältigt und ob aus den ersten Reaktionen psychische Spätfolgen entstehen, ist abhängig von individuellen Faktoren wie Alter und Entwicklungsstand des Kindes während der Trennung /Scheidung sowie der Beziehung zu den jeweiligen Elternteilen vor und nach der Scheidung. Nicht zuletzt jedoch von der Fähigkeit der Eltern, auch nach der Scheidung in gemeinsamer Verantwortung Eltern für die Kinder zu sein.37
Zentrale Fragen in der Scheidungsforschung waren in den letzten Jahren, welche Bedeutung das veränderte familiäre Zusammenleben nach der Scheidung für die kindliche Entwicklung hat und welchen Stellenwert die Beziehung zwischen dem weggegangenen Elternteil und dem Kind einnimmt. Heute ist relativ unbestritten, dass mögliche langfristige Folgen auf die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes verringert oder sogar vorgebeugt werden können, wenn es den Eltern gelingt, eine intensive Beziehung des Kindes zu beiden Elternteilen zu ermöglichen und zu fördern.38 Dabei ist nicht unbedingt die Intensität der Kontakte ausschlaggebend, sondern wie frei sich das Kind für die Aufrechterhaltung der Beziehung zum weggegangenen Elternteil fühlt. In der Praxis zeigt sich hingegen, dass die Eltern
[...]
1 Es soll darauf hingewiesen werden, dass die Aussagen dieser Studien aus wissenschaftlicher Betrachtung kritisch aufzufassen sind. Die Forschungsarbeit im Rahmen der Langzeitstudien begann Ende der 70iger Jahre und bezieht sich teilweise auf die amerikanische Gesellschaft. Zudem ist die Anzahl der befragten Familien bis zum Ende der Studie mit hoher Wahrscheinlichkeit gesunken. Inwiefern sich Trennungs- und Scheidungskinder im heutigen Kontext auf langfristige Sicht entwickeln, kann anhand dieser Studie nicht wissenschaftlich prognostiziert werden. Dennoch sind diese Studien von großer Bedeutung, da sie erstmalig Scheidungsfamilien über einen langen Zeitraum beobachtet haben, vor allem in Hinblick auf die emotionalen und psychischen Dimensionen im Trennungs- und Scheidungsprozess, die auch aktuell noch Relevanz haben.
2 Bürgerliches Gesetzbuch (2009), 320
3 Figdor ( 2012), 29
4 Statistisches Bundesamt (2011).Ehescheidungen und betroffene minderjährige Kinder. www.destatis.de
5 Walper; Schwarz (2002), 9
6 Statistisches Bundesamt (2011). Bevölkerung. Eheschließungen, Ehescheidungen. www.destatis.de
7 Peukert (2005), 29ff
8 Bauers (1997), 42
9 Peukert (2005), 183
10 Ebd.
11 Ebd.
12 Ebd., 184
13 Peukert (2005), 186
14 Ebd., 191
15 Ebd., 191ff
16 Sandner (1999), 18
17 Bauers ( 1997), 43
18 Staub; Felder (2004), 30
19 Ebd., 31
20 Ebd., 24
„ungünstigen Entwicklungsbedingungen
21 In der Fachliteratur nennt sich dieser Entwicklungsprozess frühe Trianguierung, d.h. die Fähigkeit des Kindes aus einer zunächst diadischen Beziehung, zumeist der Mutter-Kind- Beziehung, eine triadische Beziehung mit dem Vater als Dritten zu entwickeln. (Bauers (1997), 44)
22 Bauers (1997), 46
23 Ebd., 48
24 Staub; Felder (2004), 37
25 Bauers (1997), 49
26 Figdor (2012), 54
27 Bauers (1997), 53
28 Ebd., 55
29 Figdor (2010), 38
30 Figdor (2010), 34
31 Ebd., 35
32 Ebd., 37
33 Bauers (1997) , 40
34 Mettig (2010), 15 und Krabbe; Weber; Goldlach (o.J.), 1f www.heiner-krabbe.de (30.05.2013)
35 Krabbe; Weber; Goldlach (o.J.),2. www.heiner-krabbe.de (30.05.2013).
36 Mettig (2010), 13
37 Bauers (1997), 40
38 Figdor (2010), 149
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