Bachelorarbeit, 2012
52 Seiten, Note: 1,3
1. Einleitung
2. Kinderarmut
2.1. Messung relativer (Kinder-) Armut
2.2. Kinderarmut in Deutschland
3. Ursachen und Folgen von Kinderarmut
3.1. Ursachen von Kinderarmut
3.2. Folgen von Kinderarmut
4. Kinderarmut in Alleinerziehendenhaushalten
4.1. Aktuelle Situation Alleinerziehender in Deutschland
4.2. Erwerbsarbeit in Alleinerziehendenhaushalten
5. Leistungen und MaBnahmen der Bundesregierung gegen Kinderarmut
5.1. Transferleistungen
5.1.1. Direkte allgemeine Transferleistungen
5.1.2. Transferleistungen fur Haushalte von Alleinerziehenden
5.2. Indirekte MaBnahmen gegen Kinderarmut
6. Erfolgreiche Bekampfung von Kinderarmut in Haushalten von Alleinerziehenden - Schweden als Vorbild
6.1. Kinderarmut in verschiedenen Wohlfahrtregimes
6.2. Effektive Sozial- und Familienpolitik
6.3. Die Frauenerwerbsbeteiligung
6.4. Die Betreuungssituation
6.5. Arbeitsanreize fur Geringverdienende und Mutter.
7. Fazit
8. Anhang
9. Literaturverzeichnis
Die Kindheit stellt eine wichtige Entwicklungsphase im Leben eines Menschen dar. Die Er- eignisse und Umstande, mit denen eine Person in dieser Zeit konfrontiert wird, bestimmen ih- ren zukunftigen Lebensverlauf. Erfahrt ein Mensch in seiner Kindheit Armut, wirkt sich dies in den meisten Fallen einschrankend auf seine Entwicklungsmoglichkeiten und Chancen aus (vgl. Holz/Richter-Kornweitz 2010: 48). Als nicht erwerbsfahige Personen sind Kinder nicht in der Lage, eine Armutssituation zu beeinflussen oder mit eigenen Mitteln zu beenden. Da- her spielt die Familie neben dem emotionalen auch fur das finanzielle Wohl des Kindes die wichtigste Rolle. Oft entscheidet schon die Familienstruktur uber die sozialen und materiel- len Chancen eines Kindes. Bis heute dominiert in unserer Gesellschaft die traditionelle Kern- familie, bestehend aus einem Elternpaar und Kindern. Die Kernfamilie wird jedoch, insbe- sondere durch den Bedeutungsverlust der Institution „Ehe“ bedingt, zunehmend von anderen Familienformen verdrangt. Eine der am schnellsten wachsenden Familienformen ist die Ein- Elternfamilie (vgl. Brodolini 2007: 13). In Deutschland lebt inzwischenjedes funfte Kind in einem Haushalt mit nur einem Elternteil. Der Anteil der Kinder, die arm oder armutsgefahr- det sind, ist in dieser Familienstruktur, wie in den meisten Industrielandern, in Deutschland auffallig hoch. Auch bei einer Erwerbsbeteiligung des alleinerziehenden Elternteils besitzen Ein- Elternfamilien ein enorm hohes Armutsrisiko. Aufgrund dieser Problematik ist die Fra- ge von Interesse, wodurch insbesondere Alleinerziehendenhaushalte einer so grofien Gefahr ausgesetzt sind, unterhalb der Armutsgrenze leben zu mussen. Bei der Beantwortung dieser Frage spielt die aktuelle Situation von Ein- Elternfamilien in Deutschland eine wichtige Rolle. Bedeutsam ist, welche Aspekte das hohere Armutsrisiko in Alleinerziehendenhaushalten im Vergleich mit anderen Haushaltsformen bedingen. Des Weiteren ist die Untersuchung un- terschiedlicher politischer Ausrichtungen, sozialer Unterstutzungsleistungen, und -mafinah- men entscheidend, welche die Situation von Alleinerziehendenhaushalten positiv oder nega- tiv beeinflussen konnen. Infolge der Analyse der Ursachen des erhohten Armutsrisikos fur diese Familienform, stellt sich schliefilich die Frage, wie die Bekampfung von Armut in Alleinerziehendenhaushalten erfolgreich gelingen kann. Anhand der Bewertung der derzeitigen politischen Mafinahmen und ihrer Wirksamkeit ergeben sich mogliche Konsequenzen und Verbesserungsvorschlage. Auch der international Vergleich eroffnet Perspektiven, wie eine positive Einflussnahme auf die Armutsreduzierung stattfinden kann.
Der Einleitung folgend, wird im zweiten Kapitel der Begriff Armut sowie die Berechnungs- weise des Ressourcenansatzes erlautert. Des Weiteren wird die bisherige Entwicklung der Kinderarmut in Deutschland kurz aufgezeigt und die aktuelle Situation dargestellt. Um die Frage zu beantworten, welche Faktoren Kinderarmut bedingen, wird im dritten Kapitel ein Uberblick uber die wichtigsten Ursachen von Armut in Haushalten mit Kindern geschaffen. Dabei werden individuelle Risikofaktoren fur Armutsgefahrdung analysiert, sowie landes- und bevolkerungsstrukturabhangige Einflusse auf die Armutsrisikoquote aufgezeigt. Mit der anschliefienden Erlauterung der Folgen von Kinderarmut, wird der bestehende Handlungsbe- darf deutlich, der bei der Bekampfung von Kinderarmut in Industrielandern besteht. Im vier- ten Kapitel wird auf die Problematik der Armutsgefahr fur Alleinerziehendenhaushalte Bezug genommen und deren allgemeine Entwicklung und Struktur in Deutschland aufgezeigt. An- schliefiend wird die schwierige Erwerbssituation deutlich gemacht, mit der alleinerziehende Eltern konfrontiert sind. Das funfte Kapitel stellt die wichtigsten Mafinahmen vor, die in Deutschland zu einer Reduzierung von Kinderarmut in Alleinerziehendenhaushalten beitra- gen. Mithilfe der Erlauterung und Analyse der finanziellen Leistungen, die direkt an armuts- betroffene oder -gefahrdete Haushalte gezahlt werden, wird deren Wirksamkeit uberpruft. Auch die bedeutendsten indirekten Mafinahmen bei der Bekampfung von Kinderarmut werden in den Blick genommen. Hierbei wird analysiert, inwiefern diese Mafinahmen in Deutschland bisher erfolgreich umgesetzt wurden. Im anschliefienden sechsten Kapitel wird ein Vergleich zwischen verschiedenen Wohlfahrtregimes aufgestellt, die bei der Armutsbe- kampfung unterschiedliche Strategien verfolgen. Anhand des erfolgreichen sozialdemokrati- schen Wohlfahrtsregimes Schweden, werden Ruckschlusse gezogen, wie auch in Deutschland die Armutsgefahr fur Kinder aus Alleinerziehendenhaushalten gemindert werden kann. Das abschliefiende Fazit gibt resumierend die wichtigsten Fakten und Erkenntnisse der Arbeit wieder und beantwortet die eingangs gestellten Forschungsfragen.
Die Begriffe Armut und insbesondere Kinderarmut lassen die meisten Menschen an Entwick- lungslander denken, in denen es Teilen der Bevolkerung an uberlebenswichtigen Gutern man- gelt. Menschen, die am physischen Existenzminimum leben und nicht fahig sind, ohne Hilfe zu uberleben, definiert man als unter absoluter Armut leidend (vgl. Butterwegge 2011: 19). Von dieser Form der Armut sind in den Industrielandern vergleichsweise wenige Personen betroffen. Hier werden Menschen als in relativer Armut lebend angesehen, die in Verhaltnis zur Restbevolkerung des Landes arm sind. Somit ist die Bezeichnung relative Armut durch den gesellschaftlichen Kontext bestimmt. Wer zu einem bestimmen Zeitpunkt als arm in einer Gesellschaft gilt, muss sich nicht zwangslaufig selbst als arm empfinden oder unter finanziel- len oder sozialen Benachteiligungen leiden (vgl. Reichwein 2012: 32). Die Festlegung wie grofi der Anteil einer Gesellschaft oder Bevolkerungsgruppe ist, die als relativ arm gilt, kann uber verschiedene Messmethoden erfolgen.
Es bietet sich an, Armut in einem Land anhand des Ressourcenansatzes festzulegen. Dabei gelten diejenigen als arm, deren Einkommen unterhalb einer bestimmten Grenze liegt. Armut als relative Einkommensarmut zu messen ist sinnvoll, auch wenn der Begriff Armut tatsach- lich wesentlich mehr umfasst als eine materielle Benachteiligung (vgl. Deutsches Jugendin- stitut 2009a: 8). Der Lebenslagenansatz umfasst weitere, nicht- materielle Faktoren wie Ge- sundheit und Sicherheit. Dadurch wird Armutjedoch schwer messbar und der Vergleich ver- schiedener Bevolkerungsgruppen oder Lander gestaltet sich problematisch. Eine weitere Moglichkeit, Armut und Armutsgefahrdung zu bestimmen, ist die Ausrichtung an sozialen Unterstutzungsleistungen. Nach diesem Ansatz ist derjenige arm, der das “soziookonomische Existenzminimum” nur mithilfe des Empfangs von Sozialleistungen sichern kann (vgl. Der dritte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung 2008: 20).
Im Folgenden soll der Ressourcenansatz verwendet werden. Dieser kommt in den meisten Armutsstudien zum Einsatz und macht eine relativ gute Messung und Vergleichbarkeit von Armutsquoten im Zeitverlauf sowie unterschiedlicher Bevolkerungsgruppen und Lander moglich (vgl.[1] ). Die Armutsquote und die Armutsrisikoquote eines Landes oder einer Bevol- kerungsgruppe berechnen sich beim Ressourcenansatz anhand des bedarfsgewichteten Netto- einkommens pro Kopf. Das Nettoeinkommen einzelner Haushaltsmitglieder kann berechnet werden, indem das Gesamteinkommen, inklusive moglicher Transferleistungen eines Haus- haltes durch Bedarfsgewichte geteilt wird, die den einzelnen Haushaltsmitgliedern zugeord- net sind. Durch eine unterschiedliche Gewichtung verschiedener Haushaltsmitglieder soll be- rucksichtigt werden, dass sich bestimmte finanzielle Belastungen wie beispielsweise Miet-, oder Heizkosten nicht mit jeder zusatzlichen Person im Haushalt noch einmal um den glei- chen Wert erhohen. Auch wird davon ausgegangen, dass die Lebenshaltungskosten von Kin- dem deutlich unter denen von Personen uber 14 Jahren liegen. Nach der aktuellen (neuen) OECD- Skala werden Haushaltsvorstande mit 1, weitere Personen uber 14 mit 0,5 und Kinder unter 14 Jahren mit 0,3 gewichtet (vgl. Der 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bun- desregierung 2008: 17f.). Im Vergleich mit der alten OECD- Skala, in der Haushaltsvorstande mit 1 und alle weiteren Haushaltsmitglieder mit 0,5 gewichtet wurden, bewirkt die neue Ge- wichtung ein durchschnittlich hoheres Nettoaquivalenzeinkommen. Durch die geringere Ge- wichtung der unter 14 Jahrigen und des dadurch stattfindenden gemessenen Anstiegs des Net- toaquivalenzeinkommens, sinkt deren Armutsrisikoquote. Die Armutsrisikoquote der Restbe- volkerung hingegen steigt. Durch die veranderte Messung besteht das Risiko, dass Kinderar- mut als aktuelles Thema an Bedeutung verliert, obwohl der teilweise publizierte Ruckgang der Kinderarmut auf veranderte Messmethoden zuruckgefuhrt werden kann (vgl. Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.) 2009: 9f.). Zudem stellt auch die Gewichtung der Haushaltsmitglieder eine Schatzung dar, die helfen soll Armut messbar zu machen. Die Bedarfsverhaltnisse ent- sprechen nicht zwangslaufig der Realitat. Die starken Abweichungen der Kinderarmutsge- fahrdungsquoten, die durch die Umstellung der Berechnungen von der alten auf die neue OECD- Skala stattfinden machen die Problematik und moglicherweise die Willkur der Messung von relativer Einkommensarmut deutlich (vgl. Kohl 2010: 38).
Der Anteil der Bevolkerung, deren Nettoaquivalenzeinkommen nach der Gewichtung niedri- ger ausfallt als 60% des Durchschnittseinkommens der Gesamtbevolkerung, besitzt ein Ar- mutsrisiko. Personen mit weniger als 50% des durchschnittlichen Nettoaquivalenzeinkom- mens gelten als arm. Problematisch an dieser Bestimmungsmethode von Armut ist, dass sich beispielsweise auch bei einer Verdopplung aller Einkommen die Zahl der Menschen unter- halb der Armutsquoten nicht reduzieren wurde. Relative Armut deutet daher auch darauf hin, wie grofi die Einkommensungleichheit ist, die in einem Land herrscht. Je geringer diese ausfallt, desto weniger Menschen einer Gesellschaft fallen unter die Armuts- bzw. Armutsrisikoquote, sowie die 40% Quote, welche starke Armut kennzeichnet (vgl. Bundesministerium fur Familie, Senioren Frauen und Jugend (BMFSFJ) (Hrsg.) 2010: 7). Die Bezeichnung “relative Armut” ist nicht immer gleichbedeutend mit materieller Not, sagtjedoch aus, dass die Betrof- fenen, ausgehend von ihrem Haushaltseinkommen mit Einschrankungen im gesellschaftli- chen Leben konfrontiert sind. Obwohl ^relative Armut“ Einkommensarmut misst, beschrankt sie nicht auf eine materielle Benachteiligung. Aufgrund der offensichtlichen Ungleichheit des verfugbaren Haushaltseinkommens zur Durchschnittsbevolkerung entwickelt sich ein Gefuhl der Benachteiligung bei den Betroffenen, welches besonders deprimierend ist, wenn sich die Personen selbst als arm oder finanziell eingeschrankt in einem wohlhabenden Land empfin- den (vgl. Butterwege 2011: 20). Vor allem fur Kinder, die unter relativer Armut leiden, spie- len nicht nur die finanziellen Aspekte eine Rolle. Die Benachteiligungen und Einschrankungen betreffen verschiedene Lebensbereiche und beeinflussen die Entwicklung und den Le- bensweg dieser Kinder (vgl. 3.2). Armut findet demnach auf verschiedenen Dimensionen statt, auch wenn diese nur schwer messbar und vergleichbar sind. UNICEF- Studien verwen- den beispielsweise das Modell des kindlichen Wohlbefindens mit sechs Dimensionen. Es soll ein umfassenderes Bild uber die Situation von Kindem verschiedener Lander auf unter- schiedlichen Ebenen bieten. Neben dem materiellen Wohlbefinden sind dies: Gesundheit und Sicherheit, Bildung, Beziehungen zu Gleichaltrigen und Familie, Verhalten und Risiken und das subjektive Wohlbefinden der Kinder (vgl. Bertram/Kohl 2010: 11).
In der vorliegenden Arbeit kommt es aufgrund verschiedener Datenquellen zu abweichenden Ergebnissen und Werten. Diese spiegeln sich beispielsweise in unterschiedlichen Einkom- mensmittelwerten der Quellen wieder und beeinflussen dadurch den Anteil der Personen, der uber oder unterhalb der Armutsgrenzen liegt. Daher konnen verwendete Statistiken der Ar- mutsgefahrdungsquoten um mehrere Prozentpunkte voneinander abweichen und sind immer kritisch und als Annaherung an den tatsachlichen Wert zu betrachten.
Die Beobachtung zeitlicher Entwicklungen und Vergleiche verschiedener Lander und Bevol- kerungsgruppen bleiben trotz der genannten Probleme moglich und stimmen tendenziell auch bei unterschiedlicher Datenbasis und Berechnung uberein (vgl. Der 3. Armuts- und Reich- tumsbericht der Bundesregierung 2008: 22ff.).
Seit den 70er Jahren ist die Gefahr fur Kinder, kurzzeitig oder dauerhaft in relativer Armut zu leben in Deutschland immer weiter angestiegen. Allein zwischen den Jahren 1996 und 2010 liefi sich ein Anstieg der Kinderarmutsgefahrdungsquote um 4,8% feststellen. Auch die Ar- mutsquote stieg im aufgefuhrten Zeitraum um insgesamt etwa 2% an. Der Anteil der Kinder, die von starker Armut betroffen waren, blieb hingegen relativ konstant bei 4%. Von 2002 bis 2009 schwankte die Kinderarmutsgefahrdungsquote zwischen 16 und 18 Prozent. 2010 stie- gen Armuts- und Armutsgefahrdungsquote im Vergleich zu den Vorjahren weiter an (vgl. Ab- bildung 1; vgl. BMFSFJ (Hrsg.) 2011: 99).
Abbildung 1: Entwicklung der Kinderarmuts- und Kinderarmutsrisikoquoten in Deutschland (1996- 2010)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: SOEP, Berechnungen FIT 2011 (in: BMFSFJ (Hrsg.) 2011: 99)
Im Vergleich zur deutschen Gesamtbevolkerung, deren Armutsgefahrdungsquote im Jahr 2008 bei rund 14 Prozent lag, besitzen Kinder und Haushalte mit Kindern in Deutschland ein deutlich erhohtes Armutsrisiko (vgl. BMFSFJ (Hrsg.) 2010: 54). Im internationalen Vergleich liegt die Armutsquote der Kinder in Deutschland im Mittelfeld der OECD Lander (vgl. Deutsches Jugendinstitut 2009a: 14).
Innerhalb Deutschlands gibt es auf den ersten Blick ein erhebliches Armutsgefalle zwischen Ost- und Westdeutschland. In den neuen Bundeslandern lag der Anteil armutsgefahrdeter Kinder im Jahr 2006 bei 25%, wahrend es in den alten Bundeslandern 15% waren. Grund fur diesen Unterschied ist dem Bundesministerium fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend zufolge das in Ostdeutschland deutlich niedrigere Durchschnittseinkommen. Dieses geht al- lerdings auch mit niedrigeren Lebenshaltungskosten einher. Im Verhaltnis zum Durchschnittseinkommen der jeweiligen Bundeslander erweisen sich die Kinderarmutsquoten zwischen West- und Ostdeutschland wieder als ausgeglichen (vgl. BMFSFJ (Hrsg.) 2008a: 9ff.). Durch diese regionalen Unterschiede konnen Haushalte unter die Armutsgrenze fallen, die mit ihrem Einkommen gut auskommen und nicht unter Einschrankungen leiden. Anderer- seits werden aber auch Haushalte als nicht arm erfasst, obwohl eine finanzielle Not vorhan- den ist.
Welche Ursachen es fur Armut gibt und warum besonders Kinder so stark von Armut betrof- fen sind, wird im Folgenden erlautert. Auch die Auswirkungen materieller Einschrankungen fur Kinder und deren Lebensweg werden dargestellt.
Bestimmte Bevolkerungsgruppen von Haushalten, in denen Kinder leben sind besonders von relativer Armut betroffen und uberproportional haufig mit materiellen Einschrankungen kon- frontiert:. Haushalte mit vielen Kindern, Haushalte ohne Erwerbstatige, Familien mit Migra- tionshintergrund sowie Haushalte von Alleinerziehenden. Innerhalb ihrer Altersklasse sind Kinder ab 15 Jahren ofter von Einkommensarmut betroffen als Kinder unter 15 Jahren, da sie haufiger in Alleinerziehendenhaushalten aufwachsen und fur sie Unterstutzungsleistungen wie der Unterhaltsvorschuss entfallen (vgl. 5.1.2). Die Anzahl jungerer Kinder die in Armut lebt istjedoch hoher (vgl. BMFSFJ (Hrsg.) 2008a: 9). ,,Folglich sind es vor allem Kinder im Vor- und Grundschulalter und damit Personen in einer Lebensphase mit einem hohen Potential zur Herausbildung und Entfaltung individueller Fahigkeiten, die zur Bevolkerung in Armut gehoren.“ (Deutsches Jugendinstitut 2009a: 16). Wenn Armut in einer solch wichtigen Ent- wicklungsphase kurz- oder langerfristig auftritt, hat dies meist Folgen, die uber die aktuelle Situation hinausreichen und den Lebensverlauf der Kinder pragen.
Meist ist Armut ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren und nicht das Ergebnis einer ein- zigen Ursache (vgl. Butterwegge 2006: 32). Wer unter die Armuts- oder Armutsrisikoschwel- le eines Land fallt und wie grofi der Anteil dieser Gruppe ist, hangt zu einem nicht geringem Teil von den Bedingungen desjeweiligen Staates ab. Neben der Hohe und den Adressaten, an die sich staatliche Transferleistungen richten, sind auch die sozialpolitischen Ausrichtungen, die Voraussetzungen und Mafinahmen sowie die herrschenden Arbeitsmarktbedingungen ent- scheidend fur die Armutsquoten eines Landes (vgl. Zander 2010: 58). Diese werden im folgenden Kapitel kurz erlautert und in den Kapiteln 5 und 6 eingehender behandelt. Neben staatlichen Einflussen sind bestimmte, individuelle oder personliche Bedingungen mit einem erhohten Armutsrisiko verbunden. Dieses Kapitel stellt die wichtigsten Ursachen, die zu Kinderarmut fuhren oder diese begunstigen vor.
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Zusammensetzung der armen Bevolkerung in Deutschland gewandelt. Fruher waren vor allem altere Menschen, Langzeitarbeitslose oder kranke Personen von relativer Armut betroffen. Wahrend heutzutage die Altersarmut einge- dammt wurde und in der offentlichen Debatte kein vorherrschendes Thema mehr ist, rucken andere Risikogruppen in den Vordergrund. Den „typischen Armen“ gibt es heutejedoch nicht mehr. Das Armutsrisiko hat sich vielmehr ausgeweitet und beschrankt sich nicht mehr nur auf bestimmte Risikogruppen, sondern ist „sozial entgrenzt“ (Holz/Richter-Kornweitz (Hrsg.) 2010: 43). Personen die arbeitslos sind, konnen ebenso von relativer Armut betroffen sein,
wie eine alleinstehende Erwerbsperson oder eine Familie mit zwei Kindem. Insgesamt verla- gert sich die Armut aber weg von den alteren und zu den ganzjungen Menschen, so dass eine „Tendenz hin zu einer Infantilisierung der Armut' (Hradil 2001: 253) deutlich wird.
Auch heute noch sind Haushalte besonders stark armutsgefahrdet, in denen Erwerbslosigkeit oder Langzeiterwerbslosigkeit existiert. Allerdings gewinnt das Phanomen der „working poor“ immer mehr an Bedeutung. Galt Arbeit fruher noch als sicherer Schutz gegen Armut, fallen in den letzten zwei Jahrzehnten immer mehr Menschen trotz Erwerb dauerhaft oder phasenweise unter die Armutsrisikogrenze. Im Jahr 2008 verfugten in Deutschland knapp 35% der in relativer Armutsgefahrdung lebenden Haushalte uber erwerbstatige Personen (vgl. Kutzner/Nollert/Bonvin (Hrsg.) 2009: 8f.). Das Armutsrisiko steigt dennoch rapide an, je we- niger Personen in einem Haushalt erwerbstatig sind.
Abbildung 2: Armutsrisikoquote von Kindern nach Erwerbsbeteiligung im Haushalt (2010)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: SOEP2010, Berechnungen vonPrognos (in: BMFSFJ (Hrsg.) 2011: 103)
Auch ob die Erwerbspersonen einem Vollzeit- oder Teilzeiterwerb nachgehen wirkt sich stark auf die Armutsgefahrdungsquote aus. Kinder die in Haushalten aufwachsen, in denen keine Erwerbsperson lebt oder in denen lediglich eine Person einer Teilzeitbeschaftigung nachgeht, sind besonders extrem von Armut betroffen. 60,2 % und damit uber 1,1 Millionen der Kinder aus Haushalten ohne Erwerbseinkommen waren 2010 in Deutschland armutsgefahrdet (vgl.
BMFSFJ (Hrsg.) 2011: 103). Der Anteil der Kinder aus Haushalten mit zwei Verdienem ist relativ gering. Dabei wird deutlich, dass fur viele Haushalte anders als fruher das Einverdie- nermodell nicht mehr zur ausreichenden Versorgung der Familie genugt. Grund dafur, dass Arbeit heute nicht mehr im gleichen Mafie wie fruher vor Armut schutzt, ist auch der Wandel der Erwerbsform mit einer Ausweitung des Niedriglohnsektors, einer Zunahme von Ein- Euro- Jobs, Leiharbeit, befristeter Arbeit und vor allem dem Zuwachs von Teilzeitbeschafti- gung. Durch diese Erwerbsformen wird zwar der angespannten Arbeitsmarkt entlastet, zur angemessenen Versorgung von Familien reichen die geringen Lohne oft nicht aus (vgl. Kutz- ner/Nollert/Bonvin (Hrsg.) 2009: 10). Es sind insbesondere Haushalte mit vielen Haushalts- mitgliedern von Armut trotz Erwerbstatigkeit betroffen, da in diesen Familien das erworbene Einkommen fur mehr Personen ausreichen muss. Da Kinder nicht zum Erwerb beitragen kon- nen, besitzen besonders kinderreiche Familien ein hohes Armutsrisiko (vgl. BMFSFJ (Hrsg.) 2008a: 5). Von einer ahnlichen Problematik sind auch Haushalte von Alleinerziehenden betroffen, in denen hochstens eine Person erwerbstatig sein kann (vgl. 4; vgl. Anhang 1).
Eine wichtige Ursache dafur, dass Menschen gering bezahlten Tatigkeiten nachgehen mussen oder unter Erwerbslosigkeit leiden, ist haufig ein niedriger Bildungsgrad oder mangelnde Ausbildung betroffener Personen. Zwar kann es trotz Arbeit zu einer Armutssituation kom- men, die Erwerbstatigkeit bietet jedoch immer noch den besten Schutz vor Armut. Dass der Schlussel zu einer ausreichend bezahlten Tatigkeit insbesondere in einer guten Bildung und Ausbildung liegt wird immer wieder von Studien belegt (vgl. Mendoliccio/Rhein 2012: 8). Menschen mit einer geringeren Bildung besitzen ein deutlich hoheres Risiko der Erwerbslosigkeit und befinden sich haufiger in einer Erwerbssituation, in welcher der Lohn nicht ausreichend ist und mit staatlichen Transferleistungen aufgestockt werden muss. Dies spiegelt sich auch beim Vergleich der Armutsrisikoquote von Absolventen verschiedener Schul- be- ziehungsweise Hochschulabschlussen wieder. In den Jahren 2007 bis 2009 waren 25,8% der Personen ohne einen Abschluss armutsgefahrdet Von den Personen mit Haupt- und Real- schulabschluss lebten dagegen nur knapp uber 10% mit einem Armutsrisiko. Aufierdem gal- ten lediglich 5% der Absolventen von Universitaten oder Fachhochschulen in diesem Zeit- raum als armutsgefahrdet (vgl. Anhang 2). Auch die Ergebnisse des Mikrozensus 2006 zei- gen, wie entscheidend der Bildungs- und Berufsabschluss sich in Deutschland auf die Chance der Erwerbstatigkeit auswirkt. Auffallig ist der deutliche Unterschied zwischen der Erwerbs- beteiligung der Gruppe ohne berufliche Ausbildung und den ubrigen Gruppen. Zudem wird deutlich, dass ein Berufsabschluss die Gefahr der Erwerbslosigkeit deutlich vermindert (vgl. Abbildung 3).
Abbildung 3: Anteil (in %) der Erwerbstatigen, Erwerbslosen und Nichterwerbsperso- nen unter den 25- 65 Jahrigen nach beruflichem Bildungsabschluss im Jahr 2006
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Eigene Darstellung (Quelle: Suddeutsche Zeitung[2], Statistische Amter des Bundes und der Lander, Mikrozensus 2006)
Wie bereits erortert ist das Alleinverdienermodell, in welchem meist der Mann einer Vollzeit- beschaftigung nachgeht, wahrend die Frau die Kinder betreut, zur Versorgung der Familie oft nicht mehr ausreichend (vgl. Abbildung 2). Um den erwerbsfahigen Personen eines Haushal- tes mit Kindern die Ausubung eines Berufs zu ermoglichen, mussen ausreichend Arbeitsplat- ze und Betreuungsmoglichkeiten fur die Kinder in dieser Zeit zur Verfugung stehen. In der schlechten Betreuungssituation in Deutschland und anderen Landern und der daraus resultie- renden Benachteiligung der Eltern, insbesondere der Mutter auf dem Arbeitsmarkt, findet sich ein weiterer Grund dafur, dass besonders Haushalte mit Kindern haufig von Armut be- troffen sind (vgl. BMFSFJ (Hrsg.) 2010: 67). Im internationalen Vergleich zeigt sich ein deut- licher Zusammenhang der Muttererwerbsquote und der Hohe der Kinderarmutsgefahrdung (vgl. Abbildung 4).
Abbildung 4: Erwerbsbeteiligung von Muttern und Kinderarmutsgefahrdung (in %)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: BMFSFJ (Hrsg.) 2010: 59
Durch die schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf aufgrund mangelnder Betreuungs- platze fur Kinder konnen Eltern haufig nicht, oder nur in Teilzeit arbeiten. Sie sind auf Ar- beitsstellen mit flexiblen Arbeitszeiten angewiesen. Die Ruckkehr oder der Einstieg von Muttern in den Beruf wird dadurch behindert und damit das Armutsrisiko fur Haushalte mit Kin- dern weiterhin erhoht.
Der Zuwachs von Kindern, die dauerhaft oder phasenweise aufierhalb der Normalfamilie auf- wachsen, ist ebenfalls ursachlich fur die gestiegenen Kinderarmutsraten. Vor allem Scheidun- gen und nichteheliche Geburten begunstigen Kinderarmut, da die betroffenen Kinder haufiger in Haushalten mit nur einer erwerbsfahigen Person leben. Die Anzahl sowohl von Scheidun- gen, als auch der Geburt von Kindern nicht verheirateter Eltern steigt immer weiter an (vgl. Hradil 2006: 120). Wahrend die Anzahl der Ehepaare zwischen 1998 und 2010 stark abge- nommen hat, stieg die Anzahl der Familien, die in einer Lebensgemeinschaft oder in Allein- erziehenden Haushalten lebten an (vgl. BMFSFJ (Hrsg.) 2011: 22).
Des Weiteren sind noch jene Haushalte zu nennen, die zwar nicht in der Armutsstatistik auf- tauchen, denen dennoch monatlich nur so geringe finanzielle Mittel zur Verfugung stehen, dass sie unterhalb der Armutsrisikogrenze leben mussen. Dies sind Haushalte die aus Grun- den wie Arbeitslosigkeit, Scheidung oder Erkrankung uberschuldet sind. In den Statistiken zur Armutsgefahrdung werden diese Haushalte oft nicht berucksichtigt, weil ihr Einkommen haufig uber der Armutsrisikoschwelle liegt. Durch die Schuldenbelastung und -ruckzahlung liegt das ihnen zur Verfugung stehende Einkommenjedoch im Armutsrisikobereich. 2006 gab es mindestens 1,6 Millionen uberschuldete Haushalte in Deutschland. In 36% der Falle lebten Kinder in diesen Haushalten (vgl. Der dritte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregie- rung 2008: 49ff.).
Neben materiellen Einschrankungen und einer geringeren Lebensqualitat, die mit einer pha- senweisen oder dauerhaften relativen Armut in der Kindheit einhergehen kann, wirkt sich die Armut auch auf den spateren Lebensverlauf aus. Eine gravierende Auswirkung der Kinderarmut zeigt sich im Vergleich der Bildungschancen von Kindern aus einkommensschwachen und einkommensstarken und damit haufig auch aus bildungsfernen und bildungsnahen Fami- lien. Die Chancen auf eine gute Schulbildung sind bei Kindern, die in relativer Armut leben, im Vergleich zu Kindern aus Haushalten, deren Einkommen oberhalb der Armutsgrenze liegt, extrem beeintrachtigt. In Deutschland ist der Zusammenhang vom sozialen Status der Eltern und dem Bildungserfolg des Kindes besonders hoch (vgl. Hradil 2006: 155). Nun konnte da- von ausgegangen werden, dass die Bildungschancen der Kinder hauptsachlich durch das Bil- dungsniveau der Eltern bestimmt werden. Tatsachlich besitzen nicht- armutsgefahrdete Eltern wie bereits gezeigt haufig ein hoheres Bildungsniveau. Die Studie TIMSS (Third International Mathematics and Science Study) aus dem Jahr 2007, die sich unter anderem mit dem Zusammenhang von Herkunft und Bildungschancen in Deutschland befasste, machtejedoch den Einfluss von Armutsgefahrdung auf Bildungschancen deutlich. Die Untersuchung ergab, dass der Leistungs- und Kompetenzunterschied zwischen wohlhabenden und armutsgefahrdeten Kindern, diejeweils aus Haushalten mit gebildeten Eltern stammten, besonders grofi ausfiel. Auch haben bis zur vierten Klasse Kinder aus armutsgefahrdeten Haushalten 2,5 Mal haufi- ger bereits eine Klassenstufe wiederholen mussen als nicht armutsgefahrdete Kinder (vgl. Fischer/Merten 2010: 67ff.). Schuler aus soziookonomisch benachteiligten Familien haben bei gleicher Leistung und Fahigkeit viel seltener die Moglichkeit das Gymnasium zu besuchen, als Kinder aus Elternhausern, in denen keine materielle Einschrankung vorliegt (vgl. Deutsches Jugendinstitut 2009a: 22). Das Erreichen der gymnasialen Oberstufe gelingt Kindern mit einer hohen sozialen Herkunft fast dreimal so haufig wie Kindern niedriger sozialer Herkunft. Die Chance zum Zugang eines Hochschulstudiums haben Kinder mit einer hohen sozialen Herkunft sogar 7,4 Mal haufiger als solche mit niedriger sozialer Herkunft (vgl. Bun- desministerium fur Bildung und Forschung (Hrsg.) 2004: 119f.). Der Extremgruppenver- gleich zeigt, dass im Jahr 2000 lediglich 11% der Kinder aus sehr schwachen sozialen Ver- haltnissen einen Hochschulzugang erreichten, wahrend 81% der Kinder mit sehr hoher sozialer Herkunft eine Hochschule besuchten (vgl. Abbildung 5).
[...]
[1] http://www2.hu-berlin.de/wsu/ebeneI/didaktiker/merten/kinderarmut.pdf. (aufgerufenam 30.03.2012)
[2] http://www.sueddeutsche.de/karriere/zahlen-daten-fakten-bildung-in-deutschland-1.464959-5 (aufgerufen am 16.04.2012)
Der GRIN Verlag hat sich seit 1998 auf die Veröffentlichung akademischer eBooks und Bücher spezialisiert. Der GRIN Verlag steht damit als erstes Unternehmen für User Generated Quality Content. Die Verlagsseiten GRIN.com, Hausarbeiten.de und Diplomarbeiten24 bieten für Hochschullehrer, Absolventen und Studenten die ideale Plattform, wissenschaftliche Texte wie Hausarbeiten, Referate, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten, Diplomarbeiten, Dissertationen und wissenschaftliche Aufsätze einem breiten Publikum zu präsentieren.
Kostenfreie Veröffentlichung: Hausarbeit, Bachelorarbeit, Diplomarbeit, Dissertation, Masterarbeit, Interpretation oder Referat jetzt veröffentlichen!
Kommentare