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Bachelorarbeit, 2016
56 Seiten, Note: 1,6
Abbildungsverzeichnis
Einleitung
2 Einführung in die Entscheidungspsychologie
2.1 Der Begriff der Entscheidung
2.2 Struktur von Entscheidungen
2.3 Entscheidungstypen
2.3.1 Routinierte Entscheidungen
2.3.2 Stereotype Entscheidungen
2.3.3 Reflektierte Entscheidungen
2.3.4 Konstruktive Entscheidungen
2.4 Zwei-Systeme Theorie der Verhaltenssteuerung nach Kahneman
3. Rahmenmodell für den Prozess des Entscheidens
3.1 Die selektionale Phase: Bewertung und Entscheidung
3.2 Die präselektionale Phase: Informationssuche als Teilprozess des Entscheidens
3.3 Die postselektionale Phase: Effekte von Entscheidungen, Lernen und wiederholte Entscheidungen
4. Einflussfaktoren auf Konsumentenentscheidungen im Internet
4.1 Einfluss des Website-Designs
4.2. Einfluss von Vertrauen
4.3. Einfluss von Kundenbewertungen
4.3.1 Glaubwürdigkeit
4.3.2 Nützlichkeit
4.4. Einfluss von Ankereffekten: Down-Selling, Up-selling und der Kompromisseffekt
5. Dark Patterns
5. 1 Design Patterns
5.1.1 Versteckte Zustimmung und Trick-Fragen:
5.1.2. Roach-Motel (Kakerlaken-Motel)
5.1.3. Versteckte Kosten
4.1.4 Bait and Switch
5.2 Geschäftsmodelle
5.2.1. Sponsored Content und getarnte Werbung
5.2.2 Verschleiern der Wirklichkeit - Tokens statt Geld
5.2.3 Penny-Bidding Sites
6. Fazit
Quellenverzeichnis
Abbildung 1: Rahmenmodell für den Prozess des Entscheid ens
Abbildung 2: Die Wertfunktion nach der Neuen Erwartungstheorie
Abbildung 3: Gewichtungsfunktion der Neuen Erwartungstheorie
Abbildung 4: Zusammenhang der Website-Dimensionen mit der Kundenreaktion auf einzelnen Rezeptionsstufen
Abbildung 5: Einfluss der Kundenrezension auf die einzelnen Phasen des Kaufprozesses
Abbildung 6: Maßnahmen zur Vereinfachung der Glaubwürdigkeits- und Nützlichkeitseinschätzung
Abbildung 7: Anker- und Kontrasteffekt bei Bowers und Wilkins Boxen auf Magnoliaav.com
Abbildung 8: Up-Selling am Beispiel des Internetauftritts der Marke Anker
Abbildung 9: Wahlaufgabe zu Kopfhörern aus Niedrig-, Mittel- und Hochpreis-Segment mit Möglichkeit zum Entscheidungsaufschub
Abbildung 10: Versteckte Kosten beim Kauf von Konzertkarten auf ticketmaster.com
Abbildung 11: Bait and Switch beim Sofwaredownload
Abbildung 12: Sponsored Content auf WebMD.com
Abbildung 13: Die Penny-Bidding Site DealDash.com
Das 21. Jahrhundert ist geprägt von einer immer größer werdenden Anzahl an Produkten und Dienstleistungen, aus denen der Mensch die für ihn beste Wahl treffen muss. Mit Hilfe seines Smartphones ist der 'Phono Sapiens' jederzeit und überall in der Lage auf den Großteil der benötigten Informationen, der zum Urteilen und Entscheiden nötig wären, zuzugreifen und somit die rational beste Wahl zu treffen. Es zeigt sich jedoch, dass der Mensch aufgrund seiner Verarbeitungskapazität von der Informationsmasse überfordert ist, und selbst in Situationen der vollständigen Informationsversorgung häufig nur auf wenige, ausgewählte Informationen zurückgreift und Entscheidungen intuitiv und 'aus dem Bauch heraus' fällt.
Das Internet wurde zu einem selbstverständlichen und wichtigen Teil des menschlichen Alltags und stellt damit ein prägendes Element für Kognitionen und Verhalten des Menschen dar, da es ihn mit neuen Handlungsmöglichkeiten und einer bis dato völlig neuen Umweltdynamik konfrontiert.
Das Thema dieser Arbeit lautet daher: "Was beeinflusst das Entscheidungsverhalten im Internet?" Das ist freilich keine Frage auf die es eine konkrete Antwort geben kann. Vielmehr soll sie als Leitfrage dienen, um im Verlauf dieser Arbeit das menschliche Entscheidungsverhalten im Internet besser zu verstehen und einige der größten Einflussfaktoren zu identifizieren. Der wichtigste Schritt dazu ist, den Prozess des menschlichen Entscheidens, wie auch den spezifischen Umgang des Menschen mit Entscheidungssituationen im Allgemeinen, zu verstehen. Deshalb wird der Leser am Anfang dieser Arbeit in die Grundlagen der Urteils- und Entscheidungspsychologie eingeführt, indem das strukturelle Konzept von Entscheidungen sowie ein Denkmodell, das die Informationsverarbeitung bei Entscheidungen erklärt, ausführlich vorgestellt werden.
Im Anschluss daran wird der Prozess des Entscheidens in seinen einzelnen Phasen umfassend erläutert, während immer wieder auf konkrete Beispiele typischer Entscheidungssituationen im Internet eingegangen wird.
Nachdem das theoretische Fundament gelegt wurde, werden einige Einflussvariablen analysiert, die einen besonderen Einfluss auf Konsumentenentscheidungen im Internet haben. Der Begriff 'Konsumentenentscheidungen' ist im Untertitel der Arbeit bewusst grob gefasst, da Entscheidungen im Internet sehr vielfältig sind und daher ein breites Spektrum an Entscheidungen betrachtet werden soll. Gleichzeit richtet diese Bezeichnung aber den Fokus auch auf kommerzielle Entscheidungssituationen, wie es im Online-Shopping der Fall ist, um somit dem Aspekt der Wirtschaftspsychologie gerecht zu werden.
Im Schlussteil der Arbeit werden manipulative Techniken (Dark Patterns) der Anbieter aufgezeigt und manipulative Geschäftsmodelle, die sich die Fehleranfälligkeit des menschlichen Entscheidungsverhaltens im Internet zu Nutze machen, anhand der gewonnenen Erkenntnisse analysiert.
Ein Fazit fasst den Grundtenor der Arbeit noch einmal zusammen und bietet einen Ausblick auf weitere Entwicklungen.
Noch eine Anmerkung vorweg: Das Entscheidungsverhalten im Internet ist weitaus weniger erforscht, als das menschliche Entscheidungsverhalten im klassischen Sinne. Daher werden an manchen Stellen auch Erkenntnisse aus der klassischen Entscheidungsforschung auf ähnliche Situationen im Internet übertragen. Diese Übertragungen sind lediglich das Ergebnis logischer Schlüsse und erheben keinen Anspruch exakt analog zu gelten.
Für den Begriff des Entscheidens finden sich in der Literatur unterschiedliche Definitionen, da sich verschiedene wissenschaftliche Disziplinen mit dem Forschungsfeld beschäftigen. Neben der Psychologie befassen sich ebenfalls Ökonomie, Soziologie, Politologie und Neurowissenschaften mit der Entscheidungsforschung. Selbst innerhalb der Psychologie unterscheiden sich die Erklärungsansätze (Betsch et al. S. 68).
Das Psychologische Wörterbuch von Dorsch definiert eine Entscheidung als "Wahl einer Handlungs- oder Reaktionsmöglichkeit in einer Situation, in der mehrere Möglichkeiten bestehen" (Häcker und Stapf 2004).
Fisher et al. betrachten wiederum als Gegenstand der Entscheidungsforschung "Situationen, in denen eine Person zwischen mindestens zwei Optionen 'präferenziell' unterscheidet" (Jungermann et al. 2010, S.3).
Betsch et al. definieren den Begriff 'Entscheiden' als einen "Prozess des Wählens zwischen mindestens zwei Optionen, mit dem Ziel, erwünschte Konsequenzen zu erreichen und unerwünschte Konsequenzen zu vermeiden" (Betsch et al. 2010, S. 68).
Dementsprechend lässt sich eine Entscheidung auf zweierlei Art betrachten; einerseits als das Ergebnis einer präferenzabhängigen Wahlsituation, und andererseits als ein zielgerichteter Prozess, der vom Erkennen einer Wahlsituation bis zur Umsetzung und Kontrolle einer Festlegung reicht (Frey et al. 2005, S. 72).
Die Ziele und Motive des Individuums bewegen die Person dazu, bestimmte Konsequenzen erreichen zu wollen. Umweltfaktoren bestimmen dabei aber mit, "ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit das erwünschte Ziel erreicht und unerwünschte Konsequenzen vermieden werden können" (Betsch et al. 2010, S. 68).
Um die Struktur von Entscheidungssituationen zu verstehen und analysieren zu können, müssen zunächst die zentralen Elemente und deren Relationen zu einander bestimmt werden. Entscheidungen bestehen aus Optionen, deren Konsequenzen, sowie den daraus entstehenden Ereignisse und Zustände (Vgl. Betsch et al 2010, S. 69)
Optionen können entweder Objekte (z.B. Produkte in einem Onlineshop, Links auf der Google Ergebnisseite), Handlungen (z.B. Abbruch des Kaufvorgangs, Klicken eines Links), Strategien (z.B. "sparen") oder Regeln (z.B. Heuristiken) sein (Jungermann et al. 2005, S. 19f.). Von einer Entscheidung kann man dabei erst sprechen, sobald mindestens zwei Optionen desselben Typs zur Verfügung stehen. Der einfachste Fall wäre dabei die Wahl, eine Handlung durchzuführen (Option A) oder zu unterlassen (Option B) (Betsch et al. 2010, S. 69). Im Bereich des Online Shoppings wäre dies zunächst die Entscheidung, den Status quo (B) zu beenden und eine Suche nach dem gewünschten Produkttyp (A) zu beginnen.
Die Wahl von Optionen, kann entweder durch Feststellungen getroffen (z.B. Georg sagt:" Ich bevorzuge Option X gegenüber Option Y ") oder durch beobachtbares Verhalten zum Ausdruck gebracht werden (z.B. Georg klickt X und nicht Y) (Jungermann et al. 2005, S. 3). Eine Option hat immer Konsequenzen zur Folge, die einen positive oder negativen Beitrag zur Zielerreichung (Nutzen) des Entscheiders leisten. Deren Bewertung hängt von den persönlichen (subjektiven) Präferenzen zum Entscheidungszeitpunkt ab.
Ob die Option auch zu den antizipierten Konsequenzen führt, hängt jedoch wie bereits erwähnt von inneren Zuständen und Ereignissen der Umwelt ab, die nicht in unmittelbarer Kontrolle des Entscheiders liegen (Betsch et al. 2010, S. 69).
Es existieren darüber hinaus noch verschiedene Merkmale von Entscheidungsproblemen, die den Komplexitäts- und Schwierigkeitsgrad von Entscheidungen beeinflussen und damit auch Art und Umfang des kognitiven Aufwandes mitbestimmen. An dieser Stelle sollen allerdings lediglich die Merkmale und Typen von Entscheidungen behandelt werden, die für den Bereich des Onlineshoppings von besonderem Interesse sind:
Optionsmenge: Die Menge an Optionen kann offen oder vorgegeben sein. In der Entscheidungsforschung wurden vorwiegend Sachverhalte untersucht, bei denen eine Optionsmenge vorgegeben war, da der Umgang mit den gegebenen Informationen im Fokus der Forschung stand. In der Realität ist es jedoch häufig der Fall, dass der Entscheider die Optionen erst suchen oder generieren muss (Jungermann et al. 2005, S. 27f.). Auch im Bereich des Onlineshopping ist die Optionsmenge in der Regel von der Intensität, sowie der Spezifizität der Suche abhängig. Laut einer Umfrage des Online-Vermittlers "Käuferportal" sucht die Mehrheit an Kunden, vor der Anschaffung kostenintensiver Produkte, drei bis fünf Produktoptionen im Internet heraus, aus denen dann im direkten Vergleich die Entscheidung getroffen wird.1
Generell könnte man davon ausgehen, dass die Schwierigkeit einer Entscheidung steigt, je mehr Optionen vorhanden sind. Dass dies jedoch nicht immer der Fall ist zeigt unter anderem der Kompromisseffekt, der in Punkt 4.4 vertieft behandelt wird.
Länge des Entscheidungswegs: Eine Entscheidung kann sich in einem einzigen Schritt, oder in mehreren Schritten vollziehen, bei denen jeder Schritt vom Ergebnis des vorherigenabhängt (Jungermann et al. 2005, S. 27f.). Bezogen auf das Internet ist meist von mehrstufigen Entscheidungen auszugehen, da eine Navigation über das Klicken von Links erfolgt, die den User regelmäßig auf neue Seiten bringen und so seine Ausgangssituation verändern (Schweiger und Wirth 1999, S. 61).
Ein weiteres Merkmal von Entscheidungen ist, dass sie immer die Zukunft betreffen, was bedeutet, dass sich die Konsequenzen nie mit einer vollkommenen Wahrscheinlichkeit vorhersehen lassen (Betsch et al. 2010, S. 69). Aus praktischen Gründen wird in der Entscheidungsforschung allerdings zwischen Entscheidungen mit subjektiv gewissen- (auch: 'Entscheidung unter Sicherheit') und ungewissen (auch: 'Entscheidung unter Unsicherheit') Konsequenzen unterschieden (Kirchler, E. 2011, S. 34). Unsicherheit hat viele Varianten. Sie kann etwa mangelndem Wissen oder arbiträrer Umweltbedingungen zugrundeliegen. Häufig entsteht sie auch, weil es Evidenz für das mögliche Eintreten mehrerer Ereignisse gibt (Jungermann et al. 2005, S. 142).
Im Kontext des Onlineshoppings ist die subjektive Sicherheit bei einer Entscheidung sehr stark mit dem Konstrukt 'Vertrauen' gegenüber dem Anbieter verbunden und wird in Punkt 4.2 noch einmal ausführlicher diskutiert.
Neben den oben genannten Merkmalen unterscheiden sich Entscheidungen generell durch die Erfahrungen, die ein Individuum bereits mit ähnlichen Entscheidungen gemacht hat, bzw. der Vertrautheit der Entscheidungssituation. Aufgrund der begrenzten Verarbeitungskapazität ist das menschliche Gehirn stets darauf bedacht den kognitiven Aufwand möglichst gering zu halten, was dazu führt, dass der kognitive Aufwand und die 'Entscheidungsstrategien' adaptiv an die jeweiligen Situationen angepasst werden (Vgl. Betsch et al. 2010, S.104f.). So besagt zum Beispiel das Modell des adaptiven Entscheidens von Payne et al. (1988,1993), dass Menschen im "Verlauf ihrer Sozialisation ein Repertoire an Strategien erwerben, um mit Entscheidungen jedweder Komplexität umzugehen" (Betsch et al. S. 105). Die Strategiewahl erfolgt dabei anhand einer Abwägung des kognitiven Aufwandes und der zu erwartenden Genauigkeit der Entscheidung in Abhängigkeit interner Zustände (Ziele) und externer Umweltbedingungen (Betsch et. al, 2010, S. 105). Diese 'Entscheidung des Entscheidens' wird als Metakalkül bezeichnet (Betsch et al., 2010, S.105). Es gibt zahlreiche Strategien die in einem Entscheidungsprozess verwendet werden können, an dieser Stelle sollen jedoch nur die von Svenson (1990) und Jungemann et al. (1998) vorgeschlagenen vier Grundtypen von Entscheidungen vorgestellt werden, welche je eine Entscheidungsstrategie mit einem charakteristischen Niveau kognitiver Anstrengung aufweisen:
Routinierte Entscheidungen zeichnen sich dadurch aus, dass die subjektiv möglichen Optionen stets gleich sind und die Wahl zwischen ihnen routinemäßig und automatisiert abläuft, wodurch nur sehr geringe kognitive Ressourcen benötigt werden (Jungermann et al. 2005, S. 31). Betsch (2005, S. 262) definiert Routine dabei als den "Einfluss von handlungsbezogenem Vorwissen auf nachfolgende Entscheidungen“. Bei Routineentscheidungen werden also Handlungsschablonen aus dem Gedächtnis abgerufen, die in gleichen oder sehr ähnlichen Situationen bereits zu einem befriedigenden Ergebnis geführt haben. Sie laufen häufig derart automatisch und unbewusst ab, dass sie das Individuum gar nicht als Entscheidung wahrnimmt. Sie gelten aber insofern auch als Entscheidung als dass sie das einstige Ergebnis eines höhergestellten Entscheidungsprozesses sind (Asen et al. 2004, S. 180).
In der Ökonomie haben Routineentscheidungen einen hohen Stellenwert, da sie sich unter anderem auch in Marktpräferenzen wie Markentreue wiederfinden (vgl. Betsch, 2005, S. 262f). Ein Konsument, der generell all seine Onlinekäufe bei Amazon tätigt, wird erst von dieser Routine abweichen, sobald er ein gewünschtes Produkt nicht findet. Dadurch würde die Routine unterbrochen und er müsste eine andere Routine (z.B. seine zweitliebste Seite) verwenden oder auch einen für ihn völlig neuen Anbieter suchen, was einen Entscheidungstyp höherer Ebene bedarf und mehr kognitive Ressourcen benötigt. Routinen können für einen Entscheider insofern von Nachteil sein, als dass möglicherweise günstigere Optionen überhaupt nicht in Erwägung gezogen werden (Vgl. Schweiger und Wirth 1999, S. 64), was sich insbesondere in mangelnder Anpassung bei sich verändernden Umweltbedingungen widerspiegelt.
Im Unterschied zu routinierten Entscheidungen werden stereotype Entscheidungen nicht aufgrund der Ähnlichkeit einer Situation, sondern aufgrund der Vertrautheit der Strukturen und auswählbaren Optionen getroffen. Die Bewertung der verfügbaren Alternativen erfolgt dabei nicht bewusst analytisch, sondern anhand eines gelernten Bewertungsschemas (Jost, P 2013, 117f.). Jeder Bewertungsgegenstand wird dabei anhand weniger i.d.R. salienter Merkmale (z.B. Preis, Marke) bewertet, wodurch ein ganzheitlich und intuitiv erscheinendes, aber bewusstes, Gesamturteil erzeugt wird (Jungermann et al. 2005, S. 33). Häufig sind dies Affekturteile, die nur eine sehr geringe kognitive Verarbeitung benötigen. Zajonc et al. (1980) stellte fest, dass kognitive und affektive Prozesse bei derartigen unmittelbaren Präferenzurteilen, wie sie bei stereotypen Entscheidungen vorkommen, weitgehend unabhängig voneinander funktionieren. In einem Experiment zeigten sie, dass das 'Gefallen' geometrischer Figuren von der Häufigkeit abhängt mit der sie den Probanden im Vorfeld präsentiert wurden. Dies ist von der bewussten Wiedererkennung der Stimuli weitgehend unabhängig (Jungermann et al. 2005, S. 33).
Für den Bereich des Onlineshoppings stellen stereotypen Entscheidungen den wichtigsten Typus dar, weil sie den Großteil an Konsumentenentscheidungen ausmachen (Jungermann et al. 2005, S. 33).
Die Situation bei reflektierten Entscheidungen unterscheidet sich von den oben genannten dadurch, dass eben keine habituell oder stereotyp abrufbaren Präferenzen für die Optionen zur Verfügung stehen und der Entscheider zunächst explizit bezüglich der entscheidungsrelevanten Merkmale reflektieren muss, um seine Präferenzen zu bilden (Vgl. Jungermann et al. 2005, S. 34, Braun und Benz 2015, S.46f.). Diese reflektierte Auseinandersetzung mit der Entscheidung schließt allerdings nicht aus, dass emotionale bzw. affektive Faktoren eine Rolle spielen, sondern bedeutet lediglich, dass die Person bewusst über die Entscheidung nachdenkt und abwägt, weshalb der kognitive Aufwand höher ist, als bei den oben genannten (Jungermann et al. 2005, S.34). Wie groß dabei der 'analytische' und wie groß der 'intuitive' Anteil ist, soll unter Punkt 2.4 anhand der Zwei-System Theorien diskutiert werden.
Reflektierte Entscheidungssituationen stehen im Fokus der Entscheidungsforschung, da sich reflektierte Entscheidungen in der Regel auf Probleme beziehen, die von relativ hoher Wichtigkeit für den Entscheider sind. Insbesondere werden die Art des Bewertungsprozesses und die Verwendung von Entscheidungsregeln erforscht, um Modelle zu entwickeln, die menschliches Entscheidungsverhalten möglichst treffend vorherzusagen (Vgl. Punk 3.1 und 3.2).
Zu mehr oder weniger reflektierten Entscheidungen kommt es im Bereich des Onlineshoppings beim Kauf subjektiv teurer Objekte oder beim Kauf von Objekten, wo der Konsument noch keinerlei Erfahrungen bezüglich seiner Präferenzen hat. Um das empfundene Risiko zu minimieren geht einer reflektierten Entscheidung generell eine mehr oder weniger intensive Informationssuche voraus. Dabei kann es sich sowohl um eine externe Informationssuche, beispielsweise über entsprechende Seiten im Internet, oder eine interne Informationssuche in Form einer Abfrage, bzw. einer Neuanordnung und Integration, vorhandener Gedächtnisinhalte handeln (Jungermann et al 2005, S. 34). Sollte die Informationssuche nicht ausgereicht haben um eine eindeutige Entscheidung zu treffen, kann die Entscheidungssituation auch aufgeschoben oder abgebrochen werden.
Konstruktive Entscheidungen zeichnen sich durch zwei Aspekte aus. Zum einen sind die Optionen nicht bekannt oder ausreichend definiert und müssen erst durch eine Informationssuche geschaffen werden. Und zum anderen sind die entscheidungsrelevanten persönlichen Werte und Ziele entweder unklar, oder müssen ebenfalls erst durch die Informationssuche identifiziert, bzw. konstruiert werden. Deshalb verlangen Entscheidungen dieses Typus den höchsten kognitiven Aufwand (Schweiger und Wirth 1999, S. 66.) Während dieses Generierungsprozesses ist es auch möglich, dass bereits gefundene Optionen und Werte in Form von vorläufigen Wahlen wieder verworfen werden, ohne den Entscheidungsprozess zu unterbrechen (Jungermann et al. 2005, S. 36). Ein Beispiel für eine solche Entscheidung wäre die Suche nach einem Geburtstagsgeschenk für den Lebenspartner. Daher haben sich im Internet Geschäftsmodelle entwickelt, wo mit sogenannten Geschenkefinder (z.B. danato.com) durch eine Schritt-für-Schritt Suche dem Kunden eine Hilfestellung gegeben wird, um den kognitiven Aufwand zu reduzieren. Das gleiche Prinzip findet sich bei ähnlichen Kundenproblemen wieder (z.B. Urlaubsbuchung).
Aus Punkt 2.3 lässt sich schließen, dass der Mensch je nach Entscheidungsproblem seinen kognitiven Aufwand situativ anpasst. Dabei kann zwischen intuitiven und analytisch bewussten Formen des Denkens, Urteilens und Entscheidens differenziert werden. Diese Tatsache veranlasste eine Vielzahl von Wissenschaftlern der Erklärung menschlichen Entscheidungsverhaltens eine '2-Systeme-Perspektive' zugrunde zu legen. Diese geht davon aus, dass der Mensch über zwei komplementäre Problemlösesysteme verfügt, die beide im Stande sind, Urteile zu bilden und für gegebene Entscheidungsprobleme eine Lösung hervorzubringen (Braun und Benz 2015, S. 45f.). In dieser Arbeit soll dabei die Terminologie Kahnemans übernommen werden, welche, in Anlehnung an Stanovich und West (2000), das intuitive und nicht-bewusste System 1 dem analytisch-bewusstem System 2 gegenüber stellt. Die Systeme werden dabei aus Gründen sprachlicher Vereinfachung so dargestellt, als seien sie zwei eigenständige Akteure. Kahneman weist jedoch darauf hin, dass es sich in Wirklichkeit um spezifische neuronale Strukturen handelt (Kahneman, D. 2012, S.32ff.)
Laut der Theorie von Kahneman ist System 1 immer aktiv und muss daher im Kontext der Lösung eines Entscheidungsproblems nicht erst aktiviert werden (Vgl. Kahneman, D 2012, S.33, S.70). Darüber hinaus geht Kahneman davon aus, dass die Problemlösungen, die von System 1 generiert werden, "auf Basis einer kaskadenartig ablaufenden Aktivierung neuronal kodierter Informationen erzeugt werden" (Braun und Benz 2015, S. 46). Das bedeutet, dass viele Aktivierungsvorgänge zeitgleich (parallel) ablaufen können. Die dabei aktivierten Informationen im neuronalen Netzwerk (auch: 'assoziatives Gedächtnis') aktivieren ihrerseits wiederum viele weitere verknüpfte Informationen (Kahneman, D. 2012, S. 100f.). Die Aktivierung, bzw. die neuronale Reizweiterleitung, läuft dabei so ab, dass Ursachen mit ihren Wirkungen (Virus → Krankheit), Objekte mit ihren Eigenschaften (Apfel → süß), und Objekte mit ihren zugeordneten Kategorien (Apfel → Obst). Der Großteil der darüber aktivierten Informationen, so Kahneman, bleibt dabei allerdings unterhalb der Bewusstseinsschwelle (Kahneman, D. 2012, S. 70.). Aufgrund dieser Funktionsweise bezeichnet Kahneman das System 1 auch als 'Assoziationsmaschine'. Es liefert dabei auch einen Erklärungsansatz für die Wirkung von Priming-Effekten. Zuvor in der Assoziationskette aktivierte Informationen werden mit erhöhter Leichtigkeit aus dem Gedächtnis abgerufen. Diese Priming-Effekte haben sogar Auswirkungen auf das Verhalten. So konnten der Psychologe John Bargh und seine Mitarbeiter (1996) in einem Experiment durch die unbewusste Voraktivierung von Wörtern, die mit dem Konstrukt 'Alter' assoziiert werden, die durchschnittliche Geschwindigkeit manipulieren mit der die Probanden einen Flur durchquerten. Dass Priming auch Auswirkungen auf das Kaufverhalten von Konsumenten hat liegt somit sehr nahe und wird unter anderem in Punkt 4.4 weiter behandelt.
Ein zentraler Bestandteil Kahnemans Theorie ist die von ihm benannte What-You-See-Is-All- There-Is Regel (fortan WYSIATI-Regel genannt). Sie besagt, dass System 1 zu einem bestimmten Zeitpunkt nur solche Informationen zur Lösung von Entscheidungsproblemen heranziehen kann, welche zum diesem Zeitpunkt bereits in der Assoziationskette aktiviert wurden. Informationen, die nicht aus dem Gedächtnis abgerufen oder wahrgenommen werden existieren in dem Augenblick quasi nicht (Kahneman, D 2012, S.112f.). Aus den vorhandenen Informationen versucht System 1 eine möglichst überzeugende und kohärente Geschichte zu kreieren, um Urteile zu bilden. Einerseits hilft dies dem Menschen sich in seiner Umwelt anhand unvollständiger Informationen adäquate Urteile und Entscheidungen zu treffen, andererseits bietet dies die Grundlage vieler Urteilsfehler und kognitiver Verzerrungen (Kahneman, D 2012, S. 114f.)
System 2 zeichnet sich gegenüber System 1 durch eine serielle (nicht parallele), logisch strukturierte, bewusste Informationsverarbeitung aus (Braun und Benz 2015, S.47) . Es ist darüber hinaus in der Lage sich gezielt neues entscheidungsrelevantes Wissen anzueignen und besitzt im Gegensatz zu System 1 die Fähigkeit, Objekte hinsichtlich bestimmter Merkmale zu vergleichen und aus alternativen Perspektiven zu betrachten (Kahneman, D. 2012, S. 105f.). Um System 2 im Kontext einer vorliegenden Problemstellung ausreichend zu aktivieren ist, anders als bei System 1, (bewusste) Aufmerksamkeit nötig. Kahneman geht davon aus, dass die Aufmerksamkeit aufgrund der Beschränktheit ihrer Kapazität, im Sekundenrhythmus und in Anbetracht entsprechender Prioritätsüberlegungen immer wieder neuen Aufgabenfeldern zugeordnet werden kann (Vgl. Kahneman, D. 2012, S. 49, Braun und Benz 2015, S.50).
Aufgrund seiner 'schnellen' Funktionsweise wird System 1 von Kahneman als das Hauptproblemlösesystem angesehen, das ständig damit beschäftigt ist Lösungen für Entscheidungsprobleme zu finden und dabei fortlaufend Eindrücke, Intuitionen, Absichten und Gefühle erzeugt, die es an System 2 'weiterleitert' (Kahneman, D. 2012, S. 33,35,49,75). Wenn System 2 den von System 1 kreierten Lösungsvorschlag unterstützt, wird daraus eine bewusste Überzeugung und aus Impulsen werden willentliche Handlungen (Kahneman, D. 2012, S. 37).
System 2 hat hierbei eine Art 'Torwächter-Funktion', da es von ihm abhängig ist, ob die Ergebnisse der nicht-bewussten Denkprozesse von System 1 handlungswirksam werden sollen oder nicht. Es kann dabei natürlich auch Vorschläge verwerfen und sich selbst einer Lösung des Problems widmen, wobei dies kognitiven Aufwand zur Folge hätte und daher vom 'faulen' System 2 wenn möglich vermieden wird (Kahneman, D. 2012, S. 61ff.). Es werden ebenfalls die Vorschläge von System 1 übernommen, wenn die Aufmerksamkeit von System 2 anderweitig zugeteilt ist. Daniel Gilbert (1990) vertrat zudem die These, dass System 1 sehr leichtgläubig ist und alle Aussagen die ihm präsentiert werden für wahr hält. Erst System 2 prüfe diese dann auf ihren Wahrheitsgehalt. Zum Beweis seiner These entwickelte er ein Experiment, in dem den Versuchspersonen unsinnige Aussagen präsentiert wurden, woraufhin diese kurz darauf als 'wahr' oder 'falsch' angezeigt wurden. In einem späteren Gedächtnistest mussten die Probanden dann bestimmen, ob die Aussagen wahr oder falsch waren. Ein Teil der Probanden hatte während der Übung die Aufgabe sich Ziffern einzuprägen, was eine Leistung von System 2 erfordert. Dieser Teil der Probanden hatte wesentlich größere Schwierigkeiten damit Aussagen als falsch zu identifizieren (Kahneman, D. 2012, S. 107).
System 2 schaltet sich also nur ein, sobald es System 1 nicht gelingt eine geeignete Problemlösung zu finden, oder es einen Fehler im Lösungsprozess von System 1 vermutet (Kahneman, D. 2012, S. 37f.). Kahneman sieht diese Arbeitsteilung zwischen System 1 und 2 als höchst effektiv an, indem sie den kognitiven Aufwand minimiert und in der Regel gute Ergebnisse liefert (Kahneman, D. 2012, S. 38). Gleichzeitig ist System 1 jedoch aufgrund seiner Arbeitsweise bei spezifischen Umständen anfällig für kognitive Verzerrungen und beantwortet schwierige Fragen mit der Lösung leichterer Fragen in Form von intuitiven Heuristiken. Diese Problemmodifikationen bzw. -verkürzungen kommen dann zum Einsatz, wenn die 'Assoziationsmaschine' keine geeignete Antwort auf das Originalproblem gefunden hat (Kahneman, D. 2012, S.127ff.). Während Kahneman einerseits die Effektivität von System1-Entscheidungen, insbesondere diejenigen, die von Experten in dem jeweiligen Entscheidungsgebiet getroffen werden, lobt, betont er andererseits jedoch auch die Fehleranfälligkeit dieser Entscheidungen. Diese systematische Fehleranfälligkeit, bzw. Manipulierbarkeit ist es, die sich unter anderem Anbieter im Internet zu Nutze machen, um Konsumenten zu Entscheidungen zu überreden und in Punkt 5.2 näher behandelt werden soll. Zwei-Systeme-, bzw. Zwei-Prozess-Modelle, bei denen der Unterschied und das Wechselspiel zwischen automatischen (nicht-bewussten) und kontrollierten (bewussten) Prozessen der Informationsverarbeitung differenziert wird, finden sich in verschiedenen Teilgebieten der Psychologie wieder, so auch in der Persuasionsforschung und der Konsumentenpsychologie (Felser, G. 2015, S. 10f.). Die Haupteinflussdeterminante ist dabei stets die Aufmerksamkeit, die das Individuum einem Reiz beimisst.
Wie in Kapitel 2.1 bereits festgehalten wurde, handelt es sich beim Entscheiden um einen Prozess. Dieser ist von verschiedenen Variablen abhängig und bezieht sich auf ein zukünftiges Ereignis. Die eigentliche Wahl dagegen stellt nur den Teil dieses Prozesses dar, "der sich auf den Akt der Selektion einer Option und der Bildung einer Intention zur Ausführung oder Aneignung dieser Option bezieht" (Betsch et al. 2010: S. 75). In der nachfolgenden Abbildung 1 ist ein Rahmenmodell für den Prozess des Entscheidens dargestellt. Das Modell bietet einen strukturellen Überblick für die nachfolgenden Kapitel und vereinfacht die konzeptuelle Einordnung der Beispiele in die drei Entscheidungsphasen (präselektionale-, selektionale- und postselektionale Phase).
Entgegen des eigentlichen Ablaufs eines Entscheidungsprozesses, in dieser Arbeit die selektionale Phase der präselektionalen- inhaltlich vorgelagert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Rahmenmodell für den Prozess des Entscheidens. Entnommen aus Betsch et al. 2010, S. 75
Die selektionale Phase bildet den Kern des Entscheidungsprozess, bei dem es um die Bewertung der Konsequenzen der Optionen und das letztendliche Treffen der Entscheidung geht. Die selektionale Phase war lange Zeit die einzige Phase die im Rahmen der Entscheidungsforschung erforscht wurde. Dies lag laut Betsch et al. (2010) daran, dass die damaligen Untersuchungen menschlichen Entscheidungsverhaltens üblicherweise anhand der Wert-Erwartungstheorie (auch: Subjectively Expeted Utility Theorie (SEU-Theorie)) und des sogenannten Lotterieparadigmas verliefen. Der SEU-Theorie zu Folge entscheiden Menschen anhand eines Saldos von subjektiver Wahrscheinlichkeit und subjektivem Nutzen, den sie den Handlungsalternativen und -konsequenzen zuschreiben und sich dann auf Basis dieser 'Berechnungen' rational entscheiden. Im Rahmen des Lotterieparadigmas wurden die Annahmen der SEU-Theorie und des rationalen Entscheidens anhand von empirischen Experimenten geprüft, bei denen Probanden verschiedene Lotterien angeboten wurden. Diese Lotterien haben vorgegebene (Geld-)Werte und vorgegebene Wahrscheinlichkeiten. Da sowohl A, als auch B eintreffen kann, handelt es sich hierbei um Entscheidungen unter Unsicherheit. Die Forscher interessierten hierbei vor allem die Unterschiede zwischen dem objektiven Nutzen (Erwartungswert einer Option) und dem subjektiv erwartetem Nutzen, den der Proband einer Lotterie zuschreibt. Bezogen auf die Prinzipien rationalen Entscheidens, die aus der Axiomatisierung der Nutzentheorie entstammen, zeigen die Ergebnisse der Lotterie- Experimente und ähnlicher Forschungen, dass Menschen in bestimmten Situationen diese Prinzipien systematisch verletzen (Betsch et al., 2010, S. 80). So verändert bereits die Umformulierung eines Entscheidungsproblems bei gleichbleibenden Konsequenzen die Antworttendenzen der Probanden. Dieser sogenannte Framing-Effekt wurde unter anderem sehr eindrucksvoll am Beispiel der Asiatischen Krankheit (Kahneman und Tversky 1981) nachgewiesen, bei dem die Entscheider, je nachdem, ob die gleichen Chancen als Überlebens- oder als Todesraten präsentiert worden, unter der ersten Bedingung eher zu risikofreudigen- und unter der zweiten eher zu risikoaversen Antworten tendierten (Kahneman, D. 2012, S.453).
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1 Quelle: http://www.absatzwirtschaft.de/kaufentscheidung-faellt-schon-waehrend-der-internet-recherche- 17543/)